Der Papierkrieg zwischen Washington und Wien 1917/18 - Kurt Bednar - E-Book

Der Papierkrieg zwischen Washington und Wien 1917/18 E-Book

Kurt Bednar

0,0

Beschreibung

Eine Aufarbeitung der Geschehnisse rund um den Krieg zwischen der einstigen Donaumonarchie und der heutigen Weltmacht! Am 7. Dezember 1917 erklärten die USA Österreich-Ungarn den Krieg. Offen blieb und bleibt bis heute, welche Gründe zu diesem drastischen Schritt geführt haben. Die Auseinandersetzungen fanden aber weder auf Schlachtfeldern noch mittels Angriffen in der Luft oder auf hoher See, sondern hauptsächlich auf Papier statt, waren also diplomatischer Natur. Zwischen den amerikanischen Soldaten und jenen der Donaumonarchie gab es zumindest kaum Kämpfe. Die Anerkennung einer unabhängigen Tschechoslowakei brachte die Monarchie schließlich ins Wanken, den Rest besorgten die zum Teil undurchsichtigen Vorgänge auf der Pariser Friedenskonferenz 1919. Kurt Bednar legt mit seinen umfangreichen Nachforschungen sowohl in Österreich als auch in den USA offen, dass der Konflikt unter den Nationalitäten von außen kräftig angeheizt wurde. Die heutige Weltmacht USA, damals noch international unerfahren, stieg spät in den Krieg ein und versuchte mit enormem Rechercheaufwand Informationen über Europa zu sammeln und sich so auf die Verhandlungen in Paris vorzubereiten. Der gute Wille geriet jedoch rasch unter die Räder der europäischen Mächtepolitik ... Der Autor hat es sich zur Aufgabe gemacht, die Beziehungen zwischen den USA und Österreich-Ungarn zu untersuchen und verständlich darzustellen. Auf Grundlage seiner ausgedehnten Recherchen in namhaften Archiven und Bibliotheken (u.a. Library of Congress, National Archives, Universitäten von Columbia bis Yale, Österreichisches Staatsarchiv) schildert er spannend und detailreich die Geschichte eines unausgefochten ausgefochtenen Krieges!

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern

Seitenzahl: 1168

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Impressum

© 2017 by Studienverlag Ges.m.b.H., Erlerstraße 10, A-6020 Innsbruck

E-Mail: [email protected]

Internet: www.studienverlag.at

Alle Rechte vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (Druck, Fotokopie, Mikrofilm oder in einem anderen Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.

Abhängig vom eingesetzten Lesegerät kann es zu unterschiedlichen Darstellungen des vom Verlag freigegebenen Textes kommen.

ISBN 978-3-7065-5889-1

Buchgestaltung nach Entwürfen von hœretzeder grafische gestaltung, Scheffau/Tirol

Umschlag: hoeretzeder grafische gestaltung, Scheffau/Tirol, unter Verwendung von Bildelementen von

https://commons.wikimedia.org/wiki/File%3AAustria-Hungaria_transparency.png (Hugo Gerhard Ströhl [Public domain],

via Wikimedia Commons) und https://commons.wikimedia.org/wiki/File%3AFlag_of_the_United_States.svg

(By Dbenbenn, Zscout370, Jacobolus, Indolences, Technion. [Public domain], via Wikimedia Commons)

Satz: Da-TeX Gerd Blumenstein, Leipzig

Dieses Buch erhalten Sie auch in gedruckter Form mit hochwertiger Ausstattung in Ihrer Buchhandlung oder direkt unter www.studienverlag.at.

Inhaltsverzeichnis
Cover
Impressum
Titel
Vorwort
Prolog
1. Albert H. Putney, Ankläger
Texte über und von Putney
Putney: „The Slavs of Austria-Hungary“
2. Frederick Courtland Penfield, letzter US-Botschafter im habsburgischen Wien
Wer war Penfield?
Penfield im Vergleich – etwa mit Page in Rom
Penfield fiel dem Vergessen anheim
Penfields offizielle Berichte aus Wien
Private Korrespondenz Penfields mit Colonel House
Weitere Korrespondenzen Penfields
Penfields schwieriger Abgang aus Wien
3. Constantin Dumba, letzter k.u.k. Botschafter in Washington
Dumbas Amtsantritt
Dumbas Erinnerungen
Die Affäre Archibald
Nach dem Abgang Dumbas
4. Vom Bruch zum Krieg – und der Friede wehrt sich nicht
Wechselseitiges Misstrauen – Nährboden für Spionage
Meisterspion Voska
Ronge und Figl – zwei Wiener Gegenspieler zu Masaryk, Voska & Co.
Der Fall Wozniak – one Austrian enemy within
Dem Bruch folgt dann doch noch Krieg
Auf der Suche nach einem Kriegsgrund
Die Friedensbewegungen unterliegen
Kriegserklärung, der Fall Herron und Lammasch
5. George Creel, Chef der US-Propaganda
George Creel – ziviler General im Propagandakrieg
Das Committee on Public Information (CPI) und seine Produkte
Kriegsverbrechen und Propaganda
Neutralität und Geschäft
Schwierige Gegen-Propaganda
Die Dumba/Archibald Papers
Ungarische Sonderwege
6. The „Inquiry“, Untersuchungsrichter
Das „Dreigestirn“ Edward Mezes, Isaiah Bowman und Walter Lippmann
Schlüsseldokument 1: Peace Terms (14 Punkte) und Preliminary Survey
Schlüsseldokument 2: Die vierzehn Punkte und ihre Auslegung
Schlüsseldokument 3: Outline of Tentative Report – Das Info-Paket für Paris
Das „Schwarze Buch“
American Commission to Negotiate Peace (ACNP)
7. Eine Arbeitsgruppe zu Österreich-Ungarn
Viele „Experten“ und Experten
Italiens Forderungskatalog
Charles Seymour, Leiter der Arbeitsgruppe
Robert Kerner, Vielschreiber und Gegner Österreichs
Balkan – auch ein intensiv bearbeitetes Thema
8. Tomáš Garrigue Masaryk, Anzeiger
9. Masaryks Helfer in den USA
Charles Richard Crane – der mondäne Millionär aus den USA
Charles Pergler – ein stiller Wegbereiter in den USA
Weitere Weggefährten in Amerika
10. Militärische und andere Konflikte Washington – Wien
Der Fall „Ancona“
Kanonen im Westen und Hemingway im Süden
Kriegskorrespondenten
American Exceptionalism
Konflikthaltige Anerkennungspolitik
11. Wilson verschreibt die Giftpille „Self-Determination“
Ringen um Begriff und Inhalt – die Generation der Zeitgenossen
Auch die nächsten Generationen mühten sich ab
Die Siebzigerjahre
Zum Ende des Kalten Krieges
Unser Jahrhundert
Ein für akademische Arbeiten in den USA häufig gewähltes Thema
Apropos Südtirol
Apropos „Deutschböhmen“
Wambaughs Monsterarbeit zum Instrument der Volksabstimmung
Apropos Westungarn/Korridor/Burgenland
Apropos Kärnten
Apropos Untersteiermark
Das moderne Standardwerk zur Selbstbestimmung: Fisch
12. Umsturz in Prag
13. Farce in Amerika: Mid-European Union
Herbert Adolphus Miller, Direktor der kurzlebigen Mid European Union
Sofort Streit unter den Nachfolgestaaten
Die Peabody Papers enthüllen: Die Union hatte sogar eine Konkurrenz
Vergleich der (gescheiterten) Konkurrenten
Die Idee lebt bis heute
14. Die Coolidge-Mission
15. Urteil in Paris
Marstons organisatorische Kritik
Paris in der inhaltlichen Kritik von Zeitgenossen und der frühen Nachwelt
Das Konferenztagebuch Millers
Mittlere und späte bis heutige Nachwelt
Der Vertrag mit Österreich
„Sonstige“ Regelung Anschlussverbot
16. Neubeginn
Epilog
Entstehung, Schwerpunkt, DANK
Anmerkungen

Kurt Bednar

Der Papierkrieg zwischen Washington und Wien 1917/18

„With Austria-Hungary the United States has never had much to do.“

(Archibald Cary Coolidge, The United States as a World Power, New York, 1908)

„Ein Separatfrieden mit Amerika, mit welchem wir eigentlich nur auf dem Papier Krieg führen, hilft uns aber gar nichts.“

(Außenminister Ottokar Czernin, 10. März 1918)

„The Austro-Hungarian Empire was a minor issue for the United States.“

(Richard Schifter, geboren in Österreich, Assistant Secretary of State unter George Shultz, im persönlichen Gespräch mit dem Autor, Juni 2015)

Vorwort

Erinnerungstage sind eine gute Gelegenheit, nicht nur das Gedächtnis aufzufrischen, sondern auch aus der Vergangenheit zu lernen. Kurt Bednar hat es unternommen, die Beziehungen zu den Vereinigten Staaten von Amerika und Österreich-Ungarn darzustellen und zu untersuchen. Es ist ihm Dank zu sagen für diese Anstrengung, weil in der historischen Forschung in Mitteleuropa gerade diese Frage nicht sehr oft behandelt wird. Im Gegenteil, ich bin überzeugt, dass es sehr hilfreich für das grundlegende Verständnis in Österreich und über die Rolle der Vereinigten Staaten von Amerika ist, aber auch gleichzeitig ein lebendiges Zeichen der Beziehung zwischen den Staaten.

Das Buch berührt eine Fülle von Fragen, die immer noch von großer Bedeutung sind, gerade in dieser Zeit, in der wir vor einer neuen Bestimmung der Beziehungen von USA und Europa stehen. Ich bin dankbar, dass alte Freunde wie Richard Schifter erwähnt wurden, weil wir mit dieser Generation, trotz aller schrecklichen Ereignisse, zu Menschen, die vertrieben und vernichtet wurden, wie es seiner Familie passiert ist, hier gleichzeitig auch eine lebendige Erinnerung zwischen uns erhalten müssen. Das Buch macht das und ich wünsche viel Erfolg, dass viele Menschen es lesen, denn es schafft das, was wir dringend brauchen: ein besseres Verständnis füreinander.

Dr. Erhard Busek

Prolog

Das National Museum der USA zum Ersten Weltkrieg befindet sich in Kansas City im Bundesstaat Missouri. Im Jahr 2015 pilgerten Besucher aus 73 Ländern der Welt hierher (Auskunft des Museums). Auf einem Hügel, vis-a-vis der vor sich hindösenden Union Station der Stadt, sticht dem Reisenden jedoch zuerst ein riesiger Turm ins Auge. Der Autor näherte sich im April 2016 diesem Bauwerk. Nur wenige erklimmen – Höhenunterschied 17 Meter – an diesem Samstag bei prächtig blauem Himmel den Burghügel. Als solcher entfaltet sich das Areal, je größer die um den Turm gruppierten Gebäude in den Blick fallen, denn der runde Obelisk – und diese Bezeichnung passt bald ganz gut zum Ensemble – vereinsamt keineswegs. Bald – der Pfad vollführt in steilen Serpentinen seine erste Wende – gelangt man zu einer ersten, (noch) bescheidenen Inschrift, deren Bedeutung sich erst später erschließt. Die Sicht weitet sich bald in Breite und Höhe: Die nächste Kehre schiebt zwei Fontänen – die beiden Brunnen entpuppen sich gestalterisch als Teil eines großen Frieses – und dazwischen eine ansehnliche Freitreppe ins Visier, oben versinkt der Turm langsam hinter einer hohen Mauer, an deren Enden jeweils ein Kubus thront, die Nadel in die Zwicke nehmend. Wer die Höhe erstiegen hat, wird mit einem riesigen Relief im langen Wall belohnt. Links und rechts vom Mauerbild laden zwei weitere Freitreppen zum fortgesetzten Anstieg ein, und um das Plateau zu erreichen, müssen weitere Stufen im jeweils rechten Winkel erklommen werden. Oben landet der etwas erhitzte Besucher quasi auf dem Forum, in der Mitte steht die Siegessäule, und im Osten und Westen schließt je ein Tempel den Platz ab. In Richtung Süden flankieren zwei Sphinxe den Blick von Downtown weg. Zwischen den Skulpturen und dann links und rechts davon lenken Stufen den Schritt wieder in die Tiefe – und in die Länge, denn kaskadenartig kündigen mehrere Wasserbecken im Gegenhang wohl den Ausgang an.

Eine insgesamt herrliche Anlage, die allerdings eher der Antike huldigt als der Erinnerung an einen Krieg, der vor knapp hundert Jahren die Welt total verändert hat. Ein riesiges Ensemble, das zwar dem diesem Land etwas eigenen Gigantismus entspricht, dem vermuteten Anliegen jedoch wenig gerecht wird. Zumal eine Nachfrage als Zeitpunkt für die Errichtung des Memorials eröffnet, dass dieser in der Epoche des Isolationismus, nach dem militärisch gewonnenen Krieg, zu liegen kommt.

Noch im November 1918 – nur zwei Wochen nach dem Waffenstillstand – rafften sich die Bürger von Kansas City, die auch nicht wenige Tote zu beklagen hatten, auf, um dieses Ereignisses zu gedenken, und schon zwei Jahre darauf versammelten sich die Oberkommandierenden der fünf (?) Alliierten zur Grundsteinlegung. Es handelte sich um Vertreter Englands, Frankreich, Italiens, Belgiens und der USA selbst. Bemerkenswert: Der echte Alliierte, Russland, musste fehlen, die Rolle der bloß assoziierten USA erfuhr hier das übliche Upgrade. Eine Nachfrage zu Belgien bringt nur die Erklärung, das Land sei eben „eines der ersten Opfer der deutschen Aggression“ gewesen. Diese fünf martialischen Gesichter blickten auch aus dem kleinen Fries an der ersten Wende im Spazierweg. Als 1926 das Monument eröffnet wurde, befand sich Amerika mitten in seiner selbst gewählten Isolation. Die Menschen hatten viel Geld aufgebracht, denn in den USA bedarf auch so ein Denkmal privater Mittel. An die 150.000 Leute sollen der Eröffnung beigewohnt haben. Die Geschichte des Memorials ist schnell fertig erzählt. 1994 musste es wegen Baufälligkeit gesperrt werden. Nun erinnerte man sich auch der regen Sammlungstätigkeit, die seit Errichtung des Monuments unzählige Memorabilien zusammengebracht hatte. Man fasste den Entschluss, dafür einen Platz zu schaffen, das Denkmal zu renovieren und es um ein Museum zu bereichern. Das Budget stammte von einer zeitlich begrenzten Zweckwidmung der lokalen Umsatzsteuer. Im Jahr 2004 werteten die USA die Anlage zur nationalen Gedenkstätte auf, und zwei Jahre später war man bereits fertig. Der Besuch des Autors fand somit im Jahr zehn des Bestehens statt.

Für die Ausgestaltung des Monuments organisierte die lokale Architektenvereinigung einen Wettbewerb, den H. Van Buren Magonigle gewann. Er wurde gerade für seine Platzgestaltung gelobt1, wenn auch nicht in Kansas City, sondern für ein Projekt im nahen Nebraska. Ein Obelisk war keine Vorgabe, zierte aber mehrere Einreichungen2. Die reine Bauzeit betrug drei Jahre, doch auch nach der Eröffnung wurde weitergearbeitet. So stammte der riesige Fries an der Stirnmauer im Norden erst aus 1935, was für das Verständnis des Textes nicht unwesentlich ist. Während 1919 gerade Friede eintrat, tauchte 16 Jahre später das Gespenst eines neuen Krieges über dem Horizont herauf. Die Architektur aus 1919 huldigte dem mühsam errungenen Sieg, das Relief sollte wohl bereits die nun eingenommene Stellung in der Welt dokumentieren. 1926 war das Monument in seinem ursprünglichen Kern fertig. Was fehlte, war vor allem die Gestaltung der Landschaft darum herum. Dafür heuerte die Stadt den Gartenarchitekten Olmsted aus Brookline, MA, an. Weiter wünschte man eine Komplettierung der Anlage nach Norden hin und engagierte dafür das ortsansässige Büro Wight and Wight.

Der Schöpfer des Frieses brachte in seine Kunst sogar die Teilnahme am Krieg ein: Edmond Romulus Amateis, 1897 in Rom geboren, war Veteran des Ersten Weltkrieges. Seine Bestellung verdankte er einer Empfehlung seitens des Büros Wight. Eine ausführliche Beschreibung3 seiner Arbeit klärt die meisten Fragen. Jeweils am Rand des Frieses weht quasi eine Flagge der USA. Die Bildfolge besteht aus elf Darstellungen: Sie beginnt mit einem „motif of destruction“, einer Haubitze; die folgende Figurengruppe repräsentiert den Geist, den Patriotismus und die „unity of action“ der amerikanischen Soldaten; es folgt ein Bild der vier Reiter der Apokalypse; danach eine Darstellung der Menschen, für die „the war will never be over“ (Verwundete, Invalide); die trauernde Familie kommt als Nächstes ins Bild, gefolgt thematisch vom Waffenstillstand, dem wichtigen Anlass gemäß: Die zentrale Figur symbolisiert Frieden und Verständigung, sie ist die bei weitem größte und hält in der rechten Hand ein geborstenes Schwert, in der linken das Palmblatt, das Gesicht zum Frieden gewendet; sodann eine Willkommensszene für die Heimkehrer von der Front und weiter eine – wie der Kommentar zugibt – extrem idealistische Darstellung von Moral und Heiligkeit des Heims; es folgt der Bulle, das Symbol des Selbstvertrauens in die Zukunft sowie eine landwirtschaftliche Szene (wohl einem der ökonomischen Schwerpunkte des Bundesstaates angepasst), abgeschlossen durch eine zum Thema der Industrie (symbolisiert durch den Hammer). Über das ganze Fries zieht sich der folgende Text: „These have dared bear the torches of sacrifice and service. Their bodies return to dust, but their work liveth forevermore. Let us strive on to do all which may achieve and cherish a just and lasting peace among ourselves and with all nations.“ Man beteuert, der Schöpfer des Frieses wollte weder den Krieg glorifizieren noch die davon stammenden Leiden verstecken.

Eine etwas abweichende Beschreibung zum Fries stammt – aus 1962 – von Frau Wight selbst. Darin bestätigt sie den Eindruck eines griechischen Einflusses auf dessen Gestaltung. Wight zitiert das Vorbild der Entasis (Parthenon) für die leichte Krümmung in der Mitte des Frieses. Nur wer knapp davorsteht, kann die Details im Fries erkennen, wird aber zugleich von dessen Größe erdrückt. Da hilft dann die Beleuchtung in der Nacht, ein Preis, der wegen der Nordlage gezahlt werden muss. Doch laut Auskunft schaltet man – zumindest derzeit – nächtens nichts (mehr) ein. Dabei verdient besondere Beachtung, dass die originale Konzeption von der Union Station ihren Ausgang nahm. Heute fährt man mit dem Auto vorbei und parkt oben auf dem Hügel am südlich vom Memorial liegenden Parkplatz, sodass die Gesamtwirkung völlig verlorengegangen ist. Damit kommt natürlich auch die Dedication Wall am Fuß des Hügels überhaupt nicht mehr zur Geltung. Die Porträts der Heerführer und Staatsgäste bei der Einweihung stammen aus der Werkstatt von Walter Hancock (geboren in St. Louis, aktiv in Gloucester, MA), der damals (1935) offenbar noch nicht so monumental gearbeitet hat, wie später für ihn kennzeichnend wurde.

Robert Ingersoll Aitken war mit seinem Geburtsjahr 1878 für eine Teilnahme am Krieg schon zu alt, meißelte dafür die Figuren in den Turm, die allerdings auf Grund ihrer Höhe – die Säule ragt 72 Meter in den Himmel – auch für den normal gewachsenen Besucher im Detail unerkennbar bleiben. Die vier Wächter, jeder an sein Schwert gelehnt, symbolisieren Ehre, Mut, Patriotismus und Opfer als Tugend.

Die zwei (assyrischen) Sphinxe am südlichen Ende des Forums, von denen die eine nach Westen blickt und die Zukunft erwartet, die andere nach Osten gerichtet ist und an den Kriegsschauplatz Frankreich erinnern soll, stammen laut Auskunft von John Donnelly, dem auch Arbeiten an der Grand Central Station in New York City zugeschrieben werden, die allerdings komplett anders aussehen.

Nicht genug der antiken Anspielungen zieren zwei leere Urnen, stationiert vor jedem der zwei „Tempel“, das Gelände, an denen sich die Abzeichen der Streitkräfte befinden, die zum Sieg in dieser ersten globalen Auseinandersetzung beigetragen haben, also etwa Armee und Marine, aber auch das Rote Kreuz. Verbleiben die beiden Hallen selbst, von denen die eine als Memory Hall bezeichnet wird, die andere (westliche) als Ausstellungsfläche dient, die früher die ständige Sammlung, heute – nach Eröffnung des Museums – nur noch Sonderschauen beherbergt.

Endlich begibt sich der wissensdurstige Besucher aus dem fernen und kleinen Österreich in den Schlund, der unterhalb des Memorials das Museum beherbergt. Über eine Glasbrücke, unter der sich ein Feld mit Mohnblumen befindet, schreitet man zum eigentlichen Eingang. Dort weisen die an sich sehr freundlichen – und freiwillig werkenden – Veteranen (VFW – Veterans of Foreign Wars) auf einen Einführungsfilm hin, der in einem der Theater vorgeführt wird. Dieser etwa zehn Minuten dauernde Streifen stellt Bilder und Filmausschnitte zusammen, die den Ausbruch des Krieges in Europa und das (späte) Eingreifen der Amerikaner begreiflich machen sollen. In einem zweiten (offenen) Vorführraum werfen Projektoren ihre Bilder, teilweise begleitet von Stimmen im Originalton, immer unterstützt durch einen Kommentator, in eine unterhalb und nur schemenhaft erkennbare Kampflandschaft in aktueller, plastischer Darstellung. Insgesamt geraten durch die erzwungene Kürze keine historischen Dogmen durcheinander. Zu den Gründen, die zum Krieg geführt haben sollen, zählt hier, dass die Völker der Monarchie durch ihren Nationalismus auf den Krieg hingearbeitet hätten.

In der gut gemachten Dauerausstellung, deren Besichtigung mitunter durch etwas aufdringliche Veteranen früherer US-Kriege gestört wird, taucht die Monarchie zwar gelegentlich auf, eine durchgehende Story ist den Machern jedoch nicht gelungen. Immerhin demonstriert ein Video nicht nur die Ostfront, sondern auch den Frontverlauf im Süden zwischen Österreich und Italien. Auch die gezeigten Landkarten stimmen, nur bei einer mit dem Titel „Subject Nationalities of the German Alliance“ drängen sich Fragen auf, von denen jedoch nur die nach der Herkunft beantwortet werden kann (Cassell & Co. Ltd, London, 1917). Das Stück befindet sich im Übrigen in einem Original in der Kartensammlung der Library of Congress. Es ist natürlich klar, dass eine Zeittafel – sie befindet sich im Zentrum der kreisrund angelegten Exhibition – der Übersicht halber nur zentrale Ereignisse abbilden darf. Aber auch die Kriegserklärung der Amerikaner an Österreich vom Dezember 1917 findet hier keinen Platz.

Ein interessanter, jedoch wenig verwendeter Ansatz sind die Kojen zur „Reflection“, in denen Hörbeispielen gelauscht werden kann. Wobei sich die geringe Nutzung eher auf das Angebot denn auf den Konsum bezieht, denn in den Kategorien – etwa Lyrik oder Musik – kann jeweils nur aus einer ganz geringen Anzahl an Exempeln gewählt werden. Eingängig natürlich der flotte Song „Over there“, komponiert von George M. Cohen und vorgetragen von Nora Bayes, beides – klar – von 1917, als eigentlich erst wenige Amerikaner nach Europa verfrachtet worden sind.

Beide „Tempel“ auf dem Forum „oben“ werden vom Museum mit Sonderausstellungen gelegentlich bespielt. Zu besichtigen war im April 2016 eine kleine Schau zum Thema „Volunteers“ in der Memory Hall im östlichen Gebäude. Einige Poster und Objekte nehmen mittelbar auch auf die Monarchie Bezug, so eine Schautafel samt Vitrine zu einem Auswanderer, der dann auf der amerikanischen Seite mitwirkt. Die Halle verliert leider viel von ihrer Pracht, wenn sie vollgeräumt wird. Sie passt aber sehr gut zum offensichtlich triumphalistischen Konzept der Erfinder des Memorials. Die Wände verzieren nicht nur mehrere künstlerisch fragwürdige Gemälde, sondern auch geographisch interessante Landkarten. Es passt daher ins Gesamtbild, dass mit zwei Ausnahmen ausschließlich die Westfront in Europa dargestellt wird. Eine Landkarte steckt die Front zwischen Österreich(-Ungarn) und Italien ab. Lokalen Charakter haben die Wandtäfelchen aus Bronze, zum Gedenken an die 441 Menschen aus der Stadt, die im Großen Krieg ihr Leben gelassen hatten. Der Zwillingsbau auf der gegenüberliegenden Seite des Forums war im April 2016 geschlossen. Dem Vernehmen nach lagern dort Teile des monumentalen Gemäldes aus der Memory Hall sowie die Fahnen der schließlich 22 Alliierten des Krieges.

Insgesamt 123 französische Maler legten Hand an dieses Malwerk, so etwa Pierre Carrier-Belleuse. Seine Reise nach Kansas City beginnt in Paris und führt über Chicago nach Missouri, wo es (2012) zunächst Teil einer Ausstellung war, bevor es in die Memory Hall als ständiges Wandgemälde integriert wurde. Doch diese Ausstellung fand eigentlich in einem anderen Vorzeigeobjekt der Stadt statt, nämlich im Atkins-Nelson-Kunstmuseum, als Kunst im Rahmen der Weltausstellungen von 1851 bis 1939 vorgestellt wurde. In einer davon, Chicago 1933/34, wurde der „Pantheon de la Guerre“ der Öffentlichkeit in ganzer Größe gezeigt. Das Bild füllt eine Wand im Ausmaß von 134 Metern Länge und 15 Metern Höhe und stellt rund 6.000 Persönlichkeiten auf Seite der Alliierten dar. Damit der Riese in die Memory Hall passt, musste noch einiges passieren: Nach Chicago landete das Ganze zunächst im Depot, bevor man sich seiner in einer Versteigerung (1953) entledigen wollte. Ein William Haussner aus Baltimore erwarb dort das Unikum. Das ließ Daniel MacMorris, Glasmaler aus Kansas City und selbst Veteran des Ersten Weltkrieges, nicht ruhen: Der Fama und der offiziellen Website des Memorials/Museums zufolge überredete der Künstler den Besitzer dazu, das malerische Ensemble Kansas City einfach zu schenken! Mit eigener Hand verkürzte MacMorris die Länge auf die heutigen 15 Meter, indem er sich zunächst auf die Amerika betreffenden Bildausschnitte konzentrierte und schließlich ganz einfach so lange schnitt, stückelte, klebte und restaurierte, bis das Resultat in die Nordwand der Memory Hall passte. Damit die anderen Wände nicht abfallen, entschloss sich MacMorris dazu, die restlichen drei Seiten der Halle selbst zu bemalen.

Das Haus erfreut durch Ansätze einer gezielten wissenschaftlichen Arbeit. So wurde ein Panel zum Thema „The Eastern Front: National (!) Perspectives Austria-Hungary, Germany and Russia“ im April 2015, gestaltet immerhin von Richard Faulkner (Moderation), Graydon Tunstall (Österreich), Scott Stephenson (Deutschland) und Bruce Menning (Russland), abgehalten (Gesamtdauer des Videos eine Stunde, 25 Minuten), ebenso ein Vortrag im Mai 2015 von Margaret MacMillan zu „Paris 1919: Six Months That Changed the World“ (Dauer rund 40 Minuten), basierend auf ihrem damals aktuellen Buch zur Friedenskonferenz. Aus Anlass des Attentats in Sarajewo fand am 28. Juni 2014 eine „Franz Ferdinand Assassination Commemoration“ statt. Die dazu ersonnene Zeremonie leitete der ehemalige US-Botschafter in Bosnien-Herzegowina, John Menzies, mit einem Vortrag ein (in dem er auf den ihm zeitlich näherliegenden Jugoslawien-Krieg einging), gefolgt von einer Vorführung des Kansas-City-Symphony-Streichquartetts und einer Darbietung des Schauspielers John Rensenhouse („recollection of stories from the era“). Das Programm zierte eine Grafik (ohne Nachweis), in der das Attentat dargestellt werden sollte.

Szenenwechsel: In Wien verlockt das HGM mit einer Neuaufstellung seiner Sammlung zum Ersten Weltkrieg. Das Museum geht streng chronologisch vor, jedes Jahr wird mit Landkarte versehen, auf der die militärischen Veränderungen ersichtlich sind. Sonst bietet man eine Ansammlung von Waffen, Uniformen, Fotos und Berichten, auch Grauslichkeiten werden nicht ausgespart. Man erreicht die neue Dauerausstellung in einem abgesenkten Areal, vielleicht symbolhaft für den Untergang des alten Europa, der mit dieser militärischen Auseinandersetzung verbunden war. Freilich verfügt Wien über ein Unikat, hinter dem alle anderen musealen Darstellungen zurückstehen müssen: Das Auto von Sarajewo, in dem der Kronprinz und seine Frau ums Leben kamen und das die Ereignisse ins Rollen brachte.

Die Republik beschäftigte sich mit dem Jubiläum 1914–2014 in einer Reihe von Sonderausstellungen. Das Bundeskanzleramt veranstaltete im Palais Porcia eine kleine Exposition zu dem Verhältnis der Medien zum Krieg. Natürlich druckte man dazu ein Begleitheft4. Darin findet sich ein kurzes Kapitel zum Film. Das Kriegspressequartier genehmigte im Bemühen, neutrale Staaten für sich einzunehmen, amerikanischen Filmemachern Dreharbeiten an der Ostfront. Außerhalb Wiens an der Spitze rangiert sicher die Landesausstellung des Landes Niederösterreich auf der Schallaburg. Interessant der Ansatz, einige markante Personen durch die Exposition fiktiv führen zu lassen, darunter John Reed, der amerikanische Journalist mit Interesse für die Ostfront und abenteuerlichem Lebenslauf. Das Buch zur Ausstellung5 geht auf die diplomatischen Verstrickungen, die am Ende das Habsburgerreich zu Fall brachten, wenig ein.

Im Juni 2016 führte den Autor eine kurze Reise ins ferne Prag, im Besuchsprogramm der nationale Schrein auf dem Vitkov-Hügel im Prag, der seine Existenz zwar nicht einer privaten Initiative verdankt, jedoch in der Zeit seiner Entstehung mit Kansas City vergleichbar ist. Auch in Vitkov beeindrucken Ausmaße und Ausführung. Architekt Jan Zazvorka ging nur mit Inschriften und Reliefs sparsam um. Das Innere des Schreins verdeutlicht das wechselnde Glück der Tschechen mit ihrer Geschichte. Eigentlich war das Ganze als Hommage an die tschechischen Legionen im Ausland konzipiert, die von dort aktiv in den Kampf gegen Habsburg eingegriffen haben. Doch davon ist anno 2016 nicht mehr viel übrig, denn die aktuelle Ausstellung beschäftigt sich mit Jan Hus („The Second Life of the Hussite Movement“6), einem anderen Leibthema der geschichtsbewussten Tschechen. Allerdings schreckt ein Hinweis auf Zborov 1917, denn damit verherrlicht man nicht die Legion, sondern die klassische Desertion im österreichischen Heer.

Während das riesige Denkmal auf der Spitze des Hügels alle Aufmerksamkeit auf sich zieht, führt das hügelab liegende tschechische Armeemuseum ein Schattendasein, obwohl es etwa zur gleichen Zeit wie der Riese oben erbaut wurde. Der Inhalt dagegen hält fachlich mit der Hügelspitze mehr als mit. Der linke Gebäudeteil präsentiert unter dem Titel „In World War I Trenches“ einerseits Ereignisse wie Zborov und andererseits die Legionen, natürlich neben den in einem Museum dieser Art üblichen Waffen. Eine Vitrine widmet sich sogar den Bemühungen, unter den Einwanderern in Amerika Freiwillige für den Schauplatz Europa anzuwerben. Ein Kleinod besonderer Art lässt sich in einer Vitrine nahe dem Eingang ausmachen: Hier hängt eine Landkarte, entstanden 1915 in Genf, Autor Masaryk, mit der Bezeichnung „The first plotted idea of future czechoslovak borders“. Was man da auch sieht, ist der (slawische) Korridor, den man zwischen Österreich und Ungarn schieben wollte.

Der Rückweg zum Wilson-Bahnhof führt beinahe zwangsläufig am Mucha-Museum vorbei. Der Künstler war ein enger Freund von Crane, dem Förderer Masaryks und Finanzier des Mucha-Zyklus „Slav Epic“.

Doch endet der Prolog in Wien: Im Arkadenhof der Wiener Universität steht eine Büste von Masaryk (Nummer 43). Aus einer Art Begleitband7 zu dieser Aneinanderreihung von Wiener Geistesgrößen, in deren Rahmen man den tschechischen Politiker Masaryk eigentlich nicht erwartet hätte, ergibt sich: Das Monument wurde Wien im Jahr 1996 von der Masaryk-Universität in Brünn geschenkt, die Büste stammt aus der Werkstatt von Vincenc Makovsky (im Band Makrovsky), der dieses Werk schon 1936 hergestellt hat. Da es ein Geschenk war, liegen keine Rechnungen vor. Bemerkenswert: Warum beschenkt Brünn gerade Wien damit und warum nimmt Wien dieses Geschenk an – und stellt die Büste gar auf? Unter den im Arkadenhof ausgestellten Persönlichkeiten finden sich bei rascher Durchsicht mindestens vier, die Masaryks Wege persönlich oder sachlich gekreuzt haben. Da ist einmal der Statistiker Inama-Sternegg (Nummer 11), dessen Volkszählungen von Masaryk und Genossen politisch stark angezweifelt worden sind; da steht auch Heinrich Lammasch (Nummer 19), der letzte Ministerpräsident der Monarchie, dessen Bemühungen um einen Frieden scheiterten und wahrscheinlich auch nichts mehr ausgerichtet hätten, Clemens Pirquet (Nummer 134) hat auch einen Platz gefunden, der als Kinderarzt auch in Amerika berühmt wurde und in die Kinderhilfsaktionen der Amerikaner nach dem Krieg eingebunden war, und dann gibt es Johann Sölch (Nummer 137), der als Geograf unter anderem für Südtirol (vergeblich) eingetreten ist. Angesichts der akademischen Verdienste der vier Herren keimen doch Zweifel an der Einordnung auf. Masaryks akademische „Performance“ in Wien beschränkte sich auf seine Promotion 1876 und seine (noch dazu nicht unumstrittene) Habilitationsschrift 1878 zum Selbstmord. Zu mehr als einer Dozentur im Folgejahr reichte es in Wien nicht, denn Masaryk wechselte schon drei Jahre später nach Prag.

1. Albert H. Putney, Ankläger

Knapp fünf Monate nach der Kriegserklärung der USA (7. Dezember 1917) an Österreich-Ungarn, am 9. Mai 1918, lag US-Außenminister Robert Lansing ein umfangreiches Dossier seines Mitarbeiters Albert H. Putney, des Leiters der kleinen Nahost-Abteilung, damals auch für Osteuropa zuständig, vor: „Slavs in Austria-Hungary“. Das State Department sah zur Zeit Putneys ganz anders aus als heute, verfügte nur über einen „winzigen Apparat“. Zwar verloren sich nicht mehr nur 22 Personen wie im Jahr 1850 im Amt, doch auch 50 Jahre später verdienten nicht mehr als 91 Mitarbeiter dort ihr Brot. Die Chefs in der Zentrale befehligten Mitte des 19. Jahrhunderts gerade 218 Personen draußen in den Gesandtschaften und Konsulaten (erst 1892 raffte man sich zu den ersten Botschaftern auf), 1900 auch erst 1137 Leute8. Immerhin betrug der Faktor für den Außendienst damit fünf, gegenüber der Zentrale mit bloß einer Vervierfachung der personellen Kräfte.

Bis Mai 1918 galt Punkt zehn Wilsons9, der den Völkern der Monarchie Autonomie zugestanden hätte. Im April in Rom hatten sich freilich Vertreter der von Wien „unterdrückten“ Völker zu einer Konferenz versammelt, an der auch der amerikanische Reporter Nelson Gay als Beobachter teilnahm. Offiziellen Auftrag der USA hatte er nicht, was die Slawen heftig bedauerten, aber allein die Anwesenheit half die Stimmung zu heben, so ein Bericht der amerikanischen Militärmission in Rom10. US-Botschafter Page schrieb am 9. April an Lansing11, Gay, der einzige Amerikaner, hätte ihm versichert, er hätte kein Mandat und keine Anweisungen aus Washington. Im Übrigen bemerkenswert: „Many of the delegations self-apppointed“; mit den vielen Arten von Slawen kämpfte auch Page, denn in seiner Aufzählung der Teilnehmer reihten sich „Czechs, Slavs, … Poles, Jugo-Slavs …“ aneinander.

Auf 236 Blatt Papier verbreitete sich nun der Diplomat Putney auf recht undiplomatische Art über die kolportierten Missetaten der Regierung in Wien gegenüber den slawischen Untertanen der Habsburger. Dieses Memorandum formte die Basis, mit der Lansing seinen Präsidenten unter Zugzwang setzen konnte und dessen Meinung über die Monarchie und deren Erhalt schließlich umdrehte. Hier fasste Putney nochmals alle Argumente, die ihm seitens der Slawen (in Amerika und anderswo) zugetragen worden waren, zusammen. Dieses – man kann es nicht anders bezeichnen – Machwerk bildete das Fundament für die Frage Lansings an Wilson (samt Empfehlung) vom 29. Mai: „In brief, should we or should we not favor the disintegration of the Austro-Hungarian Empire into its component parts and union of these parts, or certain of them, based upon self-determination?“12 Dabei hatte Putney gar nicht mehr so sehr die nationale Befindlichkeit der Slawen im Visier denn den Willen nach Wegen zu suchen, um den Krieg – gegen Deutschland insbesondere – zu gewinnen, Befreiung der Slawen als „war measure“, ein simples Werkzeug also13.

Putneys Text, der in der Historiographie wenig gewürdigt wurde, stach einerseits hervor, nicht nur, weil er vom Außenamt kam, sondern auch weil er den Eindruck einer Zusammenfassung erweckte, andererseits fügte sich schon der formale Aufbau in die Reihe der Ausarbeitungen in der geheimen „Inquiry“ ein. Mitte 1917 hatte Wilson seinen Vertrauten Colonel House gebeten eine Gruppe einzurichten, die Information sammeln sollte, um für die späteren Verhandlungen gewappnet zu sein. Offen muss die Frage bleiben, inwieweit Putney über die Dossiers der „Inquiry“ informiert war. Insgesamt verfügte die Mannschaft Lansings nicht über die Ressourcen, was mit ein Grund für die Einrichtung der „Inquiry“ war. Die Vermutung klingt plausibel, Putney hätte allein im Auftrag Lansings gehandelt, weniger aus Missgunst gegenüber der „Inquiry“ von House, sondern weil der Außenminister den zögerlichen Wilson endlich auf seine antiösterreichische Seite drängen wollte.

Über das Verhältnis zwischen Wilson, Lansing und House wurde viel gemutmaßt. Wie funktionierte die quasi amtliche Zusammenarbeit zwischen Lansings State Department und House’s „Inquiry“? Civitello14 kam zum Schluss, Lansing hätte sich dem Wunsch Wilsons gefügt und wäre in der Folge den Anforderungen, die von der „Inquiry“ an sein Amt gestellt wurden, nachgekommen. Über die interne Besprechung im Juli 1918 zwischen den Mitarbeitern Carr, Phillips und Woolsey einerseits und ihrem Chef Lansing andererseits liegen einander widersprechende Notizen vor: Lansing lehnte eine noch engere Zusammenarbeit mit der „Inquiry“ ab, obwohl eine solche von Phillips sogar ausdrücklich gewünscht wurde („to benefit from its wonderful maps15“). Doch Carr schrieb in sein Tagebuch16, er und seine Kollegen im Außenamt hätten das Gefühl gehabt, dieses „should have the House organization“. Formal war dies ohnehin der Fall, weil die Experten der „Inquiry“ über das Außenamt selektiert, (geheimdienstlich) überprüft, angeheuert und auch abgerechnet wurden. Civitello stützte sich hier auf „den“ „Inquiry“-Autor Gelfand17 mit der Feststellung, zuletzt wäre ein Drittel der Berichte der „Inquiry“ von Leuten des Außenamts erstellt worden. Andererseits zitierte Civitello den „Inquiry“-Autor Clive Day, wonach das Außenamt nach anfänglichem Misstrauen Rat und Daten zur Verfügung gestellt hätte und „was accepted as part of the organization“18. Lansing versuchte aber schon früher, die „Inquiry“ auf eher exotische Gegenden und Themen wie Indien oder Lateinamerika umzulenken, entweder, weil er sich davon weitere Information erhoffte (die er mit eigenen Ressourcen nicht beschaffen hätte können) oder weil er doch ablenken und eine Einmischung in ihm wichtig erschienene Fragen auszuschließen versuchte. Was bei all dem nur überraschen musste, war das Fehlen des Namens Putney. Er kam in der umfassenden Arbeit von Civitello überhaupt nicht vor.

Texte über und von Putney

Über Albert H. Putney finden sich herzlich wenige Informationen. Die Zeitung „The Broad Ax“ in Chicago würdigte ihn in ihrer Ausgabe vom 30. Juni 191719: Putney, einige Jahre Dekan des Illinois College of Law, wäre seit drei Jahren Leiter der Nahost-Abteilung im Außenministerium und machte darin eine gute Figur. Die kleine Notiz erinnerte auch an seine Abhandlung über die Philippinen, die er aus Anlass seines Aufenthaltes dort im Jahr 1901 verfertigt hatte. „The Evening Star“ vom 7. Jänner 191820 berichtete auf der „Society“-Seite über einen Empfang, den das State Department für Dr. Vesnitch (!) und die gesamte Serbische Mission in Mount Vernon gab. Daran nahm auch das Ehepaar Putney teil, erwähnt an letzter Stelle (nicht alphabetisch gereiht).

Offizielle Hinweise zur Arbeit Putneys versteckten sich in Korrespondenzen Dritter oder in der Beschaffung von Dokumenten für die eigentlichen Leistungsträger der „Inquiry“. So übermittelte der Beamte im Außenamt an Kerner in der „Inquiry“ (über dessen Ersuchen) am 10. September 1918 („Inquiry“ Document 332) eine Kopie mit dem langen Titel „A Note submitted to the Check’s National Soviet and the Slavenian League for the Liberation of Carpatho-Russia and the Board of the Carpatho-Russian National Soviet of America”21. Blieb zu hoffen, dass die „Checks“ und die „Slavenian“ zumindest im Original richtig geschrieben worden waren.

Ein geringfügiger Hinweis auf Putney fand sich in einem Schreiben des Senators James Hamilton Lewis vom 6. Juni 1918 an Außenminister Lansing22. Der demokratische Senator aus Illinois, zweimal erfolgloser Kandidat für das Amt des Vizepräsidenten, ersuchte Lansing um die Hilfe von dessen Mitarbeiter Putney. Er wollte lediglich Kopien der Elaborate Putneys, somit keine extra Arbeiten. Lewis dachte sich das als späte Belohnung dafür, dass er seinerseits Putney beim Zusammentragen von Informationen geholfen hatte. Die (Jugo-)Slawen stellten in Illinois und Umgebung eine starke Wählergruppe, deshalb engagierte er sich bei diesem Thema. Nun arbeitete Lewis an einem Buch (das aber offenbar nie zustande kam, zumindest fehlt ein Eintrag in der Kongressbibliothek), an dem er nichts verdienen, das er aber als politische Werbung unter den slawischen Wählern verwenden wollte. Naturgemäß würde er politisch nicht von Lansings Meinungen abweichen, so die Versicherung Lewis’.

Die Fachliteratur nahm nur selten Notiz von Putney. Eine der wenigen Ausnahmen bildete Biskupski, der selbst auf eine andere – Mamatey – verwies. Für den polnischen Historiker23 war es natürlich schmerzlich, dass „Lansing’s special adviser on Slavic and Eastern European questions24“ nicht nur Ostgalizien, sondern auch den westlichen Teil der österreichischen Provinz den Ruthenen (sprich Ukrainern) zusprechen wollte. Daraufhin bezeichnete Biskupski „Putney’s interpretations of Polish history … bizarre“25. Immerhin billigte Putney den Polen einen Zugang zum Meer zu, wenngleich die Begründung nicht überzeugen konnte: „… a race numbering as many millions as the Poles are clearly entitled to some outlet to the sea“26. Ein Aufschrei Biskupskis galt einem Memo Lansings an Wilson vom 21. September 1918, in dem der Außenminister unter 29 Punkten zwei davon Polen widmete27: Nach Punkt vier sollten die drei Teile, die seit rund 140 Jahren bei Österreich, Preußen und Russland waren, wieder zusammenfinden; Punkt sechs reduzierte dieses Gebiet um jene Gegenden, die hauptsächlich von Ruthenen bevölkert wurden. Der Historiker führte diese Textierung Lansings auf den Einfluss seines Mitarbeiters Putney zurück. Der slowakische Historiker Mamatey28, der Putney auf internationale Finanzfragen reduzierte, ordnete dessen serbische Kontakte anders ein – nicht Vesnic (Vesnitch), sondern Mihajlovic (früherer Geschäftsträger in Rom, jetzt Vertreter seines Landes in Washington) und rückte die ruthenische Angelegenheit etwas zurecht: Putney wollte den Ukrainern zwar die von ihnen bewohnten Gebiete in Galizien überlassen, lehnte aber eine unabhängige Ukraine als österreichische Erfindung ab und sah das Land weiter mit Russland verbunden, für den Polen Biskupski möglicherweise eine noch ärgere Bedrohung.

Devasias Rumänien-Studie29 spürte Putney im Mai/Juni 1917 und im Juli 1918 auf. Mit Datum 26. Mai 191730 unterbreitete Putney seinem Chef das Memorandum „Nationalistic Aspirations in the Near East“, worin er sich mit rumänischen Gebietswünschen befasste. Am 5. Juni ließ Putney dem Memo eine Ergänzung folgen, aus der das Dilemma deutlich hervorging, in dem man sich befand, denn einerseits gehörten Bessarabien und Transsylvanien ethnisch zu einem größeren Rumänien, andererseits sprächen politische und wirtschaftliche Gründe dagegen. Das Supplement besprach in sechs weiteren Abschnitten31 Fragen von Jugo-Slawien bis Persien (Putney war für den „Nahen Osten“ zuständig). Das Papier identifizierte im südslawischen Streit mit Habsburg den wahren Kern des Weltkrieges, weshalb man diesem Zwist die größte Aufmerksamkeit schenken müsste, um künftig Frieden zu haben. Interessanterweise beließ Putney hier die Slowenen bei Österreich, zu dem deren Bindungen zu langanhaltend und zu stark wären, als dass sie dem neuen Jugo-Slawien zugeschlagen werden sollten, von dem sie sich auch sprachlich unterschieden. Während Triest und Istrien Italien gehörten, sollte (das an sich ungarische) Fiume zu Österreich kommen, um dem Land seinen Meerzugang zu erhalten (!). Mamatey erwähnte Putneys großes Memo vom 9. Mai 1918 eher kursorisch32, ließ hinter der offiziellen Erklärung Lansings vom 29. Mai 1918 eher den Beamten Phillips als Minister Lansing stehen und auch zur Vorbereitung der nächsten (28. Juni) nicht nur den regional zuständigen Putney zu sich rufen, sondern auch Phillips, der in diese heikle (tschechische) Angelegenheit viel intensiver eingeschaltet zu werden schien. Hierzu lieferte nun Putney ein weiteres Memo ab, das in den drei Behauptungen gipfelte, als Wahlmonarchie wäre Böhmen ein unabhängiger Staat, die gegenwärtige Regierung dort verfassungswidrig (!) und mangels einer rechtmäßigen der Nationalrat in Paris für eine solche geeignet33. Ende August überrumpelte ihn Masaryk, indem er nochmals seine Argumente für eine unabhängige Tschechoslowakei zusammenfasste und sich dabei auf das böhmische Staatsrecht berief, und zwar auch bezüglich der Slowakei, was Putney als unrichtig hätte auffallen müssen, monierte Mamatey nicht zu Unrecht, auch wenn er ihn in einer Fußnote etwas entlastete, Masaryk hätte den Anspruch auf die Slowakei „presumably“ mit dem mährischen Großreich im 9. Jahrhundert begründet34. Auch die in der letzten Erwähnung seines Namens in Mamateys Schrift gefundene Rolle von Putney (hier wieder gemeinsam mit Phillips) als „father-confessors“ für die „representatives of the Austrian nationalities in Washington“35 sollte einerseits nicht überbewertet werden, warf jedoch andererseits einen starken Schatten auf die für seine Funktion eigentlich nötig gewesene Überparteilichkeit. Drei Tage nach dem erwähnten Supplement beauftragte Lansing Putney mit weiteren Studien zu gerechten Grenzen „along nationalistic lines“, was wie Punkt neun Wilsons (zu Italien) klang. Das gerade erstellte und ergänzte Papier legte Lansing – so Devasia – Wilson nicht vor, der gerade daran arbeitete, Österreich von Deutschland weg und zu einem Sonderfrieden zu bewegen, gegen Gewähr, sein Territorium möglichst ungeschmälert behalten zu dürfen. Ein solcher Zeitpunkt wäre daher für ein Programm, das der Monarchie Gebiete wegnahm, ungeeignet.

Für Adams36 umfasste das Memo Putneys vom Mai 1917 auch die Möglichkeit, nationale Unruhen in Österreich für eigene Zwecke auszunützen und die Empfehlung, aus der Erbmasse der Monarchie unabhängige Staaten zu schaffen („Yugoslav, Polish and Bohemian states“). Glidden37 erwähnte ein weiteres Memo aus der Werkstatt Putneys, erstellt im Dezember 1917, offensichtlich aus Anlass der Kriegserklärung Washingtons an Wien. Ausgehend von der Frage des Status der Einwanderer aus der Doppelmonarchie fand Putney zu aufschlussreichen Kategorisierungen: Ungarn und „true Austrians (i. e., Germans)“ stufte er als „enemy aliens in every sense of the term“ ein; Juden teilten ihre Sympathien; uneingeschränkt hassten die Tschechen und Rumänen Österreich, bei den Jugoslawen wäre das ähnlich bis auf ein paar Kroaten, die freilich von Berlin und Wien bezahlt würden; zehn Prozent der Polen klassifizierte das Memorandum als deutschfreundlich, und die Ukrainer wären „difficult to analyze“. Von Bell38 war zu Putney Biographisches zu erfahren (aus Boston, Dekan der University of Illinois, Rechtsanwalt in Boston und Chicago). Die Auslandserfahrung Putneys beschränkte sich auf ein Jahr im Dienst der US-Verwaltung der Philippinen. Die Aufmerksamkeit von Borgeson39 galt den guten Kontakten des Nationalrates der Tschechen in den USA zu Politikern und Beamten der Administration, zu denen eben auch Putney zählte.

Literarisch engagierte sich Putney bei (völker-)rechtlichen und politischen Fragen. Aus 1915 stammten Kommentare zu Gerichtsentscheidungen im Seerecht, aus 1916 eine Stellungnahme zur damals in den USA brennenden Frage der Neutralität, noch 1926 weigerte er sich, an eine Schuld Serbiens zu glauben, und 1927 beschäftigte sich Putney mit der Auflösung ungleicher Verträge40. Gegenstand der Arbeit aus 191541 war das Prisenrecht, also was mit aufgebrachten Schiffen rechtlich zu geschehen hatte. Heikler war dann die Darstellung zur Neutralität42, wo Putney zunächst angeblich verschiedene Formen unterschied, er selbst jedoch an deren Absolutheit festhielt, somit Varianten wie „qualifizierte“, „gutwillige“ oder „bewaffnete“ Neutralität ablehnte. Putney schloss sich der in Amerika herrschenden Meinung an, der Neutrale hätte sich weiter so zu verhalten, wie er es bei Ausbruch eines Konfliktes gehandhabt hätte. Zusammenfassend verlangte der Autor drei Grundsätze im Verhalten des Neutralen gegenüber den kriegführenden Mächten: Wo immer das Völkerrecht bereits eine Regel aufgestellt hätte, wäre sie zu befolgen, unabhängig davon, wie sich dies auf die Kampfhähne auswirkte. Zweitens maß man den Neutralen daran, wie er sich selbst bisher in vergleichbar gelagerten (Präzedenz-)Fällen verhalten hätte. Es ging Putney somit um Berechenbarkeit. Drittens aber wäre der neutrale Staat nur dort zu handeln frei, wo weder anerkannte Regeln des Völkerrechts noch Präzedenzfälle vorlagen. Ein langer Kampf brächte automatisch Fragen, die weder im einen noch im anderen Maßstab vorab gedeckt sein könnten.

Noch viele Jahre später wetterte Putney gegen jene, die Serbien ein gerütteltes Maß an – zumindest – Mitschuld am Ausbruch des Krieges zuschrieben. Sein Angriff43 galt aktuell Beiträgen von Professor Fay in der Zeitschrift „Current History“ und der nach seiner Ansicht schmalen Beweisbasis in Form von Aussagen dreier Serben. Das Zitat eines dieser dreien, Jovanovitch, zerpflückte er besonders intensiv und rückte sodann mit einer Ansammlung überholt geglaubter Pauschalurteile über das acht Jahre zuvor zerstörte Habsburgerreich heraus. Da fanden sich alle in der Propaganda gebrauchten Formulierungen wie „Habsburg misrule“, „indefensible organization“, „artificial boundary“, „medieval despotism“, „artificial and inexcusable Habsburg Empire“ bis zur Feststellung: „Austria-Hungary never was a nation“. Der Aufsatz schloss mit der Behauptung – Tschechen aufgepasst – keine der Nationalitäten des alten Österreich verdiente die Selbständigkeit mehr als die Völker, die dann Jugoslawien formten, und auf kein Kapitel in seiner Außenpolitik könnte Amerika stolzer sein als auf den Anteil, den das Land beim Entstehen Jugoslawiens gespielt hatte. Insgesamt scheint Putney somit ein zwar engagierter, mitunter aber recht undiplomatisch agierender Jurist gewesen zu sein.

Wohl in einer Art Vorstudie mit Datum 31. August 191744 verfasste Putney sechs Seiten zu sechs Punkten: „The Problem of the Slavic Races in the Austro-Hungarian Empire“45. Es glich eher einer ersten Annäherung und wies wenig Struktur auf (Einleitung oder Schluss, Hinweise auf Quellen oder eine Bibliographie suchte man vergebens). Einzige bezeichnende Ausnahme war der französische Autor Cheradame, doch selbst hier ohne Beleg. Eingangs beklagte Putney das Missverhältnis zwischen Beachtung und Bedeutung: Den Slawen in Österreich-Ungarn schenkte man in den USA lange Zeit wenig Beachtung. Der einfachste Weg, Deutschland zu schwächen, wäre, ihm Österreich und damit dessen Slawen zu nehmen oder dort die deutsche in eine slawische Mehrheit zu drehen. Eigentliche Alternative wäre daher das Pendel zwischen einem befreiten und einem zerteilten Österreich. Seine Ausführungen mündeten in einer kompletten Übernahme der Argumente Cheradames: So hätte der Kaiser in Wien den Krieg begonnen, ohne es gewagt zu haben, sein Parlament zu fragen, denn drei Viertel der Bevölkerung – wie er selbst wusste – würden mit Russland, Frankreich und England sympathisieren und gegen Deutschland eingestellt sein (Punkt 1). Die Zusage der Alliierten zu einem wiederhergestellten Serbien wären von vornherein unglaubwürdig (Punkt 4). Zumindest mehrheitlich mussten die Gebiete der Monarchie dem deutschen Zugriff entzogen werden (Punkt 5). Putney fand es nicht einmal der Mühe wert, das Zitat von den störenden Passagen zu säubern.

Putney: „The Slavs of Austria-Hungary“

Das untersuchte Exemplar stammte zwar wohlfeil aus der allgemeinen Sammlung der Georgetown University in Washington, doch auch an der Yale University konnte man fündig werden, wo das Exemplar unter den „Inquiry Papers“ lagert46, obwohl es mit dieser Gruppe wenig zu tun hatte, ja geradezu in der gegenteiligen Werkstatt (Außenministerium) entstand. Allerdings lagerte dort auch ein zweiter Schriftsatz Putneys zum Thema „Poland and Lithuania“ im Umfang von 40 Seiten und mit Datum vom 25. April 191847. Hier drängte sich nochmals die grundsätzliche Frage nach der Zuordnung Putneys und nach der Organisation der Archive auf. Zählte man Putney im weitesten Sinn zur „Inquiry“, dann war die Ablage seiner Arbeiten unter „Inquiry“ korrekt. Genau betrachtet verfasste er sie jedoch für Lansing. Mamatey48 musste die Anzahl der Worte gezählt haben, denn er kam auf einen Umfang von rund 85.000, ging aber auf den Inhalt nicht näher ein und ließ das Dokument als „comprehensive historical and legal study“ gelten.

Als essentiell entpuppte sich ein winziger Hinweis im nur in tschechischer Sprache vorliegenden Band von Antonin Kalina. Dort49 verriet der frühere Abgeordnete zum Wiener Reichsrat (wo er die Radikalen vertrat, die jede Mitarbeit für ein neues Österreich ablehnten), spätere Abgeordnete zum Prager Parlament und erste Botschafter der Tschechoslowakei im neuen Jugoslawien, dass das große Memo von Putney „unter Mitwirkung“ von Charles Pergler geschrieben wurde. Dieser Mann war natürlich kein unbeschriebenes Blatt, sondern quasi der Sekretär Masaryks für amerikanische Angelegenheiten. In Frage käme aus zeitlichen Gründen (Juli 1917) nur der Artikel in den „Annals of the American Academy of Political and Social Science“. Ein direkter Textvergleich belegte jedoch keine direkte Übernahme von Textbausteinen Perglers in Putneys Elaborat. Doch eigentlich war dies auch gar nicht zu erwarten. Pauschal bezog sich Putney auf Vorlagen Dritter, darunter auch auf ein noch nicht gedrucktes Buch Perglers. Ein solches erschien allerdings erst 1926 („America in the Struggle for Czechoslovak Independence“). Insgesamt ist eine Verbindung zu den Schriften Perglers und anderer Nationalisten nicht zu leugnen, insbesondere in Form der überlangen Reminiszenzen in die alte Geschichte Böhmens (Karl IV., Hus, Schlacht am Weißen Berg), die aber nun auch schon rund 300 Jahre zurücklagen und im Übrigen religiösen und nicht nationalen Charakter hatten.

Die Ausarbeitung vom 9. Mai 1918 umfasste 236 Blätter, gliederte sich in insgesamt 17 Abschnitte (Sections) und verfügte über keine Bibliographie. Jeder Abschnitt widmete sich seinem Thema somit auf durchschnittlich 14 Seiten. Gleich die erste Sektion borgte wieder wesentliche Argumente vom Franzosen Cheradame, dessen Tendenz auch der englische Titel seines Buches verrät: „The Pangerman Plot Unmasked“. Putney griff zu Formulierungen wie jener, dass die Bewohner der Monarchie einzig auf Amerika hofften, um Freiheit und Unabhängigkeit zu gewinnen. Neben den Angelsachsen wären die Böhmen die frühesten „Champions of political and religious freedom“. Die folgenden 14 Abschnitte sammelten die Argumente, die abschließenden zwei die Schlüsse.

Der lange Einzelabschnitt zwei schilderte nun die historische Entwicklung der Habsburgermonarchie. Als Zeugen rief Putney teils Gegner der Monarchie auf: Steed an erster Stelle, den Slawen Vosnjak mit dem Wunschtitel „A Dying Empire“50, den aktuellen „Reiseliteraten“ Schierbrand51 und den zwar anerkannten, aber überholten englischen Historiker Coxe (das zitierte Werk erschien am Ende des 18. Jahrhunderts). Der folgende kurze Einzelabschnitt bezeichnete die Slawen tatsächlich als die frühesten Bewohner des Gebietes (wohl der Monarchie), wobei Putney sogar die Abenteuer des Odysseus und Herodot heranzog. Als wissenschaftliche Autorität hielt wiederum Vosnjak her, und gemeinsam behaupteten sie ernsthaft, in der gesamten Monarchie fände sich keine einzige geographische Bezeichnung, die unbestritten vorslawischen Charakter hätte.

Auch das nächste Kapitel – Einteilung der Slawen – geriet kurz und berief sich auf ein Buch von Capek, dessen Titel nicht mehr Objektivität versprach als Vosnjak: „Bohemia under Habsburg Misrule“52. Die Gliederung unterschied zwei Haupt- und zwei Nebengruppen: Bei den zwei großen Gruppen handelte es sich um die Jugo-Slawen (umfassend Serben, Kroaten und Slowenen) und um die Czecho-Slowaken. Polen und Ukrainer sollten demnach wohl die „Neben-Slawen“ darstellen. Sogar eine fünfte slawische Nation entdeckte Putney, die Rumänen. Die Volkszahlen der Monarchie stimmten nicht (die Juden wurden als Deutsche gezählt), und die Erhebung der „Verkehrssprache“ (richtiger „Umgangssprache“) verfälschte das Bild nochmals gravierend („greatly overstate“).

Sehr lang hielt sich Putney dafür bei den Czecho-Slowaken auf (Sektion fünf). Hier stellte er zunächst einmal richtig fest, dass die drei Teile, die das alte Königreich ausmachten (Böhmen, Mähren und Schlesien), geographisch absolut zusammenhängen. Rund zwei Blätter lang zitierte er dann Dominian (obwohl umstritten Teil der „Inquiry“) und ließ sich dann bezüglich der Slowaken auf einen untauglichen Vergleich ein: In der Slowakei lebten viel weniger Nicht-Slowaken als Slowaken außerhalb der Slowakei (aber innerhalb der Monarchie). So gäbe es große slowakische Kolonien in Budapest und auch in Wien. In der Folge verlor er sich wieder in der Geschichte, gespickt mit Zitaten aus Vosnjak, Prutz (das hier verwendete Werk aus 1885 hieß komplett „Staatengeschichte des Abendlands im Mittelalter“53), (endlos) Capek und Zeller (auch dieses Buch – richtig „Histoire d’Allemagne“ – erschien 1885 auf Französisch54, wobei eine von Putney erwähnte englische Version zumindest in der Library of Congress nicht existiert). Ein Artikel im unverdächtigen „Christian Science Monitor“ erfuhr positive Würdigung, über die „Neue Freie Presse“ (Ausgabe 27. Dezember 1917) fiel Putney wieder her. Der behauptete Artikel von einem gewissen Fabius ließ sich nicht finden, ein inhaltlich entfernt ähnlicher jedoch auf Seite 15 der Ausgabe dieses Tages55. Der Abschnitt schloss mit zwei anonymen Bemerkungen aus einem „Intelligence Bureau“ und einer weiteren Kostprobe aus Capeck (!) und Vosnjak. Putney leitete die wirtschaftliche Bedeutung Böhmens aus dem Umstand ab, dass von den sieben US-Konsulaten in der Monarchie gleich drei in Böhmen eingerichtet waren. Auch das war falsch: Laut „Verzeichnis der Konsularämter“ residierten sechs Konsuln in Österreich und zwei in Ungarn56. Von den österreichischen lagen sogar vier in Böhmen (Prag, Reichenberg, Karlsbad und Haida), wobei Reichenberg und Karlsbad im deutschen Gebiet lagen und Haida eine Niederlassung der Wiener Lusterfirma Bakalowits beherbergte.

Es folgte die auch recht lange Abhandlung zur schlechten Behandlung der Tschechoslowaken durch Habsburg (Abschnitt sechs). Hier pochte Putney darauf, dass zu dieser Tatsache so viel publiziert worden wäre, dass er sich mit einer kleinen Auswahl begnügen konnte. Vier Arten von Delikten beging also die Monarchie gegenüber den Tschechen: Einschränkung der politischen Rechte, Einengung bei den Bildungseinrichtungen, Unterdrückung der Medien und mangelnde Unabhängigkeit der Gerichte. Nach dieser Feststellung ließ Putney einfach die von ihm (nicht einmal) sorgfältig gewählten Pamphlete für sich sprechen. Darauf machte er sogar in einer einleitenden Notiz ausdrücklich aufmerksam. Die Autoren waren Masaryk, Beneš, Capek und Pergler, somit Propagandisten. Doch auch die Referenz zu Masaryk stimmte nur bedingt, denn nicht der Text „Austrian Terrorism in Bohemia“ selbst kam aus Masaryks Feder, sondern nur das Vorwort57. Im Übrigen umfasste das Büchlein lediglich 38 Seiten und genügte keineswegs seriösen Ansprüchen. Als Herausgeber fungierte denn auch die Czech National Alliance in Great Britain, aber selbst da war sich die penible Library of Congress nicht so sicher (ebenso betreffend Ort und Jahr: London, 1916?).

Die Anschuldigungen wurden in zwei Unterabschnitten vorgetragen, in solche vor dem Krieg und in den Terror (!) während des Krieges. Die Tschechen internationalisierten damit vor allem den Sprachen- und Bildungsstreit. Den sechs Universitäten in Österreich (einschließlich Prag und Czernowitz) stand nur eine tschechische in Prag gegenüber. Dass sich die Studentenzahl an der tschechischen Universität in Prag stark vermehrte und die an der deutschen Hochschule stagnierte oder nur durch „Importe“ aus dem Ausland hielt, konnte doch nicht als Beweis für ungleiche Behandlung herhalten. Auch, dass weniger Deutsche in mehr Schulen Unterricht genossen und sich die Mehrheit in weniger Lehrstätten zusammendrängte, war ohne Hinweis auf den Trend irrführend, zumal ohnehin schon mehr tschechische Schulen existierten und der absolute Unterschied gering war (39 tschechische gegen 34 deutsche Schulen). Die ungleiche Sitzverteilung im Wiener Reichsrat beklagten die Tschechen mit einer nationalen Berechnung, die den Slawen insgesamt 310 statt 259 Mandaten (bei einer Gesamtzahl von 516) zuordnete. Dabei hatten alle slawischen Abgeordneten zusammen bereits jetzt eine Mehrheit gegenüber den deutschen (232).

(Nachdenklich mochten da die spärlichen Forschungen über das tatsächliche Befinden der Tschechen zuhause stimmen. Hier kommt eine beinahe zeitgenössische Studie (1936) zur Immigration in Cleveland zuhilfe. Der Autor Fordyce58 zeigt auf, dass sich die Hintergründe der tschechischen Einwanderung von der aller anderen Gruppen deutlich unterschieden: „The Czechs had won a mesasure of freedom from their Austrian rulers, … permitted to have better schools, the use of their own language, and an easier economic life.“ Ergo besser ausgebildete Menschen und sinkende Emigration, unter anderem. Zur gleichen Stadt publizierte noch zeitgenössischer (1919) Ledbetter59 eine Broschüre von 40 Seiten, der die Amerikanisierung der Einwanderer – es existierten ähnliche Hefte für andere Nationalitäten, Cleveland zeichnete sich durch eine besonders heterogen zusammengesetzte Bevölkerung aus – ein Anliegen war. Darin suchte man die sonst üblichen Angriffe auf die ursprüngliche Heimat vergeblich. Als Herausgeber fungierte das örtliche Komitee für Amerikanisierung und eine Gruppe von Beratern des Bürgermeisters, noch aus der Kriegszeit.)

Auch die nächste Sektion (sieben) rückte die Böhmen ins Zentrum; das Konvolut wollte zwar über die Slawen insgesamt erzählen, doch entglitt es nicht zuletzt durch die einseitige Auswahl der Quellen zu einer tschechischen Propagandaschrift. Immerhin stimmte ein Zitat (Hill), während das ausführlich kolportierte Buch eines Ladislav Dvorak (offenbar tschechischer Politiker) überhaupt nicht (nicht einmal in der Library of Congress) existierte und an dem Zitat aus der Zeitung Journal de Geneve (nicht Journal of Geneva) der angegebene Autor Albert Bonnard reine Fiktion gewesen sein dürfte.

Nach den Tschechen kamen doch noch die Südslawen dran, zunächst mit einem geschichtlichen Abriss, dem längsten Kapitel (acht) der ganzen Darstellung und dann mit der Schilderung der schlechten Behandlung durch Wien (Abschnitt neun). Auch hier war das Informationsangebot mangelhaft, Vosnjak tauchte wieder auf, den Slowenen sprach Putney jede Selbständigkeit ab (nur zusammen mit Serben und Kroaten; an anderer Stelle hätte er sie gar den deutschen Österreichern überlassen), und der neue Staat nahm gewaltige Ausmaße an: Serbien, Montenegro, Bosnien, Herzegowina, Dalmatien, Kroatien und Slawonien (einschließlich Fiume), Vojvodina, Istrien und Triest, Südkärnten und Untersteier, alles das gehörte zu Jugoslawien. Das untermauerte unter anderem Pamphlet Nummer 3 aus der Serie der Southern Slav Library (insgesamt sechs Titel) mit dem Titel „Sketch of Southern Slav History“60. Das als Quelle verwendete Buch von Edson Clark trug vermutlich den Titel „The Races of European Turkey“ und war schon 1878 in New York erschienen.

Der neunte Abschnitt stellte schon formal eine blasse Kopie der tschechischen Kapitel dar, selbst die Vorwürfe an Wien wiederholten sich bloß, ebenso die Methode bei Quellen (insbesondere Vosnjaks Pamphlete) und deren (einseitige) Nutzung. Auch die Struktur ähnelte dem Vorigen: Ungleiche Chancen für die Ausbildung, ungerechte Gerichtsverfahren schon in Friedenszeiten (Friedjungprozess, von Steed zu Recht gebrandmarkt, aber leider auch „ausgeschlachtet“), schwere Menschenrechtsverletzungen. Die letzten zwei der insgesamt elf Verfehlungen der österreichischen Militärbehörden betrafen die exilierten Südslawen, deren Eigentum im Land konfisziert wurde, die aber zumindest zum Teil immer noch Staatsbürger der Monarchie waren, darunter alle Mitglieder des nationalen Komitees in London. Als Grund dafür gab Putney richtig „Hochverrat“ an. Die Aufregung, dass sogar Leute darunter waren, die jetzt US-Bürger waren, richtete sich natürlich an den amerikanischen Leser: Biankini (der in Amerika eine zentrale Rolle unter den Immigranten einnahm und gegen Österreich wetterte), Michael Pupin (der viel später eine Art Autobiographie – „From Immigrant to Inventor“61 – schrieb), Graskovich. Das Kapitel brandmarkte schließlich das österreichische Recht, das – wie wohl auch andere Rechtsordnungen – denjenigen schwere Strafen androhte, die in einer feindlichen Armee gegen die Heimat kämpften. Auch die behauptete „neutrale Unparteilichkeit“ von Reiss und Kuhne wäre anzuzweifeln. Reiss entpuppte sich als großer Freund Serbiens, der zunächst in dessen Auftrag einen Report zu Kriegs­gräueln erstellte, dann in dessen Armee eintrat und sich nachher im Land auf Dauer niederließ. Der Italiener Scianna62 beurteilte in einer slawischen Fachzeitschrift den Deutschen (!) Rudolf Archibald Reiss relativ neutral: Er machte zwar Grausamkeiten der Österreicher auf dem Balkan aus, entdeckte jedoch letztlich keine Taten, die man heute mit „ethnic cleansing“ gleichsetzt: „Certainly there was no violence for the sake of violence … each side struggled when it came to properly treating prisoners of war.“63 Kuhne wäre ein weiteres Beispiel für den Einfluss von Quellen in der Kongressbibliothek in Washington auf Leute wie Putney. Kuhnes Bücher lagen mit einer Ausnahme („Bulgaria self-revealed“) im französischen Original64 auf, befassten sich mit dem Balkan (Bulgarien, Mazedonien) und stammten aus der Zeit des Weltkriegs.

Untersuchen wir die Abschnitte zehn bis vierzehn nur im Hinblick auf den Korridor, somit zwölf (strategische Bedeutung des Territoriums von Jugoslawien) und vierzehn (Streit zwischen Italien und Jugoslawien). Im ersteren Fall begnügte sich Putney mit zwei Zitaten, eines ausführlich aus Vosnjaks „Dying Empire“ und ein kurzes aus Neumanns „Mitteleuropa“. Kapitel 14 könnte da mehr hergeben, doch auch dieses bestand vor allem aus einem Zitat aus einer anderen Schrift Vosnjaks („A Bulwark Against Germany“), einem Auszug der österreichischen Statistik und einem Korrespondentenbericht (John F. Bass) ohne Quelle. Dann erwähnte Putney die „Hinterland“-Doktrin, nach der alle über einen Adriazugang verfügen sollten, und schloss mit dem bemerkenswerten, indirekt formulierten Urteil: „… the cause of World Democracy would not be advanced by the transfer of a large body of Jugo-Slavs from Austrian to Italian rule.“ Jedoch vom Korridor keine Spur, dabei strich sein „Einflüsterer“ Pergler schon 1917 in „Heart of Europe“ die Umgrenzung dieses Konstrukts hervor. Vergaß Pergler gegenüber Putney auf den Korridor oder griff dieser diese Idee nicht auf?

Nun verbleiben drei Kapitel: Dualismus und slawisches Problem, Möglichkeit einer gerechten Behandlung der Slawen in der Monarchie, Gründe für das Eintreten der USA zugunsten der Slawen. Die USA waren im Mai 1918 nicht mehr neutral, Putneys Order lautete, die slawenfreundliche US-Haltung abzusichern. Abschnitt 15 baute ausschließlich auf Steeds Buch „The Hapsburg Monarchy“65 auf. Darin führte der Brite den Dualismus von 1867 als Ursache für die Ungleichbehandlung der Slawen an. Kapitel 16 verneinte die Möglichkeit, dass den Slawen in Österreich jemals Gerechtigkeit widerfahren könnte und stützte sich dabei auf anonyme Berichte (Putney zitierte seitenweise den englischen Nachrichtendienst und einen nicht bezeichneten amerikanischen Zeitungsartikel). Dieser Abschnitt schloss mit einer Erklärung des serbischen Ministerpräsidenten Pachitch (!).

Einzig Schierbrand korrigierte das einseitige Bild, das sich Putney zwangsläufig zurechtbiegen musste. Der Band „Austria-Hungary: The Polyglot Empire“ (im Bestand der Library of Congress)66, entstand aus den persönlichen Erfahrungen des Autors. Wolf Schierbrand verbrachte ab 1912 vier Jahre – und somit zwei davon während des Krieges – in der Monarchie. Im Jahr 1917 druckte dann „The North American Review“ auch seinen kurzen Bericht über die Ernährungssituation in Österreich67. Das Inhaltsverzeichnis mit insgesamt 19 Kapiteln ließ erst gar nicht ein weiteres Werk zum Krieg erwarten: Schierbrand streifte die politische Situation (Zentralismus gegen Dezentralismus, Rückständigkeit) und die wirtschaftlichen Schwierigkeiten, die der Krieg mit sich brachte, schilderte die Hilfe für die Verwundeten und schreckte auch nicht vor dem Besuch von Lagern (Eger, Theresienstadt, Wels) zurück. Er war in Wien auch unter Amerikanern gut verankert, und von Botschafter Penfield enthüllte er die Bemerkung – nach dem Besuch von Wasserfällen in Kärnten –, wie reich das Land sein könnte, würde es das Wasser für Elektrizität nutzen, wie es sein Land mit Niagara geschafft hätte. Sein Kapitel IV begann Schierbrand mit einer von Roosevelt überlieferten Bemerkung, die der Kandidat 1912 in St. Paul, Minnesota, gemacht hatte: Warum vertrügen sich die Immigranten aus der Monarchie in Amerika gut und wandelten sich in ordentliche US-Bürger, während sie in der Heimat miteinander im Streit lägen? In der Tat, wunderte sich auch Schierbrand, warum funktionierte der „Melting Pot“ in Amerika und nicht in Europa? Sogleich fügte er an, außerhalb der Monarchie gäbe es eine vollkommene „Misconception“ von diesem Problem. Schierbrands „Concluding Remarks“ konzentrierten sich auf das Schicksal des Reiches. Könnte es eine Art „United States“ werden, mit Autonomie für Völker und Provinzen? Vor allem die Tschechen bewiesen durch Desertion, dass sie nicht wie bisher weitermachen wollten. Schierbrand rang sich trotz Ratlosigkeit zu bemerkenswerten Schlüssen durch: Österreich konnte nicht von Deutschlands Seite weichen, Versuche in diese Richtung wären daher ohne Chance; die Monarchie stände vor einer kompletten Neuorganisation, der Weg zurück zum Zentralismus gehörte der Vergangenheit an; die Österreicher sprächen zwar Deutsch, aber zum Deutschen Reich wollten sie nicht gehören.

Im Schlusskapitel behauptete Putney, das Prinzip der Nichteinmischung könnte wegen der Slawenfrage nicht auf Österreich-Ungarn angewendet werden. Österreich wäre nämlich gar keine Nation („belegt“ mit diffusen Zitaten aus 1866). Die Slawen könnten sich Amerika auch selbst zunutze machen, umgekehrt würde es den Slawen helfen, wenn – was Washington dann auch tat – deren Wünsche auf „Sympathie“ stießen. Sechs Gründe drängten in diese Richtung: „Slawische Legionen“ verstärkten die alliierten Verbände; Kriegsgefangene in Russland fühlten sich zum Widerstand gegen ihre Heimat ermutigt; diese Gefangenen dienten zugleich als aktive Propagandisten; eine Sympathiebekundung des Auslands zettelte Streiks in der Monarchie an; sie förderte zumindest passiven Widerstand; die bis zu drei Millionen starke Gruppe slawischer Einwanderer in die USA erhöhten ihre Anstrengungen. Putney warnte dann vor deutscher Unterstützung der neuen russischen Regierung und Zugeständnissen, die Österreich den Slawen gewähren würde, um diese doch noch davon abzuhalten, sich von der Monarchie loszusagen. Der humanitäre Standpunkt zeigte, dass „keine Rasse amerikanische Sympathie und Unterstützung mehr verdiente als die Slawen“. Solange die Slawen von Habsburg beherrscht würden, wäre die Welt nicht „safe for Democracy“.

Das (Mach-)Werk Putneys vom 9. Mai 1918 bildete die Grundlage für die offizielle Erklärung der USA (abgegeben am 29. Mai), für die slawischen Ambitionen gegenüber der Doppelmonarchie „Sympathie“ zu empfinden. Unmittelbar nach Empfang des „Gutachtens“ hatte Außenminister Lansing die Frage an Wilson gerichtet, ob die USA nun weiter für den Erhalt des Reiches eintreten würden oder sich endlich mit dessen Auflösung anfreundeten. Am 3. September anerkannten die USA eine „Tschechoslowakei“ als gegen Österreich Krieg führende Macht, im Oktober folgte der Notenwechsel zwischen Wilson und Karl, in dem der US-Präsident weitere Kontakte zur Zukunft der Monarchie ablehnte. Die vormals innere Angelegenheit war zur äußeren geworden. Wie konnte es dazu nur kommen?

2. Frederick Courtland Penfield, letzter US-Botschafter im habsburgischen Wien

Als Woodrow Wilson, Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika, am 29. Juli 1913 einen Brief an Franz Joseph I., Kaiser von Österreich, schrieb, sprach er ihn als „Great and Good Friend“ an. Darin kündigte Wilson die Ankunft von Frederick Courtland Penfield an, der „near the government of his majesty“ als „ambassador extraordinary and plenipotentiary“ residieren sollte. Wilson hätte diesen „distinguished citizen“ als „well informed of the relative interests of the two countries“ ausgewählt68. Da der Kaiser den Sommer wie üblich in der Provinz verbrachte (Bad Ischl war sein bevorzugter Aufenthalt) und Penfield zu einem Urlaub in Karlsbad69 weilte, verzögerte sich sein formeller Empfang auf den 26. September, in Begleitung der Herren Grant-Smith und Frazier als Dolmetscher. Das Wiener Diplomatischen Register vom 1. Jänner 1914 führte unter „Amerika, Vereinigte Staaten“ Penfield als Botschafter an der Adresse Wohllebengasse 9 im vierten Wiener Gemeindebezirk70.