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Manchmal können Teppiche fliegen. Und manchmal werden Träume Wirklichkeit … Die Howl Saga geht weiter mit der humorvollen und magischen 1001-Nacht-Fantasy der preisgekrönten Autorin Diana Wynne Jones. In seinen Tagträumen ist der junge Teppichhändler Abdullah ein Prinz aus einem fernen Land. Ganz im Gegensatz zu seinem Alltag am Rand eines großen Bazars, mit der buckligen Verwandtschaft der ersten Frau seines Vaters, die ihn so schnell wie möglich mit mindestens einer Frau verheiraten will. Doch eines Tages kommt ein Fremder an Abdullahs Stand und verkauft ihm einen zerschlissenen alten Teppich mit angeblich besonderen Fähigkeiten. Und plötzlich befindet sich Abdullah mitten in seinen Träumen. In einem prächtigen Garten trifft er die wunderschöne und kluge Prinzessin Blume-in-der-Nacht, in die er sich augenblicklich unsterblich verliebt. Aber Abdullahs Schicksal meint es nicht gut mit ihm. Kurz nachdem er sie kennengelernt hat, wird Blume-in-der-Nacht von einem miesen Djinn entführt. Aber Abdullah weiß, was er will, und mithilfe seines zänkischen, magischen Teppichs und ein paar anderen schrägen Gestalten macht er sich auf, Blume-in-der-Nacht aus dem Palast des Djinns zu befreien ... Nach dem Fantasy-Klassiker "Das wandelnde Schloss" ist mit "Der Palast im Himmel" auch der zweite Band der Howl Saga der britischen Erfolgsautorin Diana Wynne Jones endlich wieder auf deutsch erhältlich. Das Märchen um den Teppich-Verkäufer Abdullah und die Befreiung der Prinzessin in neuer Ausstattung - ein fantastisches Abenteuer. "Der Palast im Himmel" ist bereits unter dem Titel "Ziemlich viele Prinzessinnen" auf deutsch erschienen.
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Seitenzahl: 348
Veröffentlichungsjahr: 2020
Diana Wynne Jones
Roman
Aus dem Englischen von Dorothee Haentjes-Holländer
Verlagsgruppe Droemer Knaur GmbH & Co. KG.
Der junge Teppichhändler Abdullah führt ein ruhiges Leben, nur seine Tagträume bieten ihm ein wenig Abwechslung. Bis eines Tages ein Fremder auftaucht und Abdullah einen zerschlissenen alten Teppich verkauft – mit angeblich magischen Fähigkeiten. Und plötzlich befindet sich Abdullah mitten in seinen Träumen: Er wandelt durch einen prachtvollen Garten, lernt die wunderschöne Prinzessin Blume-in-der-Nacht kennen und verliebt sich augenblicklich in sie. Doch prompt wird diese von einem miesen Dschinn entführt – und sie ist nicht die Einzige … Gemeinsam mit einer bunten kleinen Truppe macht Abdullah sich dazu auf, einen ganzen Palast voller Prinzessinnen zu retten.
Widmung
1. Kapitel
2. Kapitel
3. Kapitel
4. Kapitel
5. Kapitel
6. Kapitel
7. Kapitel
8. Kapitel
9. Kapitel
10. Kapitel
11. Kapitel
12. Kapitel
13. Kapitel
14. Kapitel
15. Kapitel
16. Kapitel
17. Kapitel
18. Kapitel
19. Kapitel
20. Kapitel
21. Kapitel
Für Francesca
in welchem Abdullah einen Teppich kauft
Tief im Süden des Landes Ingari, im Sultanat Rashput, lebte in der Stadt Zanzib ein junger Teppichhändler mit Namen Abdullah. Für einen Händler war er nicht gerade reich. In den Augen seines Vaters war er eine Enttäuschung gewesen, und bei dessen Tod hatte er Abdullah gerade so viel Geld hinterlassen, dass er sich eine bescheidene Bude an der nordwestlichen Ecke des Basars kaufen und einrichten konnte. Das restliche Geld und das große Teppichhandelshaus im Zentrum des Basars hatte der Vater der Verwandtschaft seiner ersten Frau vermacht.
Abdullah hatte nie erfahren, warum sein Vater so enttäuscht von ihm gewesen war. Es hatte wohl mit einer Prophezeiung am Tag seiner Geburt zu tun. Abdullah hatte sich jedoch nie die Mühe gemacht, mehr darüber herauszufinden. Stattdessen begann er schon in sehr jungen Jahren, in Tagträumen darüber zu sinnieren. In diesen Tagträumen war er in Wirklichkeit der seit langer Zeit verschollene Sohn eines mächtigen Prinzen, was natürlich bedeutete, dass sein Vater gar nicht sein richtiger Vater war. Dieser Tagtraum war nichts weiter als ein Luftschloss, und das wusste Abdullah auch. Von überall bekam er gesagt, dass er das Aussehen seines Vaters geerbt hatte. Wenn er in den Spiegel blickte, sah er einen recht ansehnlichen jungen Mann mit schmalem Habichtsgesicht. Und er musste sich eingestehen, dass er dem Porträt seines Vaters als junger Mann wirklich sehr ähnlich sah – abgesehen von der Tatsache, dass sein Vater einen üppigen Schnauzbart trug, während Abdullah immer noch die sechs Haare auf seiner Oberlippe zusammenbürstete und hoffte, dass sie sich bald vermehrten.
Unglücklicherweise – und auch darin waren sich alle einig – hatte Abdullah den Charakter von seiner Mutter geerbt, der zweiten Frau seines Vaters. Sie war eine träumerische und ängstliche Frau gewesen und für alle eine große Enttäuschung. Das störte Abdullah nicht sonderlich. Das Leben eines Teppichhändlers bietet wenig Gelegenheiten für Tapferkeit, und Abdullah war im Großen und Ganzen damit zufrieden. Die Bude, die er gekauft hatte, war zwar klein, stellte sich aber als recht gut platziert heraus. Sie lag nicht weit vom westlichen Viertel entfernt, wo die reichen Leute in ihren großen Häusern mit ihren wunderbaren Gärten lebten. Noch besser aber war, dass sie sich in dem Teil des Basars befand, den die Teppichknüpfer, die aus der nördlich gelegenen Wüste nach Zanzib kamen, zuerst betraten. Sowohl die reichen Leute wie auch die Teppichknüpfer suchten normalerweise die größeren Geschäfte im Zentrum des Basars auf. Aber eine erfreulich große Anzahl von ihnen war doch bereit, eine Pause am Stand eines jungen Teppichhändlers einzulegen, wenn dieser junge Teppichhändler sich ihnen in den Weg stellte und ihnen mit überschwänglichster Höflichkeit Schnäppchen oder Rabatte anbot.
Auf diese Weise war Abdullah nicht selten in der Lage, kostbare Teppiche zu kaufen, bevor jemand anders sie zu Gesicht bekam, und sie dann auch noch gewinnbringend weiterzuverkaufen. Zwischen dem Kaufen und dem Verkaufen konnte er in seiner Bude sitzen und seinen Tagtraum weiterträumen, was ihm sehr gelegen kam. Der einzige Misston in seinem Leben waren die Verwandten der ersten Frau seines Vaters, die ihn einmal im Monat besuchten, um an ihm herumzukritteln.
»Aber du legst ja nichts von deinem Gewinn auf die Seite!«, rief Hakim, der Sohn des Bruders der ersten Frau von Abdullahs Vater (den Abdullah nicht mochte), eines schicksalsträchtigen Tages aus.
Abdullah erklärte ihm, dass er den Gewinn aus dem Verkauf eines Teppichs gewöhnlich dazu benutze, einen neuen, wertvolleren Teppich zu erstehen. Auf diese Weise habe er das Geld zwar gleich wieder ausgegeben, dafür würde seine Ware aber immer wertvoller werden. Zum Leben habe er ohnehin genug. Und mehr brauche er nicht, wie er den Verwandten seines Vaters höflich erklärte, denn er sei nicht verheiratet.
»Du solltest aber verheiratet sein!«, schrie Fatima, die Schwester der ersten Frau von Abdullahs Vater (die Abdullah noch weniger mochte). »Ich habe es dir schon oft gesagt, und ich werde es wieder und wieder sagen: Ein junger Mann wie du müsste mittlerweile schon mindestens zwei Frauen haben!« Und da ihr diese Feststellung allein offensichtlich nicht reichte, erklärte Fatima, dass sie sich nun daranmachen wollte, ihm ein paar Frauen auszusuchen – ein Angebot, bei dem Abdullah die Knie zitterten.
»Und je wertvoller deine Ware wird, umso wahrscheinlicher wird es, dass du ausgeraubt wirst, oder umso mehr wirst du verlieren, wenn dein Stand Feuer fängt. Hast du das schon einmal bedacht?«, bohrte Assif, der Sohn des Onkels der ersten Frau von Abdullahs Vater (ein Mann, den Abdullah noch mehr hasste als die beiden anderen zusammen), nach.
Abdullah versicherte Assif, dass er mit Lampen sehr vorsichtig umgehe und immer in seiner Bude schlafe. Worauf alle drei Verwandten der ersten Frau seines Vaters ihre Köpfe schüttelten, mit den Zungen schnalzten und gingen. Dies bedeutete in der Regel, dass sie ihn nun wieder für einen Monat in Frieden ließen. Abdullah seufzte erleichtert und ließ sich umgehend wieder in seinen Tagtraum sinken.
Der Tagtraum war mittlerweile recht ausgefeilt. Abdullah war darin der Sohn eines mächtigen Prinzen, der so weit im Osten lebte, dass man sein Land in Zanzib gar nicht kannte. Abdullah war im Alter von zwei Jahren von einem schrecklichen Räuber mit Namen Kabul Akba entführt worden. Kabul Akba hatte eine Hakennase wie ein Geierschnabel und trug in einem Nasenflügel einen goldenen Ring. Er besaß eine Pistole mit silberbeschlagenem Griff, mit der er Abdullah bedrohte, und auf seinem Turban prangte ein Blutstein, der ihm übermenschliche Kräfte zu verleihen schien. Abdullah hatte solche Angst, dass er in die Wüste floh, wo er von dem Mann gefunden wurde, den er jetzt seinen Vater nannte. Der Tagtraum scherte sich nicht um die Tatsache, dass Abdullahs Vater niemals in seinem Leben die Wüste betreten hatte. Stattdessen hatte er immerzu betont, dass jeder, der Zanzib in Richtung Wüste verließ, verrückt sein müsse. Trotzdem konnte sich Abdullah jede Fingerlänge der albtraumhaften Reise voller Staub, Durst und geschundener Füße, die er durchmachen musste, bevor ihn der gute Teppichhändler fand, genau vorstellen. Und in gleicher Weise konnte er in allen Einzelheiten den Palast beschreiben, aus dem er entführt worden war: den Thronsaal mit den Säulen und dem Boden aus grünem Porphyr, die Frauengemächer und die Küchen, alles von äußerster Pracht. Das Dach zierten sieben Kuppeln, und alle bestanden aus reinem Gold.
In letzter Zeit allerdings hatte sich der Tagtraum mehr um die Prinzessin gedreht, der Abdullah bei seiner Geburt versprochen worden war. Sie war von ebenso hoher Geburt wie Abdullah, und während seiner Abwesenheit war sie zu einer außerordentlichen Schönheit mit makellosen Gesichtszügen und großen, geheimnisvollen dunklen Augen herangewachsen. Sie lebte in einem Palast, der ebenso prunkvoll war wie der von Abdullah. Die Allee, über die man in den Palast gelangte, wurde von Engelsstatuen gesäumt und führte durch sieben Vorhöfe aus Marmor, in deren Mitte jeweils ein Brunnen stand, ein jeder kostbarer als der vorangegangene: der erste aus Chrysolith, der letzte aus Platin und mit Smaragden besetzt.
An diesem Tag aber stellte Abdullah fest, dass er mit der Ausstattung nicht ganz zufrieden war. Dieses Gefühl hatte er häufig nach den Besuchen der Verwandtschaft der ersten Frau seines Vaters. Es kam ihm der Gedanke, dass ein ordentlicher Palast wunderbare Gärten haben müsste. Abdullah mochte Gärten, auch wenn er sich nicht besonders gut mit ihnen auskannte. Seine Erfahrungen stammten größtenteils aus den Parks von Zanzib – wo die Beete zertrampelt waren und es kaum Blumen gab –, weil er dort manchmal seine Mittagsstunden verbrachte, wenn er es sich leisten konnte, dem einäugigen Jamal Geld für die Bewachung seiner Bude zu geben. Jamal besaß den Frittierstand nebenan und band für eine kleine Münze oder etwas Ähnliches seinen Hund am Eingang zu Abdullahs Stand an. Abdullah war sich sehr wohl darüber im Klaren, dass ihn seine bisherigen Erfahrungen nicht unbedingt dazu befähigten, sich einen angemessenen Palastgarten auszudenken. Aber da nun mal alles besser war, als sich die zwei Frauen auszumalen, die Fatima für ihn aussuchen würde, versenkte er sich in flatternde Palmwedel und von Blütenduft erfüllte Wege in den Gärten seiner Prinzessin.
Jedenfalls war er kurz davor. Noch bevor Abdullah sich seinen Fantasien hingeben konnte, wurde er von einem großen, ungepflegt wirkenden Mann aufgeschreckt, der einen schmuddeligen Teppich unter dem Arm trug.
»Handelst du mit Teppichen, Sohn eines mächtigen Hauses?«, fragte der Fremde mit einer kurzen Verbeugung.
Für jemanden, der in Zanzib einen Teppich verkaufen wollte, wo die Käufer und Verkäufer auf höchst blumige und formelle Weise miteinander sprachen, drückte sich der Mann empörend direkt aus. Und Abdullah war ohnehin schon verärgert, weil sich sein Traumgarten durch diesen Einbruch der Wirklichkeit in nichts aufgelöst hatte. Er antwortete knapp: »So ist es, o König der Wüste. Wünschst du, von diesem nichtswürdigen Händler etwas zu kaufen?«
»Nicht kaufen – ich will etwas verkaufen, o Herr über einen Haufen Matten«, verbesserte ihn der Fremde.
Matten!, durchfuhr es Abdullah. Das war eine Beleidigung! Einer der Teppiche, die Abdullah vor seinem Stand ausstellte, war ein Teppich mit einem seltenen Blumenmuster aus Ingari – oder Ochinstan, wie das Land in Zanzib genannt wurde –, und im Inneren seiner Bude gab es noch mindestens zwei, aus Inhico und Farktan, die selbst der Sultan für die kleineren Zimmer seines Palastes nicht verachtet hätte. Aber das sagte Abdullah natürlich nicht. Der in Zanzib herrschende Anstand ließ kein Eigenlob zu. Stattdessen verbeugte er sich, kühl und knapp. »Es ist möglich, dass mein geringes und schäbiges Geschäft dir bieten kann, was du suchst, o Perle der Wanderer«, sagte er und ließ dabei seinen Blick kritisch über das schmutzige Gewand des Fremden gleiten, über den angelaufenen Ring im Nasenflügel des Mannes und sein zerrissenes Kopftuch.
»Es ist noch nichtswürdiger als schäbig, erhabener Händler der Vorleger«, stimmte der Fremde zu. Er deutete mit einem Ende seines schmuddeligen Teppichs in Richtung Jamal, der gerade in einer Wolke aus blauem, nach Fisch stinkendem Rauch Calamares frittierte. »Verpestet die ehrenwerte Tätigkeit deines Nachbarn nicht deine Ware?«, fragte er. »Zum Beispiel mit einem durchdringenden Tintenfischgestank?«
In Abdullah stieg ein solcher Ärger auf, dass er seine Hände heftig gegeneinanderpressen musste, um seine Wut zu verbergen. Bemerkungen dieser Art sollten die Leute sich sparen! Und ein leichtes Tintenfischaroma kann dem Ding, das der Fremde verkaufen will, nur guttun, dachte er und beäugte den abgewetzten Lumpen unter dem Arm des Mannes. »Dein bescheidener Diener wird sich bemühen, das Innere seiner Bude ausreichend zu parfümieren, o Prinz der Weisheit«, sagte er. »Wird es die heldenhafte Empfindsamkeit der Nase des Prinzen daraufhin gestatten, dem armseligen Händler seine Ware zu zeigen?«
»Natürlich wird sie das erlauben, o Lilie zwischen Makrelen«, erwiderte der Fremde. »Warum sollte ich sonst noch hier stehen?«
Widerwillig schob Abdullah die Vorhänge beiseite und lud den Mann ein, das Innere seines Standes zu betreten. Dort drehte er die Lampe, die vom mittleren Stützpfosten herabhing, heller, schnüffelte und entschied sich, keine Räucherkerze auf diesen Mann zu verschwenden. Die Bude roch vom Vortag noch intensiv genug. »Was für ein Wunderwerk hast du vor meinen unwürdigen Augen denn auszubreiten?«, fragte er voller Zweifel.
»Dies hier, o Schnäppchenkäufer!«, sagte der Mann. Und mit einem kurzen Ruck seines Armes brachte er den Teppich dazu, sich auf dem Boden zu entrollen.
Das konnte Abdullah auch. Als Teppichhändler lernte man so etwas. Abdullah war kein bisschen beeindruckt. Er steckte seine Hände in seine Ärmel, nahm eine steife, dienstbeflissene Haltung ein und betrachtete die Ware eingehend. Der Teppich war nicht groß. Und ausgerollt wirkte er noch schmuddeliger, als Abdullah angenommen hatte – obwohl das Muster ungewöhnlich war, oder es zumindest hätte sein können, wenn es nicht größtenteils abgewetzt gewesen wäre. Was davon übrig war, war schmutzig und an den Ecken ausgefranst.
»Leider, leider kann dieser arme Händler für diesen buntesten aller Lumpen nicht mehr als drei Kupfermünzen bezahlen«, bemerkte er. »Das ist das Äußerste, was meine ausgemergelte Börse zu bieten hat. Die Zeiten sind hart, o Lenker zahlreicher Kamele. Ist der Preis in irgendeiner Weise akzeptabel?«
»Ich verlange FÜNFHUNDERT«, sagte der Fremde.
»Wie bitte?«, entgegnete Abdullah.
»Goldmünzen!«, fügte der Fremde hinzu.
»Der König aller Wüstengauner beliebt sicher zu scherzen?«, sagte Abdullah. »Oder wünscht er vielleicht – da es meinem Stand an allem außer dem Geruch nach Tintenfisch zu mangeln scheint – zu gehen und es bei einem reicheren Händler zu versuchen?«
»Eigentlich nicht«, antwortete der Fremde. »Obwohl ich gehen werde, sofern du nicht interessiert bist, o Nachbar der Räucherheringe. Denn natürlich handelt es sich um einen Zauberteppich.«
So etwas hatte Abdullah schon oft gehört. Er beugte sich nach vorn. »Teppichen werden die mannigfaltigsten Fähigkeiten zugeschrieben«, stimmte er zu. »Welche beansprucht der Poet der Wüste für diesen? Begrüßt der Teppich seinen Herrn, wenn dieser sein Zelt betritt? Bringt er Frieden am häuslichen Herd? Oder«, sagte er und tippte mit einer Zehe vielsagend auf den ausgefransten Rand, »heißt es gar von ihm, dass er nicht verschleißt?«
»Er fliegt«, sagte der Fremde. »Er fliegt dahin, wohin sein Besitzer es gebietet, o kleinstes aller kleinen Hirne.«
Abdullah sah auf und blickte in das finstere Gesicht des Mannes, auf dessen Wangen die Wüste tiefe Linien eingegraben hatte. Sein höhnisches Lächeln ließ diese Linien noch tiefer erscheinen. Abdullah stellte fest, dass er diesen Menschen ungefähr genauso wenig mochte wie den Sohn des Onkels der ersten Frau seines Vaters. »Du musst diesen Ungläubigen überzeugen«, sagte er. »Wenn der Teppich einer eingehenden Prüfung unterzogen werden kann, o Monarch der Verlogenheit, dann mag es zu einem Handel kommen.«
»Gern«, antwortete der hochgewachsene Mann und stellte sich auf den Teppich.
In diesem Moment gab es einen der üblichen Tumulte am Frittierstand nebenan. Wahrscheinlich hatten Straßenjungen versucht, ein paar Tintenfischringe zu stehlen. Was auch immer geschehen war, Jamals Hund fing an zu bellen, mehrere Leute – darunter auch Jamal – riefen wild durcheinander, und dieser Lärm wurde fast noch übertönt vom Geklapper der Bratpfannen und dem Zischen des heißen Öls.
Betrügereien gehörten in Zanzib fast schon zum guten Ton. Deshalb erlaubte Abdullah sich nicht eine Sekunde lang, seine Aufmerksamkeit von dem Fremden und seinem Teppich abzuwenden. Es war gut möglich, dass der Mann Jamal bestochen hatte, irgendeine Ablenkung herbeizuführen. Schließlich hatte er Jamal ziemlich oft erwähnt, als wenn er an ihn hätte denken müssen. Abdullah hielt seine Augen fest auf die hohe Gestalt des Mannes und besonders auf seine schmutzigen Füße gerichtet, die auf dem Teppich standen. Aus den Augenwinkeln beobachtete er jedoch die Lippen des Mannes, die sich bewegten. Trotz des Tumults von nebenan schnappten seine gespitzten Ohren sogar die Worte »zwei Fuß in die Höhe« auf. Und er sah noch genauer hin, als der Teppich sich sanft vom Boden erhob und etwa auf der Höhe von Abdullahs Knien schwebte, sodass die zerrissene Kopfbedeckung des Fremden fast schon das Dach der Bude berührte. Abdullah suchte nach Stützen unter dem Teppich. Er suchte nach Drähten, die heimlich am Dach befestigt worden waren. Er nahm die Lampe zur Hand und hielt sie so, dass ihr Licht über und unter den Teppich fiel.
Der Fremde stand mit verschränkten Armen da und sah ihn höhnisch an, während Abdullah seine Untersuchungen durchführte. »Siehst du?«, fragte er. »Ist der hartnäckigste aller Zweifler nun überzeugt? Schwebe ich in der Luft oder nicht?« Er musste fast schreien. Der Lärm nebenan war immer noch ohrenbetäubend.
Abdullah musste zugeben, dass der Teppich ohne ein ersichtliches Hilfsmittel in der Luft schwebte. »Noch nicht ganz«, rief er zurück. »Im nächsten Teil der Vorführung wirst du absteigen, und ich werde den Teppich zum Fliegen bringen.«
Der Mann runzelte die Stirn. »Warum? Warum willst du dem Zeugnis deiner Augen das anderer Sinne hinzufügen, o Drache des Zweifels?«
»Es könnte ja ein Einmannteppich sein«, brüllte Abdullah. »Wie manche Hunde auch.« Jamals Hund bellte sich draußen immer noch die Lunge aus dem Hals, darum war der Gedanke naheliegend. Jamals Hund biss jeden, bis auf Jamal selbst.
Der Fremde seufzte. »Hinunter«, sagte er, und der Teppich sank sanft zu Boden. Der Fremde trat beiseite und forderte Abdullah mit einer Verneigung auf, nach vorne zu treten. »Versuch es, nur zu, o Scheich des Scharfsinns.«
Mit wachsender Spannung stellte sich Abdullah auf den Teppich. »Zwei Fuß in die Höhe«, sagte er – oder besser gesagt: schrie er. Mittlerweile klang es so, als seien Bedienstete der Stadtwache bei Jamals Stand eingetroffen. Sie ließen ihre Waffen klirren und brüllten, dass man ihnen sagen solle, was passiert sei.
Und der Teppich gehorchte Abdullah. Er hob sich mit sanftem Schwung zwei Fußbreit in die Höhe, allerdings ohne Abdullahs Magen mitzunehmen. Abdullah setzte sich schnell hin. Man saß ausgesprochen bequem auf diesem Teppich. Er fühlte sich an wie eine stabile Hängematte. »Dieser jämmerlich träge Verstand lässt sich langsam überzeugen«, gab er dem Fremden gegenüber zu. »Wie war noch mal dein Preis, o Ausbund an Großzügigkeit? Zweihundert Silbermünzen?«
»Fünfhundert Goldmünzen«, sagte der Fremde. »Sag dem Teppich, er soll landen, dann werden wir die Sache besprechen.«
Abdullah befahl dem Teppich: »Hinunter auf den Boden«, und so geschah es. Auf diese Weise verschwand der kleine nagende Zweifel aus Abdullahs Kopf, dass der Fremde noch zusätzlich etwas gesagt haben könnte, was im Tumult von nebenan untergegangen war. Er erhob sich, und sie begannen zu feilschen. »Das Äußerste, was mein Geldbeutel hergibt, sind hundertfünfzig Goldmünzen«, erklärte er. »Und auch das nur, wenn ich ihn ausschüttle und die Nähte abtaste.«
»Dann musst du eben deinen zweiten Geldbeutel zücken oder einmal unter deiner Matratze nachfühlen«, antwortete der Fremde. »Denn die Grenze meiner Großzügigkeit liegt bei vierhundertfünfundneunzig Goldmünzen, und ich würde überhaupt nicht verkaufen, wenn ich mich nicht in der allergrößten Notlage befände.«
»Vielleicht könnte ich weitere fünfundvierzig Goldmünzen aus der Sohle meines linken Schuhs hervorpressen«, antwortete Abdullah. »Mein Notgroschen und erbärmlicher Rest.«
»Dann sieh in deinem rechten Schuh nach«, antwortete der Fremde. »Vierhundertfünfzig.«
Und so ging es weiter. Eine Stunde später entfernte sich der Fremde vom Stand mit zweihundertzehn Goldstücken und ließ Abdullah als stolzen Besitzer eines echten – wenn auch schäbigen – Zauberteppichs zurück. Aber Abdullah war immer noch misstrauisch. Er konnte sich nicht vorstellen, dass sich irgendjemand, selbst ein Wüsten-Nomade mit bescheidenen Bedürfnissen, für weniger als vierhundert Goldstücke von einem echten – wenn auch fast verschlissenen – fliegenden Teppich trennen würde. Er war einfach zu praktisch und viel besser als ein Kamel – weil er im Gegensatz zu diesem kein Futter brauchte. Und ein gutes Kamel kostete mindestens vierhundertfünfzig Goldmünzen.
Die Sache musste einen Haken haben! Und es gab da einen Trick, von dem Abdullah schon gehört hatte. Normalerweise wurde er bei Pferden oder Hunden angewandt. Jemand kam und verkaufte einem gutgläubigen Bauern oder Jäger ein wirklich hervorragendes Tier für einen erstaunlich niedrigen Preis und behauptete, dass dies das Einzige sei, was ihn vor dem Hungertod retten könne. Der begeisterte Bauer (oder Jäger) stellte am Abend das Pferd in den Stall (oder den Hund in den Zwinger). Am Morgen war das Tier verschwunden, weil es darauf abgerichtet war, sich in der Nacht aus Halfter (oder Halsband) zu lösen und zu seinem Besitzer zurückzukehren. Abdullah konnte sich vorstellen, dass man einem halbwegs gehorsamen Teppich dasselbe beibringen konnte. Bevor er seine Bude verließ, wickelte er den Teppich deshalb sehr sorgfältig um einen der Pfosten, die das Dach stützten, band ihn mit einer ganzen Rolle Schnur fest und verknotete dieselbe mit einem der Eisenpfähle, die sich am Fuß der Mauer befanden.
»Ich denke, so leicht kommst du mir jetzt nicht davon«, sagte er zu dem Teppich. Dann ging er hinaus, um nachzusehen, was am Frittierstand vor sich ging.
Dort war es nun still und leer. Jamal saß hinter seiner Theke und streichelte traurig seinen Hund.
»Was ist denn passiert?«, fragte Abdullah.
»Ein paar Nichtsnutze haben meine Tintenfische umgestoßen«, sagte Jamal. »Mein Vorrat für den ganzen Tag liegt im Dreck.«
Abdullah war mit seinem Handel so zufrieden, dass er Jamal zwei Silberstücke schenkte, damit er neuen Tintenfisch kaufen konnte. Jamal weinte vor Dankbarkeit und umarmte Abdullah. Sein Hund vergaß sogar, Abdullah zu beißen. Stattdessen leckte er ihm die Hand. Abdullah lächelte. Das Leben war schön. Pfeifend ging er davon, um sich ein gutes Abendessen zu besorgen, während der Hund seinen Stand bewachte.
Als der Abend den Himmel hinter den Kuppeln und Minaretten von Zanzib rot färbte, kam Abdullah zurück. Er pfiff immer noch. Er war voller Ideen, wie er den Teppich an den Sultan persönlich verkaufen wollte – zu einem wahrhaft stattlichen Preis. Der Teppich war noch genau da, wo Abdullah ihn zurückgelassen hatte. Oder ob es besser wäre, damit an den Großwesir heranzutreten, überlegte er, während er sich wusch, und ihm vorzuschlagen, dass der Wesir ihn ja dem Sultan zum Geschenk machen könne? Auf diese Weise konnte er sogar noch mehr Geld dafür verlangen. Bei der Vorstellung, wie wertvoll der Teppich dadurch würde, begann in Abdullahs Kopf wieder der Gedanke an das Pferd zu nagen, das zu seinem Besitzer zurückkehrte. Während er sich sein Nachthemd anzog, stellte er sich vor, wie sich der Teppich befreite. Er war alt und biegsam. Und vielleicht war er gut trainiert. Bestimmt konnte er sich unter der Schnur herauswinden. Und selbst, wenn er es nicht tat – Abdullah war klar, dass ihn allein die Vorstellung einer möglichen Flucht die ganze Nacht wach halten würde.
Schließlich schnitt er die Schnur vorsichtig auf und legte den Teppich auf den Stapel seiner kostbarsten Teppiche, den er als Bett benutzte. Dann setzte er seine Schlafmütze auf – was notwendig war, weil von der Wüste ein kalter Wind herüberwehte und durch die Bude pfiff –, breitete seine Decke über sich, blies die Lampe aus und schlief ein.
in dem Abdullah für eine junge Dame gehalten wird
Als Abdullah erwachte, lag er auf einer Bank in einem Garten, der schöner war als alles, was er sich je vorgestellt hatte. Der Teppich befand sich noch unter ihm.
Abdullah war fest davon überzeugt, dass er träumte. Dies war der Garten, den er sich gerade ausmalen wollte, als der Fremde ihn so unwirsch unterbrochen hatte. Der Mond war fast voll. Er stand hoch am Himmel und warf auf Hunderte kleiner duftender Blumen im Gras ein Licht, das wie weiße Farbe leuchtete. Kugelförmige gelbe Lampen hingen in den Bäumen und erhellten die schwarzen Schatten, die der Mond unter den Blattdächern erzeugte. Abdullah fand den Einfall mit den Lampen sehr hübsch. Jenseits der Wiese konnte er im weißen und gelben Licht einen Bogengang aus Kletterpflanzen erkennen, der von schlanken Säulen getragen wurde. Und im Verborgenen, irgendwo noch weiter hinten, plätscherte leise Wasser.
Es hörte sich so kühl und himmlisch an, dass Abdullah aufstand und sich auf die Suche nach der verborgenen Wasserquelle machte. Er lief durch den Bogengang. Dort streiften sternförmige Blüten, deren Weiß im Mondlicht gedämpft schimmerte, sein Gesicht, und glockenförmige Blumen verströmten einen berauschenden, sanften Duft. Wie man es im Traum eben so macht, streichelte Abdullah hier eine große wachsartige Lilie und schweifte dort zu einem Kissen heller Rosen ab. Einen so schönen Traum hatte er noch nie zuvor geträumt.
Die Wasserquelle, die er hinter den Farnwedeln einiger großer tautropfender Büsche entdeckte, entpuppte sich als schlichter Marmorbrunnen auf einer weiteren Wiese. Er wurde von Lichterketten beschienen, die in den Büschen hingen und die bewegte Wasseroberfläche in ein Wunderwerk aus goldenen und silbernen Kreisen verwandelten. Abdullah lief eilig darauf zu.
Jetzt fehlte nur noch eins, um seine Verzückung zu vervollkommnen, und wie in allen guten Träumen ließ es nicht lange auf sich warten: Ein ausnehmend liebliches Mädchen kam über die Wiese auf ihn zu. Mit nackten Füßen trat sie ganz leicht durchs feuchte Gras. Das duftige Gewand, das sie umfloss, betonte ihre schlanke, aber keineswegs magere Gestalt – genau wie bei der Prinzessin aus Abdullahs Tagtraum. Als sie näher kam, sah Abdullah allerdings, dass ihr Gesicht ein nicht ganz so perfektes Oval bildete wie das Gesicht seiner Traumprinzessin. Auch blickten ihre großen, dunklen Augen keineswegs geheimnisvoll. Im Gegenteil: Sie musterten sein Gesicht unverhohlen und mit offensichtlichem Interesse. Hastig korrigierte Abdullah seinen Traum, denn sie war wirklich sehr schön. Und als sie ihn ansprach, war der Klang ihrer Stimme genau so, wie er es sich gewünscht hatte: leicht und heiter wie das Wasser im Brunnen, und dabei gleichzeitig die Stimme einer sehr entschlossenen Person.
»Bist du eine neue Sorte Diener?«, fragte sie.
In Träumen fragen die Leute ja immer komische Sachen, dachte Abdullah. »Nein, Meisterstück meiner Vorstellungskraft«, sagte er. »Wisse, dass ich in Wirklichkeit der vor langer Zeit verlorene Sohn eines Prinzen von weit her bin.«
»Oh«, sagte sie. »Das ist natürlich etwas anderes. Dann heißt das also, dass du eine andere Art Frau bist als ich?«
Abdullah sah das Mädchen seiner Träume ziemlich überrascht an. »Ich bin eigentlich überhaupt keine Frau«, sagte er.
»Bist du sicher?«, entgegnete sie. »Du trägst doch ein Kleid.«
Abdullah sah an sich herab und stellte fest, dass er – wie in Träumen üblich – sein Nachthemd trug. »Das ist nur mein fremdländisches Gewand«, sagte er hastig. »Mein Land liegt weit entfernt von hier. Ich versichere dir, ich bin ein Mann.«
»O nein«, entgegnete sie entschieden. »Du kannst kein Mann sein. Dazu hast du die falsche Figur. Männer sind doppelt so dick wie du, und ihre Bäuche stehen als fettes Etwas hervor und werden ›Wanst‹ genannt. Und sie haben überall im Gesicht graue Haare und auf dem Kopf nur noch spiegelglatte Haut. Du aber hast Haare auf dem Kopf wie ich und so gut wie kein einziges im Gesicht.« Und als Abdullah ein wenig betreten mit der Hand über die sechs Haare auf seiner Oberlippe strich, fragte sie: »Oder hast du etwa doch blanke Haut unter deiner Kappe?«
»Keineswegs«, sagte Abdullah, der sehr stolz auf sein dichtes, lockiges Haar war. Er führte die Hand zum Kopf und nahm das ab, was sich als seine Schlafmütze herausstellte. »Sieh«, sagte er.
»Oh«, machte sie. Ihr liebliches Gesicht nahm einen verstörten Ausdruck an. »Dein Haar ist ja fast so hübsch wie meines. Ich verstehe nicht …«
»Ich leider auch nicht so ganz«, sagte Abdullah. »Kann es sein, dass du noch nicht allzu viele Männer gesehen hast?«
»Aber natürlich nicht!«, sagte sie. »Stell dich nicht dumm – bisher habe ich nur meinen Vater gesehen. Von dem aber ziemlich viel, daher weiß ich, wie Männer aussehen.«
»Aber – gehst du denn niemals hinaus?«, fragte Abdullah fassungslos.
Sie lachte. »Doch, jetzt zum Beispiel. Das ist mein Nachtgarten. Mein Vater hat ihn anlegen lassen, damit ich meine Schönheit nicht einbüße, wenn ich bei Sonnenschein ausgehe.«
»Ich meine, gehst du niemals in die Stadt und siehst dir die Leute an?«, hakte Abdullah nach.
»Ehrlich gesagt, nein. Im Moment jedenfalls noch nicht«, gab sie zu. Als wenn sie das ein bisschen verärgert hätte, drehte sie sich von ihm weg und setzte sich auf den Rand des Brunnens. Sie wandte sich um, sah zu ihm auf und sagte: »Mein Vater sagt, es kann sein, dass ich später ab und zu einmal in die Stadt gehen kann, wenn ich verheiratet bin. Falls mein Mann es mir erlaubt. Aber es wird nicht diese Stadt sein. Er hat vor, mich mit dem Prinzen von Ochinstan zu verheiraten. Bis dahin muss ich natürlich innerhalb dieser Mauern bleiben.«
Abdullah hatte schon gehört, dass einige der reichsten Männer von Zanzib ihre Töchter – und manchmal auch ihre Ehefrauen – fast wie Gefangene in ihren großen Häusern hielten. Er hatte oft gewünscht, dass jemand es mit Fatima, der Schwester der ersten Frau seines Vaters, ebenso machen würde. Aber jetzt, in diesem Traum, fand er diese Sitte gegenüber diesem hübschen Mädchen mit einem Mal vollkommen unsinnig und außerdem gemein. Unvorstellbar, nicht zu wissen, wie ein junger Mann aussah!
»Entschuldige meine Frage – aber könnte es sein, dass der Prinz von Ochinstan eher alt und ein bisschen hässlich ist?«, sagte er.
»Na ja«, antwortete sie. Offensichtlich war sie sich nicht ganz sicher. »Mein Vater sagt, er steht in der Blüte seiner Jahre. Genau wie mein Vater auch. Aber ich glaube eher, das ganze Problem liegt in der brutalen Art der Männer. Mein Vater sagt, wenn ein anderer Mann mich vor dem Prinzen sieht, wird er sich sofort in mich verlieben und mich mit sich nehmen – was natürlich alle Pläne meines Vaters durchkreuzen würde. Er sagt, die meisten Männer seien schreckliche Bestien. Bist du auch eine Bestie?«
»Aber ganz und gar nicht!«, sagte Abdullah.
»Das habe ich mir schon gedacht«, sagte sie und sah ihn besorgt an. »Du siehst jedenfalls nicht wie eine Bestie aus. Und deswegen bin ich mir auch ziemlich sicher, dass du auf keinen Fall ein Mann sein kannst.« Offenbar gehörte sie zu der Sorte von Menschen, die nicht mehr von ihren Theorien lassen können, nachdem sie sie einmal entworfen haben. Nach kurzem Nachdenken fragte sie: »Könnte es sein, dass dich deine Familie in völligem Irrglauben hat aufwachsen lassen – aus was für Gründen auch immer?«
Abdullah hätte ihr gern geantwortet, dass es ja wohl eher umgekehrt der Fall sei. Aber da ihm das unhöflich vorkam, schüttelte er nur den Kopf und dachte, wie edelmütig es von ihr war, sich solche Gedanken über ihn zu machen, und wie die Sorge auf ihrem Gesicht es noch schöner machte – ganz zu schweigen von der Art, wie ihre Augen im Widerschein der silbernen und goldenen Lichter des Brunnens mitleidig schimmerten.
»Vielleicht liegt es daran, dass du aus einem weit entfernten Land kommst«, sagte sie und klopfte neben sich auf den Rand des Brunnens. »Setz dich zu mir und erzähl mir davon.«
»Sag mir erst deinen Namen«, sagte Abdullah.
»Es ist ein ziemlich alberner Name«, sagte sie ein wenig verlegen. »Ich heiße Blume-in-der-Nacht.«
Das ist genau der richtige Name für das Mädchen meiner Träume, dachte Abdullah. Er sah bewundernd zu ihr herab. »Mein Name ist Abdullah«, sagte er.
»Man hat dir auch noch einen Männernamen gegeben!«, rief Blume-in-der-Nacht empört aus. »Jetzt setz dich zu mir und erzähle mir.«
Abdullah setzte sich neben sie auf den Brunnenrand aus Marmor und dachte, dass dies ein sehr echter Traum war. Der Stein war kalt. Wasserspritzer aus dem Brunnen tropften auf sein Nachthemd, während der süße Duft von Rosenwasser, der von Blume-in-der-Nacht ausging, sich höchst wirklichkeitsnah mit dem Duft der Blumen im Garten vermischte. Aber da es sich ja um einen Traum handelte, folgte daraus, dass Abdullahs Tagträume hier, an diesem Ort, nun auch wahr sein mussten. Darum erzählte Abdullah Blume-in-der-Nacht von dem Palast, in dem er als Prinz gelebt hatte, und wie er von Kabul Akba entführt und in die Wüste geflohen war, wo ihn der Teppichhändler gefunden hatte.
Blume-in-der-Nacht lauschte mit großer Anteilnahme. »Wie schrecklich! Wie furchtbar!«, sagte sie. »Oder steckte dein Pflegevater etwa mit den Banditen, die dich entführt haben, unter einer Decke?«
Abgesehen von der Tatsache, dass er nur träumte, beschlich Abdullah das Gefühl, das Mitgefühl von Blume-in-der-Nacht nur durch Vorspiegelung falscher Tatsachen zu erlangen. Er räumte ein, dass sein Vater möglicherweise von Kabul Akba bezahlt worden war, dann wechselte er das Thema. »Lass uns auf deinen Vater und seine Pläne zurückkommen«, sagte er. »Es kommt mir ein wenig seltsam vor, dass du diesen Prinzen von Ochinstan heiraten sollst, ohne jemals einen anderen Mann gesehen zu haben, um ihn mit ihm vergleichen zu können. Wie willst du denn sicher sein, ob du ihn liebst oder nicht?«
»Du hast recht«, sagte sie. »Das bereitet mir auch manchmal Sorge.«
»Dann schlage ich dir etwas vor«, sagte Abdullah. »Wie wäre es, wenn ich morgen Nacht wiederkomme und dir so viele Bilder von Männern mitbringe, wie ich bis dahin beschaffen kann? Dann hättest du wenigstens einen Vergleich zum Prinzen.« Traum hin oder her – Abdullah hatte nicht den geringsten Zweifel, dass er in der nächsten Nacht wiederkommen würde. Und nun hätte er auch noch einen guten Vorwand dafür.
Blume-in-der-Nacht erwog sein Angebot, wobei sie die Knie mit den Armen umschlang und unschlüssig vor- und zurückschaukelte. Abdullah konnte sehen, wie Reihen alter, dicker Männer mit grauen Bärten vor ihrem geistigen Auge vorüberzogen.
»Ich versichere dir«, sagte er, »dass es Männer in allen möglichen Größen und Gestalten gibt.«
»Es wäre also sehr lehrreich«, stimmte sie zu. »Und wenigstens hätte ich dann einen Grund, dich wiederzusehen. Du bist einer der nettesten Menschen, die ich je getroffen habe.«
Das bestärkte Abdullah in seinem Entschluss, morgen wiederzukommen. Er redete sich ein, dass es nicht recht wäre, sie in einem so ahnungslosen Zustand zu lassen. »Das geht mir mit dir genauso«, sagte er schüchtern.
Zu seiner Enttäuschung stand Blume-in-der-Nacht in diesem Moment auf, um zu gehen. »Ich muss jetzt wieder hinein«, sagte sie. »Ein erster Besuch sollte nicht länger als eine halbe Stunde dauern, und ich bin sicher, du warst schon doppelt so lange hier. Aber jetzt kennen wir uns ja schon. Beim nächsten Mal kannst du mindestens zwei Stunden bleiben.«
»Danke. Das werde ich tun«, sagte Abdullah.
Sie lächelte und verschwand wie ein Traum hinter dem Brunnen und zwei üppig blühenden Sträuchern.
Danach fand Abdullah den Garten, das Mondlicht und den Duft nicht mehr so außergewöhnlich. Ihm fiel nichts Besseres ein, als den Weg, den er gekommen war, zurückzugehen. Und dort, auf der mondbeschienenen Bank, lag immer noch sein Teppich. Den hatte er völlig vergessen. Aber da er in diesem Traum nun mal vorhanden war, legte Abdullah sich darauf und schlief ein.
Einige Stunden später erwachte er vom gleißenden Tageslicht, das durch die Ritzen seiner Bude fiel. Der Geruch der Räucherkerze von vorgestern hing noch in der Luft und kam Abdullah billig und stickig vor. Sein ganzer Stand erschien ihm jetzt muffig und schlampig und schäbig. Und er hatte Ohrenschmerzen, weil er in der Nacht wohl seine Schlafmütze verloren hatte. Aber immerhin stellte er bei seiner Suche nach der Mütze fest, dass sich der Teppich über Nacht nicht davongemacht hatte. Er lag noch unter ihm. Das war das einzige Gute, das er in dem erkennen konnte, was ihm plötzlich wie ein vollkommen nutzloses und trostloses Dasein vorkam.
Jetzt rief Jamal, noch immer dankbar für die beiden Silbermünzen, von draußen, dass er das Frühstück für sie beide fertig habe. Erfreut schlug Abdullah die Vorhänge der Bude beiseite. In der Ferne krähten Hähne. Der Himmel leuchtete blau, und Strahlen hellsten Sonnenlichts kämpften sich durch den Staub und den abgestandenen Räucherdunst im Inneren des Standes. Aber selbst in diesem hellen Licht gelang es Abdullah nicht, seine Schlafmütze zu finden. Und ihm wurde noch deprimierter zumute als zuvor.
»Sag mal, fühlst du dich an manchen Tagen auch so unerklärlich traurig?«, fragte er Jamal, als die beiden sich mit gekreuzten Beinen zum Essen in die Sonne setzten.
Jamal fütterte seinem Hund zärtlich ein Stück Zuckergebäck. »Wenn es dich nicht gäbe«, sagte er, »wäre ich heute traurig. Ich glaube, jemand hat diese Lausejungen bezahlt, damit sie mich bestehlen. Sie waren so gründlich. Und zu allem Überfluss haben die Wachen mir noch ein Bußgeld auferlegt. Hab ich’s nicht gesagt? Ich glaube, ich habe Feinde, mein Freund.«
Obwohl dies Abdullahs Verdacht gegen den Fremden, der ihm den Teppich verkauft hatte, verstärkte, waren ihm Jamals Worte keine große Hilfe. »Vielleicht solltest du besser darauf achten, wen du von deinem Hund beißen lässt.«
»Auf keinen Fall!«, rief Jamal aus. »Ich bin ein Verfechter des freien Willens. Wenn mein Hund sich entschieden hat, die gesamte Menschheit zu hassen, mit Ausnahme von mir, dann hat er die Freiheit, dies zu tun.«
Nach dem Frühstück suchte Abdullah wieder nach seiner Schlafmütze. Aber sie war einfach nicht da. Er versuchte, sich daran zu erinnern, wann er sie das letzte Mal getragen hatte. Als er sich gestern Abend schlafen gelegt und darüber nachgedacht hatte, den Teppich dem Großwesir zu bringen, hatte er die Mütze garantiert auf dem Kopf gehabt. Dann hatte der Traum begonnen. In diesem hatte er festgestellt, dass er die Mütze auf dem Kopf hatte. Er erinnerte sich, dass er sie abgenommen hatte, um Blume-in-der-Nacht (was für ein hübscher Name!) zu zeigen, dass er nicht kahlköpfig war. Von da an hatte er die Schlafmütze, soweit er sich erinnern konnte, in der Hand gehalten, bis zu dem Moment, als er sich neben sie auf den Brunnenrand gesetzt hatte. Später, als er die Geschichte seiner Entführung durch Kabul Akba erzählt hatte, hatte er beim Sprechen mit beiden Händen frei gestikuliert, das wusste er noch genau. Da hatte er die Mütze nicht mehr in einer seiner Hände gehabt. Sicher, in Träumen konnten Dinge manchmal einfach so verschwinden. Aber es sprach ja doch alles dafür, dass er die Mütze beim sich Hinsetzen fallen gelassen hatte. Oder hatte er sie vielleicht neben dem Brunnen im Gras liegen gelassen? Wenn ja …
Abdullah blieb stocksteif in der Mitte seiner Bude stehen und starrte in die Sonnenstrahlen, die jetzt – eigenartigerweise – nicht mehr mit schmutzigen Staub- und Rauchpartikelchen angefüllt zu sein schienen. Stattdessen waren sie Streifen puren Goldes vom Himmel selbst.
»Es war überhaupt kein Traum«, sagte Abdullah.
Irgendwie war seine Traurigkeit mit einem Schlag verschwunden. Sogar das Atmen fiel ihm leichter.
»Es war Wirklichkeit!«, sagte er.
Er wandte sich um und betrachtete nachdenklich den magischen Teppich. Der war ebenfalls Teil seines Traums gewesen. Und das bedeutete …
»Du hast mich in den Garten eines reichen Mannes gebracht, während ich geschlafen habe«, sagte er. »Ich habe wohl im Schlaf gesprochen und dir diesen Befehl gegeben. Ja, so muss es gewesen sein! Ich habe einfach nur an Gärten gedacht. Und du bist noch viel wertvoller, als ich dachte.«
in welchem Blume-in-der-Nacht ein paar wichtige Entdeckungen macht
Abdullah band den Teppich wieder sorgfältig am Stützpfosten fest und ging hinaus auf den Basar, wo er den Stand des begabtesten aller Künstler aufsuchte, die ihre Dienste dort anboten.
Nach den üblichen Höflichkeiten, nachdem Abdullah den Künstler mit Fürst der Feder und Zauberer der Kreide angesprochen hatte und dafür vom Künstler Krone der Kundschaft und Großfürst des guten Geschmacks genannt wurde, sagte Abdullah: »Ich brauche Bilder von Männern aller möglicher Arten, Größen und Typen, die du je gesehen hast. Zeichne mir Könige und Bettler, Händler und Handwerker, Dicke und Dünne, Junge und Alte, Hübsche und Hässliche und vollkommen Durchschnittliche. Wenn es darunter welche gibt, die du noch nie gesehen hast, bitte ich dich, sie zu erfinden, o Prinz des Pinsels. Und wenn deine Erfindungsgabe nicht ausreicht, was ich kaum für möglich halte, o König der Künstler, dann musst du nur die Augen aufmachen und dich umsehen.«
Abdullah streckte seinen Arm aus und deutete auf die geschäftig drängelnde Menge, die im Basar einkaufte. Es rührte ihn fast zu Tränen, dass dieser alltägliche Anblick etwas war, was Blume-in-der-Nacht noch nie gesehen hatte.
Der Künstler fuhr sich zweifelnd mit der Hand über seinen struppigen Bart. »Sicherlich kann ich dies tun, erhabener Bewunderer der Menschheit«, sagte er. »Aber könnte der Urahn der Urteilskraft den bescheidenen Zeichner vielleicht darüber informieren, wozu diese vielen Männerbildnisse dienen sollen?«
»Warum will die Krone und das Diadem des Zeichenbretts dies wissen?«, entgegnete Abdullah, ein wenig bestürzt.
»Sicher wird das Oberhaupt aller Kunden einsehen, dass dieser armselige Wurm es wissen muss, um die richtige Technik zu wählen«, antwortete der Künstler. In Wirklichkeit machte ihn dieser ungewöhnliche Auftrag einfach nur sehr neugierig. »Ob ich in Öl auf Holz oder Leinwand male, mit Stift auf Papier oder auf Pergament, oder gar ein Fresko auf eine Wand, das hängt davon ab, was die Perle unter den Auftraggebern mit diesen Porträts zu tun wünscht.«
»Ach so, Papier, bitte«, sagte Abdullah hastig. Er hatte nicht den Wunsch, seine Begegnung mit Blume-in-der-Nacht bekannt zu machen. Ihm war klar, dass ihr Vater ein sehr reicher Mann sein musste, der es einem jungen Teppichhändler sicher übel nehmen würde, wenn er ihr neben dem Prinzen von Ochinstan noch andere Männer zeigte. »Diese Bilder sind für einen Invaliden, der noch niemals in seinem Leben durch die Straßen gehen konnte, wie andere Menschen es tun.«
»Dann bist du ein Beispiel an Barmherzigkeit«, sagte der Künstler und erklärte sich bereit, die Bilder für eine erstaunlich kleine Summe zu malen. »Nein, nein, Sohn des Glücks, danke nicht mir«, sagte er, als Abdullah seine Dankbarkeit ausdrücken wollte. »Ich habe drei Gründe dafür. Erstens besitze ich schon viele Porträts, die ich zu meinem eigenen Vergnügen gemalt habe. Es wäre nicht recht, dich dafür zahlen zu lassen, da ich sie ja ohnehin gemalt hätte. Zweitens ist die Aufgabe, die du mir stellst, zehnmal interessanter als meine übliche Arbeit, die darin besteht, junge Frauen oder ihre Bräutigame zu malen, oder Pferde und Kamele; und sie alle müssen hübsch sein, egal, wie sie in Wirklichkeit aussehen. Oder ich habe reihenweise schmuddelige Kinder, wahre Rotzlöffel, zu malen, deren Eltern sie als Engel sehen möchten. Und mein dritter Grund ist, dass ich glaube, dass du verrückt bist, ehrenwertester aller Kunden, und dich übers Ohr zu hauen, würde Unglück bringen.«
Es sprach sich sogleich im Basar herum, dass Abdullah, der junge Teppichhändler, seinen Verstand verloren hatte und jedes Porträt kaufte, das die Leute zu verkaufen hatten.
Das war ein großes Ärgernis für Abdullah. Denn für den Rest des Tages wurde er von Leuten belästigt, die mit langen und blumigen Reden das Bild ihrer Großmutter anpriesen und beteuerten, dass es nur die Not sei, die sie dazu brächte, sich davon zu trennen. Oder das Porträt des Rennkamels des Sultans, das zufällig von einem Wagen gefallen war; oder das Medaillon mit dem Porträt ihrer Schwester. Es kostete Abdullah eine Menge Zeit, diese Leute abzuwimmeln – und bei der einen oder anderen Gelegenheit kaufte er sogar ein Bild oder eine Zeichnung, sofern der Dargestellte ein Mann war. Wodurch natürlich immer mehr Leute angelockt wurden.
»Nur heute. Mein Angebot gilt nur bis Sonnenuntergang«, erklärte er der versammelten Menge schließlich. »Alle, die das Bild eines Mannes zu verkaufen haben, sollen eine Stunde vor Sonnenuntergang zu mir kommen, und ich werde es kaufen. Aber nur dann.«