Der Pfad der Adlerkrieger - Jin Yong - E-Book

Der Pfad der Adlerkrieger E-Book

Jin Yong

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Beschreibung

Nach dem Guo Jing in drei Prüfungen die Hand seiner geliebten Huang Rong gewonnen hat, wird er auf hoher See in eine tödliche Falle gelockt. Mit knapper Not gelingt es ihm, sich ans Festland zu retten, doch dort lauern bereits neue Gefahren: Jin-Prinz Wanyan Honglie zieht seine Truppen zusammen, und auch das kriegerische Reitervolk der Mongolen rückt immer näher. Um seine Heimat zu retten muss Guo Jing um jeden Preis verhindern, dass die Schriften eine legendären Generals seinen Feinden in die Hände fallen ...

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Seitenzahl: 702

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Das Buch

Nachdem Guo Jing, der Krieger mit dem Herz aus Gold, in drei Prüfungen die Hand Huang Rongs errungen hat, wird er von seinem künftigen Schwiegervater auf hoher See in eine tödliche Falle gelockt. In letzter Sekunde wird Guo Jing von Ouyang Feng gerettet, doch der hat es einzig auf Den Wahren Weg der Neun Yin abgesehen, dessen Geheimnisse Guo Jing auswendig gelernt hat, ohne jedoch ihre Bedeutung zu verstehen. Feng hat vor Guo Jing zu töten, sobald der ihm alles verraten hat, was er weiß. Der schurkische Großmeister hat jedoch nicht mit Huang Rong gerechnet, die ihrer großen Liebe hinterhergesegelt ist und das schlimmste gerade noch verhindern kann.

Während Guo Jing und der Kung-Fu Großmeister um Den Wahren Weg der Neun Yin kämpfen, braut sich auf dem Festland ein Krieg zwischen den Jin und den Song zusammen. Um das Song-Reich endgültig zu unterwerfen und um sich selbst gegen vorrückende Reitervolk der Mongolen zu wehren, setzt Guo Jings Erzfeind, der Jin-Prinz Wanyan Honglie, alles daran, die Schriften des legendären Song-Generals Yue Fei in seinen Besitz zu bringen. Mit den darin enthaltenen Kriegslisten wären die Jin so gut wie unbesiegbar und Guo Jings Heimat für immer verloren …

Der Pfad der Adlerkrieger ist die packende Fortsetzung zu Jin Yongs großer Fantasy-Saga, die seit ihrem Erscheinen Generationen von Leserinnen und Lesern in ganz Asien begeistert und inzwischen zu den großen Klassikern der modernen chinesischen Literatur zählt.

Der Autor

Jin Yong wurde 1924 in Haining, China, geboren. Er studierte kurze Zeit an der Zentralen Politischen Hochschule in Chongqing und war anschließend als Übersetzer und Zeitungsredakteur tätig. 1955 veröffentlichte er seinen ersten Roman, dem noch viele weitere folgen sollten. Jin Yongs Hauptwerk Die Legende der Adlerkrieger hat sich über 100 Millionen mal verkauft, wurde mehrfach verfilmt sowie in zahlreiche Sprachen übersetzt und gilt in China als Meilenstein der Kung-Fu-Literatur. In Hongkong gibt es sogar ein eigenes Jin-Yong-Museum. Der Autor starb 2018 im Alter von 94 Jahren.

»Der chinesische Herr der Ringe!«

IRISHTIMES

»Jin Yong hat in der chinesischen Literatur die Bedeutung wie J. R. R. Tolkien und George R. R. Martin in der westlichen.«

THEGUARDIAN

»Lassen Sie sich verzaubern!«

DAILYMAIL

Jin Yong

DER PFAD DERADLERKRIEGER

Roman

Aus dem Chinesischen übersetztund mit einem Glossar von Karin Betz

WILHELM HEYNE VERLAGMÜNCHEN

Titel der chinesischen Originalausgabe:

射雕英雄傳 3

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.

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Deutsche Erstausgabe 09/2022

Redaktion: Kristof Kurz

Copyright © 1959, 1976, 2003 by Jin Yong (Louis Cha)

Copyright © 2022 der deutschsprachigen Ausgabe und der Übersetzungby Wilhelm Heyne Verlag, München,in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH,Neumarkter Straße 28, 81673 München

Die Übersetzerin dankt dem Deutschen Übersetzerfonds e. V.für die großzügige Unterstützung ihrer Arbeit durch ein Stipendium.

Umschlaggestaltung: DAS ILLUSTRAT GbR, München,unter Verwendung einer Illustration von Lee Chi Ching

Satz: Schaber Datentechnik, Austria

ISBN: 978-3-641-28015-4V001

www.heyne.de

Inhalt

Personenverzeichnis

1    Das gefälschte Neun-Yin-Handbuch

2    Ein tonnenschwerer Felsbrocken

3    Auf dem Rücken eines Hais

4    Großer Aufruhr im Palast

5    Meditation in der Geheimkammer

6    Eine verlassene Schenke in einem abgeschiedenen Dorf

7    Alte Seilschaften und neue Bündnisse

8    Die Felsterrasse des Gelben Kaisers

9    Auf dem Eisenfaustberg

Glossar der Übersetzerin

Personenverzeichnis

PROTAGONISTEN

Guo Jing, Sohn von Guo Xiaotian und Li Ping; aufgewachsen im Klan von Dschingis Khan in der Mongolei; Schüler der Sieben Sonderlinge des Südens

Huang Rong, Tochter von Ketzer des Ostens Huang Yaoshi und gewitzte Kung-Fu-Kämpferin

Wanyan Kang (Yang Kang), Sohn Yang Tiexins und Bao Xiruos; aufgewachsen als Adoptivsohn des Jin-Prinzen Wanyan Honglie

Mu Nianci, Adoptivtochter Yang Tiexins

DIEFAMILIENGUOUNDYANGAUSNIU

Guo Xiaotian, Nachfahre von Guo Sheng (einem der legendären Räuber vom Liangshan-Moor)

Yang Tiexin, Schwurbruder Guo Xiaotians, Nachfahre des Helden Yang, der unter General Yue Fei gedient hat

Bao Xiruo, Yang Tiexins Frau, Mutter von Yang Kang

Li Ping, Guo Xiaotians Frau, Mutter von Guo Jing

DIESIEBENSONDERLINGEDESSÜDENS

Ke Zhen’e, der Bezwinger allen Übels, genannt Fliegende Fledermaus

Zhu Cong, der Gelehrte, genannt Wunderhand

Han Baoju, der Reiterkönig, genannt Hüter der Ställe

Nan Xiren, der Holzhacker, genannt Holzfäller der südlichen Berge

Zhang Asheng, der Metzger, genannt Lachender Buddha

Quan Jinfa, der Herrliche, genannt Heimlicher Held des Marktplatzes

Han Xiaoying, die Fischerin, genannt Meisterin des Yue-Schwerts

DIEFÜNFGROSSMEISTERDESJIANGHU

Wang Chongyang, Magier der Mitte

Huang Yaoshi, Ketzer des Ostens

Ouyang Feng, Gift des Westens

Hong Qigong, Bettler des Nordens

Duan Zhixing, König des Südens

DIEDAOISTEN

Wang Chongyang, Magier der Mitte, genannt Zweifache Sonne; einer der fünf Großmeister des Jianghu, Begründer der Quanzhen-Kung-Fu-Schule der Daoisten

Zhou Botong, genannt Alter Kindskopf; Nachfolger Wang Chongyangs

Die Sieben Jünger der Quanzhen-Schule:

Ma Yu, genannt Zinnoberrote Sonne

Tan Chuduan, genannt Ewige Wahrheit

Qiu Chuxuan, genannt Langes Leben

Qiu Chuji, genannt Ewiger Frühling

Wang Chuyi, genannt Jadesonne

Hao Datong, genannt Große Ruhe

Sun Bu’er, genannt Wandelnde Klarheit

Yin Zhiping, Novize, Schüler Qiu Chujis

Cheng Yaojia, Schülerin Sun Bu’ers

SCHULEDERPFIRSICHBLÜTENINSELDESOSTMEERS

Huang Yaoshi, Ketzer des Ostens; einer der fünf Großmeister des Jianghu

Seine Schüler:

Mei Chaofeng, genannt Eisenleiche

Chen Xuanfeng, genannt Kupferleiche

(Zusammen bekannt als die Zwillingsmörder der Dunklen Winde)

Qu Lingfeng

Lu Chengfeng

Wu Baifeng

Feng Qianfeng

DERBETTLERKLAN

Bettlerfürst Hong Qigong, der Bettler des Nordens, einer der fünf Großmeister des Jianghu

Die Klanältesten

Lu Youjiao, Der mit den Füßen, Ältester der Schmutzbettler

Liang, Ältester der Sauberbettler

Ältester Jian, Ältester der Sauberbettler

Ältester Peng, Ältester der Sauberbettler

Hauptmann Li Sheng, der Schlangenkönig des Ostufers

Yu Zhaoxing

BEWOHNERDESWANDERWOLKENPALASTS

Gutsherr Lu Chengfeng, genannt Krüppel von den Fünf Seen; Gelehrter und Herr des Wanderwolkenpalasts

Lu Guanying, Sohn von Gutsherr Lu; Schüler der buddhistischen Shaolin-Schule; Befehlshaber der Piraten des Tai-Sees

DIEMONGOLEN

Temüjin, der Große Khan, später Dschingis Khan

Tolui, vierter Sohn des Khans; Schwurbruder (Anda) Guo Jings

Khojin, Tochter des Khans

Jebe, einer der Generäle Dschingis Khans; berühmter Bogenschütze

Borokhul, einer der Generäle Dschingis Khans

JIN-KAISERHAUS (JURCHEN), Eroberer Nordchinas mit der Hauptstadt Zhongdu (vordem Yanjing, heute Peking)

Wanyan Honglie, der Sechste Prinz von Jin, Titel König Zhao

Wanyan Kang, Adoptivsohn Wanyan Honglies

KAMPFKÜNSTLERIMGEFOLGEWANYANHONGLIES:

Ouyang Ke, Meister vom Weißen Kamelhügel; Neffe von Gift des Westens Ouyang Feng

Sha Tongtian, der Drachenkönig vom Dämonentor

Hou Tonghai, der Dreigehörnte Drache

Liang Ziweng, der Ginseng-Unsterbliche

Peng Lianhu, der Metzger der tausend Hände

Lobsang Choden Rinpoche, Lama Ewige Weisheit

Qiu Qianren, genannt Wasserwandler mit der Eisenfaust, Anführer der Eisenfaustbande

Die vier Dämonen des Gelben Flusses, Schüler Sha Tongtians:

Shen Qinggang, genannt Seelensäbel

Wu Qinglie, genannt Todesspeer

Ma Qingxiong, genannt Teufelspeitsche

Qian Qingjian, genannt Unheilsaxt

射雕英雄傳

DER PFAD DER ADLERKRIEGER

竄改經文

1

Das gefälschte Neun-Yin-Handbuch

Bettlerfürst Hong und Guo Jing sahen Zhou Botong nach, der von Ouyang Feng und seinem Neffen zu einer Kabine am Heck des Schiffs gebracht wurde. Sie selbst folgten vier weiß gekleideten Damen zu einer Kabine am Schiffsbug, um die Kleider zu wechseln.

»So sehr hat man mich alten Bettler aber lange nicht verwöhnt!« Lachend streifte Hong Qigong die nassen Sachen ab, bis er völlig nackt war, und ließ sich von einer der Frauen trocken rubbeln.

Guo Jing lief rot an.

»Keine Angst, mein Junge, sie werden dich schon nicht auffressen.«

Zwei Frauen traten auf Guo Jing zu, zogen ihm die Schuhe aus und öffneten seinen Gürtel. Hastig legte er Strümpfe und Oberkleider ab, sprang auf das Bett und schlüpfte unter die Decke, um sich dort selbst die Unterkleider auszuziehen. Hong Qigong lachte schallend und auch die Frauen hielten sich kichernd die Hände vor den Mund.

Als die beiden wieder trockene Kleidung trugen, brachten ihnen zwei weitere Frauen große Tabletts mit Reis und einer Auswahl feiner Speisen. »Ein kleiner Imbiss für die Herren.«

»Fort mit euch!« Bettlerfürst Hong scheuchte die Frauen mit einer Handbewegung hinaus. »Beim Anblick solcher Schönheiten bekomme ich keinen Bissen runter.«

Die Frauen lächelten und verließen die Kabine. Der Bettler schnüffelte am Weinkrug und an den Gerichten. »Rühr bloß nichts davon an«, flüsterte er Guo Jing zu, sobald sie die Tür hinter sich geschlossen hatten. »Der Alte Giftmolch steckt voller Heimtücke. Iss nur den Reis.« Er entkorkte seinen eigenen Flaschenkürbis und nahm zwei kräftige Schlucke Schnaps. Dann schaufelten die beiden je drei Schüsseln Reis in sich hinein. Die Platten mit den anderen Gerichten versteckten sie unter den Bodenplanken.

»Was sie wohl mit Bruder Botong vorhaben?«, fragte Guo Jing.

»Nichts Gutes, so viel ist sicher. Diesmal sitzt der Alte Kindskopf so richtig in der Tinte.«

Es klopfte und eine der weiß gekleideten Frauen steckte vorsichtig den Kopf zur Tür herein. »Herr Zhou bittet den jungen Herrn Guo zu sich in die hintere Kabine.«

Guo Jing warf seinem Meister einen fragenden Blick zu und folgte der Frau über Backbord zum Schiffsheck. Zaghaft klopfte sie an die Kabinentür und wartete einen Augenblick, bevor sie sie öffnete. »Ich bringe Junker Guo.«

Guo Jing betrat die Kabine und hinter ihm schloss sich die Tür. Der Raum war leer. Seltsam!, sagte er sich, doch schon ging mit einem Ruck eine seitliche Schiebetür auf und die beiden Ouyangs traten ein. »Wo ist Bruder Botong?«, fragte Guo Jing.

Noch während Ouyang Feng mit der einen Hand die Tür hinter sich zuschob, hatte er unversehens mit der anderen Hand Guo Jing am Handgelenk gepackt. Ein stechender Schmerz durchzuckte Guo Jings Arm. Ouyang Fengs Griff war wie eine eiserne Handfessel. Jetzt versetzte ihm Ouyang Ke mit seinem Eisenfächer flink einen gezielten Schlag auf den zentralen Nervenpunkt am Rücken.

Was wird hier gespielt? Völlig überrumpelt und unfähig, sich zu bewegen, stand Guo Jing da.

Ouyang Feng lächelte kühl. »Der Alte Kindskopf hat nicht getan, was ich von ihm verlangt habe, obwohl er unsere Wette verloren hat.«

Guo Jing brachte nur ein fragendes Grunzen hervor.

»Ich wollte, dass er den Wahren Weg der Neun Yin aus dem Gedächtnis für mich niederschreibt. Aber entgegen unserer Abmachung hat er sich geweigert.«

Als ob er zulassen würde, dass dir das Handbuch in die Hände fällt!, dachte Guo Jing. »Was ist mit Bruder Botong?«, brachte er mühsam hervor.

»Nun, hatte er nicht versprochen, dass er über Bord springt und sich den Haien zum Fraß vorwirft, wenn er unsere Abmachung bricht? In dieser Hinsicht hat er immerhin Wort gehalten, hahaha!«

»Er hat …?« Guo Jing war fassungslos. Er wollte sich losreißen und hinausrennen, aber Ouyang Fengs eiserner Griff ließ sich nicht abschütteln. Ouyang Ke schlug ihm noch einmal auf den Nervenpunkt am Rücken und Guo Jing fühlte seinen ganzen Körper taub werden.

Ouyang Feng deutete auf einen Tisch, auf dem Papier, Tusche und Pinsel bereitlagen. »Du bist jetzt der Einzige auf der Welt, der das Neun-Yin-Handbuch auswendig kennt. Schreib es auf.«

Guo Jing schüttelte den Kopf. Ouyang Ke grinste verächtlich. »Das Essen, das du dir gerade mit dem alten Bettler hast schmecken lassen, war vergiftet. Ohne das Gegenmittel meines Onkels werdet ihr in einem halben Tag so tot sein wie die Haie vorhin. Wenn du dich fügst, werden wir dein Leben und das deines Meisters selbstverständlich verschonen.«

Wie gut, dass mein Meister so umsichtig war, seufzte Guo Jing innerlich, diese Kerle hätten uns umgebracht! Der Gedanke jagte ihm kalte Schauer über den Rücken. Er bedachte Ouyang Feng mit einem wütenden Blick. Du magst ein Großmeister der Kampfkunst sein, aber deine Niedertracht ist schändlich.

Ouyang Feng wurde ungeduldig. »Du hast das Handbuch doch ohnehin auswendig gelernt, was ist also dabei, es aufzuschreiben? Warum so zögerlich?«

»Ihr habt meinen Schwurbruder getötet«, sagte Guo Jing kühl. »Meine Verachtung für Euch ist so unermesslich wie der Ozean. Wenn Ihr mich töten wollt, dann tötet mich eben, aber ich denke nicht im Traum daran, mich Eurem Willen zu beugen!«

»Du bist ein tapferer junger Mann, keine Frage. Aber auch wenn du selbst keine Angst vor dem Tod hast, willst du dann nicht wenigstens das Leben deines Meisters retten?«

Guo Jing wollte eben etwas entgegnen, als mit einem lauten Krachen die Kabinentür zersplitterte. Ouyang Feng schnellte herum und sah sich dem Bettler gegenüber, der zwei große Holzbottiche auf den Händen balancierte. Im nächsten Augenblick kippte er jeweils einen Schwall Meerwasser über die beiden Ouyangs. Ouyang Feng sprang zur Seite und zog dabei Guo Jing mit sich, dessen Handgelenk er weiter fest umklammert hielt. Der Wasserschwall klatschte gegen die Kabinenwand und spritzte in alle Richtungen. Ouyang Ke schrie auf. Der Bettler hatte ihn am Kragen gepackt. Er baumelte in der Luft, die Füße eine Elle über dem Boden.

Der Bettler lachte. »Du willst mir partout den Garaus machen, Alter Giftmolch, aber der Himmel scheint es nicht zu erlauben!«

Beim Anblick seines Neffen in der Hand des Bettlers stimmte Ouyang Feng mildere Töne an. »Aber, aber, Bruder Hong, willst du schon wieder dein Kung-Fu mit meinem messen? Warten wir doch ab, bis wir wieder auf dem Festland sind.«

»Du scheinst einen Narren an meinem Schüler gefressen zu haben, Alter Giftmolch. Oder warum willst du seine Hand nicht loslassen?«

»Du warst Zeuge, dass ich die Wette gegen den Alten Kindskopf gewonnen habe, oder etwa nicht? Aber er hat sein Wort nicht gehalten. Das gehört sich nicht, findest du nicht auch?«

Der Bettler nickte. »So weit, so wahr. Wo ist er jetzt?«

»Bruder Botong ist … sie haben ihn gezwungen, ins Meer zu springen!«, stieß Guo Jing verzweifelt hervor.

Entsetzt rannte der Bettler, ohne Ouyang Ke loszulassen, hinaus auf das Deck. Aber es war bereits stockfinster und er sah nichts als wogende, nachtschwarze Wellen. Keine Spur von Zhou Botong.

Ouyang Feng lief ihm hinterher. Er hielt Guo Jing immer noch an der Hand gepackt. »Dein Kung-Fu lässt doch noch arg zu wünschen übrig, junger Mann!«, meinte er verächtlich und ließ ihn los. »Lässt dich mit einem Griff unschädlich machen. Pah! Du solltest noch weitere zehn Jahre mit deinem Meister üben, bevor er dich allein durch den Jianghu ziehen lässt!«

Guo Jing scherte sich nicht um seine Häme. So schnell er konnte, kletterte er auf den Mast und hielt besorgt nach seinem Schwurbruder Ausschau.

Der Bettler schleuderte Ouyang Ke zu seinem Onkel zurück. »Du hast den Alten Kindskopf in den Tod geschickt. Die Rache der Quanzhen-Jünger ist dir sicher, Alter Giftmolch. Gegen die vereinten Kräfte der sieben Daoisten wird dir auch deine große Kampfkunst nichts nutzen.«

Ouyang Ke war wieder sicher auf den Füßen gelandet. Elender alter Bettler!, dachte er. Morgen um diese Zeit wird das Gift seine Wirkung zeigen und du wirst auf Knien um dein Leben flehen.

»Du warst Zeuge unserer Wette und wirst dich nicht um deine Verantwortung drücken können«, sagte Ouyang Feng lächelnd.

»Gewiss nicht. Ich werde dabei sein, wenn die Daoisten dich heimsuchen und dir mit meinem Hundestock den Rest geben.«

Ouyang Feng legte die Hände zusammen, verbeugte sich und verschwand in der Kabine.

Guo Jing hielt weiter nach Zhou Botong Ausschau. Weder Mond noch Sterne erhellten die Nacht, nichts außer der weißen Gischt auf den Wellen war zu erkennen. Enttäuscht glitt er den Mast wieder hinunter und erzählte seinem Meister, dass der Alte Giftmolch ihn hatte zwingen wollen, den Text des Handbuchs niederzuschreiben. Hong Qigong nickte nur schweigend. Wenn der Alte Giftmolch sich einmal etwas in den Kopf gesetzt hat, lässt er so schnell nicht locker, dachte er. Er wird keine Ruhe geben, bis er im Besitz des Handbuchs ist. Mein Schüler wird ihn niemals loswerden.

Beim Gedanken an seinen toten Schwurbruder brach Guo Jing in Tränen aus. Auch der Bettler war bedrückt. Sie segelten zwar mit flotter Geschwindigkeit gen Westen, würden aber mindestens noch einen Tag auf See verbringen müssen. Da sie dem Essen, das die Ouyangs ihnen vorsetzten, nicht trauen konnten, brach der Bettler kurzerhand in die Kombüse ein, stahl etwas von den Vorräten und stopfte sich zusammen mit Guo Jing den Bauch voll. Bald darauf fielen sie in tiefen Schlaf.

Ouyang Feng und sein Neffe warteten bis zum darauffolgenden Nachmittag. Ihre beiden Gäste gaben kein Lebenszeichen von sich. Hatte er zu viel Gift genommen und die beiden versehentlich getötet? Dass der Bettler das Zeitliche segnete, wäre Ouyang Feng höchst willkommen, aber mit Guo Jing ginge auch das Handbuch verloren. Der Hand des Alten Ketzers Huang würde er es nie und nimmer entreißen können. Verstohlen spähte er durch die Türritze in die Kabine der beiden und sah, wie Meister und Schüler fröhlich dahockten und plauderten. Der Bettler dozierte wie immer laut und wohltönend. Verflucht! Der alte Bettler hat meinen Plan durchschaut!, dachte er. Nun musste er sich etwas anderes einfallen lassen, um Bettler Hong auszuschalten, ohne Guo Jing zu schaden.

Hong Qigong war gerade dabei, Guo Jing alles über den Bettlerklan zu erzählen und wie es kam, dass die Bettler, obwohl sie selbst von Almosen lebten, im Namen der Gerechtigkeit für das Volk stritten und sich stets für die Schwachen und Unterdrückten einsetzten. Schließlich erklärte er ihm die Regeln, nach denen die Nachfolge des Bettlerfürsten bestimmt wurde. »Zu schade, dass du nicht wie ein Bettler lebst, mein Junge. Keiner aus meinem Klan kann es mit dir an Rechtschaffenheit aufnehmen. Zu gern würde ich einem wie dir meinen Hundestock vermachen.«

Dumpfe Schläge unterbrachen sein fröhliches Geplauder. Holz splitterte. Axthiebe? Der Bettler sprang auf. »Das verheißt nichts Gutes. Will der Hundsfott etwa das Schiff versenken?« Er rannte zur Tür. »Schnell, wir schnappen uns den kleinen Sampan am Heck!«

In diesem Augenblick durchschlug eine Axt die Holzwand knapp über dem Kabinenboden, aber was hereinströmte, war kein Meerwasser.

»Der Alte Giftmolch hetzt seine Schlangen auf uns! Na warte«, höhnte der Bettler. Mit einem Schwung aus dem rechten Handgelenk ließ er einen Regen aus stählernen Nadeln auf die zischelnden Schlangen niedergehen und nagelte damit Dutzende davon an den Planken fest. Die Tiere krümmten sich vor Schmerz und verstummten. Schon Huang Rong beherrscht die Kunst des Himmels voller Tautropfen nicht schlecht, aber Meister Hong ist viel besser, dachte Guo Jing bewundernd.

Immer mehr Schlangen folgten und wurden vom Bettler mit geschickten Nadelwürfen aufgespießt. Doch Flötentöne von draußen trieben immerzu neue Schlangen in die Kabine.

»Zu freundlich vom Alten Giftmolch, mir so viel Gelegenheit zur Zielübung zu verschaffen!«

Der Bettler griff in seine Taschen, um mehr Nadeln hervorzuholen, und erschrak. Er hatte kaum noch Nachschub. Was nun? In diesem kurzen Augenblick des Zögerns flogen krachend die beiden Türflügel auf und eine Handkante sauste auf Hongs Rücken zu.

Guo Jing, der neben seinem Meister stand, spürte den Luftzug des brutalen Hiebs. Ohne sich umzudrehen, legte er die Handflächen aufeinander, nahm alle Kraft zusammen und wehrte den Schlag ab. Ouyang Feng schnappte überrascht nach Luft und holte zu einem horizontalen Schlag aus, den Guo Jing kaum würde abwehren können. Dieser täuschte mit seiner Rechten an und zielte mit der Linken auf Ouyang Fengs Schulter, doch der duckte sich rasch weg und attackierte Guo Jings Handgelenk. Die Lage war brenzlig. Wenn Ouyang Feng die Kabinentür öffnete, würden noch mehr giftige Schlangen hereinströmen. Mit aller Kraft wehrte Guo Jing mit der Linken Ouyang Feng ab, während er mit der Rechten angriff und dabei unbewusst Zhou Botongs Kunst des beidseitigen Kampfs anwendete. Ouyang Feng zögerte kurz. Was war das für eine Technik? Dergleichen hatte er noch nie gesehen. Prompt gewann Guo Jing vorübergehend die Oberhand über den ihm weit überlegenen Kampfkunstmeister. Es dauerte jedoch nicht lange, bis Gift des Westens die ungewöhnliche Methode zu kontern verstand. Ein Großmeister seines Rangs war eben immer noch mehr als doppelt so stark wie ein Guo Jing.

»Ha!« Ouyang Feng attackierte mit zwei Hieben gleichzeitig. Unfähig, ihn mit nur einer Hand aufzuhalten, wich Guo Jing zurück und landete inmitten der zischelnden Schlangen.

»Wunderbar! Hervorragend!«, rief der Bettler vergnügt. »Du willst ein Großmeister sein, Alter Giftmolch? Nicht einmal mit meinem Schüler kannst du es aufnehmen!«

Ein Sprung und Guo Jing flog mit Der Drache steigt in den Himmel über die Köpfe der beiden hinweg und versetzte Ouyang Ke, der hinter seinem Onkel aufgetaucht war, einen Tritt. Gleichzeitig wollte er Ouyang Feng den Ellbogen in den Rücken stoßen. Dieser wich aber rasch zur Seite aus, sodass Guo Jings geballte Kraft ins Leere ging.

Mein Meister ist ein ebenso großer Kampfkünstler wie Gift des Westens, dachte Guo Jing, und ich bin seinem Neffen gewiss mehr als ebenbürtig. Noch dazu ist er verletzt. Bei einem Duell zwei gegen zwei werden wir sicher gewinnen.

Der Gedanke gab ihm neue Zuversicht. Wie ein Wirbelsturm ließ er seine Hände und Füße auf Ouyang Feng niederprasseln. Auch Bettler Hong attackierte die Gegner mit ganzer Wucht, ohne jedoch die Schlangen aus den Augen zu lassen. Schon tauchte ein Dutzend der Biester hinter Guo Jing auf. »Nichts wie raus hier, Jing!«, rief er, während er mit doppelter Anstrengung Ouyang Feng abwehrte.

Gift des Westens, der unter den fortgesetzten Angriffen von vorn und hinten gehörig ins Schwitzen geraten war, ließ Guo Jing vorbei, um sich ganz auf den Bettler konzentrieren zu können.

Mittlerweile wimmelte es überall an Deck von Schlangen.

»Welcher Großmeister braucht Viecher als Verstärkung? Pfui, schäm dich!«, spottete der Bettler, doch in Wahrheit verursachte ihm der Anblick eine Gänsehaut. Während er mit dem tanzenden Hundestock in der Rechten Dutzende Schlangen totschlug, packte er Guo Jing und stürzte mit ihm zum Hauptmast.

Bloß nicht!, dachte Ouyang Feng. Wenn sie den Mast erklimmen, komme ich nicht mehr an sie heran. Rasch stellte er sich den beiden in den Weg. Der Bettler erwartete ihn mit wuchtigen Handkantenschlägen, die gewaltigen Wind machten. Ouyang Feng konterte mit seitlich ausholenden Faustschlägen. Guo Jing zögerte, auf den Mast zu klettern. »Hinauf mit dir!«, schrie der Bettler.

»Erst töte ich seinen Neffen, um Bruder Botong zu rächen«, entgegnete Guo Jing, aber der Bettler drängte ihn verzweifelt dazu, den Mast hinaufzuklettern. »Die Schlangen!«

Ein Blick auf die sich windenden Giftnattern und Guo Jing zögerte nicht länger. Beim Sprung auf den Mast fing er mit nach hinten ausgestreckter Hand nebenbei eines von Ouyang Kes Fliegenden Schwalbenpendeln auf. Plötzlich hörte er, wie das nächste Wurfgeschoss pfeifend von hinten auf ihn zuschnellte und schleuderte geistesgegenwärtig das Schwalbenpendel in seiner Hand dagegen. Mit lautem Klirren prallten die beiden Geschosse aufeinander und fielen ins Meer. Endlich konnte Guo Jing den Mast mit beiden Händen packen und bis auf halbe Höhe hinaufklettern.

Mit aller Macht versuchte Ouyang Feng, den Bettler daran zu hindern, ebenfalls den Mast zu erklimmen. Hong Qigong hielt zwar mühelos seinen Angriffen stand, kam dem Mast jedoch keinen Schritt näher. Entsetzt sah Guo Jing, wie immer mehr Schlangen seinen Meister umzingelten. Er schrie auf, schlang die Beine um den Mast und ließ sich kopfüber hinabbaumeln. Er hatte so viel vom magischen Blut der roten Halysotter getrunken, dass allein die Ausdünstungen seines Körpers die Nattern am Boden sofort in die Flucht schlugen. Der Bettler nutzte die Gelegenheit zu einem geschickten Sprung, versetzte dabei Ouyang Feng einen Tritt ins Gesicht und war mit einem Satz bei Guo Jing, der sich ihm entgegenreckte und ihn an seinem Hundestock zu sich heraufzog. Das tat er so schwungvoll, dass der Bettler das Segel über Guo Jing zu fassen bekam und nun fröhlich in der Luft baumelte.

Damit befanden sich beide in sicherer Höhe und selbst Ouyang Feng musste einsehen, dass er sie nicht mehr erreichen konnte. »Nun gut«, rief er grimmig, »Diesmal habt Ihr gewonnen. Steuermann! Klar zur Wende!«

Das Segelschiff wendete und fuhr in östliche Richtung aufs offene Meer hinaus. Unterhalb des Hauptmasts wimmelte es noch immer von schwarzgrünen Nattern.

Hong Qigong hockte oben auf der Rahe und trällerte das bei den Bettlern beliebte Lied Fallende Lotusblüten. Mit demonstrativer Munterkeit überspielte er seine Angst. Wie lange werden wir es hier oben aushalten? Ouyang Feng könnte auf die Idee kommen, den Mast abzusägen! Solange er die Schlangen nicht zurückpfiff, saßen sie in der Falle, während unten Ouyang Fengs Bande munter Schnaps trinken und in ihren Betten schlafen konnte. Mir und meinem Schüler bleibt nichts anderes zu tun, als Wind zu trinken und ins Wasser zu pissen!, dachte er grimmig. »Ha!« Der Bettlerfürst stellte sich hin und ließ seine Hosen herunter. Sein kräftiger Strahl ergoss sich auf die Schlangenherde.

»Los, Guo Jing, sollen die Viecher sich an unserer Pisse besaufen!«

»O ja!« Der alberne Spaß war ganz nach Guo Jings Geschmack. Meister und Schüler pinkelten fröhlich nebeneinander von der Rahe.

Ouyang Feng sprang gerade noch rechtzeitig aus dem Weg, sein Neffe jedoch bekam etliche Spritzer auf Gesicht und Kragen ab. Und das ihm, der so stolz auf seine reinweißen Kleider war! Ouyang Ke tobte.

Dann zog der Bettler ein Zündholz hervor, riss ein Stück Segeltuch ab, zündete es an und warf es hinunter. »Ruft die Schlangen zurück!«, schrie Ouyang Ke. Sofort ertönten Flötenklänge und die Nattern schlängelten davon, aber das Feuer versetzte sie in Panik, sodass sie kreuz und quer über das Deck strömten, ohne den Tönen zu folgen.

Hong Qigong und Guo Jing lachten. Bruder Botong hätte an diesem Anblick sicher seine Freude gehabt! Beim Gedanken, dass ein so großer Kampfkünstler sein Ende auf dem Meeresgrund gefunden hatte, wurde Guo Jing das Herz schwer. Sein Schwurbruder hatte es damals sogar geschafft, gleich zwei Großmeister wie den Ketzer des Ostens und Gift des Westens in seiner Pisse zu baden, während er und sein Meister den Alten Giftmolch nicht einmal mit vereinten Kräften erwischt hatten.

Wenige Stunden später, als der Tag sich neigte, befahl Ouyang Feng der Mannschaft, auf dem Deck Essen und Wein aufzutragen. Dann ließen es sich alle zusammen nach Herzenslust schmecken. Ein köstlicher Duft stieg dem verfressenen Bettler in die Nase. Noch konnte er seinen Magen mit einem Rest Schnaps aus dem Flaschenkürbis besänftigen.

Als es Nacht wurde, hielten Hong Qigong und Guo Jing abwechselnd Wache. Das Deck lag im hellen Schein zahlreicher Laternen und ein kleinerer Schlangenhaufen umgab den Mast, aber es waren immer noch genug, um jeden Fluchtversuch zu vereiteln. Zunder hatte der Bettler auch keinen mehr übrig. Laut verfluchte er Ouyang Fengs Ahnen bis in die achtzehnte Generation und schmückte seine Verwünschungen mit den übelsten Schimpfwörtern aus, die sein Bettlervokabular hergab. Der so Verfluchte ließ sich jedoch nicht einen Augenblick lang auf Deck blicken. Hong Qigong schimpfte weiter, bis seine Lippen trocken waren, seine Zunge lahmte und ihm vor Müdigkeit die Augen zufielen.

Am frühen Morgen schickte Ouyang Feng einen Matrosen mit einer Botschaft zum Hauptmast. »Bettlerfürst Hong! Junker Guo!«, rief der Matrose. »Meister Ouyang bittet Euch zu Tisch, er hat ein opulentes Mahl herrichten lassen. Wenn Ihr ihm Ehre erweisen würdet, herabzusteigen und Euch daran zu laben …«

»Ruf ihn her!«, unterbrach der Bettler, »dann laden wir ihn auf eine Runde Pisse ein!«

Es dauerte nicht lange, bis unter dem Mast ein großes Bankett aufgefahren wurde. Erneut wehte der Duft aus üppig gefüllten Schüsseln zu ihnen herauf. Am Tisch warteten zwei Stühle auf den Meister und seinen Schüler. Zu gern wäre Hong Qigong den Mast hinuntergerutscht, um ein wenig zu naschen, aber das Essen war fraglos vergiftet. »Mögen drei dämonische Doggen dich zerfetzen, Alter Giftmolch!«, knurrte der Bettler.

Nach drei Tagen war den beiden schon ganz schummrig vor Hunger und Durst. »Wäre nur deine kluge Freundin hier«, seufzte der Bettler. »Während wir hier sitzen und sabbernd Löcher in die Luft starren, würde ihr sicher etwas einfallen, um uns aus der Patsche zu helfen.«

Guo Jing nickte und starrte gedankenversunken in die Ferne.

Dann sah er die beiden weißen Punkte. Es war bereits Mittag und die Sonne stand im Zenit. Zuerst hielt er sie für Wolken und schenkte ihnen keine Beachtung, doch als sie näher kamen, hörte er vertraute Vogelschreie. Die weißen Adler!

Begeistert sammelte er sein Inneres Kung-Fu, um ihnen mit einem lauten Schrei zu antworten. Die Vögel kreisten über dem Schiff, stießen herab und landeten auf Guo Jings Schultern. Seine Adler! »Meister Hong …« Die Freude verschlug ihm fast die Stimme. »Ob Huang Rong auf einem Schiff irgendwo in der Nähe ist?«

»Das wäre zu schön, um wahr zu sein, mein Junge. Schade, dass selbst diese stattlichen Vögel zu klein sind, um uns einfach davonzutragen. Wir müssen weiter hier herumsitzen wie zwei Hornochsen. Kannst du sie nicht herbeirufen, damit sie ein bisschen Unruhe stiftet?«

Guo Jing schnitt mit seinem goldenen Dolch zwei Tuchfetzen aus den Segeln und ritzte mit der Spitze erst in das eine, dann in das andere das Wort »Hilfe!« und zeichnete den Umriss einer Kalebasse dazu. Dann band er jedem Adler einen Fetzen an die Krallen und schickte sie los. »Fliegt schnell zurück und führt sie zu uns!«

Die beiden prächtigen Vögel stießen einen lauten Schrei aus, schlugen mit den weiten Schwingen und flogen davon. Noch einmal kreisten sie über dem Segelschiff, dann zogen sie westwärts und verschwanden in den Wolken.

Sie waren noch nicht lange weg, als Ouyang Feng noch einen Versuch unternahm, den Bettler und seinen Schüler durch das Auffahren wohlriechender Delikatessen vom Mast zu locken.

»Das ist wirklich nicht nett von dir, Alter Giftmolch! Mich so zu quälen!«, rief der Bettler hinunter. »Mein Leben lang habe ich mein Äußeres Kung-Fu gestählt, aber wenn es ums Essen und Trinken geht, verliere ich immer noch leicht die Beherrschung«, fuhr er an Guo Jing gewandt fort. »Was meinst du, Guo Jing, klettern wir runter, verpassen ihnen eine gehörige Abreibung und kommen dann wieder hier rauf?«

»Nur Geduld. Die weißen Adler werden Rong meine Nachricht überbringen und schon ist Hilfe unterwegs.«

Der Bettler lachte. Dann fragte er unvermittelt: »Was ist das Widerlichste, das du jemals gegessen hast?«

»Ich weiß nicht.«

»Einmal war ich im Norden, ganz weit oben, in Schnee und Kälte. Acht Tage und Nächte lang habe ich gehungert. Nicht einmal ein mageres Eichhörnchen oder ein Stück Baumrinde konnte ich auftreiben. Also grub ich im Schnee und Schlamm nach etwas Essbarem und stieß schließlich auf fünf zappelnde Dinger, die mir vorerst das Leben retteten. Am nächsten Tag fing ich mir ein Wiesel und aß mich daran satt.«

»Was waren das für zappelnde Dinger?«

»Regenwürmer. Prächtige, fette Regenwürmer. Ich habe einen nach dem anderen am Stück verschlungen, weil ich nicht zu kauen wagte.«

Guo Jing schüttelte sich vor Ekel.

Sein Meister lachte schallend. Der unappetitliche Gedanke an die Würmer half ihm, der Verführung durch die Essensdüfte zu widerstehen. »Weißt du, mein Junge, wenn ich jetzt welche hätte, würde ich die grässlichen Würmer glatt noch einmal verputzen. Es gibt nur ein besonders widerwärtiges, schmutziges und stinkendes Etwas, das ich nie im Leben zu mir nehmen würde. Lieber fresse ich meine eigenen Zehen auf! Rate mal, was es ist?«

»Haha, ich weiß es! Ein Haufen Mist!«, kicherte Guo Jing.

Der Bettler schüttelte den Kopf. »Nein, noch viel ekliger.«

Guo Jing dachte nach, aber ihm wollte nichts Ekligeres einfallen.

»Ich will es dir verraten.« Der Bettler erhob die Stimme. »Das Widerwärtigste, das man sich vorstellen kann, ist der Alte Giftmolch Ouyang Feng persönlich!«

»Stimmt!« Guo Jing lachte.

Am Abend war es dann Guo Jing, der es nicht mehr aushielt. Er glitt den Mast hinunter und köpfte mit seinem Dolch zwei Schlangen. Die anderen Giftnattern wichen sofort zurück, als sie seine Witterung aufnahmen, aber Guo Jing jagte ihnen nach, erlegte zwei weitere und kletterte mit vier toten Schlangen wieder auf den Mast. Er setzte sich auf die Rahe und häutete sie fachmännisch. Die beiden Männer verschlangen das rohe Fleisch, das ihnen gar nicht übel mundete.

Ouyang Ke stellte sich in das Schlangengewimmel und versuchte es jetzt auf die freundliche Art. »Onkel Hong, Bruder Guo! Mein Onkel möchte doch nur, dass Bruder Guo das Handbuch für ihn niederschreibt, weiter nichts!«

»Weiter nichts, von wegen!«, brummte der Bettler leise. Plötzlich kam ihm eine Idee. Mit unveränderter Miene rief er hinunter: »He, du Mistkerl! Dein Onkel hat gewonnen. Ich ergebe mich. Bring uns Wein und Essen und morgen reden wir weiter.«

Ouyang Ke wusste, dass einer wie der Bettler des Nordens zu seinem Wort stand. Erfreut pfiff er die Schlangen zurück. Hong Qigong und Guo Jing konnten gefahrlos den Mast verlassen und gingen zurück in ihre Kabine, wo Ouyang Kes Diener ihnen ein köstliches Mahl servierten.

Kaum waren diese zur Tür hinaus, schon stürzte der Bettler einen ganzen Krug Wein hinunter. Dann riss er ein gebratenes Hühnchen in zwei Teile und begann, genüsslich zu kauen.

»Seid Ihr sicher, dass das Essen diesmal nicht vergiftet ist?«, fragte Guo Jing flüsternd.

»Dummer Junge, der Kerl will schließlich, dass du das Buch für ihn aufschreibst, warum sollte er dich vergiften wollen? Komm, iss. Wir haben etwas zu besprechen.«

Guo Jing ließ sich das nicht zweimal sagen und verleibte sich vier Schüsseln Reis hintereinander ein.

Als er seinen Magen gefüllt hatte, wischte sich der Bettler mit dem Ärmel über den fettverschmierten Mund und rückte dicht an Guo Jings Ohr heran. »Der Alte Giftmolch will das Neun-Yin-Handbuch von dir. Dann gib es ihm, aber ein falsches.«

Guo Jing begriff nicht. »Ein falsches Neun-Yin-Handbuch?«

»Genau.« Der Bettler grinste. »Schreib einfach irgendetwas. Was du willst. Der Einzige, der eine Ausgabe des Buchs besitzt, ist der Ketzer des Ostens, und der wird es nie und nimmer dem Alten Giftmolch überlassen. Den Anfang hat sich sein Neffe gemerkt, den lass unverändert, damit er keinen Verdacht schöpft. Das Übrige kannst du dir ausdenken und dabei beliebig Unsinn verzapfen, den er dann für den Rest seines Lebens üben wird, ohne dass es seine Kunst auch nur um einen Furz verbessert, haha!«

Das klingt nach einem guten Plan, dachte Guo Jing. Damit legen wir den Alten Giftmolch herein. Dennoch zögerte er. »Aber würde ein Großmeister wie Gift des Westens es nicht merken, wenn ich Unsinn schreibe? Was dann?«

»Natürlich musst du etwas schreiben, das vermeintlich Sinn ergibt, aber in Wahrheit unnützes Zeug ist«, entgegnete der Bettler. »Drei richtige Sätze und dann ein falscher. Oder du änderst bestimmte Zahlen, machst aus neun eins, aus zwei acht, aus drei sieben, aus vier sechs, aus fünf machst du zehn und umgekehrt. Das merkt nicht einmal der Alte Giftmolch, so ein durchtriebenes Kerlchen ist er auch wieder nicht. Um ihn beim Üben mit dem falschen Neun-Yin-Handbuch zuzusehen, würde ich glatt noch einmal sieben Tage und Nächte hungern und dursten!« Der Bettler kicherte fröhlich.

»Damit wird er nicht nur seine Zeit verschwenden, sondern sich womöglich alle Glieder verrenken«, meinte Guo Jing.

Der Bettler grinste. »Jetzt überlege dir gut, wie du den Text verändern willst. Schöpft er auch nur den leisesten Verdacht, sind wir verloren.« Nach kurzer Pause fuhr er fort. »Denk daran, dass sein vermaledeiter Neffe auf der Pfirsichblüteninsel auch den zweiten Band gelesen hat, diesen darfst du nicht allzu sehr verändern. Ein paar falsche Anweisungen, mehr nicht, damit er den Unterschied nicht merkt.«

Guo Jing sagte sich den Inhalt des Handbuchs noch einmal vor und dachte darüber nach, was er wo verändern könnte. Statt Rückzug könnte er Angriff schreiben, statt oben einfach unten … so müsste es gehen, ohne dass er ganz neue Sätze erfinden musste. Subtil, aber entscheidend mussten die Änderungen sein, so, wie sein Meister es gesagt hatte. Nach oben wird nach unten und nach unten wird nach oben. Hinten wird vorne und vorne wird hinten. Brust wird Bauch und Hand wird Fuß. Himmel wird Erde … Wenn er sich auf diese einfachen Grundsätze verließ, sollte es ihm gelingen, das Handbuch zu fälschen. Die Handfläche reckt sich gen Himmel würde zu Die Fußsohle reckt sich gen Himmel und wo es hieß Die Füße stehen fest am Boden würde er schreiben Die Hände stemmen sich fest in den Boden. Und dort, wo es um die Kultivierung des Inneren Kung-Fu ging, könnte er Anweisungen wie Sammle das Qi im Unterbauch zu Sammle das Qi in der Brust verändern.

Guo Jing war sehr stolz auf seine guten Einfälle. Huang Rong und Zhou Botong würden sich gewiss prächtig amüsieren, wenn sie davon wüssten. Wie traurig es war, dass der eine tot auf dem Meeresgrund lag und die andere irgendwo, aber gewiss sehr weit weg war. Huang Rong werde ich bestimmt eines Tages wiedersehen, aber meinem Schwurbruder werde ich die lustige Geschichte niemals erzählen können. Guo Jing seufzte.

Am nächsten Morgen in aller Frühe rief Bettler Hong Ouyang Ke zu sich. »Die Kampfkunst, der sich meine Wenigkeit rühmt, sucht bereits ihresgleichen. Ich brauche den Wahren Weg der Neun Yin nicht. Selbst wenn ich das Buch vor mir hätte, würde ich keinen Blick hineinwerfen. Nur Stümper mit der Kampfkunst eines hinkenden Gockels recken den Hals nach den goldenen Geheimnissen irgendeines Handbuchs. Wang Chongyang war bis zu seinem Tode im Besitz des Handbuchs und Huang Yaoshi hat es jetzt, aber keiner von beiden hat sich daraus bedient. Darin liegt der Unterschied zwischen einem gewöhnlichen Krieger und einem Helden. Sag deinem Hundehirn von Onkel, dass Guo Jing das Handbuch niederschreiben wird, ganz für ihn allein, damit er sich damit einschließen und fleißig üben kann. Und wenn er soweit ist, soll er den alten Bettler zum Kampf herausfordern. Der Wahre Weg der Neun Yin ist eine formidable Schrift, aber ich habe keine Lust, mich damit zu befassen. Mich interessiert allein, ob es dem Alten Giftmolch helfen wird, mich zu besiegen, oder ob er mir nach dem fleißigen Studium nicht einfach nur so ebenbürtig ist wie zuvor. Wie nennt man das noch gleich? Zum Furzen die Hose runterlassen.«

Ouyang Feng stand die ganze Zeit über hinter der Tür und hörte jedes Wort. Aber seine Freude war zu groß, um sich auf die Provokation des Bettlers einzulassen. Dann soll der alte Bettler eben von seiner Kunst überzeugt sein, dachte er, Hauptsache, er überlässt mir das Handbuch. Ich musste ihn nur mit meinen Schlangen einschüchtern und mit dem Hungertod bedrohen und schon gibt er auf!

»Was redet Ihr da für einen Unfug, Onkel Hong?« Ouyang Ke dagegen hielt es für geboten, die Familienehre zu verteidigen. »Die Kampfkunst meines Onkels ist die Perfektion selbst, niemals würdet Ihr gegen ihn bestehen. Als ob er eines Handbuchs bedürfte! Er ist vielmehr überzeugt, dass die Kraft des Wahren Wegs der Neun Yin vollkommen überschätzt wird. Warum sonst hat Wang Chongyang dem Jianghu nie gezeigt, wozu das Wissen aus dem Handbuch einen Kämpfer befähigt? Meinen Onkel interessiert allein, seine Mängel bloßzulegen und zu beweisen, dass es sich um einen Witz handelt, der das große Gezänk darum nicht verdient hat. Erweist er uns damit nicht allen einen großen Dienst?«

Hong Qigong konnte vor Lachen nicht an sich halten. »Haha! Eitle Prahlerei! Komm, mein Junge, schreib das Handbuch für sie auf. Wenn der Alte Giftmolch einen Fehler darin findet, werde ich vor ihm niederknien.«

Ouyang Ke führte Guo Jing in die größere Kabine des Schiffes, wo Papier und Pinsel bereitlagen. Er rieb ein Stück Tusche ab und mischte die Tinte für ihn an.

Viel Erfahrung im Schreiben hatte Guo Jing nicht. Sein Pinselstrich war alles andere als sicher und ständig musste er über die richtige Schreibweise eines Schriftzeichens nachdenken. Daher kam er nur sehr langsam voran und musste Ouyang Ke wiederholt um Hilfe bitten, weil er vergessen hatte, wie ein bestimmtes Schriftzeichen geschrieben wurde. Mittags war er mit dem ersten Band noch nicht einmal zur Hälfte fertig. Während der gesamten Zeit blieb Ouyang Ke bei ihm und überbrachte jede vollständige Seite sogleich seinem Onkel. Auf den unverständlichen Sermon am Ende des zweiten Bands hatte sich bislang niemand einen Reim machen können, aber da der Bettler fürchtete, dass es sich dabei um eine Sprache aus dem Westen handeln könnte, hatte er Guo Jing angewiesen, diese Passage nicht zu verändern. Ouyang Feng stammte aus dem Westen und wer konnte schon sagen, ob er diese seltsame Sprache nicht verstand.

Gift des Westens studierte sofort Zeile für Zeile. Die Sprache selbst war eher schlicht, aber bedeutungsschwer, das spürte er. Jeder Abschnitt stellte eine rätselhafte philosophische Weisheit dar. Einmal zurück in seiner Heimat in den Westbergen, sollte es ihm mit seinem scharfen Verstand möglich sein, den Inhalt zu begreifen, selbst wenn es Jahrzehnte dauern sollte. Irgendwann würde er die tiefere Bedeutung des Wahren Wegs erfasst haben. Der Gedanke beflügelte ihn. Wie dämlich dieser Guo Jing war! Was für eine ungelenke Handschrift, welch krumme Striche! Dieser einfältige Junge wäre niemals imstande, sich das alles auszudenken, schließlich musste er sogar seinen Neffen bitten, ihm beim Schreiben der Schriftzeichen zu helfen, von denen er nur die Aussprache kannte. Nein, das hier war das echte Neun-Yin-Handbuch, daran bestand kein Zweifel.

Guo Jing schrieb und schrieb, ohne Unterbrechung bis zum Sonnenuntergang, fortwährend beaufsichtigt von Ouyang Ke, der ihm jedes fertige Blatt auf der Stelle entriss. Nicht ein einziges Mal durfte er seinen Gefährten sehen, damit der alte Bettler nicht plötzlich seine Meinung änderte. Ein unvollständiger Text war nichts wert, davon war Ouyang Feng überzeugt. So wurde Guo Jing während des Schreibens in der Kabine mit opulenten Mahlzeiten versorgt.

Unruhig wartete der Bettler auf Guo Jing. Als er auch spätabends noch nicht in die gemeinsame Kajüte zurückgekehrt war, hielt er es nicht mehr aus. Waren sie aufgeflogen? Falls der dumme Junge einen Fehler begangen hatte, hätte Ouyang Feng schon längst wieder seine Schlangen auf ihn gehetzt. Vorsichtig öffnete er die Kajütentür, vor der zwei Schlangenhirten Wache hielten, einen Spaltbreit. Der Windstoß, den sein kräftiger Handkantenschlag in der Nachtluft hervorrief, ließ die Takelage wackeln. In dem kurzen Augenblick, in dem die beiden Männer sich nach dem Geräusch umdrehten, schlüpfte er unbemerkt aus der Kabine. Weder Mensch noch Geist hätten ihn entdeckt.

Vorsichtig stahl er sich die Steuerbordseite entlang. Aus der Hauptkabine drang ein schwacher Lichtschein. Er pirschte sich heran und warf einen Blick durch das Fenster. Guo Jing saß noch immer über den Tisch gebeugt und schrieb, während zwei weiß gekleidete Frauen Tusche für ihn rieben und ihm Tee servierten. Ouyang Ke lehnte an der Wand und ließ den Rivalen nicht aus den Augen.

Der Bettler atmete erleichtert auf. Doch dann witterte seine feine Nase den Geruch von Alkohol. Dort, vor Guo Jing auf dem Tisch, stand eine Schale duftende, bernsteinfarbene Flüssigkeit, dunkel wie ein Block Puderrouge und von überwältigendem Aroma. Soso, der Alte Giftmolch kredenzt meinem ignoranten Schüler seinen feinsten Likör und das nur, weil er ihm dieses Handbuch aufschreibt. Aber mir, dem wahren Feinschmecker, dem besten Sommelier des Landes, setzt er nichts als billigen, wässrigen Schnaps vor. Ich muss von diesem guten Stöffchen kosten! Wahrscheinlich lagert er ihn unter Deck. Erst lasse ich ihn mir munden und dann pinkle ich dem Alten Giftmolch ins Fass. Dann kann er den guten Likör des alten Bettlers schmecken, hehe. Ein wenig Pisse kann ihm sicher nicht schaden.

Er grinste zufrieden. Was das Stibitzen von gutem Essen und Wein anging, war er schließlich Experte. Hatte er nicht ganze drei Monate zwischen den Dachsparren der Küche des Kaiserhofs in Lin’an verbracht und von ausnahmslos jeder für den Kaiser persönlich bestimmten Delikatesse gekostet? Der Palast war strengstens bewacht gewesen, aber er, der Bettler des Nordens, war dort ein und aus gegangen, wie es ihm behagt hatte. Dagegen sollte es ja wohl ein Kinderspiel sein, sich auf diesem Schiff unter Deck zu schleichen, um ein wenig von den Vorräten zu naschen. Auf Zehenspitzen tapste er zum Achterdeck, sah sich nach allen Seiten um, lüftete blitzschnell die Bodenluke, stieg hinein und schloss sie von unten wieder. Er schnüffelte. Ah, hier war er richtig!

Unter Deck herrschte vollkommene Dunkelheit, aber seine Nase wies ihm untrüglich den Weg. Erst, als er die Vorratskammer erreichte, zündete er eine Fackel an. In einer Ecke waren ein halbes Dutzend Holzfässer gestapelt. Der Anblick ließ sein Bettlerherz höherschlagen.

Am Boden fand er eine Weinschale, alt und mit abgeschlagenem Rand, steckte sie in sein Hemd, blies die Fackel aus und näherte sich im Dunkeln den Fässern. Er versuchte, am ersten Fass zu rütteln, aber es war so schwer, dass es sich nicht bewegte. Offenbar war es randvoll gefüllt. Mit einer Hand ertastete er den breiten Korken und mit der anderen hielt er die Schale bereit. Gerade, als er den Korken herausziehen wollte, hörte er Geräusche. Zwei Paar Füße näherten sich der Vorratskammer. Es waren sehr leichte Schritte.

Ouyang Feng und Ouyang Ke. Niemand sonst auf dem Schiff verfügte über eine solche Schwebekunst. Was hatten sie zu dieser späten Stunde hier verloren? Das verhieß nichts Gutes. Sie führten bestimmt etwas im Schilde. Gerade noch rechtzeitig konnte er sich in eine Ecke hinter ein Fass ducken, da ging schon die Tür auf. Ein Licht flammte auf und zwei Gestalten betraten die Kammer. Sie gingen auf die Fässer zu.

Ob sie den Wein vergiften wollen?, fragte sich der Bettler.

Dann hörte er Ouyang Fengs Stimme. »Er ist endlich fertig mit dem Handbuch. Sind Petroleum, Schwefel und Feuerholz schon auf alle Kabinen verteilt?«

»Alles ist bereit. Sobald wir das Feuer entfachen, wird das Schiff im Nu in Flammen aufgehen und vom alten Bettler bleibt nur Asche übrig.«

Der Bettler zuckte zusammen. Sie wollen das Schiff anzünden!

»Wir warten, bis der Junge eingeschlafen ist. Du begibst dich zum Beiboot, aber sei vorsichtig: Der Bettler darf auf keinen Fall etwas merken. Ich lege hier das Feuer.«

»Und was ist mit meinen Konkubinen und den Schlangenhirten?«

»Der stinkende alte Bettler ist immerhin ein Großmeister der Kampfkunst, da ist es nur recht und billig, wenn wir ihm zu Ehren ein paar Menschenopfer bringen.«

Die beiden Männer machten sich an die Vorbereitungen. Als sie den Korken aus einem der Fässer zogen, stieg dem Bettler wider Erwarten nicht der Geruch von Schnaps, sondern nach einem Gemisch aus Tungöl und Sesamöl in die Nase. Dann nahmen die beiden einen Klumpen Schwefel aus einer Holzkiste und bedeckten ihn mit Feuerholz und Sägespänen. Das Öl lief aus dem Fass und Onkel und Neffe verließen rasch die Kammer, bevor es ihre Füße erreichte.

»Bald wird dieser dämliche Bauerntrampel sein Grab auf dem Meeresboden finden und du wirst der einzige Mensch auf der Welt sein, der den Inhalt des Wahren Wegs der Neun Yin kennt, Onkel«, sagte Ouyang Ke beim Hinausgehen.

»Nein, nicht der einzige. Ich werde mein Wissen mit dir teilen. Und der Alte Ketzer Huang besitzt ebenfalls eine Abschrift. Auch den müssen wir uns vom Hals schaffen.«

Ouyang Ke grinste zufrieden. »Wir sollten das Handbuch in Ölpapier wickeln und rundum mit Wachs versiegeln, damit das Meerwasser ihm nichts anhaben kann.«

Sie gingen hinaus und schlossen die Tür hinter sich.

Der Bettler schwankte zwischen Wut und Entsetzen. Ein Glück, dass seine Gier nach gutem Wein ihn hierhergeführt hatte. Ohne diese schicksalhafte Fügung wären er und Guo Jing Opfer des teuflischen Plans der Ouyangs geworden. Ging das Schiff erst einmal in Flammen auf, bliebe ihm und Guo Jing allein der raue Ozean als Fluchtweg. Er lauschte, bis die Schritte verklungen waren, bevor er zurück in die Kajüte schlich, wo er Guo Jing in tiefem Schlaf vorfand. Er wollte ihn gerade wecken, als er vor der Tür ein leises Geräusch vernahm. Ouyang Feng! Er wollte sich vergewissern, dass sie beide fest schliefen. »Herrlich schmeckt mir der Wein!«, rief Hong. »Ich nehme noch zehn Krüge!«

Ouyang Feng erstarrte. Der alte Bettler trinkt Wein?

»He, Alter Giftmolch, lass uns kämpfen, mal sehen, wer von uns der Bessere ist. Hick …! Sehr gut, mein Junge!«

Ouyang Feng lauschte dem unsinnigen Gerede des alten Bettlers und kam zu dem Schluss, dass sein Widersacher im Schlaf redete. Noch im Traum denkt er nur ans Saufen und Kämpfen! Gleich wird er sein gräuliches Ende finden, der verlotterte Vielfraß.

Trotz seines Geschwafels nahm der Bettler jedes noch so kleine Geräusch an Deck wahr. Seine feinen Ohren konnten selbst die Schritte eines Meisters der Schwebekunst wie Ouyang Feng eindeutig erkennen. Wenn er sich nicht täuschte, befand der sich jetzt auf der Backbordseite des Schiffs. Der Bettler legte seine Lippen an Guo Jings Ohren, »Jing, mein Junge«, flüsterte er und rüttelte sachte seine Schulter.

»Hm.«

»Tu jetzt genau, was ich sage und frag nicht, warum. Wir gehen jetzt hinaus an Deck. Gib acht, dass dich niemand sieht.«

Guo Jing wälzte sich aus seiner Koje. Leise öffnete der Bettler die Kabinentür, zog Guo Jing am Ärmel und schlüpfte zur Steuerbordseite hinaus. Statt über Deck ans Schiffsende zu schleichen, ertastete der Bettler die Heckreling, hielt sich mit der einen Hand daran fest, bedeutete Guo Jing, ihm zu folgen, und schwang sich hinüber. Guo Jing folgte gehorsam, ohne ein Wort zu sagen. Die beiden hingen jetzt über den wogenden Wellen an der Außenseite des Schiffs. Langsam kletterte der Bettler den Schiffsrumpf hinab, den Blick fest auf Guo Jing gerichtet. Seine größte Furcht war, dass der Junge an den glitschigen Schiffsplanken abrutschte und ins Meer stürzte und sie durch sein Aufplatschen verriet.

Der Farbanstrich machte den Schiffsrumpf glatt und rutschig, noch dazu waren die Planken feucht und auch die gebogene Form des Rumpfs und die schaukelnde Bewegung des Schiffs stellten eine Herausforderung dar, die nur mit hervorragendem Kung-Fu zu meistern war. Doch Guo Jing hatte nicht umsonst unzählige Male mit Bruder Ma Yu die steile Felswand in der Mongolei erklommen, noch dazu hatte sich sein Kung-Fu seither stetig verbessert. Zoll um Zoll ließ er sich herab, ertastete Nieten und gekittete Spalten im Holz. Nach kurzer Zeit hing der Bettler mit der unteren Körperhälfte im Wasser und hangelte sich am Schiff entlang Richtung Heck. Guo Jing folgte ihm schweigend.

Am Heck war ein kleiner Sampan vertäut.

»Hinein mit dir«, raunte der Bettler Guo Jing zu.

Er löste das Tau, und das kleine Boot schoss erstaunlich schnell aufs Meer hinaus. Hong bekam gerade noch den Rand zu fassen und schwang sich lautlos über Dollbord ins Boot. Er wartete, bis Guo Jing es ihm nachgetan hatte. »Schneid das Tau durch!«, raunte er ihm zu.

Mit seinem goldenen Dolch trennte Guo Jing das Boot endgültig vom Schiff. Jetzt waren sie ganz der Gnade des Ozeans ausgeliefert. Der Bettler ergriff das Ruder und brachte sie auf Kurs. Langsam verschwand das Schiff in der Dunkelheit, aber nur kurz darauf leuchtete an Deck eine Fackel auf und laute Rufe ertönten. Ouyang Feng hatte entdeckt, dass das Beiboot verschwunden war. Seine Wutschreie tönten weit über das Meer.

Aus der Tiefe seines Bauchs heraus entfuhr dem Bettler ein lautes und herzhaftes Lachen.

Da bemerkten sie auf Steuerbord ein kleines Ruderboot, das ungewöhnlich schnell auf das große Schiff zuhielt. »Was zum Teufel …?«, entfuhr es dem Bettler.

Jetzt sahen sie die beiden weißen Adler über Ouyang Fengs Schiff kreisen. Sie stießen hinab und ließen sich auf dem Mast nieder. Eine Silhouette löste sich aus dem Ruderboot, weiße Kleider flatterten im Wind, und im Nu war die Gestalt auf das Deck des großen Schiffs gesprungen. Ein goldenes Haarband funkelte im Sternenlicht.

»Rong!«, hauchte Guo Jing atemlos.

In der Tat war es Huang Rong. Als sie die Segel gesetzt hatte, um die Pfirsichblüteninsel zu verlassen und Guo Jing zu suchen, war das kleine rote Pferd wild und verzweifelt am Ufer hin und her gerannt. Auf dem Meer nützt du mir nichts, lieber Ulaan, hatte sie gedacht, lieber reise ich in Begleitung der beiden Adler, die mir den Weg zu Guo Jing weisen können. Mit lauten Pfiffen hatte sie das weiße Adlerpaar angelockt – und Guo Jings Hilferuf gefunden, den er an ihren Krallen befestigt hatte. Die scharfen Adleraugen würden in der Lage sein, das Schiff ihres Herrn auf dem offenen Meer wiederzufinden. Huang Rong trieb ihre Mannschaft an, den Vögeln so schnell wie möglich nachzufolgen, und schon bald kam Ouyang Fengs Segelschiff in Sicht. In ihrer Furcht, zu spät zu kommen, achtete sie nicht auf das kleine Boot weit draußen, ließ ihren Sampan eilig bis vor den Bug des Schiffs rudern und sprang behände an Deck.

Dort traf sie auf Ouyang Ke, der eben in blinder Wut auf dem Deck herumtobte wie eine Ameise in einer heißen Pfanne.

»Wo ist Guo Jing? Was habt ihr mit ihm gemacht?«

Ouyang Feng hatte erst, nachdem er bereits im Schiffsbauch Feuer gelegt hatte, entdeckt, dass der kleine Sampan am Heck, auf dem er mit seinem Neffen hatte entkommen wollen, spurlos verschwunden war. Im selben Augenblick hatte er das röhrende Gelächter des Bettlers vernommen. Ouyang Feng verfluchte lautstark sein Schicksal: Der vermaledeite Bettler hatte ihn zum Opfer seines eigenen hinterhältigen Plans gemacht. Doch während er und sein Neffe mit ihrer ausweglosen Lage gehadert hatten, war unverhofft Huang Rong aufgetaucht. »Los, auf ihr Boot«, schrie er seinem Neffen zu.

Bei der taubstummen Mannschaft von Huang Rongs Boot handelte es sich durchweg um ehemalige Verbrecher, die ihr Vater auf seine Insel geholt hatte. Solange Huang Rong an Bord gewesen war, hatten sie nicht gewagt, sich ihr zu widersetzen. Doch kaum war sie auf das große Schiff gesprungen, hatten sie gewendet und waren davongerudert.

Hong Qigong und Guo Jing sahen vom Boot aus, wie die Flammen aus dem Schiffsbauch auf das Deck übergriffen. »Feuer!«, schrie Guo Jing, der bislang keine Ahnung von Ouyang Fengs hinterhältigem Plan gehabt hatte.

»So ist es«, sagte der Bettler, »der Alte Giftmolch wollte uns zusammen mit seinem Schiff verbrennen und sich mit seinem Neffen aus dem Staub machen.«

Guo Jing starrte ihn an. »Huang Rong! Wir müssen sie retten!«

»Zurück zum Schiff!«, befahl der Bettler.

Guo Jing ruderte, als ginge es um sein Leben. Da das Segelschiff bereits Kurs auf ihr kleines Boot genommen hatte, hatten sie es schnell wieder erreicht. An Deck herrschte helle Aufregung. Weiß gekleidete Frauen, Schlangenhirten und Matrosen rannten entsetzt durcheinander. Über den Lärm ertönte das laute Rufen des Bettlers: »Huang Rong! Wir sind hier! Schnell, spring ins Wasser und schwimm zu uns!«

Sich in die hohen Wellen des nächtlichen Ozeans zu stürzen war riskant, aber er vertraute darauf, dass Huang Rong eine erfahrene Schwimmerin war. Sie mussten es wagen.

Voller Freude hörte Huang Rong die Stimme ihres Meisters. Sofort ließ sie die beiden Ouyangs stehen und rannte zur Reling. Gerade als sie ins Meer springen wollte, packte sie ein eiserner Griff an der Taille und hielt sie zurück. Sie wandte den Kopf und blickte in Ouyang Fengs grimmiges Gesicht. »Lass mich los!«, rief sie zappelnd und zückte eine ihrer Emei-Nadeln, um sie ihm ins Gesicht zu stoßen. Ein harter Faustschlag Ouyang Fengs gegen ihr Handgelenk, und die Nadel entglitt ihren betäubten Fingern und fiel ins Meer.

Ouyang Feng hatte schnell erkannt, dass Huang Rongs Ruderboot nicht mehr zu erreichen war. Der Hauptmast und die Segel seines Schiffs standen bereits in Flammen, an Bord herrschte Panik. Das Schiff konnte jeden Augenblick untergehen. Der Sampan war die einzige Rettung. »He, stinkender alter Bettler!«, schrie Ouyang Feng. »Ich habe das Mädchen!« Triumphierend hielt er die zappelnde Huang Rong in die Höhe.

Im Schein der Flammen wogten die Wellen leuchtend rot. Guo Jing und der Bettler sahen deutlich, dass Ouyang Feng Huang Rong in seiner Gewalt hatte. Der Bettler tobte. »Der Alte Giftmolch hat sie als Geisel genommen. Wehe ihm. Ich hole sie.«

»Ich komme mit!«, rief Guo Jing.

»Du bleibst hier und bewachst das Boot. Er darf es auf keinen Fall kapern.«

Mit ein paar energischen Ruderschlägen waren sie wieder dicht vor dem Rumpf des Schiffs, das bereits zum Stillstand gekommen war. Der Bettler richtete sich im Boot auf, sprang hoch und stieß sich mit den zehn Fingern der ausgestreckten Hände so am Schiffsrumpf ab, dass er mit einem Rückwärtssalto auf dem Deck landete.

Dort erwartete ihn Ouyang Feng, der Huang Rong fest mit beiden Händen umklammert hielt, mit einem hämischen Grinsen. »Und was jetzt, du stinkender alter Bettler?«

»Wir kämpfen. Tausend Runden, wenn es sein muss.« Schon zischten seine Fäuste Ouyang Feng rechts und links um die Ohren.

Rasch hielt Ouyang Feng Huang Rong, die hilflos wie eine Puppe in seinen Klauen hing, wie einen Schutzschild vor sich. Er hatte sie mit einem Druck auf den Nervenpunkt an ihrem Nacken gelähmt. Der Bettler sprang zurück.

»Schämst du dich nicht, Alter Giftmolch? Lass die Frau los und kämpf wie ein Mann!«

Die Lage war brenzlig, aber Ouyang Feng ließ nichts auf seine Kämpferehre kommen. Er drehte sich zu seinem Neffen um, der wegen der Flammen nicht näher kommen konnte. Kurzentschlossen warf er ihm Huang Rong zu. »Spring auf das Boot, los!«

Ouyang Ke fing Huang Rong auf und sah hinunter zu Guo Jing. Das Boot war klein – zu klein, um mit Huang Rong auf den Armen hinunterzuspringen, ohne dass es kenterte. Er griff nach einem Seil, vertäute es flink mit einer Hand an dem Stumpf, der vom Mast übrig geblieben war, und ließ sich daran mit Huang Rong im Arm auf das Boot hinab.

Erleichtert sah Guo Jing, dass Huang Rong in Sicherheit war. Seine Aufmerksamkeit war jedoch so vom Kampf der beiden Großmeister an Deck gefesselt, dass er ihre Hilflosigkeit zunächst gar nicht bemerkte.

An Deck lieferten der Bettler des Nordens und Gift des Westens sich einen furiosen Schlagabtausch, bei dem sie allerdings immer wieder herabfallenden Holzteilen und brennenden Segeln und Seilen ausweichen mussten. Dabei gereichten Bettler Hong seine nassen Kleider zum Vorteil. Ouyang Fengs Kleider und sein Haar waren bereits angesengt.

Aus diesem Grund gelang es dem Bettler, den Widersacher immer weiter in Richtung der in Flammen stehenden Kajüten zu drängen. Ouyang Fengs Robe fing endgültig Feuer und er wäre am liebsten ins Meer gesprungen, aber er kam einfach nicht an Bettler Hong vorbei. Sobald er die Flucht ergriff, musste er seine Deckung aufgeben und einen gefährlichen Treffer in Kauf nehmen. Was tun?

Aufseiten des Bettlers wuchs hingegen die Zuversicht. Diesmal würde er den elenden Giftmolch endlich schlagen können. Doch dann kam ihm ein anderer Gedanke. Wenn er jetzt in den Flammen stirbt, war alles vergebens.Dann wird mir nie die Freude vergönnt sein, zu sehen, wie er sich lächerlich macht, weil er mit dem gefälschten Neun-Yin-Handbuch geübt hat! Er lachte laut auf. »Weißt du was, Alter Giftmolch? Für heute verschone ich dein Leben. Auf das Boot mit dir!«

Ouyang Feng traute seinen Ohren nicht, stürzte sich aber sofort am Bettler vorbei über die Reling ins Meer. Der Bettler wollte hinterherspringen, aber da rief Ouyang Feng zu ihm hinauf: »Warte! Jetzt bin ich so nass wie du und wir können in einem gerechten Kampf entscheiden, wer der Bessere ist.«

Gift des Westens griff nach einer Eisenkette, die vom Schiff herunterhing, und zog sich daran mit einem Schwung auf das Deck zurück.

»Hervorragend!« Der Bettler war entzückt. »Genau der richtige Zeitpunkt für einen Kampf!«

Schon flogen die Fäuste wieder und das Meisterduell setzte sich fort.

»Huang Rong, sieh mal, mit welcher Kraft Gift des Westens zuschlägt!«, rief Guo Jing fasziniert. Er hatte noch immer nicht bemerkt, wie schlaff Huang Rong in Ouyang Kes Umklammerung hing. »Aber gleich wird das ganze Schiff in Flammen aufgehen. Besser, ich bitte unseren Meister, schnell zu uns herunterzukommen. Oder ich steige hinauf und helfe ihm. Was meinst du?«

Huang Rong blieb stumm.

Fragend drehte Guo Jing sich nach ihr um und erstarrte. »Lass sie sofort los!«, herrschte er Ouyang Ke an.

Der dachte nicht daran. Wie lange hatte er auf den Augenblick gewartet, die Begehrte in seinen Armen zu halten! »Eine Bewegung«, sagte er zu Guo Jing, »und ich spalte ihr mit einem Hieb den Schädel.«

Ohne nachzudenken schlug Guo Jing mit dem Ruder nach Ouyang Kes Kopf. Der duckte sich weg. Guo Jing ließ das Ruder fallen und holte mit beiden Fäusten zum Schlag aus. Um sich zu verteidigen, musste Ouyang Ke Huang Rong loslassen. Schnell sah er sich aus den Augenwinkeln heraus auf dem Boot um. Für einen Faustkampf war hier kein Platz. Er fuhr hoch und holte zu einer Wendigen Schlangenfaust aus. Als Guo Jing mit dem linken Arm abwehren wollte, traf ihn unvermittelt Ouyang Kes Ellbogen hart an der Schläfe.

Guo Jing wurde schwindlig. Unwillkürlich kniff er die Augen zusammen, begriff aber sogleich, in welcher Gefahr er sich befand, riss sie wieder auf und konnte gerade noch rechtzeitig die Hand hochreißen, um Ouyang Kes nächsten Angriff abzuwehren. Wieder verbog Ouyang Ke auf unnatürliche Weise den Arm. Guo Jing warf den Kopf in den Nacken, um dem Schlag zu entgehen. Seine rechte Faust schnellte vor. Ausweichen und gleichzeitig angreifen war keine leichte Angelegenheit, aber schließlich hatte er Zhou Botongs Duell der Hände gelernt und konnte mit der rechten und der linken Hand mühelos konträre Bewegungen ausführen. Auf diese Weise klemmte er Ouyang Fengs rechten Arm mitten in der Bewegung zwischen seinen beiden Armen ein und brach ihn mit einem lauten Knacken.

Ouyang Kes Kampfkunst entsprach im Grunde der eines Jüngers der Quanzhen-Schule oder eines Sha Tongtian. Daher war er Guo Jing immer noch um einiges überlegen, hatte aber dessen ungewöhnliches Kung-Fu unterschätzt. Zum wiederholten Mal unterlag er einer erstaunlichen Kampfkunst, mit der er es noch nie zu tun bekommen hatte.