Der Preis des Ruhms - Marian Füssel - E-Book

Der Preis des Ruhms E-Book

Marian Füssel

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Beschreibung

"Mein Unglück ist, daß ich noch lebe... von einem Heere von 48.000 Mann hab ich jetzt, wo ich dies schreibe, keine 3000." Als Friedrich der Große dies am 11. August 1759 notiert, liegt die furchtbare Schlacht bei Kunersdorf hinter ihm. Das Grauen dieses einzigen Tages steht emblematisch für einen Weltkrieg des 18. Jahrhunderts, dessen Ereignisse zwischen 1756 und 1763 ganz Europa, aber ebenso die überseeischen Imperien Frankreichs, Großbritanniens und Spaniens oder die Indianerstämme Nordamerikas in Mitleidenschaft zogen.

Marian Füssel, Professor für Geschichte der Frühen Neuzeit an der Georg-August-Universität Göttingen, legt eine große, spannende Darstellung dieses Weltkriegs vor.

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Marian Füssel

DER PREIS DES RUHMS

Eine WELTGESCHICHTEdes Siebenjährigen KRIEGES

1756–1763

C.H.Beck

Zum Buch

«Wenn einmahl die künftigen Zeiten unsere Zeit-Geschichte werden vorstellig machen, was für gewaltige Dinge werden da zu sehen sein! Die mächtigsten Völcker in Bewegung zur Krieges-Rache erhitzet, die Schwerdter zu vielen Hundert Tausenden gezückt, und das Würgen gegen einander so wütend, als wenn Europa ausgewürgt werden sollte.» Was der Bäckermeister Eberhard Jürgen Abelmann (1703–1765) aus Hannover hier über sein Erleben der Gewalt des Siebenjährigen Krieges festgehalten hat, gilt auch im Hinblick auf dessen globale Dimensionen. Die interkontinentalen Ausmaße des Siebenjährigen Krieges lassen ihn gleichsam als ein Laboratorium der Moderne erscheinen: Nationalismus und Globalisierung, Heldenkult und Ästhetisierung barbarischer Gewalt, asymmetrische Kriegführung und der Kampf um internationale Märkte – all das macht diesen Krieg zu einem Ereignis, das die Welt in einem bis dato unbekannten Maße veränderte. Der Autor überwindet in seiner meisterhaften Darstellung die traditionelle Einseitigkeit nationaler Beschreibungen und entwickelt in vorbildlicher Weise eine globale Perspektive auf die dramatischen Vorgänge, ohne dabei das Elend des leidenden Individuums aus den Augen zu verlieren.

Über den Autor

Marian Füssel ist Professor für Geschichte der Frühen Neuzeit an der Georg-August-Universität Göttingen. Von demselben Autor ist im Verlag C.H.Beck lieferbar: – «Der Siebenjährige Krieg. Ein Weltkrieg im 18.Jahrhundert» (C.H.Beck Wissen 22013); «Waterloo 1815» (C.H.Beck Wissen 2015).

Inhalt

I: Prolog: Ein globaler Konflikt aus der Nähe

Weltgeschichte aus der Nähe

Getrennte Wege der Forschung

Zeugen und Zeugnisse

Strukturen und Ereignisse

II: Geopolitik zwischen Reich und Empire

Krieg und Globalisierung

Ziele und Interessen

Armeen und Ressourcen

Soldat werden: Motive und Passagen

Die gute Policey des Krieges? Praktiken der Kriegführung

«für einige Acker voller Schnee» oder Die Welt in Flammen

III: Ein Feuer wird entfacht

Jumonvilles Tod

Braddocks Niederlage am Monongahela

Krieg in den Wäldern: «Americanische» Gewaltpraktiken

Die Konvention von Westminster und die diplomatische Revolution

Die Eroberung Menorcas und der Tod des Admirals

Das Schwarze Loch der Propaganda: Kalkutta Juni 1756

IV: Kriegstheater ohne Fronten: Das Reich als Kriegsschauplatz

Vorzeichen des Krieges

Einmarsch in Sachsen

Lobositz: Die Erfahrung der Schlacht

Wessen Sieg?

Die Schlacht lesen

Pirna: Die Kapitulation der sächsischen Armee

Auf dem Reichstag: Die Politik des Verfahrens

V: 1757 – Das Jahr der Schlachten

«Immer nur bataillieren»

Von Prag nach Kolin

Zittau: Ein Stadtbrand mit Folgen

Russischer Vormarsch: Groß-Jägersdorf

Von Hastenbeck bis Kloster Zeven

Ein Husarenstück in Berlin

Roßbach: Eine merkwürdige Bataille

«Soubisiaden»: Reaktionen auf Roßbach

Frischer Wind im Westen

Leuthen: Der Sieg der Erfahrung

Fort William Henry: Ein umstrittenes «Massaker»

Plassey: Clive of India

VI: Wahrnehmungen und Erfahrungen des Kriegsalltags

(K)ein Religionskrieg? Ein geweihter Degen und viel Papier

Hitze und Kälte

Hunger und Durst

An den Grenzen von Sprache und Verständigung

VII: 1758 – Ausweitung der Kampfzone?

Ein Bündnis mit den Osmanen?

Der Pommersche Krieg

«Wir sind auf der frantzosen Jagd» Herzog Ferdinands Feldzug 1758

Gefährliche ‹Abstiege›: Britische Raids an der französischen Küste

Tief im Westen

Von Löwen und Ananas: Ticonderoga und Louisbourg 1758

Zorndorf oder Die Entgrenzung der Gewalt

Die Medienschlacht und ihr Publikum

Hochkirch: Ein nächtlicher Überfall

Unterwegs in Pommern

An der Küste Afrikas: St. Louis und Gorée

Brennender Zucker und Tropenkrankheiten: Der Kampf um die Karibik

Indien 1758–1759

VIII: 1759 – Annus Mirabilis

Der Wind dreht sich

Kanonen und Rosen: Die Schlacht bei Minden

Candide auf dem Schlachtfeld

Kunersdorf: Das Mirakel des Hauses Brandenburg

Québec: Der Fall der Nouvelle-France

Ungleiche Seeschlachten: Vom Stettiner Haff bis Quiberon

Der «Finckenfang» von Maxen

Endlich Frieden? Die vertane Chance von Augsburg

IX: Mit Degen und Feder: Ein Medienkrieg

Ein neues Karthago?

Der «König der Pressen» im «Zeitungskrieg»

Der Krieg der Dichter

Der Krieg der Bilder

Den Krieg konsumieren und erinnern

Die Nachricht als Ware

Welt-Wissen? Der globale Krieg als Medienereignis

X: Städtische Lebenswelten im Ausnahmezustand

Okkupation zwischen Korruption und Kooperation

1760 – Die Räume werden enger

Dresden in Flammen

Überraschung in Berlin

Kämpfe in Nordwestdeutschland

Montréal kapituliert

Zwischen Aufschwung und Depression: Boston, New York, Philadelphia

Unter Geiern: Das Fischer Korps zwischen Niederrheinund Ostfriesland

Zu Gast bei Feinden: Kriegsgefangenschaft

Mars unter den Musen: Universitäten im Krieg

XI: 1761 – Vertane Chancen und neue Allianzen

Umkämpftes Hinterpommern: Die drei Belagerungen Kolbergs

Entlang der Peene: Das Ende des Pommerschen Krieges

Martinique und die Kontrolle über die Karibik

Wandiwash und Pondicherry: Auf dem Weg zur britischen Vorherrschaft

Der Schlaf des Königs: Kein Frieden für die Indianer

Der Phantastische Krieg: Spanien vs. Portugal

XII: Zwischen Moskitos und Monsun: Der Griff nach Spaniens Kolonien

Kampf um den «Schlüssel zur Neuen Welt»: Havanna 1762

Plündern im Dienst des Empire: Manila 1762

Lateinamerika als Kriegsschauplatz

XIII: Das zweite Mirakel

Der Tod der Zarin

Die beständige Fata Morganaeines Bündnisses am Bosporus

Letzte Gefechte

XIV: 1763 – Endlich Frieden

Der Weg zum Frieden: Fontainebleau

Der Frieden von Paris

Der Frieden von Hubertusburg

Europa feiert den Frieden

Prekäre Versprechen

XV: Folgen eines Krieges

Das Empire zu Hause: Soziale und kulturelle Rückwirkungen auf Europa

Gewinner und Verlierer: Verluste, Reparationen und Profite

Ökonomien des Krieges

Helden-Maschinen

Kriegsgerichtsprozesse

Kriegsheimkehrer

Reformen und Revolutionen: Politische und kulturelle Folgen

XVI: Epilog: Entscheidungen – Signaturen – Wahrnehmungen

Das Mirakel des Kriegsverlaufs

Sicherheit als Motor der Politik

Krankheit und Gewalt

Verflechtung und Entflechtung

Schreibweisen des Krieges

Der Krieg der Sinne

Dank

Anmerkungen

I. Prolog: Ein globaler Konflikt aus der Nähe

II. Geopolitik zwischen Reich und Empire

III. Ein Feuer wird entfacht

IV. Kriegstheater ohne Fronten: Das Reich als Kriegsschauplatz

V. 1757 – Das Jahr der Schlachten

VI. Wahrnehmungen und Erfahrungen des Kriegsalltags

VII. 1758 – Ausweitung der Kampfzone?

VIII. 1759 – Annus Mirabilis

IX. Mit Degen und Feder: Ein Medienkrieg

X. Städtische Lebenswelten im Ausnahmezustand

XI. 1761. Vertane Chancen und neue Allianzen

XII. Zwischen Moskitos und Monsun: Der Griff nach Spaniens Kolonien

XIII. Das zweite Mirakel

XIV. Endlich Frieden

XV. Folgen eines Krieges

XVI. Epilog: Entscheidungen – Signaturen – Wahrnehmungen

Siglenverzeichnis

Literaturverzeichnis

Einführende Literatur

Bildnachweis

Personenregister

I

Prolog: Ein globaler Konflikt aus der Nähe

Weltgeschichte aus der Nähe

«Wenn einmahl die künftigen Zeiten unsere Zeit-Geschichte werden vorstellig machen, was für gewaltige Dinge werden da zu sehen sein! Die mächtigsten Völcker in Bewegung zur Krieges-Rache erhitzet, die Schwerdter zu vielen Hundert Tausenden gezückt, und das Würgen gegen einander so wütend, als wenn Europa ausgewürgt werden sollte. Ströhme von Blut! Schlachten, in welchen zu zehn- und zwanzig Tausend niedergemetztelt wurden. Bey dreißig solcher Schlachten in Sieben Jahren! Gewaltige Siege mit wenig Leuten, gegen dreymal überlegene Heere; die mächtigsten Völcker in ihrem Kriegs-Anschlag alle vereitelt! Uns alle bestürmet, und alle umsonst bestürmet. Unsere Majestaets Seulen erschüttert, aber eben durch die Erschütterung erhöhet. Was für wundernswürdige Begebenheiten. Aber ach! Wie schrecklich dieses Krieges Bild! Flammende Städte, und zu Steinhaufen nieder getrümmert! Verheerte Länder, in welchen die Dörfer von Menschen leer, und die Aecker unbesäet waren! die, welche noch besäet waren mit Ungeziefer bedeckt! Bang gerungene Hände! bleiche Angesichter! Von Furcht und Hunger bleich, und in Kranckheit und Elend mit Todes-Bläße! Thränende Augen! blutende Wunden! Verstümmelte Glieder zu Tausenden! Aus ihrem Munde Ach und Weh! Flüchtige! Die herum irrende Aeltern, mit ihren Kindern an der Hand! Geängstigte, durch des Krieges-Gewalt unter entsetzlichen Geld-Erpreßungen zu Tausenden, und mit tausend Seufzern! Gemißhandelte, Barbarisch Gemißhandelte! Geplündert und nackend gemachte zu Tausenden! Aus ihrem Munde Weh und Ach! Fürsten von Landen und Leuten verjagt! Und flüchtig von einem Orte zum andern. Könige, und gegen sie die Hand der Meuchelmörder ausgestreckt. Einen erschrecklichen Fall eines der mächtigsten Kaiser! den sein Trohn erschlug. Eine durchs Erdbeben im Abgrund gewirbelte Königs-Stadt! und noch mehr erschüttert. Das wallende Meer in seinen Fluthen mit Menschen-Blut bespritzt! Die Donnerwetter mit niedergeschlagenem Hagel! Die Fluhten der Ströhme und Meilenweite Felder ersäuft! Was düncket uns bey dem Anblick dieses Schauplatzes unserer Zeiten? Es sind doch keine Bilder ohne Wesen. Es sind von uns selbst erlebte Begebenheiten, unser Auge hat sie gesehen. Unser Ohr hat sie gehöret.»[1]

Mit diesen Worten schilderte der Bäckermeister Eberhard Jürgen Abelmann (1703–1765) aus Hannover den Siebenjährigen Krieg. Abelmann steht als Zeitzeuge exemplarisch für eine Nahsicht auf den großen Krieg, die ein Bewusstsein vom Leid der Menschen mit einer Aufmerksamkeit für die erinnerungswürdige historische Besonderheit seiner erlebten Geschichte verband. Unsere gängigen historiographischen Erzählmuster operieren meist anders, suchen nach einer politischen Ursache und versuchen, gerade von der individuellen Erfahrung zu abstrahieren. Am Anfang des Krieges stand ein unglücklicher Frieden – so könnte ein solches Begründungsnarrativ für den Siebenjährigen Krieg lauten. Für den Raub Schlesiens durch Friedrich II. könnte es der die Österreicher unzufrieden zurücklassende Friede von Dresden 1745 sein, für die anglo-französische Rivalität der Friede von Aachen 1748.[2] Aus den damit aufgerufenen Mächtekonkurrenzen folgen zwei alternative Ausgangsszenarien. So begann der Siebenjährige Krieg für die einen im Juli 1755 im Ohio-Tal, für die anderen im August 1756 mit dem Einmarsch preußischer Truppen in Sachsen. Je nach nationalem Blickwinkel steht der Krieg damit für zwei ganz unterschiedliche Konflikte des 18. Jahrhunderts. In Bäckermeister Abelmanns Heimatstadt Hannover kreuzten sich zwei verschiedene Konfliktlinien: der Kampf Großbritanniens mit Frankreich und die Rivalität zwischen Preußen und Österreich.[3]

Diese verschiedenen Sichtweisen auf den einen Krieg haben selbst ihre Geschichte. Es zählt zu den Grundeinsichten historischer Forschung, dass sich Ereignisse im Prozess ihrer erinnerungskulturellen Aneignung immer wieder transformieren.

In den diversen nationalen Erinnerungskulturen hat der Siebenjährige Krieg nicht nur unterschiedliche Namen und Bedeutungen erhalten, sondern auch diverse Konjunkturen des Gedenkens, die mittlerweile eine über 250-jährige Geschichte aufweisen. In Deutschland und Österreich wurde er lange als Dritter Schlesischer Krieg erinnert und damit als verzweifelter Kampf Friedrichs II., Schlesien zu halten und auf diese Weise langfristig einen preußisch-österreichischen Dualismus zu zementieren. In Großbritannien und Frankreich wird er als Krieg um die Vorherrschaft in Europa und auf den Weltmeeren erinnert, der mit der Hegemonie des britischen Empire endete. In den USA ist er unter dem Namen French and Indian War eine Vorstufe zum amerikanischen Unabhängigkeitskrieg. In Kanada firmiert der Siebenjährige Krieg nicht nur als French and Indian War, sondern auch als Guerre de la Conquête, als ‹Krieg der Eroberung›, mit dem Resultat eines endgültigen Endes der Nouvelle-France.[4] Für Indien ist er als dritter Krieg im Karnatik und Konflikt in Bengalen ein Kapitel auf dem Weg zur britischen Kolonie, für Spanien ist der ‹Phantastische Krieg› mit England und Portugal eine Episode im langsamen Abschied von der Position als maritimer Weltmacht. In Schweden wird ihm als ‹Pommerscher Krieg› gedacht, und für Russland bildet er eine Etappe in der Geschichte des langen Wegs nach Westen.

Geht man davon aus, dass all diese Konflikte miteinander zusammenhingen, so war der Siebenjährige Krieg ein Konflikt globalen Ausmaßes und verband Kriegsschauplätze und Konfliktlinien in Europa, Nord- und Südamerika, der Karibik, Afrika und Südasien. Angesichts eines prosperierenden und stetig anwachsenden Forschungsfeldes der Globalgeschichte kann eine Thematisierung des Siebenjährigen Kriegs als globalem Konflikt, oder noch plakativer als «Weltkrieg», allerdings leicht in den Verdacht eines modischen Etikettenschwindels geraten. In der Forschung zu den Kriegen des 17. bis 19. Jahrhunderts zeichnet sich in den vergangenen Jahrzehnten eine signifikante Tendenz ab, den ersten Weltkrieg der Geschichte vor dem 20. Jahrhundert ausfindig machen zu wollen. Vom Achtzigjährigen Krieg, dem Pfälzischen, Spanischen und Österreichischen Erbfolgekrieg über den Siebenjährigen Krieg bis hin zu den Revolutions- und Koalitionskriegen spannt sich der Reigen potentieller Kandidaten.[5]

Die Verwendung des Begriffs «Weltkrieg» ist jedoch zweifelsohne älter als die offensichtlichen Anklänge an die beiden Weltkriege des «Zeitalters der Extreme» (Hobsbawm) vermuten lassen. Bereits 1881 betitelte der Historiker Wilhelm Oncken (1838–1905) ein Kapitel seines Werkes Das Zeitalter Friedrichs des Großen mit «Der Weltkrieg um Preußens Sein und Nichtsein».[6] Mit dem Ersten Weltkrieg (1914–1918) erhöhte sich dann die Evidenz eines Vergleichs zwischen vormodernem und modernem Weltkrieg auf tragische Weise.[7] Nach dem Zweiten Weltkrieg (1939–1945) hat 1957 prominent Winston Churchill in seiner vierbändigen History of the English-Speaking Peoples das entsprechende Unterkapitel mit «The First World War» betitelt.[8] Im selben Jahr firmiert in einem westdeutschen Schulbuch der Siebenjährige Krieg noch deutlicher als «Der zweite Weltkrieg des 18. Jahrhunderts».[9] Ein weiteres Jahrzehnt später hat Reinhart Koselleck 1968 ganz selbstverständlich von dem «globalen Zusammenhang» und der «weltweiten Interdependenz» gesprochen, die den Siebenjährigen Krieg als «ersten Weltkrieg unseres Erdballs» begreifen ließen.[10]

Entscheidender als die Frage nach dem wahrhaft ‹ersten› scheint jedoch die Frage zu sein, ob es überhaupt globale Verflechtungsprozesse gab und wenn ja, welche Auswirkungen diese jeweils gezeitigt haben.[11] Es kann ja nicht allein um das Etikett des Weltkriegs gehen, als ob dieses den jeweiligen Konflikt in seiner Bedeutung aufwerten müsste. Sinnvoller scheint es, die Frage nach den globalen Dimensionen der Konflikte, die unter dem historischen Ereignis Siebenjähriger Krieg subsumiert werden, als einen Schritt zu ihrer Historisierung zu begreifen. Dieter Langewiesche unterscheidet die weltweit ausgetragenen Konflikte des 18. Jahrhunderts als «Europas Kriege in der Welt» treffend von «Europas Weltkriegen» im 20. Jahrhundert.[12] Wird damit die offenbar unvermeidliche Begleiterrolle des Krieges im Prozess der europäischen Expansion beschrieben, so gingen auch vom Krieg selbst verflechtende und entflechtende Wirkungen aus. Die globalisierenden Effekte des Siebenjährigen Krieges, so die Grundannahme, wirkten auf mehreren Ebenen. Zunächst waren die Kriegsursachen nicht mehr auf lokale Räume begrenzt, sondern entfalteten sich beispielsweise von Nordamerika zurück nach Europa und von Europa in die Karibik oder nach Südasien. Diese Verkettung brachte zweitens eine erhöhte Mobilität von Akteuren, in erster Linie natürlich den jeweiligen Kriegsmarinen und Soldaten, aber auch Handelsgesellschaften und Geistlichen. Die Kommunikation der Kriegsereignisse führte drittens auf der Wahrnehmungs- und Deutungsebene zu einem verdichteten Informationsstand über weit entfernte Regionen und steigerte das Interesse an Nachrichten – ein Prozess, der keine Einbahnstraße für Informationen bildete, die aus Übersee nach Europa kamen, sondern auch umgekehrt eine Nachfrage für Informationen aus Europa in Übersee generierte.

Die globale Dimension des Siebenjährigen Krieges ist keine Erfindung moderner Globalhistorikerinnen und Globalhistoriker, sondern wurde bereits von den Zeitgenossen des Konflikts immer wieder konstatiert und diskutiert, wenngleich – wie sich zeigen wird – in einer anderen Begrifflichkeit und nicht an allen Orten und von allen Zeitgenossen in gleichem Maße.[13] So sollten wir nicht den anachronistischen Fehler begehen, unsere eigenen Welt-Wahrnehmungen im Zeitalter der Globalisierung vorschnell auf frühere Jahrhunderte zu übertragen.[14] Zuallererst ist zu fragen: Was wussten die Zeitgenossen des 18. Jahrhunderts von Prozessen, die wir heute gern als globale Verflechtung bezeichnen? Gerade aufgrund deren enormer Ausdehnung stellt sich die Frage nach der zeitgenössischen Wahrnehmung und Deutung der Kriegsereignisse in besonderer Weise. Wie weit konnten die historischen Akteure die Ereignisse über die Grenzen ihres Dorfes, ihrer Stadt oder ihres Territoriums hinaus verfolgen?

Um dieser konstitutiven Spannung zwischen dem Lokalen und dem Globalen methodisch gerecht zu werden, wird die Geschichte jenes weltumspannenden Konflikts aus einer mikrohistorisch angeleiteten Perspektive dargestellt. Dazu wurden ca. 200 Selbstzeugnisse ausgewählt, die von allen Schauplätzen und Parteien des Krieges stammen. In der Darstellung werden die Ebenen von Struktur und Ereignis miteinander verschränkt, die Abfolge der Kriegsereignisse in Raum und Zeit wird immer wieder von systematischen Querschnittsthemen des Kriegsalltags durchbrochen. Angeregt wurde diese methodische Vorgehensweise einer ‹Weltgeschichte› aus der ‹Nähe› (Robert Musil) in der Deutung von Zeitgenossen ursprünglich durch einen von Hans Medick entwickelten alltagshistorischen Ansatz zur Geschichte des Dreißigjährigen Krieges.[15] Entsprechende Studien haben den Mehrwert einer multiperspektivischen Selbstzeugnisanalyse jenseits von reinen Zitatenkollagen oder einem naiven Realismus überzeugend unter Beweis gestellt. Anders als Robert Musil im Dolomitenkrieg gehe ich allerdings davon aus, dass die Summe der verschiedenen Nahperspektiven trotz aller ‹Unsichtbarkeit› für den Einzelnen für den Historiker zusammen ein neues, dem tatsächlichen Geschehen nahe kommendes Bild des Kriegsalltags ergibt.[16] Eine zentrale Perspektivenweitung der Mikrogeschichte liegt darin, einzelne Praktiken aus der Nähe zu verfolgen und mit dem großen Ganzen neu in Beziehung zu setzen. Im Sinne einer «flachen Ontologie» verflüchtigen sich dabei auch die Gegensätze von Mikro- und Makrogegenständen.[17] Gerade der zeitgenössischen Wahrnehmung dessen, was wir heute mit Begriffen der entangled history, histoire croisée, connected history oder Globalgeschichte fassen, gilt besonderes Augenmerk.[18] Häufig wurden die weltweiten Verflechtungen von Zeitgenossen etwa mit einer Flächenbrand-Metaphorik und überspringenden ‹Funken› beschrieben. Der Abbé Raynal (1713–1796) spricht in seiner Geschichte beider Indien (1770), einem der Bestseller der Spätaufklärung, vom Siebenjährigen Krieg gar als einem «guerre universelle».[19] Andere wiederum sahen überhaupt keine Verflechtung oder wunderten sich stattdessen über Angriffe, die scheinbar aus dem Nichts kamen.

Getrennte Wege der Forschung

Die Literatur zur Geschichte des Siebenjährigen Krieges ist mittlerweile nahezu unüberschaubar und setzt bereits unmittelbar nach seinem Ende ein.[20] Seine globale Dimension ist in den frühen britischen Darstellungen noch deutlich präsent. So teilte etwa John Almon (1737–1805) seine bereits 1763 veröffentlichte «Impartial History of the Late War» in Kapitel zu «Affairs» in «America», «Asia», «Africa» und «Germany» ein, und die 1763 bis 1764 erschienene fünfbändige Gesamtdarstellung von John Entick (1703–1773) trägt den Untertitel «Containing it’s Rise, Progress, and Event in Europe, Asia, Africa, and America».[21] Für den spanischen Markt publizierte Joseph Vicente de Rustant 1765 ein zehnbändiges Werk zu den Decadas de la Guerra mit ebenfalls breitem räumlichen Fokus, für das er offenbar vor allem Zeitungsnachrichten als Quellen zugrunde legte.[22] In Deutschland erschien 1764 eine Darstellung im globalen Maßstab in «chronologischen Tabellen».[23] Erst gegen Ende des 18. Jahrhunderts folgten mit Arbeiten von Zeitzeugen wie Georg Friedrich von Tempelhoff (1737–1807) und seiner Geschichte des Siebenjährigen Krieges (1783–1801) und Johann Wilhelm von Archenholz (1743–1812) mit seinem fast gleichnamigen Werk (1788) nachhaltig wirksame narrative Gesamtdarstellungen.[24] Tempelhoff prägte dabei offenbar als Erster im Druck den Begriff «siebenjähriger» Krieg, bis dato hatten die meisten Publikationen nur von «the late war» gesprochen.[25] Archenholz, wie Tempelhoff selbst Veteran des Krieges, berücksichtigte angesichts einer deutlichen ‹patriotischen› Zentrierung auf das Reich und Preußen die Kämpfe zwischen Briten und Franzosen eher am Rande.[26] Gerade für die außereuropäischen Schauplätze hätte er jedoch eine besondere Expertise besessen. So hatte er wenige Jahre zuvor die Geschichte der britischen Expansion in Indien von Robert Orme (1728–1801) in einer sehr freien Übersetzung ins Deutsche übertragen.[27] Dass Ende des 18. Jahrhunderts der Siebenjährige Krieg auch in Preußen durchaus in seiner weltumspannenden Dimension gesehen werden konnte, macht eine König Friedrich Wilhelm II. (1744–1797) gewidmete Geschichtskarte des siebenjährigen Krieges von Johann Michael Friedrich Schulze (1753–1817) deutlich. Sie erschien 1792 bei dem Berliner Verleger Christian Friedrich Himburg (1733–1801) und wurde von einer gedruckten ‹Gebrauchsanweisung› begleitet.[28] Die für die Berliner Handlungs- und Bürgerschule zu didaktischen Zwecken in einer «bequemen synchronistischen Uebersicht» konzipierte Geschichtskarte ist entlang von zwei Achsen strukturiert. Die eine Achse gibt die Chronologie der einzelnen Kriegsjahre beginnend mit 1755 vor, die andere ist nach vier Hauptschauplätzen des Krieges geordnet: der außereuropäischen Welt, dem Westen des Reiches plus Spanien und Portugal, dann Sachsen, Thüringen und Schlesien und schließlich Pommern, der Mark und Polen.[29]

Abb. 1: Geschichtskarte des Siebenjährigen Krieges für die Jahre 1755–1762 von Johann Michael Friedrich Schulze, Berlin 1792.

Mit dem 19. Jahrhundert setzte nicht nur die Verwissenschaftlichung der Geschichtsschreibung ein, sondern auch deren Nationalisierung. So wurde der europäische, amerikanische oder südasiatische Kriegsschauplatz nun meist getrennt von den anderen behandelt. Besonders militärhistorische Gesamtdarstellungen blühten, wie etwa das Großunternehmen des preußischen Generalstabes zu den Kriegen Friedrichs des Großen belegt.[30] Doch auch während der Hochphase national geprägter Geschichtsschreibung am Ende des 19. Jahrhunderts entstanden Werke von globalem Zuschnitt, wenn auch zum Teil aus nationaler Perspektive.[31] Zu nennen wären in diesem Zusammenhang beispielsweise Julian S. Corbetts zweibändiges Werk England in the Seven Years War (1907) oder die fünfbändige französische Darstellung von Richard Waddington (1899–1914).[32] Nach dem Zweiten Weltkrieg folgte in der amerikanischen Imperialgeschichtsschreibung das monumentale Werk von Lawrence H. Gipson, während es in der französischen und deutschen Forschung lange Zeit weder Gesamtdarstellungen noch solche mit globaler Ausrichtung gab.[33] In der historiographischen Tradition der DDR spielte die Weltkriegsdimension so gut wie keine Rolle, obgleich ein Romanist wie Werner Krauss bereits zu Beginn der 1960er Jahre von einem «siebenjährigen Weltkrieg», dem «Kriegsschauplatz in der Neuen Welt» sowie der «Verknüpfung» des Siebenjährigen Krieges «mit den kriegerisch ausgetragenen Gegensätzen des Kolonialismus» sprach.[34] Die sogenannte Preußenrenaissance der 1980er Jahre verschärfte das Auseinandertreten der europäischen und der außereuropäischen Dimensionen des Konflikts ein weiteres Mal, während die lokalhistorische Forschung zu einzelnen Orten weltweit boomte.[35]

Die einzelnen Schauplätze haben inzwischen ganz eigene Forschungskonjunkturen entwickelt, die zum Teil große Unterschiede in der Aktualität aufweisen. Ein traditionell reich beforschtes Feld ist der French and Indian War.[36] Neben der klassischen kanadischen Darstellung von Guy Frégault (1955) und der herausragenden Untersuchung von Fred Anderson (2000), die auch den anderen Kriegstheatern Aufmerksamkeit schenkt, erschienen allein in den vergangenen zwanzig Jahren mehr als ein Dutzend Überblicksdarstellungen.[37] Für Europa hat Franz A.J. Szabo (2008) eine preußen- bzw. eher Friedrich-kritische Synthese vorgelegt, während die einzelnen Kriegsgeschehen des Alten Reiches nur zum Teil durch neuere Gesamtdarstellungen erschlossen sind, so dass man vielfach auf Arbeiten aus dem 19. Jahrhundert angewiesen bleibt.[38] Der südasiatische Kriegsschauplatz ist in einer Vielzahl von Einzeluntersuchungen zu Regionen wie Bengalen oder Akteuren wie der East India Company behandelt worden, eine jüngere Synthese liegt jedoch nicht vor.[39]

Erst seit rund 20 Jahren ist der Siebenjährige Krieg im Zuge des Bedeutungsgewinns von Globalgeschichte verstärkt (wieder) als globaler Konflikt thematisiert worden.[40] Die englisch- und französischsprachigen Autoren nehmen die breit gefächerte deutschsprachige Literatur allerdings nur sehr ausschnitthaft oder gar nicht zur Kenntnis, während die jüngste deutschsprachige Darstellung ein nicht besonders quellennah gearbeiteter, narrativer Überblick ist, der auch nur einen kleinen Ausschnitt aus der englischsprachigen Literatur berücksichtigt.[41]

Der Siebenjährige Krieg ist in jüngster Zeit auch in Gesamtdarstellungen zum 18. Jahrhundert und zur Aufklärung neu gewürdigt worden.[42] So werden die Lebenswelten im Krieg nicht länger als Ausnahme, sondern als konstitutiver Bestandteil der zeitgenössischen Kultur begriffen.[43] Der Krieg war nicht das Andere des Jahrhunderts der Aufklärung, er gehörte untrennbar dazu. Merkantilistisches Wirtschaftsdenken, eine neue Kultur des Konsums, eine florierende Presselandschaft, die Mathematisierung der Kriegführung oder ein neuer, literarisch stimulierter Landespatriotismus sind nur einige der Faktoren in den vielfältigen Relationen zwischen Krieg und aufgeklärtem 18. Jahrhundert.

Der hier gewählte Zugang antwortet auf zwei Defizite, die anhand der bisherigen Forschung deutlich werden. Zum einen konzentrieren sich die global ausgerichteten Werke meist ganz auf die britisch-französische Perspektive und vernachlässigen die Ereignisse in Europa und insbesondere auf dem Gebiet des Alten Reiches, während die preußenzentrierten Darstellungen umgekehrt dazu tendieren, die britisch-französische Dimension auszublenden. Zum anderen enthalten sie auf monographischer Ebene kaum sozial- und kulturhistorische Zugänge, sondern argumentieren methodisch eher konservativ im Rahmen einer traditionellen Diplomatie-, Militär- und Imperialgeschichte.[44] Die monographischen Synthesen sind meist auf der Basis von Forschungsliteratur oder aus der Perspektive der Kabinette und Diplomaten als große Erzählungen angelegt – groß im Maßstab und im Erklärungsanspruch, groß aber auch im Fokus auf die ‹großen› Akteure, d.h. die Monarchen und ihre leitenden Minister. Selbstzeugnissen jenseits der politischen Entscheider kommt allenfalls illustrativer Charakter zu. Das verwundert umso mehr, als international wie national inzwischen eine breite Forschung zu «Kriegserfahrungen» existiert.[45] Matt Schuman und Karl Schweizer haben in ihrer transatlantischen Darstellung des Siebenjährigen Krieges auf Aspekte hingewiesen, die sie nicht berücksichtigen konnten und weiteren Bänden vorbehalten bleiben müssten. Dazu zählen u.a. «die Behandlung einzelner Soldaten und die Erfahrung der Zivilbevölkerung; Aufmerksamkeit für die Not von Frauen, ethnischen oder religiösen Minderheiten und der gesamten Klasse der Menschen, die von der formalen Ausübung politischer Macht ausgeschlossen waren; Fragen des Informationsflusses und der Wahrnehmung des Krieges, nicht nur in zeitgenössischen Zeitungen, Pamphleten und Briefen, sondern auch in der Erinnerung».[46] Viele dieser Fragen werden im Folgenden eine tragende Rolle spielen.

Zeugen und Zeugnisse

Das 18. Jahrhundert, von Friedrich Schiller (1759–1805) einmal spöttisch als «tintenklecksendes Säculum» bezeichnet, war schon im Frieden ein Jahrhundert ausgiebiger Selbstthematisierung und Kommunikation. In Zeiten des Krieges schwoll die Frequenz entsprechender Dokumente jedoch noch einmal gewaltig an. Nach 30 Jahren intensiver Methodendiskussion zur Quellengattung Selbstzeugnis bzw. weiter gefasst Ego-Dokument sind sowohl die Potentiale wie die Grenzen inzwischen klar benannt.[47] Subjektivität, sprachliche Topoi (das ‹Unaussprechliche›) und Standortgebundenheit werden nicht länger als qualitative Defizite, sondern als Charakteristika einer spezifischen Quellengattung gesehen, die für eine reflektierte Erfahrungsgeschichte weiterhin großes Potential bereithält.[48] Die bisherige Arbeit mit Selbstzeugnissen aus den Kriegen des 18. Jahrhunderts diente jedoch entweder der Schaffung historischer Längsschnitte oder hat die Rekonstruktionen der «ultimativen Erfahrung» des Schlachtfeldes von 1450 bis 2000 und der «Motivationen» des einfachen Soldaten im 18. Jahrhundert oder eine einzelne Kriegspartei in den Fokus gerückt.[49] Mit der Fokussierung auf unterschiedliche Kriegsparteien in einem engen Zeitraum und der Erweiterung der Akteure über Militärs auf alle Betroffenen des Krieges strebe ich eine Perspektivenweitung an, wie sie in der jüngeren Selbstzeugnisforschung bereits in transkultureller Perspektive erfolgt ist.[50] So sind mittlerweile Geschichten globaler Lebensläufe, sogenannte global lives, zu einem wichtigen Zweig einer mikrohistorischen Globalgeschichtsschreibung geworden. Linda Coleys Biographie von Elizabeth Marsh (1735–1785), der weitgereisten Tochter eines englischen Schiffszimmermanns und am Rande auch Zeugin des Siebenjährigen Krieges, oder Emma Rothschilds Geschichte der schottischen Familie Johnstone im britischen Empire des 18. Jahrhunderts zählen zu den besonders gelungenen Beispielen.[51]

Die Ansätze der Erfahrungsgeschichte sollen im Folgenden in Richtung einer Wissens- und Informationsgeschichte des Krieges erweitert werden.[52] Im Zentrum steht stets das Wissen der Zeitgenossen sowohl um ihre lokale Lebenswelt als auch über weit entfernte Kriegsschauplätze. In Anlehnung an Peter Burkes strukturalistische Unterscheidung von Information als dem «Rohen» und Wissen als dem «Gekochten» wird verfolgt, wie die global zirkulierenden Informationsbausteine, etwa ‹Québec von den Briten erobert›, durch den Eintrag in ein Kriegstagebuch oder die Aufnahme in eine Lebensbeschreibung Teil eines Wissensbestandes werden, dessen ‹Einkochen› sich wesentlich aus der Einordnung in größere Kontexte ergab.[53] In diesem Fall konnte das ein einzelner Feldzug, der Krieg in Nordamerika, der gesamte Krieg oder die Geschichte Québecs als Wirtschaftsstandort sein.

Es geht damit primär um eine Wahrnehmungs- und Deutungsgeschichte des Siebenjährigen Krieges, die möglichst viele verschiedene Akteure zu Wort kommen lässt und möglichst viele unterschiedliche Perspektiven präsentiert. Multiperspektivität wird zu einem Grundprinzip der Darstellung, wenngleich diese oftmals durch die Überlieferungssituation beschränkt ist. Die Leitüberlieferung stellen folglich Selbstzeugnisse (Briefe, Tagebücher, Memoiren) dar, die punktuell flankiert werden durch Medienberichte (Zeitungen, Flugschriften, Predigten) sowie Bild- und Sachquellen (Stiche, Gemälde, Kunsthandwerk).

Die als Quellenbasis dienende Sammlung edierter schriftlicher Ego-Dokumente beläuft sich auf Zeugnisse von etwa 200 verschiedenen Akteuren, davon trotz einiger weniger signifikanter Ausnahmen etwa 95 Prozent Männer. Sie repräsentieren fast alle Kriegsparteien bzw. -schauplätze, wenn auch zum Teil je nach Überlieferung in ungleichem Umfang. Ihre Auswahl berücksichtigt nach Möglichkeit unterschiedliche soziale Schichten und Rollen sowie unterschiedliche Beobachtungsradien. Eine gewisse Einschränkung ergibt sich dadurch, dass mit Abstand die meisten edierten Selbstzeugnisse von britischen Soldaten oder zivilen Bewohnern des Alten Reiches stammen, also zumindest im britischen Fall die Perspektive der Sieger auch die nationale akademische Editionspolitik dominiert.[54] Zweifellos ist das nicht der einzige Grund für die unterschiedliche Produktionsdichte etwa von Tagebüchern und Lebensbeschreibungen, die in den katholischen Ländern wie Frankreich, allerdings mehr noch in Österreich, zumindest für den Siebenjährigen Krieg offenbar schwächer ausgeprägt war als in den protestantischen Territorien.[55] Zudem hat man bei den gemeinen Soldaten noch unterschiedliche Alphabetisierungsraten zu berücksichtigen.[56]

Unter dem Begriff der «Selbstzeugnisse» und noch etwas weiter gefasst dem der «Ego-Dokumente» werden unterschiedliche Textgattungen gefasst, die zum Teil erhebliche Unterschiede in ihrer Medialität und ihrer inhaltlichen wie sprachlichen Verfasstheit aufweisen.[57] Durch besonders zeitnahe Thematisierung der Kriegsereignisse zeichnen sich Briefe und Tagebücher aus, in größerem zeitlichem Abstand folgen ihnen Journale, Memoiren und Lebensbeschreibungen.[58] Auch im 18. Jahrhundert existierte so etwas wie Feldpost unterhalb der Offiziersränge, doch ist die Überlieferungs- und Editionslage in dieser Hinsicht nicht mit der des 19. und 20. Jahrhunderts vergleichbar.[59] Die Journale und Autobiographien wurden häufig zeitgenössisch publiziert oder zumindest mit dem Gedanken daran verfasst. Das gilt jedoch zum Teil auch für die eher privat scheinenden Briefe und Tagebücher, die ebenfalls Eingang in den publizistischen Erinnerungsdiskurs finden konnten. Je nach Zeitpunkt der Veröffentlichung konnten die Zeugnisse zum Bestseller werden oder zum Flop: Während der schottische Soldat Peter Williamson seine Erfahrungen mit «indianischen Grausamkeiten» 1757 publizierte und in kurzer Zeit sechs Auflagen erlebte, ging 1775 die Darstellung der «Abenteuer» seines Landsmannes Robert Kirkwood angesichts veränderter politischer Interessenlagen vollständig unter.[60] Auch der Verfasserkreis der Zeugnisse weist erhebliche Unterschiede auf. So dominieren unter den Autoren der selbst publizierten Journale und Tagebücher Militärs und Gelehrte. Spielten standesspezifische Strategien der Selbststilisierung für beide Gruppen eine Rolle, so kam den Kriegserfahrungen im militärtheoretischen Diskurs zusätzlich eine Funktion als didaktisches Beispielreservoir zu. Das bedeutet nicht, dass die anderen Chronisten des Krieges allein rein private Adressaten wie die eigene Familie und Verwandtschaft im Blick hatten, auch wenn dies stets ein klassisches Motiv war. So betitelt Antonius Verhoeven, ein einfacher Schlossermeister aus Goch südlich von Kleve, seine Aufzeichnungen mit «Gedahghtnisse voor min kinder en kinds kinds kinds kinder».[61]

Viele Chroniken von Pfarrern, Handwerkern oder Kaufleuten dienten ohne Zweifel kollektiver Erinnerung an eine bewegte Zeit. Besonders Pfarrer zählten zu den eifrigen Chronisten, die das Leid ihrer Gemeinden zu dokumentieren suchten. Zum Teil nutzten sie dabei Kirchenbücher, die eigentlich Hochzeiten, Taufen und Beerdigungen als Sakramentshandlungen festhalten sollten, als Orte chronikalischer Einträge.[62] Auffällig ist, dass ein großer Teil der Chroniken erst mit dem Krieg einsetzt und mit dem Frieden wieder endet. Manche Werke sind auch bebildert, so dass die Illustrationen ebenfalls als eine Art Ego-Dokument gelesen werden können. Beispiele sind etwa das zweibändige Werk des Weimarer Schneidermeisters Johann Christian Becher (1728–1781), das einen Band Chronik enthält und einen Band mit kolorierten Zeichnungen der Uniformen und Trachten der durch Weimar ziehenden Armeen und ihrer Angehörigen, oder die Aquarellskizzen des schwedischen Unteroffiziers George Hendrich Barfot, die Seekampagnen in Pommern 1758/59 dokumentieren.[63]

Abb. 2:  Wahrhaftige Nachricht derer Begebenheiten so sich in den Herzogthum Weimar bey den gewaltigen Kriege Friedrichs II Königs von Preusen mit der Königin von Ungarn Marien, Theresien sammt ihren Bundsgenossen zugetragen des Weimarer Schneiders Johann Christian Becher, gezeichnetes Titelblatt mit Sturz des Phaeton, Weimar nach 1760.

Einige Zeugnisse verdanken sich regelrechten ‹Zeitzeugenbefragungen›, die Jahrzehnte nach dem Krieg von Historikern oder Künstlern durchgeführt wurden, um etwa einzelne Schlachten zu rekonstruieren.[64]

Die Beliebtheit von Selbstzeugnissen als Quellen für Kriegsereignisse und insbesondere den Siebenjährigen Krieg hat leider auch dazu geführt, dass fiktionale Texte unter dem Deckmantel einer Edition veröffentlicht wurden und zum Teil bis heute in der Forschungsliteratur als Referenzen gehandelt werden. Zwei Beispiele seien dafür genannt. Ernest Gray veröffentlichte zwischen 1937 und 1946 drei fiktive Tagebücher eines britischen Schiffsarztes mit Namen John Knyveton, den es nie gegeben hat.[65] Besonders einschlägig klang die zweite Edition mit dem Titel Surgeon’s Mate – The Diary of John Knyveton, Surgeon in the British Fleet During the Seven Years War 1756–1762. In Breslau erschien 1934 eine Lebensbeschreibung von Jakob Anton Friedrich Logan-Logejus unter dem Titel Meine Erlebnisse als Reiteroffizier unter dem Großen König in den Jahren 1741–1759. Auch der Autor dieses Textes hat nie existiert; es handelt sich bei dem Werk um eine Neuausgabe eines Textes von 1843, dessen Verfasser ihn einem seinerseits konstruierten Offizier Namens Jakob Anton von Lojewsky zuschrieb.[66]

Die ‹Fiktionalisierung› bzw. schlichte Fälschung mancher Zeugnisse verweist auch auf das Problem ihrer zum Teil prekären materiellen Überlieferung. Viele Texte sind heute nur in Abschriften oder in den Editionen überliefert. Das gilt für die Sammlung Preußischer Soldatenbriefe ebenso wie für ein voluminöses Tagebuch aus Südindien.[67] Ist der ursprüngliche Text noch erhalten, kann seine materielle Gestalt wertvolle Aufschlüsse geben. So notierte der preußische Musketier Johann Jacob Dominicus (1731–1775) sein Tagebuch in einen Psalter und ein evangelisch-lutherisches Gesangbuch, und der in Magdeburg inhaftierte Friedrich Freiherr von der Trenck (1727–1794) schrieb mit Blut acht zum Teil durchschossene Bibelexemplare voll.[68] Beides verweist auf den pragmatischen Umgang mit einem Mangel an Schreibmaterial ebenso wie auf die prägende Kraft religiösen Schrifttums.

Der erste Name, den man mit dem Siebenjährigen Krieg in Deutschland assoziiert, ist wohl Friedrich II. von Preußen (1712–1786). Seine Deutung der Ereignisse hat Niederschlag in ganz verschiedenen Textgattungen gefunden. Von der politischen Korrespondenz über die Dichtung bis hin zur Historiographie hat der große König umfangreiche Ego-Dokumente produziert.[69] Im Sinne von Brechts Fragen eines lesenden Arbeiters «Friedrich der Zweite siegte im Siebenjährigen Krieg. Wer siegte außer ihm?» sollen diese aber durch die gleichrangige Berücksichtigung von subalternen Akteuren bewusst de-zentriert werden[70] – so etwa von der ‹Ikone› des einfachen Soldaten des 18. Jahrhunderts: Ulrich Bräker (1735–1798). Der Schweizer desertierte 1756 und begab sich zurück in seine Heimat, wo er 1789 sein Tagebuch veröffentlichte.[71] Eine vergleichbare publizistische Bekanntheit eines Subalternen gilt auch für Olaudah Equiano (1745–1797), einen schwarzen Sklaven aus Igbo im heutigen Nigeria, der sich wenige Jahre nach dem Ende des Krieges selbst freikaufen konnte und ebenfalls 1789 eine Autobiographie publizierte.[72] Eine Textanthologie aus den 1980er Jahren mit dem Titel Spuren der Besiegten hat mit dem «Widerstand gegen den Siebenjährigen Krieg» die interessante Frage aufgeworfen, ob und wie die ‹einfachen› Leute sich dem Krieg entzogen, entgegenstellten oder eigensinnig auf ihn reagierten.[73] Die zeitbedingte, zum Ahistorischen tendierende ideologische Rahmung jener Quellensammlung einmal beiseite lassend, bleibt die Frage der Kriegsgegnerschaft in Denken und Handeln weiterhin ein wichtiges Korrektiv der gängigen militär- und politikhistorischen Perspektiven und Darstellungskonventionen. Als besonders scharfsinniger und dezidiert kritisch-pazifistischer Beobachter des Krieges wird vor allem François-Marie Arouet (1694–1778), genannt Voltaire, des Öfteren zu Wort kommen, der sich zwischen 1755 und 1760 meist in Genf in der «Propriété de Saint-Jean» aufhielt, ein Anwesen, das er «Les Délices» taufte.[74] Sein Verhältnis zu Friedrich II. war während des Krieges abgekühlt; eine Art kommunikative Relaisstation bildete etwa Luise Dorothée von Sachsen-Gotha, die mit beiden während des Krieges weiter einen Briefwechsel führte.[75] Aus der britischen Politik ist der Parlamentarier und Schriftsteller Horace Walpole (1717–1797) ebenso ein wichtiger Zeuge wie aus der österreichischen der Oberstkämmerer am Wiener Hof, Johann Joseph Fürst von Khevenhüller-Metsch (1706–1776), von dessen Tagebüchern allerdings bislang die Jahre 1760 bis 1763 nicht überliefert sind.[76]

Es ist gerade für den Siebenjährigen Krieg charakteristisch, dass eine enorm hohe Anzahl von Zeitgenossen auch jenseits des Militärs die Ereignisse in Chroniken, Tagebüchern oder Lebensbeschreibungen dokumentierten. Viele Tagebuchschreiber wie etwa der Göttinger Professor für orientalische Sprachen Andreas Georg Wähner (1693–1762) bewegten sich dabei überhaupt nicht jenseits ihrer Heimatorte, registrierten aber Nachrichten im globalen Maßstab, wenn auch ihr Interesse wesentlich den Vorgängen vor Ort galt.[77] Ähnliches gilt auch für den «Samuel Pepys von French India»,[78] den in Pondicherry in den Diensten der Franzosen stehenden Kaufmann Ananda Ranga Pillai (1709–1761), dessen private Tagebücher für die Jahre 1736 bis 1761 in einer zwölfbändigen Edition vorliegen.[79] Er schrieb sein Tagebuch ursprünglich in Tamil, die Originale sind verloren, zuvor erfolgte jedoch eine französische Übersetzung, später eine englische. Mit den Franzosen kommunizierte Pillai offenbar in einer «Bastardvariante» des Portugiesischen, der lingua franca der Südostküste Indiens dieser Zeit.[80] Ein aufmerksamer deutscher Berichterstatter und Vermittler zwischen den Welten in Amerika war der Pastor Heinrich Melchior Mühlenberg (1711–1787), der seit 1742 in Pennsylvania lebte und eine umfangreiche Korrespondenz hinterlassen hat.[81] Der aus Einbeck gebürtige Mühlenberg bezeichnete Georg II. (1683–1760) ganz selbstverständlich als seinen König und die britischen Truppen als «unsere», war seine Heimatstadt, mit der er regelmäßig korrespondierte, als Teil des Kurfürstentums Braunschweig-Lüneburg (im folgenden Kurhannover genannt) doch mit Großbritannien seit 1714 qua Personalunion verbunden.

Selbstzeugnisse von Frauen jenseits des Adels sind nach gegenwärtigem Kenntnisstand rar gesät. Auf der höchsten politischen Ebene sind mit Maria Theresia (1717–1780),[82] Elisabeth Petrowna (1709–1762) und Madame Pompadour (1721–1764) gleich drei prominente Akteurinnen präsent, was in der Literatur wiederholt zu Inszenierungen eines Kampfes der Geschlechter führte.[83] Auf der außereuropäischen Ebene waren es häufig die Frauen und Töchter der Gouverneure, die aktiv die Verhältnisse vor Ort mitgestalteten, und die Schwestern der diversen religiösen Orden, die sich karitativ oder seelsorgerisch betätigten. So ist etwa ein Tagebuch von Charlotte Brown überliefert, die Vorsteherin eines Militärkrankenhauses in New York war und Edward Braddocks (1694–1755) fatale Expedition ins Ohio-Tal begleitete.[84] Unter den schreibenden ‹bürgerlichen› Frauen sticht in Preußen die Dichterin Anna Louise Karsch (1722–1791) publizistisch hervor; das Gros dieser Autorinnen tritt uns in privater Korrespondenz in der Rolle als Mutter oder Ehefrau entgegen.[85] Viele Editionen nehmen nur die männliche Seite des Briefwechsels auf, womit die Frauen lediglich als Adressatinnen in Erscheinung treten. Öffentliche oder zumindest gerichtliche Aufmerksamkeit erhielten ferner die wenigen Fälle von Soldatinnen, die in Männerkleidung gekleidet Militärdienst leisteten, wie Anna Sophia Dettloff in Preußen oder Marguerite Goubler in Frankreich.[86] Einen guten Einblick in die Situation in Schlesien während des gesamten Konfliktes bieten die Memoiren der Eleonore Juliane von Rehdiger (1713–1784).[87]

Was die räumliche Mobilität der Kriegsteilnehmer betrifft, so lassen Soldaten und Offiziere wie der ‹wahre Barry Lyndon› Horace St. Paul (1729–1812), der nach einem Duell aus Schottland floh, in österreichische Dienste trat, einen mittleren Grad erkennen; er war auf allen Schauplätzen im Krieg Preußen–Österreich im Reich aktiv und hat dies in mehreren Journalen dokumentiert.[88] Viel weiter auf den Kriegsschauplätzen des Alten Reiches herumgekommen sind der braunschweigische Unteroffizier Johann Heinrich Ludewig Grotehenn (1734–1786), der preußische Offizier Christian Wilhelm von Prittwitz (1739–1807), der englische Offizier William Todd (1724–1791), der französische Offizier Antoine-Rigobert Mopinot de la Chapotte (geb. 1717) und der russische Offizier Andrej Bolotow (1738–1833). Prittwitz, Mopinot de la Chapotte und Todd verfassten Tagebücher bzw. Journale, Bolotow eine Lebensbeschreibung und Grotehenn Briefe.[89] Eine vergleichbare Quelle für den nordamerikanischen Schauplatz bieten die Journale des später als Weltumsegler und Naturforscher bekannt gewordenen Louis Antoine de Bougainville (1729–1811).[90] Ein einfacher französischer Soldat des French and Indian War, der seine Memoiren hinterlassen hat, war Charles Bonin, genannt Jolicœur; vergleichbar mit ihm auf britischer Seite sind etwa Offiziere wie John Knox (gest. 1778) und John Grant (1741–1828).[91] Alle hier nur exemplarisch genannten Akteure haben umfangreiche, inzwischen edierte Tagebücher oder Briefe hinterlassen, die aber bislang kaum systematisch im Zusammenhang mit Blick auf den Siebenjährigen Krieg ausgewertet worden sind.

Der Auswertung der Selbstzeugnisse liegt ein umfängliches Frageraster zu Grunde, dessen Eckpunkte kurz genannt seien: Einen großen Stellenwert nimmt die Wahrnehmung von militärischer Gewalt ein, wie sie im Rahmen einer Schlacht, bei Belagerungen und im kleinen Krieg bis hin zu Übergriffen gegen Zivilisten in besetzten Städten und Dörfern praktiziert wurde. Damit eng verbunden ist die Frage nach der Sinneswahrnehmung. Wie änderten sich die Geräusche einer Stadt? Wie klang eine Schlacht? Wie änderten sich Gerüche? Was war sichtbar, was blieb unsichtbar? Kriege sorgten auch für einen Wandel materieller Kultur. Welche Rolle spielten Plünderungen und Beute oder die Verwüstung des Landes? Woran mangelte es, und welche Bedeutung hatten Objekte für die Propaganda? Das sind nur einige der Fragen, die die materielle Kultur betreffen – ein Feld, das für die Kriege der Frühen Neuzeit noch kaum erschlossen ist.[92]

Viele Akteure entwickelten gewollt oder ungewollt eine extreme Mobilität und sahen verschiedene Kriegsschauplätze. Das wirft die Frage nach der Reflexion von Verflechtung und Entgrenzung der Kriegsschauplätze auf. Wie wurden fremde Räume wahrgenommen, wie deren Akteure? Preußische Linientruppen trafen auf Kosaken und Kalmücken, britische Einheiten auf indianische Krieger, Kolonialtruppen und Sepoys auf indische Kämpfer; der kleine Krieg stand neben der klassischen Feldschlacht, und Belagerungen weiteten sich zu komplexen amphibischen Operationen aus. Wie fanden diese Asymmetrien und Dynamiken Ausdruck in den Augen der Akteure?

Kampf bedeutete immer Schmerz, Leiden und Verlust. Wie aber gingen Soldaten und Zivilisten mit den Erfahrungen von Gewalt, Krankheit und Tod um?[93] Wie nahmen sie ihren Körper wahr?[94] Ein wichtiger Agent der Sinnstiftung war für die meisten die jeweilige Religion. Der Siebenjährige Krieg war kein Religionskrieg, dennoch spielten religiöse Argumente und Deutungsmuster innerhalb eines propagandistisch inszenierten bzw. ‹virtuellen› Religionskrieges ebenso eine Rolle wie im Denken und Handeln der Menschen vor Ort.[95] Stadtbrände infolge von Belagerungen konnten als göttliches Strafgericht gedeutet werden und konfessionelle Grenzziehungen in Besatzungssituationen oder unter Kriegsgefangenen virulent werden. Insbesondere Nordamerika und Indien lieferten zahlreiche Konfrontationsszenarien mit nichtchristlichen Religionen. Religiöse Deutungsmuster sind daher in den Selbstzeugnissen an allen Orten anzutreffen.

Der propagandistisch inszenierte Religionskrieg verweist auf den hohen Stellenwert von Nachrichtenkommunikation, Lesepraktiken und Gerüchten für die Mobilisierung von Öffentlichkeit. Wen erreichten welche Informationen? Wie wurden Emotionen geschürt und politische Loyalitäten aktiviert? Zu den Effekten dieses Medienkrieges zählte eine europaweite Tendenz der Entwicklung vom Patriotismus zum Nationalismus und zur Politisierung von Öffentlichkeiten. Wie wurde nationale Propaganda gemacht und rezipiert? Welche Lager bildeten sich heraus? Und schließlich: wie wurde der Frieden inszeniert und gedeutet? Welche Erfahrungen machten Kriegsheimkehrer? Welche Folgen – materiell wie immateriell – zeitigte der Krieg?

Strukturen und Ereignisse

Jede historische Aufarbeitung eines Krieges sieht sich mit dem Problem der Darstellung der Beziehungen zwischen Struktur und Ereignis konfrontiert. Gerade der Siebenjährige Krieg und seine Schlachten haben dafür immer wieder als Beispiel gedient, wie an Überlegungen von Reinhart Koselleck und Georg Simmel kurz ausgeführt werden kann. Koselleck wählt das Beispiel der Schlacht von Leuthen, um darzulegen, dass das «Vorher und Nachher eines Ereignisses» stets seine «eigene zeitliche Qualität» behalte, die sich «nie zur Gänze auf ihre längerfristigen Bedingungen reduzieren» ließe: «Jedes Ereignis zeitigt mehr und zugleich weniger als in seinen Vorgegebenheiten enthalten ist: daher seine jeweils überraschende Novität.»[96] So könnten die «strukturellen Voraussetzungen» der Schlacht von Leuthen «nie hinreichend erklären, warum Friedrich der Große diese Schlacht auf diese Weise gewonnen hat, wie er sie gewonnen hat». Ereignisse und Strukturen können aufeinander bezogen werden. Die Rekrutierung und Ausbildung der Soldaten, die Logistik friderizianischer Kriegführung, die vorhergegangenen Erfahrungen mit dem Schlachtfeld, das Ideal der schiefen Schlachtordnung – all dies trug seinen Teil zum Ausgang der Schlacht bei. Doch die Ereignisse des 5. Dezember 1757 bleiben «einzigartig» in ihrer «chronologisch immanenten Abfolge». Ablauf und Wirkung der Schlacht, ihren Stellenwert im Gesamtkontext des Siebenjährigen Krieges – das lasse sich nur «chronologisch erzählen und somit sinnfällig machen». Doch bereits die «Folgegeschichte» jener Schlacht könne «strukturelle Bedeutung» erlangen: «Das Ereignis erhält strukturellen Rang. Leuthen in der Traditionsgeschichte der preußischen Staatsauffassung, seine beispielhafte Wirkung für die Aufwertung des kriegerischen Risikos in den militärischen Planungen Preußen-Deutschlands (Dehio) wird ein langfristiger, dauerhafter Faktor, der in die verfassungsmäßigen Voraussetzungen struktureller Art einrückt, die ihrerseits die Schlacht von Leuthen ermöglicht hatten.»

Für die methodische Reflexion über das Problem der Ereignisgeschichte als Mikrogeschichte erweist sich Georg Simmels Artikel über Das Problem der historischen Zeit aus dem Jahr 1916 als dienlich.[97] Mit Rekurs auf den Siebenjährigen Krieg diskutiert Simmel eine «tiefe Antinomie der Historik» in Gestalt der Frage: «Wie wird aus dem Geschehen Geschichte?» Wie lassen sich die Momentbilder eines Ereignisses wie einer Schlacht mit der historischen Einheit des Ereignisses vermitteln? So sei etwa die «Schlacht von Zorndorf» ein «aus unzählig vielen Einzelvorgängen gebildeter Kollektivbegriff. In dem Maße, in dem die Kriegsgeschichte jene Einzelheiten zur Kenntnis bringt, jeden Angriff, jede Deckung, jede Episode, jedes Sonderengagement von Truppenteilen usw. also sich dem Bilde dessen, was ‹wirklich war› mehr nähert – in eben diesem Maß atomisiert sich der Begriff der Schlacht und verliert die Kontinuität, die wir nur durch ein gleichsam darüber schwebendes apriorisches Wissen, vermittels des Hindurchlegens einer ideellen Linie – nämlich des Begriffs Schlacht – durch all diese Wissensatome, dennoch von diesem Ereignis aussagen, indem wir es eben ‹eine Schlacht› nennen».[98] Ein Prozess, der nicht nur jede einzelne Schlacht, sondern auch den ganzen Krieg betrifft: «Und so geht dieser Prozess weiter, wenn nun der siebenjährige Krieg als Einheit gilt, die sich in Schlachten, Heereszüge, Verhandlungen auflöst; jede der Schlachten wieder in der vorhin angedeuteten Weise in ihre Etappen und so fort. Die Fortsetzung dieses Verfahrens scheint an einer atomistischen Struktur des Geschehens münden zu sollen: wir hätten schließlich lauter Momentbilder […].»[99] Das sich in «Momentbilder» auflösende Geschehen verliert schließlich seine historische Individualität als Ereignis. Ein einzelnes Handgemenge in einer Schlacht wie Kunersdorf ist für Simmel kein «historisches Gebilde» mehr, da es auch in jeder beliebigen anderen Schlacht hätte stattfinden können. Und würde man «jede körperliche und seelische Bewegungsnuance» kennen, «die unter Russen, Österreichern und Preußen am 12. August 1759 vorging […], so wäre damit die Absicht der Historik dennoch nicht erreicht. Denn sie begehrt gar nicht, diese Einzelheiten zu wissen, sondern will das sie zusammenfassende, höhere Gebilde: Schlacht von Kunersdorf – kennen.»[100] Die Individualität des historischen Ereignisses verflüchtigt sich bei fortschreitender Zerlegung in seine Einzelelemente. Der Historiker gelangt an eine «Schwelle der Zerkleinerung»: «Mit der Kenntnis jeder Muskelzuckung jedes Soldaten würde uns jene einheitliche Lebendigkeit des ganzen Ereignisses, die Anfang und Ende seines zeitlichen Bildes verbindet, verloren gehen; das historische Element muß so groß bleiben, daß sein Inhalt Individualität behält.»[101] Der Soziologe scheint damit augenscheinlich das Vorgehen der deutschen Generalstabshistoriographie seiner Zeit zu unterstützen. Diese bietet ja stets eine Gesamtdarstellung der Schlacht in der Einordnung in die Kontinuität des Siebenjährigen Krieges, ohne dabei den durchaus bekannten und berücksichtigten Einzelwahrnehmungen der Teilnehmer großes Gewicht beizumessen. Die Schlacht bleibt insofern an einen historisch individuellen Plot – etwa den Erfolg der schiefen Schlachtordnung – geknüpft, der ihr Gesamtbild prägt.

Simmels Ausführungen lassen sich aber auch als neutrale Beschreibung der Strukturprinzipien mikro- und makrohistorischer Darstellungspraxis lesen, der allgegenwärtigen Schwierigkeit der historischen Synthese einzelner «Momentbilder» zu einem Ereignis. Sie warnen ebenso vor der Illusion, die Nahblende führe doch noch zu einem naiven ‹wie es eigentlich gewesen›, wie vor der simplen Subsumtion unter historische Chiffren wie ‹das Mirakel› oder Apriori-Begriffe wie ‹die Schlacht›. Jedes Ereignis und jede Schlacht ist ja erst das Produkt einer medialen, historiographischen und erinnerungskulturellen Konstruktionsarbeit. Die Mikrogeschichte, die der Schlacht als epistemologischem Reflexionspunkt ihrer Möglichkeiten und Grenzen viel verdankt, kann nicht bei den «Momentbildern» stehen bleiben.[102] Der Blick aus der Nähe soll vielmehr Zusammenhänge eröffnen und konkretisieren, die oftmals abstrakt bleiben, und die großen Linien klein-arbeiten, ohne sich im Klein-Klein zu verlieren.

Die vorliegende Darstellung versteht sich nicht als histoire totale des Siebenjährigen Krieges, und die Nutzung von Selbstzeugnissen kann und soll das Studium der Akten nicht ersetzen.[103] Viele Aspekte wie etwa die Ökonomie, die Diplomatie oder die innermilitärische Kommunikation können nur in Ansätzen behandelt werden. Ähnliches gilt auch für die flankierenden Felder wie Recht, Medizin oder Kunst oder den Bereich der Erinnerungskultur, denen nur kleine Seitenblicke gelten können, da sie jeweils eigene komplexe Überlieferungsstränge und Forschungskontexte aufweisen.

Eine der größten Herausforderungen für eine Mikrogeschichte eines globalen Konflikts besteht in der raum-zeitlichen Gliederung des Stoffes. Drei Modelle bieten sich dafür an: zunächst die Gliederung nach Räumen ähnlich den sogenannten area studies (Europa, Nordamerika, Südasien, Westafrika), eine chronologische Ordnung oder schließlich eine systematische nach Diplomatie, Gewalt, Religion, Erinnerung etc. Das erste Modell wurde von mir bereits in einer kurzen Überblicksdarstellung erprobt und hat sich dafür durchaus bewährt.[104] Der Vorteil liegt eindeutig in einer höheren Kontextualisierungsdichte der jeweiligen Räume, Akteure und Kulturen. Der Nachteil liegt darin, dass gerade die Prozesse der ‹Verflechtung› und eventuell auch ‹Entflechtung› schwerer sichtbar gemacht werden können und im Prinzip eigenen Synthese-Kapiteln vorbehalten bleiben müssen. Um einem additiven Globalisierungsverständnis entgegenzuwirken, das das Globale in der Nach- oder Nebeneinanderschau unterschiedlicher Weltteile aufgehoben sieht, wurde hier eine andere Struktur gewählt, die Chronologie und Systematik verbindet. Im Sinne einer globalen Kriegsgeschichte ‹aus der Nähe› werden strukturelle Tableaus mit einzelnen Nahsichten auf bestimmte Ereignisse, Akteure und Situationen verknüpft. Ein Zugang, der allerdings nicht alle Ereignisse gleichermaßen tief ausleuchten kann und will. Bei allein über 20 größeren Feldschlachten in Mitteleuropa würde eine eingehende Würdigung jeder Schlacht nicht nur den quantitativen Rahmen sprengen, sondern auch extrem redundant werden. Gleiches gilt für die noch häufigeren Belagerungen. Lediglich Schlüsselereignisse und solche, die dem Krieg und seiner Darstellung eine spezifische Signatur verleihen, sollen in dieser Form eingehender berücksichtigt werden.

II

Geopolitik zwischen Reich und Empire

Krieg und Globalisierung

Was bedeutet es nun konkret für die Anlage einer Darstellung, den Siebenjährigen Krieg als einen global ausgetragenen Konflikt zu begreifen?[1] Die Globalität des Krieges ist letztlich ein Effekt sich überlappender regionaler Konflikte. Man muss nur entscheiden, welche Kriege man unter einer einzigen Linse betrachten will, damit nicht irgendwann «jeder Schuss», der in den 1750er und 1760er Jahren des 18. Jahrhunderts «irgendwo auf der Welt» fiel, zu einem Teil des Siebenjährigen Krieges wird.[2] Bei näherer Betrachtung ist weder die zeitliche noch die räumliche Dimension dieses Konfliktes unumstritten.[3] Die erste augenfällige globale Dimension liegt in der Konfrontation des britischen und französischen Kolonialreiches und deren Koppelung an den Dritten Schlesischen Krieg. Eine in diesem Sinn primär geopolitische Perspektive nehmen Autoren wie Daniel Baugh ein, und mit ihr gewinnen Akteure wie Thomas Pelham-Holles, Duke of Newcastle (1693–1768), William Pitt (1708–1778), Friedrich II. oder der Duc de Choiseul (1719–1785) an Bedeutung.[4]

In Großbritannien diskutierte man die geopolitische Alternative von «blue water policy» oder «continental commitment».[5] Denn seit 1714 stand England ja mit dem Kurfürstentum Hannover in Personalunion, die Bindung an den Kontinent musste daher im strategischen Kalkül immer mit berechnet werden und sollte sich gerade für den Siebenjährigen Krieg als extrem folgenreich erweisen.[6] In die imperiale Konfrontation wurde durch den «pacte de famille» 1762 auch noch das spanische Kolonialreich miteinbezogen. Eine der einflussreichsten militärischen Akteure an der Grenze des christlichen Europas, das Osmanische Reich, blieb dem Konflikt konsequent fern, obwohl sowohl der preußische König als auch Frankreich immer wieder versuchten, die Sultane Osman III. (1699–1757) und Mustafa III. (1717–1774) zu einem Bündnis zu bewegen.[7] Allein von der räumlichen Ausdehnung ist die Rede vom Weltkrieg also zunächst evident.

Zeitlich verschiebt sich mit dem globalen Fokus der Kriegsausbruch von dem in Deutschland gängigen Ausbruchsjahr 1756 mehr und mehr in die Phase der Jahre 1751 bis 1754 und erlaubt, Konflikte in Indien (Arcot) und dem Ohio-Tal als den eigentlichen Beginn auszumachen. Letztlich, so die radikalste Position, gehe der Konflikt bis auf den Frieden von Aachen 1748 zurück, der viele unzufriedene Akteure und ungeklärte Ansprüche hinterlassen hatte.[8] Schon 1899 schrieb Georg Küntzel, dass für «die Austragung der colonialen und schlesischen Frage» der Aachener Friede «nur den Werth eines kurzen Waffenstillstandes» gehabt habe.[9] Auch das Ende franst in der jüngeren Historiographie weiter aus. Nicht mehr die Friedensschlüsse von Paris und Hubertusburg 1763, sondern auch der Pontiac-Krieg (1763–1765) oder die Kämpfe der East India Company gegen den Nawab von Oudh (1764–1765) werden als mögliche Endpunkte gehandelt.[10] Weitet man die Kontexte der Vor- und Nachgeschichte noch deutlicher aus, kann der Siebenjährige Krieg mit Arthur Buffinton auch als Teil eines «Zweiten Hundertjährigen Krieges» zwischen Frankreich und Großbritannien im Zeitraum von 1689 bis 1815 interpretiert werden.[11] Ein Label, das jedoch sowohl eine Homogenität und Zusammengehörigkeit diverser Konflikte suggeriert, die keineswegs alle unmittelbar miteinander verkettet waren, als auch eine erhebliche Einschränkung der wirkmächtigen Akteure bedeuten würde.[12] Die wichtigste Lektion, die von der postkolonialen Forschung von Indien bis nach Nordamerika in diesem Zusammenhang zu lernen ist, ist wahrscheinlich die symmetrische und nichtteleologische Betrachtungsweise imperialer Konflikte.[13] Das heißt erstens ganz konkret: Wir sollten die Ereignisse nicht immer so erzählen, dass der Triumph des britischen Empire ihren logischen Fluchtpunkt bildet. Zweitens heißt es, die lokalen Akteure nicht als Beiwerk zu den Verstrickungen europäischer Mächte zu begreifen, sondern als potentiell handlungsmächtige Akteure. So haben jüngere Arbeiten zur Geschichte der ‹Indianer› Nordamerikas die gängige Perspektive umgekehrt und die Geschichte aus der Perspektive der Native Americans erzählt, eine Geschichte, in der die permanente Bedrohung nun aus dem Osten kommt.[14] Von der Quellenlage ist diese Symmetrie allerdings nicht ohne Weiteres herzustellen, da nicht überall die gleiche Dichte schriftlicher Quellen herrscht. Ein materielles Quellenzeugnis der indianischen Kommunikationskultur sind die sogenannten Wampum-Gürtel aus Perlen von Muscheln und Schneckengehäusen, die zur Bestätigung von Verträgen oder als Zahlungsmittel genutzt wurden.[15] Das Quellenproblem liegt für die Überlieferung zu den einfachen Soldaten des Ancien Régime jedoch in ähnlicher Weise vor, hat aber nicht dazu geführt, die Perspektive einer Militärgeschichte ‹von unten› aufzugeben.[16]

Entscheidender noch als die schiere zeitliche und räumliche Ausdehnung des Konflikts ist die Frage nach den Interdependenzen und lokalen Machtgefügen. Der Krieg begann in Nordamerika und Indien, und erst ein Jahr später führte man in Europa Krieg; andere Regionen wie Afrika oder die Karibik wurden wiederum erst durch europäische Initiative zu Kriegsschauplätzen. Die Verkettung unterschiedlicher Kriegstheater wirft die Frage nach der globalisierenden Wirkung des Krieges auf. Globale Verflechtung findet auf mehreren Ebenen statt, die den Kreis um die geopolitischen Entscheidungsträger noch einmal signifikant erweitern. Globale Interaktion vollzieht sich unter anderem in wirtschaftlichen, religiösen, politischen, militärischen, kommunikativen und kulturellen Bereichen. Global operierende Handelsgesellschaften wie die britische East India Company (EIC) oder die französische Compagnie des Indes (CdI) hatten enormen Einfluss auf den Konflikt.[17] Während die französische Indienkompanie allerdings recht eng an die Krone gebunden war, konnte die britische wesentlich autonomer handeln, wenngleich sie auf militärische Unterstützung angewiesen war und die Krone mit der immer wieder anstehenden Verlängerung ihrer Privilegien ein gewisses Druckmittel in der Hand hielt. Stockfisch von der Küste Neufundlands, Pelze aus Kanada, Zucker und Rum aus der Karibik, Gummi arabicum aus Afrika oder Salpeter aus Indien bildeten nur einige der global zirkulierenden Handelsgüter, die im Siebenjährigen Krieg eine Rolle spielten.[18] Die Handelsgesellschaften agierten als militärische Akteure, wurden zu Territorialherren und bildeten kommunikative Netzwerke aus. Aus Sicht der Herrscher der ehemaligen Provinzen des indischen Mogulreiches bildeten die Kompanien Bündnispartner in Prozessen der Staatsbildung. Nach dem Tod des Großmoguls Aurangzeb (1618–1707) wirkten in Indien Prozesse, die denen im Alten Reich nicht unähnlich waren – freilich mit dem Unterschied, dass sie von der kolonialen Geschichtsschreibung meist als Zerfallsprozess gedeutet wurden.[19] Die einzelnen Provinzen versuchten, ihre «fiskalischen und ökonomischen Ressourcen zur Schaffung eines eigenen Staates zu mobilisieren».[20] Ein Prozess, den Michael Mann auch als «segmentäre Staatsbildung» bezeichnet hat.[21] Für Mann ist es mit Blick auf Südasien die Parallelität von Staatsbildungsprozessen, die den Siebenjährigen Krieg «tatsächlich zu einem ersten Weltkrieg» werden lassen. So wäre es ein «Trugschluss», die globalgeschichtliche Dimension allein in der «interkontinentalen Vernetzung von Ressourcen, Informationen und Menschen» zu sehen.[22] Vielmehr gelte es, die «Bruchzonen» der Globalisierung aufzuzeigen. So stehen am Ende Asymmetrie und Herrschaft und nicht grenzenlose Zirkulation. Die Aufgabe, der Vernetzung von Ressourcen, Informationen und Menschen nachzuspüren, wird damit jedoch nicht obsolet.

Für die kommunikativen Kanäle ebenso wie die öffentlich wirksamen Faktoren hatten auch religiöse Akteure eine enorme Bedeutung, sei es in der Korrespondenz von Missionaren oder konfessioneller und interreligiöser Propaganda. Für Nordamerika und Indien sind etwa die Relationen der Jesuiten aufschlussreich, für Südindien die der Dänisch-Halleschen Mission in Tranquebar.[23] Selbst der Vatikan wurde zum Akteur im Zeichen eines Abschieds vom Religionskrieg.[24] Neben den offiziellen Kirchen spielte die ‹unsichtbare Kirche› der Freimaurerei eine Rolle in der Verbreitung imperialer Einflusszonen.[25] So expandierten britische Militärlogen mit den Streitkräften und boten vor Ort einen der wenigen Räume der Sinnstiftung angesichts notorisch drohender Langeweile.[26] Zwischen 1757 und 1764 verdreifachten sich die Gründungen von Militärlogen in der britischen Armee.[27]

Im Bereich des Militärischen schufen die Situationen interkultureller Konfrontation an Land neue Szenarien des Lernens, zeigten aber auch den Bedeutungsgewinn der Kriegsmarinen auf.[28] Der sogenannte kleine Krieg, der in Europa eher die Ausnahme bildet, stellte in Außereuropa eher den Regelfall dar. Die Kriegführung in Übersee litt unter einem permanenten Personalmangel und führte zur Rekrutierung von Bündnispartnern oder hybriden Kriegerformationen wie den indischen Sepoys.[29] Die relevanten Akteure können schon von daher nicht auf die Europäer allein beschränkt werden. In Südasien wie in Nordamerika hatten die lokalen Einwohner wie die verschiedenen Stämme oder die Fürstentümer des ehemaligen Mogulreiches eigene Handlungsmacht, auch wenn sie langfristig in die koloniale Abhängigkeit gedrängt wurden.

Auf kultureller und kommunikativer Ebene ist vor allem nach Wahrnehmung, Information und Wissen zu fragen.[30] Hatten die diversen Akteure ein Bewusstsein von der globalisierenden Wirkung des Krieges und wenn ja, wie artikulierte sich dieses? Der Transfer von Informationen von Europa nach Nordamerika, von Südasien nach Europa oder von der Karibik nach Südasien spielte für militärische und politische Entscheidungen eine zentrale Rolle, bewegte sich jedoch in unterschiedlichen Geschwindigkeiten, die kaum positiv beeinflussbar waren. Eine Reise von Portsmouth nach Madras wurde von Zeitgenossen auf 15.000 Meilen geschätzt und dauerte zwischen viereinhalb und sechs Monaten, die Rückreise mindestens sechs, bei widrigen Winden auch schon mal acht oder neun Monate.[31] So benötigte ein Austausch von Einschätzungen und Direktiven mit der Zentrale in London rund ein Jahr. Die wesentlich kürzere Route bis Marseille oder Venedig und von dort über das Mittelmeer nach Aleppo, über Land weiter nach Basra und durch den Persischen Golf nach Mumbai verbot sich für die Briten angesichts des Krieges mit Frankreich und Österreich.[32] Ebenfalls mit weiten Wegen zu kämpfen hatte die Logistik der französischen und britischen Kriegsmarinen in Südasien. Es fehlte an geeigneten Schiffswerften für die Ausbesserung der Schiffe während der Monsunzeit. So mussten die Franzosen ihre Schiffe auf Mauritius ausbessern lassen und die Briten in Mumbai. Der Raum wird damit zu einem handlungsleitenden Einflussfaktor sui generis.

Ziele und Interessen

Über den Ursprung des Siebenjährigen Krieges wird seit weit über hundert Jahren in der Forschung immer wieder heftig diskutiert.[33] Die Dynamik des Siebenjährigen Krieges kann man nur verstehen, wenn man ihn in Beziehung zu den vorangegangenen Konflikten setzt, die landläufig unter den Begriff des Österreichischen Erbfolgekrieges (1740–1748) subsumiert werden.[34] Auch der Erbfolgekrieg war bereits ein globaler Konflikt mit Schauplätzen in Europa, Südasien, Nordamerika und der Karibik. Als dessen Teilkonflikte unterscheidet man in der deutschen Geschichte den Ersten und Zweiten Schlesischen Krieg (1740–1742; 1744–1745), in der nordamerikanischen Kolonialgeschichte den «War of Jenkins Ear» (1739–1742) und in der südindischen Geschichte den ersten «Carnatic War» (1746–1748). Der Frieden von Aachen 1748 hinterließ viele unzufriedene Parteien und inzwischen ist in der Forschung wiederholt diskutiert worden, ob in einigen Teilen der Welt der Krieg überhaupt beendet worden sei. Zumindest für Nordamerika und Südasien liegt es auf der Hand, dass die Auseinandersetzungen zwischen Briten und Franzosen nie ganz befriedet wurden. Beiden ging es um wirtschaftliche Einflusszonen, Zugriffsrechte und territoriale Kontrolle. Grundsätzlich wurde in beiden Ländern, stärker aber noch in Großbritannien, mit einem sich nach außen defensiv gebenden Sicherheitskonzept argumentiert, doch das Motto ‹die Kolonien müssen geschützt werden›, trug in Wahrheit immer auch expansive Züge. Friedrichs II. Präventivkriegsideologie war dem grundsätzlich strukturell nicht unähnlich. Die Wahrnehmung seiner Gegner und Konkurrenten hatte sich in den Jahren nach dem Österreichischen Erbfolgekrieg mitunter deutlich verändert.[35] Während er Russland am Ende des Krieges angesichts knapper eigener Ressourcen für eine ernst zu nehmende Bedrohung hielt, sah er 1756 dort nur noch eine geringe Gefahr.[36] Auf die russische Armee blickte er mit einer gewissen Verachtung. Frankreich war ungeachtet seiner inneren prekären Finanzverhältnisse für ihn immer noch das mächtigste Land Europas, während seine Kenntnisse über die britischen Verhältnisse offenbar wenig ausgeprägt waren. Er erkannte Großbritannien als die vorherrschende Seemacht an, sah seine Finanzkraft jedoch als eher schwach. In diesem Punkt musste er sich von seinem Londoner Gesandten Abraham Louis Michell (1712–1782) eines Besseren belehren lassen.[37] Auch was Frankreichs Engagement auf dem Kontinent anging, irrte sich Friedrich zunächst. Nach dem Erfolg auf Menorca ging der Preußenkönig davon aus, dass die Franzosen ganz auf einen Seekrieg setzen würden. Mit Blick auf Österreich wusste er um seinen aggressivsten Gegner, ging jedoch lange davon aus, dass Maria Theresia die nötigen Finanzmittel fehlten und der Heeresaufbau noch längere Zeit in Anspruch nehmen würde. Angesichts eines sich 1756 abzeichnenden Heereszuwachses der Österreicher schien die Zeit reif zum Handeln.

Mit dem Einmarsch in Sachsen – vorgeblich ein Präventivkrieg – hat Friedrich II. für Jahrhunderte die Debatte über die Kriegsschuld Preußens befeuert. In den zwei Jahrzehnten vor und nach 1900 kam es darüber zu einem Historikerstreit, dessen empirische Konsequenzen bis heute nicht immer konsequent gewürdigt werden.[38] Leopold von Ranke (1795–1886), Albert Naudé (1858–1896) und Reinhold Koser (1852–1914) waren weitgehend Friedrichs Selbstinterpretation eines Defensivkriegs und eines mit Schlesien territorial saturierten Preußens gefolgt.[39] Erst der Göttinger Historiker Max Lehmann (1845–1929) brachte neue Quellen zutage und besaß auch den Mut, sie zu interpretieren.[40] Sein Berliner Kollege Hans Delbrück (1848–1929), vor allem berühmt geworden durch den sogenannten Strategiestreit, folgte ihm in der quellenkritischen Interpretation.[41] Stein des Anstoßes war Friedrichs politisches Testament von 1752.[42] Das Skandalon bestand darin, dass der Preußenkönig in dieser Schrift, die eher eine Programmschrift als ein Testament im eigentlichen Sinne darstellt, Sachsen, Westpreußen und Vorpommern als weitere Erwerbungen im Rahmen einer wünschenswerten Arrondierung des preußischen Staates in Betracht zog. Zu Sachsen äußerte er explizit: «Sachsen indessen ist die nützlichste».[43] Friedrich plante beim Überfall auf Sachsen also mehr als einen friedlichen Durchzug, den Weg nach Böhmen hätte er auch über Schlesien finden können. Sachsen hatte sich unter seinem Premierminister Heinrich Graf von Brühl (1700–1763) in den Jahren 1753 bis 1756 außenpolitisch ins Abseits manövriert.[44] Zunächst hatte man den britisch-russischen Subsidienvertrag vermittelt, sich dann vergeblich selbst um französische und britische Subsidien bemüht und schließlich den Anschluss an die antipreußische Koalition verpasst. Obwohl verglichen mit anderen Reichsterritorien an sich nicht unbedeutend, hatte die sächsische Armee Mitte des 18. Jahrhunderts der preußischen wenig entgegenzusetzen.[45]