Wenig Zeit und viel zu tun - schwafi - E-Book

Wenig Zeit und viel zu tun E-Book

schwafi

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Beschreibung

Jens ist angekommen. Bürgermeister. Jetzt kann er endlich das tun, was er will. Nichts. Das heißt: nicht ganz. Schließlich muss er im Cowboy-Klub Sheriff spielen. Und mit der Vorzimmerdame seine erotischen Fantasien ausleben. Ach ja. Verheiratet ist er auch. Glücklich. Kein Problem. Es gibt ja Pillen. Um seine vermaledeiten Drillinge darf sich ein städtischer Angestellter kümmern, denn Jens hat viel zu tun. Und wenig Zeit. So wenig Zeit, dass seine letzten 24 Stunden bis zum dramatischen Showdown im Schweinsgalopp an ihm vorbeifliegen. "'Wenig Zeit und viel zu tun ist eine bissige Politgroteske und schonungslose Abrechnung mit dem Selbstverständnis heutiger Kommunalpolitiker. Übertreibt schwafi, um das Thema anschaulich zu machen? Nein! Beim Lesen kommt einem mehrmals unwillkürlich ein "Genauso ist es" über die Lippen. Und in der Präambel liefert der Autor reale Beispiele für Korruption in Rathäusern. Großartig." (KULTURJOURNAL 12/16) "Wenig Zeit und viel zu tun" wirft einen Blick auf die politischen Verhältnisse unserer Zeit.Gefälligkeiten, Bestechlichkeit, Inkompetenz, Geld- und Machtgier bestimmen die Story. Traurig! Kann das auch lustig sein. Es kann. Sehr sogar. Der Roman entlarvt politisches Karrierestreben mit der dafür nötigen Boshaftigkeit bei hoher Pointendichte. In Zeiten von Maskenskandalen, Doktortitelbeschiss und Schnelltestbetrug ist das Thema aktueller denn je.

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EPUB

Veröffentlichungsjahr: 2021

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Inhaltsverzeichnis

Was bisher geschah:

Grußwort des Landrats

Grußwort der Regierungspräsidentin

Grußwort des Autors

21:00 Uhr

00:30 Uhr

06:30 Uhr

06:40 Uhr

07:15 Uhr

07:40 Uhr

08:01 Uhr

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20:30 Uhr

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Mehr von schwafi:

Wenig Zeit und viel zu tun

Die letzten 24 Stunden im Leben des Bürgermeisters Jens Plattner

Ein kommunalpolitischer Wildwestroman

von schwafi

Impressum:

Erstauflage 2016, überarbeitet 2021

Alle Rechte vorbehalten

© schwafi, Klaus Schwarzfischer

c/o kontext-ks, Bogentraße 2, 93051 Regensburg

www.schwafi.com

Was bisher geschah:

„Ich habe nur getan, was Tausende anderer bayerischer Bürgermeister auch tun.“ (Der ehemalige Pfaffenhofener Bürgermeister Josef Pröckl nach seiner Verurteilung wegen Korruption).

Der Weidener OB Hans Schröpf wird wegen Untreue, Betrugs und Steuerhinterziehung verurteilt. Daraufhin billigt der Stadtrat seinen Rücktrittsantrag „aus gesundheitlichen Gründen“ und sichert ihm damit stattliche Pensionszahlungen.

Der Gredinger Bürgermeister Franz Josef Lerzer bedient sich für den Kauf privater elektronischer Geräte aus der Stadtkasse, sieht das aber nicht als Grund, nicht ins Rathaus zurückkehren zu können.

19 Seiten lang war die Liste der Verfehlungen von Donauwörths Alt-OB und Ehrenbürger Alfred Böswald. Privat-Champagner, Wodka und Klopapier – alles aus der Stadtkasse finanziert. Trotz eines Strafbefehls über 15.000 Euro sieht er sich als Opfer.

Bürgermeister Besenrieder aus Wang wird wegen Untreue angeklagt und zu 11.500 Euro Geldstrafe verurteilt.

Furth im Wald: Bürgermeister Reinhold Macho nimmt über Jahre hinweg unrechtmäßig Kredite auf. Schulden von 12 Millionen häufen sich an, die im Haushalt nicht ausgewiesen werden.

Der Randersackerer Bürgermeister Dietmar Vogel wird wegen Untreue verurteilt, weil er sich widerrechtlich auf eigene Anordnung seine nicht genommenen Urlaubstage mit rund 25.000 Euro vergütet.

Der Mittenwalder Bürgermeister Uwe Pfeiffer wird wegen Vorteilsnahme in vier Fällen sowie Untreue zu einer neun­monatigen Bewährungsstrafe verurteilt. Er begünstigt Bauunterneh­men im Gegenzug für Wahlkampfspenden.

Elf Monate Bewährungsstrafe wegen Bestechung und falscher eidesstattlicher Versicherung: Der Gubener Bürgermeister Klaus-Dieter Hübner lässt von einem Garten-Center unentgeltlich Arbeiten für rund 10 000 Euro auf seinem Wochenendgrundstück erledigen. Als Gegenleistung sorgt er dafür, dass die Firma städtische Aufträge bekommt. Außerdem lässt er 7000 Euro private Anwaltskosten im Rahmen eines gegen ihn geführten Disziplinarverfahrens von der Stadt bezahlen.

Der Bürgermeister von Eisenberg, Ingo Lippert, rechnet über Jahre hinweg Reisekosten doppelt ab, bestellt in großem Stil private Bücher über die Stadtkasse und besucht nebst Gattin auf Kosten der Stadt den Dresdner Semperopernball. Verurteilt wegen Betrugs und Untreue.

Bürgermeister Matthias Schneiderbanger prellt die Marktgemeinde Zapfendorf um knapp 280.000 Euro. Das Geld investiert er in eine Zigarrenfabrik in der Dominikanischen Republik, die nicht existiert.

(Quellen: Süddeutsche Zeitung, Mittelbayerische Zeitung, Main-Echo, Münchener Merkur, Der Neue Tag)

Grußwort des Landrats

Liebe Leserinnen und Leser,

nehmen wir doch wieder öfter ein gutes Buch in die Hand! Es lohnt sich. Umso mehr, wenn es um die Würdigung vorbildlicher politischer Arbeit in unserer Region geht. Mit Bürgermeister Jens Plattner steht ein Mann im Mittelpunkt dieser erlebnisreichen Kurzbiografie, der mit Klugheit, Weitblick und herausragender politischer Kompetenz wie kaum ein anderer die Geschicke seiner aufstrebenden Kleinmetropole zu lenken gewillt und befähigt ist. Stadt und Landkreis gehören untrennbar zusammen. Ich erinnere mich mit Stolz an die Gemeinschaftsaktion unserer Kindergärten. Aus über neunhundert kleinen Kehlen erklang ein fröhliches „Stadt und Land gehen Hand in Hand durch ein wertstabiles Winter-, Wander-, Wunderland.“

Kaufen und verschenken Sie dieses Buch und empfehlen Sie es weiter. Ein Euro des Kaufpreises geht direkt in das Projekt „Fröhliche Kinder singen über gute Politik“, mit dem wir neue Maßstäbe in der musischen Früherziehung mündiger Kleinbürger setzen wollen.

Ich persönlich wünsche dem geschätzten Kollegen Plattner, dass dieses Buch ihn darin bestärkt, den mutig eingeschlagenen Weg aus Uneigennutz, Bürgernähe und visionärer Zukunftsgestaltung konsequent weiter zu verfolgen.

Ihr Landrat

Grußwort der Regierungspräsidentin

Liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger,

mein Dank gilt zunächst allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, die zum Gelingen dieses Buches beigetragen haben. Angesichts der zahlreichen Helferinnen und Helfer, die daran beteiligt waren, möchte ich hier keine einzelnen Personen hervorheben, sondern ich möchte vielmehr im Namen der Regierung dem gesamten Team danken, den beteiligten Professorinnen und Professoren, den Abteilungsleiterinnen und Abteilungsleitern des Ressorts Kultur, den Druckerinnen und Druckern, den Sekretärinnen und Sekretären und den Praktikantinnen und Praktikanten. Wir wollen jedoch an dieser Stelle nicht vergessen, dass es noch jemanden gibt, der sein Scherflein zu diesem ambitionierten Gemeinschaftsprojekt beigetragen hat. Es handelt sich dabei um den Schreiber. Ein junger Mann, der die Zukunft noch vor sich hat. Vor nicht weniger als drei Jahren war er es, dem der mit dreiundneunzig Euro dotierte Bezirks-Kulturförderpreis durch meinen zweiten Stellvertreter persönlich überreicht wurde. Von der Kosten­seite her war beson­ders erfreulich, dass wir die Summe in voller Höhe auszahlen konnten, weil wir seit Herbst in der Lage sind, die Urkunden selbst farbig auf Kopierpapier auszudrucken und somit nicht auf überteuerte Lieferleistungen angewiesen sind.

Das Büchlein sehen wir auch als kleines Dankeschön für die harte politische Arbeit, die wir für Sie, liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger, tagtäglich verrichten.

Die Präsidentin

Grußwort des Autors

Liebe Leute,

der Titel des Buches nimmt Bezug auf eine Schlüsselszene aus dem Film 12 Uhr mittags/High Noon „You know I‘ve only got an hour and I‘ve got lots to do“, in der sich Will Cane/Gary Cooper, den Heldentod vor Augen, von seiner Frau Ami verabschiedet. Wenig Zeit und viel zu tun hat auch Bürgermeister Jens Plattner, der sich die Zeit lieber mit Cowboyspielen vertreibt, als seinen Amtspflichten nachzukommen.

Begleiten Sie Jens Plattner durch die Höhen und Tiefen eines ereignisreichen Arbeitstages, von dem er selbst nicht weiß, dass es sein letzter ist.

Hinterfragt wird nicht die Fehlbarkeit einzelner Personen, sondern vielmehr, ob Politik den Charakter verdirbt oder ob es - ähnlich wie das Killer-Gen - ein Kommunalpolitik-Karriere-Gen gibt, das Menschen dazu veranlasst, sich selbst als Nabel der Welt zu betrachten und sich schamlos über ethische und gesetzliche Grenzen hinwegzusetzen.

Ich bin ein wenig stinkig auf mich selbst, weil ich weiß, dass es solche und solche gibt, ich aber nicht zu jedem Solchen hingehen kann und sagen: Du bist nicht wie Jens Plattner!

Also halten wir es so: Wer Wesenszüge von Jens Plattner bei sich wiedererkennt, sollte sich bessern oder abdanken. Wer keine wiedererkennt ist entweder ein rechtschaffener Politiker oder so einer wie Jens Plattner, der erstens nicht darüber nachdenken kann, weil er keine Zeit und viel zu tun hat, und dem es zweitens wurscht ist.

Der Schreiber

21:00 Uhr

Der Gestank von billigem Kautabak, abgestandenem Bier und geteerten Lungenflügeln hängt wie ein verdammter Spinnengecko an den Sauerstoffmolekülen der testosteronschwangeren Luft im heruntergekommenen Saloon von Rattlesnail City.

Petty Puff. Mehr als eine Frau. Ein Naturereignis. Wie sie mit ihren mager geschätzten hundertzwanzig Pfund auf der von oben zweiten Stufe der knarzenden Ohio-Rosskastanienholztreppe ihr Kinn in Richtung Deckenventilator aufstellt und mit dem lasziv langsamen Senken ihrer unendlich langen araberhengstschwarzen Wimpern den Klavierspieler auffordert, mit seinen sieben verbliebenen gichtverbeulten Fingerklumpen den ersten Moll-Akkord des Abends in die Elfenbeintasten des verstimmten Klimperkastens zu pressen. Der Schweiß des kleinen, dunkelhäutigen Tim, der sich heute von acht bis elf einen viertel Dollar verdienen will, indem er den Ventilator vom oberen Geländer aus mit einer Art Antriebspeitsche am Laufen hält, tropft glucksend in Hilfssheriff Mad Furys billigen Fusel, den der zwielichtige Wirt Badnickel sich als Whiskey zu bezeichnen nicht schämt. Ein verächtliches „salzig“ kleistert Mad Fury in den Raum, eingerahmt von zwei energischen aber erfolglosen Versuchen, seine Atemwege von einem IIltiskopf-großen Schleimkonglomerat zu befreien. Der hohlwangige Wirt rollt die Pupille seines nicht von der Klappe abgedeckten Auges abfällig hinauf in Richtung Tim, so als trüge dieser die alleinige Schuld an den widerwärtigen Geschmacksverirrungen des gesamten Badnickelschen Getränkesortiments. Der Hilfssheriff greift zum schlicht aber reichlich verzierten Kerbholzschaft seiner siebeneinhalb Zoll Single Action. Ein Revolver mit einer Lauflänge, die fast die halbe Strecke hin zu Tims glitzernder, beneidenswert faltenloser Stirn einzunehmen in der Lage ist und dies auch tut. Peng.

Der Startschuss für Petty:

Ei äähm sou verri lounli,

bikos ju arr not mor hier.

Mei Harrt is a desserrrt

sät drrreis mei fais frrrom tier.

Oh my little Cowboy wis your big gan

Will ju not plies pörrrhäps come

bäck änd lay jur hed on mei brrrest

ju änd mi, sät is weild weild west.

Nicht nur dass Petty bei jedem R den Saum ihres Rüschenkleids so weit nach oben zieht, dass unter den Netzstümpfen die makel­losen, alabasterfarbenen Kniescheiben ihre sinnliche Sogwirkung entfalten können. Nicht nur, dass sie dieses elektrisierende Saum-Lüpfen jedes heiß ersehnte Mal zelebriert, wenn sie mit einem kleinen Schlenker seitlich zu einem weiteren Schritt hinunter in die Niederungen derer ausholt, denen bei ihrem Anblick die letzten Zähne aus den offen Mäulern zu faulen drohen. Auch wie sie jedes jener Rs auf ihrem glorreichen Treppen-Triumphzug mit erdbebenartigen Vibrationen ihrer Zunge in den Raum gurrt, so dass es sogar den längst entschlafenen Herren der Schöpfung im achthundert Fuß entfernten Friedhof Rattlesnail Citys die Sargdeckel aus den Scharnieren sprengt.

Atemberaubend.

Ju wörrr si ounli Schottgankiller

hu schott strrreit in my harrrt

jur bullets sei wörrr meid of laf

a leif wisout lafing ju is verrry

--- verrry --- harrrd.

Oh my little Cowboy wis your big gan

Will ju not plies pörrrhäps come

bäck änd lay jur hed on mei brrrest

ju änd mi, sät is weild weild west.

Tims lebloser, flaumbehaarter Körper wird eins mit dem handgeknüpften Läufer der oberen Etage, der schon das Blut zu vieler junger Ventilatorenanpeitscher hat aufsaugen müssen. Während­dessen sucht die Kugel aus Mad Furys Colt, nachdem sie ungebremst aus Tims erst ansatzweise verknöcherter Fontanelle ausgetreten ist, über zwei Banden den Weg zum Klavier­spieler. Genauer gesagt zu dessen rechtem Mittelfinger, der sauber abgetrennt auf dem hohen Gis liegen bleibt. Ein Meisterschuss. Großes Schulterklopfen für den Dreibandbillardvizestadtmeister und Hilfssheriff von Rattlesnail City. Aber erst später.

Erst noch das:

Ju arrr leik a fiurrrias Bafferlo

ju leik se frrridem änd si orrrder

ju schuht si ivel wanns dead

änd thrrrow them ouva si borrrder

tu mexiko ohohoho

oh ho ho ho, ho hossa ho ho

Oh my little Cowboy wis your big gan

Will ju not plies pörrrhäps come

bäck änd lay jur hed on mei brrrest

ju änd mi, sät is weild weild west.

Der Klavierspieler klimpert den Refrain noch einmal und dann noch zweimal herunter, bis ihn der ganze Saloon mitbrüllt: Sät is weild weild west. Er nimmt die Zigarre aus dem Mundwinkel und drückt sie auf dem Viertel-Inch-Mittelfingerstumpf aus. Blutung gestoppt. Well done.

Petty Puff macht sich in wohldosierten, wiegenden Schritten auf den Weg zurück nach oben. Klack, klack, klack. Schwarze, hochhackige Lederschnürstiefel. Klack. Rotschwarzes Stäbchenkorsett. Klack. Doppellagiger Tüllrüschensaum. Klack. Sie wirft einen letzten verächtlichen Blick in die sabbernde Meute, wendet sich mit anmutiger Eleganz ab und entschwindet einer rauschartigen Sinnestäuschung gleich in ihre Gemächer.

Die echte Petty Puff wäre letztes Jahr hundertfünfzig geworden. Wäre, wäre, wäre. Wenn sie nicht wegen der vermaledeiten Franzosenkrankheit den Löffel abgeben hätte müssen. Stimmt schon: die Guten sterben alle viel zu früh.

Es gefällt mir, was ich im breiten Wandspiegel über den Flaschen­regalen sehe. Der Typ sieht klasse aus. Ein bisschen wie Adam Cartwright aus Bonanza. Die beste Serie überhaupt. Damdaradamdaradamdaradamdaraaaraa, damdara­damdaradamdaradamdaaraaa. Ich mag das Lässige an der Art, wie er an der Bar lehnt. Ganz in schwarz. Das heißt, bis auf die Haut. Gott bewahre. Die ist weiß. Ich beobachte mich, wie ich mit dem Zeigefinger den Hut ein klein wenig nach oben rücke und mir smart zulächle. Das Hemd zwei Knöpfe weit offen. So muss Brusthaar sein. Nicht zu üppig und auf keinen Fall ungepflegt. Sonst siehst du aus wie ein verhinderter Grizzly. Gerade so viel darf der offene Kragen an den Tag legen, dass das Tier in mir wie aus einer dunklen, geheimnisvollen Höhle heraus schimmert. Und so wenig, dass für die schutzbedürftigen Ladys, die in meinen Armen Geborgenheit suchen, außer Zweifel steht, dass ich meine animalische Seite jederzeit unter Kontrolle habe und nur auf ihr ausdrückliches Verlangen hin auf sie loslassen werde. Eine perfekte Mischung aus Abgeklärtheit und urwüchsiger erotischer Anziehungskraft.

Die Theke stinkt nach verwesten Kleintieren, nachdem Badnickel drauf gespuckt und mit einem modrigen Putzlappen drüber gewischt hat. Das macht nichts. Das gehört dazu. Meinen achtzehn Jahre lang in amerikanischen Weißeichefässern gereiften Whiskey holt Badnickel von ganz hinten. Mad Furys erbärmliches Gesöff würde ich nicht mit Stallhandschuhen anfassen, geschweige den trinken wollen. Muss doch ein Unterschied sein zwischen Sheriff und Hilfssheriff, auch wenn ich es ihn nicht spüren lasse. Das sieht gut aus, wenn ich den rechten, im Spiegel den linken, Mundwinkel ganz leicht nach oben ziehe, so dass man es nicht sieht, aber merkt. Vielleicht gehe ich noch kurz zu Irene nach oben. Irene?

Duftschwaden von kurz angebratenem Fingerfood ziehen zu mir herüber. Eine schöne, versöhnliche Geste: Mad Fury quert mit dumpf klirrenden Sporen den Saloon und bietet dem Klavierspieler seinen Whiskey zur Desinfektion an. Der lehnt freundlich aber entschieden ab, wohl auch deshalb, weil im Glas ein sämiger Schleimauswurf treibt, dessen keimtötende Wirkung er in Zweifel zieht. Lieber greift er wieder in die Tasten. Vielleicht liegt es an der übersichtlicheren Befingerung seiner Hände; jedenfalls könnte ich schwören, dass er den Ragtime jetzt einen Tick besser synkopiert als vorher, als er noch alle sieben hatte.

Sie taucht wieder oben an der Treppe auf. In Turnschuhen, Jeans und blauer Regenjacke. Also nicht mehr als Petty Puff, sondern als Irene. Damned. Schon Elf. Um 23 Uhr macht Rattlesnail City zu. Badnickel streift die Schürze ab. Feierabend! „Come on, Keeper“, hör ich mich mit einem tiefergelegten John-Wayne-Timbre sagen, „noch einen Drink für euren Sheriff und eine Saloon-Runde“.

„Nichts da“, zischt mich Badnickel feindselig an, „morgen Inventur. Ich muss früh raus.“

Als ich Irene mit einem charmanten Augenzwinkern darauf anspreche, ob sie mir noch ein bisschen Gesellschaft …, kürzt sie das Ganze mit „Bis Morgen um acht“ ab. Mit einem verständnisvollen Nicken und einem großmütigen Howdy entlasse ich sie in die endlosen Weiten der nächtlichen Prärie. Ich drehe mich wieder zu mir um. Gut sehe ich aus.

00:30 Uhr

„Ein Mann muss tun, was ein Mann tun muss“, knurre ich ins Telefon. Schade, dass Mad Fury nicht sehen kann, wie ich der Botschaft mit den kunstvoll mundgeblasenen Rauchringen meiner Virginia Bedeutung einhauche.

„Bist du verrückt? Schau mal auf die Uhr!“, gähnt Mad Fury schläfrig aus dem Hörer.

„Das Recht kennt keine Tageszeit. Das Recht kennt nur Gerechtig­keit“, belehre ich ihn, nachdem ich kurz überlegt hatte, seine in der Sache irrelevante Bemerkung kommentarlos zu übergehen. Die Leitung wird jäh von einem Geräusch unterbrochen, als hätte jemand aufgelegt. Wahrscheinlich haben diese verdammten Tage­diebe aus Red Hot Chili-County die Telefonleitungen gekappt. Wäre nicht das erste Mal. Noch einmal. Besetztzeichen. Diese elenden Hurensöhne.

Soll ich noch zu Mad Fury rüber galoppieren? Ha, das würde ihnen so passen. Bestimmt ein Hinterhalt. Nicht mit mir Leute. Nicht mit mir.

06:30 Uhr

Die Sonne presst ihre ersten schwachen Strahlen durch die weni­gen winzigen Löcher im goldbraunen Wüstenstaub, der seit - ich weiß nicht wann - wie eine beschissene Hinterglasmalerei an meinem Schlafzimmerfenster klebt. Fast bekomme ich die Augen nicht auf. Montag. Bäh. Zu viel Whiskey gestern. Aber schön war es. Eigentlich sind sie immer schön die Wochenenden in Rattlesnail City. Leider ist mir oft genug die Zeit dafür nicht vergönnt.

Anfangs hatte ich kein gutes Gefühl bei der Sache. Wie sieht das denn aus? Ich, der Bürgermeister, ein Hobby-Cowboy? Aber damals bot sich keine bessere Alternative und heute halte ich die Entscheidung für eine der maßgeblichen, wenn nicht für die wichtigste meines Lebens. Rückblickend habe ich sehr viel dem guten alten Badnickel zu verdanken. Damned. Ich muss jetzt endlich aufhören diese Cowboynamen auch im echten Leben zu denken. Badnickel, also Gunther Schlaminger, arbeitet seit Jahrzehnten als Lagermeister im Autohaus Obermeier. Diese mittlere Führungsposition ermöglicht es ihm unter anderem, problemlos Zweite-Wahl-Echtfell-Autositzbezüge für das alljährliche Bull­riding abzustauben. Ein feiner Mensch mit Prinzipien und ausgeprägtem Sinn für das Gemeinwohl. Kaum zu glauben, dass er früher mein politischer Gegner war. Früher, das heißt, lange bevor mich meine lieben Bürgerinnen und Bürger zu ihrem neuen Stadtoberhaupt auserkoren hatten.

An meinem Wahlsieg führte kein Weg vorbei. Wenn ich mich recht entsinne, wurde der Begriff „Alternativlosigkeit“ erstmals im Zusammenhang mit meiner Person verwendet, bevor er später an parlamentarischen Rednerpulten und in politischen Talkshows sinnfrei hin und her geschleudert wurde. Ich sage es, wie es ist, respektive wie es war: Alle Gegenkandidaten hatten gehörig einen an der Waffel. Und zwar so einen, der dir aus fünfhundert Meter Entfernung bei Nacht und Nebel in einer unbeleuchteten Seitenstraße entgegen schreit: „Hallo, hier bin ich“. Der grottenolmige Spitzenkandidat der WDP zum Beispiel trug seine Reden in Gedichtform vor.

Nun hast du die Wahl, du Wähler

die Qual der Wahl im Tal der Täler,

die Wahl, ob’s bald nach oben geht,

dorthin wo’s Kreuz am Gipfel steht.

Schenk mir dein Kreuz, wähl WeDePe,

dann geht’s nur noch bergauf, juche.

Im Vergleich zu den anderen beiden Gegenkandidaten verfügte der WDPler wenigstens über die Fähigkeit zu reimen. Die anderen konnten überhaupt nichts. Sie konnten es nicht einmal verbergen, dass sie nichts konnten. Die Leute, die ich mit der Videoüberwachung beauftragt hatte, lieferten Beweise dafür, dass einer sich jeden Morgen von seiner Mutti die Schnürsenkel binden lassen musste. Der andere trug Bernd-das-Brot-Schuhe mit Klettverschluss. Erschwerend hinzu kam ihr … - nennen wir es mal - Äußeres. Sie sahen entweder aus wie räudige Straßenköter, die sich für Königspudel halten, oder wie leicht verderbliche Presswurst drei Monate nach dem Verfallsdatum. Wie Politiker halt. Es gibt Grundregeln, die man kennen und befolgen muss: Du darfst nie aussehen wie ein Politiker, wenn du gewählt werden willst. Menschen, die aussehen wie Politiker sind keine, weil sie niemand wählt.

Meinem Amtsvorgänger hatte es das Kreuz gebrochen, dass er mit der Koalitionspartnerin rücklings aufs Boxspringbett gehüpft war und sich seine Frau deswegen aus dem Staub gemacht hatte. Oder vielmehr zu Staub. „Denn Staub bist du, und zu Staub wirst du werden“, hatte der Priester nach ihrer Einäscherung den alten Mose hinter dem Ofen hervorgeholt. Und noch eine politische Grundregel: Einen Witwer kannst du als Bürgermeister vergessen. Erstens sitzt keine mehr mit wässrigen Augen im Publikum, der du nach deiner Wiederwahl für ihre langjährige, selbstlose Unterstützung danken könntest. Zweitens führt dich nach Bierzeltbesäufnissen niemand mehr heim, der wirklich weiß, wo du wohnst. Und drittens kannst du nicht mehr richtig fremd gehen.

Das musste ich auch erst lernen: Als ausschlaggebend für den Erfolg jeder zielgerichteten, politisch motivierten Handlung kristallisiert sich immer wieder der Aspekt des perfekt gewählten Zeitpunkts heraus. Das Koalitionskoitus-Foto wurde just an dem Termin, den mein Vorgänger als „Tag der glücklichen Familie“ proklamiert hatte, veröffentlicht. Auf Seite 1 nebeneinander ein Bild der gut gelaunten Bürgermeisterfamilie am Frühstückstisch, daneben die nicht unansehnliche, nackte Wahrheit auf dem federelastischen Boxspringbett. Die Onlinemedien hatten aus marketingtechnischen Gründen auf das Familienfoto verzichtet. Sex sells, family bores.

Nach einem derartigen Imagetotalschaden mit lebenslanger Vertrauensverlustgarantie kannst du nur noch in den ewigen Jagdgründen der Politik vor dich hin kadavern und musst deinen Lebensunterhalt aus den kärglichen Schmiergeldzahlungen bestreiten, die dir aufgrund deiner diversen Aufsichtsratsposten weiterhin in Hülle und Fülle zufließen. Warum sich schwanzgesteuerte Nebentätigkeiten in Politikerkreisen trotz ihrer hinlänglich bekannten, karriereknickenden Wirkung unvermindert hoher Beliebtheit erfreuen, ist schwer nachvollziehbar, wenn es Eunu­chen und Frauen sind, die sich darüber Gedanken machen. Delikate, gut dokumentierte und fachgerecht publizierte Affairen schaffen freie Bahn für redegewandte, sympathische, weltoffene, entschei­dungsstarke Nachfolger, für bessere Bürgermeister.

Jetzt kommt Badnickel-Schlaminger ins Spiel, Parteichef der PFRL, der Partei fürs rechte Leben. Das Parteiprogramm der PFRL erschöpft sich in drei Parolen:

Ja zu Ausländern, wenn sie dort bleiben, von wo sie herkommen würden.

Ja zur 100 %-Quotenregelung für selbstbestimmte Frauen in Haushaltsführungspostionen insbesondere bei der Auswahl und Zubereitung traditioneller, warmer Mahlzeiten.

Ja zum Nein zur Verschärfung des Paragraphen bezüglich der Anwendung von Schusswaffengewalt in vermeintlichen Notwehrsituationen.

Noch zwei Wochen bis zur Wahl waren es. Mit dem Lageristen Schlaminger hatte ich bis dahin kein Wort gesprochen. Nicht mein Niveau, dachte ich. Keine gemeinsamen Themen, dachte ich. Aber als künftiger Bürgermeister hast du nach allen Seiten offen zu sein, musst dein vielleicht zu elitäres Denken überprüfen, deine Vorverurteilungen kritisch hinterfragen. Mein Gedanke: Die Partei des fotogenen Amtsvorgängers, eine Ansammlung hirnamputierter Nachkriegsveteranen, würde auch nach der Wahl die stärkste Fraktion im Stadtrat bilden. Ich brauchte also Verbündete, wenn ich nach der Wahl nicht nur als herausragende Lichtgestalt sondern auch als entscheidungsfähiger Lenker in die Annalen der Stadtgeschichte eingehen wollte.

Schon bei den alten Griechen meinte ein bedeutender Philosoph, dessen schwieriger Name leider nur noch den wenigsten geläufig ist, dass der beste Mensch kein guter Herrscher sein kann, so er denn nicht über die Fähigkeit verfügt, die Herrschaft mit aller Macht an sich zu reißen. Da meine Partei aus einer Horde vertrottelter Wichtigtuer und sozial deformierter Tagträumer besteht, war sie faktisch unwählbar. Alles Deppen. Außer mir. Ich wusste, selbst wenn sämtliche Parteimitglieder, ihre Verwandten und ihre wenigen Freunde tatsächlich unsere SSP wählten, läge die Wahrscheinlichkeit, mehr als 25 Prozent zu erreichen, weit unter der eines auf dem Nordpol in einen Lottomillionärsalbinopinguin einschlagenden Blitzes.

Ein Viertel ist mindestens die Hälfte zu wenig, wenn du mehr als das Doppelte brauchst. Also musste ich die PFRL mit ins Boot ziehen, die mit ihrem hemdsärmeligen Programm offensichtlich genau den Nerv des Wahlvolks getroffen hatte.

Gunther Schlaminger tauchte unangemeldet in meinem Wahlkampf­büro auf, nachdem er zu fünf vorher anberaumten Terminen nicht erschienen war. Unentschuldigt versteht sich. Dreiteiliger Nadelstreifenanzug. Auf Hochglanz polierte Anakonda-Lederstiefel. Einen beigen Stetson auf der Halbglatze. Zwei Pistolen im Holster.

„Setzen Sie sich, Herr Schlaminger.“

„Danke. Um was geht es?“

„Herr Schlaminger, wir sind doch …“

„Worum es geht, habe ich gefragt!“

„Ähm, wegen der eventuellen Zusammenarbeit im künftigen Stadtrat.“

„O.k. Machen wir!“

Schlaminger steht auf und geht zügig zur Tür.

„Wie? Ohne Gegenforderung?“

Darauf hatte Badnickel gewartet. Wenig Gutes verhieß die provozierende Bedächtigkeit, mit der er sich mir wieder zuwandte.

„Ausweitung des Western-Club-Areals auf die dreifache Fläche.“

„Ins angrenzende Naturschutzgebiet?“

„Well. Und einen Zuschuss von einskommazwei Millionen aus dem Kulturfördertopf.“

„Für einen Western-Club?“

„Well. Und einen Schießstand aus der Sportförderung.“

„Gut. Und Sie. Welches Amt?“

„Keins. Politik ist scheiße.“

Ich atmete erleichtert auf. Besser hätte es nicht laufen können.

„Eins noch.“

Er legte ein braungelbes, angesengtes Blatt, das wohl den Anschein einer wichtigen, in letzter Sekunde aus einem Flammeninferno geretteten Urkunde erwecken sollte, auf den Tisch. Gebieterisch deutete er auf die gepunktete Linie links neben dem roten, erstaunlicherweise beim Brand nicht in Mitleidenschaft gezogenen, Wachssiegel. Ich unterschrieb, war von nun an Clubmitglied Sheriff Lawn Order von Rattlesnail City und zwei Wochen später Bürgermeister dieser, meiner wundervollen Stadt.

Beides habe ich in keiner Sekunde meines erfüllten bisherigen Lebens bereut.

06:40 Uhr

„Guten Morgen, Schatz“, flüstert die beste aller Frauen durch den Türspalt herein. „Das Frühstück ist fertig. Die Cowboykluft habe ich zum Lüften rausgehängt. Ist wohl wieder etwas spät geworden gestern?“

„Mhm.“

Meine Miriam, eine Bürgermeistergattin wie aus dem Bilderbuch. Miriam hatte sogar eine mehrjährige Hormontherapie auf sich genommen für mich, für uns. Nicht, dass ich ihr ein schlechtes Gewissen eingeredet hätte. Aber einer intelligenten Frau muss es erlaubt sein, sich Gedanken über ihre biologische Bestimmung zu machen und sich einer selbstkritischen Analyse bezüglich ihrer Verantwortung innerhalb eines gesellschaftlich verpflichtenden Generationenvertrages zu unterziehen. Mehr habe ich auch nicht verlangt. Sogar die zwei Fehlversuche habe ich ihr nie angekreidet, habe sie sogar aufgemuntert: Jetzt bloß nicht schlapp machen. Aller guten Dinge sind drei.

Im Privaten gehen mir die Drillinge schon sehr auf den Geist, besonders seit sie laufen und sprechen können. Aber als mittelfristiges Risikoinvestment für die politische Karriere sichern sie mir eine über dreißig Prozent höhere Image-Effektivitätsrendite als Zwillinge oder zwei normale Kinder. Ich kann sie heute noch nicht auseinander halten und habe mir deshalb abgewöhnt, sie direkt mit Namen anzureden. Kindern gebührt der gleiche Respekt wie richtigen Menschen. Falsche Namen könnten sie verunsichern, die Entwicklung eines gesunden Selbstbewusstseins beeinträchtigen, ihnen ihre Unbeschwertheit nehmen. Das will ein guter Vater nicht, weshalb ich die häuslichen Kommunikationsherausforderungen vertrauensvoll in Miriams liebevolle, mütterliche Hände gelegt habe.

Den Frühstückstisch hat sie auch heute wieder tadellos gedeckt. Rühr- und Spiegelei zur Auswahl, weil ich in dieser Sache sehr penibel bin. Ich möchte immer wählen können. Ich will mir nicht aufzwingen lassen, was ich zum Frühstück zu essen habe. Gelebte Demokratie nennt man das. Sich Freiheiten erkämpfen. Diese Freiheiten schätzen und nutzen lernen. Wahre Demokratie darf nicht beim Frühstücksei enden.

„Schön hast du das wieder gemacht, Miriam. Sieht echt lecker aus. Aber ich habe heute schon um halb einen Termin im Büro. Wird bestimmt wieder recht spät heute. Tschüs.“

Ich habe es meiner weit überdurchschnittlichen Fähigkeit, logische Zusammenhänge blitzschnell zu erfassen, gepaart mit einem exzellenten Hörsinn zu verdanken, dass ich wie so oft auch in dieser kniffligen Situation die richtige Entscheidung treffe. Der Verhaltensgestörteste von den Dreien schlich sich meiner auditiven Wahrnehmung zufolge gerade wieder ins Bad, um sich eine meiner Rapira Platinum Lux Rasierklingen zu holen, und sich damit die Haut auf ganzer Länge von den Schienbeinknochen zu schälen. Das muss man sich vorstellen. Mit fünf Jahren! Mit fünf Jahren bestiehlt ein Kind seinen Vater. Es geht mir nicht um die Rasierklingen, auch wenn sie ein Gastgeschenk der russischen Delegation waren. Oder war es die polnische? Aber darum geht es mir auch nicht. Mich erschreckt vielmehr die Tatsache, und das möchte ich in aller Offenheit ansprechen, dass ein Mann meines Formats gezwungen ist, gemeinsam unter einem Dach mit Schwerverbrechern zu hausen.

„Armer Jensi-Schatz. So viel Arbeit“, lamentiert mir Miriam hinterher, als wäre sie es, die einen anstrengenden, termin­gespickten und von einer Unzahl wichtiger Entscheidungen geprägten Arbeitstag vor sich hätte. Als würde sie nicht sofort, nachdem ich die Tür hinter mir zugezogen habe, die Beine auf den Frühstücks­tisch legen und den lieben Gott einen guten Mann sein lassen. Von ihrer Dreistigkeit unbeeindruckt setze ich meine positiv besetzten Fluchtgedanken in die Tat um.

07:15 Uhr

Ich hasse Radfahren. Mit Hassen meine ich Hassen. Nicht, dass ich es nicht mag. Nicht, dass ich es ungern tue. Ich hasse es. Zu meinem Leidwesen muss ich der Öffentlichkeit aus diversen Gründen vortäuschen, ich wäre passionierter Radfahrer. Ich bin gezwungen, die Handlungsweise jener unzurechnungsfähigen Fitness-Aktivisten zu simulieren, die ihren Weg zum Büro fröhlich pfeifend auf dem Rad herunterstrampeln, nicht selten in selbst verschuldete Unfälle verwickelt sind und dabei Lackschäden in Millionenhöhe an den Fahrzeugen eingeschüchterter Autofahrer verursachen. Wenn die Welt meint, sie bräuchte einen Radel-Bürgermeister, dann bekommt sie einen. Also steige ich mit Schirmmütze und Sonnenbrille getarnt in den alten Polo meiner lieben Frau und fahre unerkannt von zu Hause aus in die Innenstadt.

---ENDE DER LESEPROBE---