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Bei der Stadioneinweihung verliert der ehrwürdige Kardinal Fritzl aus spektakuläre Weise den Kopf - und zwar wirklich. Wer und was stecken hinter dem feigen Anschlag? Hat der brutale Mord etwas mit den lukrativen Geschäften rund um die Wunderheilerin Kathl zu tun? Die attraktive Journalistin Jasmin sucht nach der Sensation und stößt dabei auf ihre eigene, geheimnisvolle und verstörende Vergangenheit. "Der Kardinalfehler" geht auch als Krimi durch. Es gibt genügend Tote und spannend ist er sowieso. Er zeichent aber auch das Gesellschaftsbild einer Provinzstatt. Charaktere wie der allzu kinderliebe Bürgermeister Waginer, der selbstgefällige Promidoktor Saibling, der von Gewissensbissen zermarterteDiakon Liebig und die radikalgläubige Baronin von Hohlts drücken dem Geschehen ihren Stempel auf. Alle versuchen nach außen hin ihr Gesicht zu wahren, was im gesellschaftlichen Filz Randspergs mühelos gelingt. Als die kleinen und großen Verfehlungen der Protagonisten ans Tageslicht kommen, stürzt die heile Gemeindewelt krachend ein. Wie dunkel muss das Geheimnis um die profitablen Heilungskräfte der Wunderkathl sein, dass deswegen sogar ein Kardinal nicht nur seinen Glauben, sondern auch seinen Kopf verliert? "Der Kardinalfehler" veranschaulicht in provokant beiläufigem Tonfall die Dominanz des Absurden im gesellschaftlichen Miteinander. Randsperg ist überall.
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Veröffentlichungsjahr: 2021
Inhaltsverzeichnis
Impressum
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Nachwort
Der Kardinalfehler
von schwafi
© schwafi, Klaus Schwarzfischer
c/o kontext, Bogenstraße 2, 93051 Regensburg
www.schwafi.com
Alle Rechte vorbehalten
Eine langfristig stabile Persönlichkeitsveränderung mit einer Mindestdauer der Symptome von zwei Jahren kann durch eine lang anhaltende oder wiederholte Belastung katastrophalen Ausmaßes entstehen (z.B. Folter, Geiselnahme, wiederholte Gewalt).
Persönlichkeiten verändern sich. Das ist normal. Wenn eine Person beispielsweise mit sechzehn noch einen Handstandüberschlag gekonnt hat und jetzt mit einer Riesenwampe herumläuft, hat sie sich verändert. „Ja, eine Persönlichkeit ist doch was anderes wie eine Person“, sagst du jetzt. Stimmt. Der Begriff Persönlichkeit bezeichnet das, was Gemüt und Charakter eines Menschen ausmachen. Die Person ist eher der Träger der Persönlichkeit. Aber wenn du in einem Flugzeug sitzt und dir zerfräst einer mit seiner Stihl Kettensäge den Schädel, dann ist es dir egal, ob das bloß seine veränderte Persönlichkeit oder der Träger selbst war.
Auszug aus „Kriminogene Persönlichkeitsveränderungen“ von Dr. Herta Cosack: Nach dem heute geltenden Gesetz ist eine strafbare Handlung nicht vorhanden, wenn der Täter zur Zeit der Tat wegen Bewusstseinsstörung, wegen krankhafter Störung der Geistestätigkeit oder wegen Geistesschwäche unfähig ist, das Unerlaubte der Tat einzusehen oder dieser Einsicht gemäß zu handeln. Auch der ärztliche Laie wird sich leicht davon überzeugen lassen, dass bei einem derartigen Kranken die Voraussetzungen für die strafrechtliche Einsicht fehlen und dass er für sein Handeln nicht verantwortlich gemacht werden kann. Schwierig kann die Beurteilung jedoch dann werden, wenn sich krankhafte Wesensveränderungen ohne große Schädigung der intellektuellen Sphäre hinter einer unauffälligen äußeren Fassade verbergen.
Das heißt, dass sie den Hans gar nicht verurteilen hätten können wegen seinem Massaker. Wenn sie ihn erwischt hätten. Weil damals alle davon ausgegangen sind, dass der Flugzeugabsturz ein Unfall, vielleicht sogar ein Unglück war, hat sich die Frage der Schuldfähigkeit eh nicht gestellt. Der Hans hat auf jeden Fall gemerkt, dass es ihm mit der unveränderten Persönlichkeit bei weitem nicht so gut gegangen ist wie mit der veränderten. Und warum hätte er dann auch was ändern sollen an seiner Persönlichkeitsveränderung?
Das ist vorbei. Diesmal geht es um was anderes.
Tulb. Der aus dem Kardinalsschädel schießende Blutschwall wird wieder mit nach oben gezogen. Dann fallen sie wieder runter: der Schwall und der Schädel. Dann zieht es sie wieder rauf. Tulb. Und wieder runter. Und wieder rauf. Tulb. Bis sich der Platzwart, der jetzt Stadionmeister heißt, erbarmt, den Schwall, den Schädel und den Kardinal in eine Ruheposition bringt und das Bungee-Seil vom Körper montiert. Die pausbäckigen Mädel von Randsperger Spielmannszug haben am meisten abgekriegt. Spritzer auf den grünen, halboberschenkellangen Faltenröcken, auf den Glanznylonstrumpfhosen, auf den an den Rändern puscheligen Dreieckshüten und auf den polierten Querflöten. Ein Mordsgeschrei. Kann man sich vorstellen.
Die von der europäischen Bungee-Spring-Vereinigung EBJA (European Bungee-Jumping-Association) behaupten, dass die Gefahr einer tödlichen Verletzung beim Bungeeing deutlich geringer sei, als bei vielen anderen Sportarten. Technisches Versagen, also das Reißen des Seils sei die seltenste Unfallursache. Auf der ganzen Welt sind bisher lediglich zehn Seilrisse bekannt geworden. Wenn man bedenkt, dass sich so ein Seil von vierzig bis über hundertfünfzig Meter ausdehnen kann, liegt als erste Vermutung nahe, dass sich das Kardinalsseil weiter ausdehnen hat wollen, als es die Entfernung von der Sprungplattform zum Stadionrasen zugelassen hat. Seil will sich meinetwegen hundert Meter ausdehnen und nach fünfundfünfzig Metern ist Schluss. Ist aber nicht so gewesen bei dem Seil im neuen Randsperger Stadion.
Der erste Rebound ist der stärkste. Der Springer wird wieder so weit nach oben katapultiert, dass er ein zweites Mal in die Phase des freien Falls kommt. Der erste Rebound und der zweite freie Fall des Kardinals haben die ganze Sauerei dann angerichtet. Nicht, dass sich ein Karabinerhaken oder eine Gurtbefestigung gelöst hätte oder dass sie vergessen hätten, oben an der Plattform das Seil anzubinden. Vielmehr trifft exakt am unteren Scheitelpunkt des Rebounds das aus eineinhalb Kilometer Entfernung abgefeuerte Projektil einer Steyr HS .50 im mittleren Stirnbereich des Kardinals auf. Wer weiß, dass die Munition aus einer Steyr HS .50 in der Lage ist, eine daumendicke Stahlwand noch in einem Kilometer Entfernung zu durchschlagen, kann sich ausmalen, was passiert, wenn die Stahlwand nicht in einem Kilometer Entfernung steht und die Schädeldecke des Kardinals weder daumendick noch aus Stahl ist, und das, obwohl er von vielen respektvoll der eiserne Kardinal genannt wird, respektive wurde.
Die Bremsverzögerung der bei uns zugelassenen Seile beträgt 2,5 g bis 3,5 g. Das ist kein besonders hoher Wert. Er wirkt aber genau in die entgegengesetzte Richtung auf den Körper. Dadurch steigt der Blutdruck im Kopf stark an. Das kann bei dafür veranlagten Personen zu Blutungen in den Augen oder im Kopf allgemein führen. Wenn es einem beim Rebound aus den bereits erläuterten Gründen die Schädeldecke weggerissen hat, braucht es dafür, für die Blutung mein ich jetzt, keine besondere Veranlagung mehr.
So hatte sich der Hans die Stadioneinweihung nicht vorgestellt. Bis dahin war noch alles wunderbar gewesen. Ein Randsperger Frühsommermärchen, wenn man so will: Der Spielmannszug zieht mit Tirili und Pufftrara den frisch gepflasterten Marktberg hinunter, hinaus aus der Stadt und ein ins Stadion. Real Madrid war schon am Vorabend mit allen Stars angereist und hat im erst vor einem Monat eröffneten Hotel „Randsperg International*****“ Logis bezogen. Das neue Stadion war exakt im Zeitplan fertiggestellt und die SpVgg Randsperg Herbstmeister geworden. Nicht Herbstmeister in der Kreisklasse oder Bayernliga. Auch nicht in der Regionalliga oder in der zweiten Bundesliga. Die Spielvereinigung Randsperg: Herbstmeister in der ersten Bundesliga.
Eine kurze Zeit: 4 Jahre ist es her, dass fast der ganze Verein, die Aktiven wie die Funktionäre, bei dem tragischen Flugzeugabsturz ums Leben gekommen ist. Gut, dass der Notz Hans wie durch ein Wunder überlebt hat. Er allein hat den Verein ganz nach oben gebracht. Ist jetzt auf Du und Du mit den Abramovitschs und den Mourinhos. Bundesverdienstkreuzverdächtig und so.
Wenn fast alle Mitglieder eines Vereins keine Vereinsmitglieder mehr, sondern tot sind, wäre das anderswo ein guter Grund, den Verein aufzulösen. In Randsperg nicht. Denn da gibt es ja Gott sei Dank den Hans noch. Schon vor dem Flugzeugabsturz haben die Randsperger gemerkt, dass sich der Hans verändert hat. Nach dem Absturz erst recht. Aus dem Vorherhans, unscheinbarer Finanzbeamter, ist der Nachherhans, Manager und Präsident der Spielvereinigung Randsperg geworden. Es heißt, er soll neben dem Hauptberuf als Finanzler eine kleine Internetfirma gehabt haben. Und mit der ist er so stinkreich geworden: Aktien, Börse, Spekulation, Fonds und Pipapo. Wer's glaubt! Damit ich darüber nicht auch noch ein Buch schreiben muss, sag ich gleich, wie es war. Der Hans hat sich damals am Tag nach dem Absturz alle Versicherungspolicen aus dem Vereinstresor geschnappt. Schon richtig, weil er als einziger noch handlungsbevollmächtigt und handlungsfähig im Verein war. Die Versicherungen haben bluten und jammern müssen, dass man schon ein Mitleid mit ihnen kriegen kann. Da haben ihnen, den Versicherungen, auch ihre Detektive und Buchprüfer und Aushorchaktionen nicht geholfen. Weil der Hans einer ist, der es gescheit macht, wenn er was macht.
Dass dem Hans sein Herz am Verein hängt, sieht man daran, dass er von dem Haufen Geld nur zwei Drittel für seine Internetfirma, die es vielleicht gibt, hergenommen hat. Den Rest für den Verein. Aber, Schwamm drüber. Schwamm drüber ist immer gut, weil Schwamm drüber heißt, dass man selbst ein offener Mensch ist, der anderen nichts nachträgt. Drum: Schwamm drüber über die Geschichte mit dem Hans und dem Reichwerden. Gerne auch Schwamm drüber über die Geschichte mit dem Kardinal, der Steyr HS .50, den bespritzten, pausbäckigen Tirilispielmannszüglerinnen und den vom Kardinalsblut purpurfarben getränkten Anstoßkreis. Geht aber nicht. Weil es keinen Schwamm gibt, der dafür reicht. Ein Pilz vielleicht. Der könnte reichen. Weil man einen Pilz entdeckt hat, der achthundert Meter lang und fünfhundert Meter breit ist. Ganz einfach könnte ich mir das jetzt machen. Ich könnte sagen „Pilz drüber“ und uns den Rest schenken. Menschen, die lesen, und Menschen, die schreiben, also Menschen wie du und ich, sind aber ziemlich intellektuell und geben sich nicht damit zufrieden, dass aus einem Schwamm so einfach ein Pilz wird und damit soll die Angelegenheit dann ein für alle Mal erledigt sein. So nicht. Nicht mit uns.
Erst kommt der Papst. Dann kommt der Kardinal. Und dann kommt lang nichts. Und dann kommt der Kardinal nach Randsperg. Der Notz Hans hat sich gedacht, dass die Stadioneinweihung schon etwas Besonderes sein muss und deshalb war es ihm recht, dass nicht bloß ein Pfarrer oder Bischof weiht, sondern ein Kardinal. Der Papst wäre dem Hans noch lieber gewesen. Aber erstens: Urbi et Orbi ist ein recht weitläufiger Verwaltungsbezirk, um den sich der heilige Vater zu kümmern hat und von daher allein zeithabmäßig nicht so einfach. Und zweitens ist der Friedrich Kardinal Kerzl ein geborener Randsperger.
Der Kerzl Fritz, Sohn vom Kerzl Kramer und der Kerzl Kramerin. Fünf Brüder sind die Kerzl-Buben gewesen, einer gescheiter wie der andere. Der allergescheiteste und der jüngste war der Fritz. Nach der Volksschule ist er dann weg. Eine Zeit lang noch in Passau und Regensburg, Theologiestudium, Doktortitel, Bischof. Ein Bischof aus Randsperg. Das hätte sich vor fuchzig Jahren genau so wenig einer träumen lassen, wie ein anderer, dass der Raùl, der Spielführer der Madriderer nur fünfunddreißig Meter Luftlinie von da entfernt schläft, wo der Kerzl Kramer und die Kerzl Kramerin nach dem Krieg die Tüte Waffelbruch für fünf Pfennige verkauft haben.
Die Randsperger sind aus dem Jubeln gar nicht mehr rausgekommen die Tage vor der Einweihung. Hotel fertig, jubeljubel. Stadion fertig, jubeljubeljubel. Madrid kommt, jubeljubel. Der Fritz ist wieder da, jubeljubel. Der Fritz springt, jubeljubel. Und jetzt verständlicherweise ausgejubeljubelt.
Schon ein bisschen schade um den Kardinal. Der ist keiner gewesen, der sich sein Amt und Würden recht heraushängen lassen hat. „Er ist Mensch geblieben, einer von uns“, hat der Randsperger Bote nach seinem letzten Besuch vor 3 Jahren gesüßelt. Die neue Redakteurin ist schon ein anderes Kaliber wie der Wick damals eines war, der Reporter, der nach dem Flugzeugabsturz spurlos verschwunden ist. Schon wieder Kaliber. Der Wick also eher Luftgewehr und die neue, die Freisinger Jasmin, mehr begnadete Scharfschützin. Vom Schreiben her. Dabei war es so selten auch wieder nicht, dass der Kardinal Randsperg besucht hat. Offiziell schon selten, inoffiziell weniger oft selten. Weniger oft selten meistens wegen der Wunderkathl.
Das Haus von der Wunderkathl liegt nicht im Stadtbereich Randsperg, gehört aber zur Großgemeinde. Man muss nach dem Ortsschild nur den Schubinger Hang runter, über die kleine, steinerne Kettenbachbrücke rüber und den Schotterweg nach Heiling rauf. Schon steht man im Hof von der Wunderkathl. Von der einen Seite her Schotterweg. Von der anderen her fast schon Autobahn. Weil die Menschenmassen, die zur Wunderkathl pilgern, in den letzten Jahren angeschwollen sind wie das empfängnisbereite Genitaldingsbums eines sulawesischen Schopfmakakenweibchens, hat sich der Gemeinderat dazu entschlossen, die Abfahrt der Bundesstraße zweispurig zu gestalten. Alte Höfe weg. Ratzfatz. Saubere Straße her. Richtig so. Gut gestaltet.
Auf dem Notz Hans seinem gebührenpflichtigen Parkplatz steigen die Leute aus und kaufen im Wunderkathl-Service-Center ein. Die jedenfalls, die gehen und sehen können. Die anderen erst hernach. Das Wunderbare an der Wunderkathl ist nämlich, dass sie die Menschen heilt.
Heilen und heilig, wird sich der Kardinal gedacht haben, ist eh fast dasselbe und, wird er sich gedacht haben, so eine wie die Wunderkathl können wir brauchen, damit die Leute wieder an was glauben können in der Kirche. Für einen Glauben gibt es nämlich nichts besseres, als wenn man erst an etwas glaubt und dann wird es wahr. Dann hat sich das Glauben rentiert. Wie gesagt, ich weiß es nicht, ob der Kardinal nur zur Kathl gefahren ist, weil er sich das Wunder für die katholische Kirche sichern hat wollen oder ob da noch was war.
Jedenfalls liegt die Kathl seit über zwei Jahrzehnten in ihrem schmalen dunkelbraunen Eichenholzbett und rührt sich nicht. Das ist kein Wunder. Noch keins. Das Wunder ist, dass sie nicht tot ist. Sie liegt da und rührt sich nicht, lebt aber. Noch nicht alles: Die Kathl isst nichts. Und immer noch nicht alles: Die Kathl blutet auch noch. Also liegt, rührt sich nicht, lebt, isst nicht und blutet. Aber jetzt der Hammer: Wer das Blut der Kathl berührt, ist geheilt. Wau. Wen wundert es da, dass jeden Tag so und so viele nach Heiling zur Kathl kommen.
Weil die Kathl nicht Tag und Nacht blutet, sondern eher selten, dann aber so viel, dass man damit die Hämoglobinfonds der krisengeschüttelten, international agierenden Blutbanken überschwemmen könnte, hat sich die Marketingleiterin der Randsperger Einkaufsgemeinschaft was einfallen lassen: das Wunderkathl-Service-Center, kurz WKSC. Dort gibt es das Kathlblut zu kaufen. In 0,35 Milliliter-Pipetten für 29,95 Euro, in 8 Milliliterfläschchen für 599 Euro und als Trockenpulver grammweise zum Indenteereinmischen.
Und es hilft. Nicht nur der Gemeindekasse von Randsperg, sondern auch den Kranken. Ohne Scheiß. Wer die Kathl berührt und ihr Blut bekommt, ist geheilt. Aber berühren muss man sie schon. Der Hans hat die Stadionsecurity unter der Woche dafür abgestellt, damit es bei der Kathl nicht tumultiert, wenn sie alle auf einmal anlangen wollen. Nicht mehr als zwanzig Leute werden im Pulk reingelassen. Die müssen sich nacheinander aufstellen und dürfen an der Kathl vorbeigehen oder werden vorbeigeschoben. Das Eichenbett von der Kathl ist durch eine deckenhohe Panzerglasscheibe, die von Wand zu Wand reicht, vom Besuchergang getrennt. Ungefähr in der Mitte des Betts kann man durch ein kreisrundes Dreißigzentimeterloch die linke Hand der Kathl berühren, die auf ein kleines, mit schwarzem Samt bezogenes Tischlein aus dem Bett herausgelegt worden ist. Höchstens drei Sekunden, sonst kostet es fünfundsiebzig Euro Strafe. Gleiches Recht für alle und so. Der Ausgang führt dann direkt ins WKSC, damit auch die, die was mit dem Hirn haben, nicht vergessen, das Blut mitzunehmen. Im WKSC selbst ist es verboten, sich mit dem Blut einzuschmieren oder es zu trinken. Draußen nicht. Auf dem Parkplatz spielen sich dann herzzerreißende Szenen ab, die zur Folge haben, dass aus den Straßengräben rund um Randsperg täglich Unmengen an dunkelglasigen Sonnenbrillen, Rollstühlen, Krücken, Hörgeräten und eitrigen Wundverbänden entsorgt werden müssen. Allein deshalb gibt es für den bei vergleichbaren Sachverhalten oftmals begründeten Zweifel, ob Wunder oder nicht, hier nicht den geringsten Anlass. Da die heutige Welt nicht gerade mit echten Wundern gesegnet ist, stellt sich, wie immer bei Mangelware die Besitz- respektive Eigentumsfrage: Wem gehört das Wunder?
Es ist gut, wenn einer von seiner Arbeit überzeugt ist. Der Maschinenbauer an der Drehbank von Frozitec meint, dass seine Bremsklotzklemmstößel tödliche Unfälle verhindern können, weil er sie gedreht hat und weil sie von Frozitec sind. Der Braumeister vom Pfaffenhof glaubt, dass an sein Sudresultat in Reinheit und Würze kein anderes hinschmecken kann. Dass der, nennen wir es mal „Genuss“ seiner Plörre mit der höchstanzunehmenden Dünnschisssupergauwahrscheinlichkeit einhergeht, will er nicht wahrhaben. Und der Dreher nicht, dass er in zwei Wochen arbeitslos ist, weil die Fertigung nach China verlagert wird, wo die Stößel besser und billiger produziert werden (flinke, kleine Hände, kein Arbeitsschutz und Top-Stahl, aus dem früher Samuraischwerter geschmiedet und nach Japan exportiert wurden). Zurück zur Sache: Der Kardinal ist von der Arbeit in seinem Unternehmen so überzeugt, dass er meint: Wenn es echte Wunder gibt, dann sind sie von uns. Deshalb hätte er die Kathl aus Heiling gern heiliggesprochen und damit im Sinne eines unanfechtbaren Glaubensmonopols Nägel mit Köpfen ins morsche Kruzifix des vor Schwindsucht torkelnden Katholizismus gehämmert. So etwas wie eine religiöse Patientenverfügung wäre grad in dem Fall wohl das Allergescheiteste gewesen: Hiermit verfüge ich, die Kathl, im Vollbesitz meiner geistigen Kräfte, dass, wenn ich einmal so etwas wie ein Wunder bewirke, ich sie der (Zutreffendes bitte ankreuzen)
O evangelischen Kirche
O den Buddhisten
O den Katholiken
O sonst wem …………………
vermache. Gibt es nicht! Damit das mit den Besitzrechten an den Kathlwundern rechtzeitig in die richtigen Bahnen gelenkt wird, hat der Kardinal ihr vor ein paar Jahren ein Kreuz um den Hals gehängt. Das ist wichtig für die Leute. Corporait Eidentiti. Immer wissen, wo was herkommt, wenn man ein gutes Gefühl hat. Da sieht man zum Beispiel die spindeldürre Klum Heidi und meint die Schlankheit kommt von Mäckdonlds. In Zeitlupe: der Kardinal ist leitender Mäckdonldsmanager, das Kreuz ist das eM und die Klum ist das Wunder. Weil der Kardinal damals als Kerzl Fritz so viel studiert hat und so gescheit geworden ist, weiß er auch, dass, wenn man etwas von ganz weit weg herholt und so begründet, dass die anderen denken, sie verstehen es, die sich dann so drüber freuen, dass sie es verstanden haben, dass sie meinen, es ist wahr. Der Kardinal: Wir dürfen guten Gewissens die unzweifelbare Kohärenz von innerem Wesen und äußerer Gestalt als verifizierten Beweis dafür anführen, dass nichts Verschiedenartiges dem innewohnen kann, was die Hülle uns ohne Not als verwandten Kern vor Augen führt. Dann hat er das Gleiche noch an die zehnmal hin und her verzwirbelt, bevor er es ihnen von der Kanzel aus mit voller Lotte in die weit aufgerissenen Mäuler ihrer erwartungsgeilen Ehrfurcht gestopft hat: Dass der Name Kathl alle Buchstaben enthält, die sich auch im Begriff katholisch finden, dass es deshalb mehr als offensichtlich ist, dass die Kathl zur katholischen Kirche gehört und dass sie zwar nur ein Teil davon ist, was man ja schon am Namen erkennt und dass, wenn die Kathl als Ganzes ein Teil von etwas ist, sie nicht auch noch zu was anderem geschweige denn jemandem anderen gehören kann. Kathl unser praktisch.
Der Friedrich Kardinal Kerzl hat genau gewusst, wie er mit seiner Rhetorik die hinter sich kriegt, die gern was glauben. Tun wir dem Kardinal aber nicht unrecht. Er hat das alles nicht für sich gemacht. Der Kohl, weißt schon, der dicke alte Bundeskanzler hat die Spendengelder auch nicht in den Sparstrumpf im abgedunkelten Zimmer von seiner Hannelore gesteckt oder sich am Sonntag einen Saumagen dafür genehmigt.