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"'Der kleine Eheretter' – ein besonderes, ganz anderes Paarbuch mit nützlichen und witzigen Illustrationen. Frech und direkt geschrieben, kann er so manche Paarbeziehung wieder flottmachen. Überraschend neu ist der Bezug zur Hirnforschung. All das verführt sogar (Ehe-)Männer, dieses Buch zu lesen. Ein größeres Kompliment kann man einem 'Eheretter' nicht machen." Roland Kachler Raus aus dem Streit Streit in der Ehe oder in der Partnerschaft geht meist mit viel Aufregung und heftigen Gefühlen einher. Gewinnen diese die Oberhand, schaukeln sich Konflikte hoch und der Kontakt geht verloren. Diese Erfahrung teilen viele Paare, und allzu häufig resignieren sie irgendwann. Wenn wir verstehen, wie unser Gefühlsleben organisiert ist und wie unser Körper dabei reagiert, können wir uns selbst besser regulieren und gelassener, aber auch klarer werden. Selbstregulation ist der Schlüssel dafür, dem anderen offen und zugewandt zu begegnen und gleichzeitig die eigenen Bedürfnisse nicht aus dem Blick zu verlieren. Die erfahrene Paartherapeutin Monika Röder beschreibt hier mit klaren und leicht verständlichen Worten drei Schritte zu einer besseren Partnerschaft: den Ausstieg aus dem Kampfstress, die Regulation des eigenen Körpers und der eigenen Gefühle, und schließlich die Klärung des Geschehens und das Mitteilen der eigenen Bedürfnisse in einer guten Begegnung. Zahlreiche Beispiele und Illustrationen neben typischen Mustern auch Wege auf, unfruchtbare Konflikte endlich hinter sich zu lassen. Kleine Übungen im Buch helfen, die eigenen Fähigkeiten deutlich zu verbessern. Die Autorin: Monika Röder, eid. anerkannte Psychotherapeutin; Berufseinstieg in der Psychiatrischen Klinik Münsterlingen am Bodensee (CH); Weiterbildung Systemische Therapie und Beratung bei der IGST Heidelberg; Leitung einer familientherapeutischen 2-Jahres-Gruppe in der stationären Jugendhilfe; 8 Jahre im psychologischen Team einer Vater-Mutter-Kind Vorsorge- und Rehaklinik. Seit 2011 ist sie selbständig mit eigener Praxis für Paartherapie und Systemtherapie in Bad Säckingen; seit 2017 zweite Praxis in Basel. Zusätzliche Weiterbildungen in integrativer Leib- und Bewegungstherapie, Paarlife, PEP, klinischer Hypnose, Traumatherapie (dbt cPTSD und Ego-State-Therapie), Sexualtherapie und klinischer Sexologie. Schwerpunkte: Paartherapie (Krisenintervention, Affären, Kommunikation), sexualtherapeutische Arbeit (Libidoverlust, Verlangensunterschiede, Funktionsstörungen), Psychotherapie (Lebenskrisen, Essstörungen, Sexualität).
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Seitenzahl: 161
Veröffentlichungsjahr: 2025
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Monika Röder
EIN EINFACHES 3-SCHRITTE-PROGRAMM FÜR PAARE
Zweite Auflage, 2025
Reihe »Fachbücher für jede:n«
Reihengestaltung und Satz: Nicola Graf, Freinsheim, www.nicola-graf.com
Umschlaggestaltung: Heinrich Eiermann
Umschlagfoto: ©xyman - stock.adobe.com
Illustrationen: Monika Röder
Redaktion: Dr. med. Nicola Offermanns
Printed in Poland
Druck und Bindung: Dimograf Sp.z.o.o.
Zweite Auflage, 2025
ISBN 978-3-8497-0572-5 (Printausgabe)
ISBN 978-3-8497-8514-7 (ePUB)
© 2021, 2025 Carl-Auer-Systeme Verlag und Verlagsbuchhandlung GmbH, Heidelberg
Alle Rechte vorbehalten
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VORWORT
1 WIE WIR TICKEN: KLEINER ÜBERBLICK ÜBER DAS STRICKMUSTER DES MENSCHEN
Prägungen
Lernen am Modell
Lernen aus eigenen Erfahrungen
Der Prototyp im Gehirn
Wunde Punkte
Wiederholungen in der Ehe
Die Hoffnung auf »Heilung« durch den Partner
Was ist Streit? Kleiner Exkurs in die Neurobiologie
Überleben – die oberste Aufgabe unseres Gehirns
Integrierter Gefahrenscanner
Die drei Modi unseres Nervensystems
Streit und die Eskalationsspirale
Warum Streit nichts bringt
Wenn sich das Gehirn schrittweise abschaltet
Unwillkürliche Reaktion bei Angriff
2 DAS 3-SCHRITTE-MODELL
Schritt 1: Raus aus dem Streit, rein in die Selbstverantwortung
Der Balken im eigenen Auge
Ausstieg aus dem Streit – aber wie?
Schritt 2: Selbstregulation
Regulieren statt runterschlucken
Schritt 3: Gespräche über wichtige Themen
Kleines Kommunikationstraining
Zusammenfassung des 3-Schritte-Modells
3 WAS IST NORMAL? KLEINER EINBLICK IN BEZIEHUNGSDYNAMIKEN
»Die Zicke« und »der nette Kerl«
Verstärkererosion
Verlangensunterschiede und Polarisierung
Regenbogenqualitäten
Sprachen der Liebe
Heterozentrierung und Autozentrierung
Chronischer Stress
Berührungen
4 PRÄVENTION: LANGFRISTIG GLÜCKLICH UND IM KONTAKT
Positivität statt Negativität
Engels- statt Teufelskreise
In Kontakt miteinander bleiben – emotionales Updating
Richtiges Zuhören
Restrukturierung des Systems
Noch ein Blick auf chronischen Stress
Noch ein Blick auf Verlangensunterschiede
Und noch ein Blick auf Berührungen
Resignative Reife und Balance
Ausklingende Schleifen
UND WEIL’S SO WICHTIG IST: NOCH MAL!
FALLS ES NICHT ALLEIN KLAPPT
Beziehungsratgeber
Professioneller Rat
Paarkurse
Wenn einer nicht mitmacht
Was kostet das?
Anlaufstellen bei Paarkrisen
ZU GUTER LETZT …
EMPFOHLENE LITERATUR
VERZEICHNIS DER ÜBUNGEN
ÜBER DIE AUTORIN
Seit vielen Jahren arbeite ich mit Paaren. In Paartherapien ist oft ganz schön was los, manchmal fliegen richtig die Fetzen.
Ich bin nicht konfliktscheu, aber über die Jahre habe ich gelernt, dass es nichts nützt zu streiten. Hier werden viele Leserinnen und Leser das erste Mal stolpern: »Was? Soll ich jetzt noch mehr schlucken und unter den Teppich kehren?« Wahrscheinlich haben Sie den Eindruck, dass vieles Wesentliche in Ihrer Beziehung bisher noch nicht genügend geklärt wurde – meist, weil der andere konfliktscheu ist und schwierige oder emotionale Themen generell vermeidet. Das kann sehr belastend sein und mittelfristig dazu führen, dass Paare sich entfremden. Da bin ich ganz auf Ihrer Seite.
Allerdings nützt es auch nichts, über wichtige Themen zu streiten. Einzig der Effekt des Dampfablassens tut dabei gut. Inhaltlich kommt das Paar meist keinen Schritt weiter. Das erlebe ich sowohl privat als auch professionell immer wieder.
In den letzten Jahren habe ich mit einer Kollegin ein Lehrbuch für Paartherapie geschrieben und mich im Rahmen dessen viel mit Hirnforschung beschäftigt. Insbesondere die Polyvagaltheorie ist für mich zu einer Art Baukastensystem geworden, mit dem man Zwischenmenschliches nachvollziehbar erklären kann.
Und so hatte ich Lust, etwas Leichtverständliches zu schreiben, das jeder, der sich eine gelungene Partnerschaft wünscht, zur Hand nehmen kann. Funktionierende Partnerschaften sind nämlich gar nicht so kompliziert zu erklären, wie viele denken. Es gibt bewährte Regeln, die man eben ohne Wenn und Aber einhalten muss. Für eine harmonische Ehe gibt es keine Garantie. Aber wie Sie die Chancen fürs Gelingen deutlich steigern können, lesen Sie hier.
Wie funktionieren Partnerschaften? Was passiert bei Streit? Warum sind wir manchmal so kompliziert? Und wie können wir es besser machen?
Das werde ich Ihnen in diesem Büchlein in aller Kürze erklären. Dabei sage ich Ihnen, worauf es wirklich ankommt. Manche Dinge sind Pflicht, andere Kür. So ist es beispielsweise unumstößlich, dass Sie wichtige Themen niemals im Streit besprechen. Wichtige Themen brauchen voll funktionierende Gehirne. Aber Partnerschaften brauchen Gespräche über wichtige Themen wie Emotionen, Wünsche und Bedürfnisse. Weil das jedoch im Streit nicht funktioniert, ist es wichtig, dass die Beteiligten die Fähigkeit haben, sich selbst zu beruhigen. Das hat nichts mit Runterschlucken oder Vermeidung zu tun, sondern mit echter persönlicher Stabilität und Reife. Und wie das alles funktionieren kann, werde ich Ihnen nacheinander aufschlüsseln und in drei umsetzbare Schritte unterteilen.
Ich nehme Sie also an die Hand und begleite Sie auf Ihrem Weg zurück in eine harmonische Partnerschaft. Sie müssen diese Schritte nur noch in die Tat umsetzen – und zwar so oft wie möglich. Auch das lehrt die Neurobiologie: Neue Verhaltensweisen müssen durch Verknüpfung und häufige Wiederholungen verankert werden. Denn wir werden in diesem Prozess Ihr Gehirn »umbauen«. Und was über Jahre und Jahrzehnte anders trainiert worden ist, lässt sich nicht durch einen Schnipp verändern. Darum lesen Sie das Büchlein ruhig öfter.
Das Buch enthält viele Übungen, um Ihnen die Verknüpfung mit Ihrem Leben zu ermöglichen und das Lernen damit zu vertiefen. Am wirkungsvollsten ist es natürlich, wenn Sie zusammen Abschnitt für Abschnitt lesen und anschließend die Übungen unabhängig voneinander bearbeiten. So können Sie alles gut verinnerlichen und machen es schon bald wie im Schlaf richtig.
Nach Erscheinen der ersten Auflage hörte ich von manchen Leserinnen und Lesern, dass sie den Text sehr spannend fanden, aber am ersten Übungsblock hängen geblieben seien. Ich möchte betonen, dass Sie das Buch so nutzen können, wie es zu Ihnen passt. Im Zweifelsfall würde ich aber dazu raten, weiterzulesen und die Übungen zu überspringen, bevor Sie daran hängen bleiben und ganz aufhören. Sie können sie in einer zweiten Runde immer noch bearbeiten oder auch mit Ihrer Partnerin mündlich reflektieren.
Nun gibt es natürlich auch die eine oder andere Partnerschaft, bei der sich einer von beiden nicht motivieren lässt, einen »Psychoratgeber« in die Hand zu nehmen, geschweige denn, ihn aktiv zu bearbeiten. Hier gilt: Machen Sie’s allein. Gehen Sie mit gutem Beispiel voran und setzen Sie das Gelernte um. Ich gehe fest davon aus, dass Sie Ihren Partner bzw. Ihre Partnerin damit überraschen werden. Vielleicht führt das allein schon vom Teufelskreis zurück in einen »Engelskreis«. Vielleicht ernten Sie aber auch Interesse und Neugier und können den anderen in einer zweiten Runde mit ins Boot holen.
Und falls das immer noch nicht ausreichen sollte, finden Sie am Ende des Buches Tipps, wo und wie Sie die für Sie passende professionelle Unterstützung finden.
Ich wünsche Ihnen von Herzen gutes Gelingen!
Monika Röder
P. S.: Noch ein Satz zum Titel Eheretter. »Ehe« steht hier für »verbindliche Partnerschaft« – ob mit Trauschein oder ohne. Zwischen Mann-Frau, Frau-Frau, Mann-Mann oder was dazwischen. Und ob mit göttlichem Segen oder ohne.
Viele Paare streiten sich schon über die Frage, was Streit ist: »Sei doch nicht immer so aggressiv. Warum wirst du schon wieder laut?«, sagen die einen. »Das ist doch kein Streit. Das ist eine Diskussion!«, sagen die anderen. Wir sind durch unsere Herkunfts- und Familienkulturen unterschiedlich geprägt und empfinden ein bestimmtes Verhalten daher auch ganz unterschiedlich.
Wie ist das bei Ihnen? Finden Sie, Sie streiten zu viel? Oder zu wenig? Oder falsch? Durch welche Art von Auseinandersetzungen sind Sie geprägt? Wurde in Ihrem Elternhaus viel gestritten oder wenig? Wurde es auch mal feindselig? Destruktiv? Verletzend? War das Konfliktverhalten vielleicht auch gewalttätig?
Oder war es bei Ihnen zu Hause eher ruhig? Haben sich die Eltern für ihre Meinungsverschiedenheiten zurückgezogen? Oder haben sie Auseinandersetzungen gänzlich vermieden? Sollten alle nett und harmonisch miteinander sein? Wurden Konflikte evtl. auch unter den Teppich gekehrt?
Was wir als Kinder erfahren haben, prägt oft unseren eigenen Stil, wie wir Konflikte gestalten. Wir lernen dabei am Modell, d. h. am Vorbild der Eltern und anderer Familienmitglieder. Wir sehen und spüren, wie diese miteinander umgehen, und lernen schon allein durch Beobachtung, was uns sinnvoll erscheint: Wenn es beispielsweise zwischen Vater und Mutter oder älteren Geschwistern ziemlich ruppig zugeht, diese dafür übel bestraft werden und uns das Angst macht, dann lernen wir, es lieber anders zu machen und nicht in die gleichen Fettnäpfchen zu treten. Oder wir lernen, genauso tough zu werden und zurückzuschießen.
Neben dem Modell lernen wir auch aus eigenen Erfahrungen. Wenn wir spüren, dass unsere Eltern mit eigenen Problemen beschäftigt sind und uns nur bei bestimmten Leistungen beachten, dann verinnerlichen wir, dass wir etwas leisten müssen, um beachtet zu werden. Wenn wir erleben, dass unsere Eltern liebevolle Gefühle nicht zeigen können, dann lernen wir, mit wenig Zuwendung auszukommen. Vielleicht werden wir auch bloßgestellt oder lächerlich gemacht, wenn wir uns mit unseren Bedürfnissen und Gefühlen zeigen, also lernen wir, sie zurückzuhalten. Vielleicht werden wir sogar schlecht behandelt, geschlagen, abgewertet oder vernachlässigt. Wenn dann niemand da ist, dem wir unser Herz öffnen können, gewöhnen wir uns an, unsere Gefühle zu maskieren und uns unberührbarer zu zeigen, als wir eigentlich sind.
Diese Erfahrungen, die uns in frühen Jahren prägen, werden als Beziehungs- und Bindungsmuster bezeichnet. Sie sind aufgrund des frühen Stadiums in der Hirnentwicklung sehr stabil und meist unbewusst. Solche früh geprägten Muster bilden im Gehirn praktisch den Prototypen für spätere Beziehungserfahrungen. Das funktioniert wie ein Schubladensystem: Wir entwickeln Schubladen mit bestimmten Aufschriften, z. B.: »Ich bin intelligent«, »Ich bin liebenswert«, »Ich schaffe das«, »Ich bekomme Unterstützung, wenn ich sie brauche«, »Ich gehe auf andere zu und werde abgelehnt«, »Ich gehöre dazu und bin gern gesehen« etc. Und alle späteren Beziehungs- und Bindungserfahrungen werden dann in dieses Schubladensystem einsortiert.
Im Gehirn sind dann stärkende und schützende Einstellungen abgespeichert – wie etwa, dass ich liebenswert bin, um Hilfe bitten kann oder klug bin. Doch was ist los, wenn jemand bestimmte wichtige Erfahrungen nicht gemacht hat? Vielleicht kennen Sie jemanden, der z. B. extrem viel leistet, aber nie das Gefühl hat, fertig zu werden? Oder jemanden, der ganz viel Lob und Anerkennung braucht, die positiven Rückmeldungen aber trotzdem nie richtig glaubt? Vielleicht kennen Sie das auch von sich selbst ein bisschen?
Hintergrund ist dabei oft, dass eben die entsprechenden Schubladen nicht oder nur ansatzweise angelegt wurden. Dem kleinen Kind ist vielleicht zu selten gespiegelt worden, dass es liebenswert, fleißig oder talentiert ist. Stattdessen wurden Schubladen angelegt wie »Ich muss alles allein schaffen« oder »Wenn’s mir mal gut geht, kommt ganz schnell was Schlechtes«. Aus diesem Defizit heraus entsteht ein fast unstillbares Bedürfnis danach, Lob oder Anerkennung zu bekommen. Doch wenn es keine Schublade gibt, bleiben die Komplimente einfach nicht hängen! Und jedes Lob des Partners oder der Freundin, jede Leistung fällt einfach durch, wie durch ein Fass ohne Boden.
AUS DEM WIRKLICHEN LEBEN: SABINE UND FRANZ
SABINE ist Kulturmanagerin, und FRANZ arbeitet als Grafiker in einem hippen Atelier. Ihre gemeinsamen Kinder sind groß und gerade aus dem Haus. Eigentlich lieben und schätzen sich beide sehr, aber immer wieder kommt es zu verbissenen Streitszenen, die jeden von beiden extrem belasten.
Heute ist der Auslöser wieder eine Banalität: Die Anspannung ist hoch, weil sie am Abend Freunde erwarten, die sowohl für Sabine als auch für Franz eigentlich stressig sind. Sabine fühlt sich mit den Vorbereitungen alleingelassen und schickt Franz von einer Aufgabe zur nächsten. Der erledigt sie widerstrebend, weil er es ja eh nicht recht machen kann. Innerlich werden beide immer gereizter, weil das Verhalten des anderen sie stresst: Sabine ärgert sich, weil Franz nur so schleppend mithilft und nicht wirklich bei der Sache ist, und Franz wird innerlich immer unmotivierter, weil er findet, dass Sabine ihn rumkommandiert und nur kritisiert.
Beide haben für diese Erlebnisse alte verinnerlichte Muster und Prägungen: Sabine stammt aus einem Elternhaus, in dem es wirtschaftlich eng zuging. Der Vater war meist abwesend und die Mutter mit Sabine und deren kleinen Geschwistern oft allein und völlig überfordert. Sabine musste die Mutter unterstützen und wurde mit ihren eigenen Anliegen und Bedürfnissen nicht gesehen. In emotional bedürftigen Situationen nicht gesehen zu werden und stattdessen das abwesende Gesicht des anderen zu sehen ist für sie zu einem wunden Punkt geworden.
In der Ehe war das anfangs anders. Bei Franz konnte sie sich verletzlich zeigen und wurde damit als Mensch angenommen. Er stand an ihrer Seite, interessierte sich für sie und gab ihr das Gefühl, nicht mehr allein zu sein. In den letzten Jahren vermisst sie das und wird darüber immer wütender und bissiger.
Auch für Franz waren die ersten Jahre mit Sabine erfüllend. Er stammt aus einer sehr leistungsorientierten Familie. Eine Eins in der Schule bedeutete: Ich darf bei Papa auf den Schoß. Eine Zwei brachte noch ein kurzes Lächeln, bei einer Drei wendete der Vater sich ab. Auch bei Sabine spürte er anfangs ihre Bewunderung und fühlte sich zum ersten Mal in seinem Leben okay. Franz hat gelernt, alles zu geben, um sich liebenswert zu fühlen. Doch manchmal klappt es nicht. Er hat gefühlt keine Chance, es reicht nicht, was er gibt, und das ist ein wunder Punkt für ihn geworden. Wenn er dann noch Sabines Wut wahrnimmt, kommt mit der Angst vor Abwertung ein weiterer wunder Punkt dazu. Franz schaltet ab, zieht sich innerlich zurück und wirkt äußerlich unerreichbar.
In Stress-Situationen gehen Sabine und Franz meist beide in ihre Muster. Es folgt ein wechselseitiges Geschehen, das beim Müllrausbringen oder Tischdecken beginnen und in tagelangem eisigen Schweigen enden kann.
Die Wissenschaft streitet noch immer darüber, wie groß der Anteil an genetischer Veranlagung versus Sozialisation bei der Ausprägung unseres Verhaltens ist. Fakt ist: Ein großer Anteil dessen, was wir brauchen und wie wir ticken, wurde biografisch geprägt und damit erlernt. Bei Stress gibt es meist eine »Geschichte hinter der Geschichte«. Das bedeutet, dass es zu den heutigen Verletzungen ganz ähnlich gestrickte Erfahrungen auch in der Vergangenheit gibt.
In der Partnerschaft tauchen unsere frühen Prägungen somit wieder auf. Hier zeigen sich unsere Verletzlichkeiten, hinter denen oft frühere Verletzungen stehen. Der eine reagiert empfindlicher auf einen heftigen Tonfall, der andere dagegen auf Gefühle des Verlassenwerdens und der Nächste auf etwas zu lockere Sprüche. Und hier zeigen sich unsere unterschiedlichen Bedürfnisse: beim einen nach mehr Nähe, beim anderen nach mehr Austausch und Lebendigkeit und beim Dritten nach Harmonie.
Es liegt in der Natur von Paarbeziehungen, dass wir uns vom Partner bzw. der Partnerin wünschen, der oder die andere möge unsere Bedürfnisse stillen, uns guttun und wir könnten daran wachsen. In guten Zeiten funktioniert das auch meist. Aber in schlechten Zeiten tun wir uns gegenseitig weh. Manchmal triff eine Verletzung auf einen alten wunden Punkt oder ein ungestilltes Bedürfnis von früher. Das löst dann in unserem autonomen Nervensystem – der Steuerungszentrale, die für unsere innere Regulation von Herzschlag, Atmung, Muskelspannung usw. zuständig ist – eine Kettenreaktion aus. Unser innerer Gefahrenscanner, das Früherkennungssystem von Bedrohungen, erkennt das Verhalten als alten Schmerz.
Wird dieser Automatismus ausgelöst, funktioniert er wie ein innerer Schalter, mit dem körperliche Prozesse wie von selbst auf eine Abwehrreaktion umgeschaltet werden. Das Umschalten nennt man deshalb Trigger. Ein Wort, eine Geste, ein Verhalten hat dann das Potenzial, einen gerade noch freundlichen Menschen mit einem Schnipp in eine plötzlich feindselige Person zu verwandeln. Wie das genau funktioniert, erkläre ich im nächsten Abschnitt.
Alles Wissenswerte in Kürze
In den ersten Lebensjahren bildet sich im Gehirn der Prototyp für spätere Beziehungs- und Bindungserfahrungen. Positive Erfahrungen prägen unser Erleben von Partnerschaft ebenso wie ungestillte Bedürfnisse und Verletzungen. Für die wunden Punkte erhoffen wir vom Partner Linderung oder Heilung. Zeigt der aber ein Verhalten, das auf einen wunden Punkt trifft, schaltet unser Nervensystem unwillkürlich um in eine Verteidigungs- oder Angriffshaltung.
Nach jedem Abschnitt haben Sie die Möglichkeit, das Erlernte mit eigenen Erfahrungen zu verknüpfen. Die direkte Auseinandersetzung mit sich selbst, mit eigenen Themen und Erfahrungen fördert die Integration und intensiviert den Lernprozess.
Wenn Sie keine Lust dazu haben, überspringen Sie den Übungsteil einfach.
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Wie war die Konfliktkultur in meiner Herkunftsfamilie?
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Wie sind meine Eltern als Paar mit Konflikten umgegangen?
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Wie sind beide mit mir als Kind in schwierigen Situationen umgegangen?
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Gibt es weitere prägende Erfahrungen zu Konflikten?
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Welches Konfliktmuster habe ich ausgehend von dieser Erfahrung selbst entwickelt?
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Mache ich es ähnlich, wie ich es gelernt habe? Oder habe ich eher das Gegenteil entwickelt?
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Welche guten Kompetenzen habe ich in Konflikten?
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Wo bin ich zufrieden mit mir, weil ich eine Kompetenz früh gelernt, gut verinnerlicht oder in späteren Jahren selbstständig entwickelt habe?
Sie haben nun einige Aspekte erwähnt, die Sie im Laufe Ihres Lebens erworben haben. Oft sind es die schwierigen Erfahrungen, die zu »wunden Punkten« und damit zu sogenannten Triggern werden: Das Gehirn erkennt Worte oder ein bestimmtes Verhalten, woraufhin es autonom und automatisch umschaltet auf ein inneres Defensivsystem. Hier haben Sie die Möglichkeit, einige persönliche Triggerpunkte zu identifizieren:
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Welche Worte/welche Verhaltensweisen lassen mich bei meinem Partner/ meiner Partnerin automatisch auf Abwehr schalten?
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Welche Worte/welche Verhaltensweisen lassen mich bei meiner Mutter automatisch umschalten?
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Welche Worte/welche Verhaltensweisen lassen mich bei meinem Vater automatisch umschalten?
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Welche Worte/welche Verhaltensweisen lassen mich bei meinen Kindern automatisch umschalten?
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Welche Worte/welche Verhaltensweisen lassen mich beim Sex automatisch umschalten?
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Welche Worte/welche Verhaltensweisen lassen mich bei der Arbeit automatisch umschalten?
Reflexionen der eigenen Vergangenheit haben nicht das Ziel, irgendjemanden anzuklagen. Das Erkennen von Muster und Herkunft unseres eigenen Beziehungs- und Konfliktverhaltens trägt dazu bei, uns selbst besser verstehen und annehmen zu können. Und das ist die Basis zur Veränderung und zur Entwicklung wirksamer Lösungen.
Streit entsteht fast automatisch, wenn eine Person getriggert wird und unwillkürlich in eine Angriffs- oder Verteidigungshaltung umschaltet. Und das hat wieder mit unserem autonomen Nervensystem zu tun.
Unser Gehirn besteht grob vereinfacht gesagt aus drei Bereichen, die sich evolutionsbiologisch bottom-up, also im Schädel von hinten unten nach vorn oben, entwickelt haben. Der basale und älteste Bereich ist der Hirnstamm. Sein höchstes »Interesse« ist es, dass wir überleben. Er sorgt dafür, dass unser Herz schlägt und die Atmung sowie Stoffwechsel und Kreislauf funktionieren. Es gibt extreme Lebenssituationen wie z. B. einen Schock und traumatische Situationen, in denen alle höheren Hirnfunktionen kollabieren und nur noch der Hirnstamm arbeitet, damit wir überleben.
Darüber liegt das evolutionsbiologisch jüngere limbische System. In diesem Bereich sind unsere Gefühle angesiedelt, die emotionale Alarmzentrale und auch unser Gedächtnis. Hier sind all unsere Erinnerungen in sortierter Form abgespeichert. Ausnahmen gibt es bei traumatisierten Menschen, bei denen manche Erinnerungen aufgrund des damals erlebten Stresses nicht chronologisch, sondern eher verstreut abgespeichert sind. Ein Körpergefühl, bestimmte Worte oder ein Geräusch können also ohne systematische Geschichte abgelegt sein und damit einzeln getriggert werden. Ein vergleichbares Geräusch oder ein Geruch alleine kann dann eine innere Kettenreaktion auslösen und den Organismus in den traumatischen Zustand zurückkatapultieren.
Im limbischen System gibt es auch ein Alarmsystem, das wir Amygdala nennen. Die Amygdala ist dafür zuständig, im gesamten Organismus Alarm auszulösen, sobald über die Sinne etwas erkannt wird, das in der Erinnerung irgendwann mal als Gefahr bewertet wurde. Und weil es für unser Nervensystem die höchste Priorität darstellt, unser Überleben zu sichern, ist die Amygdala so übergründlich, dass sie lieber zehnmal falsch positiven Alarm auslöst, als dass ihr eine Gefahr durch die Lappen geht.