Der letzte Steinmagier - James A. Sullivan - E-Book
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Der letzte Steinmagier E-Book

James A. Sullivan

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Beschreibung

Chaos herrscht im Kaiserreich, nachdem in der Schlacht von Wuchao alle Steinmagier ums Leben gekommen sind. Alle, bis auf einen: Wurishi Yu, der von seinem Meister absichtlich zurückgelassen worden ist, um als letzter die Tradition und die Magie seiner Zunft zu bewahren. Und um eine Schuld zu begleichen. Denn einst wurde die Kaiserin von einem abtrünnigen Steinmagier in eine Statue verwandelt und nur ihre Erlösung kann die Finsternis, die seitdem über das Reich hereingebrochen ist, vertreiben. Mit dem Erbe seines Meisters, einer kostbaren Schriftrolle, macht sich Yu an die schier unlösbare Aufgabe, wird aber schon bald von dem machthungrigen Fürsten Dayku Quan verfolgt, der sich in den Besitz des Geheimnisses der ewigen Jugend bringen will. Doch dann erhält Yu unerwartet Hilfe.

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Seitenzahl: 776

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James  A. Sullivan

Der letzte Steinmagier

Roman

Edel eBooks

Inhalt

PROLOG

DIE SCHLACHT VON WUCHAO

DIE FLUCHT DES STEINMAGIERS

DIE WILDNIS VON HURIN-JU

BEOBACHTUNGEN EINES SCHATTENS

DER LETZTE STEINMAGIER

DER GRÜNE KRIEGER

DIE NACHT DER ENTHÜLLUNGEN

TJAIRISHI

DIE STADTGARDE VON TJAIRISHI

DER SCHATTEN, DIE JUNGFRAU UND DIE TÜR

AUSWEGE

DAS WANDELNDE FÜRSTENTUM

DER SCHATTEN

DIE RUINE VON SEI LI HANG

HEILUNG

UNGNADE

EINE FRAGE DER WAHRNEHMUNG

EIN LANGER LEBENSWEG

FENJIO

IN DER STUDIERSTUBE

DIE ABENTEUER DES SANKOU YAN

ERSTE ERKENNTNISSE

JHUTSUN LI, OKALÄNG SHI UND DIE DAMEN DES HAUSES DJARUN

FORTSCHRITTE

DIE WEGE DES GRÜNEN KRIEGERS

ERKENNTNISSE EINER LEIBWÄCHTERIN

MEISTER YU

DER GROSSE WALD

IM REICH DES DAYKU QUAN

ERINNERUNGEN AN IRISHIEN UND WUCHAO

IM HERZEN NIWAEN-JUS

DAS ERBE DER WURISHI

IM KERKER

DIE ENTSCHEIDUNG DES GLING WE

AUF DER SPUR DER SCHRIFTROLLE

DER FÜRST AUF DER FESTUNG

IM FELSEN GESCHMIEDETE PLÄNE

IM KERKER

DER WEG NACH IRISHIEN

MIT JEDEM ATEMZUG

AUF WURISHIJIANS SPUREN

IM SCHEIN DER LICHTSÄULE

DAS NEUE ZEITALTER

DAS GEHEIMNIS, DAS KEINES WAR

EPILOG

PROLOG

Das hast du gut gemacht, Leyuun.“ Wurishi Yu betrachtete den Sohn des Kaisers voller Bewunderung. Der Junge war fünf Jahre alt und zeigte die Klugheit eines Zehnjährigen. Ein Jammer, dass man ihn zum Krieger ausbilden würde.

„Danke, Meister Yu“, sagte Leyuun.

„Du hast dir eine Belohnung verdient. Einen Zauberstein oder ein ...“

„Eine Geschichte möchte ich“, rief der Junge.

„Eine Geschichte? Ob das ein guter Handel ist?“

„Du hast am Hof die Geschichte der ersten Steinmagier erzählt.“

„Hast du etwa gelauscht?“

Leyuun grinste. „Manche Wände im Palast sind dünn.“

Der Magier lachte. „Und welche Geschichte möchtest du hören?“

„Wenn es früher so viele Steinmagier gegeben hat und sie so mächtig waren, wie kann es dann sein, dass du der Letzte von ihnen bist? Hatten sie nicht die ewige Jugend gewonnen?“

Meister Yu nickte und legte die Stirn in Falten. „Die Antwort darauf liegt in einer Zeit, in der die Steinmagier sich zerstritten hatten.“ Meister Yu schaute ins Leere. „Ich war ein junger Mann, fast noch ein Kind. Und es herrschte Chaos im Kaiserreich.“

„Chaos im Kaiserreich?“, fragte der Junge mit überraschter Miene.

Leyuun wusste nichts von dem, was damals geschehen war. Kaiser Irishi Beyuun, Leyuuns Vater, hatte verfügt, dass niemand außer Meister Yu dem Jungen erzählen durfte, welches Unglück einst über das Kaiserhaus gekommen war. Leyuun kannte nur den Glanz der Herrscherfamilie, die Geschichten, die man einem Kind gerne erzählte. Man hatte ihm nur von Kaiser Irishi Yang, dem Begründer der Irishi-Dynastie erzählt. Doch über dessen Nachfolger und die finsteren Jahre durfte niemand zu dem Jungen sprechen. Es oblag allein Meister Yu zu entscheiden, wann Leyuun so weit war, die Wahrheit zu erfahren.

„Wir setzen uns nach draußen“, sagte Yu. „Dort erzähle ich dir, was damals geschah.“

So verließen der Magier und der Schüler die Studierstube und traten auf eine Terrasse hinaus, wo sie über die Hauptstadt Irishien und das Herzland des Kaiserreiches blicken konnten.

Dem jungen Thronfolger lag ein Lächeln auf den Lippen, wie jedes Mal, wenn er über das Land schaute, über die Dächer und Mauern Irishiens hinweg, über das Grasland bis hin zu den Wäldern und den Festungen, die den Rand des Herzlandes markierten.

Schließlich wandte der Junge seinen Blick von der Landschaft ab und schaute Meister Yu mit großen Augen an. Er wollte die Geschichte hören, die Yu ihm versprochen hatte.

„Es ist an der Zeit, dass du erfährst, wie nahe die Irishi-Dynastie am Abgrund stand“, sagte Yu mit der Stimme eines Geschichtenerzählers. „Es war ein Abgrund, der sich durch die Steinmagie aufgetan hatte und durch sie wieder geschlossen wurde.“

„Aber unsere Dynastie begründet sich auf die Steinmagie. Mein Vater sagt, unsere Macht blüht und welkt mit der Steinmagie. Heißt das, in der Zeit des Chaos stand es schlecht um die Steinmagie? War unsere Herrschaft bedroht?“

„Ja, so ist es, Leyuun. Es ist unsere Schuld. Deine Großmutter war zu jener Zeit die Letzte des Hauses Irishi. Und hätte sie einen Bruder oder auch nur einen Cousin gehabt, wäre sie nie auf den Thron gelangt.“

„Warum?“, fragte Leyuun.

„Weil damals eine Frau nur herrschen durfte, wenn kein Knabe die Herrschaft antreten konnte.“

„Dann war es ein Glück, dass keine anderen Verwandten da waren.“

Yu nickte. „Ihr Vater, Irishi Ang, hatte bereits viel erreicht, doch auf der Höhe seiner Macht fiel er im Kampf gegen den Fürst von Tjaifen-ju. Trotz seines Todes wurde die Schlacht gewonnen, und deine Großmutter konnte rasch das Kaiserreich einen. Sie war die größte Kaiserin, die Niwaen-ju je hatte. Sie war eine hervorragende Feldherrin, auch wenn sie selbst nie auf dem Schlachtfeld kämpfte. Sie verfügte nämlich über die Armee der lebenden Statuen.“

„So wie mein Vater?“, fragte Leyuun aufgeregt.

Yu lächelte. „Alles, was dein Vater über die Steinkrieger weiß, hat deine Großmutter ihm beigebracht. Irishi Chans Vorgänger hatten die lebenden Statuen nicht beherrschen können. Sie waren aus sehr unterschiedlichen Gründen für diese Art der Machtausübung nicht empfänglich gewesen. Deine Großmutter aber besaß die Gabe, die Steinfiguren aus dem Schlaf zu wecken und ihrem Willen zu unterwerfen.“

„Und mit diesen Kriegern konnte Großmutter das Reich wieder einen?“

„Ja. Und es hätte ein Goldenes Zeitalter werden können. Deine Großmutter war im richtigen Alter, den Zauber der ewigen Jugend zu empfangen. Sie war Mitte zwanzig. Doch sie zögerte es hinaus.“

Leyuun machte ein nachdenkliches Gesicht. „Natürlich.

Frauen, die ewig jung sind, können keine Kinder kriegen.“

Es tat weh, diese Wahrheit aus dem Munde eines Kindes zu hören, denn auch Meister Yu litt mit seiner Frau unter dieser traurigen Tatsache.

„Ja, Leyuun“, sagte er. „Wer ewig jung ist, der altert nicht. Alles im Körper strebt danach, so zu bleiben, wie es ist. Da kann kein Kind heranwachsen. So schob deine Großmutter den Zauber hinaus und nahm sich Hujio Bing zum Gatten. Bald schon erwartete sie ein Kind. Doch ehe sie es gebären konnte, kam das Chaos, von dem ich sprach. Es erhob sich Widerstand im Fürstentum Daykun-ju, und in diesem Krieg starb dein Großvater durch ein Attentat. Doch Irishi Chan konnte das Blatt wenden, und sie hätte den Widerstand gebrochen, wenn nicht ...“ Meister Yu zögerte auszusprechen, was nie hätte geschehen dürfen. „Ein Steinmagier, den wir She-bi – die Schlange – nennen, drang in den Palast ein und sprach einen Zauber über die Kaiserin und damit auch über ihr ungeborenes Kind, deinen Vater. Sie erstarrten zu Stein. Zum Glück konnte She-bi die Insignien des Kaiserreiches nicht stehlen, denn die Leibwächterinnen der Kaiserin und die steinernen Palastwachen trieben ihn in die Flucht.“

„Wurde er gefasst?“, fragte Leyuun.

„Mein Meister und einige Gefährten spürten ihn auf, ließen ihn zu Stein erstarren und stürzten die Statue in einen Abgrund.“

Yu achtete darauf, wie Leyuun reagierte, und er war zufrieden zu sehen, dass der Junge keine Freude über die Rachetat zeigte. Stattdessen schien ihn etwas ganz anderes zu beschäftigen.

„Wie fühlt es sich wohl an, versteinert zu sein?“, fragte Leyuun. „Merkt man, was um einen herum geschieht?“

„Nein. Es ist, als würde man ganz und gar aus der Welt herausgeschnitten. Man schwebt in der Finsternis zwischen den Welten. Die meisten Menschen dort schlafen und merken nicht, wie die Zeit vergeht. Doch deine Großmutter war mit wachem Geist in der Dunkelheit gefangen. Und sie war nicht allein. Die Geister der steinernen Krieger waren bei ihr, denn sie waren an die Seele ihrer Herrin gebunden.“

„Haben die Steinkrieger Großmutter beschützt?“

„Ja. Die Kaiserin konnte ihnen zwar keine Befehle mehr geben, aber sie schützten den Thronsaal und bewachten weiterhin die Orte, die sie zuvor bewachen sollten.“ Meister Yu erhob sich und deutete auf das Feld vor der Stadt. „Jene Steinkrieger, die im Kaiserreich unterwegs waren, bildeten einen Wall um Irishien, damit kein Heer zu ihrer Herrin gelangen konnte. So war deine Großmutter sicher, und an die Insignien konnte niemand herankommen.“ Yu deutete in die Ferne. „Du kennst die Festungen, die die Stadt umgeben?“

„Ja“, antwortete Leyuun. „Dort endet das Herzland.“

„Heute sind die Festungen zum Schutz Irishiens da. Doch sie wurden nicht auf kaiserlichen Befehl erbaut. Sie wurden von den mächtigen Fürsten und Provinzverwaltern erbaut, nachdem deine Großmutter versteinert wurde. Die meisten von ihnen lauerten nur darauf, an die Insignien zu gelangen und sich zum Kaiser auszurufen. Im Grunde sind es Belagerungsfestungen gewesen. Von dort aus führten die Fürsten immer wieder Streitmächte an, um gegen die steinernen Krieger zu kämpfen und in die Stadt vorzudringen. Bald herrschte Krieg. Fürst kämpfte gegen Fürst, und Steinmagier gegen Steinmagier.“

„Und so gab es immer weniger von eurer Art?“

Yu nickte. „Und doch kämpften wir weiter. Wir gaben nicht nach. Manche dienten ihren Fürsten, indem sie andere Steinmagier töteten und deren Erbe erbeuteten. So wie die Fürsten davon träumten, einst Kaiser zu sein, so träumten viele Steinmagier davon, zum mächtigsten Zauberer Niwaen-jus zu werden. Indes versuchten andere, die Kaiserin zu retten, um die Ordnung wiederherzustellen. Doch sie scheiterten und versuchten fortan, dem Machtstreben der anderen Steinmagier Einhalt zu gebieten. Selbst die Ältesten von uns standen sich nun als Feinde gegenüber und sammelten Verbündete hinter sich. Am Ende gipfelte alles in der Schlacht von Wuchao.“

„Wuchao!“, sprach der Junge voller Ehrfurcht. Seine Augen glänzten. „Erzähl mir von Wuchao! Dort soll eine Art Festung der Steinmagier gestanden haben.“

„Einst war es so. Doch als ich jung war, gab es davon nur noch die Ruinen. Sie waren ein Mahnmal dafür, dass die Einheit auseinandergebrochen war. Aber es wirkte dort noch Magie.“

„Und dort haben sie sich zur Entscheidungsschlacht getroffen?“

„Eigentlich sollte es eine Schlacht nur zwischen Fürst Dayku Quan und Fürst Hujio Jin sein, dem Neffen deines Großvaters. Die Steinmagier beschlossen aber, diese Schlacht in Wuchao zum Anlass zu nehmen, den Streit unter ihnen selbst ein für alle Mal zu entscheiden.“

„Erzähle mir von dieser Schlacht, Meister. Und was dann geschah. Von deinen großen Taten. Und von der Rettung meiner Großmutter. Aber zuerst die Schlacht von Wuchao!“

Meister Yu legte dem jungen Thronfolger die Hand auf die Schulter. „Beruhige dich, Leyuun. Wir haben alle Zeit, die wir uns nehmen. Ich erzähle dir, was in Wuchao geschah und was dann passierte. Doch es wird dich wundern, dass ich damals selbst nicht in Wuchao war, sondern in der Stadt Hujio. Und dennoch konnte ich die Schlacht beobachten.“

DIE SCHLACHT VON WUCHAO

Wurishi Yu legte seine Hand auf das glatte Bronzesiegel und sprach im Stillen die Worte des geheimen Zaubers. Aus den Wänden links und rechts ertönte ein lautes Beben, und schon bewegten sich die beiden steinernen Torflügel.

Die sechs Wachen, die mit Wurishi Yu gekommen waren, wichen zurück. Ihre Mienen zeigten zuerst Erstaunen, dann Neugier. Yu konnte es ihnen nicht verdenken, dass sie einen Blick in den legendären Saal der Unsterblichen erhaschen wollten. Die Stadt Hujio war für diesen Ort im ganzen Fürstentum und weit darüber hinaus bekannt.

Doch als das Tor offen stand, war den Wachen die Enttäuschung anzusehen. Man sah nichts als eine Treppe, die in die Finsternis hinabführte. Aus der Tiefe drang ein Geruch herauf, der Wurishi Yu vertraut war und auch den Wachen auffiel.

Einer von ihnen, der ebenso jung wie Yu war, sog die Luft tief ein und murmelte: „Wie die Gebirgsbäche in Shi Mishui-ju.“

Wurishi Yu schmunzelte. Im Blick des jungen Wächters stand die Erinnerung an die Gebirge des Nordens geschrieben. Offenbar stammte er von dort und ahnte nicht, wie viel Wahrheit in seinen Worten lag. Im Gebirge der Provinz Shi Mishui-ju schlummerte viel Magie. Ohne es zu wissen, schnupperte der junge Wächter am Zauber, der weit unten in der großen Halle wirkte.

Für Wurishi Yu war die Magie in der Tiefe mehr als ein Duft. Er konnte ihre Macht spüren wie die Wärme eines Feuers, dem er sich näherte. Der junge Magier schritt über die Schwelle und schaute sich zu den Wachen um. Die Männer rührten sich noch immer nicht und starrten ihn an, als wollten sie fragen, ob er sich seiner Sache wirklich sicher sei. Es war das erste Mal, dass Yu die Halle betrat. Zudem befanden sich alle anderen Magier bei der Streitmacht ihres Fürsten in Wuchao, das mehrere Reittage entfernt lag. Der junge Yu war als Einziger von ihnen zurückgeblieben.

Die Mienen der Wachen ließen keinen Zweifel daran, dass sie ihn als unreifen Jüngling betrachteten. Und das, obwohl sie selbst junge Männer in ihren Reihen hatten. Doch für Krieger galten andere Regeln als für magier. Die besten Krieger waren jung, die besten Magier alt. Zwar konnte man den meisten Steinmagiern ihr Alter nicht ansehen, doch jeder wusste, dass Wurishi Yu erst neunzehn Jahre alt war. Er hatte sich längst daran gewöhnt, unterschätzt zu werden, und manches Mal auch großen Nutzen daraus gezogen.

Yu ließ sich von den Blicken der Wachen nicht beirren. Er verhielt sich so, wie es sein Meister ihm aufgetragen hatte. Er tastete jenseits der Pforte zu seiner Linken nach einem weiteren Siegel und fand es. Es war ebenso glatt wie jenes auf den Torflügeln, doch bestand es nicht aus Bronze, sondern aus Gold.

Vorsichtig strich Wurishi Yu mit den Fingerspitzen über das Siegel. Es war kalt und schien von Yus magischen Kräften zu zehren. Schon gerieten die Torflügel wieder in Bewegung und begannen sich langsam zu schließen. Die Zauberkraft, die dazu nötig war, raubte das Siegel von Wurishi Yu.

Sein Meister hatte gesagt, die Siegel seien Lebewesen. Dem ersten müsse er den geheimen Zauber anvertrauen, dem zweiten den Wegzoll an magischer Kraft entrichten. Wurishi Yu hatte sich bis zu diesem Augenblick gefragt, ob die Worte des Meisters metaphorisch zu verstehen waren. Nun wusste er, dass da etwas Beseeltes von seiner Kraft zehrte.

Der Lichtschein der Fackeln, welche die Wachen trugen, verengte sich zwischen den sich schließenden Torflügeln zu einer einzigen Linie aus Licht, bis sich das Tor mit einem tiefen Knirschen schloss und Wurishi Yu von völliger Finsternis umgeben war.

Der magische Sog verging, und das Siegel war nun warm. Offenbar hatte Yu seinen Wegzoll entrichtet.

Der junge Magier tastete nach dem Lederbeutel an seinem Gürtel. Darin befanden sich seine Steine. Auf manchen lag bereits ein Zauber, andere warteten noch darauf, magische Kräfte aufzunehmen. Yu nahm den größten Stein heraus, einen ovalen Edelstein, so groß wie die Faust eines Säuglings.

Er legte ihn auf seine Hand und sprach die Worte: „Lihari-shi lihareng hushu.“

Wie die meisten Zaubersprüche war auch dieser auf Alt-Niwaenyi verfasst, eine Sprache, die nur die Gelehrten kannten. Kaum hatte Yu die Worte gesprochen, erglomm im Stein ein feuriges Licht. Es pulsierte und wurde heller und heller, bis es schließlich die Treppe hinab vorausleuchtete.

Wurishi Yu machte sich an den Abstieg. Die Wände waren vollkommen glatt, nicht das Werk grober Hacken, sondern der Steinmagie. Yu hatte sich in den Bergen selbst schon an dem Zauber versucht, der solche Gänge und Treppen hervorbrachte, und schämte sich ein wenig, weil das, wofür andere Menschen jahrelang in Minen schuften mussten, für ihn nur eine Frage des richtigen Zaubers war. Während er von Versuch zu Versuch seine Technik verfeinerte und sein Geist immer mächtiger wurde, verschlissen die Körper der Minenarbeiter mit jedem Tag ein wenig mehr.

Die meisten der von Steinmagiern geschaffenen Gänge zeichneten sich nicht nur durch glatte Wände aus, sondern auch durch kunstvolle Verzierungen. Hier in Hujio gab es jedoch weder Fresken noch irgendwelche Malereien. Yu musste an die alten Hallen von Wuchao denken. Zwar war alles, was dort einst bewahrt worden war, zerstört oder verloren, doch die atemberaubenden Wandgemälde und die perfekt gearbeiteten Stufen zeugten noch davon, dass die große Halle von Wuchao einst ein Kunstwerk gewesen sein musste, nicht nur ein Ort der Magie.

Mit der Halle von Wuchao war vor langer Zeit auch der Frieden unter den Steinmagiern zerstört worden. Und so herrschte im Kaiserreich nicht nur ein Krieg der Fürsten, sondern auch seiner Magier. Seit She-bi die Kaiserin zu Stein verwandelt hatte, war das Kaiserreich Niwaen-ju nicht mehr zur Ruhe gekommen. Es hatte viele Auseinandersetzungen gegeben, die in Kämpfen zwischen den Zauberern gemündet waren. Und nun kam es zur Schlacht von Wuchao, wo auf beiden Seiten Krieger und Magier Seite an Seite kämpften.

Während die Schlacht von Wuchao für die Fürsten Dayku Quan und Hujio Jin nur eine von zahlreichen Gefechten war, stellte sie für die Steinmagier den entscheidenden Kampf dar. Dessen war Wurishi Lu Neju sich vor seiner Abreise sicher gewesen, und Yu teilte die Ansicht seines Meisters. Die Steinmagier zogen selten zahlreich in die Schlacht. Nun aber waren alle außer ihm in Wuchao.

Wurishi Yu hatte den Verdacht, dass in Wuchao noch etwas lebendig sein musste, vielleicht ein alter Zauber, der vor sich hinschwelte und nicht unter den falschen Einfluss geraten durfte. Sein Meister hätte niemals so viele Magier in einen Kampf geführt, wenn es lediglich um einen Ort ginge, der nur ein Mahnmal war. Auch auf der Gegenseite führte der mächtige Gojin Tsu mehr Magier ins Feld als gewöhnlich. So hatten es die Späher berichtet. Deswegen glaubte Yus Meister, die Schlacht von Wuchao werde eine Entscheidung bringen und die Zukunft prägen.

Nur eines konnte Yu sich nicht erklären. Wieso musste ausgerechnet er zurückbleiben und über die Halle der Unsterblichen wachen? Gewiss, es war eine große Ehre, die Halle zu betreten. Doch wurde er das Gefühl nicht los, dass sein Meister ihn zurückgelassen hatte, weil er um ihn fürchtete. Immerhin war Yu nicht nur der jüngste der Magier von Hujio, er war auch der Erbe seines Meisters und trug mit Wurishi dessen Namen.

Wurishi bedeutete auf Alt-Niwaenyi nichts anderes als Steinmagier. Es war nicht nur ein Name, es zeigte auch, dass sein Träger ein Erbe der ersten Steinmagier war, und Yus Meister war einer von ihnen. Er hatte den Drachen Tian Tsen mit eigenen Augen gesehen und mit seinen sechs Gefährten das Geheimnis der Steinmagie als Geschenk empfangen.

Es war eine große Ehre, der Erbe des mächtigen Wurishi Lu Neju zu sein und den Namen zu tragen. Die Wurishi hatten zwar mehrere Schüler, doch immer nur einen Erben. Und so hatte Yu den Namen seiner Familie abgelegt und den seines Meisters angenommen.

Von den ersten Wurishi lebten nur noch zwei: Yus Meister Wurishi Lu Neju und Wurishi Rijen, der andere Ziele verfolgte als Yus Meister. Alle anderen der ersten Steinmagier hatten den Tod gefunden, und auch deren Erben lebten nicht mehr. So gab es mit Lu Nejus und Rijens Erben nur noch vier, die den Namen Wurishi trugen. Obwohl die Anerkennung allseits groß war, sorgte dieser Name weit weniger für Ehrfurcht als früher. Die Machtgier im ganzen Land überwog so sehr, dass auch Yus Meister schon mehrmals in Bedrängnis geraten war.

Lu Neju hatte immer wieder gesagt, Yu müsse nicht nur die Zauber erlernen, die einem Steinmagier Bedeutung verliehen, sondern auch jene, die ihn in dieser gefährlichen Zeit vor Feinden schützen konnten und selbst im kargsten Land überleben ließen.

Yu hatte sich an vielen kleinen Zaubern erprobt, von den großen aber hatte er bis heute keinen einzigen ganz vollzogen. Er wusste alles, was es darüber zu wissen gab, und er hatte auch Teile davon ausprobiert, doch mehr hatte ihm sein Meister nicht erlaubt. Wenn Yu heimlich versucht hatte, einen der größeren Zauber zu erwirken, war Lu Neju immer zur Stelle gewesen, um es zu verhindern. Zu Yus Schutz, hatte er gesagt. Daran mochte etwas Wahres sein. Denn solange Yu als Schüler des großen Meisters galt, würde niemand ihm nachstellen, ihn entführen oder töten.

So blickten die einen zu ihm herab, weil sie ihn für einen unerfahrenen Jüngling hielten, während andere sich gut mit ihm stellen wollten, für den Tag, da er das Erbe seines Meisters antreten würde. Freunde hatte Yu nur wenige, und sie alle waren nun in Wuchao.

Er erreichte endlich das Ende der Treppe und folgte einem kurzen Gang bis zur Halle der Unsterblichen. Es war finster. Der Schein seines Lichtsteins reichte nicht weit genug, um etwas erkennen zu können. Da entdeckte Yu vor der Schwelle zum Saal Edelsteine, die in die Wände und die Decke eingelassen waren – Lichtsteine!

Ohne dass Yu einen Zauber sprach, lösten sich gleißende Strahlen von seinem Lichtstein und schössen nach allen Seiten davon. Sie drangen in die Edelsteine ein, die daraufhin erstrahlten und den Gang in helles Licht tauchten. Damit nicht genug. Vor Yu flammten nach und nach Lichter auf und erschlossen immer mehr des weiten Saales mit ihrem feurigen Schein.

Auf diesen Zauber hatte sein Meister ihn nicht vorbereitet. Rasch löschte Yu das Licht seines Zaubersteins und steckte ihn zurück in den Beutel an seinem Gürtel. Das magische Licht machte nun die ganze Halle sichtbar, und Yu konnte endlich bestaunen, wovon er so viel gehört hatte: eine ganze Armee aus Statuen. An den Rändern die Krieger, im Zentrum der Fürst, dessen Leibwächter und die Steinmagier.

Die meisten Statuen bestanden aus Ton, die übrigen aus hellgrauem Gestein, wie es in dieser Gegend vorkam. Es waren gewiss tausend Statuen in dieser Halle, und sie alle bewahrten ihren Zauber. Doch anders als ein Heer von Menschen standen die Steinkrieger mehrere Schritte auseinander, als gelte es, jedem einzelnen mehr Bedeutung zu verleihen.

Wurishi Yu betrachtete die Reihen der Steingestalten. Jede Figur stand für einen Menschen aus Fleisch und Blut. Jede war einzigartig. Doch kein Bildhauer hatte sie aus dem Stein geschlagen. Sie waren durch Magie geschaffene detailgetreue Abbilder von Menschen, und eines wie das andere war ein Meisterwerk.

Yu ging zwischen den Figuren hindurch. Die Statuen wirkten so echt, dass Yu das Gefühl hatte, wahrhaftige Lebewesen stünden um ihn herum. In gewisser Weise war es auch so. Schließlich waren die Statuen mit den Seelen jener Menschen verknüpft, die sie abbildeten. Sie trugen den Zauber der ewigen Jugend in sich. Sie konnten Zauber bewahren, die ein menschlicher Körper nur für kurze Zeit in sich zu tragen vermochte. Denn die Magie durchdrang das Fleisch, setzte sich aber im Stein fest. Sie mochte dort auf ewig wirken, sofern Stein und Zauber richtig beschaffen waren.

Yu war nur noch wenige Schritte vom Zentrum der Armee entfernt, da erblickte er die Krieger, die in der Provinz Hurin-ju zu Legenden geworden waren und in dieser Halle die Leibwache des Fürsten darstellten. Auch sie waren bis ins Detail abgebildet. Während bei den einfachen Kriegern die Kleidung recht schlicht ausfiel, war die der großen Krieger von Hurin-ju prachtvoll und so meisterlich aus dem Stein gezaubert und in passende Farben getüncht, dass Yu kaum glauben konnte, nur vor bemaltem Stein zu stehen. Und doch gab es an den Statuen dieser Legenden etwas, das sie von dem Abbild eines Menschen unterschied. Edelsteine waren in ihre Körper eingelassen. Der eine trug einen Opal auf dem Handrücken, ein anderer einen Aquamarin auf der Stirn. Bei einer der Figuren war auf jeder Fingerkuppe ein Smaragd eingesetzt.

Die Edelsteine waren keineswegs nur Schmuck. Vielmehr bargen sie weitere Zauber in sich. Wie sonst sollten all die Fähigkeiten der großen Helden zu erklären sein, wenn nicht durch die magischen Kräfte dieser Steine? Und auch mit ihnen verhielt es sich so, dass die Edelsteine den Zauber auf ewig bewahrten, sofern dem Steinmagier kein Fehler unterlaufen war.

Yu drang zu Fürst Hujio Jin und den Steinmagiern vor. Der Fürst war in strahlenden Farben dargestellt und trug prunkvolle Gewänder. Er hielt den Herrscherstab in der rechten und das Schwert von Hurin-ju in der linken Hand. Seine Haltung und seine Miene waren die eines mächtigen Herrschers. Die Abbildung passte nicht zu dem gütigen Menschen, als den Yu den Fürsten kannte. Offenbar nahm der Fürst hier eine Pose ein, die er sich im Auge der Geschichte wünschte. Es zeigte, dass Hujio Jin die Tragweite des Zaubers, der seiner Statue innewohnte, zu jener Zeit nicht begriffen hatte, als der Zauber gewirkt worden war.

So viel Macht die Fürstenstatue auch ausstrahlte, war doch nicht zu übersehen, dass links neben ihr eine Lücke klaffte, die von einer Katastrophe zeugte. Der Älteste der drei Fürstensöhne, Hujio Yun, hatte im letzten Sommer in der Schlacht den Tod gefunden.

Auch wenn man die Menschen, deren Figuren hier standen, die Unsterblichen nannte, so konnten sie dennoch den Tod finden, wenn andere ihnen oder sie sich selbst große Gewalt antaten. Doch wer einmal einen der legendären Krieger gegen ein Dutzend Gegner hatte kämpfen sehen, der war geneigt, von Unsterblichkeit zu sprechen. Und wer sich an die Belagerung der Feste am Fluss Torong-ji erinnerte, wusste, dass weder Krankheit noch Hunger sie dahinraffen konnten. Und auch aus der Schlacht mochten sie lebendig hervorgehen, wo andere ihr Leben ließen. Denn schwere Wunden verheilten binnen Stunden, und der Fürst war der beste Beweis dafür, dass man selbst das stärkste Gift überleben konnte.

Während Fürst Hujio Jin mit großartiger Geste dastand, zeigten die Statuen der Steinmagier, dass wahre Größe auch ohne Pose auskam. Die Statuen, ob bunt oder grau, wirkten natürlich, als wären ihre Vorbilder sich der Tatsache nicht bewusst gewesen, dass von ihnen ein Abbild geschaffen wurde.

Besonders die Statue seines Meisters Wurishi Lu Neju beeindruckte Yu. Ihm fehlte wie im echten Leben die Aura der Macht. Man nannte ihn nicht umsonst Neju, was Maus bedeutete. Er war unauffällig, wenn man ihm zum ersten Mal begegnete.

Doch dann kam irgendwann die Stunde, da die Maus sich zum Tiger wandelte.

Das Abbild Lu Nejus verbarg die Macht des großen Steinmagiers, wie die Gestik und Mimik des Menschen aus Fleisch und Blut es taten. Ein unwissender Betrachter, der auf der Suche nach der Statue des mächtigsten Magiers von Hujio gewesen wäre, hätte ihn nicht erkannt. Die Figur Lu Nejus nahm keinen besonderen Platz ein und stach durch nichts hervor.

Wie all die anderen hier war Lu Neju seit dem Tag, da seine Statue und der Zauber bestanden, nicht mehr gealtert, denn er hatte die ewige Jugend gewonnen. Gleichwohl besaßen alle, die hier standen, eine besondere Schwachstelle. Ein gewöhnlicher Mensch trägt sein Leben bei sich. Flieht er vor dem Feind, entzieht sich auch sein Leben der Gefahr. Jene aber, die selbst die Steinmagier die Unsterblichen nannten, trugen ihr Leben nicht alleine bei sich. Ihr Leben war zugleich an diese Statuen gebunden. Wurde eine Statue zerstört, so starb auch der Mensch, den sie abbildete. Aus diesem Grund wurde die Festung der Steinmagier von einer Garde bewacht. Zugleich wirkte am Tor zur Halle der Unsterblichen und auch hier an Ort und Stelle eine starke Magie, die jedem, der den geheimen Zauber nicht beherrschte, ans Leben ging. So zumindest hieß es, denn kein Feind hatte je den Fuß über die Schwelle der Halle gesetzt.

Wurishi Yu bemerkte unmittelbar neben der Statue seines Meisters eine Unregelmäßigkeit. Wie beim Fürsten klaffte auch hier eine Lücke. Das musste der Platz für Yus Statue sein. Dann war es also auch ihm bestimmt, eines Tages eine eigene Statue zu bekommen.

Er hatte nie verstanden, warum sein Meister ihn immer wieder aufs Neue vertröstete. Andere Schüler hatten bereits mit sechzehn Jahren ihre Statue erhalten und waren in den Kreis der ewigen Jugend aufgenommen worden. Yu konnte die Figuren seiner Freunde sehen. Dort standen Gurae Pi und Gurae Jing. Sie schmunzelten, als hätten sie gerade einen Streich ausgeheckt. Sie hatten vor zwei Jahren ihren Platz erhalten, und Yu fragte sich, weshalb man den Seelenzauber an ihnen vollzogen hatte, ihm diesen aber verwehrte.

Sein Meister sagte stets: „Überlege es dir gut! Lass dir nur Zeit! Denn einmal gesprochen, wird der Zauber dich auf ewig an jenes Stück Stein binden. Außerdem denke ich, dass dir ein anderer Weg bestimmt ist.“

Yu hatte sich oft gefragt, was sein Meister meinte, wenn er von dem anderen Weg sprach, der ihm bestimmt sei. Doch Lu Neju hatte ihm nichts weiter gesagt und ihn immerzu auf später vertröstet. Diesmal war es nicht anders gewesen. Er wäre so gerne in seine erste Schlacht gezogen, doch sein Meister hatte es nicht erlaubt. Dabei hatte Lu Neju ihm mehr als allen anderen Schülern jene Zauber beigebracht, die dem Angriff, der Verteidigung und Täuschung dienten. Und nun sollte er in der Festung bleiben und eine Wache halten, derer es nicht bedurfte. Wer würde schon die Krieger oben in der Festung besiegen und dann auch noch das magische Tor überwinden?

Lu Neju hatte Yu nicht gesagt, womit er rechnete und warum er demnach hier wachen sollte. Er hatte nur davon geredet, dass er etwas befürchte und es entscheidend sei, dass Yu in Hujio blieb. Nun war er hier und konnte beim besten Willen nicht verstehen, welchen Sinn seine Wache hatte. So schritt er zwischen den Seelenstatuen umher und suchte nach etwas, das ihm eine Antwort geben konnte. Gab es vielleicht einen Verräter, dessen Statue er im richtigen Moment zerschlagen sollte? Wenn es so war, wie sollte er herausfinden, um wen es sich handelte? Vielleicht hatte sein Meister Vorbereitungen getroffen, und der Verräter offenbarte sich auf eine Weise, von der Yu im Augenblick noch nichts wusste.

Als er eine Runde gegangen war und wieder vor der Statue seines Meisters stand, blickte er der Figur ins Gesicht und sagte: „Warum hast du mir nicht mehr gesagt?“

Zu seinem Erstaunen erblickte er an der Stelle neben der Statue seines Meisters, wo sein eigenes Abbild eines Tages stehen sollte, ein Stoffbündel, das vorher noch nicht dort gelegen hatte. Vorsichtig berührte Yu es und faltete es auf. Er fand einen Steinbeutel, wie ihn jeder Steinmagier trug, eine Notiz auf Holzrinde gemalt und schließlich die Schriftrolle seines Meisters. Es war die Rolle, in der die Steinzauber niedergeschrieben waren, der größte Schatz, den ein Steinmagier besitzen konnte, der größte Schatz überhaupt. Jeder Zauberspruch, den sein Meister kannte, war hier verzeichnet.

Yu wagte es nicht, die Rolle zu berühren. Auch den Steinbeutel tastete er nicht an. Die Holzrinde aber nahm er auf und betrachtete sie. In vier schmalen Spalten stand dort: Yu, mein Sohn. Wenn das Schlimmste geschieht, dann nimm mein Erbe und bringe es an einen sicheren Ort. Vergiss nicht, was ich dich lehrte, doch gehe vor allem deinen Weg. Wurishi Lu Neju.

Yu konnte nicht glauben, was er da las. Sein Meister hatte ihn zurückgelassen, um im Falle seines Todes das Erbe in Sicherheit zu wissen? Yu hatte nicht gedacht, dass es so schlimm werden könnte. Es gab doch niemanden, der seinem Meister ebenbürtig war! Zumindest hatte Yu das immer geglaubt. Vielleicht hatte er es auch nur glauben wollen.

Ein Bröckeln aus den vorderen Reihen der Steinarmee, ganz in der Nähe der Treppe, weckte Yus Sorge. Und als dort etwas Schweres mit einem Knall zu Boden fiel, bekam er Angst. Er lief den Geräuschen entgegen und schaute mit Entsetzen auf die Reste einer Kriegerstatue. Die Figur war in zwei Teile gebrochen.

Yu zuckte zusammen. Unmittelbar neben ihm zersprang eine Tonstatue in tausend Stücke. Die Schlacht von Wuchao hatte begonnen, und Yu musste dabei zuschauen. Er sah nur jene, deren Statuen in dieser Halle standen, und wusste somit nicht, wie es den Kriegern erging, denen das Privileg der ewigen Jugend nicht gegeben war. Doch wann immer eine der Statuen zersprang, wusste Yu, dass auf dem Schlachtfeld im selben Moment der mit ihr verbundene Mensch gefallen war. Wie ein Krieger sofort starb, dessen Statue zerstört wurde, so zerfiel die Statue, wenn der Krieger sein Leben verlor.

War es das, was sein Meister beabsichtigt hatte? Sollte Yu Zeuge sein, wie hier und dort die Statuen zersprangen und zerfielen? Furchtsam schaute er sich um und sah, wie sich Risse durch die steinernen Körper zogen und Spalten klafften. Die Schlacht war im vollen Gange.

Yu sorgte sich um seinen Meister und lief zwischen den Statuen hindurch wieder zur Mitte des Saales. Um ihn herum manifestierte sich die Schlacht von Wuchao durch das Getöse des Zerfalls.

Die Risse und Spalten, die Yu bei vielen Statuen sah, erfüllten ihn mit Entsetzen. Hatte ihn sein Meister doch gelehrt, dass sich eine gewöhnliche Verletzung nicht an der Statue abzeichnete. So konnten diese Risse und Spalten nur bedeuten, dass die Krieger verloren waren und sterben mussten.

Yu erreichte das Zentrum der steinernen Armee. Hier waren alle Statuen noch unversehrt. Die Helden würden ihren Fürsten gewiss zu schützen wissen. Bei den Magiern aber hatte es bereits einen Verlust gegeben. Die Statue Kimyu Duns war zerstört. Die steinernen Reste lagen neben der Statue Lu Nejus. Zum Glück standen alle Figuren weit genug auseinander, sodass keine, die umstürzte, andere beschädigen konnte. Und doch hatte Yu Angst. Kimyu Duns Tod bewies, dass die Gefahr näher an Lu Neju herangerückt war. Dun war einer der mächtigsten Magier von Hujio, und Yu wurde schlagartig klar, dass in dieser besonderen Schlacht niemand vor dem Tod sicher war.

Yu harrte aus und kämpfte gegen die Geräusche der Schlacht, die sich im Saal manifestierten, indem er sein Gehör vom Geschehen enthob und der Magie zuführte. Im nächsten Moment spürte er, dass um ihn herum etwas geschah. Dabei hörte sich das, was in der Welt der gewöhnlichen Sinne erschreckend klang, so friedlich an wie Musik: ein tiefes Rauschen und darüber ein melodisches Summen.

Yus Blick fiel immer wieder auf die Schriftrolle und den Steinbeutel, die sein Meister ihm überlassen hatte, dann wieder auf das steinerne Gesicht des Meisters. Lu Neju durfte nicht sterben! Es wäre eine Katastrophe. Nicht nur für Yu, sondern für alle Steinmagier. Von den ersten Steinmagiern wäre dann nur noch Wurishi Rijen da, der durch einen Sinneswandel allem entgegenstand, wofür Lu Neju eintrat. Wurishi Rijen war machtgierig und ein Feigling.

Yu flehte das Schicksal an, es möge seinen Meister beschützen. Ohne einen Augenblick zu überlegen, hätte Yu sich für ihn geopfert. Wenn es einen gab, der das Chaos, das im Kaiserreich herrschte, beenden konnte, dann war es Lu Neju. Anderenfalls würde Niwaen-ju ein weiteres Jahrhundert des Chaos erleben.

Bei den magischen Klängen, die er vernahm, verlor Yu sein Gefühl für die Zeit. Ob er nun zwei oder gar vier Stunden bei der Statue um das Leben seines Meisters bangte, wusste er nicht. Beruhigten sich die Geräusche der Zerstörung und herrschte ein Moment Stille, hoffte er, dass sich das Blatt gewendet hatte und sein Meister mit den Kriegern Hujio Jins die Oberhand gewonnen hatten. Und jedes Mal, wenn die Schlacht sich verschärfte und das magische Lied mit vielen Stimmen spielte, fürchtete Yu, dass sein Meister und die Hurinesen einer Niederlage nahe waren.

Mit einem Mal schrak Yu zusammen. Das magische Lied, mit dem er seine Ohren betäubte, hatte eine neue, wohlklingende Stimme gewonnen. Als Yu wieder den tatsächlichen Geräuschen im Saal lauschte, verwandelte sich der Wohlklang in ein Knirschen, das aus der Statue seines Meisters drang. Haarfeine Risse bildeten sich auf der Stirn der Steinfigur. Einen Augenblick später zersprang rings um Yu herum eine Statue nach der anderen – mal ein Steinmagier, mal einer der großen Krieger. Überall herrschte ein ohrenbetäubendes Chaos.

Yu schaute zum Fürsten und sah, dass nur noch eine Handvoll Krieger um ihn herum stand. Um Lu Neju fielen die Steinmagier so schnell, dass Yu nur annehmen konnte, dass sie sich schützend vor seinen Meister warfen, weil dieser schwer verletzt war.

Es war ein Fluch, das Sterben zu beobachten und nichts dagegen tun zu können. Der Spalt in der Stirn seines Meisters suchte sich seinen Weg über das Nasenbein zur rechten Wange. War sein Meister schon tot? Kaum hatte er diesen Gedanken gefasst, verwarf er ihn wieder. Yu wollte nicht glauben, dass der große Wurishi Lu Neju sterben sollte.

Als sich der Riss an der Statue seines Meisters bis zum Hals zog, beschloss Yu, etwas zu unternehmen. Er legte beide Hände auf die Statue Lu Nejus, um zu spüren, ob der Zauber, der an sie gebunden war und sie mit seinem Meister verknüpfte, noch bestand. Und tatsächlich fühlte Yu, dass im Inneren der Statue die Flamme der Magie noch lebte. Eine Beschädigung der Statue mochte jedoch für Lu Neju eine ewige Wunde bedeuteten. Was aber, wenn Yu durch seine Magie den Riss in der Statue schlösse? Was, wenn er über das Band zwischen der Statue und seinem Meister einen Heilzauber sandte? Mochte sein Meister dann gerettet werden?

Die Steinmagier hüteten sich gewöhnlich davor, weitere Zauber auf die einmal geschaffenen Statuen zu sprechen. Wenn sie es taten, folgten sie strengen Ritualen und sprachen den Zauber zunächst auf einen Edelstein. Doch zur Sorgfalt blieb keine Zeit. Um Yu herum brach das Heer auseinander, und sein Meister stand an der Schwelle des Todes.

Yu ertastete sich den Zauber, der in der Statue glimmte, dann schrie er gegen das Getöse um sich herum an: „Rishi we sha dun!“

Es war ein Heilzauber, doch dabei beließ er es nicht.

„Rishi lan zi, rishi weireng!“, rief er. Mit diesem Zauber konnte er Stein formen. Er lenkte die Kraft der beiden Zauberkräfte aufeinander und verflocht sie, auf dass die eine nicht ohne die andere wirken konnte. Den zweiten Zauber verankerte er in der Statue, wo er sein Werk tun sollte. Den Heilzauber sandte er aus, indem er sich die Magie, die er in der Statue spürte, zunutze machte. Er hatte das Gefühl, dass der Seelenzauber ihm eine Richtung wies, und so sandte er den Heilzauber auf diesem Pfad aus.

Yus Augen brannten, und seine Fingerspitzen kribbelten. Die beiden Zaubersprüche hatten seine Sinne verwirrt und weit von dem Hier und Jetzt der großen Halle fortgeführt. Ihm wurde schwindelig, und er sah die steinerne Miene seines Meisters nur noch vage vor sich. Er löste die Hände von der Statue und rieb sich die Augen. Dann blinzelte er und versuchte zu erkennen, ob sich an der Steinfigur seines Meisters irgendetwas tat. Und tatsächlich wirkte sich Yus Magie auf die Statue aus. Die Risse füllten sich mit neuem Gestein, als wüchse es aus dem Innern der Figur heraus.

Yu fasste das Steinamulett, das er an seiner Halskette trug, und dankte, dass sein Zauber bis hierher geglückt war. Ob der Heilzauber seinen Meister erreichte, wusste er nicht. Als er seine Hände wieder auf die Figur legte, um zu ertasten, ob das Feuer des Lebens weiterhin darin brannte, spürte er, dass ihr nun mehr Kraft innewohnte als zuvor. Yu nahm dies als Zeichen, dass sein Vorhaben geglückt war. Er wollte glauben, dass sein Meister nicht verloren war. Doch ein Blick in die Runde sagte Yu, dass sich die Lage verschlimmert hatte. Die meisten Krieger waren verloren. Überall im Saal lagen die Reste ihrer Statuen am Boden.

Yu überlegte, wie vielen der Verbliebenen er durch seine Magie würde helfen können und für wie viele seine Kraft ausreichte. Er schaute zum Fürsten. Die Statue stand noch. Was für seinen Meister galt, galt auch für den Fürsten. Wenn Hujio Jin in der Schlacht den Tod fand, würde das gesamte Fürstentum auseinanderfallen. Seine beiden verbliebenen Söhne würden sich um die Herrschaft streiten. Yu schaute zu den Statuen der Fürstensöhne, doch mit einem Mal zersprangen ihre Gesichter. Yu stockte der Atem. Dort war gerade die Zukunft des Fürstentums dahingegangen. Wenn Hujio Jin nun starb, war alles verloren.

Yus Blick schnellte zwischen dem Abbild des Fürsten und dem seines Meisters hin und her. Um sie herum verging Statue um Statue. Die Schlacht schritt ihrem Ende entgegen, und Yu hoffte, die seinen würden angesichts der Niederlage fliehen oder sich ergeben. Zu verhandeln war besser, als durch den Tod ein finsteres Zeitalter einzuläuten.

Im Saal wurde es allmählich ruhig. Es gab kaum noch Statuen, die hätten zerbrechen können. Die wachsende Stille war unheimlich, und Yu malte sich aus, was in Wuchao vorging. Da ließ ihn ein gewaltiger Knall erzittern. Als treffe die Krieger um den Fürsten die Salve eines mächtigen Zauberspruches, brachen die Statuen auseinander. Etwas Unsichtbares riss dem Fürsten den steinernen Kopf von den Schultern. Der Körper mit der eleganten Haltung sprang so gewaltsam auseinander, dass sich das Gestein in Staub verwandelte, der in alle Richtungen davonschoss.

Es hatte den Anschein, als weilte die Macht, welche die Statuen zerstöre, hier im Saal. Doch Yus Zaubersinne sagten ihm, dass nichts in der Nähe war, was er nicht zuvor schon vorgefunden hatte. Im Gegenteil. Ein großer Teil der Macht, die er bei seiner Ankunft verspürt hatte, war vergangen.

Wieder kehrte Ruhe ein. Yu versuchte, die Statue seines Meisters durch die Staubwolke hindurch zu erkennen. Und tatsächlich: Da war sie. Lu Neju lebte. Doch als sich der Staub lichtete und Yu in die Runde schaute, sah er, dass sonst niemand mehr da war.

Die Steinmagier und die Krieger von Hujio waren tot. Ihre Statuen waren zerstört. Die Legenden würden noch lange von diesem Tag sprechen, an dem tausend Helden ihr Leben verloren hatten. Auch Yus Freunde, allen voran Gurae Pi und dessen Cousin Gurae Jing, hatten ihr Leben verloren. Yu konnte nicht einmal mehr erkennen, welche Steinhaufen zu den Statuen seiner Freunde gehört hatten.

Der einzige Trost in dieser Lage war, dass das Ende der Steinmagier keineswegs besiegelt war. Denn solange Wurishi Lu Neju lebte ...

Da waren wieder Risse auf der Statue seines Meisters. Und ehe Yu sie aus der Nähe betrachten konnte, drang ein Kreischen aus der Steinfigur. Ein fingerbreiter Spalt zog sich mit einer schnellen Bewegung von der Schulter zur Hüfte, und der obere Teil der Statue geriet ins Wanken.

Mit offenem Mund stand Yu da und schaute dabei zu, wie der Oberkörper seines Meisters zur Seite kippte. Es schien eine Ewigkeit zu dauern, doch schließlich schlug der steinerne Körper auf dem Boden auf, zerbrach und zog ein lautes Echo nach sich.

Yus Blick fand das Gesicht der Statue direkt neben der Schriftrolle und dem Steinbeutel seines Meisters. Es waren noch die steinernen Narben seines Zaubers zu sehen. Yu legte die Hand auf die Wange der Steinmaske und wollte fühlen, ob da noch irgendwas war, doch das Feuer des Seelenzaubers, das er zuvor gespürt hatte, war vergangen.

Yu richtete sich langsam auf und schaute sich um, als müsste es jemanden im Saal geben, der ihm helfen konnte. Doch da war niemand. Die Halle der Unsterblichen war nichts weiter als ein Trümmerfeld. Die Schlacht von Wuchao war vorüber.

DIE FLUCHT DES STEINMAGIERS

Die Kunde von der verlorenen Schlacht und dem Tod des Fürsten und all seiner mächtigen Krieger verbreitete sich so rasch wie ein Feuer. Erst erfasste es die Wachen vor der Pforte zur Halle, die es hinauf zur Festung trugen, und bald wusste die ganze Stadt, dass Fürst Hujio Jin tot war.

Allen war klar, was nun geschehen würde. Der siegreiche Fürst Dayku Quan würde binnen Tagen von Wuchao nach Hujio kommen, um die Stadt einzunehmen. Nun, da Hujio Jin tot und seine Streitmacht zerschlagen war, mussten die Feinde aus Daykun-ju nicht viel tun, um das ganze Fürstentum  zu erobern. Dayku Quan war für seine Grausamkeit bekannt. Wenn er mit seinen Steinmagiern kam, würde niemand ihnen etwas entgegensetzen können .Und so bereiteten sich die Menschen von Hujio auf die Flucht vor.

Wurishi Yu brauchte eine Weile, um sich zu sammeln. Er ging hinauf in den Saal, in dem sich die Steinmagier von Hujio immer beraten hatten, ein Raum mit kahlen Wänden und Sitzen aus Stein. Hatte er sich unten in der Halle bereits einsam gefühlt, trieb ihm die Stille hier die Tränen in die Augen. Die Besprechungen und Feiern waren stets voller Frohsinn gewesen. Yu erinnerte sich nicht daran, in diesem Saal je alleine gewesen zu sein. Immer hatte er hier Gesellschaft gehabt, sei es, weil er mit anderen Schülern ein Treffen der Meister vorbereitet oder selbst an einem Treffen teilgenommen hatte.

Yu hielt nichts mehr in der Festung der Steinmagier. Auch in Hujio würde er nicht bleiben. Nun, da das Schlimmste geschehen war, wollte er dem letzten Willen seines Meisters folgen und die Schriftrolle sowie sich selbst in Sicherheit bringen.

So ging er in die Küche der Festung und nahm sich vier Reisbällchen. Zwar würde ihn das nicht weit bringen, doch sein Meister hatte ihn gelehrt, wie ein Zauberer in der Wildnis überlebte. Er wickelte die Reisbällchen in Tücher und ging in seine Kammer, um sich auf seine Reise vorzubereiten. Mehr als zwei Beutel wollte er nicht mitnehmen. Er hatte in den vergangenen Jahren viele Dinge zusammengetragen, vor allem Steine, die er entweder für die Magie benutzte oder aber als Andenken erhalten hatte. Eine Auswahl zu treffen, war nicht leicht. Dann aber besann er sich darauf, dass sein bisheriges Leben mit der Schlacht von Wuchao geendet hatte. Mit dem Tod seines Meisters, der Freunde und all der anderen verbündeten Steinmagier würde ein neues Leben beginnen. Die dem Fürsten Dayku Quan ergebenen Steinmagier, denen Lu Neju und die anderen in Wuchao zum Opfer gefallen waren, würden nun ihm nachstellen, um an die Schriftrolle seines Meisters zu gelangen. Je mehr er zurückließ, desto schwerer würde es ihnen fallen, ihn aufzuspüren.

Yu beschloss, neben den Steinen, die sein Meister ihm hinterlassen hatte, nur einige wenige seiner eigenen mitzunehmen. Alle anderen würde er zurücklassen, ebenso alle Schriften, die er gesammelt hatte.

Yu wickelte die Schriftrolle seines Meisters vorsichtig in ein Tuch ein und legte sie in den ersten Beutel.

Dann kleidete er sich in ein schlichtes Reisegewand, das ihn nicht als Magier erscheinen ließ, sondern in seiner grauen Farbe und dem schmucklosen Gürtel allenfalls als reisenden Gelehrten oder Pilger. Von seinen Zaubergewändern packte er nur die wichtigsten in den zweiten Beutel: ein Ritualgewand, ein Reisegewand, ein Kampfgewand und schließlich die rote Robe der Wurishi. Nun, da er die Robe in Händen hielt, wurde ihm klar, dass nach dem Tod seines Meisters nur noch er, Rijen und dessen Erbe den Namen der Wurishi trugen. Der Feind hatte die Oberhand gewonnen und würde ihn jagen. Yu wusste, dass Wurishi Rijen vor langer Zeit seine Schriften verloren hatte und all seine Zaubersprüche aus der Erinnerung hervorbringen musste, sodass viele über die Jahre verblasst waren. Also würde auch Rijen nicht ruhen, ehe er Lu Nejus Schriftrolle in Händen hielt, und er würde nur einer unter vielen sein, die danach trachteten.

Als alles gepackt war, schaute sich Wurishi Yu noch einmal in seiner Kammer um. Seine ganze Jugend hatte er hier gewohnt. Nun würde er sie nie wiedersehen. Ein letzter Blick, und Yu kehrte dem Raum den Rücken. Schnellen Schrittes ging er durch die breiten Hallen der Festung. Seitdem die anderen Steinmagier fortgezogen waren, war es hier ruhig gewesen. Doch mit den Dienstboten und den Wachen hätte es nicht so still wie nun sein dürfen. Auf dem ganzen Weg hinab in die Haupthalle begegnete Yu niemandem. Deutlicher als durch ihre Abwesenheit hätten die Leute in der Feste ihm nicht sagen können, was sie von ihm hielten. Niemand kam, um ihn um Rat zu fragen oder seinen Schutz zu erbitten. Und Yu war dankbar, dass es so war. Denn nichts hätte ihn mehr auf seinem Pfad behindert als eine Schar Anhänger, die ihn begleiten wollte. Die Feinde seines Meisters, die nun seine Feinde waren, hätten leichtes Spiel gehabt, seine Spur aufzunehmen. Es war nur eine Frage der Zeit, bis jemand seinen Wert und den seiner beiden Beutel erkennen würde. Bis dahin musste er aus Hujio verschwunden sein.

Yu setzte sich einen Strohhut auf und trat ins Freie. Auf dem Platz, der sich vom Hauptgebäude bis zur Mauer der Festung erstreckte, war kein Mensch zu sehen. Dann drang vom Tor des Anwesens Lärm zu ihm herüber. Er stieg die Treppen zum Platz hinab und konnte durch das Tor eine Menschenmasse sehen. Es herrschte ein einziges Durcheinander.

Die Festung der Steinmagier war unmittelbar an der Hauptstraße gelegen, die Hujio von Süden nach Norden durchmaß. Gewöhnlich war es dem einfachen Volk nicht gestattet, sich im Fürstenbezirk aufzuhalten, doch mit der Nachricht der Katastrophe von Wuchao galt diese Regel offenbar nicht länger. Alle wollten nordwärts aus der Stadt fliehen, und der schnellste Weg war die Hauptstraße, die durch den Fürstenbezirk führte. Offensichtlich hatten die Wachen die Tore geöffnet, um den fliehenden Menschen einen Umweg zu ersparen.

Die meisten Leute hatten ihr Hab und Gut auf Wagen oder Schubkarren geladen, andere waren nur mit dem unterwegs, was sie am Leib trugen. Wurishi Yu entschied, sich dem Zug nicht anzuschließen. Irgendwann würden sie ihn erkennen und möglicherweise in Gefahr bringen.

Kaum war Yu auf die Straße hinausgetreten, sprach ihn ein Mann an: „Ist da niemand mehr?“

Yu musterte den alten Mann und versuchte an dessen Miene zu erraten, ob er ihn als Steinmagier erkannt hatte. Doch er kam zu keinem Ergebnis.

„Die Steinmagier sollen in Wuchao umgekommen sein“, sagte Yu. „Uns Bedienstete hält nun nichts mehr hier.“

„Es soll doch der junge Wurishi zurückgeblieben sein.“

„Der Narr ist auf dem Weg nach Wuchao“, entgegnete Yu. „Er glaubt, dort noch etwas ausrichten zu können.“

„So, so“, sprach der Alte und rieb sich das Kinn.

„Verzeih mir. Ich muss zu meiner Familie.“

Yu bahnte sich am Rande der Menschenmasse einen Weg gegen den Strom. Als er zurückblickte, sah er, dass der alte Mann mit einer Schar von Männern ins Innere der Festung schritt. Yu hatte keinen Zweifel, dass sie die Festung plündern würden. Gewiss würden sie auch Edelsteine finden, ohne zu wissen, dass in dem einen oder anderen ein Zauber wohnte. Aber das kümmerte Yu nicht länger. Was bedeuteten Zaubersteine, wenn jene nicht mehr da waren, die die darin verborgene Magie entfesseln konnten?

Yu trug nun die Verantwortung für das Erbe Wurishi Lu Nejus. Die Schriftrolle und er selbst mit dem Wissen, das sein Meister ihm vermittelt hatte, mussten aus dem Einflussbereich der Feinde verschwinden.

Am Südtor des Fürstenbezirks wunderte sich Yu, dass hier keine Wachen mehr zu sehen waren. Offenbar wurden sie anderswo gebraucht oder sie waren selbst auf der Flucht.

Yu wandte sich um und schritt die Mauer des Fürstenbezirks entlang, um dann durch ein Tor in den Westbezirk von Hujio zu gelangen. Je weiter er nach Westen vordrang, desto weniger Menschen begegneten ihm. Alle wollten so rasch wie möglich fort, und die meisten schienen das Nordtor zu nehmen. Gewiss gab es auch am Osttor einen Flüchtlingsstrom, und dass niemand dem Westtor entgegenstrebte, verwunderte Yu nicht, denn es führte hinab in die Wildnis des Tieflandes. Das war Yus Weg. Er würde hinab ins Tiefland ziehen. Außer einigen Jägern mochte er dort kaum jemandem begegnen. Wenn er erst einmal den Fluss Muzu-ji überquert hatte, würden ihn die Feinde nicht mehr aufspüren können.

Während Yu über sein Schicksal nachdachte, gelangte er weiter in den Westen der Stadt. Als er schließlich am offenen Tor der West-Garnison stand, hielt er inne. Weder Wachen noch Krieger waren zu sehen. Offenbar waren alle auf der Flucht. Yu schüttelte den Kopf. Wenn selbst die Krieger das Weite suchten, dann war wahrhaftig alles verloren.

Er betrat die Garnison, um durch sie zum Westtor zu gelangen. Der Wind fegte über den gepflasterten Platz. Yu schien es, als bewegte er sich durch eine verlassene Stadt. Doch dann sah er am Rande des Platzes einen Wagen, auf dessen vorderer Hälfte ein Käfig aus Bambusstämmen stand. Darin erblickte Yu zwei Gestalten. Sie pressten ihre Gesichter zwischen die Bambusstämme und beobachteten ihn.

Yu blieb stehen. Sofort streckten die beiden Gefangenen ihre Arme nach ihm aus. Doch Yu beschloss, weiterzugehen.

Er hatte erst wenige Schritte gemacht, als die beiden ihre Stimmen erhoben.

„Geh nicht fort!“, rief der eine.

„Wir können dir von Nutzen sein“, rief der andere.

Yu blieb abermals stehen. Er bezweifelte, dass die beiden ihm helfen konnten. Aber da war etwas an ihnen, das ihn magisch anzog. Er fragte sich, warum man die Gefangenen nicht mitgenommen hatte, wenn man sich schon die Mühe gemacht hatte, sie in einen Wagen zu sperren. Wahrscheinlich waren es gewöhnliche Gauner, auf die die Krieger keine Mühen mehr verschwenden wollten. Gewiss würden die Feinde sie genau dort lassen, wo sie sich jetzt befanden. Vielleicht war dies ihre einzige Chance auf Freiheit.

Es war eine Zeit des Chaos, eine Zeit um neu anzufangen; selbst für jene, die in Gefangenschaft waren. So beschloss Yu, zu ihnen hinzugehen und sich anzuhören, was sie zu sagen hatten. Dann würde er entscheiden, ob er die Gefangenen freiließ.

Als er nähertrat, nahm er eine weitere Gestalt wahr, die im Hintergrund des Käfigs am Boden hockte. Die beiden, die Yu zuerst gesehen hatte, wandten sich zu dem anderen um und sprachen mit ihm. Doch die Gestalt rührte sich kaum, gähnte nur so laut, dass Yu es hören konnte.

Yu hielt ein wenig Abstand und musterte die drei Gestalten. Die ersten beiden waren zwar in ärmliche Kleidung gewandet, doch ihre Haltung war gerade und ihre Mimik voller Maß. Sie mussten aus einem edlen Haus stammen. Der Dritte aber war das genaue Gegenteil. Er lehnte wie ein Betrunkener an den Bambusstämmen und gähnte ein weiteres Mal. Dann kratzte er sich unter dem Kragen seines Hemdes.

Während die ersten beiden auch in der Tracht eines Bettlers als Adlige zu erkennen waren, hatte Yu keinen Zweifel daran, dass er den dritten Gefangenen selbst im Gewand eines Fürsten als Gauner ohne Manieren durchschaut hätte.

„Wer seid ihr?“, fragte Yu die beiden vornehmen Gefangenen.

„Mein Name ist Jhutsun Li“, sprach der eine mit tiefer Stimme und verbeugte sich. „Ich bin ein Bote im Auftrag des Fürsten Jhutsun Weyi.“

Li war ein unscheinbarer Mann. Er hatte weder die Größe eines Kriegers noch die Schmalheit eines Gelehrten. Auch die Breite der meisten wohlhabenden Händler oder der reichen Adligen hatte er nicht. Li mochte Ende dreißig sein, strahlte aber die Würde eines älteren Mannes aus. Er hatte ein spitzes Kinn und starke Wangenknochen, ein kantiges Gesicht, von dem viel zu sehen war, denn Li war glatt rasiert. Genau darüber wunderte sich Yu. War es in Gefangenschaft nicht schwer, sich zu pflegen?

Der andere Gefangene verbeugte sich ebenfalls. „Ich bin Okalang Shi, Sohn des mächtigen Okalang Tai.“

Shi war von nahezu gleicher Statur wie Li, doch er hatte ein rundes, weiches Gesicht, und auf seinen Lippen lag schon die ganze Zeit ein Lächeln. Okalang Tai! Dieser Name sagte Yu etwas. Dann erinnerte er sich und konnte nicht anders, als laut zu lachen.

„Okalang Tai“, rief er, „war der Fürst von Lang-ju, und der lebt seit zweihundert Jahren nicht mehr. Und du willst sein Sohn ...?“ Yu sprach nicht weiter und musterte Li und Shi. Die beiden grinsten ihn an.

Nun wusste Yu, was ihn überhaupt erst hatte anhalten lassen. Es waren nicht ihre Worte oder die eigene Neugier gewesen. Den beiden haftete etwas Magisches an; etwas, das Yu an den Kriegern bemerkt hatte, deren Seelenstatuen in der Halle gestanden hatten.

„Ihr seid Unsterbliche“, sprach er. „Die Steinmagie hält euch jung, gesund ... und“, er lächelte, „eure Wangen glatt.“

Die beiden Adligen lachten.

„Du bist ein kluger Kopf“, sagte Li. „Und nun frage ich dich: Haben Unsterbliche es verdient, ihr Leben in Gefangenschaft zu verbringen?“

„Das hängt davon ab, was ihr ausgefressen habt.“

„Wir wurden in Ruchtung-ju vom dortigen Fürsten als Spione angeklagt. Dabei waren wir nur als ... Reisende unterwegs. Jedenfalls wurden wir in den letzten fünf Monden wieder und wieder Kriegsbeute und leider nicht unserem Stand angemessen behandelt, sondern wie einfache Verbrecher.“

Der dritte Gefangene, der sich noch immer im Hintergrund hielt, lachte leise, verstummte aber, als Yu ihn anschaute.

Okalang Shi sagte: „Wahrscheinlich möchte man von unseren Familien ein Lösegeld erpressen.“

Yu vermutete, dass ihre Familien in Wahrheit nicht bereit gewesen waren, ein Lösegeld zu zahlen, und die beiden deswegen so lange im Gefängnis saßen. Er wusste nicht, ob er der Geschichte glauben sollte. Jeder wusste, dass die Fürstenhäuser Jhutsun und Okalang seit Generationen verfeindet waren. Li und Shi aber schienen Weggefährten zu sein. Dass in ihnen der Steinzauber wirkte und irgendwo eine Statue ihr ewiges Leben bewahrte, daran konnte es jedoch keinen Zweifel geben. Die beiden Adligen waren magisch gezeichnet. Das konnte Yu deutlich erkennen.

Wieder lachte der dritte Gefangene. Nun erhob er sich und kam nach vorne. Der Fremde stank nach Schweiß und kratzte sich am Bart, als wimmelte er vor Läusen. „Ich mag zwar kein vornehmer Herr sein, aber ich habe unseren Jüngling sofort durchschaut.“

„Ach, hast du das?“, sagte Yu.

„Ja. Und deswegen wirst du uns auch freilassen.“

Yu lachte und schüttelte den Kopf.

„Nun, wenn du dich allein durch die Wildnis bis zum Muzu-ji schlagen möchtest, dann nur zu.“

Yu erstarrte. „Woher weißt du, wohin ich will? Wer bist du überhaupt?“

Der Fremde kratzte sich im Nacken. „Mein Name ist Sankou Yan. Und ich bin nichts weiter als ein einfacher Gauner.“

Sankou Yan war ein Mann von gewiss vierzig Jahren. Doch trotz seiner ungehobelten Erscheinung haftete seiner Miene etwas Majestätisches an. An ihm spürte Yu allerdings nicht den geringsten Hauch von Magie, die er bei Jhutsun Li und Okalang Shi wahrnahm.

„Ich weiß, wo du hinwillst“, sagte Yan, „weil ich nicht auf den Kopf gefallen bin. Eben noch strömten hier die Krieger heraus, und die Stadtbewohner zogen in einem Zug über den Platz. Von West nach Ost. Die werden das Ost- oder das Nordtor nehmen, um vor den Feinden zu fliehen. Du aber bist der Einzige, der die umgekehrte Richtung nimmt. Demnach willst du zum Westtor.“

„Vielleicht bin ich auf dem Weg zu meiner Familie, die in Richtung Westtor lebt“, sagte Yu.

„Nein, Junge. Dich hält nichts mehr in dieser Stadt. Wenn dem so wäre, hättest du keine Zeit an uns verschwendet. Aber wenn du nichts mehr zu verlieren hast, warum fliehst du dann nach Westen? Es kann nur einen Grund geben: weil du dich den neuen Herren, die kommen werden, entziehen willst. Und an dieser Stelle komme ich ins Spiel, denn ich kenne mich in der Wildnis zwischen Hujio und dem Muzu-ji gut aus. Ich bin früher selbst oft auf diesem Weg geflohen.“

„Und deswegen soll ich dich freilassen?“

Sankou Yan packte die Bambusstämme. „Junge, ich bin seit zehn Jahren in Gefangenschaft. Ich war ein Räuber und ein Dieb, und ich bin froh, noch am Leben zu sein. Doch wenn du mich jetzt befreist, kannst du sicher sein, dass Sankou Yan dir ewig dankbar sein wird. Ich bringe dich auf die andere Seite des Muzu-ji, vorbei an den Gefahren der Wildnis, vorbei an den Räubern und allem, was dort lauert.“ Sankou Yans Augen glänzten und in seiner Miene lag solcher Ernst, dass Yu ihm glaubte.

Es gefiel Yu, wie Sankou Yan redete. Zwar war seine Stimme rau und seine Ausdrucksweise frech, aber er war alles andere als dumm. Besonders gefiel Yu, dass er zwischen Räuber und Dieb unterschied. Das sprach dafür, dass er beides aus Überzeugung war und genau wusste, was er tat. Auch wenn vieles dagegensprach, die drei Gefangenen freizulassen, glaubte Yu, dass niemand es verdient hatte, unter Fürst Dayku Quan im Kerker zu sitzen.

So sagte er schließlich: „Mein Name ist Chiban Yu.“

Chiban war sein Familienname, bevor Wurishi Lu Neju ihn adoptiert hatte. Er hatte den Namen seit Jahren nicht mehr ausgesprochen. Ihm war, als gäbe er sich für einen völlig fremden Menschen aus.

Yu ging zum hinteren Teil des Wagens, der mit Holzbrettern verkleidet war. Dort fand er eine Tür, die durch einen Balken gesichert war. Yu hob diesen ab und öffnete die Tür. Der kleine Raum, der dahinterlag, war offenbar für Wachen gedacht. Links und rechts gab es je eine Bank. Die zweite Tür war ebenfalls mit einem Balken verriegelt, und Yu hob auch diesen ab und öffnete schließlich den Gefangenen den Weg in die Freiheit. Während Jhutsun Li und Okalang Shi vor Freude strahlten, schaute ihn Sankou Yan mit ernster Miene an.

Yu fragte sich, ob dieser Gauner als Dank über ihn herfallen würde, wich zurück und stieg aus dem Wagen, um dann dabei zuzuschauen, wie die anderen herauskamen.

Während Li und Shi sich besorgt umblickten, legte Yan den Kopf in den Nacken und holte tief und lange Luft. Er wirkte wie ein Riese, der sich dem Himmel entgegenreckte.

Li und Shi traten vor Yu und verbeugten sich. Die beiden wollten etwas sagen, doch Sankou Yan drängte sich zwischen sie und baute sich vor Yu auf, sodass Yu zu ihm aufblicken musste. Sankou Yan grinste, und Yu konnte nicht sagen, ob er es aus Freude über die Freiheit tat oder ob er beabsichtigte, ihm etwas anzutun.

Da packte ihn der Dieb an den Schultern und rief: „Junge, das war eine gute Tat! Jetzt kannst du mit Stolz sagen, dass Sankou Yan auf deiner Seite ist. Ich werde dich über den Muzu-ji bringen.“

„Ja, darüber wollten wir mit dir sprechen“, sagte Li zu Yu.

„Wir sind dir natürlich dankbar. Aber ich fürchte, unser Weg führt uns nach Süden.“

Yu wunderte sich. Der, den er für einen einfachen Gauner gehalten hatte, wollte ihm beistehen. Die Adligen aber boten ihm nicht einmal ihre Hilfe an.

„Ihr wollt wirklich nach Süden?“, sagte er. „Der Feind ist auf dem Weg hierher. Ihr werdet ihm in die Arme laufen.“

Li schmunzelte. „Nun, da kein Wärter mehr da ist, der uns dem Sieger überreicht, wird man uns nicht ohne Weiteres gefangen nehmen. Es ist etwas anderes, wenn man als freier Mann und Bote eines Fürstentums vor einen anderen Fürsten tritt.“

Wurishi Yu schüttelte den Kopf. „Ihr glaubt tatsächlich, Dayku Quan wird euch empfangen?“