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Volksfest in Randsperg! Internationale Waffenhändler treffen auf traditionelle Bierzeltgaudi, Wasser- auf Bierleichen, Geheimdienstler auf Mafiakiller, das Brillantfeuerwerk auf eine Kernfusion. Schwarzer Humor vom Feinsten. Volksfest bildet den dritten Teil und damit den Abschluss der Randsperg-Trilogie nach "Der Verein, der Metzger und der Tod" (2007) und "Der Kardinalfehler" (2010). Die gesamte Handlung des Romans spielt während des vierzehntägigen Randsperger Volksfests. Durch illegalen Waffenhandel wurde der skrupellose Unternehmer Maltraitter stinkreich. Die Gemeinde Randsperg profitiert vom geschäftlichen Erfolg Maltraitters. Gleichzeitig ist sie von ihm abhängig. Bei seinen Geschäften geht Maltraitter über Leichen. Baronin von Hohlts wird tot aus einem Tümpel gefischt. Matraitter lenkt den Verdacht auf den psychisch labilen Hans Notz. Der Weg für den größten Deal seines Lebens scheint für Maltraitter frei zu sein. Womit er nicht rechnete ist die Hartnäckigkeit, mit der sich Hans Notz zur Wehr setzt. Eine unterhaltsame Story zwischen Provinzposse und Politthriller, zwischen dumpfer Bierzeltgaudi und großer Weltpolitik. Der krönende Abschluss der Randsperg-Trilogie.
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Veröffentlichungsjahr: 2021
Inhaltsverzeichnis
Impressum
1. September, dreizehn Uhr fünfundvierzig
Schuld und Unschuld
4. September, null Uhr dreißig. Notaufnahme
5. September, früher Vormittag
5. September, fünfzehn Uhr dreißig
5. September, zwölf Uhr fünfundvierzig
6. September, Montagabend
6. September, früher Vormittag
6. September, ab vierzehn Uhr
7. September, acht Uhr zweiundvierzig
7. September, zehn nach elf
7. September, fünfzehn Uhr vierzig
7. September, fünf Minuten nach der Tagesschau
8. September, Dienstbeginn
8. September, halb zwei Uhr nachmittags
8. September, sechzehn Uhr fünfzehn
8. September, Behördenabend
8. September, zweiundzwanzig Uhr zwanzig
8. September, dreiundzwanzig Uhr fünfundfünfzig
9. September, sieben Uhr
9. September, zehn Uhr
9. September, zwölf Uhr
9. September, fünfzehn Uhr
9. September, sechzehn Uhr
Freitag, 9. September, siebzehn Uhr
9. September, zwanzig Uhr
9. September, zwanzig Uhr fünfzig
9. September, zweiundzwanzig Uhr fünfzehn
10. September, sechs Uhr zwanzig
10. September, acht Uhr fünfundvierzig
10. September, zehn Uhr dreißig
10. September, achtzehn Uhr
10. September, achtzehn Uhr dreißig
10. September, achtzehn Uhr vierundvierzig
10. September, achtzehn Uhr sechsundfünfzig
10. September, zwanzig Uhr dreizehn
10. September, zwanzig Uhr dreiundvierzig
10. September, einundzwanzig Uhr vier
10. September, einundzwanzig Uhr fünfzehn
10. September, einundzwanzig Uhr sechzehn
10. September, einundzwanzig Uhr siebzehn
10. September, einundzwanzig Uhr achtzehn
10. September, einundzwanzig Uhr neunzehn
10. September, einundzwanzig Uhr neunzehn und ein paar Zerquetschte
10. September, einundzwanzig Uhr neunzehn und ein paar Zerquetschte mehr
Volksfest
von schwafi
Volksfest/Volxfest, 3.Auflage 2021
©schwafi, Klaus Schwarzfischer
c/o kontext, Bogenstraße 2, 93051 Regensburg
www.schwafi.com
Alle Rechte vorbehalten
Titel: Alexas_Fotos on pixabay
Psychotherapeutische Praxis, 3. Sitzung.
"Und, Herr Notz, wie geht es Ihnen heute?"
"Prima.,.
"Freut mich. Haben Sie Ihre Medikamente genommen?"
"Schon."
"Das hör ich gerne. Wie sieht es mit dem Alkohol aus?"
"Gut."
"Was heißt gut?"
"Also, alles in Griff, kein Problem."
"Sie haben seit letztem Montag nichts getrunken?"
"Nein."
Was für eine Frage? Der Hans verzeiht ihr, weil er weiß, dass die Frau Dr. Schindar eine geborene Braunschweigerin ist und von daher keine Ahnung davon haben kann. Davon nicht, was es heißt, wenn in Randsperg Volksfestausnahmezustand herrscht. Natürlich wird er auch heute Abend auf dreivier Mass ins Zelt gehen, so wie jeden Tag. Sind doch bloß zwei Wochen im Jahr und wenn nicht dann, wann sonst?
"Herr Notz, Sie wissen, warum ich die Frage mit dem Alkohol stelle? Psychose und Alkohol bilden eine verheerende Kombination. Und die Wirksamkeit einer psychotherapeutischen Behandlung hängt in hohem Maße vom Vertrauen ab, das Patient und Therapeut sich entgegenbringen. Nur wenn Sie ehrlich sind, macht das Ganze hier überhaupt Sinn."
Wahrscheinlich hat die Frau Doktor dem Hans seine Fahne gerochen, weil ihn die anderen gestern nach dem Zelt noch auf ein paar Schnaps in den "Absacker" reingezogen haben.
"Also nochmal."
"Nein, ehrlich Frau Doktor, keinen Tropfen."
"Na gut, dann lassen wir das mal so stehen. Und – redet das Schaf immer noch mit Ihnen?"
"Aber Sie haben mir doch letztes Mal erklärt, dass es das Schaf nicht gibt und es nur in meiner Vorstellung existiert."
"Darum geht es nicht. Wir sprechen miteinander, damit ich mir ein Bild davon machen kann, in welcher Verfassung Sie sind. Damit ich Ihnen helfen kann."
"Nein, das Schaf habe ich schon lange nicht mehr gesehen", lügt der Hans das Blaue vom Himmel
herunter, genauso wie auf alle weiteren Fragen, die ihm die Schindar in der folgenden knappen Dreiviertelstunde stellt.
Vor der Beerdigung vom Högerl Josef wäre der Hans nie auf die Idee gekommen, sich in Behandlung zu begeben: Da hat der Hans nämlich am Grab einigermaßen laut mit dem Schaf debattiert, ob der Högerl so ein Ende verdient hat oder ein anderes, während die vier Mann starke Sargträgerseilschaft die hübsch verzierte Eichenholzkiste in gemächlichem Trauermarschtempo eingelocht hat. Als er der Högerlwitwe danach ein schönes Beileid aussprechen will, fragt ihn die: "Bist jetzt komplett übergeschnappt?", weil er sogar an so einem Ort und bei so einem Anlass Selbstgespräche führt. "Warum Selbstgespräche?", fragt der Hans treuherzig. "Ich hab doch nur mit dem Schaf ... " "Hau ab, du Depp!", keift die Ann eine Ladung Speichelspritzer in ihren schwarzen Chiffontrauerschleier.
Beim Leichtrunk im Hirschwirt versöhnen sich die beiden wieder, aber die Högerl Ann redet ihm ins Gewissen, dass er sich mit seiner Psyche endlich in professionelle Hände begeben soll. "Mit so was ist nicht zu spaßen", meint sie. Der Hans widerspricht ihr nicht arg, weil sie ja sowieso seelisch total am Boden wegen der Sache mit ihrem Sepp. Dass die Ann in ihrem desolaten Zustand das Schaf nicht sieht, leuchtet ihm ein. Hauptsache er. Bis dahin hatte der Hans nicht den homöopathischsten Bruchteil eines Gedankens daran verschwendet, sich von einem Seelenklempner in irgendeine Richtung hinbiegen lassen zu müssen. Zu denken hat ihm am nächsten Tag gegeben, dass er beim Brezenholen den Högerl Sepp trifft und der ihm einen guten Morgen und ein schönes Wochenende wünscht. Wo der doch gestern beerdigt worden ist und wo ihn doch die Ann wegen dem Schaf so zusammengestaucht hat. Der Hans macht die Probe aufs Exempel. Vom Brezenholen zurück ruft er bei der Ann an und sagt, er möchte sich wegen gestern für die Spinnerei am Grab noch einmal entschuldigen. Als die überhaupt nicht weiß, was der Hans von ihr will, weil sie ja mit zwei Freundinnen drei Tage lang auf Wellnessurlaub am Vierwaldstättersee und vor fünf Minuten erst zur Tür herein, steht der Hans einigermaßen neben sich.
Die Psychologin Dr. Schindar hat ihre Praxis vor einem Monat aufgemacht. Fünfzig Prozent Eröffnungsrabatt. Der Hans von daher praktisch ein Hans im Glück. Statt hundert nur fünfzig Euro in der Stunde. Trotzdem fünfzig Euro zu viel für etwas, was er eigentlich nicht braucht. Gleich beim ersten Mal hat die Schindar gemeint, dass der Hans ein ganz schwerer Fall. Das heißt, gesagt hat sie es ihm nicht, weil sie ja sonst eine miserable Psychologin. Aber wenn eine Psychotherapeutin davon ausgeht, dass dreißig Sitzungen nicht reichen werden, dann merkt einer wie der Hans das selber, wie falsch die ihn einschätzt.
Als er von der Sitzung heimkommt, wirft das Schaf dem Hans vor, dass er das Geld zum Fenster raus schmeißt. Und mäht, dass er sich entscheiden muss. Die oder es. Für den Hans gar keine Frage.
Die DFBler sind schuld, dass für die Spielvereinigung Randsperg jetzt wieder alles von vorn los geht. Spiele in Randsperg wären für Gegner und Publikum mit unwägbaren Risiken verbunden, haben sie einstimmig beschlossen. Viele Randsperger halten das Urteil für zu hart und ungerecht, für Außenstehende dagegen ist es mehr als nachvollziehbar. Schließlich haben sie dem Bürgermeister damals im Stadion das Hirn aus dem Kopf herausgeschossen. Deshalb zurück in die Bezirksoberliga. Dem seinerzeit nigelnagelneuen Randsperger Stadion geht es so wie den nigelnagelneuen WM-Stadien in Südafrika jetzt. Gras wächst drüber. Drüber über das einstige Randsperger Renommierbauwerk und auch über das drüber, was drin passiert ist. Seit viereinhalb Jahren kein Spiel mehr. Normalerweise vandalisieren in so was gerne die jungen Leute, die nicht wissen, wohin mit ihren Hormonen. Nicht im Randsperger Stadion. Aber nicht deshalb nicht, weil in Randsperg die Menschen im Allgemeinen und die Jugendlichen im Besonderen recht gute wären, sondern deshalb, weil es im Stadion spuken soll. Also geistern. Angeblich geht der Kardinal um, von dem keiner so recht weiß, wie, warum und ob überhaupt. Sogar die, die nicht an Geister glauben, fürchten sich vor dem Stadion. Die zum Teil noch mehr als die, die an Geister glauben. Auch klar: du erschrickst ja hundertmal fester, wenn du dir sicher bist, dass es etwas nicht gibt, und dann ist es da, wie wenn du vorher schon damit gerechnet hast.
Bezirksoberliga heißt, SV Schwertheim statt Bayern München und FC Egolfing statt Dortmund. Besser so. Auf dem alten Sportplatz kostet die Halbe bloß eins vierzig statt vier achtzig und für den spielbegleitenden Erwerb einer Salamisemmel mit Einweckgurke brauchst du keine PremiummitgliedsVIPgoldcard mehr im Geldbeutel mitschleppen. Gäbe es den Maltraitter nicht, wäre es wahrscheinlich immer weiter den Kettelbach runter gegangen mit Randsperg. Über den Maltraitter Tschäck haben sie recht geschimpft früher. Weil er als siebzehnjähriger seine Schlosserlehre hingeschmissen und einen auf Punk gemacht hat. Ein Punk in Randsperg. "Haste ma ne Mark" und so was. In Randsperg gibt natürlich keiner einem für nichts eine Mark, geschweige denn einen Euro. Und schon gar nicht dem Maltraitter, wo der doch seine Lehre. Der Tschäck merkt bald, dass Punk vom Finanziellen her nicht das Seine. Macht eine Firma auf und wieder zu und noch eine auf und die auch wieder zu. Bei der dritten haut es endlich hin. Zufälligerweise zu der Zeit, als ein strikter Waffenboykott gegen alle Schurkenstaaten verhängt worden ist. Als Schurkenstaaten gelten alle Staaten, außer Amerika, die andere Länder angreifen, obwohl die ihnen nichts getan haben. An Schurken darf natürlich kein rechtschaffener Waffenhändler liefern. Eh klar. Der Maltraitter inzwischen total ausgefuchst, weil vormals Punk und zweimal pleite. Fuchs Maltraitter wittert, dass in Schurkenstaaten ein enormes Waffendefizit bei gleichzeitig sehr hoher Nachfrage den Markt bestimmen könnte. Deshalb, weil die anderen Tränen alle nicht hinliefem wollen. Und ohne gescheite Waffen macht die Schurkerei nicht halb so viel Sinn und Spaß wie mit. Dann instinktiv strategisch: Er selber zu blöd zum Konstruieren. Deshalb braucht er einen dafür. Ihm fällt der Petar ein. Der Petar ist ein Halbungar und ein Vollnazi - und ein Schlossereiingenieur. Dann sucht der Maltraitter sich einen Schurkenstaat heraus, der Israel auf dem Kicker hat. Laryfarien, genau Laryfarien passt. Er ruft über ein paar Ecken beim laryfarischen Staatschef Hussaffi an und fragt ihn. Auch wegen dem Preis. Zig Millionen kein Problem. Geht zum Petar und packt ihn bei der Ehre. Sagt, dass er einen klasse Auftrag hat: Waffen für ein Land, das die Juden wegrichten will. Der Petar gleich Feuer und Flamme und auf in den Kampf. Der Petar schiebt mit dem Hirn an, der Hussaffi zahlt, der Maltraitter produziert. Natürlich werden die laryfarischen Grenzen während des Boykotts streng überwacht. Friedenstruppen zum Saufüttern. Tieflader mit fünfzig signalorangen Bergepanzern geht gar nicht. Aber dafür hätte der Maltraitter auch den Petar nicht gebraucht und der Hussaffi den Maltraitter nicht. Der Petar plant, projektiert und konstruiert komplette Giftgaskanonen. Und zwar so, dass sie aus einzelnen Bestandteilen zu einem funktionierenden Ganzen zusammengeschraubt werden können. Die Einzelteile werden für den Transport als KFZ-Ölwannenabdeckungen, als Rohre für Kinderspielplatzklettergerüste oder was ihnen sonst Schönes einfällt deklariert und erst in Laryfarien zusammengepuzzelt. Mit dem Giftgas genauso: Kühlmittel, Medikamente, Handwaschpaste, Klosteine. Im laryfarischen Zentrallabor für angewandte Massenmordwissenschaften rührt ein im Westen jahrzehntelang unterbezahlter Chemieprofessor daraus den Giftgascocktail an. Der haut dich weg. Schon was anderes als Mai Tai, Tatschdaun, Kaipi und Konsorten. Bis sie dem Maltraitter dahintergekommen sind, dass er den Boykott boykottiert, das hat so ungefähr vierzig Millionen lang gedauert. Nicht Umsatz. Gewinn. Vor Gericht schwört er, dass er besten Wissens und Gewissens nichts von der Sache gewusst und dass er sogar gedacht hat, er tut den Kindem was Gutes da unten mit seinen Kinderspielplatzklettergerüstrohren. Als sie ihm die Bilder zeigen mit den Menschen, die bei den laryfarischen Giftgasangriffen jämmerlich verreckt sind, muss der Maltraitter eingestehen, dass Kindernetwasgutestun anders aussieht. Aber Schuld. Nein. Schuld nicht. Wäre ja noch schöner. Eins A Anwalt. Freispruch.
36/30 hat die Levis, die sich der Hans gestern gekauft hat. Der Hans also von der Figur her kein James Dean oder Brad Pitt mehr. Aber einmal Levis, immer Levis. Früher 28/30 mit Sitzbad, jetzt 36/30 ohne. Da muss schon etwas Extraordinäres passiert sein, wenn im Randsperger Kreiskrankenhaus die komplette Belegschaft zusammenläuft. Dem Notz Hans ist es sauzuwider, wie sie ihn alle anstieren. Die Krankenschwestern zerreißt es fasst, weil sie ihr kindisches Gegaggere aus Gründen der Professionalität zurückzuhalten versuchen. Die Pfleger eher mitfühlend. Der junge Assistenzarzt versucht, den Hans zu beruhigen. Er soll sich deswegen keine größeren Sorgen machen. Keine größeren Sorgen, ha! Eiskalt diese jungen Mediziner. Und keine Ahnung davon, wie sich einer fühlt, dem so etwas passiert ist wie dem Hans. Grundsätzlich hält er es vom Ethischen her sogar für richtig, dass die Doktoren ihre Emotionen abschalten, wenn es um das Diagnostizieren, Therapieren und ums Operieren geht. Muss ja ein Unterschied sein, wie der Frauenarzt die Brust der blutjungen, verschüchterten G8-Abiturientin während der Praxisöffnungszeiten abgreift und wie er hinlangt, wenn er sie nach dem Sushiessen im "Grünen Krebs" aufs Penthauswasserbett wirft. Hippokrates! In diesem speziellen Fall hätte sich der Hans ein wenig mehr Einfühlungsvermögen und vor allem Diskretion gewünscht. Im Halbkreis stehen sie wie ein weißgewandetes Rudel sensationshungriger Wölfe um den Hans herum. Verstehen kann er sie sogar. Vor allem die Wölfinnen. Wer weiß, ob die jemals wieder so etwas zu sehen bekommen? "Wie haben Sie denn das hingekriegt?" Der Hans: nichts. Nicht wie er sich die Vorhaut dermaßen in das Hosentürl seiner neuen Levis einquetschen hat können und nicht warum. Aber bei all den Schmerzen, die der Hans ertragen muss, die vom Reißverschluss und die von den zwei Mass Volksfestbier in seiner Blase. Bei all den furchtbaren Schmerzen tut ihm eins noch viel mehr weh: das, wie sie ihn anschaut. Sie. Seine Johanna.
Drei Stunden vorher sind sie noch miteinander im Zelt gesessen. Die Johanna und der Hans. Ein Gockerl haben sie sich geteilt. Und wie sie sich hernach die Finger abgeschleckt hat, meint der Hans, dass er jetzt weiß, zu wem er gehört. Bier macht mutig und er überlegt, ob er ihr etwas von Liebe oder erst einmal was in Richtung Freundschaft zubrüllen soll. Tisch neben der Blaskapelle leidlich ideal für Gefühle, Geständnisse und so. Also warten.
"So, ich muss – dankeschön fürs Gockerl, Hans."
"Aber, jetzt schon? Warum?"
"Aushelfen auf der Station, totaler Personalmangel"
"So spät?"
"Leider."
Dann ist er allein sitzen geblieben. Allein, obwohl die anderen am Tisch noch weiter mitgesoffen haben. Riariariaho und Rosamunde. Der Maltraitter zahlt wieder einmal alles und von daher kein Grund sich irgendwie zurückzuhalten. Gerade als der Hans "zurückhalten" denkt, merkt er, dass es nicht mehr lange geht, das Zurückhalten, und wankt hinaus. Fünfzig Meter hinter dem Zelthinterausgang fängt Biafra an. Der Biafra ist ein kleines Waldstück, in dem sie als Kinder immer gespielt und später als Jugendliche geschmust haben. Aber mehr nicht, so war das damals. Biafra haben sie das Waldstück deswegen genannt, weil im Fernseher seinerzeit recht viel über Biafra in den Nachrichten gekommen ist und sich der Name nach Abenteuer angehört hat. Und so wie es heute Biafra als Land nicht mehr gibt, denkt sich der Hans noch, so gibt es in unserem Biafra keine echten Abenteuer mehr. Zwei Minuten später hätte er das gerne auch noch behaupten können wollen. Kann es aber nicht. Erstens, weil lebensgrößtes Scheißabenteuer im Biafra und zweitens er bewusstlos.
Geht also hinein in den Biafra. Bloß ein paar Schritte. Lieblingsbaum von früher. Schaut rauf. War ihr Baumhaus da oben. Zieht runter, den Reißverschluss. Schaut runter. Der andere rauf. Sperrangelweit offene Augen. Verständlich, dass der Hans reflexartig ohne Rücksicht auf Verluste sein Hosentürl in Guinnessbuchrekordgeschwindigkeit zu reißt. Klong! Wenn dir einer den Masskrug mit so einer Wucht auf den Schädel haut, bist du entweder hin oder weg. Der Hans ist weg. Bis er in der Notaufnahme wieder zu sich kommt.
Dem jungen Assistenzarzt kann man jetzt schon einen Vorwurf machen, weil er gemeint hat, das blöd Schauen vom Hans kommt einzig und allein von seinem Unterleibsdilemma. Eigentlich kann man dem ganzen medizinischen Halbkreis einen Vorwurf machen, weil sie sich alle so auf die Hose vom Hans konzentriert haben, dass keiner die Riesenbeule an seinem Hinterkopf bemerkt hat. Besoffen halt, haben sie gemeint. Sonst wäre ihm das mit dem Reißverschluss ja nicht passiert. Hihihi. Auf jeden Fall schneiden sie den Hans halbambulant aus der Levis heraus und er leidet noch etliche Tage an saumäßigem Schädelweh wegen dem erschütterten Hirn.
4. September, Volksfestsonntag
Spalt-Tablette. Trostlos so ein Volksfest früh um halb zehn. Der Hans die Gummistiefel an, weil zu Volksfestzeiten der Biafra eher urinhaltiges Sumpfgebiet. Hin zum Lieblingsbaum. Nichts mehr da von dem, der ihn gestern von unten her angestarrt hat. Seit der Sache mit dem Högerl seiner Beerdigung bzw. seiner Nichtbeerdigung überlegt der Hans lieber dreimal hin und her, ob was wahr ist und was er glauben kann, von dem, was er sieht oder zu sehen meint. "Aaaah, verreck Kaffeehaus!", treibt es ihm die Tränen aus den Augen, als er sich zum Bessernachdenkenkönnen am Hinterkopf kratzen will. Der Schmerz lässt ewig nicht nach. Weil ein Hirngespinst nicht so wahnsinnig weh tun kann, ist sich der Hans sicher, dass gestern alles so war, wie er es in Erinnerung hat. Erinnerung hat. Erinnerung hat? Vom Ablauf her weiß er noch so ziemlich alles. Bis zum Klong. Aber wer gestern zu ihm heraufgeglotzt hat, das will und will ihm einfach nicht mehr einfallen. Er sucht rund um den Baum herum noch einmal alles ab. Schon mit gelben Gummihandschuhen wegen dem Hygienischen. Nichts. Mit der Mülltrennung und mit dem Umweltschutz nimmt es der Hans nicht so genau. Deshalb will er die Handschuhe gleich im Biafra entsorgen. Unterm Laub. Gerade als er sie ausziehen will, sieht er was dran kleben. Erst meint er Froschschleim. Gibt es ja im Wald. Schnecken auch. Er schaut genauer hin. Eine Kontaktlinse. An der Gummihandschuhmittelfingerkuppe ganz vorn dran. Blau gefärbt, wahrscheinlich, damit man sie in solchen Situationen besser findet. Vorsichtig pirscht sich der Hans gedanklich heran. Ist die von mir? Nein, ich habe eine Brille auf. Und gestern? Auch eine Brille. Habe ich überhaupt Kontaktlinsen? Nein. Das heißt, dass ich eine Kontaktlinse gefunden habe, die nicht mir gehört. Klingt jetzt ein wenig so, als tendiere der Hans von der Belichtung her in Richtung Neumondnacht. Dabei macht er es genau richtig. Erstens kann er sich ja selbst nur mehr bedingt trauen, meint die Schindar. Und zweitens sein Kopf. Sein erschüttertes Hirn. Bei einem Masskrugschlag von hinten wird nämlich der Kopf extrem beschleunigt und dann, sofern er nicht wegfliegt, wieder abgebremst. Das Hirn schlägt gegen den Schädelknochen. Streng genommen ist also dem Hans sein Schädelknochen und nicht der Masskrug schuld dran, dass ihm schlecht ist und dass er so langsam denken muss. Also: Kontaktlinse. Nimmt sie vorsichtig zwischen die Zähne. Gibt Obacht, dass er mit den Handschuhen nicht den Mund berührt. Klappt. Fratsch fratsch ein paar Meter zur Seite weg gepfeffert die gelben Gummidinger. Die Linse in sein Brillenetui. Schädelweh. Irgendwas vergessen? Bestimmt. Heim. Spalt.
"Gehst heute Abend wieder mit? Heute hätte ich länger Zeit."
Zu jeder und jedem anderen hätte der Hans in seinem Zustand gesagt, dass es ihm leidtut. Aber für die Johanna alles liegen und stehen. Er sucht die Freimarken vom Maltraitter zusammen. Sechs Mass, drei Gockerl ohne Bedienung. Beim Zusammensuchen meint er, dass er eigentlich überrascht sein müsste, dass die Johanna anruft. Die hat sein Genitalmalör ja vorhautnah miterlebt. Und dass so ein subgürtellinearer Notfallmedizinkontakt die erotische Spannung bei der Johanna auf das Niveau einer fünf Jahre alten Schiesser Feinripp erschlaffen lässt: wie das Amen in der Kirche, hat er gedacht. Oder war das gar nicht. Das von gestern? Er zieht seine Hose runter und ist beruhigt, dass er die jodgetränkte Kompresse sieht. Nicht schlimm. Aber ins Krankenhaus wird er nicht noch einmal gehen zum Verband wechseln. Das gönnt er ihnen nicht. Lieber leiden. Kamillenbad, bevor er ins Zelt geht. Wenig trinken, nimmt er sich vor.
Riariariaho und die Krüge hoch heute etwas leiser, weil der Maltraitter diesmal den am weitesten von der Rockshowundblaskapelle entfernten Tisch reserviert hat. Der Hans und die anderen sitzen schon.