Der Krieg der Welten - Herbert George Wells - E-Book

Der Krieg der Welten E-Book

Herbert George Wells

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H. G. Wells: Der Krieg der Welten | Neuerscheinung 2019, neu editiert, in aktualisierter Rechtschreibung | Weil die Ressourcen ihres eigenen Planeten, des Mars, aufgebraucht sind, überfällt eine überlegene Zivilisation wie aus dem Nichts die Erde, um diese neue rohstoffreiche Quelle auszubeuten. Die lästigen Menschen werden von den emotionslosen Marsianern gnadenlos gejagt und mit Hilfe riesiger dreibeiniger Killer-Roboter und Giftgas kampfunfähig gemacht - um sie dann einem unvorstellbar grausamen Ende zuzuführen. Das Militär ist den technisch weit fortgeschrittenen Angreifern hoffnungslos unterlegen, und die Menschheit blickt einem elenden Ende entgegen ... Rettung scheint nicht denkbar zu sein ... | Dieser im Jahr 1898 erschienene unerreichte Klassiker der Science-Fiction-Literatur löste, als von Orson Welles im Jahr 1938 inszeniertes Radio-Hörspiel, bei vielen Zuhörern, die es als Live-Reportage missverstanden, an der Ostküste der USA Panik aus.

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INHALT

M

OTTO

E

RSTES

B

UCH

– D

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A

NKUNFT DER

M

ARSIANER

Am Vorabend des Krieges

Der Meteor

Auf der Horsell-Weide

Der Zylinder öffnet sich

Der Hitzestrahl

Der Hitzestrahl in der Chobham Road

Wie ich nach Hause kam

Freitagnacht

Der Kampf beginnt

Im Sturm

Am Fenster

Was ich von der Zerstörung von Weybridge und Shepperton gesehen habe

Wie ich mit dem Vikar zusammentraf

In London

Was in Surrey geschah

Der Exodus aus London

Die Thunder Child‹

Z

WEITES

B

UCH

– D

IE

E

RDE UNTER DEN

M

ARSIANERN

Unterwegs

Was wir von dem zerstörten Haus aus erblickten

Die Tage des Festsitzens

Der Tod des Vikars

Die Stille

Ein Werk von fünfzehn Tagen

Der Mann auf dem Putney Hill

Das tote London

Die Verwüstung

Schlusswort

Ü

BER DEN

A

UTOR

WEIL DIE RESSOURCEN ihres eigenen Planeten, des Mars, aufgebraucht sind, überfällt eine überlegene Zivilisation wie aus dem Nichts die Erde, um diese neue rohstoffreiche Quelle auszubeuten. Die lästigen Menschen werden von den emotionslosen Marsianern gnadenlos gejagt und mit Hilfe riesiger dreibeiniger Killer-Roboter und Giftgas kampfunfähig gemacht – um sie dann einem unvorstellbar grausamen Ende zuzuführen. Das Militär ist den technisch weit fortgeschrittenen Angreifern hoffnungslos unterlegen, und die Menschheit blickt einem elenden Ende entgegen ...

Rettung scheint nicht denkbar zu sein ...

Dieser im Jahre 1898 erschienene unerreichte Klassiker der Science-Fiction-Literatur löste, als von Orson Welles im Jahr 1938 inszeniertes Radio-Hörspiel, bei vielen Zuhörern, die es als Live-Reportage missverstanden, an der Ostküste der USA Panik aus.

MOTTO

»Wer aber soll hausen in jenen

Welten, wenn sie bewohnt sein sollten?...

Sind wir oder sie die Herren des Alls?...

Und ist dies alles für den Menschen

gemacht?«

Kepler, zitiert in Burtons

›Anatomie der Melancholie‹, 1621

ERSTES BUCH – DIE ANKUNFT DER MARSIANER

1. Am Vorabend des Krieges

NIEMAND HÄTTE in den letzten Jahren des 19. Jahrhunderts geglaubt, dass unser menschliches Tun und Lassen beobachtet werden könnte; dass andere Intelligenzen, mächtiger als die menschlichen und doch ebenso sterblich, uns bei unserem Tagwerk fast ebenso eindringlich belauschen und erforschen könnten, wie ein Mann mit seinem Mikroskop jene flüchtigen Lebewesen erforscht, die in einem Wassertropfen ihr Wesen treiben und sich darin vermehren. In selbstzufriedener Bequemlichkeit schlenderte die Menschheit mit ihren kleinen Sorgen kreuz und quer auf dem Erdball umher, in gelassenem Vertrauen auf ihre Herrschaft über die Materie. Es ist möglich, dass die Infusorien1 unter der Lupe dasselbe tun.

Niemand dachte daran, dass älteren Weltkörpern Gefahren für die Menschheit entspringen könnten. Jede Vorstellung, dass sie bewohnt sein könnten, wurde als unwahrscheinlich oder unmöglich abgetan. Es mutet merkwürdig an, sich heute der geistigen Verfassung jener vergangenen Tage zu erinnern. Es kam höchstens vor, dass Erdenbewohner sich einbildeten, es könnten Wesen auf dem Mars leben, minderwertige vielleicht, jedenfalls aber solche, die eine irdische Forschungsreise freudig begrüßen würden. Doch jenseits des gähnenden Weltraums blickten Wesen, uns überlegen wie wir den Tieren, ungeheure, kalte und unheimliche Wesen, mit neidischen Augen auf unsere Erde. Bedächtig und sicher schmiedeten sie ihre Pläne gegen uns. Und zu Beginn des 20. Jahrhunderts kam die große Ernüchterung.

Doch so eitel ist der Mensch und so verblendet durch seine Eitelkeit, dass bis zum Schluss des 19. Jahrhunderts nicht ein einziger Schriftsteller jemals dem Gedanken nähertrat, dass dort geistiges Leben überhaupt, oder sogar weit über das irdische Maß hinaus entstehen könnte. Auch wurde aus den Tatsachen, dass der Mars älter ist als unsere Erde, dass er nur den vierten Teil ihrer Oberfläche besitzt und dass er weiter von der Sonne entfernt ist, nie der zwingende Schluss gezogen, dass er nicht nur von den Anfängen des Lebens entfernter, sondern auch dessen Ende näher ist.

Die allmähliche Abkühlung, die auch unserem Planeten bevorsteht, hat bei unserem Nachbarstern schon große Fortschritte gemacht. Seine physische Beschaffenheit ist im Ganzen noch ein Geheimnis. Doch wissen wir jetzt, dass selbst in seinen äquatorialen Regionen die Mittagstemperatur kaum jene unseres kältesten Winters erreicht. Seine Luft ist viel dünner als die unsere, seine Meere sind so weit zurückgetreten, dass sie kaum mehr ein Drittel seiner Oberfläche bedecken, und während des langsamen Wechsels seiner Jahreszeiten bilden sich ungeheure Schneekappen, die an jedem Pol schmelzen und seine gemäßigten Zonen periodisch überfluten. Jenes letzte Stadium der Erschöpfung, für uns noch so unglaublich entfernt, ist für die Marsianer eine brennende Frage geworden. Der unmittelbare Druck der Not hat ihren Verstand geschärft, ihre Kräfte erhöht, ihre Herzen verhärtet. Und indem sie den Weltraum überblickten, sahen sie, ausgerüstet mit Werkzeugen und Geistesgaben, die wir uns kaum träumen lassen, in nächster Entfernung, nur 35.000.000 Meilen sonnenwärts, einen Morgenstern der Hoffnung: Unseren eigenen, wärmeren Planeten, grün vor Vegetation, blau vor Wasser, mit einer wolkigen Atmosphäre, die Fruchtbarkeit andeutet und bei klarer Sicht den Blick auf breite Streifen bewirtschafteten Landes und schmale, dicht befahrene Seen freigibt.

Und wir Menschen, die diesen Stern3 bewohnen, müssen den anderen mindestens so fremdartig und niedrig erscheinen wie die Affen und Lemuren uns. Der intellektuelle Teil der Menschheit gibt bereits zu, dass das Leben ein unaufhörlicher Kampf ums Dasein ist; und es scheint, dass dieser Glaube auch von den Marsbewohnern geteilt wird. Auf ihrem Stern ist die Abkühlung schon weit fortgeschritten. Unsere Welt ist noch voller Leben, aber in ihren Augen ist es nur minderwertiges, tierisches. Den Krieg sonnenwärts zu tragen ist wirklich ihre einzige Rettung vor der Vernichtung, die von Geschlecht zu Geschlecht immer näher an sie heranschleicht.

Und bevor wir sie zu hart beurteilen, müssen wir uns erinnern, mit welcher schonungslosen und grausamen Vernichtung unsere eigene Gattung nicht nur gegen Tiere wie den verschwundenen Bison und den Dodo4, sondern gegen unsere eigenen inferioren Rassen gewütet hat. Die Tasmanier wurden trotz ihrer Menschenähnlichkeit in einem von europäischen Einwanderern geführten Vernichtungskrieg binnen fünfzig Jahren völlig ausgerottet. Sind wir solche Apostel der Gnade, dass wir uns beklagen dürfen, wenn die Marsleute uns in demselben Geist bekriegen?

Die Marsleute scheinen ihren Angriff mit erstaunlicher Genauigkeit berechnet zu haben – ihre mathematischen Kenntnisse sind den unsrigen offenbar weit überlegen – und ihre Vorbereitungen trafen sie mit fast vollkommener Präzision. Hätten unsere Instrumente es erlaubt, so hätten wir die drohende Gefahr schon früh im XIX. Jahrhundert sehen können. Männer wie Schiaparelli5 beobachteten den roten Planeten – beiläufig bemerkt: Ist es nicht seltsam, dass seit ungezählten Jahrhunderten Mars der Stern des Krieges gewesen ist? – , aber sie waren außerstande, die schwankenden Erscheinungen zu erklären, die sie auf ihren Karten so genau verzeichneten. Während dieser ganzen Zeit müssen die Marsleute sich gerüstet haben.

Im Verlauf der Opposition6 von 1894 wurde auf dem erhellten Teil der Scheibe ein großes Licht wahrgenommen, zuerst im Lick-Observatorium, dann von Perrotin in Nizza, später auch von anderen Beobachtern. Englische Leser hörten zuerst davon in einer Nummer der ›Nature‹ vom 2. August. Ich bin der Ansicht, dass die Erscheinung der Reflex des in einer ungeheuren Vertiefung ihres Planeten angebrachten Geschützes war, aus dem ihre Geschosse auf uns gefeuert wurden. Sonderbare, noch unaufgeklärte Zeichen wurden in der Nähe jenes Ausbruchs während der nächsten zwei Oppositionen beobachtet.

Der Sturm brach vor sechs Jahren über uns los. Als der Mars sich der Opposition näherte, gab Lavelle in Java über den Fernschreiber der astronomischen Mitteilungsstation die verblüffende Nachricht von einem ungeheuren Ausbruch weißglühenden Gases auf dem Planeten bekannt. Das hatte am 12. gegen Mitternacht stattgefunden. Das Spektroskop, zu dem er sich sofort begab, zeigte eine Masse flammenden Gases an, hauptsächlich Wasserstoff, das sich mit enormer Schnelligkeit auf die Erde zubewegte. Dieser Feuerstrahl war ungefähr ein Viertel nach Zwölf unsichtbar geworden. Er verglich ihn mit einem ungeheuren flammenden Gebläse, das plötzlich und gewaltsam aus dem Planeten hervorschoss »wie flammendes Gas aus einer Kanone«.

Das erwies sich als ein selten zutreffender Ausdruck. Doch am nächsten Tag las man kein Wort davon in den Zeitungen, nur eine kleine Notiz im ›Daily Telegraph‹. Die Welt verharrte in Ungewissheit über eine der größten Gefahren, die jemals das menschliche Geschlecht bedroht hat. Ich hätte von der Eruption überhaupt nichts gehört, wäre mir nicht der bekannte Astronom Ogilvy in Ottershaw begegnet. Ihn hatte die Nachricht ungemein erregt, und im Übermaß seiner Gefühle lud er mich ein, in jener Nacht mit ihm zusammen eine Sichtung des roten Planeten vorzunehmen.

Trotz allem, was ich seither erlebt habe, erinnere ich mich noch sehr genau jener Nachtwache: Das schwarze, stille Observatorium, die beschattete Laterne, die einen schwachen Schimmer auf den Boden warf, das unausgesetzte Ticken des Uhrwerks am Teleskop, den länglichen Spalt im Dach, der den Blick auf das Sternenmeer freigab. Ogilvy schritt auf und nieder, nicht sichtbar, aber hörbar. Blickte man durch das Teleskop, dann gewahrte man einen tiefblauen Kreis und darin schwimmend den kleinen runden Planeten.

Dicht neben ihm im Gesichtsfeld, erinnere ich mich, waren drei kleine Lichtpunkte, drei teleskopische Leuchtpunkte, unendlich fern, und um sie herum brütete die unergründliche Finsternis des leeren Weltraums. Man weiß, wie diese Finsternis in einer frostigen, sternenhellen Nacht aussieht. Durch das Teleskop betrachtet, scheint sie noch weit tiefer. Und unsichtbar für mich, weil es so fern und klein war, legte jenes Etwas eine unglaubliche Strecke zurück; schnell und stetig flog es auf mich zu, jede Minute um so viele Tausende von Meilen näher heran – jenes Etwas, das sie zu uns schickten und das so viel Kampf und Unheil und Tod über unsere Erde bringen sollte. Als ich spähte, träumte ich nicht einmal von so einem Szenario. Kein Mensch auf Erden träumte damals von jenem unfehlbaren Geschoss.

In dieser Nacht aber erfolgte ein zweiter Ausbruch von Gas auf dem fernen Planeten. Ich sah ihn. Ein rötlicher Blitz an der Kante, die Umrisse nur sehr schwach erkennbar, gerade als der Chronometer Mitternacht schlug. Ich meldete es Ogilvy, und er nahm meinen Platz ein. Die Nacht war wärmer geworden und ich durstig. Mit ungeschickt ausgestreckten Beinen ertastete ich mir in der Dunkelheit den Weg zu dem kleinen Tisch, auf dem die Wasserflasche stand. Ogilvy geriet unterdessen über die Feuerflammen, die auf uns zukamen, in laute Erregung.

In dieser Nacht hatte ein zweites unsichtbares Geschoss seinen Weg vom Mars zur Erde begonnen, bis auf ein oder zwei Sekunden genau vierundzwanzig Stunden nach dem ersten. Ich erinnere mich, wie ich dort an dem Tisch saß; grüne und rote Kreise flimmerten vor meinen Augen. Ich ärgerte mich, dass ich keine Streichhölzer hatte, um rauchen zu können, und dachte wenig über die Bedeutung des winzigen Lichtes nach, das ich gesehen hatte, und darüber, was es mir so bald bringen sollte. Ogilvy blieb bis ein Uhr auf der Warte, dann gab er es auf. Wir zündeten die Laterne an und gingen zu seinem Haus hinüber. Unten in der Dunkelheit lagen Ottershaw und Chertsey mit ihren vielen hundert friedlich schlummernden Menschen.

Ogilvy war in jener Nacht erfüllt von Mutmaßungen über die Beschaffenheit des Mars, und er machte sich über die landläufige Ansicht lustig, er könne Bewohner haben, die uns Zeichen geben. Er glaubte, dass ein heftiger Meteoritenschauer über dem Planeten niedergehe oder dass ein ungeheurer vulkanischer Ausbruch im Gange sei. Er machte mich auch darauf aufmerksam, wie unwahrscheinlich es sei, dass auf zwei benachbarten Planeten die organische Entwicklung denselben Verlauf genommen habe.

»Die Chancen für irgendetwas Menschenähnliches auf dem Mars sind eins zu einer Million«, sagte er.

Hunderte von Beobachtern sahen die Zündung in jener Nacht und in der Nacht darauf, um Mitternacht, und wieder in der Nacht darauf, und so fort zehn Nächte, jede Nacht ein Blitzen. Warum die Schüsse nach der zehnten Nacht aufhörten, hat niemand auf Erden zu erklären versucht. Vielleicht wurden die Gase, die sich beim Abfeuern bildeten, den Marsleuten unangenehm. Dichte Wolken von Rauch oder Dunst, durch ein mächtiges Teleskop für die Erde als kleine graue, fluktuierende Flecken sichtbar, breiteten sich in der klaren Atmosphäre des Planeten aus und verdunkelten seine bekannteren Linien.

Selbst die Tageszeitungen nahmen schließlich von diesen Auffälligkeiten Notiz. Populäre Aufsätze über die Vulkane des Mars tauchten auf; erst hier und da, dann überall. Ich erinnere mich, wie die satirische Zeitschrift ›Punch‹ in einer politischen Zeichnung glücklichen Gebrauch von ihnen machte. Aber unmerklich zogen die Geschosse, welche die Marsleute auf uns abgefeuert hatten, erdwärts und sausten jetzt mit einer Schnelligkeit von vielen Meilen durch den leeren Weltraum, Stunde um Stunde und Tag für Tag näher und näher. Es scheint mir heute fast unglaublich seltsam, dass wir, von dieser rasenden Gefahr bedroht, unseren unbedeutenden Geschäften nachgehen konnten, wie wir es damals taten.

Ich entsinne mich noch, wie Markham jubelte, als er sich für die Illustrierte, die er in jenen Tagen herausgab, eine neue Photographie des Planeten gesichert hatte. Menschen von heutzutage können sich kaum die Unternehmungslust vorstellen, die im Zeitungswesen des 19. Jahrhunderts herrschte. Was mich betraf, so war ich damals sehr damit beschäftigt, Radfahren zu lernen. Überdies war ich für eine Anzahl von Zeitschriften tätig, in denen ich Untersuchungen über die wahrscheinliche Entwicklung moralischer Ideen bei fortschreitender Zivilisation veröffentlichte.

Eines Nachts (das erste Geschoss kann damals kaum 10.000.000 Meilen entfernt gewesen sein) machte ich mit meiner Frau einen Spaziergang. Es war sternenhell, und ich erklärte ihr die Zeichen des Tierkreises. Ich zeigte ihr den Mars, einen kleinen Lichtpunkt, der sich zenitwärts bewegte und auf den so viele Teleskope gerichtet waren.

Es war eine warme Nacht. Auf unserem Heimweg zog eine Gesellschaft Ausflügler aus Chertsey oder Isleworth singend und musizierend an uns vorüber. Die Fenster in den oberen Stockwerken der Häuser wurden hell, als die Leute zu Bett gingen. Vom Bahnhof in der Ferne hörte man Züge rangieren, ein Klirren und Poltern, von der Entfernung fast zur Melodie besänftigt. Meine Frau machte mich auf den Glanz der roten, grünen und gelben Signallichter aufmerksam, die wie in einem Netz gegen den Horizont hingen. So sicher schien alles, so ruhig.

2. Der Meteor

DANN KAM DIE NACHT des ersten fallenden Meteors. Er war früh am Morgen gesehen worden, wie er über Winchester hin ostwärts schoss, eine Flammenlinie hoch in der Atmosphäre. Hunderte müssen ihn gesehen und für eine gewöhnliche Sternschnuppe gehalten haben. Albin machte auf einen grünlichen Strich hinter ihm aufmerksam, der einige Sekunden lang geglüht habe. Denning, unsere größte Autorität für Meteoriten, stellte fest, dass die Höhe seiner ersten Erscheinung ungefähr 90 oder 100 Meilen betrug. Er glaubte, dass er ungefähr 100 Meilen östlich von ihm zur Erde gefallen sei.

Ich befand mich damals gerade zu Hause und schrieb in meinem Studierzimmer. Und obwohl meine Flügelfenster gegen Ottershaw blickten und die Vorhänge aufgezogen waren (in jenen Tagen liebte ich es, den nächtlichen Himmel zu betrachten), sah ich doch nichts davon. Und doch musste dieses seltsamste aller Dinge, das je aus fremden Sphären auf die Erde fiel, gerade niedergegangen sein, während ich dort saß. Und hätte ich nur aufgeblickt, ich hätte es vorbeifliegen sehen können. Manche, die es sahen, behaupten, dass sein Flug von einem zischenden Geräusch begleitet war. Ich selbst vernahm nichts. Viele Leute in Berkshire, Surrey und Middlesex müssen es fallen gesehen haben und hielten es wohl bestenfalls für einen Meteoriten. Niemand scheint sich in jener Nacht die Mühe gemacht zu haben, nach dem gefallenen Brocken zu suchen.

Aber sehr früh am Morgen des nächsten Tages erhob sich der arme Ogilvy, der die Sternschnuppe auch gesehen hatte. Er war überzeugt, dass irgendwo auf der Gemeindeweide zwischen Horsell, Ottershaw und Woking ein Meteorit liegen musste, und ging fort in der Absicht, ihn zu suchen. Wirklich fand er ihn bald nach der Dämmerung, nicht weit von den Sandgruben. Durch den Einschlag des Projektils war ein ungeheures Loch entstanden. Sand und Kiesel waren mit großer Wucht in alle Richtungen über die Heide geschleudert und hatten Haufen gebildet, die anderthalb Meilen weit sichtbar waren. Östlich stand das Heidekraut in Feuer, und ein dünner blauer Rauch stieg in der Dämmerung auf.

Er blieb am Rand des Kraters stehen, den der Körper sich gegraben hatte, und starrte die seltsame Erscheinung an, verblüfft vor allem über die ungewöhnliche Form und Farbe. Der Gedanke, dass diese Erscheinung vielleicht kein Zufall sei, kam schon jetzt leise in ihm auf. Der frühe Morgen war wunderbar still, und die Sonne, die gerade auf die Fichten vor Weybridge schien, war schon warm. Er erinnerte sich nicht, an jenem Morgen Vögel gehört zu haben, kein Lüftchen regte sich. Der einzige Laut kam von den schwachen Bewegungen aus dem Inneren des glimmenden Zylinders. Er war ganz allein auf der Heide.

Da plötzlich bemerkte er, unwillkürlich zurückschreckend, wie ein Stück der grauen, ascheartigen Kruste, die den Meteoriten bedeckte, sich von der kreisrunden Kante des Endes loslöste. Sie fiel in Flocken ab und rieselte auf den Sand. Plötzlich sprang ein großes Stück ab und fiel mit einem so scharfen Klang zur Erde, dass ihm fast das Herz stockte.

Eine Minute lang konnte er kaum begreifen, was das zu bedeuten hatte. Und obwohl die Hitze übermäßig groß war, kletterte er in den Krater hinab, dicht an den Klumpen heran, um ihn näher zu betrachten. Selbst dann noch glaubte er, dass auch dies sich mit der Abkühlung des Körpers erklären lasse. Aber mit dieser Annahme war nicht vereinbar, dass die Asche nur von einem Ende des Zylinders abfiel.

Und da bemerkte er, dass das kreisförmige Schlussteil des Zylinders sich sehr langsam um seine Achse drehte. Es war eine so allmähliche Bewegung, dass er sie nur deshalb erkannte, weil ein schwarzer Strich, der noch vor fünf Minuten in seiner Nähe sichtbar war, jetzt auf der anderen Seite der Scheibe stand. Selbst jetzt verstand er kaum, was das zu bedeuten hatte, als er einen gedämpften, kratzenden Laut hörte und zugleich sah, wie der schwarze Strich sich um etwa einen Zoll vorwärtsbewegte. Da überkam es ihn wie ein Blitz. Der Zylinder war künstlich – hohl – mit einem Ende, das sich abschraubte! Etwas im Inneren des Zylinders schraubte das eine Ende ab!

»Großer Gott!« rief Ogilvy. »Da innen ist ein Mensch – da innen sind Menschen! Halb zu Tode geröstet! Die zu entrinnen suchen!«

Und auf einmal, mit einem raschen Gedankensprung, verband er die Erscheinung mit den Lichtblitzen auf dem Mars.

Der Gedanke an das eingeschlossene Geschöpf war ihm so furchtbar, dass er die Hitze vergaß und an den Zylinder heran stürzte, um die Drehung zu beschleunigen. Zum Glück aber hielt ihn die flirrende Ausstrahlung davon ab, sich an dem noch glühenden Metall die Hände zu verbrennen. Einen Augenblick stand er unschlüssig da, dann wandte er sich um, kletterte aus dem Krater heraus und lief Hals über Kopf nach Woking. Es mochte damals etwa sechs Uhr gewesen sein. Er begegnete einem Fuhrmann und versuchte ihm sein Erlebnis begreiflich zu machen. Aber was er berichtete, dazu sein Aufzug, das war alles so wüst – seinen Hut hatte er in dem Krater verloren –, dass der Mann einfach weiterfuhr. Ganz denselben Misserfolg hatte er bei einem Wirt in der Nähe der Horsell Bridge, der eben die Tür seiner Schenke aufschloss. Der Mann hielt ihn für einen entsprungenen Irrsinnigen und machte einen erfolglosen Versuch, ihn in der Schankstube einzuschließen. Das ernüchterte ihn ein wenig, und als er Henderson, den Londoner Journalisten, in seinem Garten sah, rief er ihn an den Gartenzaun heran und versuchte nun, sich verständlich zu machen.

»Henderson«, rief er, »Sie haben wohl die Sternschnuppe vorige Nacht gesehen?«

»Nun?« sagte Henderson.

»Sie liegt jetzt draußen auf der Horsell-Weide.«

»Donnerwetter!« rief Henderson.

»Ein gefallener Meteorstein! Nicht übel!«

»Aber es ist mehr als ein Meteorstein. Es ist ein Zylinder – ein künstlicher Zylinder, Mann! Und es ist etwas innen im Zylinder.« Henderson, den Spaten in der Hand, neigte sich etwas vor.

»Was sagen Sie da?« fragte er.

Er war auf einem Ohr taub. Ogilvy erzählte ihm nun alles, was er gesehen hatte. Henderson bedurfte etwa einer Minute, um es zu erfassen. Dann ließ er seinen Spaten fallen, griff nach seinem Rock und kam auf die Straße heraus. Beide eilten nun sofort auf die Weide zurück und fanden den Zylinder noch in derselben Lage. Das Geräusch in seinem Innern aber hatte aufgehört, und ein schmaler Reif glänzenden Metalls zeigte sich zwischen dem Schlussteil und dem Körper des Zylinders. An dieser Stelle drang die Luft mit einem schwachen, zischenden Laut entweder hinein oder heraus.

Die Männer lauschten, dann schlugen sie mit dem Stock auf die Kruste. Da keine Antwort kam, schlossen sie beide, dass der Mensch oder die Leute im Innern bewusstlos oder tot seien.

Beide waren natürlich außerstande, etwas zu tun. Sie schrien den Eingeschlossenen einige Trostworte und Versprechungen zu und kehrten zur Stadt zurück, um Hilfe zu holen. Es lässt sich denken, wie sie aussahen, bedeckt mit Staub, verstört und unordentlich, wie sie im hellen Sonnenlicht die kleine Straße entlang eilten, gerade als die Ladenbesitzer ihre Türen aufschlossen und die Leute ihre Schlafzimmerfenster öffneten. Henderson stürzte sofort ins Stationsgebäude, um die Nachricht nach London zu telegraphieren. Die früheren Zeitungsartikel hatten die Leute schon vorbereitet und sie für diese Nachricht empfänglich gemacht.

Um acht Uhr war schon eine Anzahl Knaben und unbeschäftigter Leute zu der Weide aufgebrochen, um »die toten Männer vom Mars« zu besichtigen. Das war die Form, in der die Nachricht sich verbreitete. Ich hörte zuerst davon durch meinen Zeitungsjungen, als ich ausging, um mir meinen ›Daily Chronicle‹ zu holen.

Ich war natürlich aufs Äußerste überrascht und verlor keinen Augenblick, um mich über die Brücke von Ottershaw zu dem Sandhügel zu begeben.

3. Auf der Horsell-Weide

ICH FAND eine kleine Ansammlung von etwa zwanzig Personen, die sich um den Krater scharten, in dem der Zylinder lag. Die Form des ungeheuren im Boden vergrabenen Körpers habe ich bereits beschrieben. Die Erde und die Sandmassen um ihn herum waren verkohlt wie durch eine plötzliche Explosion. Ohne Zweifel hatte das Einschlagen des Körpers eine Stichflamme verursacht. Henderson und Ogilvy waren nicht dort. Ich vermute, sie wussten, dass sich im Augenblick nichts tun ließ, und waren zu Henderson gegangen, um zu frühstücken.

Vier oder fünf Knaben hatten sich an den Rand des Kraters gesetzt, schlenkerten mit den Beinen und vertrieben sich die Zeit damit, das große Gebilde mit Steinen zu bewerfen, bis ich ihnen das Handwerk legte. Nachdem ich mit ihnen darüber gesprochen hatte, begannen sie um die Gruppe der Umstehenden herum ein Fangspiel.

Unter den Leuten bemerkte ich zwei Radfahrer, einen Gartenarbeiter, den ich zuweilen beschäftigte, den Fleischer Gregg und seinen kleinen Sohn, ein Mädchen, das ein Kind trug, und zwei oder drei Müßiggänger und Eckensteher, die gewöhnlich in der Nähe des Bahnhofs herumlungerten. Es wurde sehr wenig gesprochen. In den niederen Ständen Englands hatten nur wenige Menschen in jenen Tagen mehr als sehr schwache astronomische Vorstellungen. Die meisten starrten nur schweigend das große, flache Ende des Zylinders an, das noch genauso war, wie es Henderson und Ogilvy verlassen hatten. Ich glaube, dass die allgemeine Erwartung der Leute, einen Haufen verkohlter Leichen zu finden, beim Anblick dieser unbelebten Masse enttäuscht wurde. Einige Personen gingen fort, während ich dort war, andere kamen. Ich kletterte in die Grube, und es war mir, als hörte ich unter meinen Füßen eine schwache Bewegung. Der Verschluss hatte jedenfalls aufgehört sich zu drehen.

Erst als ich nahe an den Körper herangetreten war, sprang mir die Fremdartigkeit seiner Erscheinung in die Augen. Auf den ersten Blick hatte er wirklich nichts Auffallenderes an sich als ein umgeworfener Wagen oder ein gefällter Baum, der den Weg versperrt. Allerdings nicht ganz so. Mehr als irgendetwas anderem glich er einem rostigen, halbvergrabenen Gasrohr. Es bedurfte schon einer gewissen wissenschaftlichen Bildung, um zu bemerken, dass die graue Kruste auf dem Körper kein gewöhnliches Oxyd war, dass das gelblich-weiße Metall, das auf der Spalte zwischen dem Deckel und dem Zylinder glänzte, einen fremdartigen Farbton besaß. Der Begriff »außerirdisch« hatte für die meisten Zuschauer keine Bedeutung.

Damals war ich schon fest davon überzeugt, dass der Gegenstand vom Planeten Mars gekommen war. Aber ich hielt es für unwahrscheinlich, dass er lebende Wesen enthielt. Ich hielt die Schraubenbewegung für automatisch. Trotz Ogilvys Ansicht glaubte ich aber immer noch, dass es Lebewesen auf dem Mars gebe. Schon spielte ich mit dem Gedanken, dass der Körper Handschriften enthalten könne. Ich malte mir die Schwierigkeiten aus, die sich bei ihrer Übersetzung ergeben würden, ich hoffte auf Münzen und Modelle und so fort. Aber das Ding war doch ein wenig zu groß, um mir die Richtigkeit meiner Vorstellungen zu verbürgen. Ich empfand eine lebhafte Ungeduld, es geöffnet zu sehen. Um elf Uhr etwa, als sich nichts weiter ereignete, kehrte ich, voll von solchen Gedanken, zu meinem Haus in Maybury zurück. Aber es fiel mir schwer, mit meinen abstrakten Überlegungen weiterzukommen.

Am Nachmittag hatte sich das Aussehen der Weide sehr verändert. Die frühen Ausgaben der Abendblätter hatten mit riesigen Schlagzeilen wie

** EINE BOTSCHAFT VOM MARS **

** MERKWÜRDIGER BERICHT AUS WOKING **

... und so weiter ganz London aufgeschreckt. Dazu noch Ogilvys Telegramme an die astronomische Mitteilungsstation, die alle Sternwarten in den drei Königreichen in Aufregung versetzt hatten.

Ein halbes Dutzend oder mehr Flys [kleine Miet-Einspänner] vom Wokinger Bahnhof standen auf der Straße bei den Sandhügeln, dazu ein Korbwagen von Chobham und eine ziemlich vornehm aussehende Privatkutsche. Außerdem sah man eine Unzahl von Fahrrädern. Eine große Menschenmenge musste überdies trotz der Hitze jenes Tages von Woking und Chertsey zu Fuß her gewandert sein. Alles in allem eine beträchtliche Ansammlung – darunter auch einige hellgekleidete Damen.

Es war glühend heiß, nicht ein Wölkchen am Himmel, kein Lüftchen wehte, einige Fichten spendeten den einzigen Schatten. Das brennende Heidekraut war gelöscht worden, aber die Ebene bis Ottershaw war geschwärzt, soweit das Auge reichte und senkrechte Rauchsäulen stiegen immer noch auf. Ein geschäftstüchtiger Obsthändler in der Chobham Road hatte seinen Sohn mit einer Wagenladung grüner Äpfel und Ingwerbier heraufgeschickt.

Als ich zum Rand der Grube kam, fand ich sie von einer Gruppe von Männern, etwa einem halben Dutzend, besetzt – Henderson, Ogilvy und einem großen blondhaarigen Mann (wie ich später hörte, war es Mr. Stent von der Königlichen Astronomischen Gesellschaft) mit einigen Arbeitern, die Spaten und Beile schwangen. Stent gab seine Befehle mit einer klaren, hohen Stimme. Er stand auf dem Zylinder, der jetzt offenbar viel kühler war. Sein Gesicht war dunkelrot und der Schweiß floss ihm in Strömen herab. Etwas schien ihn irritiert zu haben.

Ein großer Teil des Zylinders war nun bloßgelegt, obwohl das untere Ende noch eingebettet lag. Sobald Ogilvy mich unter dem gaffenden Haufen am Rand der Grube bemerkte, rief er mir zu, hinabzukommen und fragte mich, ob ich zum Gutsherrn Lord Hilton hinübergehen wolle.

Die wachsende Menschenmenge, sagte er, sei ein ernstliches Hindernis, das sich ihren Ausgrabungen entgegenstelle, besonders die Knaben. Es müsse ein leichtes Geländer aufgestellt werden, um die Leute zurückzudrängen. Er erzählte mir, dass im Innern des Körpers gelegentlich noch eine leise Bewegung zu hören sei, dass es aber den Arbeitern nicht gelungen wäre, den Schlussteil abzuschrauben, da kein Griff vorhanden sei. Der Körper schien ungeheuer dicke Wände zu haben, und es war möglich, dass die schwachen Laute, die wir vernahmen, von einer Art Nachbeben in seinem Inneren herrührten.

Ich war mit Freuden bereit, seinen Wunsch zu erfüllen, und dadurch einer der bevorzugten Zuschauer innerhalb der geplanten Umzäunung zu werden. Leider traf ich Lord Hilton nicht zu Hause an, man teilte mir aber mit, dass er mit dem Sechsuhr-Zug aus London erwartet werde. Da es erst ungefähr Viertel nach fünf war, ging ich noch nach Hause, trank Tee und ging dann zum Bahnhof, um ihn unterwegs aufzuhalten.

4. Der Zylinder öffnet sich

ALS ICH auf die Weide zurückkehrte, ging die Sonne gerade unter. Zerstreute Gruppen Neugieriger eilten aus der Richtung von Woking heran, und einige Leute kehrten zurück. Die Menge um die Grube war angewachsen und hob sich schwarz vom Zitronengelb des Himmels ab. Es mochten etwa zweihundert Personen sein. Einige laute Stimmen waren vernehmbar und eine Art Kampf schien sich bei der Grube entsponnen zu haben. Die seltsamsten Vorstellungen kreuzten sich in meinem Kopf. Als ich näherkam, hörte ich Stents Stimme.

»Zurück! Zurück!«

Ein Knabe kam auf mich zugelaufen.

»Es bewegt sich!« schrie er im Vorübereilen, »es dreht sich, dreht sich auf. Das gefällt mir nicht. Da gehe ich lieber nach Hause!«

Ich kam der Menge näher. Es mochten alles in allem zwei- bis dreihundert Leute sein, die sich gegenseitig pufften und stießen. Jeder suchte sich vorzuschieben und die anderen zurückzudrängen. Die wenigen Damen, die zugegen waren, hielten sich dabei nicht im Geringsten zurück.

»Er ist in die Grube gefallen!« rief einer.

»Zurück!« schrien andere.

Die Menschenmenge schwankte ein wenig, und ich arbeitete mich mit den Ellbogen hindurch. Alle schienen in höchster Aufregung zu sein. Aus der Grube heraus scholl ein eigentümliches summendes Geräusch.

»Ich bitte Sie!« rief Ogilvy. »Helfen Sie mir, diese Narren zurückzudrängen. Wir wissen ja noch nicht, was in diesem verwünschten Ding steckt!«

Ich sah einen jungen Mann (ich glaube, es war ein Kommis aus Woking) auf dem Zylinder stehen und sich bemühen, wieder aus dem Krater herauszukriechen. Die Menge hatte ihn hineingestoßen.

Der Schlussteil des Zylinders wurde von Innen heraus aufgeschraubt. Schon waren nahezu zwei Fuß der glänzenden Schraube sichtbar. Jemand stieß mich unversehens von hinten, und ich entging nur mit knapper Not der Gefahr, auf das Schrauben-Ende zu stürzen. Ich wandte mich um, und in diesem Augenblick muss die Schraube herausgekommen sein. Der Deckel des Zylinders schlug dröhnend auf dem Kieselboden auf. Ich stieß meine Ellbogen gegen jemand hinter mir und wandte mich wieder dem Koloss zu. Einen Augenblick lang schien die kreisrunde Öffnung völlig schwarz. Der Glanz der sinkenden Sonne blendete meine Augen.

Ich glaube, jedermann erwartete einen Menschen auftauchen zu sehen – wahrscheinlich ein wenig von uns irdischen Menschen unterschieden, aber im Wesentlichen doch einen Menschen. Ich wenigstens erwartete es. Aber als ich genauer hinsah, bemerkte ich plötzlich, wie sich im Schatten etwas rührte, grau, in wellenförmigen Bewegungen, eines über dem andern. Und dann gewahrte ich zwei glühende Scheiben wie Augen. Dann löste sich etwas, das einer kleinen grauen Schlange glich, etwa in der Stärke eines Spazierstockes, aus der sich windenden Masse und schlängelte sich in der Luft gegen mich – und dann ein zweites.

Mich durchfröstelte es plötzlich. Hinter mir hörte ich eine Frau laut kreischen. Ich drehte mich halb um, meine Blicke unverwandt auf den Zylinder geheftet, aus dem immer neue Fühler sich herauswanden. Dann begann ich, mir einen Weg vom Rand der Grube zurückzubahnen. Ich sah, wie sich das Erstaunen in den Gesichtern der Leute in Entsetzen verwandelte. Von allen Seiten hörte ich wilde Schreie und Ausrufe. Ein allgemeines Zurückdrängen begann. Ich sah, wie der Kommis sich noch immer abmühte, aus der Grube herauszukommen. Dann sah ich mich allein und bemerkte, wie die Leute auf der anderen Seite der Grube flüchteten, unter ihnen Mr. Stent. Ich wandte mich wieder dem Zylinder zu, und ein unbändiger Schrecken ergriff mich. Wie versteinert stand ich da und starrte.

Ein großer, grauer, gedrungener Körper, ungefähr von der Größe eines Bären, schob sich langsam und schwerfällig aus dem Zylinder. Als er sich aufrichtete und vom Licht beschienen wurde, glänzte er wie nasses Leder. Mit seinen zwei großen, dunkelgefärbten Augen blickte das Geschöpf mich unverwandt an. Es hatte unter den Augen einen Mund, dessen Rand unausgesetzt zitterte und von Speichel troff. Der Rumpf hob und senkte sich unter heftigem Keuchen. Ein schlankes fühlerartiges Anhängsel hielt den Rand des Zylinders umklammert, ein anderes schlängelte sich in der Luft.

Wer nie einen lebenden Marsianer gesehen hat, wird sich die grauenvolle Hässlichkeit seiner Erscheinung kaum vorstellen können. Der seltsame V-förmige Mund mit seiner zugespitzten Oberlippe, die fehlenden Augenbrauen, das fehlende Kinn unter der keilförmigen Unterlippe, das unaufhörliche Zittern des Mundes, die gorgonenartige Gruppe der Fühler, das geräuschvolle Atmen der Lungen in dieser fremden Atmosphäre, die augenfällige Schwerfälligkeit und Mühseligkeit der Bewegungen (ohne Zweifel eine Folge der größeren Anziehungskraft der Erde), vor allem aber die außergewöhnliche Intensität der ungeheuren Augen – das alles zusammen verursachte eine Übelkeit, als ob man seekrank würde. Ihre ölige braune Haut hatte etwas Schwammiges, und in der plumpen Bedächtigkeit ihrer schwerfälligen Bewegungen lag etwas unbeschreiblich Erschreckendes. Schon bei dieser ersten Begegnung, bei diesem ersten Anblick wurde ich von Abscheu und Grauen überwältigt.

Plötzlich verschwand das Ungetüm. Es war über den Rand des Zylinders getaumelt und in die Grube gefallen, wo es aufschlug, als fiele eine große Menge Leders zur Erde. Ich hörte es einen seltsamen, dumpfen Schrei ausstoßen, und in demselben Augenblick erschien ein zweites dieser Geschöpfe in dem tiefen Schatten der Öffnung.

Bei diesem Anblick verließ mich die Erstarrung, die der erste Schreck hervorgerufen hatte. Ich kehrte mich um und rannte wie besessen bis zur nächsten Baumgruppe, die etwa hundert Yards entfernt war. Aber ich lief kreuz und quer und stolperte alle Augenblicke, denn ich brachte es nicht über mich, meine Augen von jenen Vorgängen abzuwenden.

Zwischen einigen jungen Fichten und Ginsterbüschen machte ich keuchend halt, um die weitere Entwicklung der Dinge abzuwarten. Die Weide rings um die Sandhügel war mit Leuten besät, die wie ich trotz des Grauens fasziniert dastanden und auf jene Geschöpfe oder vielmehr auf die Steinhaufen am Kraterrand starrten. Dann sah ich mit erneutem Entsetzen einen runden schwarzen Gegenstand, der an diesem Rand bald auftauchte, bald verschwand. Es war der Kopf jenes Kommis, der in die Grube gefallen war; er hob sich wie ein kleiner schwarzer Gegenstand vom glühenden Abendhimmel ab. Jetzt brachte er Schultern und Knie herauf und wieder schien er zurückzugleiten, bis nur noch sein Kopf sichtbar war. Plötzlich verschwand auch dieser, und mir war, als hätte ein schwacher Schrei mich erreicht. Ich hatte einen Augenblick den Impuls, zurückzugehen und ihm zu helfen. Aber meine Furcht behielt die Oberhand.

Jetzt war nichts mehr zu sehen, da alles von der tiefen Grube und den Sandhaufen, die der Zylinder beim Aufprall gebildet hatte, verdeckt war. Wer jetzt die Straße entlang von Chobham oder Woking gekommen wäre, den hätte das Schauspiel, das sich ihm bot, in Erstaunen gesetzt: eine verstreute Menge von etwa hundert oder mehr Leuten, in einem großen unregelmäßigen Kreis in Mulden, hinter Büschen, hinter Zäunen und Hecken stehend, kaum miteinander redend, und dann nur in kurzen erregten Rufen, und unablässig auf einige Sandhaufen starrend. Der Karren mit dem Ingwer-Bier, ein seltsames Überbleibsel, stach schwarz von dem glühenden Abendhimmel ab. Bei den Sandgruben stand eine Reihe verlassener Fuhrwerke, deren Pferde aus Hafersäcken fraßen oder ungeduldig den Boden aufscharrten.

5. Der Hitzestrahl

NACH DEM BLICK auf die Marsleute, wie sie aus dem Zylinder, in dem sie von ihrem Planeten auf die Erde gekommen waren, hervorkrochen, war ich wie von einem Zauber gelähmt. Ich verharrte knietief im Heidekraut und starrte auf die Sandhügel, die sie verbargen. In mir tobte ein Kampf zwischen Angst und Neugierde.

Ich wagte nicht zur Grube zurückzugehen; aber ich wünschte leidenschaftlich, einen Blick hineinzuwerfen. Ich begann daher in einem weiten Bogen herumzugehen, um einen geeigneten Aussichtspunkt zu finden, dabei aber behielt ich fortwährend die Sandhaufen im Auge, die jene merkwürdigen Ankömmlinge auf unserer Erde meinen Blicken entzogen. Auf einmal zuckte ein Gewirr dünner schwarzer Peitschen, wie Arme eines Polypen, vor dem Sonnenuntergang auf, um sofort wieder zu verschwinden. Dann kam schubweise ein dünner Stab hoch, an seiner Spitze eine kreisrunde Scheibe, die sich in schwerfälliger Bewegung drehte. Was konnte dort vor sich gehen?

Die meisten Zuschauer hatten sich in zwei Gruppen gesammelt – ein kleiner Menschenhaufen stand gegen Woking zu und ein Knäuel von Leuten in der Richtung nach Chobham. Offenbar waren die Leute in demselben seelischen Zwiespalt wie ich. Nur wenige waren ganz in meiner Nähe. In einem Mann erkannte ich einen meiner Nachbarn, obwohl ich seinen Namen nicht wusste. Ich trat auf ihn zu und redete ihn an. Es war aber kaum ein günstiger Augenblick für eine vernünftige Unterhaltung.

»Was für scheußliche Tiere!« sagte er. »Herrgott, was für scheußliche Tiere!« Er wiederholte das immer wieder.