Der Mensch ist mehr als seine Krankheit - Ursula H. Pabsch - E-Book

Der Mensch ist mehr als seine Krankheit E-Book

Ursula H. Pabsch

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Beschreibung

"Kleine Fallvignetten, Fragen zur Reflexion von Problemstellungen sowie konkrete Anregungen zum Vorgehen in der Arbeit mit Patienten machen dieses Buch zu einem geeigneten Lehr-/Lernexemplar." Helmut Pauls Niemand ist alleine krank Schwere Erkrankungen sind für die Betroffenen wie für ihre Angehörigen emotional belastend. Soziale Fachkräfte müssen in der Lage sein, mit solchen Belastungen professionell umzugehen. Die Voraussetzung dafür ist – neben Empathie und Selbstfürsorge – eine kompetente Kommunikation sowohl mit Patient:innen und Angehörigen als auch dem medizinischen Personal. Ein ressourcen- und lösungsorientierter Dialog, wie er in der systemischen Familientherapie praktiziert wird, bietet für die soziale Beratung im Kurzzeitsetting "Klinik" entscheidende Vorteile. Ursula Pabsch bereitet zentrale systemische Konzepte, Techniken und Interventionen für die Soziale Arbeit im Krankenhaus auf und lädt Sozialarbeiter:innen ein, diese in ihre tägliche Praxis aufzunehmen. Die Anwendungs- und Fallbeispiele gehen auf die vielfältigen Auswirkungen von Erkrankungen in dem jeweiligen familiären Kontext ein, was den Transfer in den eigenen klinischen Alltag erleichtert. Eine Besonderheit sind die regelmäßigen Fragen zur Reflexion des eigenen Handelns. Sie tragen dazu bei, die eigene Kompetenz zu erweitern und das professionelle Standing zu festigen – sei es im Akutkrankenhaus, in der Rehabilitationsklinik oder in einer ambulanten Beratungsstelle. Die Autorin: Ursula H. Pabsch, Dipl.-Päd.; Systemische Therapeutin, Beraterin, Supervisorin und Organisationsentwicklerin; langjährige Tätigkeit in der klinischen Sozialarbeit; selbstständig in außerklinischem Case Management und Supervision; Inhaberin des Intensivpflegeportals www.leben-mit-intensivpflege.de; Beraterin von Intensivpflegediensten.

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Seitenzahl: 260

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Systemische Soziale Arbeit

»Sozialarbeiterische Minimalethik: Steigere Alternativität!«

Peter Fuchs

Soziale Arbeit, als Einheit von Sozialarbeit und Sozialpädagogik, kann inzwischen als etablierte Profession und als aufstrebende Disziplin der Sozialwissenschaften gelten. Hinsichtlich der Profession lässt sich die Soziale Arbeit als systemische Praxis beschreiben und erklären sowie mit den vielfältigen Handlungsoptionen systemischer Methodik anreichern. In der Wissenschaft der Sozialen Arbeit sind Systemtheorie und Konstruktivismus als Paradigmen anerkannt.

Systemische und systemtheoretische Konzepte entsprechen den komplexen Aufgabenfeldern und Herausforderungen der Sozialen Arbeit in besonderer Weise. Sie erlauben es, einen Blick zu schulen und zu vertiefen, den die Soziale Arbeit seit jeher einzunehmen versucht: einzelne Menschen bei der Bewältigung ihrer alltäglichen Lebensführung nicht mit ihren Problemen zu verwechseln. Vielmehr geht es Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeitern in ihrer Unterstützungsarbeit darum, die sozialen Verhältnisse, die systemischen Kontexte einzublenden, die die Verhaltensweisen von Menschen, ihre Eigenschaften und Probleme herausfordern, verfestigen und auch lösen können. Die klassische These, dass der Mensch ein soziales Wesen ist, lässt sich mit der Systemtheorie nicht nur postulieren, sondern wissenschaftlich darstellen und methodisch so nutzen, dass überraschende Potenziale des Denkens und Handelns kreiert werden können.

Die Reihe Systemische Soziale Arbeit verfolgt das Ziel, die Potenziale und Grenzen der systemischen Sozialarbeitspraxis und Sozialarbeitstheorie auszuloten und weiterzuentwickeln. Dabei sollen das gesamte Spektrum der Sozialen Arbeit, ihre Vielschichtigkeit, ihre zahlreichen Arbeitsfelder und Rahmenbedingungen ausgeleuchtet und methodisch fundiert werden. Damit bieten die Bücher der Reihe praktizierenden Sozialarbeiterinnen und Sozialpädagogen sowie Studierenden und Lehrenden Perspektiven an, die den Möglichkeitsraum des Denkens und Handelns nachhaltig erweitern.

Prof. Dr. Heiko KleveHerausgeber der Reihe Systemische Soziale Arbeit

Ursula H. Pabsch

Der Mensch ist mehr als seine Krankheit

Systemische Soziale Arbeit im Krankenhaus

Mit einem Vorwort von Helmut Pauls

2024

Mitglieder des wissenschaftlichen Beirats des Carl-Auer Verlags:

Prof. Dr. Dr. h. c. Rolf Arnold (Kaiserslautern)

Prof. Dr. Dirk Baecker (Dresden)

Prof. Dr. Ulrich Clement (Heidelberg)

Prof. Dr. Jörg Fengler (Köln)

Dr. Barbara Heitger (Wien)

Prof. Dr. Johannes Herwig-Lempp (Merseburg)

Prof. Dr. Bruno Hildenbrand (Jena)

Prof. Dr. Karl L. Holtz (Heidelberg)

Prof. Dr. Heiko Kleve (Witten/Herdecke)

Dr. Roswita Königswieser (Wien)

Prof. Dr. Jürgen Kriz (Osnabrück)

Prof. Dr. Friedebert Kröger (Heidelberg)

Tom Levold (Köln)

Dr. Kurt Ludewig (Münster)

Dr. Burkhard Peter (München)

Prof. Dr. Bernhard Pörksen (Tübingen)

Prof. Dr. Kersten Reich (Köln)

Dr. Rüdiger Retzlaff (Heidelberg)

Prof. Dr. Wolf Ritscher (Esslingen)

Dr. Wilhelm Rotthaus (Bergheim bei Köln)

Prof. Dr. Arist von Schlippe (Witten/Herdecke)

Dr. Gunther Schmidt (Heidelberg)

Prof. Dr. Siegfried J. Schmidt (Münster)

Jakob R. Schneider (München)

Prof. Dr. Jochen Schweitzer † (Heidelberg)

Prof. Dr. Fritz B. Simon (Berlin)

Dr. Therese Steiner (Embrach)

Prof. Dr. Dr. Helm Stierlin † (Heidelberg)

Karsten Trebesch (Dallgow-Döberitz)

Bernhard Trenkle (Rottweil)

Prof. Dr. Sigrid Tschöpe-Scheffler (Köln)

Prof. Dr. Reinhard Voß (Koblenz)

Dr. Gunthard Weber (Wiesloch)

Prof. Dr. Rudolf Wimmer (Wien)

Prof. Dr. Michael Wirsching (Freiburg)

Prof. Dr. Jan V. Wirth (Meerbusch)

Themenreihe »Systemische Soziale Arbeit«

hrsg. von Heiko Kleve

Reihengestaltung: Uwe Göbel

Umschlaggestaltung: B. Charlotte Ulrich

Umschlagmotiv: © Rafa Fernandez – stock.adobe.com

Redaktion: Nicola Offermanns

Satz: Drißner-Design u. DTP, Meßstetten

Printed in Germany

Druck und Bindung: CPI books GmbH, Leck

Erste Auflage, 2024

ISBN 978-3-8497-0519-0 (Printausgabe)

ISBN 978-3-8497-8473-7 (ePUB)

© 2024 Carl-Auer-Systeme Verlag

und Verlagsbuchhandlung GmbH, Heidelberg

Alle Rechte vorbehalten

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Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

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Vangerowstraße 14 • 69115 Heidelberg

Tel. +49 6221 6438-0 • Fax +49 6221 6438-22

[email protected]

In Erinnerung an meinen LieblingssoziologenDr. Ralf Wiederer (1973–2023)

Inhalt

Vorwort

Einleitung

1 Menschenbild

2 Im System steckt mehr, als wir sehen

2.1 Gesundheit versus Krankheit

2.2 Gesundheitswesen versus Heilungsauftrag, Gesellschaft versus Individuum

2.3 Soziale Arbeit in Kliniken versus Klinische Sozialarbeit

2.4 Systemische Therapie versus Systemische Sozialarbeit

3 Grundbegriffe systemischer Beratung

3.1 Autopoiese

3.2 Kybernetik

3.3 Relevanz für den klinischen Kontext

4 Haltung

4.1 Dialogbereitschaft

4.2 Neutralität

4.3 Informationsbereitschaft

4.4 Kooperationsbereitschaft

4.5 Verantwortungsübernahme

5 Auftragsklärung

6 Systemische Interventionen

6.1 Genogramm

6.2 Familienbrett

6.3 Systemische Fragen

6.3.1 Reflexive Fragen

6.3.2 Ressourcenorientierte Fragen

6.3.3 Zirkuläre Fragen

6.3.4 Lösungsorientierte Fragen

6.3.5 Skala-Frage

6.3.6 Externalisierung

6.3.7 Wunderfrage

6.4 Reframing

6.5 Regeltransformation

6.6 Komplimente

6.7 Erfolgstreppe

6.8 Gedankenkreis

6.9 Bubble-Übung

6.10 Hypothesen

6.11 Leitfaden für ein systemisches Interview

7 Soziale Diagnostik

7.1 Sichtung der medizinischen Daten und Behandlungsverlauf

7.2 Erhebung der sozialen Daten

7.3 Ermittlung der sozialen Ressourcen

7.4 Ermittlung der psychischen Ressourcen

7.5 Erstellung eines Hilfeplans

8 Familienaspekte und Lebensmodelle

8.1 Familienphasen

8.2 Familienglaubenssätze

8.3 Lebensmodelle und -wirklichkeiten

9 Erkrankungsphasen

9.1 Akute Erkrankungen

9.2 Chronische Erkrankungen

9.2.1 Angeborene Erkrankungen

9.2.2 Erworbene Erkrankungen

10 Langfristige Folgen einer Erkrankung

10.1 Behinderung

10.1.1 Körperliche Behinderung

10.1.2 Seelische Behinderung

10.1.3 Geistige Behinderung

10.2 Pflegebedürftigkeit

11 Praxisfelder

11.1 Akutkliniken

11.1.1 Kardiologie

11.1.2 Neurologie

11.1.3 Pneumologie

11.1.4 Onkologie

11.2 Rehakliniken

11.2.1 Geriatrie

11.2.2 Neurologie

11.3 Ambulante Beratungsangebote

12 Fallbeispiele

12.1 Akute Erkrankungen

12.1.1 Drehtüreffekt

12.1.2 Wenn das Herz weint

12.1.3 Rote Rosen

12.1.4 Es ist vorbei

12.2 Rehabilitation

12.2.1 Silvester

12.2.2 Zukunftsberg

13 Berufliches Selbstverständnis

13.1 Berufliche Kompetenzen

13.2 Berufliches Selbstwertgefühl

14 Der Ärger mit den Gefühlen

15 Marketing in eigener Sache

16 Ein Blick in die Zukunft

16.1 Ambulantes freiberufliches Case Management

16.2 Forschungsfelder

Zusammenfassung zum schnellen Überblick

Anhang

Literatur

Über die Autorin

Vorwort

Im Gesundheitswesen arbeitende Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter stehen vor spezifischen Herausforderungen, insbesondere in Kliniken – Akutkrankenhäusern und Rehabilitationskliniken aber auch in ambulanten Beratungsstellen zu spezifischen Krankheitsbildern, in der Pflegeberatung, Rehabilitationsberatung und in poststationären Einrichtungen zur Langzeitbetreuung. Patienten mit komplexen Krankheitsbildern, schweren oder chronischen Erkrankungen erfordern ein fundiertes soziopsychisches Verständnis der Krankheit, der laufenden Behandlung und ihrer Auswirkungen auf die Lebensführung. Schwere Erkrankungen sind für die Betroffenen und ihre Angehörigen emotional belastend, und die sozialen Fachkräfte müssen in der Lage sein, mit solchen Belastungen umzugehen und gleichzeitig professionell zu bleiben.

Die Kommunikation mit Patienten, ihren Familien und dem medizinisch-therapeutisch-pflegenden Team ist dabei eine Herausforderung. Die Zusammenarbeit mit den Fachkräften – wie Ärztinnen, Pflegepersonal, Psychologinnen und Therapeutinnen – erfordert eine enge interdisziplinäre Zusammenarbeit und Kommunikation, um unterschiedliche Perspektiven und Prioritäten der Beteiligten zu berücksichtigen und zu koordinieren. Die Bedürfnisse und Wünsche der Patienten variieren nicht nur in psychologischer Hinsicht, sondern ebenso mit ihren sehr unterschiedlichen Lebenslagen. Klinische Sozialarbeiter müssen klare Grenzen in ihrer Arbeit setzen und Fragen der Privatsphäre oder der Einwilligung von Patienten beachten. Hinzu kommen in immer größerem Ausmaß kulturelle Unterschiede und Bedürfnisse der Betroffenen und ihrer Angehörigen, aber auch die der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Notwendig sind interkulturelle Kompetenz und die Fähigkeit, mit zum Teil höchst unterschiedlichen Erwartungen und Gewohnheiten sowie den daraus resultierenden Bedürfnissen und Konfliktsituationen umzugehen und angemessene Unterstützung anzubieten. Die Aufgabenstellungen, die sich daraus ergeben, müssen situationsangemessen erkannt und passend für den Behandlungsablauf und das medizinisch-therapeutisch-pflegerische Team effektiv und effizient koordiniert werden. Allerdings stellen Kliniken und Einrichtungen des Gesundheitswesens meistens nur sehr begrenzte Ressourcen für psychosoziale Unterstützungsdienste zur Verfügung. So ist insbesondere seit der Einführung des gesetzlichen Anspruches auf ein Krankenhausentlassmanagement der zeitliche Rahmen für eine Beratung immer kürzer, der Druck auf den Sozialdienst und die Anspruchshaltung der Patienten aber immer größer geworden. So müssen Klinische Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter sehr effizient mit diesen Ressourcen umgehen und Prioritäten setzen, um diejenigen zu unterstützen, die diese Hilfe am dringendsten benötigen. Dabei kommt die direkte Arbeit mit den Patienten oft zu kurz: Bürokratie und Dokumentation von Interventionen und Unterstützungsmaßnahmen sind zeitaufwendig, und die direkte Zeit, die die Fachkräfte mit den Patienten verbringen können, ist limitiert. Nicht selten verkümmert der Auftrag einer soziopsychisch ganzheitlichen Beratung zur zeitnahen und knappen Organisation der weiteren Versorgung. Trotz dieser Herausforderungen und Einengungen ist die klinisch profilierte Sozialarbeit unerlässlich, um eine umfassende patientenzentrierte Versorgung im Sinne der Gesundheitskonzeption der WHO (körperlich, psychisch und sozial) sicherzustellen.

Die entsprechenden methodischen Aufgabenstellungen im Krankenhaus sind vielfältig und darauf ausgerichtet, die soziale und emotionale Gesundheit der Patienten zu fördern und deren Genesung zu unterstützen. Häufige Aufgabenstellungen, die die Bezeichnung »sozialtherapeutisch« verdienen, ist psychosoziale Beratung für Patienten und ihre Angehörigen, um mit den emotionalen Herausforderungen, die eine schwere Krankheit in der Regel mit sich bringt, umzugehen. Dies kann Stressbewältigung, Trauerarbeit, Konfliktlösung und insbesondere auch Ressourcenvermittlung umfassen. In den Gesprächen mit den Patienten geht es dann um Informationen über das soziale Umfeld, die familiäre Situation und aktivierbare soziale Unterstützungssysteme.

Ziel ist auch die Unterstützung des therapeutischen Teams, um die Behandlung und auch die Nachsorge bestmöglich an die individuellen Bedürfnisse und die Lebenslage der Menschen anzupassen. Die professionelle soziale Unterstützung kann auch Hilfen bei der Organisation von Besuchen, der Betreuung von Kindern oder der Bewältigung von finanziellen Herausforderungen einschließen.

Bei der Vorbereitung auf die Entlassung aus dem Krankenhaus arbeiten klinisch-sozialarbeiterische Fachkräfte daran sicherzustellen, dass die Patienten über die notwendigen Ressourcen und Unterstützungssysteme verfügen bzw. diese erhalten, um ihre Genesung zu Hause fortzusetzen. Dies kann im Rahmen von Anschlussheilbehandlungen die Koordination von Pflegeleistungen, physiotherapeutische Nachsorge, Anleitung zur Medikamenteneinnahme oder die Einleitung von Rehabilitationsmaßnahmen umfassen, was in Fällen von Erkrankungen, die eine langfristige Rehabilitation erfordern, eine wichtige Rolle bei der Wiederherstellung der Selbstständigkeit und sozialen Integration spielt. Last but not least gibt es Aufgaben der Unterstützung und Entscheidungshilfe in ethisch komplexen Situationen, wie Entscheidungen am Lebensende oder bei Konflikten über medizinische Interventionen.

Ursula Pabsch stellt in ihrem Buch vor diesen Hintergründen, die sie kritisch herausarbeitet und beleuchtet, die Möglichkeiten systemischer Methodik als einer spezialisierten Form der Beratung und Intervention im Rahmen Klinischer Sozialarbeit in Krankenhaus und Gesundheitswesen vor. Sie beschreibt eindringlich die verschiedenen Spannungsfelder, die für die Soziale Arbeit als Profession zu durchaus vielfältigen Dilemmata führen: so z. B. die Fragen des Verständnisses von Gesundheit und Krankheit aus einer sozialklinischen Perspektive, die Differenzierungen zwischen generalistischer Sozialarbeit und Klinischer Sozialarbeit, die zu große Distanz zwischen Klinischer Sozialarbeit und Systemischer Beratung und Therapie, aber auch die berufspolitischen Herausforderungen und das berufliche Selbstverständnis von Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeitern. Sie stellt fest, dass die Chance zu einer Aufwertung der Profession im interdisziplinären Feld nur selten genutzt wurde und wird. Dabei geht es ihr um ein deutliches Zeichen für die Bedeutsamkeit der Profession – auch als eigentlich zum therapeutischen Team gehörige – und zwar immer dann, wenn komplexe soziale Dynamiken eine Rolle spielen (was ja in immer mehr Behandlungsverläufen der Fall ist).

Patienten und ihre Familien werden in ihrem sozialen, kulturellen und emotionalen Kontext und den damit verknüpften (zunehmend interkulturellen) Beziehungsgeflechten behandelt, sodass die medizinischen Aspekte der Erkrankung im Zusammenhang mit den sozialen und emotionalen Bedürfnissen zu sehen sind, einschließlich der Identifizierung von Ressourcen, Unterstützungssystemen und Barrieren. Eine Palette von Interventionsmöglichkeiten veranschaulicht die Methodik systemischer Arbeit vor dem Hintergrund der theoretischen Fundierung.

Kleine Fallvignetten, Fragen zur Reflexion von Problemstellungen sowie konkrete Anregungen zum Vorgehen in der Arbeit mit Patienten machen dieses Buch zu einem geeigneten Lehr-/Lernexemplar. Insbesondere die bereits angedeuteten Aufgabenstellungen der Kommunikation zwischen Patienten und Familienmitgliedern/Angehörigen können von der systemischen Vorgehensweise profitieren. Zentral ist dabei immer wieder der fördernde Begegnungsaspekt. Systemisch kompetente Klinische Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter können so den Behandlungs- und Heilungsprozess fördern, indem man den Fokus der Behandlung nicht nur auf die Individuen, sondern auch auf die Patienten- und Behandlungssysteme richtet, um so die Anpassungsfähigkeit, Compliance und Bewältigungskapazitäten zu unterstützen und damit die Qualität der Versorgung im Krankenhaus entscheidend zu verbessern.

Helmut PaulsBerlin, im September 2023

Einleitung

Im klinischen Kontext ist systemisches Arbeiten eher ungewöhnlich. Es gibt Literatur zur systemischen Familienmedizin, aber das Buch zur Anwendung von systemischen Methoden in der Klinischen Sozialarbeit fehlte noch. Dies mag vielleicht daran liegen, dass es in diesem Arbeitsfeld eher um Kurzzeitsettings geht und der Mythos besteht, man bräuchte für systemisches Arbeiten viele Beratungstermine. Dass auch in kurzen Zeitfenstern der Begegnungen systemisches Arbeiten möglich ist, zeige ich mit diesem Buch und schließe so die erwähnte Lücke.

Ich erläutere zum einen den theoretischen Hintergrund und die Grundbegriffe Systemischer Beratung. Zum anderen stelle ich ausgewählte Methoden für den klinischen Kontext vor. Das Buch richtet sich an Sozialarbeiterinnen, die in einer Einrichtung im Gesundheitswesen arbeiten. Das sind in der überwiegenden Zahl Kliniken – Akuthäuser wie auch Rehabilitationskliniken. Aber auch die verschiedenen ambulanten Beratungsstellen zu spezifischen Krankheitsbildern, Pflegeberatung, Case Management, Rehabilitationsberatung und poststationäre Einrichtungen zur Langzeitbetreuung können davon profitieren.

Sozialarbeit in Kliniken ist eine erklärungsbedürftige Profession für Menschen, die noch nicht in den Genuss dieser besonderen Unterstützung gekommen sind. Jeder weiß, was eine Ärztin tut oder auch die Pflegekräfte leisten, aber der Sozialdienst ist eher ein unbeschriebenes Blatt. Betroffene Patienten lernen ihn umso mehr schätzen, wenn sie ihn brauchen.

Für die Profession Soziale Arbeit an sich ist der systemische Ansatz im klinischen Bereich eher unbekannt. Die gängige theoretische Grundlage der Sozialen Arbeit im Krankenhaus ist das biopsychosoziale Modell. Darauf bauen die Interventionen auf, mit denen wir ein adäquates Nachsorgekonzept für die Patienten entwickeln.

Mit dem 2018 eingeführten gesetzlichen Anspruch auf ein Krankenhausentlassmanagement (nach § 39 Abs. 1a SGB V) ist in Kliniken der zeitliche Rahmen für eine Beratung immer kürzer, der Druck auf den Sozialdienst und die Anspruchshaltung der Patienten aber immer weiter gewachsen. So verkümmert der Auftrag von einer ganzheitlichen Beratung zur zeitnahen Organisation der weiteren Versorgung. Dagegen abgegrenzt wird in der Lehre der Sozialen Arbeit die Klinische Sozialarbeit mit einem heilenden Auftrag im Kontext des Gesundheitswesens. Ziel ist eine psychosoziale Belastungs-, Krisen- und Krankheitsbewältigung durch soziale Integration.

Dieser scheinbare Gegensatz von zeitnah und heilend lässt sich mit systemischer Kompetenz und Haltung auflösen. Die Methoden eignen sich sehr gut, um auch im klinischen Kurzzeitsetting nachhaltig therapeutisch zu wirken. Für die Entwicklung von langfristigen Perspektiven bei gesundheitlichen Problemen – unabhängig, ob bei körperlichen oder seelischen Herausforderungen – ist die Kombination von sozialarbeiterischen Kompetenzen mit systemischer Haltung ideal. Lösungs- und ressourcenorientiertes Arbeiten lenkt den Blick von administrativer Arbeit auf den Menschen mit seiner Persönlichkeit. So kann man den Hilfeplan zielorientiert an den Bedürfnissen und der Lebenswirklichkeit der Patienten und den Angehörigen entwickeln.

Die Erweiterung der Sozialen Arbeit in Kliniken mit systemischen Methoden und ihre standardisierte Anwendung wurde in der Lehre bisher vernachlässigt. Dazu soll das Buch einen Beitrag leisten und richtet sich explizit auch an die Studierenden.

Mit der Beschreibung der verschiedenen Spannungsfelder im Gesundheitswesen wie auch in der Sozialen Arbeit werden die vielfältigen Dilemmata im Berufsfeld deutlich:

Gesundheit ↔ Krankheit,

Gesundheitswesen ↔ Heilungsauftrag

Soziale Arbeit ↔ Klinische Sozialarbeit

Systemische Therapie ↔ Systemische Sozialarbeit.

Hier zeigt sich z. B., dass ein gut gemeinter Hilfeplan sehr stark von den strukturellen Hilfsangeboten oder auch von den medizinischen Nachsorgemöglichkeiten abhängig ist. Hinzu kommt die Compliance der Patienten bei medizinischen Therapieempfehlungen. Jeder Mensch hat seine eigenen Vorstellungen von einer wirkungsvollen medizinischen Therapie.

Grundlage der vorgestellten Methoden ist neben der Theorie die systemische Haltung. Sie macht für mich das berufliche Ethos aus. Eine Methode muss aus einem theoretischen Kontext mit konsekutiver Haltung heraus zielgerichtet angewendet werden (vgl. Levold 2021, S. 220–223). Der reflexive Dialog mit ressourcen- und lösungsorientierten Fragen ist sehr hilfreich bei der Bewältigung von kritischen Lebensereignissen wie z. B. einer schweren Erkrankung. Er ist für mich die Grundlage für hilfreiches sozialarbeiterisches Handeln in Kliniken und anderen Einrichtungen des Gesundheitswesens.

Die Methodensammlung gibt einen Überblick über verschiedene Möglichkeiten, mit den Patienten und ihren Familien sowie auch den Kolleginnen in einen reflexiven Dialog zu treten. Mit Kolleginnen meine ich Vertreterinnen aller Berufsgruppen, intern im Krankenhaus wie auch extern. Dabei gehe ich von der systemisch-konstruktivistischen Hypothese aus, dass niemand alleine krank ist und auch niemand alleine heilt.

Bei der Darstellung der Interventionsmöglichkeiten erläutere ich die Methode an sich, die theoretische Rahmung und vertiefe sie mit beispielhaften systemischen Fragen. Wichtig ist mir dabei der fördernde Begegnungsaspekt zwischen Klienten und Sozialarbeiterinnen. Nützliche Fragen zur Reflexion des eigenen Handlungsprinzips am Ende jeder Methodenerläuterung fördern die Betrachtung der Metaebene bei der Anwendung. Sie sind als Mikrointervision gedacht und bieten die Möglichkeit, das eigene Handeln zu hinterfragen.

Im Kapitel zur Sozialen Diagnostik, die eine zentrale Methode der Sozialarbeit ist, stelle ich die Verbindung zum systemischen Arbeiten her. Es ist ein Beispiel für methodische Synergien, die das Leben als Sozialarbeiterin erleichtern können.

Der Blick auf Familienphasen, Erkrankungsphasen und die unterschiedlichen Auswirkungen zeigt die Vielfalt der zu beachtenden Lebenssituationen. Das Gleiche gilt auch für die Beschreibung der sehr unterschiedlichen klinischen Praxisfelder, wobei ich mich auf diejenigen beschränke, in denen ich selbst praktisch tätig war.

Fallbeispiele aus meiner Tätigkeit runden den Blick in die systemische Praxis im Gesundheitswesen ab.

Die Schlussgedanken widme ich dem beruflichen Selbstverständnis und dem Marketing in eigener Sache. Diese Themen werden im Lehrplan für Soziale Arbeit leider immer noch vernachlässigt. Im Rahmen meiner bundesweiten Seminartätigkeit kamen sie jedoch regelmäßig spätestens am Nachmittag einer Veranstaltung in den Diskussionen an die Oberfläche.

Da 78,8 % der nichtmedizinischen Mitarbeiterinnen im Gesundheitswesen weiblich sind (vgl. Statista GmbH 2022), habe ich mich entschieden, in diesem Buch bei der Bezeichnung der Fachleute durchgängig die weibliche Form zu verwenden. Die Männer im klinischen Bereich sind damit natürlich auch angesprochen. Bei den übrigen Personenbezeichnungen benutze ich die männliche Form, mit der auch die anderen Geschlechter gemeint sind.

1 Menschenbild

Wer es sich zur täglichen Aufgabe macht, Menschen in Notsituationen zu helfen, sollte sich bewusst sein, welches Menschenbild sein Handeln prägt. Den Menschen an sich gibt es natürlich nicht. Sozial arbeitende Menschen werden ja auch darauf getrimmt, hilfsbedürftige Menschen dort abzuholen, wo sie im Moment stehen, oder besser: steckengeblieben sind.

So treffen zwei Menschen aufeinander. Einer fühlt sich kompetent und voller Tatendrang. Der andere weiß nicht so recht, ob ihm etwas fehlt, ob er sein Leben wieder in den Griff bekommt, ob er vielleicht große Fehler gemacht hat und ob er jemals die Hilfe bekommt, die er sich wünscht. Geht der eine davon aus, zu wissen, was für den anderen gut ist, so wird er sich in der Begegnung anders verhalten als jemand, der den Hilfesuchenden erst mal kennenlernen möchte – unabhängig davon, ob dieser tatsächlich seine kompetente Hilfe benötigt. Herbert Eberhart spricht von der »wertschätzende[n], einfühlende[n], zum Verstehen bereite[n] Neugier« (Bürgi u. Eberhart 2004, S. 42) aufseiten der Beraterin.

In diesem Fall gehe ich davon aus, dass mein Gegenüber alle Möglichkeiten in sich hat, die es braucht, um sein Leben in seinem Sinne positiv gestalten zu können. In guten Zeiten ist man sich der eigenen Fähigkeiten bewusst und kann sie nach Bedarf abrufen. In schwierigen Zeiten ist das Bewusstsein ein wenig oder auch etwas stärker getrübt. Die bunten Farben des Lebens verblassen, es wird grau, die Probleme scheinen den Alltag zu erdrücken, und in den Gedanken breitet sich Hilflosigkeit aus. Dabei scheinen alte Problemlösungsstrategien vergessen, oder es müssen andere gefunden werden.

Die Gewissheit der ausreichenden Fähigkeiten und der zuversichtliche Glaube an den vermeintlich »Hilflosen« ermöglichen dem Helfer, die Kräfte des »Hilflosen« wieder zu mobilisieren oder ihm Möglichkeiten zu zeigen, wie er sich ihrer gar erst bewusst werden kann. Diese helferimmanente Vertrauensbasis ist unbedingte Voraussetzung für hilfreiches Handeln im professionellen sozialen Kontext, unabhängig von der verwendeten Technik. Es fällt mitunter schwer, diesen Glauben nicht selbst zu verlieren, angesichts der Fülle der zu lösenden sozialen Probleme. Hier liegt die Gefahr, als Helfer zum Macher zu werden, die Kompetenzen des Hilflosen erst gar nicht entdecken zu wollen – aus vermeintlichem Zeitmangel, erlebter eigener Hilflosigkeit oder gar aus überzeugtem Aktivismus.

So entsteht ein Kreislauf von Inkompetenz, Hilfe, erfahrener Inkompetenz mit Verringerung des Selbstwertgefühls und Manifestierung der Inkompetenz. Auch wohlgemeinte Hilfe kann schon zu viel sein auf dem Weg zu den verschütteten Fähigkeiten. Hier geht es um die Entscheidung der Beraterin, die Klienten mit Begriffen der Pathologie oder der Kompetenz wahrzunehmen.

Woran merkt nun unser Klient, dass wir an ihn glauben? Welche grundsätzliche Haltung leitet mein Handeln? Diese Haltung ist schwer in Worte zu fassen. Es ist die Art, wie wir miteinander in Kontakt treten, wie wir unseren Dialog gestalten und wie kongruent unser Verhalten ist. Interessieren wir uns für seine Geschichte? Bewerten wir seine Meinung oder bekämpfen wir sie gar? Halten wir das Gefühl der Hilflosigkeit aus oder verlieren wir in Zeiten des Schweigens oder bei Tränen die Orientierung? Gelingt es uns, mit den Klienten gedankliche Freiräume zu schaffen, um mögliche Lösungen als Visionen kreieren zu können?

Wir können im Gespräch mit zirkulären Fragen Außensichten einführen und so das bevorzugte Spiegelbild des Klienten in seinem sozialen Beziehungsnetz erkunden. Wie ist seine Wahrnehmung, wie konstruiert er sich seine Welt und wie erklärt er sie sich? Kommen in seinem Weltbild positive Veränderungen vor? Wie erklärt er sich seine Erkrankung? Dabei setzte ich voraus, dass ich als Helferin neugierig bin auf seine Art, Leben zu gestalten und Beziehungen zu leben. Es geht nicht darum, die Welt zu verbessern und jeden vor seinem Unglück zu bewahren oder zu heilen. Ich bin dort, um sie in Zeiten der verborgenen Fähigkeiten ein Stück des Weges zu begleiten. Diese ressourcenorientierte Arbeitshaltung verlangt von mir eine große Ruhe und Gelassenheit in der Beratung. Ich muss mich mit meinen Werten und Ansichten zurücknehmen, um den Kompetenzen des anderen Raum zu verschaffen.

Um zu dieser Haltung zu gelangen, ist die Auseinandersetzung mit der eigenen privaten Weltgeschichte notwendig. Was weiß ich von mir und meiner Geschichte, was ist mir wichtig und was verabscheue ich. Welche Werte in meinem Leben bestimmen mein Denken und Handeln? Und welchen Einfluss hat das Ganze auf meine Beratungstätigkeit?

Nehmen wir z. B. ein Ehepaar, das sich dazu entschließt, die demente Mutter zu Hause zu versorgen. Aus der Sozialanamnese wissen wir, dass in dem Haushalt noch ein psychisch krankes Kind, ein hörbehindertes Kind und ein erwachsenes Kind leben. Die Tochter der dementen Mutter ist ganztags berufstätig, der Schwiegersohn managt den familiären Alltag. Was denke ich nun als Sozialdienstmitarbeiterin im Krankenhaus, in dem die demente Mutter behandelt worden ist, über

1) die Tochter2) den Schwiegersohn3) das psychisch kranke Kind4) das hörbehinderte Kind5) das erwachsene Schulkind?

Halte ich die Entscheidung des Ehepaares für eine gute Entscheidung und bestärke ich sie darin?

Oder leuchtet in mir die Katastrophenalarmlampe rot auf, angesichts der Fülle von Problemlagen?

Denke ich etwa: »Kompetente und problemerfahrene Familie, sie wachsen an ihren Aufgaben«? Bedauere ich insgeheim die Kinder, die in Zukunft mutmaßlich nicht ausreichend versorgt werden können? Vielleicht sogar emotional vernachlässigt werden?

Halte ich den Schwiegersohn für den Knecht der Familie? Oder bewundere ich ihn und wünsche mir auch so einen kompetenten Ehemann?

Je nachdem, welche Werte mich leiten, wird meine Beratung insgeheim oder auch offen in die eine oder andere Richtung gelenkt. Erst die bewusste Auseinandersetzung mit meinem eigenen Wertesystem fördert die Beratungskompetenz hinsichtlich des Respekts vor den Entscheidungen der Klienten und den bisherigen Prozessen in ihrem Familiensystem. Für ein hilfreiches Gespräch ist es daher notwendig, einen emotionalen Freiraum zu schaffen, der insbesondere frei von der Bewertung der Beraterin ist. Nur so kann der Klient für sich verschiedene Möglichkeiten in Betracht ziehen, Vor- und Nachteile im sachlichen wie auch emotionalen Spektrum abwägen und die Entscheidung treffen, die für ihn persönlich passt. Die Wahrscheinlichkeit, dass er auch die Verantwortung dafür übernimmt, ist umso höher, je weniger gut gemeinte Ratschläge den Prozess begleitet haben. Diese Neutralität gegenüber anderen Ideen der Welt erfordert sehr viel Selbstdisziplin bei der Beraterin. Möglicherweise gibt es Klienten, mit denen ich aufgrund meiner ethischen Grundhaltung und der daraus resultierenden fehlenden Neutralität nicht arbeiten kann.

2 Im System steckt mehr, als wir sehen

Der Versuch, das menschliche Leben auf einen Aspekt zu reduzieren, um als Sozialarbeiterin ihn – den Menschen und seinen Hilfebedarf – besser zu verstehen, scheitert sehr schnell an der Komplexität seiner Lebenswirklichkeit. Genauso schnell scheitert der Versuch, Klinische Sozialarbeit unter systemischen Gesichtspunkten zu reduzieren und dabei alle anderen Teilaspekte zu ignorieren, die Systemische Therapie zu erklären oder das Funktionieren einer Klinik im Gesundheitswesen transparent zu machen.

Mit diesem Buch betrete ich ein breites Feld mit vielen Spannungsmomenten von scheinbar gegensätzlichen Positionen, was mir aber erst in der Schlussphase bei der Arbeit am Manuskript bewusst geworden ist. Mit der Idee zu diesem Buch bin ich seit 2006 schwanger gegangen. Eigentlich wollte ich nur ein kleines systemisches Methodenhandbuch verfassen, um den Alltag in Kliniken für Sozialarbeiterinnen leichter und lustvoller zu machen. Schon das Wort »lustvoll« erscheint im Kontext »Klinik« geradezu anmaßend, doch meiner Erfahrung nach ist der Begriff durchaus sinnstiftend und erlebbar.

Beim Versuch der theoretischen Rahmung mit unzähligen Büchern und Zeitschriften um mich herum bin ich immer tiefer in Spannungsfeldern versunken, die sich auf vielen wissenschaftlichen, politischen und individuellen Metaebenen offenbarten.

Gesundheit ∞ Krankheit

politischer Zeitgeist ∞ Sozialgesetzgebung

Gesundheitswesen ∞ Heilungsauftrag

Mensch ∞ Patient

Diagnose ∞ persönliches Empfinden

Heilung ∞ Misserfolg

Patient ∞ Klient

ambulant ∞ stationär

Gesellschaft ∞ Individuum

soziales Umfeld ∞ Persönlichkeit

Soziale Arbeit ∞ Klinische Sozialarbeit

Soziale Arbeit ∞ systemische Beratung

Systemische Therapie ∞ Systemische Sozialarbeit

Systemische Therapie ∞ systemische Psychotherapie

Alle diese Spannungsfelder beeinflussen rekursiv die Begegnung zwischen Sozialarbeiterin und Klient im Arbeitsfeld »Klinik« und auch die Qualität des Beratungsprozesses im jeweils aktuellen Fall. Was vor ein paar Jahren Standard war, kann inzwischen vielleicht nicht mehr möglich sein oder auch erst jetzt umgesetzt werden. Das aktuelle Zeitgeschehen beeinflusst alle privaten und beruflichen Felder und auch die Forschung. Themen, die gerade brisant sind, bekommen Forschungs- und Fördergelder.

Bei der Auseinandersetzung mit der Fachliteratur zur Sozialen Arbeit ist mir eine sehr große Zurückhaltung dabei aufgefallen, eine Methode als »systemisch« zu benennen. Es las sich so, als läge ein Fluch im Flur der ehrwürdigen Sozialen Arbeit, die bisherige Terminologie und Theorien zu bewahren und zu ehren. Sehr erfrischend dazu ist der Aufsatz von Wolf Ritscher (2022, S. 3–33), der über doch sehr viele Gemeinsamkeiten und wenige Unterschiede schreibt.

Im systemischen Kosmos taucht die Sozialarbeit dagegen fast nur im Bereich der Jugendhilfe auf. Im klinischen Zusammenhang gibt es die systemische Familienmedizin, wo die Sozialarbeiterinnen nur kurz als Teil des medizinischen Behandlungsteams erwähnt werden (vgl. Altmeyer u. Kröger 2003). Wenn die Medizinerinnen mit ihrem Latein am Ende sind, die Heilung nicht erfolgt oder zusätzlich komplexe soziale Dynamiken mitschwingen, dann ist die sozialarbeiterische Expertise gefragt. Ein Thema dabei ist die Compliance der Patienten. Was kann man tun, wenn der Patient nicht so will, wie die Ärztin es gut mit ihm meint? Oder es folgt der Auftrag, möglichst schnell ein Pflegeheim zu finden. Haun verweist im Kontext der Systemischen Familienmedizin auf die psychosozialen Anforderungen von Krankheit und die Anpassungsfähigkeit der Familien als entscheidenden Bewältigungsfaktor. Er spricht von der Möglichkeit, den Familien »regelmäßige psychosoziale Check-up-Termine in größeren Abständen« anzubieten (vgl. Haun 2023, S. 223). Leider gibt es weder einen Hinweis darauf, wer den psychosozialen Check-up macht und wer sich um die Behandlung der psychosozialen Belastungen kümmert, noch einen Hinweis auf die Notwendigkeit der interdisziplinären Zusammenarbeit mit den Klinischen Sozialarbeiterinnen.

Ein weiteres neues systemisches Feld im klinischen Bereich ist die Pflege und die Überschneidung mit dem Schwerpunkt »Arbeit mit älteren Menschen«.

Ein Blick auf die Fachgruppen der Deutschen Gesellschaft für Systemische Therapie, Beratung und Familientherapie e. V. (DGSF e. V.) zeigt den aktuellen Zeitgeist in der systemischen Welt. Der Wunsch, sich unter der DGSF-Fahne auch politisch zu engagieren, verstärkte sich umso mehr, als sich die einst vermutete stabile sicherheitspolitische Lage in Europa mit Ausbruch des Krieges in der Ukraine als Trugschluss erwies. Die große Frage im Gesundheitswesen, die die Wissenschaft und vor allem die Praktiker bewegt, scheint die Suche nach dem wahren Heiler zu sein. Wer hat die politische und ideelle Lizenz, wer ist der bessere oder auch billigere Wegbegleiter auf dem Weg zur Gesundheit? Und wer darf sich die Leistung auch vom Staat bezahlen lassen?

Die Systemische Therapie hat einen langen Instanzenweg hinter sich, um als Heilverfahren in der Psychotherapie nun anerkannt zu sein. Doch glücklich sind damit auch nicht alle Systemiker. Wollte man nicht »Krankheit« nur als Konstrukt betrachten? Sehr lesenswert sind die Diskussionsbeiträge von Reinert Hanswille und Tom Levold zur Zukunft der Systemischen Therapie mit und ohne Heilauftrag (vgl. Kuhnert u. Berg 2020, S. 311–380).

Davon abgesehen wird im systemischen klinischen Kontext fast nur über das psychiatrische Behandlungsspektrum geschrieben. Die Fachliteratur hat sich bisher in dieses Feld der Diagnosen vertieft, meist aus ärztlicher oder psychologischer Sicht (vgl. von Schlippe u. Schweitzer 2016, S. 335–414). Auch die Literatur zur Systemischen Organisationsberatung hat bisher nur die Psychiatrie im Blick. Meines Wissens gibt es aber mehr Disziplinen in einer Klinik, bei denen die Patienten von einer systemischen Betrachtungsweise profitieren könnten. Die Erweiterung des systemischen Blickwinkels auf andere Diagnosen findet erst langsam statt. In einem Akuthaus mit Vollversorgung sind es eher Kurzzeitsettings, in Rehakliniken gibt es etwas größere zeitliche Rahmen. Darauf gehe ich im Kapitel »Praxisfelder« näher ein.

Auf meine große Frage, warum bisher niemand über Systemische Sozialarbeit in Kliniken geschrieben hat, habe ich trotz intensiver Recherche keine Antwort gefunden. Auch nach meiner langjährigen publizistischen Abstinenz, in der ich die aktuelle Literatur nicht verfolgte, fand ich kein lesbares Ergebnis. Immerhin mehren sich nun allmählich doch die Publikationen zur Systemischen Sozialarbeit. Es mag an der Seele der Sozialarbeiterinnen liegen, Gutes zu tun, sich weiterzubilden und dann einfach weiterzuarbeiten. Muss ja keiner merken, wie kompetent wir sind. Nebenbei bemerkt sind fast ¾ aller Teilnehmer von systemischen Weiterbildungen Sozialarbeiterinnen.

Mein dezenter kritischer Humor ist das Ergebnis von 30-jähriger Berufserfahrung in Kliniken und als Referentin/Supervisorin für systemisches Arbeiten im Gesundheitswesen. Manchen definitorischen Diskussionen, z. B. in den Verbänden – egal, ob im systemischen Feld oder bei den Sozialarbeiterinnen – kann ich nur mit Humor und einem tiefen Seufzer folgen. Ein weiterer Seufzer gilt dem niedrigen beruflichen Selbstwertgefühl und der Resignation von Sozialarbeiterinnen angesichts der Strukturen insbesondere in Kliniken. Immerhin gibt es dank Helmut Pauls aus Coburg Masterstudiengänge für Klinische Sozialarbeit (Pauls 2013). In Merseburg gab es unter der Leitung von Johannes Herwig-Lempp von 2009–2018 einen Masterstudiengang Systemische Sozialarbeit.

Mein Herz schlägt für mindestens zwei Professionen, für die pragmatische Sozialarbeit und für die bisher in der Krankenhaus-Sozialarbeit nicht aufgegriffene Systemtheorie. Ganz besonders aber schlägt es für die Familien in ihrer Sorge um ein krankes Familienmitglied.

Das Buch ist für Sozialarbeiterinnen geschrieben, verbunden mit der Hoffnung, damit Lust auf systemisches Arbeiten im klinischen Kontext zu erwecken.

Ich erläutere verschiedene Methoden und Interventionen (s. Kap. 6) der systemischen Familientherapie und die zugrunde liegende Haltung im Kontext der Klinischen Sozialarbeit. Der ressourcen- und lösungsorientierte Dialog mit Patienten und Angehörigen auf der Basis der systemischen Familientherapie ist für mich die Grundlage hilfreichen Handelns in den Kliniken und in anderen Arbeitsfeldern im Gesundheitswesen.

Für die Berufsgruppe der Sozialarbeiterinnen in Kliniken sind die Methoden, ihre Wirkung sowie der Nutzen der systemischen Haltung noch weitgehend unbekannt. Meiner Meinung nach ist die Lösungsorientierte Kurzzeitberatung jedoch sehr passend für den Beratungskontext im Krankenhaus, wo anscheinend nur wenig Zeit für einen vertrauensvollen Dialog zur Verfügung steht. Der vertrauensvolle Dialog ist für mich der nachhaltig wirksame Kern im klinischen Kontext.

Die kontextuellen Spannungsfelder zur theoretischen Rahmung erläutere ich in Ansätzen. Jedes Feld hat große Sprengkraft und kann nur verkürzt dargestellt werden. Es korreliert wechselseitig zusätzlich mit den anderen Feldern, die wiederum nicht abschließend aufzuzählen sind. Wer keine Zeit hat (und welche Sozialarbeiterin hat schon Zeit?), kann sich die Methoden auch gleich vornehmen und ausprobieren. Möglicherweise kommt später die Lust auf, sich Zeit für die spannende Theorie im Hintergrund zu nehmen.

2.1 Gesundheit versus Krankheit