Der Preis eines Lebens - Anne Gold - E-Book

Der Preis eines Lebens E-Book

Anne Gold

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Beschreibung

Am Geburtstag seiner Freundin wird der weltweit anerkannte Immuntherapieforscher Professor Reto Krull erstochen in seiner Wohnung aufgefunden. Basel steht unter Schock, denn er und sein Partner erzielten aufsehenerregende Erfolge in der Krebsforschung. Und so schien es nur eine Frage der Zeit, bis sie für den Nobelpreis vorgeschlagen worden wären. Wer steckt hinter dieser skrupellosen und sinnlosen Tat? Kommissär Francesco Ferrari und seine Assistentin Nadine Kupfer übernehmen den Fall und stossen bei ihren Ermittlungen auf einige Verdächtige: Krull – ganz offensichtlich kein Kind von Traurigkeit – hatte zahlreiche Affären mit meist jungen Frauen und sah sich mit mehreren Prozessen wegen Verleumdung konfrontiert. Doch ausser ein paar Verdachtsmomenten tappt das Duo im Dunkeln, sehr zum Missfallen von Staatsanwalt Jakob Borer, der von allen Seiten unter Druck gerät . . .

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Anne Gold

Der PREIS eines Lebens

Friedrich Reinhardt Verlag

Alle Rechte vorbehalten

© 2023 Friedrich Reinhardt Verlag, Basel

Lektorat: Claudia Leuppi

Korrektorat: Daniel Lüthi

Gestaltung: Bernadette Leus

Illustration: Tarek Moussalli

eISBN 978-3-7245-2674-2

ISBN der Printausgabe 978-3-7245-2653-7

Der Friedrich Reinhardt Verlag wird

vom Bundesamt für Kultur mit

einem Strukturbeitrag für die Jahre

2021–2024 unterstützt.

www.reinhardt.ch

www.annegold.ch

Die Zukunft hängt davon ab, was wir heute tun.

Mahatma Gandhi

Liebe Leserinnen und Leser

Mein Verlag wird öfters auf zwei Dinge angesprochen: Das Erste betrifft die Protagonisten, die immer wieder in den Krimis auftreten. Wer das erste Mal eines meiner Bücher liest, kann schon mal den Überblick verlieren. Aus diesem Grund habe ich am Ende des Krimis eine Art Personenregister erstellt. Der andere Punkt befasst sich mit der Frage, wie ich es mit dem Gendern halte. Hier gehe ich ganz pragmatisch vor und verzichte aufgrund des Leseflusses auf zusätzliche sprachliche Mittel wie Sternchen oder Doppelpunkt. Ich hoffe dennoch, dass sich alle Geschlechtsidentitäten von meinen Texten angesprochen fühlen.

Herzlich

Anne Gold

Inhalt

1. Kapitel

2. Kapitel

3. Kapitel

4. Kapitel

5. Kapitel

6. Kapitel

Wichtige Personen der Anne-Gold-Krimis

Krimis von Anne Gold

Die weiteren Krimis von Anne Gold

Die neue Roman-Serie von Anne Gold

1. Kapitel

Basel ist eine einzige Baustelle! Wie fast jeden Morgen schlenderte Kommissär Francesco Ferrari auf dem Weg zum Kommissariat durch die Steinenvorstadt. Irgendwann muss es doch ein Ende haben, aber unseren Politikern fallen immer neue Schikanen ein, um die Autofahrer endgültig aus der Innerstadt zu verbannen. Sogar einem Altsozi wie mir gehen die Massnahmen zu weit. Wie sollen die Geschäfte überleben, wenn die Anlieferung immer schwieriger wird? Gemäss dem Verkehrskonzept ist das Befahren der autofreien Kernzone der Innenstadt für den Güterumschlag nämlich nur noch zu einheitlichen Zeiten in den Morgenstunden möglich, konkret heisst das von fünf bis elf Uhr. Vielleicht liegt es ja auch an mir. Je älter ich werde, desto mehr stören mich die unzähligen und zum Teil unsinnigen Vorschriften. Zugegeben, das mag aus dem Mund eines Kommissärs etwas seltsam klingen … Fünf Minuten später passierte Ferrari die Schleuse des Waaghofs und fuhr mit dem Lift in sein Büro hinauf. Vor dem Kaffeeautomaten wurde er vom Ersten Staatsanwalt Jakob Borer abgefangen.

«Einen wunderschönen guten Morgen, Ferrari. Möchten Sie auch einen Kaffee?»

«Gerne. Gibt es einen besonderen Grund für Ihre gute Laune?»

«Nicht jeder läuft wie Sie mit einem mürrischen Gesicht durch die Gegend.»

«Na ja, Sie fahren ja auch mit Ihrem BMW von Münchenstein in die Einstellhalle, obwohl es eine direkte Tramverbindung gibt.»

«Ich fahre gerne mit dem Auto. Ein kleiner Luxus, den ich mir leiste. Was hat mein Auto mit Ihrer schlechten Laune zu tun?»

«Überall in der Stadt werden die Strassen aufgerissen. Eine Baustelle reiht sich an die andere. Es ist ein richtiger Hürdenlauf vom Barfi bis zum Waaghof. Ganz zu schweigen vom Lärm.»

«Basel muss attraktiv bleiben und dazu gehören schöne Fussgängerzonen. Was halten Sie von der Idee unserer Regierungsrätin, den Barfi zur Piazza umzubauen?»

«Ehrlich gesagt, nicht viel. Ein solches Projekt würde einige Millionen kosten.»

«Geld ist genügend vorhanden, solange die Pharmagiganten in Basel bleiben und brav ihre Steuern zahlen. Es wäre eine Katastrophe, wenn einer von ihnen wegzieht – zum Beispiel Ihre Freundin Olivia Vischer mit ihrem Konzern.»

«Keine Sorge, das wird sie nicht. Verstehe ich Sie richtig, Sie finden all diesen Mist in Ordnung?»

«Zumindest unternimmt die Regierung etwas, um Basel wohnlicher zu gestalten. Der Hintergedanke, die Autos aus der Stadt zu verbannen, ist natürlich nicht zu übersehen. Das müsste Ihnen doch als linke Socke in den Kram passen.»

«Kriege ich auch einen Kaffee?», Ferraris Assistentin Nadine Kupfer lächelte in die Runde.

«Sie sind herzlich eingeladen, Frau Kupfer. Immerhin sind Sie besser gelaunt als Ihr Chef.»

«Ich habe mir bei einer Baustelle an der Heuwaage beinahe das Bein gebrochen.»

«Ein heikles Thema … Wir sollen übrigens in Zukunft mit dem Tram fahren, von Münchenstein bis hierher sei es ein Katzensprung, meint ihr Chef.»

«Und was entgegneten Sie?»

«Dass ich gerne Auto fahre.»

«Genau wie ich. Damit ist alles gesagt», stellte Nadine fest.

«Ja, ja. Ich habe es begriffen.»

«Um das Thema abzuschliessen: Ich bin bestens gelaunt, weil es seit zwei Wochen keinen Mord in Basel gibt. Aber sehr wahrscheinlich gefällt Ihnen das nicht.»

«Doch, schon …»

«Basel ist nicht nur attraktiv, sondern auch sicher. Eine bessere Werbung gibt es nicht für unsere Stadt. Übrigens überlege ich mir, ein E-Bike zu mieten. Rent a Bike bietet neue Modelle an, die man später zu einem vernünftigen Preis übernehmen kann. Das wäre doch auch etwas für Sie, Ferrari. Sie wären nicht mehr auf den ÖV angewiesen und müssten sich kaum anstrengen.» Staatsanwalt Borer klopfte dem Kommissär auf den Bauch.

«Finger weg!»

«Wenn ich Sie genau betrachte, ist das keine gute Idee. Sie sollten sich ein normales Velo anschaffen. Mehr Bewegung wird Ihnen gut tun und vielleicht verlieren Sie ja ein paar Kilos.»

«Ich besitze ein City Bike.»

«Das im Keller verrostet.»

«Ich will kein E-Bike.»

«Aha.»

«Die sind alles andere als umweltfreundlich.»

«Soso.»

«Jetzt setzen alle auf die Elektrizität und wer produziert die? Keiner will Atomkraftwerke, was ich gut finde, Windräder sind verpönt, die sind zu laut, somit bleiben Sonnenenergie und Wasserkraftwerke. Schauen wir mal, wo wir in fünf Jahren stehen.»

«Sie wagen bestimmt eine Prognose.»

«Klar. In fünf Jahren werden die ersten E-Autos ausgemustert, denn die riesigen Batterien geben den Geist auf und landen im Sondermüll. Natürlich nicht bei uns. Die werden nach Afrika verschifft und türmen sich an den Stränden von Drittweltländern auf. Ganz nach dem Motto, aus den Augen, aus dem Sinn. Zudem wimmelt es bis dahin in der Schweiz nur noch so von Fernheizungen, wofür wir gigantisch viel Strom benötigen. Bleibt die Frage, woher wir diesen beziehen wollen?»

«Aus erneuerbaren Energiequellen.»

«Politiker-Geschwätz. Ich will Ihnen sagen, was passiert: Uns gehen die Lichter aus. Schlimmer noch – diejenigen, die heute nach sauberer Energie schreien, werden die Ersten sein, die nach neuen Atomkraftwerken japsen, weil es nicht genügend erneuerbare Energie geben wird. Die ist jetzt schon knapp.»

«Und was ist dein Vorschlag?»

«Wir müssen sparsamer mit der Energie haushalten.»

«Sagt der, der im Winter zu Hause auf mindestens fünfundzwanzig Grad hochheizt.»

«Das ist etwas anderes. Ich will nicht im Pullover vor dem Fernseher sitzen.»

«Na prima, das sind die Richtigen. Anderen Vorschriften machen, neue Ideen in die Runde werfen, aber sich selbst an keinerlei Einschränkungen halten. Jetzt haben Sie sich geoutet, Ferrari.»

«Ich wiederhole es nochmals: In einigen Jahren kommt das grosse Erwachen. Ihr werdet an mich denken, wenn wir im Dunkeln sitzen.»

«Und solange geniessen wir unsere Mobilität.»

«Ein gutes Schlusswort, Frau Kupfer. Obwohl … im Ansatz muss ich Ihnen recht geben, Ferrari. Ich frage mich auch, woher wir die gesamte Energie beziehen sollen, wenn wir uns von Öl und Gas verabschieden. Die Fachleute laufen bisher nicht Sturm, das stimmt optimistisch. Wir werden uns anstrengen müssen, um das Klimaziel zu erreichen und vor allem den Bedarf über erneuerbare Energien zu decken.»

«Und solange rast ihr mit euren SUVs durch die Gegend und verbraucht unnötig unsere Ressourcen.»

«Ihr Chef würde gut in den Grossen Rat passen.»

«Das verbitte ich mir!»

«Nur nicht so empfindlich. Sie würden uns normalen Bürgern noch ganz andere Daumenschrauben verpassen, hätten Sie etwas zu sagen. Sie waren und sind ein linker Fundi, ein Ökospinner. Aber beenden wir vorerst die Diskussion und geniessen die ruhige Woche.»

«Damit kann ich leider nicht dienen», Kommissär Stephan Moser trat mit besorgter Miene zu ihnen.

«Ein Mord?»

«Scheint so, Francesco.»

«Somit ist meine gute Laune gestorben. Doch mir scheint, Sie blühen richtiggehend auf, Ferrari … Wer wurde ermordet, Moser?»

«Professor Reto Krull.»

«Was?!»

«Wer ist das? Muss man den kennen?»

«Eine Kapazität in der Krebsforschung. Er und sein Kollege Luzius Widmer sind weltweit führend in der Immuntherapie, mit der sie sensationelle Erfolge erzielt haben. Die beiden werden bestimmt für den Nobelpreis nominiert.»

«Krull nicht mehr.»

«Sehr witzig. Wie ist es passiert?»

«Professor Krull wurde erstochen. Sein Kollege Widmer fand ihn heute früh tot in seiner Wohnung.»

«Schrecklich! Das wird riesiges Aufsehen erregen. Worauf warten Sie, Ferrari? Lösen Sie den Fall, bevor uns die Journalisten die Tür einrennen.»

«Wo finden wir den Toten?»

«In seiner Klinik auf dem Bruderholz.»

«Arbeitet er nicht im Unispital?»

«Nein. Widmer und Krull sind etwas eigenartig … Sie forschen in einem eigenen Labor und behandeln ihre Patienten auch dort.»

«Jetzt, wo du es erwähnst, Stephan. Vor einigen Wochen kam im Schweizer Fernsehen ein längerer Bericht über die beiden. Sie sind zwar Eigenbrötler, aber sehr erfolgreich. Es gibt eine gigantische Warteliste, Menschen aus der ganzen Welt wollen sich von ihnen behandeln lassen. Geld spielt dabei keine Rolle.»

«Dann wollen wir uns die Sache einmal aus der Nähe anschauen, Nadine.»

«Mit dem Tram oder dem Bus?»

«Mit deinem Porsche.»

«Sehr umweltbewusst, Ferrari. Ihre Konsequenz ist bewundernswert, Sie waren und sind mein Vorbild.»

«Hm.»

Nadine raste aufs Bruderholz und hielt vor einer Villa in der Nähe des Wasserturms. Einige Schaulustige tummelten sich hinter den Absperrungen, vermutlich Nachbarn oder Spaziergänger, die interessiert den Polizeieinsatz beobachteten. Selbstverständlich mit gezücktem Handy, damit die ganze Welt teilhaben konnte. Ferrari schüttelte nur den Kopf. Früher versuchten wir noch, solche Aufnahmen zu verhindern. Heute ist es ein Ding der Unmöglichkeit. Anscheinend war Gerichtsmediziner Peter Strub mit seinem Team bereits vor Ort, er winkte ihnen vom Eingang zu.

«Das wird dem Ruf der Klinik schaden. Ihr hättet ruhig etwas diskreter auftreten können», murrte Strub. «Bei zwei Streifenwagen ist es doch offensichtlich, dass etwas passiert ist. Aber das interessiert euch nicht. Immer voll draufhauen.»

«Sonst machst du dir auch keine Sorgen. Was ist denn los? Die Beamten handeln nur nach Vorschrift.»

«Klar, dass du kein Verständnis hast. Du mit deinen Scheuklappen siehst ja nicht viel von der Welt … Reto liegt in seinem Büro.»

«Reto?»

«Ja, wir studierten zusammen. Er war damals schon eine einzigartige Persönlichkeit. Ich will, dass ihr das Schwein kriegt.»

«Wir tun unser Möglichstes. Wo ist die Wohnung?»

«Im zweiten Trakt, der nach hinten rausführt. Im vorderen Teil sind die Behandlungszimmer, die Villa ist ein kleines Spital. Sensationell. Soweit ich es beurteilen kann, ist alles auf dem neusten Stand. Da fehlt nichts. Luzius sagte mir, dass der Computertomograf erst vor zwei Monaten ersetzt wurde, und zwar für zig Millionen.»

«Ist Luzius auch ein Studienkollege?»

«Nein. Er bot mir das Du an.»

«Du sorgst dich also um den guten Ruf der werten Kollegen. Alles klar.»

«Willst du dich mit mir anlegen, Francesco? Das ist kein guter Zeitpunkt, ich bin nicht in Stimmung.»

«Die Forschung ist sehr wichtig, keine Frage. Und wenn sie erst noch rentabel ist, umso besser», lenkte Nadine ab.

«Der Computertomograf ist ein Geschenk einer zufriedenen Patientin. Wollt ihr zuerst den Toten sehen oder mit Luzius sprechen?»

«Zuerst zum Toten.»

Professor Krull lag im Wohnzimmer auf dem Rücken, in seiner Brust steckte ein Messer.

«Das Messer stammt aus dem Ärztekoffer dort drüben. Er war sofort tot.»

«Sein Gesichtsausdruck wirkt nicht sonderlich geschockt, eher überrascht.»

«Was darauf hindeutet, dass er seinen Mörder kannte. Kannst du schon sagen, wann der Mord geschah?»

«Ich vermute zwischen Mitternacht und zwei Uhr morgens. Nach der Obduktion kann ich dir mehr sagen, also in den nächsten Stunden.»

Ferrari sah den Gerichtsmediziner erstaunt an.

«Ich will, dass ihr den Mörder rasch kriegt. Wenn das ein Team schafft, dann ihr. Ich lasse alles liegen und konzentriere mich auf diesen Fall. Das bin ich Reto schuldig. Er war ein guter Freund, einer, der sich für seine Freunde immer Zeit nahm, sogar als er mit Angeboten von Pharmafirmen überhäuft wurde.»

«Was ist mit Widmer? Wie würdest du ihn beschreiben?»

«Ein introvertierter Typ, blieb gern im Hintergrund, aber fachlich genauso gut wie Reto. Die beiden wollten die Onkologie revolutionieren. Bei unserem letzten Zusammentreffen sagte Reto, ohne Luzius wären sie nie so weit gekommen. Er sei ein genialer Kopf. Es ist ein Glück für die Menschheit, dass sich die zwei trafen.»

«Was weisst du über Krulls Privatleben?»

«Das ist ein schwieriges Thema. Reto war kein Kind von Traurigkeit, hatte zahlreiche Frauengeschichten. Er konnte und wollte nicht Nein sagen, Nadine.»

«Er sieht gut aus für sein Alter.»

«Seine Beziehungen und Affären sind legendär. Nur bei seinen Mitarbeiterinnen hielt er sich zurück, so schlau war er. Die Frauen waren immer gleich alt …»

«Währenddem er älter wurde.»

«Genau. Seine letzte Beziehung dauert immerhin seit zwei Jahren. Sie heisst Gloria Hunger.»

«Die Sopranistin?»

«Ja. Sie tritt auf allen grossen Bühnen dieser Welt auf.»

«Muss man die kennen?»

«Jeder kulturinteressierte Mensch kennt sie, du sicher nicht. Du verschläfst schliesslich jede Oper auf der Grossen Bühne. Ich zeig dir ein Foto», Nadine tippte auf ihrem iPhone herum. «Hier, das ist sie.»

«Ach, die! Die haben wir doch im Stadttheater gesehen.»

«Am Benefizkonzert von Olivia. Gesehen habt ihr sie nicht, Yvo und du seid nämlich eingeschlafen.»

«Das stimmt doch nicht. Wir sassen nur konzentriert da und lauschten der Stimme von … von …»

«Gloria Hunger. Von wegen konzentriert, eure Köpfe lehnten aneinander und die Dame in der Reihe hinter uns sagte laut: Jetzt sind die beiden auch noch eingeschlafen.›»

«Das war so ne alte, dumme Kuh. Ein Kotzbrocken. Die geht nur ins Benefizkonzert, um sich am Buffet vollzustopfen und um zu motzen.»

«Gut, dass du mich daran erinnerst. Das waren auch deine Worte, als sie dir auf die Schulter tippte.»

«Manchmal muss man deutlich werden. Yvo war der gleichen Meinung.»

«Ihr seid nur eines gewesen – peinlich, peinlich und nochmals peinlich. Wenn Olivia nicht dazwischen gegangen wäre, hätte es einen Skandal gegeben.»

«Bevor ihr euch weiter zankt, können wir Reto mitnehmen?»

«Ja, das könnt ihr.»

«Was ist los? Was schaust du mich so komisch an, Francesco?»

«Ich warte die ganze Zeit auf weitere spitze Bemerkungen. Geht dir die Fantasie aus?»

«Reto war wirklich ein guter Freund. Ich bin schockiert, dass es gerade ihn erwischte. Und ich erwarte von euch schnelle Resultate, deshalb halte ich mich bewusst zurück. So, und jetzt verschwindet.»

«Voll gemütlich.»

Professor Luzius Widmer hielt eine Tasse Kaffee in der Hand und schaute in den Garten hinaus.

«Dürfen wir hereinkommen?»

Widmer drehte sich um und deutete auf zwei Stühle am Tisch.

«Ich bin Kommissär Ferrari und das ist meine Partnerin Nadine Kupfer.»

«Peter hat Sie bereits angemeldet. Darf ich Ihnen etwas anbieten?»

«Danke, das ist nicht nötig. Sind Sie in der Lage, uns einige Fragen zu beantworten?»

«Ich versuchs. Setzen Sie sich bitte.»

«Können Sie sich vorstellen, wer der Täter ist?»

«Keine Ahnung, Frau Kupfer.»

«Hatte Professor Krull Feinde?»

«Meines Wissens nach keine, zumindest keine, die ihn umbringen wollten. Aber … in den letzten Wochen kam es zu Meinungsverschiedenheiten zwischen uns und Sebastian Elber. Er unterstützt unsere Forschung.»

«Hat Herr Elber Geld investiert?»

«Ja. Wir liessen uns vor ein paar Jahren auf ihn ein. Das war ein grosser Fehler. Wir hatten damals keine andere Wahl, denn in dieser entscheidenden Phase unserer Forschung konnten wir keine weiteren Mittel auftreiben.»

«Erhielten Sie von den Pharmafirmen keine Unterstützung?»

«Das wollten wir nicht, die Unabhängigkeit war uns immer sehr wichtig. Leider stehen wir jetzt mit Elber exakt am gleichen Punkt. Er stieg gross bei uns ein und will nun abkassieren.»

«Inklusive Wucherzinsen?»

«Wenn es nur das wäre. Inzwischen könnten wir beinahe jeden Betrag auftreiben. Zu unseren Patienten zählen reiche und superreiche Persönlichkeiten, die uns sofort unterstützen würden. Doch so einfach ist es nicht. Wir haben damals blauäugig einen Vertrag unterzeichnet, Elber ist an unserer Klinik und damit an unseren Forschungen beteiligt. Und nun will er seinen Anteil kassieren, indem er an Vischer verkauft.»

«Der Vischer-Konzern ist seriös.»

«Darum geht es nicht. Wir haben zwei Medikamente entwickelt, die bei Darmkrebs sensationell anschlagen. Diese will Elber an Vischer verkaufen. Wir möchten sie jedoch allen Pharmafirmen zur Verfügung stellen, ohne dass sich eine daran bereichert. Wir suchen daher nach einer Lösung, bei der unsere Medikamente zu einem vernünftigen Preis den Patienten zur Verfügung gestellt werden. Ich weiss, das klingt etwas naiv und weltfremd.»

«Aber es ist revolutionär. Ihre Einstellung ist bewundernswert.»

«Können diese Medikamente den Krebs wirklich heilen?», fragte Nadine interessiert.

«Ein Milliardär aus den USA nahm an unseren Studien teil, die behandelnden Ärzte hatten ihn bereits aufgegeben. Nach nur sechs Monaten ist es uns gelungen, den Tumor auf vierzig Prozent seiner ursprünglichen Grösse zu reduzieren. Bis Ende Jahr ist der Patient vollständig gesund. Und er ist nur einer von vielen. Wenn die Kombination in den USA zugelassen wird, und daran gibt es keine Zweifel, bringt sie dem Vischer-Konzern Milliarden ein.»

«Und das wollen Sie verhindern?»

«Es ist mir egal, wenn Vischer damit ein Vermögen verdient, aber nur unter der Voraussetzung, dass die Medikamente auch in Drittweltländern zu vernünftigen Preisen erhältlich sind. Und das bezweifle ich, leider. Vischer wird die Medikamente in den reichen Industrieländern einsetzen und extrem hohe Preise festlegen. Das ist nicht in unserem Sinn.»

«Wie wollen Sie das verhindern?»

«Ich weiss es nicht. Elber drohte uns mit einem Prozess, ein sehr unangenehmer Mensch. Er versuchte sogar, uns einzuschüchtern. Wir nahmen uns einen Anwalt und zeigten ihn an.»

«Wann haben Sie Herrn Krull das letzte Mal gesehen?»

«Gestern Abend an Glorias Geburtstagsfest. Es waren etwa fünfzig Gäste anwesend. Sinnigerweise auch Olivia Vischer mit ihren beiden Schwestern. Wir vereinbarten für Mittwoch einen Termin. Sie signalisierte Bereitschaft, einen Kompromiss einzugehen, aber ich bin skeptisch. Kurz vor Mitternacht sind meine Frau und ich nach Hause gefahren, wir wohnen etwa fünf Minuten von hier.»

«War das Fest bei Frau Hunger oder bei Herrn Krull?»

«Bei Gloria im Gellert. Peter meint, der Mord sei vermutlich zwischen Mitternacht und zwei Uhr früh geschehen. Das irritiert mich, denn das Fest war zu diesem Zeitpunkt sicher noch im Gang und Reto fuhr danach bestimmt nicht nach Hause.»

«Also hierher.»

«Ja, in der Dachwohnung, wo Sie ihn gefunden haben. Ich verstehe das alles nicht … Unser neustes Forschungsergebnis ist das Resultat harter Arbeit, natürlich gab es in diesen fünf Jahren auch Rückschläge, doch wir stehen kurz vor dem ganz grossen Durchbruch und jetzt ist Reto tot …»

«Wie würden Sie Ihre Partnerschaft beschreiben?»

«Wir ergänzten uns einfach optimal, man kann von einer Symbiose sprechen. Retos Stärken fingen meine Schwächen auf und umgekehrt. … Sie müssen wissen, ich hasse öffentliche Auftritte. Viel lieber behandle ich meine Patientinnen und Patienten und arbeite im Labor. Ich bin eben der Praktiker, während Reto unser Aushängeschild war, sich in der Öffentlichkeit wohl fühlte und es liebte, zu forschen. Zu den Patienten hatte er wenig Kontakt.»

«Gibt es auch stationäre Patienten?»

«Bei einem Neueintritt untersuchen wir den Patienten gründlich, das dauert etwa drei Tage. Für diesen Zeitraum wird er oder sie bei uns einquartiert. Danach finden die Behandlungen ambulant statt. Es sei denn, es treten Komplikationen auf. In einem solchen Fall holen wir den Patienten zur Beobachtung zu uns.»

«Demnach sind Sie wie ein richtiges Spital eingerichtet?»

«Eigentlich schon. Allerdings arbeiten wir bei Komplikationen oder in Bereichen, in denen wir über keine Kernkompetenzen verfügen, mit dem Universitätsspital zusammen. Bei einem Patienten trat der Verdacht auf einen Hirnschlag auf. Er wurde sofort ins Stroke Center gebracht. Zum Glück kam dies bisher nur ein einziges Mal vor.»

«Wie viele Leute beschäftigen Sie?»

«Ungefähr vierzig, wobei die meisten ein Teilzeitpensum haben. Unsere Patienten sind vermögend und wollen sehr gut betreut werden … Ich sehe Ihnen an, was Sie denken, Herr Kommissär. Das decke sich nicht mit unserer Philosophie, dass unsere Medikamente auch ärmeren Menschen zur Verfügung gestellt werden sollen. Wir sind pragmatisch. Da die Krankenkassen unsere Medikamente erst bezahlen, wenn sie offiziell zugelassen sind, gibt es bei unseren Testpersonen sozusagen eine Zweiklassengesellschaft. Für einmal eine, bei der die Armen profitieren. Die Reichen bezahlen nämlich die Medikamente, während sie den Armen kostenlos verabreicht werden. Mit diesem System fahren wir gut.»

«Zurück zu Professor Krulls Feinden. Wer kommt sonst noch als Mörder infrage?»

«Ich kann nur spekulieren. Vermutlich sprach Peter Strub bereits darüber, Reto war kein Kostverächter. Sie wissen, was ich damit andeuten will.»

«Er liess nichts aus.»

«Exakt. Das war eine Sucht. Ich musste immer aufpassen, dass er nichts mit unseren Patientinnen anfing. Bei den Mitarbeiterinnen hielt er sich zurück.»

«Können Sie uns Patientinnen nennen, mit denen er ein Verhältnis hatte?»

«Konkret weiss ich von einer Frau, weil es hier zu einem Eklat kam.»

«Wie heisst die Frau?»

«Elfie Stocker.»

«Der Name sagt mir nichts.»

«Ihrem Mann gehört die Sinistra.»

«Ronald Stocker, der Spekulant», kommentierte Ferrari.

«Wer ist das?»

«Ronald Stocker besitzt verschiedene Firmen, die miteinander verflochten sind, Nadine. Ab und zu geht eine hops. Dann sehen die Aktionäre, meistens sind es Kleinaktionäre, keinen Rappen mehr. Es laufen verschiedene Verfahren gegen ihn – ein ganz übler Zeitgenosse.»

«Seine Frau, ein ehemaliges Fotomodell, liess sich von uns behandeln. Sie ist genau der Typ Frau, auf den Reto abfuhr. Die Katastrophe war vorprogrammiert. Er stritt zwar alles ab, als dieser Stocker jedoch hier auftauchte, musste ich zwei Pfleger aufbieten, um die beiden zu trennen. Stocker drohte Reto offen, ihn umzubringen, falls er nicht die Finger von seiner Frau lasse.»

«Könnte eine Frau die Täterin sein?»

Widmer schmunzelte.

«Reto hinterliess viele Leichen, im übertragenen Sinn. Doch erstaunlicherweise hasst ihn keine seiner ehemaligen Geliebten. Wie er das geschafft hat, bleibt nun für immer sein Geheimnis.»

«Fällt Ihnen sonst noch jemand ein? Oder gab es irgendwelche Schwierigkeiten oder Streitereien?»

«Ich möchte wirklich nicht spekulieren.»

«Wir sind um jeden Hinweis dankbar.»

«Also gut, aber diese beiden Personen, die ich jetzt nenne, sind nicht fähig, einen Mord zu begehen. Da wäre zum einen Anton Eisner. Seine Frau war meine Patientin und ist sehr krank. Als ich in Amerika war, vertrat mich Reto. Er verabreichte ihr ein zweites Medikament, das sich nicht mit dem ersten vertrug. In der Folge musste ich leider die Behandlung abbrechen, weil durch diese Kombination ihre Organe angegriffen wurden. Die Patientin hat sich bis heute nicht erholt, wir konnten die Therapie deshalb nicht fortsetzen.»

«Kam es zu einem konkreten Vorfall zwischen Krull und Eisner?»

«Herr Eisner drohte Reto.»

«Und der andere Fall?»

«Emma Zuber, sie ist noch ein Teenager. Während meiner Abwesenheit verabreichte Reto auch ihr ein zweites Medikament, wodurch Komplikationen auftraten. Inzwischen haben wir es wieder im Griff.»

«Sie behandeln sie weiter?»

«Ja. Nach einiger Überzeugungsarbeit konnte ich das Vertrauen von Emma und ihrer Mutter zurückgewinnen. Aber bitte, verstehen Sie mich nicht falsch: Diese beiden Vorfälle haben nichts mit Retos Tod zu tun.»

«Eine letzte Frage: Wer erbt den Anteil von Professor Krull?»

«Er geht vollumfänglich an unsere Stiftung, wie übrigens auch ein Teil des Ertrags. Bei der Stiftungsgründung haben wir beide fünfzehn Prozent unserer Beteiligung eingebracht. Sollte ich vor meiner Frau sterben, wird sie eine monatliche Rente aus der Firma beziehen und Stiftungsratspräsidentin. Nach ihrem Tod geht der Teil, der noch in unserem Privatbesitz ist, ebenfalls an die Stiftung. Unsere Ehe ist leider kinderlos geblieben … Möchten Sie noch die ganze Klinik sehen?», ohne eine Antwort abzuwarten, schritt Luzius Widmer voran.

«Ich hoffe, Sie empfinden es nicht als pietätlos, dass ich Sie gerade jetzt, in diesem schrecklichen Augenblick durch unsere Klinik führe. Ich möchte Ihnen nur kurz zeigen, was wir in den letzten Jahren auf die Beine gestellt haben. Retos Anteil an unserem gemeinsamen Schaffen kann nicht genug gewürdigt werden. Ohne ihn wäre das alles nicht möglich gewesen. Sein Tod ist ein grausamer Verlust – für mich persönlich, aber auch für die Krebsforschung im Allgemeinen. Er war die grösste Kapazität auf diesem Gebiet.»

«Sie trugen bestimmt auch viel zum Gelingen bei.»

«Ja, das ist richtig, aber die entscheidenden Impulse kamen immer von Reto. Wir werden sehen, was die Zukunft bringt. Ich befürchte, ohne seine Fähigkeiten werde ich keine weiteren Medikamente entwickeln können.»

Widmer begleitete sie zum Ausgang.

«Das war sehr beeindruckend.»

«Danke. Ich wollte Ihnen die andere, geniale Seite von Reto zeigen. Ich weiss ja, dass es genügend gehörnte Ehemänner und Partner gibt, die nichts von ihm hielten. Auch Kolleginnen und Kollegen stiess er öfters vor den Kopf, indem er ihre Arbeiten kritisierte, meistens zu Recht, und sie öffentlich vorführte. Das trug ihm keine Freunde ein. Am schlimmsten waren seine Kommentare in Fachpublikationen. Mit dem einen oder anderen Kollegen lag er dermassen im Clinch, dass sie sich wegen Verleumdung vor Gericht trafen. Die Prozesse, ich glaube, es waren drei, gewann Reto jeweils problemlos. Ich warnte ihn immer wieder, bat ihn, diskreter zu sein, doch er lachte nur. Kompromisslos ging er seinen Weg.»

«Für die Forschung war das ein Segen.»

«Sie sagen es. In diesem Bereich hörte er auf mich und war auch zu Kompromissen bereit. Das ist nun plötzlich alles anders … Sollten Sie noch Fragen haben, können Sie mich jederzeit kontaktieren.»

«Vielen Dank.»

«Ein interessanter Mann.»

«Und erst noch Professor. Das wird deinem Yvo nicht gefallen.»

«So meine ich es nicht. Widmer kennt seine Grenzen, das finde ich gut. Reto war der Star, ohne ihn werden die Forschungen wohl kaum weitergehen.»

«Damit scheidet er als Mörder aus. Ausserdem hat er ein Alibi, er war zur Tatzeit mit seiner Frau zusammen. Bleiben vorerst Eisner, Stocker, Elber und Zuber. Das sind immerhin vier Verdächtige.»

«Emma Zuber ist ja weiterhin in Behandlung. Krulls Fehler scheint in diesem Fall nicht gravierend gewesen zu sein.»

«Gut, dann nehmen wir uns zuerst die anderen vor.»

«Es könnte auch irgendein anderer gehörnter Gatte beziehungsweise Freund gewesen sein. Und wenn ich an die Tatwaffe denke, müssen wir auch eine verschmähte Frau in Betracht ziehen. Es war auf jeden Fall eine Tat im Affekt.»

«Das Opfer und der Mörder oder die Mörderin kannten sich, sie waren nach Mitternacht verabredet.»

«Was wiederum eigenartig ist. Am Geburtstagsfest deiner Freundin machst du doch keinen anderen Termin ab, schon gar nicht um Mitternacht. Du bleibst über Nacht bei deiner Freundin im Gellert.»

«Es sei denn, während des Fests lief etwas schief.»

«Selbst dann passt das Ganze nicht zusammen. Keiner wartet auf gut Glück, bis das Opfer irgendwann in der Nacht heimkommt, um es umzubringen. Die Tat geschah spontan, da bin ich deiner Meinung. Sonst wäre der Mörder bewaffnet auf der Lauer gelegen.»

«Dann wollen jetzt mal was essen. Mit vollem Magen ermittelt es sich besser und wir wollen ja nachher schauen, ob die weltberühmte Sopranistin bereits wach ist und uns ein Liedchen trällert.»

«Wie wärs im Viertel-Kreis?»

«Da war ich noch nie. Ich lasse mich gerne überraschen.»

Sie erwischten gerade noch den letzten Zweiertisch im Garten. Ferrari bestellte das Menü, Hackbraten mit Kartoffelstock und Bohnen, Nadine entschied sich für einen Salatteller.

«Woran denkst du?»

«Ich verstehe Typen wie diesen Krull nicht. Er war megaerfolgreich und in einer festen Beziehung. Weshalb muss er dann laufend fremdgehen?»

«Um sich zu beweisen. Wie alt ist er?»

«Mitte fünfzig.»

«Da spürt ihr Männer nochmals den siebten Frühling. Die einen beweisen sich, indem sie einen Sportwagen kaufen, die anderen fühlen sich zum Casanova berufen.»

«Das trifft aber nicht auf alle zu, Yvo und ich sind nicht so.»

«Soso. Ihr zwei gehört zu den ganz Raffinierten.»

«Das verstehe ich nicht.»

«Ihr angelt euch von Anfang an superintelligente und sensationell aussehende Frauen, die einiges jünger sind. So müsst ihr im Alter nicht wechseln.»

«Sehr objektiv betrachtet. Ich wäre auch mit Monika zusammen, wenn sie älter wäre. Das Alter ist mir egal. Wir gehören einfach zusammen. Mh, das Essen ist wirklich gut … Ehrlich gesagt, sympathisch ist mir das Opfer nicht. Ich hoffe, dass im Laufe der Ermittlungen nicht noch mehr negative Seiten ans Tageslicht kommen.»

«Das würde dem Mörder einen Bonus eintragen.»

«Kann durchaus sein.»

«Und wenn es eine Mörderin ist, die dem Herrn Kommissär passt, lassen wir sie womöglich sogar laufen.»

«Das nicht, aber wir würden Verständnis für die Tat aufbringen.»

«Lass das bloss nicht unseren Ersten Staatsanwalt hören. Wollen wir zahlen?»

«Ja, ich lade dich ein.»

«Kannst du dir das bei deinem Gehalt leisten?»

«Knapp. Ich bin zum Glück mit einer vermögenden Frau liiert. Wenns nicht mehr reicht, leiht mir Monika bestimmt etwas. Das ist für dich kein Thema, du bist selbst vermögend.»

«Stimmt, wenn auch nicht durch meinen Job. So, lass uns losgehen, wir sollten noch was arbeiten heute.»

«Hast du die Adresse von Gloria Hunger?»

«Klar, local.ch sei Dank.»

«Ich bin gespannt, was uns die Sopranistin zu sagen hat.»

Wir fahren von einer Prachtsvilla zur nächsten, dachte Ferrari, als Nadine ihren Porsche in die Einfahrt stellte. Eine Sopranistin muss gut verdienen, wenn sie sich solch ein schmuckes Eigenheim leisten kann. Vor dem Eingang herrschte emsiges Treiben, Mitarbeiter eines Cateringservices trugen unzählige Kisten aus dem Haus. Nadine drängte sich an ihnen vorbei.

«Entschuldigen Sie, wo finden wir Gloria Hunger?»

«Sie ist in der Küche. Den Flur runter, die letzte Tür rechts. Sagen Sie ihr bitte, dass wir fertig sind und gehen.»

«Klar, machen wir.»

Pro forma klopften sie an die Küchentür und traten ein. Gloria sass mit einer Zigarette am Küchentisch.

«Dürfen wir reinkommen?»

«Bitte.»

«Ich soll Ihnen ausrichten, dass die Caterer jetzt gehen.»

«Die habe ich zum letzten Mal engagiert.»

«Warum?»

«Die Firma arbeitet nur mit Aushilfskräften. Die können nicht einmal anständig servieren. Und die bestellten Häppchen waren nicht gut, miese Qualität. Wer sind Sie überhaupt? Kennen wir uns?» Konzentriert musterte sie den Kommissär. «Sie sind ein guter Freund von Olivia Vischer und von Yvo Liechti. Moment … Ich habs, Sie sind Kommissär Ferrari.»

«Sie kennen mich?»

«Wie könnte ich jemanden vergessen, der während meines Auftritts ein Nickerchen macht. Yvo Liechti leistete Ihnen Gesellschaft. Das war an der Benefizgala von Olivia. Sie haben mich beinahe aus dem Rhythmus gebracht. Ich dachte die ganze Zeit, was mache ich, wenn die zwei plötzlich schnarchen.»

«Also … So war es wirklich nicht.»

«Ich glaube doch. Und wer sind Sie?»

«Ich bin Yvos Lebenspartnerin, Nadine Kupfer.»

«Setzt euch zu mir. Ich schlage vor, wir duzen uns. Das ist einfacher. Möchtet ihr einen Kaffee?»

«Gern. Ich übernehme das, bleib nur sitzen, Gloria. Es ist gestern bestimmt spät geworden.»

«Die Party war eine einzige Katastrophe. Meinen Geburtstag habe ich mir anders vorgestellt.»

«Was ist schiefgelaufen? Hier, dein Kaffee.»

«Danke. Nebst dem Catering war auch die Geburtstagstorte eine Katastrophe und zur Krönung stritt ich mich mit meinem Freund.»