Chrysaor - James A. Sullivan - E-Book

Chrysaor E-Book

James A. Sullivan

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Beschreibung

Epische Science Fiction vom Co-Autor der »Elfen« James A. Sullivan: Es ist eine Ära des technischen Niedergangs. Die Menschen haben das Sonnensystem besiedelt, doch Misstrauen und Kriege beherrschen weite Teile der Galaxis. Da werden auf dem Planeten Chrysaor die Überreste einer uralten außerirdischen Kultur entdeckt – eine Station unter der Erde, voller rätselhafter Maschinen. Der Fund weckt die Hoffnung auf neuen technologischen Fortschritt. Doch als die Entdeckung bekannt wird, beginnt ein Wettlauf mit der Zeit. Denn während man die Artefakte zu entschlüsseln versucht, rüsten die Bewohner des Uranos-Systems zum Angriff. Sie haben es ebenfalls auf den Fund abgesehen. Um eine galaktische Katastrophe zu verhindern, muss der Pilot Chris das Geheimnis der fremdartigen Technologie ergründen, bevor die Uranosier sich ihrer bemächtigen können. Und dabei stößt Chris auf eine ungeahnte Wahrheit, die das menschliche Verständnis des Universums vollständig verändert ...

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Kurzbeschreibung:

Epische Science Fiction vom Co-Autor der »Elfen« James A. Sullivan: Es ist eine Ära des technischen Niedergangs. Die Menschen haben das Sonnensystem besiedelt, doch Misstrauen und Kriege beherrschen weite Teile der Galaxis. Da werden auf dem Planeten Chrysaor die Überreste einer uralten außerirdischen Kultur entdeckt – eine Station unter der Erde, voller rätselhafter Maschinen. Der Fund weckt die Hoffnung auf neuen technologischen Fortschritt. Doch als die Entdeckung bekannt wird, beginnt ein Wettlauf mit der Zeit. Denn während man die Artefakte zu entschlüsseln versucht, rüsten die Bewohner des Uranos-Systems zum Angriff. Sie haben es ebenfalls auf den Fund abgesehen. Um eine galaktische Katastrophe zu verhindern, muss der Pilot Chris das Geheimnis der fremdartigen Technologie ergründen, bevor die Uranosier sich ihrer bemächtigen können. Und dabei stößt Chris auf eine ungeahnte Wahrheit, die das menschliche Verständnis des Universums vollständig verändert ... 

James A. Sullivan

Chrysaor

Roman

Edel Elements

Edel Elements

Ein Verlag der Edel Germany GmbH

© 2019 Edel Germany GmbHNeumühlen 17, 22763 Hamburg

www.edel.com

Copyright © 2019 by James A. Sullivan

Dieses Werk wurde vermittelt durch die Michael Meller Literary Agency GmbH, München.

Covergestaltung: Designomicon

Konvertierung: Datagrafix

Alle Rechte vorbehalten. All rights reserved. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des jeweiligen Rechteinhabers wiedergegeben werden.

ISBN: 978-3-96215-319-9

www.instagram.com

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www.edelelements.de

Inhalt

IANTHE-3

TITAN

GASTFREUNDSCHAFT

DARAE

AUSBRECHER

KRONOS-4

DER HEKTOR-KOMPLEX

OFFENBARUNGEN & TRANSFORMATIONEN

RYALA PONDAIA

DAS VERMÄCHTNIS DER NJALDEN

DIE PLÄNE DER KETONlDEN

TRÄUME & FANTASIEN

DER PLANET CHRYSAOR

SENTHEA PONDAIA

KOMMANDOSTATIONEN

DAS HERZ VON CHRYSAOR

TRIPTYCHON

DAS HAUPT DER MEDUSA

VON MASCHINEN UND MENSCHEN

IANTHE-3

Chris Mesaidon saß zurückgelehnt in seinem Pilotensitz, hatte die Füße auf die Konsole hochgelegt und schaute durch das weite Cockpitfenster hinauf zum zerfurchten Mond Alkestis. Der Trabant des Planeten Admeto strahlte als leuchtende Halbkugel in der Finsternis.

»Frachter JINDAO«, sagte die androgyne Computerstimme der Raumstation. »Die Ladung ist genehmigt. Fliegen Sie Bucht F-512 an.« Nichts anderes hatte Chris erwartet. Die Gravitationspanels, die er vom Planeten geholt hatte, wurden im hinteren Teil der Station dringend benötigt.

Chris zog die Füße von der Konsole und tippte mit den Fingerspitzen auf dem Display herum. Das Dröhnen der Maschinen drang bis nach vorn ins Cockpit. Behutsam fasste Chris dann die beiden Steuerknüppel, und schon hob er seinen Frachter langsam aus dem Tross der wartenden Schiffe empor.

Es war ihm längst nicht mehr peinlich, dass er gegenüber anderen Wartenden bevorzugt wurde. Er befand sich im hinteren Drittel der Warteschlange, und die Piloten, die eine weniger wichtige Fracht führten, verfluchten ihn bestimmt schon. Nur die automatisierten Frachter würden sich allem ohne Murren unterwerfen. Manchmal fragte sich Chris, wie es wohl zu Zeiten der Künstlichen Intelligenzen gewesen war. Wie hatten die KIs darauf reagiert, wenn andere den Vortritt bekamen? Gewiss vernünftiger als jeder Mensch.

Vor dem Sammelpunkt, der den Frachtern zugewiesen war, erstreckte sich vor dem blauen Planeten Admeto die Raumstation Ianthe-3 – der Ort, an dem Chris aufgewachsen war und den er mit seinen zwanzig Jahren und nach all seinen Erfahrungen noch immer nicht aufgegeben hatte.

Der lange Rücken der zylinderförmigen Station stand in der Sonne, und in dem unteren Teil, der im Schatten lag, glimmten Tausende Fenster als winzige Lichtpunkte. Ianthe-3 war eine alte Raumstation, die fast zwei Jahrhunderte lang unter Denkmalschutz gestanden hatte und als eine Variante der O’Neill-Kolonien galt. Früher war sie rotiert, um Schwerkraft zu erzeugen, nun aber war der Denkmalschutz auf Wunsch des Rates längst aufgehoben worden, und die Station stand schon seit Jahren still. Mit den modernen Gravitationssystemen, die eigentlich schon seit mehr als zweihundertfünfzig Jahren im Umlauf waren, hatte man Segment für Segment umgebaut und eine einheitliche Schwerkraft geschaffen. Damit waren sie die größten Nachteile einer rotierenden Station losgeworden. Oben bedeutete auf Ianthe-3 nun nicht länger innen, und unten nicht länger außen. Zudem veränderte sich die Gravitation jetzt nicht mehr, wenn man sich zwischen der Außenwand und dem Zentrum bewegte.

Die Zylinderform war zwar geblieben, doch über die Jahre hatte sich die Station stark verändert. Der Umbau hatte Chris alles genommen und vieles wieder gegeben: Seine Ziehmutter war tot, und seine echten Eltern kannte er nicht. Aber seine bescheidene Wohnung, die seiner Ziehmutter so viel bedeutet hatte, war wieder sein Eigentum; die JINDAO – klein, schwierig zu manövrieren und mit einem miserablen Bordcomputer – gehörte ihm allein. Und wenn er noch eine Weile als Freier Pilot für die Wuchao Corporation flog, würde er sich mit einem kleinen Kredit eines der Wirtschaftsmodule kaufen können, die aus einer Landebucht, einem Lagerraum und einigen Geschäftsräumen bestanden. Davon träumte er.

Auf dem Weg zu Bucht F-512 flog Chris mit seinem Frachter den Rücken von Ianthe-3 entlang und passierte die Stationsmitte. Mit dem Umstieg auf Gravitationspanels unterlag die Form von Ianthe-3 nicht mehr den strengen Zwängen von einst. Nirgends war das deutlicher zu sehen als in diesem Bereich, den die Einheimischen meist Mittstation nannten, der inzwischen aber auch unter dem Namen Ianthe City bekannt war. Chris flog über die Wohnmodule und Unternehmenstürme, die hier emporragten wie die Hochhäuser der gewaltigen Stadt Jamor unten auf Admeto. Bald würde der gesamte Rücken von Ianthe-3 so aussehen wie hier.

Am Rand von Ianthe City schoben sich Lichter in einer breiten Bahn langsam von links nach rechts über den gerundeten Körper der Station. Manche drifteten vor sich hin, andere flogen schneller als die Schiffe über der Stadt. Es waren Wohnmodule. Die schnellen gehörten Leuten, die irgendwohin mussten, dort mit ihrem Modul andockten und direkt aus dem eigenen Bereich den Zielort betraten. Die langsameren Module gehörten vor allem jenen, die die Rotation der Station vermissten und mal den Planeten und das Sprungtor sehen wollten und mal den Mond Alkestis. Je weiter man sich von der Mittstation entfernte, umso langsamer drifteten die Module vor sich hin, bis sich schließlich dem bloßen Auge gar keine Bewegung mehr bot.

Jenseits von Ianthe City herrschte ein scheinbares Durcheinander. Baudrohnen und Lastentransporter sowie die Arbeiter, die in ihren mächtigen Raumanzügen wie Kampfroboter wirkten, waren überall am Werk. Dabei war in diesem Bereich im Inneren der Station bereits alles fertiggestellt, während es draußen mit den Arbeiten weiterging.

Die Bucht F-512 lag im letzten Drittel der Station, das wie nach einem Beschuss durchlöchert wirkte und in dem nur einige Bereiche bereits zugänglich waren. Hier fügten sich eine Handvoll Module aneinander, von denen aus die Bautrupps ihre Arbeit vorantrieben. Chris dockte zwischen zwei anderen Frachtern an einem der Tore an.

Durchs Cockpitfenster konnte er in die hell erleuchtete Kontrollstation hineinschauen. Eine Frau und ein Mann in der grünen Uniform der Wuchao Corporation winkten ihm entspannt entgegen. Den Namen des Mannes hatte er vergessen, falls er ihn denn je erfahren hatte. Er war um die dreißig, trug immer einen offenen Helm und schien abwesend zu sein, als lauschte er über Kopfhörer ständig irgendwelchen Befehlen. Die Frau mit dem hochgesteckten Haar hieß Savina. Sie war ein paar Jahre älter als Chris, jedoch keinesfalls älter als fünfundzwanzig. Ihre Stimme drang hell und klar aus den Lautsprechern. »Immer mit der Ruhe, Mesaidon«, sagte sie. Sie hatte einen Hang zu auffallenden Lippenstiften. Diesmal hatte sie Grün gewählt, und ihr Mund, der sich zu einem Lächeln wölbte, passte gut zu ihrer Uniform. »Du brauchst nicht auszusteigen. Die Roboter entladen bereits.«

Tatsächlich konnte Chris auf einem der Schirme sehen, wie die klobigen Roboter die rechteckigen Frachtmodule aus dem Heck zogen.

Chris seufzte. »Ihr wollt mich also nicht an Bord haben?«, fragte er.

Savina lachte. »Wir würden dich gerne an Bord haben, Mesaidon«, sagte sie und grinste. »Aber es kommen eine Menge Schiffe rein. Du kannst da nicht bleiben.«

»Na gut.« Chris atmete durch. »Aber beim nächsten Mal lasse ich mich nicht davonjagen.« Dazu war die Versorgung in den Baumodulen zu gut. Bei der letzten Fracht hatte er im Speisesaal essen dürfen. Er hatte sich am Buffet unauffällig den Magen vollgeschlagen. Dabei hatte er andere Piloten gesehen, und sie hatten Blicke getauscht wie Verschwörer, die der gleichen Sache dienten. Ihm ging es um ein Wirtschaftsmodul irgendwo im vorderen Bereich der Raumstation, andere mochten nach ihrem eigenen Schiff, ihrer eigenen Wohnung oder nach etwas anderem streben, wofür es sich zu hungern lohnte.

Savina meldete sich wieder. »Tut uns leid, Mesaidon«, sagte sie. »Deine Geschichten waren unterhaltsam. Als Trostpreis laden wir dein Schiff auf. Das sollte für die nächste Fuhre reichen. Und wir lassen dir in der Lounge in Ianthe City was reservieren.«

»Wirklich?«

Savina zuckte mit den Schultern. »Die da oben wollen irgendwas von dir.« Das Lächeln schlich sich wieder in ihr Gesicht. »Vielleicht haben sich deine Geschichten rumgesprochen. Ich habe ja gesagt, dass die in der Logistik einen wie dich brauchen können, aber du wolltest mir nicht glauben. Mach dich also auf was gefasst. Ich schick dir die Zieldaten.«

»Danke«, sagte Chris grinsend. »Grün steht dir übrigens.«

Savina strahlte und pustete ihm einen Kuss zu. »Solltest du auch mal probieren«, sagte sie mit verführerischer Stimme. »Bis bald.«

Während Chris mit dem Frachter ablegte und sich aus der Bucht zurückzog, wunderte er sich über sein Wohlgefühl. Er mochte Savina, aber wirklich interessiert war er nicht an ihr. Er hatte lange kein echtes Interesse an irgendwem gehabt. Aber vielleicht ging es ihr ebenso, und in diesen wenigen Minuten jedes Mal teilten sie einen kleinen Augenblick der Freude.

Der Gedanke an die Absichten der Oberen der Wuchao Corporation machte Chris auf dem Weg nach Ianthe City unruhig. Sie hatten genug Personal und waren sogar über die gesetzlich vorgeschriebene Mindestanzahl der Angestellten weit hinausgegangen. Freie Piloten banden sie nur selten an sich, und dann kamen die meisten aus den größeren Niederlassungen des Unternehmens. Savina schien nur zu spekulieren. Am Ende war es gewiss nur irgendein Job, bei dem er nie wieder ein Cockpit von innen sehen würde – zumindest kein echtes.

Ganz gleich, was die Oberen von ihm wollten – die Annehmlichkeiten im Vorfeld würde er auskosten. Wie das Zentrum einer gewaltigen Stadt oder gar die Hauptstadt eines ganzen Landes war Ianthe City der Ort, zu dem alle hinwollten. Wer in der Mittstation lebte, der hatte es geschafft.

Vielleicht hatte wieder einmal ein ehemaliger Weggefährte seiner Ziehmutter die Finger im Spiel. Viele von ihnen plagte das schlechte Gewissen, das aus einer Zeit stammte, da der Rat über die Veränderungen an der Station entschieden hatte. Chris’ Ziehmutter – Elsara Luhan – hatte sich für bescheidenere Veränderungen eingesetzt und war gescheitert. Und dann hatte sie nach und nach beinahe alles verloren.

Chris war in der Umbauzeit aufgewachsen. Wie bei allen Waisenkindern war der Stationsrat auch bei ihm Pate gewesen und hatte ihn bei einer Pflegemutter untergebracht. Elsara war – wie sie später zugegeben hatte – durch Beziehungen an ihn gekommen. Sie war damals auf der Höhe ihres Erfolges gewesen, ein wichtiges Mitglied des Stationsrates, der Kopf der admetischen Demokraten. Und sie hatte Chris angenommen und etwas Ungewöhnliches getan: Sie hatte ihm stets die Wahrheit gesagt und ihm nie vorgemacht, dass er ihr Kind wäre. Doch dieser Hang zur Wahrheit, den sie auch andernorts pflegte, war ihr schließlich zum Verhängnis geworden.

Elsara war nicht wiedergewählt worden, und ihr Wabenhotel, das nur wenige Jahre später der Renner gewesen wäre, ging pleite. Ihr blieb nur ein kleines Wohnmodul – das Heim, in dem sie mit ihrer Mutter aufgewachsen war und sich aus dem Nichts etwas aufgebaut hatte. Obwohl sie gegen den Umbau der Station gewesen war, musste sie daran mitarbeiten, um zu überleben.

Als Chris zehn war, starb Elsara bei einem Unfall in Segment-9 wegen eines Lecks in der Außenwand. Weil sie in den Tagen ihres Erfolges eine Lebensversicherung abgeschlossen hatte und die Untersuchung einen Selbstmord oder auch nur eine Schuld am Unfall ausschloss, erhielt er 250 000 uranosische Drachmen. Er musste sich einer Prüfung unterziehen, die eigentlich hätte ergeben sollen, dass er unmündig war, doch seine Ergebnisse erstaunten alle. Der Test ergab, dass er mündig und auf dem Stand eines Siebzehnjährigen gewesen war. Das musste offensichtlich ein Fehler sein. Doch ganz gleich, wie oft sie den Test wiederholten, die Fragen änderten und alles analysierten: Es blieb dabei. Er – offensichtlich ein Kind in allen Belangen – galt als mündig. Die Station bot ihm zwar Hilfe an, die er auch immer wieder annahm, aber vor dem Gesetz war er fortan ein Erwachsener.

Er erinnerte sich noch an die Fragen und was sie mit ihm gemacht hatten. Es war, als hätte er einfach Dinge nachgeplappert, die ihm jemand zugeflüstert hatte. Infolge des Schocks wegen des Verlusts seiner Ziehmutter hatte er sich nicht erinnern können, ob sie ihn vielleicht darauf vorbereitet hatte. Und selbst heute wusste er es nicht. Die Diskrepanz zwischen seinem kindlichen Wünschen und Träumen auf der einen Seite und den eiskalten Antworten auf der anderen erschreckte ihn selbst jetzt noch.

Natürlich hatte es in einem Verhängnis enden müssen, dass er, obwohl er eigentlich nicht reif war, ein Vermögen zu verwalten, als mündig galt. Er verschleuderte das Geld, und mit zwölf war er pleite und hätte beinahe seine Wohnung verloren. Eigentlich hatte er sie sogar verloren. Er hatte Steuerschulden, und so pfändete die Station seine Wohnung. Doch sie warfen ihn nicht raus, dabei hätten sie ihn ohne Weiteres der Station verweisen können.

Einige alte Freunde seiner Ziehmutter arrangierten eine Vereinbarung, wonach die Wohnung fortan der Stadt gehörte und er Miete hätte zahlen müssen. Da er aber kein Einkommen hatte, musste er beim Umbau helfen. Er war sich im Klaren, dass er nur deswegen nicht davongejagt worden war, weil das Bild, das alle von Elsara hatten, sich angesichts explodierender Kosten und der vielen Probleme zum Positiven gewandelt hatte. Ihre Befürchtungen, die sie immer ausgesprochen hatte, waren eingetreten. Schuldgefühle verpflichteten die anderen, Chris immer wieder zu helfen.

Er hatte über die Jahre an den verschiedensten Orten der sich wandelnden Station gearbeitet. Und mit ihr hatte auch er sich verändert. Überall schossen jeden Tag neue Herausforderungen empor. Er hatte das Geld verdient, das er zum Überleben benötigte, und hatte das, was übrig gewesen war, in seine Ausbildung gesteckt. Den Pilotenschein hatte er mit vierzehn gemacht, aber niemand war bereit gewesen, ihm ein Schiff anzuvertrauen. Also begnügte er sich mit den Lastentransportern auf den Baustellen, die weit gefährlicher waren als der übliche Frachter, aber erheblich weniger kosteten, wenn sie zu Bruch gingen.

Als die Wuchao Corporation nach Ianthe-3 kam und ihre Testprogramme durchführte, erzielte er beim Pilotenszenario ein gutes Ergebnis und wurde trotz aller Bedenken als Pilot gebucht, nicht aber angestellt. Zuerst als Co-Pilot, nach einem Erdmonat aber bereits als Hauptpilot. Und seither flog er zuverlässig Frachten hin und her, inzwischen mit seinem eigenen Schiff, das die Wuchao Corporation ausgemustert hatte.

Chris zog die JINDAO langsam in die Höhe, denn die Zieldaten, die Savina ihm herübergespielt hatte, zeigten an, dass man ihn im Wuchao Tower erwartete. Natürlich hätte er den Flug auch dem Autopiloten überlassen können, doch er hatte gerne selbst die Kontrolle über das Schiff. So dachten die meisten Piloten, denn mit den automatisierten Frachtern, die inzwischen wieder an Boden gewannen, wäre die Übernahme durch den Bordcomputer ein Eingeständnis gewesen, dass er und seinesgleichen nicht mehr gebraucht wurden.

Die Konzerne kontrollierten den Markt und machten voll automatisierte Frachter teuer. Jedes Modul, auf das ein Schiff verzichten konnte, sparte Geld. Und die Steuertechnik und Sensorik, die für ein voll automatisches Schiff nötig waren, kosteten ein Vermögen. Bei kleinen Schiffen lohnte es sich nicht. Zumindest schaffte es Chris immer wieder mit seiner kleinen JINDAO, die Anbieter automatisierter Frachter im Preis zu unterbieten. Bei kleinen Lieferungen, die schnell abgewickelt werden mussten, war das ohne Weiteres möglich. Bei größeren Frachten, die lange im Voraus feststanden, konnte sich niemand mit den computergesteuerten Schiffen messen, selbst wenn sich die automatisierten Frachter leicht manipulieren ließen und dadurch immer wieder Ladungen verschwanden.

Computer konnten keine Verantwortung tragen. Die Verantwortung lag immer bei den Besitzern oder – je nach Fall – sogar bei den Herstellern. Unfälle hatten schon große Firmen in den Ruin getrieben. Einem menschlichen Piloten konnte man ganz einfach die Verantwortung auferlegen. Er konnte haften, wenn etwas schiefging; und am Ende stand dann eine ruinierte Einzelperson und nicht das Unternehmen. Und hätte es nicht die Verpflichtung der Versicherungen gegeben, Piloten wie Chris aufzunehmen, wäre er bei jedem Flug Gefahr gelaufen, sich durch einen Fehler zu ruinieren.

In Zeiten der Künstlichen Intelligenzen war ein solches Risiko noch zu ertragen gewesen, doch seit die KIs sich zurückgezogen und die Menschheit ihrem Schicksal überlassen hatten, war das anders. Die automatisierten Systeme, so hieß es, waren nur noch ein Schatten ihrer selbst.

Ein Summen drang aus den Lautsprechern. »Chris Mesaidon?«, sagte eine männliche Computerstimme. »Wuchao Tower, Anlegepunkt 4096. Sie dürfen landen.«

Chris antwortete nicht. Der Nachteil menschlicher Piloten war, dass sie viel mit Computerstimmen, sogar viel mit automatisierten Stationen, Robotern und Drohnen zu tun hatten. Auch damals, als seine Mutter – seine echte Mutter – am vorderen Teil der Station mit einer gefälschten Schiffs-ID angelegt und ihn in einem Brutkasten in einer Frachtschleuse abgelegt hatte, war dort kein Mensch gewesen, der sie hätte sehen können. Sie hatte die Außenkameras blockiert, und er wusste nur deswegen, dass eine Frau ihn abgesetzt hatte, weil einige Roboter, die die geräumige Schleuse sauber halten sollten, sie gesehen hatten. Die Videos zeigten eine Person in einem körperbetonten Pilotinnenanzug. Chris hatte sich die groben Aufnahmen wieder und wieder angesehen, doch weil seine Mutter einen Helm getragen hatte, war ihr Gesicht verborgen geblieben.

Sein ganzes junges Leben lang hatte er sich gefragt, warum seine Mutter ihn auf der Station ausgesetzt hatte. Er war ihr wichtig genug gewesen, ihn in Sicherheit zu schaffen, und wichtig genug, um ihm einen Namen zu geben. Doch vermutlich war Mesaidon ein falscher Nachname. Es gab zwar Familien mit dem Namen, aber die meisten stammten von der Erde, und jede Recherche in dieser Richtung war im Sande verlaufen.

Die Umstände seiner Ankunft auf Ianthe-3 boten viel Raum zur Spekulation. Aber seine Ziehmutter hatte ihn davor gewarnt, zu laut nach seiner Herkunft zu fragen. »Vielleicht hat sie dein Leben gerettet und ihres dann geopfert.« Das hatte Elsara oft gesagt. Manchmal glaubte Chris daran. Aber dann packte ihn wie aus dem Nichts die Wut auf eine Frau, die ihren Sohn einfach auf irgendeiner Station aussetzte und nie wieder Kontakt mit ihm aufnahm.

Chris dockte an dem ihm zugewiesenen Anlegepunkt an und begab sich voller Spannung zur Luke hinab. Er war zwar schon einmal im Wuchao Tower gewesen, jedoch nur unten in der dritten Etage. Hier aber befand er sich im 32. Stock.

Die Tür ins Gebäude öffnete sich, und Chris trat schnellen Schrittes ein und folgte dem Gang nach rechts. Das Fenster, das sich die Wand entlangzog, lockte Chris’ Blick über den vorderen Teil der Station und dann hinüber zum blauen Planeten Admeto. Er stand beinahe halb im Licht der Sonne – dem Stern Pheres. Die nördliche Hemisphäre war von Wolken bedeckt. Vor sechs Stunden war Chris noch dort gewesen und hatte die Gravitationspanels aus der Fabrik abgeholt. Auf einem echten Planeten zu sein, empfanden andere als schön, für ihn aber blieb es befremdlich.

Er liebte Ianthe-3, denn er liebte abgeschlossenen und geordneten Raum. Der Wildwuchs auf Admeto machte ihm bei aller Schönheit Angst. Der Wind dort unten verwirrte ihn, mehr noch der Regen und das wechselnde Wetter. Er sprach nicht gerne darüber, denn es galt als verkommen, die Künstlichkeit der Natur vorzuziehen. Aber Chris vermutete, dass die meisten, die auf Stationen, Schiffen oder auch nur in isolierten Städten auf Asteroiden, Monden oder unwirtlichen Planeten aufgewachsen waren, hinter der Fassade so fühlten wie er.

Chris folgte dem Gang und schaute immer wieder zu den vorbeifliegenden Schiffen hinaus. Die großen Passagierschiffe, die wie riesige Ansammlungen von Kuppeln aller Größen wirkten, brachten ihn zum Schmunzeln. Obwohl der Umbau längst nicht abgeschlossen war und so viele Frachter und ganze Schwärme von Baudrohnen ständig unterwegs waren, suchten bereits viele Touristen den Weg zu ihnen, um im vorderen Teil der Station oder hier in Ianthe City Urlaub zu machen – mit einem schönen Blick auf Admeto und allem, was das Touristenherz begehrte.

Den hinteren Teil der Anlage kriegten sie nur bei ihrer Ankunft zu sehen, wenn sie in ihren Schiffen vom Sprungtor herkamen. Die Frachter, die vom Planeten kamen, sollten einen Bogen fliegen und sich am Sammelpunkt treffen, um den Blick auf den Planeten nicht zu verstellen. Die großen Schiffe durften sogar erst im letzten Augenblick aus der Höhe über der Station in die Tiefe stoßen und an ihrem Zielort anlegen. Die größten Frachter aber durften sich der Station überhaupt nicht nähern. Nur den kleinen, wie etwa der JINDAO, war es gestattet, sich beinahe frei zu bewegen. Sie fielen unter all den Fähren kaum auf.

Ein junger Mann kam ihm entgegen. Er konnte kaum älter als Chris selbst sein, wirkte in seiner grünen Unternehmensuniform aber erwachsener als Chris in seiner groben Kleidung.

»Chris Mesaidon?«, fragte der Fremde mit sanfter Stimme und streckte ihm lächelnd die Hand entgegen.

Chris nickte und schüttelte dem Mann die Hand. »Das bin ich«, antwortete er.

»Mein Name ist Allard Ryan. Ich arbeite für Bennet Wuchao.«

»Für den Chef?« Bennet Wuchao stammte, wie der Name schon sagte, aus der Gründerfamilie der Wuchao Corporation. Dass er das Unternehmen hier auf Admeto und Ianthe-3 vertrat, während der Hauptsitz auf dem Planeten Euryale im Keto-System war, offenbarte deutlich, wie stark die Bedeutung der Familie Wuchao im Unternehmen abgenommen hatte. Doch sobald der Umbau erst einmal abgeschlossen war, mochte sich das ändern.

»Ich soll Ihnen ein Angebot machen«, sagte Ryan. Seine schwarzen Augen glänzten, als er den Gang entlangwies.

»Ein Jobangebot?«, fragte Chris und machte sich an Ryans Seite auf den Weg.

Ryan nickte. »Ihre Daten müssen in der Zentrale Eindruck gemacht haben. Man möchte Sie nun als Pilot nach Euryale holen.«

»Ins Keto-System? Da herrscht Krieg.«

Ryan nickte. »Zwischen den Ketoniden und den Uranosiern, aber nicht zwischen den Konzernen. Die pflegen mit beiden Seiten Abkommen, sodass sie sich im Kriegsgebiet bewegen dürfen. Die Wuchao Corporation ist für das Uranos-System sehr wichtig. Man möchte den Handel nicht zum Stillstand kommen lassen.«

»Ja, und im Gegenzug transportieren Sie keine Waffen und anderes Gerät«, sagte Chris. »Hab ich zumindest gehört.«

Ryan nickte, und eine seiner schwarzen Locken fiel ihm in die Stirn. Sofort wischte er sie mit den Fingerspitzen wieder zurück. »Wir müssen uns nur den Kontrollen unterziehen. Da aber viele andere Unternehmen – vor allem die kleineren – kein Abkommen mit beiden Seiten haben, sind wir und die anderen Großen die Anlaufstelle.«

»Verstehe«, sagte Chris. Im Krieg profitierten die Großen. Und sie konnten sich noch gegenseitig auf die Schulter klopfen, weil sie ja keine Waffen lieferten. Und von den Zivilisten konnten sie sich feiern lassen, weil sie mit Vorräten auf den Planeten landeten. »Aber vielleicht gefällt es mir hier ja ganz gut«, sagte er.

»Die Zentrale möchte Sie für ein halbes Jahr auf der Route Euryale-Medusa einsetzen. Eine Art Test. Ihr Gehalt für dieses halbe Jahr beträgt 50 000 Drachmen.«

»Wir reden von Standardjahren.« Zu oft versuchten Firmen statt der Erdjahre das Jahr eines anderen Planeten zu wählen.

»Natürlich Standardjahre – und natürlich uranosische Drachmen«, erklärte Ryan mit einem schiefen Lächeln. »Wenn Sie unzufrieden sind, können Sie ja jederzeit wieder in die Selbstständigkeit zurückkehren. Bei Ihrer Statistik sind Ihnen unsere Aufträge sicher.«

Chris stutzte. »Das alles kommt ein wenig plötzlich.«

»Stimmt. Sie müssen heute noch abreisen.«

Chris blieb stehen. »Heute?«

Ryan hielt ebenfalls an und nickte nur ruhig.

»Warum heute? Warum ist es so dringend?«

»Keine Ahnung.« Ryan zuckte mit den Schultern. »Das wird Bennet Wuchao Ihnen verraten.«

Ryan wies auf eine Tür ins Innere. Bevor Chris eintrat, schaute er den Gang weiter entlang und sah durch das Fenster das nächste Schiff, das an den Turm angelegt hatte: ein heruntergekommener Frachter mit weiten Tragflächen – eigentlich zu alt, um noch eingesetzt zu werden. Doch das Schiff schien links und rechts erweitert worden zu sein. Neben dieser schmutzigen Kiste dort wirkte Chris’ JINDAO wie eine Perle – und das war sie nicht.

Chris schritt durch die Tür auf einen breiten Gang, auf dem Anzugträger ihrer Wege gingen und ihn – völlig zu Recht – anschauten, als könnte er unmöglich hierher gehören.

Auf dem Weg durch den Gang, der sich um das Zentrum des Geschosses bog, überlegte Chris, welchen Grund der plötzliche Aufbruch haben konnte. So wichtig konnte er doch unmöglich sein. Oder waren seine Statistiken etwa dermaßen gut? Vielleicht hatte irgendeine Analyse ergeben, dass er für irgendeinen zweifelhaften Job genau der Richtige war. Und in einer solchen Lage musste ein Pilot aufpassen, dass er nicht zum Opfer wurde.

Ein helles Warnsignal schallte über den Gang. Eine Frauenstimme sagte über die Lautsprecher: »Achtung, Achtung! Die Station steht unter Beschuss.« Die Leute blieben stehen, auch Chris hielt an und schaute in Ryans fassungslose Miene. »Ianthe City wird evakuiert. Nutzen Sie einen der Aufzüge, um ins Innere der Station zu gelangen, oder lassen Sie sich mit einer Fähre an einen anderen sicheren Ort bringen.«

»Bestimmt nur eine Übung«, sagte ein schmächtiger Mann neben Ryan und winkte ab.

»Dies ist keine Übung!«, sagte die Stimme, nur um dann die Informationen zu wiederholen.

Die Leute machten sich hastig auf den Weg zu den Aufzügen.

Ryan stand wie angewurzelt da. »Dann ist es also doch wahr.«

»Was ist wahr?«, fragte Chris, während es um sie herum immer lauter wurde.

Ryan blinzelte. »Wir erhalten seit einigen Stunden Warnungen vor einem feindlichen Angriff«, rief er gegen den Lärm der redenden und rufenden Menschen an.

»Und das haben Sie nicht ernst genommen?«, fragte Chris.

»Wenn Sie all die Bombendrohungen und all die ach so wichtigen Warnungen hören würden, die hier täglich ankommen!« Er wies zu der Menschentraube, die sich vor den Aufzügen gebildet hatte. »Ich kann uns einen der Spezialtransporter öffnen. Da können wir noch einige mitnehmen.«

Chris hob die Hand. »Ich kehre lieber zu meinem Schiff zurück.«

»Tut mir leid«, entgegnete Ryan und verschwand in der Menge.

Chris bot einer Gruppe Unentschlossener an, sie auf seinem Frachter mitzunehmen, doch sie musterten ihn nur und antworteten ihm nicht einmal. Nur eine Person blieb stehen, während die Menschen an ihr vorüberhasteten, als wäre sie gar nicht da. Chris musste genau hinschauen, um sie zwischen den Leuten auszumachen. Eine Frau mit gewelltem Haar und geschwungenen Lippen stand dort wie festgewurzelt in der sich verdichtenden Menge und rührte sich nicht.

Chris sprach sie an, doch sie reagierte nicht. Offenbar stand sie unter Schock.

Der Ruf eines Mannes ließ Chris herumfahren. Er hielt die Tür zum Treppenhaus auf und winkte die Leute herbei.

Chris wandte sich wieder um, doch die Frau, die ihn als Einzige eines zweiten Blickes gewürdigt hatte, war fort. Er blinzelte, schaute sich um, aber von ihr war keine Spur mehr zu sehen. Offenbar war sie aus ihrer Starre erwacht und hatte sich mitreißen lassen.

Da sich niemand für die Flucht auf seinem Schiff interessierte, kehrte Chris allein auf den äußeren Gang zurück und blickte ins All hinaus. Die Frachter und Passagierschiffe bewegten sich rasch nach links, dem Planeten entgegen. In der Ferne aber näherte sich eine breit aufgefächerte Flotte. Ein Strom an kleinen Schiffen und Kampfdrohnen zog sich rechts vom Sprungtor bis zum Hauptheer hinüber. Das waren nur winzige Objekte, aber Chris kannte sie aus den Simulationen.

Einzelne Jäger schwärmten bereits vor der Flotte aus. Auf halbem Weg zu den Angreifern erstrahlten unzählige Lichtpunkte. Die Projektile verglühten dort am Schutzschild der Station und ließen diesen wie einen gigantischen Glitzervorhang erscheinen. Die meisten Schiffe, die sich nicht schnell genug unter den Schild hatten retten oder aus der Schussbahn hatten fliehen können, standen unter Feuer. Die ersten waren bereits zerstört, und im Staub der Trümmer wurde ein feines Netz aus rötlichen Strahlen sichtbar, das sich wieder und wieder neu zu schaffen schien.

Zuerst dachte Chris, es wären Reste der zerstörten Schiffe – Strahlung, die vom Antrieb stammte. Doch dann erinnerte er sich an die Erzählungen der Kampfpiloten. Im Simulator war er oft Kampfeinsätze geflogen, doch die modernen Systeme hatten immer das visualisiert, was dort draußen ohne Unterstützung eines Bordcomputers nur durch den Staub sichtbar wurde – Laserwaffen. Was er sah, mussten die Ziellaser sein. Die Waffenlaser arbeiteten im Infrarotbereich und waren unsichtbar. Nur mit dem Schutzschild reagierten sie so sehr, dass sie sich als grelle Punkte, kaum größer als die der Projektile, manifestierten.

Eine Erschütterung und ein Grollen von tief unten, gefolgt von einem Erzittern des Bodens, riss Chris aus seiner Starre. Er hatte das Gefühl, den Halt zu verlieren, und stützte sich an der Scheibe ab.

Da zischte ein kantiger Jäger direkt vor ihm vorüber. Es war ein Schiffstyp mit Tragflächen, der auch in der Atmosphäre operieren und auf Planeten landen konnte, ohne irgendeine Antigrav-Einheit. Die Markierung auf der Seite des Schiffes zeigte ein Schwertlogo. Die Uranosier! Einige von ihnen waren bereits diesseits des Schildes. Sie konnten nur vor dem Angriff hindurchgeschlüpft sein – bevor die Station die Schilde hochgefahren hatte.

Als ein weiterer Jäger vorbeiflog, gefolgt und beschossen von zwei der kugelförmigen Wachschiffe der Station, setzte Chris den Weg zu seinem Frachter fort. Immer wieder geriet er nach einer Erschütterung ins Taumeln und musste sich abstützen; und immer wieder wurde sein Blick ins All hinausgezogen.

Gewaltige Lichtflächen bildeten sich auf dem Schild. Die Uranosier brachten größere Waffen zum Einsatz. Es war kaum noch zu erkennen, was jenseits des Schildes lag. Chris glaubte aber, den glühenden Antrieb von Raketen zu erkennen. Der Schild würde nicht mehr lange halten. Von den neuen Generatoren war bis dato nur eine Handvoll fertig. Zwar verfügte jeder einzelne von ihnen theoretisch über unbegrenzte Energie aus dem Tiefenraum, doch sie überhitzten bei übermäßiger Beanspruchung. Dann würden sie auf den nächsten Generator umschalten. Wenn sie Glück hatten, waren bereits acht einsatzbereit: acht von vierundsechzig, die sie am Ende anstrebten und die viele – auch Chris – für völlig übertrieben gehalten hatten.

Chris war nur gut dreißig Meter von seinem Schiff entfernt, als der Schild draußen ins Flackern geriet und einfach verschwand. Rote Lichtpunkte tanzten die Wände herab. Chris erstarrte und blickte ungläubig nach draußen. In der Staubwolke der zertrümmerten Schiffe konnte er sehen, dass die Ziellaser sich nach unten richteten.

Chris machte einen Schritt, und unter ihm traf etwas besonders heftig auf die Station. Er wurde gegen die Wand geworfen und richtete sich sofort wieder auf. Projektile prasselten gegen die Scheibe und ließen Flecken für Flecken trüb werden.

Schwankend lief Chris weiter. Sein Schiff lag keine zwanzig Meter entfernt vor ihm; er konnte es durch die noch klaren Teile der Scheibe sehen. Die JINDAO lag ruhig an der Anlegestelle, doch sie splitterte bereits unter dem Beschuss. Als rote Lichtpunkte sich auf dem Schiff sammelten und dann mit einem Blitz und einer Erschütterung verschwanden, blieb Chris stehen. Die JINDAO war verloren, denn die Laser hatten sich durch ihre Außenwand gefressen. Das Schiff, für das er so hart gearbeitet hatte, war dahin.

Er wandte sich um und machte sich auf den Rückweg zu den Aufzügen. Die Wut über den Verlust seines Schiffes stieg ihm zu Kopf, trieb ihn aber auch an. Er hatte den halben Weg zur Tür ins Innere zurückgelegt, als es hinter ihm knallte, klirrte und rauschte. Die Scheibe war geborsten. Sofort schloss sich eine Zwischentür und riegelte keine vier Meter hinter ihm den Gang ab.

Atemlos und entsetzt lief Chris weiter. Vier Meter – wäre er langsamer gewesen, wäre er jetzt tot.

Eine gewaltige Erschütterung hinter ihm ließ ihn vermuten, dass es um seine JINDAO endgültig geschehen war. Ein Blick über die Schulter, und er sah nur die geschlossene Tür.

Vor ihm standen die Scheiben weit weniger unter Beschuss, und er konnte kurz vor der Tür ins Innere durch klare Stellen im Fenster das andere Schiff erkennen, dieses heruntergekommene Etwas, das er bereits bei seiner Ankunft gesehen hatte. Es wurde nicht getroffen; die Geschosse prallten kurz davor ab. Offenbar war jemand an Bord und hatte die Schilde angeschaltet. Oder das System war so programmiert, sie bei einem Beschuss selbst hochzufahren.

Ganz gleich, was dort war, er würde keinen Augenblick länger auf dem Außengang bleiben und darauf warten, dass die Scheiben brachen und das Schutzsystem ihm den Ausweg abschnitt.

Er lief durch die Tür und war entsetzt angesichts dessen, was er dort im Inneren fand. Einige Wände waren zusammengebrochen. In manchen Räumen schlugen die Flammen bis zur Decke. Die Warnlampen und die sich abwechselnden Ansagen bewiesen, dass es schlecht stand. Die Menschen waren alle fort – bis auf einen: Ein groß gewachsener Mann kam ihm entgegen.

»Junge!«, rief der Fremde, dessen dunkler Bart sich kaum von seiner Hautfarbe abhob. Gekleidet war er in einen schlichten, ein wenig groben Pilotenoverall, über dem er einen dünnen Mantel aus braunem Stoff trug. Der Reverskragen war heller und offenbar aus Leder. »Die Aufzüge sind hin!«, rief er.

»Ist das dein Schiff da draußen?«, fragte Chris.

Der Fremde fuhr sich durch das kurze Haar und nickte.

»Warum bist du dann noch nicht fort?«

»Ich habe etwas vergessen und wollte es holen.« Er wies den gebogenen Gang entlang, der, von einigen Flammen und einer Rauchwolke unter der Decke abgesehen, noch erstaunlich frei schien. »Aber das wird wohl nichts. Komm!«

Chris nickte und folgte dem Fremden. »Sie haben mir mein Schiff vor der Nase weggeschossen«, erklärte er. »Hoffentlich ist deins noch da, wenn wir ankommen.«

Der Fremde grinste. »Keine Sorge. Die AMBERSON hält einiges an Lasern und Projektilen ab. Die hat sogar schon mal einen Torpedo überstanden.«

Sie liefen ein Stück auf dem Innengang weiter, um möglichst wenig Zeit auf dem Außengang verbringen zu müssen. Als sie schließlich auf den Außengang hinausgehen wollten, war dort die Tür verriegelt. Auf dem Display stand: »Lebensgefahr!«

»Zur nächsten«, sagte der Fremde.

Chris folgte ihm, und tatsächlich war die nächste Tür unverriegelt. Die Scheiben des Außengangs waren hier beinahe unversehrt. »Sie mussten uns auch ausgerechnet die Anlegeplätze mit dem Ausblick zum Tor geben«, sagte er.

Das Schiff – die AMBERSON – war noch da. Der Beschuss hatte sich deutlich abgeschwächt. Die uranosische Flotte hatte sich verteilt und zielte offenbar auf die Schildgeneratoren.

Der Fremde verlangsamte seine Schritte. »Das war’s. Wir haben es geschafft.«

»Machst du Witze?«, sagte Chris, blieb aber auch stehen.

»Der Beschuss eben kam davon, dass sie die Schilde durchbrochen hatten und dann die geballte Ladung auf die Station traf. Also keine Sorge.«

»Die haben auch danach noch geschossen«, erwiderte Chris und gab sich Mühe, mit dem Fremden Schritt zu halten.

»Ein paar Hitzköpfe, die man zurückpfeifen musste. Jetzt werden sie es ruhig angehen und sich auf die Schiffe und Geschütze konzentrieren. Unser Problem beginnt, sobald wir ablegen.«

Chris schwieg. Aus der dunklen Stimme des Fremden sprach die Erfahrung. Er klang fast gelangweilt – als hätte er schon viele Angriffe überlebt. Nun reichte er ihm die Hand und sagte: »Ich bin Valmas – einfach Valmas.« Er lächelte, als Chris einschlug. »Und wer bist du?«, fragte er und wich Chris’ Blick aus, als hätte er draußen etwas registriert.

»Chris Mesaidon. Pilot und hoffentlich Überlebender von all diesem Chaos.«

Valmas klopfte ihm auf die Schulter. »Ich bin schon aus brenzligeren Situationen rausgekommen.« Er sagte es mit einem Lächeln, das erstarb, als sie fast bei der Tür zum Schiff angekommen waren. Er wies auf ein Schlachtschiff der Station, das sich erhoben hatte, um der Flotte die Stirn zu bieten. »Gefährliches Spiel«, sagte er.

»Weil er allein ist. Keine Sorge, die anderen werden auch noch kommen.«

Valmas schüttelte den Kopf. »Warum fliegt der so niedrig, so weit unter der feindlichen Flotte? Was ist da drüben? Was versucht er mit seinem Schiff zu schützen?«

Chris erstarrte. »Da liegt der Schildgenerator.«

Valmas nickte. »Da ist dann auch der Reaktor.« Er tippte in seine linke Handfläche, die mit einem linsenförmigen Patch-Computer versehen war. Die Schleuse zum Schiff öffnete sich. »Jetzt müssen wir uns doch beeilen.«

»Wieso?«, fragte Chris, während er Valmas ins Innere der AMBERSON folgte. »Du sagtest doch, die wollen die Station einnehmen.«

»Das sagte ich«, erwiderte Valmas und führte ihn durch einen spärlich beleuchteten Gang ins Innere. Die Wände waren dunkel und wirkten grobkörnig; zahlreiche Druckknöpfe wie aus uralten Filmen zierten allerlei Kontrollfelder.

Valmas bog von dem Gang, auf dem es nach scharfen Gewürzen roch, direkt ins Cockpit ab, ließ sich dort in den Sitz fallen und bot Chris den Platz des Co-Piloten an. Nachdem auf dem Display einige Tasten erschienen waren und Valmas in einer raschen Folge einige davon gedrückt hatte, schoben sich in einem Halbkreis transparente Schirme aus der Konsole. Für einen Augenblick wirkten sie wie Folien, aber dann erkannte Chris, dass es die üblichen Schirme waren, die auf der Schildtechnologie basierten. Valmas hatte lediglich eine sehr grobe Einstellung gewählt, und die grüne Schrift war segmentiert und pixelig.

Das Schiff legte los, und Valmas fasste das kleine Steuerhorn, ein altmodisches Stück, das nicht recht zu den modernen Schirmen passte, die aus der Konsole gefahren waren. Er wendete die AMBERSON, sodass sie sich von dem Zerstörer entfernten.

Sie passierten die Stelle, an der die JINDAO gelegen hatte, doch von Chris’ Schiff war nichts mehr zu sehen. Die ganze Anlegestelle war zerstört. Ein gewaltiges Loch klaffte dort, wo sein Schiff gewesen war.

»Irgendein Arschloch scheint dein Schiffchen anvisiert zu haben«, sagte Valmas.

»Ausgerechnet?«

»Du glaubst nicht, welche Freude diese Geschützsoldaten haben, wenn sie leichte Beute machen können. Die pure Zerstörungswut. Aber wehe, es geht gegen einen richtigen Gegner.«

»Du meinst, wie wir jetzt«, sagte Chris.

»Ja, so in etwa.«

Unbehelligt schafften sie es vom Wuchao Tower zum nächsten Turm. Und während sie an diesem in die Tiefe stießen, um keine Aufmerksamkeit zu erregen, wandte Valmas sich Chris zu und zeigte auf den Schirm ganz links. Darauf war das Schlachtschiff zu sehen, wie es sich mit den eigenen Schilden dem Beschuss der Uranosier entgegenstellte. »Er will tatsächlich den Reaktor schützen.«

»Das ist doch klug«, sagte Chris.

»Wenn du nichts zu verlieren hast, ist das klug. Besonders wenn man es mit zwei oder drei Schlachtschiffen macht. Wenn die anderen gar nicht daran interessiert sind, den Reaktor zu zerstören, ist das höchstgefährlich.«

»Warum? Wenn sie ihn nicht zerstören wollen, kann es doch nicht schaden, dass das Schiff da ist.«

Valmas nickte. »Und darin besteht der Fehler, Junge.«

»Ich bin kein Junge«, erwiderte Chris.

»Tut mir leid.« Am Fuß des Towers zog Valmas das Schiff hoch, und sie flogen dicht über den Rücken der Station. Hoch oben kreuzten verfeindete Kampfjäger ihren Weg, doch die hinteren Bereiche der Station waren für die Angreifer offensichtlich kaum von Interesse. Dort wurde nicht gekämpft.

»Warum also?«, fragte Chris. »Warum ist das ein Fehler?«

Valmas holte das Seitenbild auf das Display vor sich und vergrößerte den Zerstörer, der nun unter heftigerem Beschuss stand. »Weil man für ein solches Unterfangen ein Schlachtschiff nimmt, das über gute Schilde verfügt. Die der admetischen Zerstörer sind aber nicht besonders stark, und man bekommt sie nur schwer zum Laufen. Bei einem Überraschungsangriff schaffen sie es vielleicht zwei Generatoren warmzukriegen. Und die überhitzen dann schnell, wenn sie beansprucht werden. Das aber könnte den Uranosiern unbekannt sein. Von den Ketoniden und den Erdlingen kennen sie robuste Schilde. Also glauben sie vielleicht, dass sie es auch hier mit einem zähen Gegner zu tun haben.«

»Ich sehe immer noch nicht das Problem. Dann ist der Schild des Zerstörers eben dahin. Das ist bedauerlich, klar, denn dann muss sich die Station ergeben.«

»Wenn die Uranosier das Feuer konzentrieren, wird der Schild brechen und das Schlachtschiff wird voll getroffen. Je nachdem, mit wie viel sie feuern, könnten sie das Schlachtschiff durchschlagen und den Reaktor treffen.«

Chris stutzte. »Darauf bin ich noch gar nicht gekommen«, sagte er.

»Es hängt jetzt davon ab, wie viel Erfahrung der Kommandant der Uranosier hat. Haben wir einen alten Hasen, wird der das wissen. Haben wir einen jungen Hitzkopf, dann

Chris nickte. »Verstehe.«

»Keine Sorge. Wird schon schiefgehen, Junge.« Er verzog das Gesicht. »Entschuldige, ich wollte dich nicht so nennen.«

»Ich glaube, nach der Lektion gerade darfst du mich schon so nennen.« Er schüttelte den Kopf. »In diesen Dingen bin ich wirklich ahnungslos.« Er dachte an alles, was er gerade verloren hatte, und an viele von jenen, die er nun verlieren würde – ob durch eine Besetzung oder den Tod.

»Großartig!«, sagte Valmas. »Die haben nur große Schiffe am Tor zurückgelassen.« Er wies auf das Sprungtor, vor dem drei Schlachtschiffe kreuzten.

»Du willst durch das Tor?«, fragte Chris. »Mit einem Bogen könnten wir auch auf den Planeten hinunter.«

»Und belagert werden? Nein. Wir hauen jetzt ab.«

»Drei Schlachtschiffe!«, rief Chris.

»Drei Schlachtschiffe und ein so kleines Schiff wie die AMBERSON. Tut mir leid, Junge! Sieht so aus, als wäre der Anführer doch das, was ich befürchtet habe.«

Sie flogen den Schiffen entgegen, und diese sandten ihnen sofort eine unmissverständliche Botschaft. »Unmarkiertes Schiff!«, sagte eine Computerstimme. »Wenden Sie, sonst schießen wir Sie ab!«

»Nicht mal eine echte Stimme«, sagte Valmas. Er drückte Tasten, die auf dem Display unter seinen Fingern erschienen. »Die Dinger sind auf andere große Dinger ausgelegt. Die sind nicht dafür da, sich gegen etwas so Kleines zu verteidigen.«

»Das sind drei Kerberos-15. Du weißt, wofür die 15 steht?«

»Drei mal fünf Schilde, klar. Das ist gar nicht so viel. Gegen einen großen Zerstörer oder auch nur gegen einen, der gut zwischen Schießen und Schützen ausbalanciert ist, haben die keine Chance. Das sind bessere Kanonen, die können ihre Energie nicht dynamisch verteilen. Im Keto-Konflikt haben die Uranosier fast alle Kerberos-15 verloren, weil sie gegen halbwegs gute Zerstörer einfach Mist sind.«

»Aber wir fliegen hier keinen Zerstörer. Fünfzehn Schilde werden ihnen gegen uns ausreichen. Und die Dinger sind mit ihren schnellen Geschützen ideal gegen Torpedos ausgerüstet. Tut mir leid – was gegen einen Torpedo wirkt, wird uns leicht erwischen.« Er hatte es im Simulator selbst erlebt.

Valmas grinste. »Wenn sie Torpedos wollen, dann sollen sie die haben. Halt dich fest!« Valmas gab kräftig Schub, und sie schossen den drei Schiffen entgegen. Valmas schickte einen Schwarm kleiner Torpedos los. »Jetzt die Schilde und vorwärts!«

Der Beschuss begann, und die Schilde hielten, während jenseits davon die ausschwärmenden Torpedos das Feuer der Geschütze auf sich zogen. Valmas sandte neue Torpedos aus, und auf dem Display schien es, als würden sie sich hinter dem Schiff über den Schild erheben. Dort war es durchlässig; von dort drohte kein Beschuss.

»Wie viele dieser kleinen Torpedos hast du?«, fragte Chris.

»Nicht mehr viele, aber hoffentlich genug. Vielleicht dreihundert.«

»Wie kannst du dir das leisten?«

Valmas lachte, während sie den Schiffen immer näher kamen. »Ohne Sprengkopf und mit einer einfachen Schwarmsteuerung ist das überhaupt kein Problem. Eine Ladung Spielzeug kann einen auf die verrücktesten Ideen bringen. Schauen wir mal, ob die Idee was taugt.«

Wahrhaftig! Wie ein Schwarm erschienen die Torpedos auf dem Schirm. Sie schossen am Heck empor und stießen nach vorn.

»Der große Nachteil«, sagte Valmas, »ist, dass sie nicht viel Energie haben und rasch ausgehen. Aber ...!« Er beschleunigte noch einmal, die Torpedos schwärmten mit nach vorn und hielten nun noch besser als zuvor das Feuer aus Projektilen und Lasern ab, sodass die Schilde nur wenige Treffer hinnehmen mussten. So schafften sie es, zwischen zwei der drei Schiffe vorzustoßen. Und sofort verging das Feuer. Die beiden Schlachtschiffe wollten sich schließlich nicht gegenseitig treffen. Es war zwar unwahrscheinlich, dass sie ihre Schildgeneratoren überhitzten, doch vermutlich rechneten sie noch mit einer Gegenwehr der Streitkräfte auf Ianthe-3 und auf Admeto und wollten ihre Systeme schonen.

»Wenn wir Pech haben, könnten sie noch Jäger zurückbehalten haben«, sagte Valmas. Er zog auf dem Schirm, der sich schräg vor ihm erstreckte, links und rechts des Schiffes eine Linie und wählte einige Optionen aus. »Schilde aus – Reflektoren an.« Lächelnd schaute er zu Chris herüber.

»Du spekulierst darauf, dass sie uns mit leichtem Feuer eindecken, weil ein versehentlicher Treffer der Verbündeten keine größeren Folgen hätte.«

»Vor allem spekuliere ich darauf, dass sie Stasis-Strahlen einsetzen.«

»Damit würden sie sich selbst den Garaus machen, wenn sie uns verfehlten.«

»Mist!«, sagte Valmas und starrte voraus.

Chris folgte seinem Blick: Die beiden Schiffe, zwischen denen sie waren, schoben sich langsam aufeinander zu.

»Die wollen uns mit ihren Schilden zerquetschen«, rief Chris.

»Oder sie setzen ihre Schilde aus und fahren sie wieder hoch, um uns einzufangen. Wir würden wie Fliegen gegen die Scheibe stoßen.« Er schob auf dem Schirm den Beschleunigungsregler vorsichtig nach vorn. Chris schaute auf den Hebel neben dem Sitz, den Valmas eben zum Beschleunigen benutzt hatte. Offenbar liebte der Pilot der AMBERSON die Abwechslung.

»Portal Admeto bittet um die Gebühr«, sagte die vertraute Frauenstimme des Sprungtors. Noch ehe sie irgendetwas tun konnten, setzte sie nach: »Gebühr bezahlt – Raumfrachter AMBERSON.«

»Das nenne ich großzügig«, sagte Valmas.

»War das die Wuchao Corp?«

»Vielleicht«, erwiderte Valmas.

»Es könnte auch eine Falle sein.«

»Möglicherweise ist es eine.«

Die feindlichen Schiffe machten den Raum immer enger. Valmas schob behutsam das Steuerhorn nach vorn, und das Schiff senkte sich zwischen den Feinden in die Tiefe. »Verlagere die Schilde zum Heck und nach oben«, sagte er.

Chris nickte und schaute vor sich. Da war das Schiff auf dem Display abgebildet; die Optionen lagen am Rand. Es war anders, als er es kannte, aber hatte man ein System gesehen, kannte man sie alle. Er zeichnete die neue Schildverteilung mit dem Finger ein und ersetzte damit die alte.

»Gut«, sagte Valmas.

Die Schiffe verharrten nun. Er konnte es neben sich auf dem Schirm sehen. Offenbar waren die Schilde der beiden Schiffe nun beinahe zusammengestoßen.

Chris malte sich aus, was geschehen wäre, wenn sie dort oben geblieben und weitergeflogen wären. Nun aber tauchten sie unter die beiden Schlachtschiffe hinab – und schon setzte sich der Beschuss fort.

Die Schilde schmolzen dahin, weil der Generator seine Leistung zurückfuhr, um nicht zu überhitzen.

Sie würden es nicht schaffen. Zwar hatten sie die Schiffe hinter sich gelassen, aber der Beschuss würde sie erledigen.

Eine Erschütterung durchzog die AMBERSON, und sofort ging der Alarm los. Eine männliche Computerstimme sagte: »Schwerer Hecktreffer. Bereich 5 wurde isoliert.

Schildmodul beschädigt, nicht mehr einsatzbereit. Antrieb beschädigt – Maximalbeschleunigung nicht mehr möglich.« Die Liste der Schäden wurde länger und länger. Doch als Valmas den Alarm abstellte und die Stimme verebbte, war es – vom schweren Brummen der Maschinen abgesehen – ruhig.

»Plan B«, sagte Valmas und tippte auf dem Display herum. Mit einem Mal wurde auf dem Schirm und vor dem Cockpit alles schwarz.

»Was hast du gemacht?«, fragte Chris.

»Jetzt können sie uns nicht mehr sehen.«

»Eine Tarnvorrichtung? Ich dachte, das wären Märchen.«

»Nein, keine Tarnvorrichtung. Ein defekter Schild.«

»Wirklich?«

»Ja. Der lässt überhaupt kein Licht durch.«

»Das heißt, die sehen da jetzt eine schwarze Kugel.«

»Nein, eine breite, schwarze Linse.«

»Und wie viel hält sie ab?«

»So gut wie nichts.«

»Was?«

»Sieh einfach hin!« Valmas zeigte auf das Display vor ihm. Dort waren das Schiff und der Schild abgebildet. Er führte den Finger auf die Anzeige und schob den Schild behutsam zur Seite, bis sich das Schiff gerade noch an dessen äußerstem Rand befand. »Die glauben jetzt, ich wäre ein Stück zur Seite geflogen.«

»Du gerissener Fuchs«, sagte Chris, und dann geschah es: Die ersten Treffer lösten den Schild auf, die Laser und Projektile, die hindurchdrangen, flogen ins Leere, weil die Geschütze die Mitte des Schildes anvisiert hatten und nicht davon ausgegangen waren, dass das Schiff sich an dessen Rand befand.

Sie konnten wieder sehen. Schräg über ihnen schwebte das Sprungtor – ein gewaltiger Ring, auf dem grüne Lichter entlangliefen. Und schon waren sie auf gleicher Höhe mit dem Portal.

Die Uranosier stellten den Beschuss sofort ein. »Die haben Angst, das Tor zu zerstören«, sagte Chris grinsend.

Valmas lachte. »Selbst die mächtige Uranosische Republik würde sich nicht mit dem Nachtglanz-Kartell anlegen.« Das Nachtglanz-Kartell war ein gewaltiger Konzern, der sein Vermögen und seine Macht mit der Konstruktion von Sprungtoren aufgebaut hatte. War das Unternehmen am Anfang noch von Regierungsaufträgen abhängig gewesen, waren bald die Regierungen vom Nachtglanz-Kartell abhängig. Inzwischen kontrollierten sie die meisten Sprungtore im Uranos-, im Pontos- und hier im Pheres-System. Und was für sie galt, galt auch für die anderen Torbetreiber: Ein Angriff auf die Portale war ein Angriff auf den Konzern selbst. Die wenigen Tore unter staatlicher Kontrolle, die mit allerlei Restriktionen daherkamen, waren Gift für den Handel und wurden gemieden – wenn es nur irgendwie möglich war.

Valmas holte die drei Schiffe auf den Schirm vor sich. Halb transparent erschienen die beiden, zwischen denen sie hindurchgeflogen waren; darüber schob sich das dritte Schiff. Valmas lachte. »Wären wir nach oben ausgewichen, hätten sie uns gekriegt.«

Jenseits der drei Schlachtschiffe kämpfte die Station gegen die Übermacht der Uranosier. Ein wildes Farbenspiel erstreckte sich dort zwischen der Station, den Zerstörern und den unzähligen kleineren Schiffen.

Chris starrte kopfschüttelnd auf den Schirm. »Hoffen wir, dass ...« Ein Lichtblitz im vorderen Teil von Ianthe-3 ließ ihn abbrechen.

Von dem Schlachtschiff, das sich dort schützend vor den Schildbereich gestellt hatte, waren nur noch Trümmer übrig, und diese vermischten sich mit den Trümmern der Station. Flammen flackerten dort in den Breschen und erstarben sofort wieder.

Ein weiterer Blitz, und der vordere Teil von Ianthe-3 explodierte in einer von Trümmern durchsetzten Staubwolke. Die Türme in Ianthe City brachen ab und schwebten dahin. Im hinteren Teil schossen die Bauelemente in alle Richtungen davon.

Chris musste an Savina denken, die er dort vorhin noch gesehen hatte. Und er musste an all die anderen denken, die er kannte. Alles, was Chris je etwas bedeutet hatte, schwebte in Trümmern dahin, und viele von denen, die er gemocht hatte, waren nun tot. Wie viele hatten sich wohl bei diesem Wahnsinn hinab nach Admeto retten können?

»Es tut mir leid«, sagte Valmas mit bedrückter Stimme.

Chris schaute nur auf die Trümmer und die Schiffe der Uranosier, die wie vor Schreck erstarrt wirkten.

In dem Ring, der vor der AMBERSON lag, entstand eine flimmernde Lichtscheibe. »Warum nur?«, fragte Chris.

»Weil irgendein Narr seine Kräfte nicht einzuschätzen wusste«, antwortete Valmas.

Schließlich tauchten sie ins Licht des Sprungtores ein, und alles, was hinter ihnen lag, verblasste auf dem Schirm.

TITAN

Auf dem Kreuzer CLINSCHOR kehrte der uranosische Colonel Meljan Solsee von der Brücke in den kleinen Verhandlungsraum zurück. Dort stand Captain Rayol Oredson immer noch kerzengerade an der gleichen Stelle wie vorhin, als er Meldung gemacht hatte. Der junge Offizier salutierte, und Meljan bedachte ihn nur mit einem müden Blick. Er konnte sich nur zu gut vorstellen, wie viel Mut es ihn gekostet haben musste, vor ihm zu erscheinen – diesen jungen Kerl mit seinem langen Gesicht, das nur zwei Ausdrucksweisen zu kennen schien; das Haar gerade so kurz geschoren, dass es dem gern gesehenen Standard entsprach.

Meljan schritt an Rayol vorbei ans Fenster und schaute hinaus zu all den Schiffen, die sie vor dem Planeten festgesetzt hatten, um sie zu untersuchen. »Die Aufklärungstrupps auf Admeto haben keine Spur von Mesaidon gefunden«, sagte er. »Ich hoffe, er ist auf einem der Schiffe dort.« Er war erstaunt, wie entspannt seine Stimme klang und hatte keine Ahnung, wo er die Ruhe hernahm. Vielleicht hatte er in den fünfundzwanzig Jahren beim Militär schon zu viele solcher Katastrophen erlebt.

Er ahnte schon, wie Ada Connelly, seine direkte Vorgesetzte, ihn auseinandernehmen würde. Sie hatte ihm den Befehl gegeben, gegen Ianthe-3 vorzugehen und Chris Mesaidon gefangen zu nehmen. Er hatte Hinweise erhalten, wonach die Station gewarnt worden war. So war er während der Vorbereitungen auf den Angriff den Spuren der Verräter gefolgt.

Die Spuren hatten den Anschein erweckt, direkt zu seiner letzten verbliebenen Feindin im ketonidischen Konflikt zu führen. Deswegen war er ihnen persönlich gefolgt und hatte die Übernahme von Ianthe-3 dem aufstrebenden Captain Oredson überlassen.

»So, Rayol«, sagte Meljan und wandte sich zu dem Captain um. »Du hattest jetzt Zeit, meine Frage zu überdenken. Wie konnte das passieren?«

Zuerst wich Rayol seinem Blick aus, dann aber schluckte er, holte tief Luft und sagte: »Ich war fest davon überzeugt, dass die Station keinen nennenswerten Schaden erleiden würde, Sir.«

Meljan nickte. »Natürlich. Und darin besteht der Fehler. Du gehst von unserem Material aus. Eine uranosische Station hätte den Beschuss wahrscheinlich überstanden. Aber wir haben uns über die Grenzen bewegt, und eine unbedeutende Station wie Ianthe-3 verfügt nicht über den Schutz, den wir gewohnt sind. Das bezieht sich nicht nur auf die Station, sondern auch auf die Schiffe. Und jetzt sind Zehntausende tot – Zehntausende Zivilisten.«

»Wann soll ich mein Kommando über die MYKENAI abgeben?«, fragte Rayol. Seine braunen Augen glänzten, und Meljan wartete, ob seinem Untergebenen die Tränen kommen würden. Doch Rayol behielt die Fassung.

»Du hast Glück«, sagte Meljan nach einer Weile. »Der Angriff auf Ianthe-3 hätte so oder so einen Krieg heraufbeschworen – einen Krieg, für den wir uns zu Hause und generell hätten rechtfertigen müssen. Die Konzerne, die auf der Station vertreten waren, werden uns im Nacken sitzen. Wir müssen uns mit ihren Konkurrenten verbünden. Und wir müssen die Rechtfertigung so abändern, dass die Verschwörung, die wir ansprechen werden, sich auf diese Konzerne bezieht. Ein schmutziges Spiel. Deswegen wird General Connelly mir nicht das Leben zur Hölle machen. Sie ist eine Meisterin darin, die Konzerne gegeneinander auszuspielen. Und die Zivilisten sind ihr egal. Sie wird eine Geschichte präsentieren, die unseren Angriff wie eine Heldentat aussehen lässt. Und dazu gehört auch, dass du schöne Miene zum Lügenspiel machen musst.«

»Aber worin besteht dann das Problem, Sir?«

»Darin, dass dieser Chris Mesaidon tot sein könnte.«

»Er könnte auf einem der Schiffe nach Admeto gewesen sein«, sagte Rayol. »Oder auf denen, die wir festgesetzt haben. Oder auf den Schiffen, die es durchs Tor geschafft haben. Meine Leute sind schon dran.«

Meljan fuhr sich mit den Fingerspitzen über den Mund. »Wenn Mesaidon noch lebt, müssen wir ihn aufspüren. Du kannst also deinen Fehler wiedergutmachen.«

Rayol lächelte. »Sie wollen mir mein Kommando lassen?«

Meljan legte ihm eine Hand auf die Schulter. »Ich habe dir schon oft gesagt, dass du mich an mich selbst erinnerst. Und was du getan hast, ist nichts – überhaupt nichts – gegen das, was ich damals als Captain getan habe. Also keine Sorge.«

Rayol schwieg und schaute Meljan nur an. Der Junge wusste, dass er ihm nicht offenbaren würde, was er damals alles getan hatte. Er würde die Gerüchte nicht bestätigen und nicht zurückweisen.

»Wenn du Pech hast, wirst du zurückgestuft«, sagte er ihm. Rayol war ein C-70-Captain und durfte Staffeln und sogar Gruppen von Schiffen führen, manchmal sogar ein Geschwader oder eine Gefechtsflotte, wenn Meljan es ihm als sein vorgesetzter Colonel gestattete. »Im schlimmsten Fall werden sie dich auf C-33 zurücksetzen. Dann bist du immer noch Captain eines Schiffes mit Jägern. Aber niemals werden sie dich zum Lieutenant zurückstufen. Niemals. Ich glaube sogar, dass sie dich – wenn dich ihre Geschichte zum Helden macht – auf C-71 oder C-72 befördern, dir aber durch einen geheimen Befehl untersagen, mehr als ein Schiff zu befehligen.«

Rayol nickte. »Und wo soll ich damit beginnen, meinen Fehler wiedergutzumachen? Ich könnte auf Admeto nach Mesaidon suchen. Er ist wahrscheinlich dort untergetaucht.«

»Nein, nein. Ich muss dich hier aus der Schusslinie nehmen. Ich kümmere mich darum. Und du wirst mit der MYKENAI den Schiffen nachspüren, die durch das Portal entkommen sind. Schließ einfach aus, dass Mesaidon das System verlassen hat. Und dann kommst du wieder.«

»Und wenn ich ihn finde?«

Meljan grinste. »Dann nimmst du ihn gefangen und bringst ihn auf die ASCALUN.« Das war sein Hauptschiff, seine Heimat und seine Kommandozentrale. Dort lebte er mit seiner Frau; dort schmiedete er Pläne; dort fühlte er sich sicher – sicherer noch als hier auf der CLINSCHOR. »Bring ihn bloß nicht hierher. Dies könnte bald ein echtes Kriegsgebiet sein.«

Rayol nickte. »Danke, Sir.«

»Nichts zu danken. Halt dich eine Weile zurück, und ich versichere dir, dass ich, wenn ich General werde, einen Colonel wie dich brauchen kann. Wenn alles gut läuft, wird es bald nur noch auf die Zerstörung unserer Feinde ankommen, nicht darauf, bloß keinem auf die Füße zu treten. Und dann, mein Freund, werde ich dich von der Kette lassen wie einen wilden Hund.«

Rayol starrte ihn mit leerer Miene an.

Chris schüttelte den Kopf und fragte sich, warum er davonlief. Er hatte alles verloren. Sein ganzes Leben lag in Trümmern. »Das ist Wahnsinn«, sagte er. »Warum haben sie überhaupt angegriffen? Jetzt wird es Krieg geben.«

»Mit wem befinden sich die Uranosier nicht im Krieg?«, entgegnete Valmas.

Die AMBERSON bewegte sich in der Finsternis. Draußen war nichts zu sehen, nicht einmal andere Schiffe. Was sollte hier – im Raum zwischen den Toren – auch sein? Dieser Ort hatte viele Namen. Manche nannten ihn Hyperraum, andere Subraum oder aber Außenall – oder einfach nur Das Nichts. Die Vorstellung, mit der man sich die ExtraDimensionen veranschaulichte, prägte letztlich die Bezeichnung.

Auch wenn Chris in der Regel den Begriff Hyperraum verwendete, mochte er die Bezeichnung Die Tiefe-, als tauchte man unter allen Hindernissen hinweg, um jenseits davon wieder an die Oberfläche zu schwimmen. Er erinnerte sich, dass seine Ziehmutter ihm diese Vorstellung beim Schwimmen nahegebracht hatte. Auch wenn man unter Wasser immer noch die gleiche Strecke wie darüber zurücklegen musste, hatte ihm der Gedanke gefallen, sich den Hyperraum als eine Art tiefes Gewässer vorzustellen.

Die Tiefe – das war eigentlich ein Begriff aus dem 21. Jahrhundert, als die Menschheit die Energiekrise mit einer Entdeckung beendet hatte: einer Energiequelle, tief im Kleinsten verborgen. Wie mit einer winzigen Nadel stachen die Kraftwerke selbst heute noch in das Gewebe des Universums, und jenseits dieses Gewebes lag die Energie, als wartete sie nur darauf, dass man sich ihrer bediente. Die Tiefenenergie war damals die Verheißung einer goldenen Zukunft gewesen. Und diese hatte sich längst erfüllt. Ohne sie keine Sprungtore, ohne sie keine Kolonien im All, ohne sie vielleicht das Ende der Menschheit.

»Ich habe gerade alles verloren, Valmas«, sagte Chris.

»All deine Freunde.«

»Vielleicht keine echten Freunde. Aber trotzdem.«

»Ich weiß, was du meinst. Aber irgendjemandem musst du doch nahegestanden haben.«

»Die, die mir wirklich was bedeutete, lebt schon lange nicht mehr.«

»Eine Geliebte?«

»Meine Ziehmutter.« Chris erzählte ihm die Geschichte von Elsara Luhan. Er berichtete von ihrer Skepsis gegenüber den Umbauplänen auf Ianthe-3 und von dem Abstieg und Niedergang und schließlich von ihrem Tod. Und er erzählte ebenso von seinen ausschweifenden Jahren, in denen er sich vielen nahegefühlt hatte und immer wieder enttäuscht worden war. »Es waren so viele Freunde – zu viele vielleicht. Vor allem viele falsche Freunde. Ich war ein mündiges Kind mit einem kleinen Vermögen. Und ich erkannte nicht, dass es diesen Freunden nur ums Geld ging. Ich will gar nicht wissen, wie sich das anfühlt, wenn man echte Freunde, Verwandte und Geliebte so verliert.« Er schüttelte den Kopf. »Ich fühle mich leer – wie eine Card, die man gelöscht hat. Und jetzt

»Und jetzt weißt du nicht, wie es weitergehen soll.«

Chris nickte.

»Es ist einfach: Du machst einen Neuanfang. Dass du auf Ianthe-3 niemanden mehr hattest, der dir wirklich etwas bedeutet hat, wird es dir leichter machen. Und auf jedem Weg, der jetzt vor dir liegt, wartet ein anderes Leben auf dich. Du musst dir nur einen aussuchen. Halt dich an mich. Ich weiß zwar nicht, wie man einen guten Weg erkennt, aber ich weiß, wie die schlechten aussehen. Ich werde schon aufpassen, dass du jetzt nicht in ein tiefes Loch fällst.«

»Und welcher Weg schwebt dir vor? Wo geht’s hin?«

»Auf den Titan.«

»Der Mond Titan im Sol-System?«

»Du hast also davon gehört.«

»Ich habe gehört, dass es ein Schmugglernest ist.«

»Dann willkommen in deinem neuen Job. Co-Pilot auf der AMBERSON und Schmuggler im Namen des eigenen Vorankommens!« Valmas lachte – und steckte Chris damit an.

Chris mochte ihn. Er war eine wahre Piratenseele. Und er hatte ihm das Leben gerettet. »Warum der Titan?«, fragte er.

»Warum nicht? Kennst du einen besseren Ort?«

»Im Keto-System könnte vielleicht ein Job auf mich warten«, sagte Chris und erzählte, was Allard Ryan ihm im Wuchao Tower erklärt hatte.

Valmas stutzte. »Im Keto-System herrscht Krieg. Wenn die Uranosier mitbekommen, dass wir von Ianthe-3 geflohen sind und dann plötzlich im Keto-System auftauchen, könnten sie unangenehme Fragen stellen. Selbst wenn du nichts verbrochen hast, können dich solche Befragungen umbringen.«

Chris nickte. »Ich bin mir nicht sicher, ob das Angebot überhaupt noch besteht. Der Angriff auf Ianthe-3 dürfte manches Bündnis zunichtemachen. Und ob die Wuchao Corporation sich jetzt noch unbehelligt im Keto-System bewegen kann, ist wohl fraglich.«

»Auf dem Titan können wir mal nachhorchen, wie die Lage aussieht. Dann können wir immer noch ins Keto-System. Da wollte ich schon immer mal hin.«

»Also auf zum Hort der Piraten und Schmuggler«, sagte Chris grinsend.

»Das Heim der Halsabschneider«, setzte Valmas nach. »Aber es dauert bestimmt noch eine Stunde. Wir werden über drei weitere Sprungtore geleitet. Hast du Hunger?«