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Der Klausenhof: Roman E-Book

Angela Langer

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Beschreibung

In "Der Klausenhof" entführt Angela Langer die Leser in eine beeindruckende, vielschichtige Erzählung, die sich um das Schicksal einer Familie und die Geheimnisse eines alten Hofes rankt. Der Roman zeichnet sich durch einen lyrischen und zugleich facettenreichen Stil aus, der sowohl die inneren Konflikte der Charaktere als auch die malerische Landschaft, in der sie leben, eindringlich beschreibt. Langer erschafft ein psychologisches Panorama, das den Leser in die Verstrickungen von Liebe, Verlust und der Suche nach Identität eintauchen lässt und gleichzeitig die sozialen und historischen Kontexte der Region beleuchtet. Angela Langer, eine versierte Schriftstellerin mit Wurzeln in der Region, hat durch ihre eigene Lebensgeschichte und die Überlieferungen ihrer Familie eine besondere Verbindung zu den Themen des Romans entwickelt. Ihre Leidenschaft für Geschichte und ihr ausgeprägtes Gespür für die menschliche Psyche spiegeln sich in der Tiefe und Komplexität der Charaktere wider. Durch zahlreiche Reisen und Forschungen hat sie ein feines Gespür für die Nuancen zwischenmenschlicher Beziehungen entfaltet, das in "Der Klausenhof" zur Geltung kommt. Dieser Roman ist nicht nur eine fesselnde Lektüre, sondern auch ein einfühlsames Porträt einer Epoche und ihrer Herausforderungen. Leser, die sich für psychologische Dramen und familiäre Verflechtungen interessieren, werden in den Bann von Langers meisterhaftem Erzählstil und der reichen Symbolik des Klausenhofs gezogen. Ein absolutes Muss für Liebhaber deutscher Literatur. In dieser bereicherten Ausgabe haben wir mit großer Sorgfalt zusätzlichen Mehrwert für Ihr Leseerlebnis geschaffen: - Sorgfältig ausgewählte unvergessliche Zitate heben Momente literarischer Brillanz hervor. - Interaktive Fußnoten erklären ungewöhnliche Referenzen, historische Anspielungen und veraltete Ausdrücke für eine mühelose, besser informierte Lektüre.

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Veröffentlichungsjahr: 2022

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Angela Langer

Der Klausenhof: Roman

Veröffentlicht im Good Press Verlag, 2022
EAN 4064066433727

Inhaltsverzeichnis

Erstes Kapitel
Zweites Kapitel
Drittes Kapitel
Viertes Kapitel
Fünftes Kapitel
Sechstes Kapitel
Siebentes Kapitel
Achtes Kapitel
Neuntes Kapitel
Zehntes Kapitel
Elftes Kapitel
Zwölftes Kapitel
Dreizehntes Kapitel
Vierzehntes Kapitel
Fünfzehntes Kapitel
Sechzehntes Kapitel
Siebzehntes Kapitel
Achtzehntes Kapitel
Neunzehntes Kapitel
Zwanzigstes Kapitel
Einundzwanzigstes Kapitel
Zweiundzwanzigstes Kapitel
Dreiundzwanzigstes Kapitel
Vierundzwanzigstes Kapitel
Fünfundzwanzigstes Kapitel
Sechsundzwanzigstes Kapitel
Siebenundzwanzigstes Kapitel
Achtundzwanzigstes Kapitel
Neunundzwanzigstes Kapitel

Erstes Kapitel

Inhaltsverzeichnis

Die Baukommission war wieder einmal den Berg heraufgekommen. Östlich vom Klausenhof, keine fünfzig Meter davon, gerade an der Stelle, wo der Wald mit tiefdunklen Tannen und hellgrünen Lärchen einsetzte, machte sie halt und begann den Boden zu prüfen und zu messen.

Unten auf der Wiese standen der Klausenbauer und sein Sohn. Sie hatten die Fremden den steilen Weg emporkommen sehen, hatten sie ihre rätselhaften Geräte auf dem grünen Waldboden ausbreiten sehen, und nun stockten sie in ihrer Arbeit und sahen sich schweigend an. Der Sohn hinab zu dem Vater, der Vater hinauf zu dem Sohn. Und respektvoll wartete der Junge, bis der Alte reden würde. Aber der Alte redete nicht. Er spuckte in seine ledernen Hände, griff nach der Hacke und führte gegen den fetten, lockeren Boden zähe, energische Streiche. Da nahm auch der Junge seine Arbeit wieder auf. Aber seine Finger zitterten nicht um den Schaft der Hacke, und in seinen Augen lag kein Zorn. – Was war auch so sehr Böses daran, daß sie hier oben bauten? Die Schuld lag beim Vater. Hätte er doch den Wald vor sechs Jahren erstanden. Damals fing es an. Erst das Haus am äußersten Bergrand. Breit, behäbig, als ob es ein uraltes Recht hätte dort zu stehen, erhob es sich aus dem Boden, und als es fertig war, erhielt es den Namen »Waldfriede«. Den Winter über merkten die Klausen kaum etwas davon, aber mit dem Sommer begannen sie es zu spüren. Die Eigentümer der Villa zogen herauf, und nun wehten bald im Wald, bald auf den Wiesen die Schleier der Frau Doktor. Noch im selben Jahre erbaute man zwei andere Villen, im nächsten Jahr noch eine. – Und der Klausenhof, der seit Jahrzehnten stolz und einsam auf dem Berg gestanden, stand nicht mehr allein.

Das kam den Klausenbauern vor wie ein Unglück.

Seit Generationen und Generationen war kein fremder Mensch auf den Berg gekommen, und nun traf man bald da, bald dort diese neuen Leute mit ihrem weichlichen Getue. Aber ihre Villen lagen doch tiefer unten, denn die weiten Wiesen, die den Klausenhof umgaben und zum Klausenhof gehörten, wehrten jede Ansiedelung in der Nähe. Nur der Wald war fremdes Gut. Das hatte den Klausenbauern längst Sorge gemacht, und sie hätten ihn gerne erstanden. An Geld hätte es auch nicht gefehlt, denn sie waren reiche Bauern. Aber der Alte war langsam, bedächtig und schwer von Entschluß. – Ja, schwer von Entschluß – und der Junge erschrak über seine Respektlosigkeit und schaute scheu auf den Alten. Der aber war ruhig geworden und arbeitete fort, als gäbe es nichts. Nur den Blick des Jungen vermied er geflissentlich, und als Stephan das merkte, fiel ihm ein, daß er zu den Knechten müsse. Darauf nickte der Alte, aber es war wie eine traurige Antwort auf eine traurige Frage. Das schnitt Stephan ins Herz, und er dachte: »Könnte ich ihn nicht trösten? Er meint, mir liegt etwas an dem Wald.« Aber die Worte, die er reden wollte, freundliche, begütigende Worte, überschlugen sich in seiner Kehle mit dumpfem Geräusch, und als sie endlich heraus waren, sagten sie etwas Gleichgültiges über eine der Wiesen weiter unten. Ganz beschämt nahm er seine Hacke und ging.

Das war die Art der Klausen. Vater und Sohn innerlich voll Liebe zueinander, aber im Verkehr herb und stolz wie Herr und Diener. Ja, es herrschte Zucht unter den Klausen.

Vor dem Bauernhaus stieß Stephan auf die Knechte. Sie brachten das erste Heu herein und schoberten es haushoch auf. Er sprach ein paar Worte mit ihnen, dann schritt er in den Hof und begegnete seiner älteren Schwester Therese. Sie kam aus den Ställen, die derben Lederschuhe bis zu den Knöcheln voll Kot. Mürrisch lief sie an ihm vorbei, hastete irgendwohin. Sie war immer dort, wo es am meisten zu tun gab, arbeitete mehr als zwei Dienstboten zusammen, und Stephan hatte große Achtung vor ihr. Aber keine besondere Liebe. Seine Zuneigung galt der jüngeren Schwester Maria. Sie war gleich ihm ein wenig aus der Art. Nicht überfleißig, verstohlen heiter und zu Kurzweil aufgelegt. Das hatte ihnen früher von den Eltern manches scharfe Wort eingebracht, so daß sie sich gewöhnten, ihre Freude zu verbergen und ihr Lächeln zu unterdrücken. Aber in den Ställen, in den Scheunen, im Wald, und wo immer sie allein waren, holten sie ihre Munterkeit hervor und spotteten oft genug über Therese, über ihre unschönen Züge und ihren schweren, raschen Gang. Später wurden sie ernster, unterschieden sich aber doch noch immer von den andern Klausen. Maria arbeitete im Küchengarten und winkte, als sie den Bruder kommen sah. Stephan wollte eigentlich in die Küche, doch nun ging er daran vorbei und trat zu Maria in den Garten. Als sie dann beisammen standen, merkte man erst, wie groß der junge Klausen war. Einen guten Kopf höher als das Mädchen, das auch nicht zu den Kleinen zählte. Im Antlitz aber Zug um Zug Abkömmlinge der Klausen. Hochgezogene Augenbrauen, schwere Lider und einen festen, schmalen Mund. Nur der strenge Strich um die Lippen fehlte bei den beiden, den man am Vater und der älteren Schwester so deutlich wahrnehmen konnte.

Maria zeigte Stephan die Pflanzen, die sie soeben gesetzt hatte, und als sie nach einer Weile den Weg in das Haus einschlugen, sagte er: »Weißt du es schon, daß im Wald gebaut wird?«

»Im Wald?« fragte sie schnell, »wo?«

»Gleich hinter uns.«

Da stieg eine feine Röte bis in ihre Schläfen auf, und sie wandte sich an den Bruder mit blitzenden Augen.

»Warum hast du Vater nicht längst dazu überredet, daß er den Wald kauft?«

Ihr Vorwurf ärgerte ihn, zugleich aber freute ihn ihr Eifer. Die Unnahbarkeit der Klausen sprach daraus.

»Du weißt,« sagte er, »Vater läßt schwer mit sich über Geschäfte reden.«

Sie aber war sehr zornig.

»Daß der Wald nicht längst uns gehört, ist deine Schuld. Die früheren Klausen hätten natürlich nie daran gedacht, daß Fremde heraufkommen könnten. Aber als sie vor sechs Jahren zu bauen anfingen, hättest du daran denken müssen. Vom Vater konnte man so etwas nicht verlangen. Er war immer so – du weißt wie ich meine – zäh am Hergekommenen –– aber du––, wenn sie jetzt den Wald niederreißen und eine Stadt aufbauen, kannst du dir vorstellen, wie das hier oben aussehen wird?«

Es war der erste ernstliche Zwist, den die Geschwister miteinander hatten, und Stephan sann nach, wie er das erregte Mädchen begütigen könne.

»Den ganzen Wald niederreißen, aber Maria, davon kann keine Rede sein. Da müßten sie ja den ganzen Berg wegräumen. Ich glaube auch, daß sie weiter hinauf nicht mehr bauen, denn sie finden keinen Schutz gegen den Wind. – Und wenn sie auch den ganzen Berg wegräumten und eine Stadt hier oben erbauten, du und ich, Maria, würden das kaum mehr erleben.«

Da trat sie dicht an ihn heran und sagte leidenschaftlich: »Du bist ein schlechter Klausen.«

Dann ließ sie ihn stehen und ging in das Haus.

Obwohl es Mittag war und Stephan wußte, daß seine Mutter auf ihn wartete, folgte er doch nicht, sondern blieb bei der Mauer stehen, wo er gerade stand. Und die Luft wurde voll mit einem merkwürdigen Getöse, und von allen Seiten klang es zu ihm: »Du bist ein schlechter Klausen.«

Aber nein – das war nur die Glocke, die die Leute zu Mittag rief. Und Stephan starrte auf die Knechte, die über den Hof kamen. Derbe, tüchtige Leute, erfahren und erprobt. Bauern von oben bis unten und den Klausen zäh ergeben. – Und einmal würde er Herr sein über diese Leute – ein schlechter Herr – ein schlechter Klausen – ja, er hatte es längst gespürt.

Schweißtropfen traten auf seine Stirn, und er wischte sie ungeschickt hinweg. Dann schritt er langsam um den Hof. Ohne jede Zierlichkeit, ein breiter, massiver Kasten lag er da. Aber vornehm durch sein Alter und seine Weltgeschiedenheit. Das Stammhaus der Klausen, 1300 Meter hoch, mit rissigen, sturmfesten Mauern, der ragenden Windmühle dahinter, und über dem Tor in roter, verblichener Farbe den trotzigen Spruch:

»Wer baut an den Straßen,

Muß jeden reden lassen.

Der eine schaut vor,

Der eine schaut vor,

Der andere hinten,

So wird jeder einen Tadel finden.«  

Adalbert Klausen.

Stephan schaute noch immer auf den Namen unter dem Spruch. »Adalbert Klausen.« Der Name stand allein unter den anderen Namen – Adalbert.–

Niemand wußte etwas über sein Leben, nur daß er den Hof erbaut hatte, stand fest – und daß er ein Geschlecht hinterlassen hatte, das auf sich stolz sein konnte, bis – ja, bis auf den einen.–

Stephan straffte sich plötzlich in jähem Trotz.

Warum aber war er ein schlechter Klausen? Sah er etwa die neuen Ansiedelungen gern? Nein, gewiß nicht. Dann, warum war er schlechter als die andern Klausen? – Wie waren eigentlich die Klausen immer gewesen? Es gab eine Menge Geschichten darüber. Jeden Winter erzählten sie die Knechte aufs neue. Ein Klausen hatte einmal eine mittlere Eiche samt den Wurzeln aus dem Boden gerissen. Ein anderer hatte einen wütenden Stier ohne jede Waffe mit der Kraft seiner Arme gebändigt. Ein dritter hatte sich an einen Wagen, der schwer mit Steinen beladen war, gespannt und ihn den Berg heraufgezogen. – Also stark waren alle Klausen gewesen, stark und tapfer – aber war er das denn nicht auch? Stephan spreizte die Finger und sah hinab auf seine Hände. Große, braune Hände waren es, aber nicht breit und hart wie die des Vaters, sondern eher schlank und weich. Ja, er hatte zu lange in der Schule gesessen – und im plötzlichen Zorn drückte er die Rechte zur Faust. Die Nägel gruben sich in die Handfläche, und immer tiefer grub er sie. Erst zeigten sich vier rote Male, dann zeigten sich vier rote Tropfen, und schließlich zeigten sich vier rote Bächlein, die durch die Finger sickerten.–

Da erschien im Garteneingang, noch schmollend und gekränkt, aber doch Versöhnung wünschend nach echter Frauenart, abermals Maria. Zögernd blieb sie in der Türe stehen, da sie dachte, daß der Bruder ihr entgegenkommen werde. Weil er aber nicht kam, sich nicht rührte, trat sie zu ihm. Dann schrie sie laut auf. Stephan aber dachte an die Mutter, die erschrecken würde, und herrschte sie an: »Schweig.« Darauf spannte er die erstarrten Finger auseinander, hielt ihr die blutüberströmte Hand entgegen und fragte:

»Bin ich schlechter als die andern Klausen?«

Da begriff sie. Nun wollte sie aber nicht jammern, sondern zeigen, daß sie auch eine Klausen sei. Sie löste ihr Halstüchlein und wischte das Blut von seiner Hand. Dann küßte sie die Wundmale, küßte sie einzeln, leise und zärtlich, und dabei sagte sie:

»Du bist der beste Klausen.«

Zweites Kapitel

Inhaltsverzeichnis

Der Sommer hatte in diesem Jahre besonders früh eingesetzt, und die Junitage kamen mit heißem Atem und Dunstmänteln. Erst lungerten sie im Tale herum, hatten nichts Schlechtes im Sinne und lachten nur unbändig über die Erde, die unter den Tritten ihrer ungestümen Gäste keuchte und an Blüten und Blumen brachte, was sie besaß. Nach einer Weile aber wurde ihnen ihr eigenes sanftes Spiel zuwider. Sie spien Staub, daß das Land rauchte, verbrannten Blüten und Blumen, soffen die Bächlein leer, hockten sich an die Landesflüsse und steckten ihre glühenden Mäuler hinein, daß das Wasser aufzischte und schwand. Und als im Tale kein Tropfen Feuchtigkeit mehr war, wurden sie matt vom eigenen Ungestüm und klommen auf die Höhen. Oben war es frisch und kühl. Da kamen sie wieder zu sich, rollten lachend über die Hänge, und wo sie einen Menschen trafen, sprangen sie ihm auf die Schultern und preßten ihre Finger um seine Kehle. Aber die Leute da oben waren zäh.

Am allerzähesten die Leute vom Klausenhof.

Die Knechte warfen ihre Joppen, die Mägde ihre Tüchlein weg, und unablässig arbeiteten sie weiter. Heute auch. Plötzlich aber hielten sie inne, stützten sich auf ihre Schaufeln und Rechen und horchten auf. – Durch die Hitze und den Dunst des Mittags klang vom Hof her die Alarmglocke. Schrill und schneidend, wie um Hilfe rufend, ertönte sie und zeigte an, daß etwas Entsetzliches geschehen sei.–

»Feuer!«

Dieses eine Wort fuhr durch die Köpfe der Leute, und nun kam Leben in die erstarrten Gruppen. Und noch etwas anderes kam. Etwas Merkwürdiges, bei diesem treuen, jahrelang erprobten Gesinde nie Dagewesenes: eine wilde Angst um die eigene Habe. Die Mägde dachten an ihren Sonntagsstaat, die Knechte an ihre silbernen Uhren. Aber keines unter ihnen dachte an den Bauer, an die Bäuerin oder an den alten Hof. Mit großen Schritten hasteten sie heimwärts, rochen Rauch in der Einbildung und sahen ihre geringen Schätze bereits verkohlt.–

Gerade als sie auf die Höhe kamen und den Klausenhof still und friedlich ohne Rauch und Flammen auf dem gewohnten Orte sahen, hörte die Glocke auf. Darauf herrschte eine so unheimliche Stille, daß sie sich fürchteten, obwohl es heller Tag war.

Unwillkürlich rückten sie zusammen, und der älteste Knecht sagte: »Es muß eine plötzliche Seuche unter das Vieh gekommen sein.« Und ohne eine Antwort abzuwarten, faltete er die Hände und begann das Bittgebet, das sie bei Seuchen immer beteten. Die andern folgten Wort für Wort, und als sie damit fertig waren, langten sie bei der Haustüre an. Aber obwohl keines unter ihnen dachte, daß irgendetwas Schreckliches im Hause zu sehen sei, wagte sich doch niemand hinein. Scheu aneinandergedrückt blieben sie stehen und wunderten sich nur, daß alles so still blieb.

Plötzlich öffnete sich die Tür mit einem Ruck nach innen, und auf der Schwelle erschien eine Schar Männer und Frauen. Allen voran der junge Klausen, den rechten Arm um die Mutter geschlungen, die sich schwer auf ihn stützte und leise weinte. Als sie die fassungslosen Gesichter der Leute sah, schluchzte sie laut auf. Dann aber beherrschte sie sich und sagte:

»Der Bauer ist tot.«

Das traf wie ein Schlag. Alles hätten sie eher erwartet.

Der Bauer tot! Der Bauer, der nie eine Stunde krank gewesen, der bei keiner Arbeit fehlte und rüstiger war als mancher Junge. – Der Bauer tot! – Und nun fiel ihnen ein, wie gut er war. Wie reichlich er den Wein bemaß und jedes Jahr um einen halben Silbergulden ihre Löhne besserte. – Und voll Scham dachten sie an ihre Bänder und Uhren, die ihnen im Augenblick der Gefahr zuerst einfielen. – Dann stolperten sie in die Stube, worin der Tote war. Ein weißes Tüchlein lag auf seinem Gesicht, aber sein Anzug, das Bett und die Dielen waren voll Blut. Während die Leute ihre schweren Hände, die so viele Jahre für den Bauer gearbeitet hatten, steif und mühsam ineinanderfalteteten, suchten ihre stumpfen Gehirne nach einer Erklärung. Was war denn eigentlich geschehen? – Endlich sagte es ihnen jemand. Drüben beim neuen Bau hatten fremde Arbeiter mit dem Sprengen begonnen, und ein Felsstück traf den Bauer, als er auf der Wiese Heu einfuhr. Man könne aber niemand zur Verantwortung ziehen, denn die Tafel, die gegen das Betreten der nahen Gründe während der Sprengzeit warnte, war aufgepflanzt gewesen. Es wäre des Bauern eigene Schuld.–

Die ganze Nacht wurde gebetet, und Stephan, als der neue Herr, betete vor. Einmal aber gegen Mitternacht trat er hinaus. Er durchschritt den Hofraum und öffnete das Tor. Die Nacht war kühl und hell. Weiß und glatt wie ausgespannte Tücher lagen die Wiesen vor dem Haus. Aber östlich, wo der Wald begann, war der Grund zerrissen, und gestürzte Lärchen lagen links und rechts... lagen steif und lang wie Tote... Da hob Stephan die Arme wie in einer mächtigen Verzweiflung und sagte: »Du Unglückshaus!«

Drittes Kapitel

Inhaltsverzeichnis

Im Klausenhof ging bald wieder alles den gewohnten Gang. Es wäre auch nicht anders möglich gewesen, denn es gab immer zu tun, und die Mühen halfen über vieles hinweg.

Anfangs spürte man allerdings stark, daß der Alte fehlte. Er hatte so wacker bei der Arbeit mitgeholfen und besaß so viel Einsicht und Erfahrung, daß der älteste Knecht wie ein Knabe war neben ihm. Er hatte auch die Fäden der ganzen Wirtschaft in der Hand gehalten und wußte allein Bescheid über alles. Oft hatten sie sich nach seinem Heimgang ratlos angeschaut und gewünscht, daß er nur noch einmal bei ihnen wäre, daß sie ihn um dies oder jenes fragen könnten. Am meisten aber fehlte der Vater dem Sohn.

Plötzlich zu Selbständigkeit und Verantwortung gelangt, merkte der Junge nun, wie weit weg er eigentlich von einem richtigen Bauer war. Und jedesmal, wenn er einen Fehler begangen hatte und ihm der älteste Knecht bescheiden seinen Rat antrug, schämte er sich und dachte, er sei am Ende doch ein schlechter Klausen. – Dann griff er tagsüber nach der schwersten Arbeit und stöberte des Nachts in landwirtschaftlichen Büchern. Aber trotz der schweren Arbeit und der landwirtschaftlichen Bücher wußte er doch nie richtig Bescheid, wenn es sich um etwas Wichtiges handelte. In einer solchen Not kam ihm einmal Therese zu Hilfe. Damals wunderte er sich, wie klug sie dachte und wie beherzt sie die Sache anpackte. Seitdem frug er sie öfters um ihre Meinung und entdeckte dabei immer mehr, wie sehr sie innerlich und äußerlich dem Vater glich. – Maria ging es wie ihm. Sie hatte manches nachzuholen und begann von der Schwester zu lernen. Aber trotzdem sie überall zugriff und hinter den andern nicht zurückstehen mochte, beschäftigte sie sich doch am liebsten in Garten und Küche und ging nur selten in die Ställe oder in das Feld. Auch ließ sie die Mutter nicht gern allein, die, trotzdem es nun schon Herbst wurde, noch immer um den Vater weinte. Allerdings nur heimlich, wenn sie niemand sah. Diesen Zug hatten sie übrigens alle. Jedes trauerte um den Verstorbenen, jedoch keines sprach davon. Nur Maria schluchzte manchmal plötzlich auf, wenn sie mit Stephan allein war. Dann strich er wortlos über ihr Haar, horchte aber dabei hinaus auf den Gang, ob auch niemand käme.–

Drüben im Walde aber wurde gebaut. Schwere Zugochsen brachten täglich große Ladungen von Sparren und Balken herauf, und geübte Hände fügten sie kunstvoll ineinander. Wie ein Feenschlößchen, so zauberschnell, so leicht und zierlich, mit Gesimsen, Erkern und Balkonen wuchs die Villa zwischen den Bäumen auf. Das Erdgeschoß war aus Stein, aber der ganze obere Teil bestand aus geschnitztem und gebranntem Holz. Vom Dache strebten drei schlanke Türme mit schönem Ebenmaß empor, und die vergoldeten Spitzen ihrer Blitzableiter ragten leuchtend, glückverheißend neben den höchsten Lärchen auf. – Und als die Handwerker ihre Arbeit getan hatten, kamen Künstler und schmückten das Haus innen wie außen mit Bildern und Sprüchen. Auf der Seite gegen den Wald war zu lesen: