Der Prinz der Schmerzen - Jen Williams - E-Book

Der Prinz der Schmerzen E-Book

Jen Williams

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Beschreibung

Unsere drei Helden Wydrin, Sebastian und Frith müssen den Schrecken bekämpfen, den sie auf die Welt gelassen haben. Lord Frith hat eine uralte Magie zum Leben erweckt, die ihrer aller Rettung sein kann. Doch er hat noch nicht gelernt, sie zu beherrschen. Derweil ruft Wydrins unbesonnene Art eine Horde tödlicher Piraten auf den Plan. Und Sebastian versteht nur langsam, dass ein echter Sieg nur mit einem persönlichen Opfer errungen werden kann.

Die Fantasy-Reihe "Von Göttern und Drachen" von Jen Williams umfasst die folgenden vier Bände:

Der Geist der Zitadelle - Band 1
Die Geschwister des Nebels - Band 2
Der Prinz der Schmerzen - Band 3
Die Klinge aus Asche - Band 4

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Seitenzahl: 173

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Inhalt

Cover

Über diese Folge

Über die Autorin

Titel

Impressum

Widmung

1

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6

7

8

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In der nächsten Folge …

Über diese Folge

Unsere drei Helden Wydrin, Sebastian und Frith müssen den Schrecken bekämpfen, den sie auf die Welt gelassen haben. Lord Frith hat eine uralte Magie zum Leben erweckt, die ihrer aller Rettung sein kann. Doch er hat noch nicht gelernt, sie zu beherrschen. Derweil ruft Wydrins unbesonnene Art eine Horde tödlicher Piraten auf den Plan. Und Sebastian versteht nur langsam, dass ein echter Sieg nur mit einem persönlichen Opfer errungen werden kann.

Über die Autorin

Jen Williams lebt mit ihrem Partner und ihrer Katze in London. Sie war schon immer von Piraten und Drachen fasziniert und schreibt über sie, seit sie denken kann. Mittlerweile lebt sie ihre Leidenschaft in rasanten Fantasy- und Sword-and-Sorcery-Romanen aus, in denen es nicht nur die bereits erwähnten Piraten und Drachen gibt, sondern auch jede Menge Magie und stets ein kleines Augenzwinkern. Bei den British Fantasy Awards war sie 2015 als Best Newcomer nominiert. »Von Göttern und Drachen« ist ihr Debüt.

JEN WILLIAMS

DERPRINZ DERSCHMERZEN

VON GÖTTERN UND DRACHENBAND 3

Aus dem Englischen vonFalko Löffler

beBEYOND

»be« – Das eBook-Imprint von Bastei Entertainment

Titel der englischen Originalausgabe: Prince of Wounds

Copyright © 2014 by Jennifer Williams

Für die deutschsprachige, digitale Originalausgabe

Copyright © 2017 by Bastei Lübbe AG, Köln

Übersetzer: Falko Löffler

Textredaktion: Catherine Beck

Covergestaltung: Manuela Städele-Monverde unter Verwendung von Motiven © Headline Publishing Group unter Verwendung von shutterstock: Algol und Getty Images: Dagli Orti

eBook-Erstellung: Urban SatzKonzept, Düsseldorf

ISBN 978-3-7325-4389-2

www.be-ebooks.de

www.lesejury.de

Mit Liebe für

1

Der tote Mann stand da und starrte zum eingestürzten Turm.

In diesem Moment war er sich vieler Dinge bewusst. Das Gewühl der Stadt, in der er sich aufhielt, die Leute bei ihren Alltagsverrichtungen, wie sie Grüße, Befehle oder halb lustig gemeinte Drohungen ausriefen, der raue Klang von zersägtem Holz und Hämmer, die auf Nägel trafen, den Geruch von Sägemehl und Teer. Sie bauten wieder auf.

Der tote Mann war sich der frischen Luft auf seiner Haut bewusst, wie sie einer Handvoll Würmer ähnlich daran hing und sich wand, und auch der Festigkeit seines Bluts, das schwarz und reglos war. Und da war die zuckende, unnatürliche Energie, die in seinen Gliedern auf und ab fuhr, an seinen Augenlidern zupfte und ihn in Bewegung hielt, sich immerzu rührte, ihm keinen Frieden schenkte.

Frieden. Als Gallo noch gelebt hatte, war Frieden für ihn irrelevant gewesen. Nun konnte er an nichts anderes denken.

»Junger Mann, du siehst nicht besonders gesund aus, wenn ich das so sagen darf.« Eine Frau war an seine Seite getreten. Sie trug die Tätowierungen einer Feuerpriesterin auf den Wangen, und ihre Augen waren schmal und wirkten gerissen.

»Ich bin weit gereist, Herrin, und ich bin müde.« Er versuchte sich an seinem alten Lächeln, und sie zog zur Antwort eine Grimasse. »Ich suche einige Freunde. Vielleicht habt Ihr sie gesehen? Sie müssten vor etwa sechs Wochen hier gewesen sein.«

Die Priesterin presste die Lippen zusammen. »Vor sechs Wochen war Kieferngrund nicht angenehm«, sagte sie.

»Ihr würdet sie nicht vergessen«, sagte Gallo. In der Straße hinter ihnen wurde eine Tür geöffnet und ein Eimer voll Abfall auf die Steine ausgekippt. Er war glücklich darüber, denn das würde seinen Geruch übertünchen. »Eine junge Frau mit kurzem rotem Haar und ein großer Mann mit ausladenden Schultern und einem Breitschwert. Ein Ritter von Ynnsmouth. Ihr könntet sie kaum übersehen haben.«

Die Frau überkreuzte die Arme vor der schmalen Brust. Die Haut von den Handgelenken bis zu den Ellenbogen war mit Tätowierungen bedeckt. »Und was willst du von ihnen?«

Gallo verlagerte das Gewicht von einem Fuß auf den anderen. Seine Beine fühlten sich dieser Tage so schwer an.

»Nichts Ungehöriges, gute Frau. Ich weiß natürlich, dass Leute wie diese viele Feinde haben, das bringt ihr Beruf mit sich. Sebastian und ich waren einst Geschäftspartner, und ich möchte wieder mit ihm reden.«

Die Verwendung des Namens des Ritters schien die strengen Falten im Gesicht der Frau zu erweichen. »Nun gut. Ich kann dir nicht sagen, wohin er gegangen ist. Er ist unerwartet weitergezogen, und ohne es Wydrin zu sagen, soweit ich weiß.«

»Sie sind nicht zusammen abgereist?«

»Nein. Sie wollte zurück nach Kreuzhafen gehen, zumindest war das ihr Plan.« Kurz wirkte sie, als wollte sie noch etwas sagen, aber dann legte sie die Stirn in Falten. »Mehr weiß ich nicht.«

»Kreuzhafen, natürlich.« Gallo grinste. »Das ist typisch für Wydrin. Ich danke Euch.«

Die Priesterin zog die Luft durch die Nase ein. »Gern. Nun ruh dich etwas aus, mein Kind.«

Gallo nickte abwesend, sah wieder zu dem zerstörten Turm, aber als die Frau gehen wollte, packte er sie am Arm. Unter seinen kalten Fingern fühlte sich ihre Haut sehr warm an. »Relios brennt«, sagte er leise. »Eure Heimat ist eine qualmende Ruine, könnt Ihr es nicht riechen? Solltet Ihr nicht dort sein?«

Die Frau riss ihren Arm weg. Ihr Gesicht verlor jede Farbe. »Die Gerüchte stimmen also?«

Gallo lächelte milde. Die Dringlichkeit, die ihn manchmal erfasste, war wieder verschwunden, und er war vom Gefühl erfüllt, wie sein eigenes Blut dicker wurde. »Ja, alle Gerüchte«, sagte er leichthin, »und alle Albträume.«

2

Die Märkte waren das pulsierende Herz der Insel von Kreuzhafen. Ein krankes, verformtes, verstopftes Herz vielleicht, aber wenn man etwas brauchte, das seltener war als die Fische und Gewürze, die am Anleger verkauft wurden, oder etwas Unterhaltung am Nachmittag suchte, dann musste man dorthin gehen. Außerdem war es ein guter Ort, um einen herumstreifenden Halbbruder zu suchen, der sich ein paar Tage lang von der Piraterie erholte.

Wydrin stand auf den staubigen Stufen des gewaltigen sechseckigen Gebäudes und beobachtete die Leute, die sich zwischen den hohen Marmorsäulen drängten. Es war früher Nachmittag, daher war es einigermaßen still. Die Leute waren gekommen, um etwas zu kaufen oder zu verkaufen, oder es handelte sich um Männer und Frauen mit Schwertern, die Arbeit suchten. Wenn sich die Sonne dem Horizont näherte, änderte sich die Stimmung. Der Mob wurde lauter, und der intensive Geruch von Bier und Bratenfleisch wehte über die alten Steine. Sie liebte es, nachts auf den Märkten zu sein.

Wydrin hob die Arme über den Kopf und streckte sich, genoss die Wärme der Sonne. Es war schön, draußen unterwegs zu sein und neue Dinge zu entdecken. Selbst wenn ihr die Märkte so vertraut waren wie ihr Handrücken, war es besser, als in einer Taverne ein Pint zu trinken, das beim Hochkommen immer noch den gleichen Geschmack hatte. Sie sah hinter sich zum glitzernden blauen Band des Meers, das über den Dächern auszumachen war, dann mischte sie sich auf den Märkten in die Menge.

Unter den stützenden Säulen befand sich eine aus den Nähten platzende Kleinstadt aus Zelten, Schuppen und Gruben. Lange Fahnen hingen von der hohen Decke und markierten verschiedene Bezirke und Handelsbereiche in hundert verschiedenen Sprachen und tausend verschiedenen Farben, sodass ein Blick nach oben war, als sehe man in einen Regenbogen aus Worten und Symbolen. Mitten im Chaos befand sich ein schmaler Bereich der Ruhe und des Friedens, wie das Auge eines Sturms: der Tempel der Grazien. Zu dieser Tageszeit waren viele Leute dort, um Opfergaben zu bringen und die tödlichen Gewässer zu besänftigen. Aber es war unwahrscheinlich, dass sie Jarath dort finden würde, also wandte sie sich vom Licht des Tempels ab und tauchte tiefer in die Dunkelheit ein, ging zu den Kampfgruben.

Als sie näher kam, hörte sie, wie sich ein Brüllen erhob, gefolgt von lauten Wettangeboten. Eine Menge umsäumte die flache Grube, und danach zu urteilen, wie Wettscheine herumgereicht wurden, begann gerade ein weiterer Kampf.

»Thurlos Monsterjäger gegen Jarath Rotnarbe!«, rief einer der Männer auf den Hochstühlen aus. »Schließt eure Wetten ab, schließt jetzt bitte eure Wetten ab!«

Wydrin lachte, während sie sich in der Menge nach vorne schob. Rotnarbe?

Zwei Männer standen in der flachen Grube. Einer war ein breiter Mann mit dichtem schwarzem Haar, das fast seinen ganzen Körper bedeckte und in einem der längsten, wildesten Bärte zulief, den Wydrin je gesehen hatte. Es war geradeso möglich, eine rötliche Nase und ein Augenpaar zwischen den ganzen Haaren auszumachen. Er trug Kniehosen aus Leder, die von einem schweren, beschlagenen Gürtel gehalten wurden, und Sandalen an seinen riesigen dreckigen Füßen.

Und dort war er. Jünger, kleiner und dünner, aber Jarath war eindeutig der Liebling der Menge. Sein Körper war gestählt, und seine Haut, die den warmen Braunton von dunklem Toffee hatte, war eingeölt und glitzerte hübsch im Licht. Sein lockiges Haar war kurz geschnitten, und er ignorierte fröhlich seinen Gegner, winkte lieber grinsend Leuten in der Menge zu. Es waren, wie Wydrin bemerkte, viele junge Frauen beim heutigen Kampf, und alle schmachteten Rotnarbe an. Ein Streifen rote Farbe lief diagonal von der rechten Seite seines Brustkorbs zu den straffen Muskeln seines unteren Bauches. Ansonsten trug er nur einen einfachen Lendenschurz, der bis zu den Knien reichte, und er war barfuß.

Einer der Kampfrichter in den hohen Stühlen erklärte die Wetten für abgeschlossen, und die beiden Männer begannen sich vorsichtig zu umkreisen. Jarath grinste immer noch. Er breitete die Arme aus, als wollte er den größeren Mann umarmen.

»Komm und tanz mit mir, Thurlos!«, rief er aus. Er hatte eine bemerkenswert tiefe Stimme. »Ich habe schon lange einen Tanzpartner wie dich gesucht!«

Thurlos Monsterjäger knurrte, und es war so laut, dass sogar Wydrin ihn über die Rufe der Menge hören konnte. Der behaarte Mann dehnte die Muskeln in seinen Händen, die so groß wie Schinken waren.

»Sag mir«, rief Rotnarbe wieder, »wohnen Tiere in deinem Bart? Es sieht aus, als wäre schon die Hälfte deines Essens darin gelandet.«

Die Menge dröhnte vor Lachen, und ein paar der Frauen riefen den Namen des jungen Kämpfers. Zur Antwort hob er eine Hand und nickte über seinen eigenen Ulk, und genau in diesem Moment griff Thurlos an.

Wydrin zuckte zusammen. Sie war selbst oft genug darauf reingefallen und hatte immer mit Wunden und verletztem Stolz bezahlt.

Jarath trat zur Seite, als sich der größere Mann näherte, ließ ihn wie einen wütenden Bullen vorbeirauschen. Thurlos konnte gerade so bremsen, bevor er in die Mauer knallte, und Rotnarbe verbeugte sich wieder vor dem Publikum, als hätte er gerade einen großen Sieg errungen. Die jungen Frauen quietschten vor Begeisterung.

»Oje«, sagte Wydrin und schüttelte langsam den Kopf.

Thurlos stürzte wieder auf den jungen Mann zu, und diesmal ließ sich Jarath von dem größeren Mann treffen, doch gleichzeitig schaffte er es, seine Beine um die behaarte Hüfte des Mannes zu wickeln, sodass er nicht zerquetscht wurde, sondern Thurlos mühelos aus dem Gleichgewicht brachte. Der große Mann knallte derart heftig auf den Boden, dass Wydrin den Aufprall durch ihre Füße fühlen konnte, und danach war alles schnell vorbei. Ich hätte eine Wette abschließen sollen.

Wydrin folgte Jarath zu einem Zelt in der Nähe, in dem es etwas zu trinken gab, und sie traf ihn inmitten einer Horde junger Frauen an. Sie schob sich nach vorne und entdeckte ihn, wie er auf einem Stuhl saß und ein Pint mit einem schaumigen Getränk zu sich nahm. »Wirklich? Rotnarbe?«

Jarath ließ sein Getränk zu Boden fallen und kümmerte sich nicht um die schicken Schuhe der Frauen, die ihn umringten. »Wydrin!«

Er sprang vom Stuhl auf und umarmte sie begeistert, hob sie hoch und schmierte ihr sauberes Hemd voll Öl und roter Farbe. Wydrin konnte ein Dutzend Frauenblicke in ihrem Rücken fühlen. Sie küsste ihn auf die Wange und drückte seinen Hals. »Lass mich runter, du großer Idiot. Ja, ich bin wieder da. Was soll dieser ganze Rotnarbe-Quatsch?«

Jarath ließ sie los und grinste immer noch. Er zuckte mit den Schultern und deutete auf die Reste der roten Farbe an seiner Brust. »Erinnerst du dich, wie ich diese Narbe bekommen habe, als die Rotmeerhexe die Bararia-Flotille angegriffen hat? Und wie ich heldenhaft trotz der schrecklichen Wunde gekämpft habe?« Er zischte mit seiner Hand durch die Luft, als wäre sie ein Schwert. »Die Leute haben wochenlang darüber geredet. Also dachte ich mir, warum sollte ich die Chance verstreichen lassen, mir einen Namen zu geben, an den die Leute sich erinnern? Du hast mir das beigebracht.« Er stupste sie zur Betonung leicht gegen die Brust. »Kupferkatze.«

Wydrin lachte und schüttelte den Kopf. »Verstehe. Rotnarbe wegen der Rotmeerhexe, richtig? Ich dachte, du hättest inzwischen dein eigenes Schiff?«

Die Frauen, die Jarath umringt hatten, entfernten sich nun mit säuerlichen Mienen, als er Wydrin zur Theke führte. Dort winkte er dem Wirt zu, der ihnen zwei Becher mit heißem Würzwein hinstellte.

»Ja, schon, aber Mutters Schiff ist immer noch berühmter, oder?« Er nippte an dem Becher, krauste die Stirn und winkte den Wirt zu sich. »Das ist Wein?«

»Wenn du etwas umsonst haben willst, musst du nehmen, was du kriegst«, sagte der Wirt.

»Hey, ich habe all den Damen hier was gekauft, oder?« Er winkte den Frauen zu, die sich schnell verflüchtigten. »Egal …« Er wandte sich wieder an Wydrin. »Wie ist es dir ergangen? Was hast du in letzter Zeit gemacht? Soweit ich es gehört habe, war es eine große Sache.«

»Hmm.« Wydrin sah sich im bevölkerten Zelt um. Es war heiß und laut, und aus irgendeinem Grund fühlte sie sich deswegen unwohl. »Das könnte man sagen.«

»Und wo ist Sebastian?«

Der Wein war etwas säuerlich. Als sie davon trank, erinnerte sie sich an das Festmahl, das sie tief in der Zitadelle eingenommen hatten. Wie seltsam, gerade jetzt daran denken zu müssen. »Hör zu«, sagte sie, »gehst du ein Stück mit mir spazieren? Ich bin schon lange nicht mehr auf den Märkten gewesen und will schauen, was es Neues gibt.«

»Hältst du wieder Ausschau nach Arbeit?«

»Ich habe bald wieder einen Auftrag. Arbeite mit Reilly, einem schleimigen Schwachkopf aus den Hörnern. Hat den ganzen Mund voller Goldzähne. Kennst du ihn?«

Jarath zog eine Grimasse. »Diesen nervigen Kerl? Der hat sogar noch einen schlimmeren Ruf als du.«

Wydrin seufzte. »Läufst du mit mir oder nicht?«

»Ja, gehen wir.« Jarath winkte jemandem aus seiner Mannschaft zu und bekam ein Seidenhemd zugeworfen. Er zog es über und kümmerte sich nicht um Öl oder Farbe. »Und du kannst mir dabei erzählen, was es bei dir Neues gibt.«

3

Sie entfernten sich von der Kampfgrube und betraten den Handelsbezirk. Wydrin hatte im Laufe der Jahre hier selbst viele Geschäfte abgeschlossen – die exotischen Objekte verkauft, die Sebastian und sie auf ihren Reisen gesammelt hatten. Sie blieb bei einem Zelt stehen, wo Rüstung verkauft wurde, die aussah, als wäre sie gerade von einem blutigen Schlachtfeld gestohlen worden. Wydrin kaufte ein neues Paar Handgelenkschützer aus Kupfer, hielt sich nicht damit auf, beim Verkäufer den Preis runtertreiben zu wollen, und zog sie über die Arme.

Schließlich kamen sie zur alten Bronzestatue einer Frau, die ihre Arme erhoben hatte, als wollte sie den Himmel umarmen. Es war längst vergessen, wen die Statue abbilden sollte oder was sie bedeutete, doch die Steinstufen an ihrem Fundament waren oft die ruhigste Stelle auf den Märkten.

Wydrin setzte sich hin und versuchte, den besorgten Blick ihres Bruders zu ignorieren.

»Wydrin …«

»Was?«

Er zuckte übertrieben mit den Schultern. »Natürlich, du willst nicht mit deinem einzigen Bruder reden, das merke ich. Aber ich kann mich nicht erinnern, jemals mit angesehen zu haben, wie du ohne lebhafte Verhandlungen etwas gekauft hast, und wenn du mich sonst besuchen kommst, trinken wir die Nacht durch, bis wir kotzen müssen, und dann fällst du irgendwo die Treppe runter … aber heute wirkst du abgelenkt und hast ein Gesicht wie ein versohlter Hintern.«

»Wie charmant.«

»Und ich mag es nicht, die Kupferkatze derart ernst zu sehen. So sollen sich meine anderen Schwestern verhalten, die sind langweilig.« Er legte einen Arm um sie und drückte ihre Schultern.

Sie lächelte widerwillig.

»Sag mir, was los ist.«

Sie blickte zur Statue hoch. Das Gesicht der Frau war nach all den Jahren immer noch wunderschön. »Mit mir ist alles in Ordnung. Wie geht es Mutter? Hast du etwas von ihr gehört?«

Jarath kicherte. »Ich habe seit zwei Monaten nichts von ihr gehört, vielleicht sogar drei. Sie ist zur Küste von Bararia aufgebrochen, wollte eine Zeit lang der Sonne folgen und sehen, wohin die sie führt.«

Wydrin sah ihren Bruder streng an. »Sie sucht doch nicht immer noch meinen Vater? Ich hasse es, das zu sagen, aber wenn er immer noch leben würde, hätten wir längst von ihm gehört. Die Stürme jenseits des Knochenmeers …« Ihre Stimme verklang.

Jarath rieb sich mit einem Finger am Kinn. Wydrin hörte das kratzende Geräusch seiner Bartstoppeln.

»Du weißt, wie sie ist. Bleibt sie zu lange an einem Ort, muss sie aufbrechen und irgendwohin, wo sie noch nie gewesen ist, um das auszugleichen.«

»Ja, ich weiß, wie sie ist«, erwiderte Wydrin trocken.

»Du tanzt geschickt ums eigentliche Thema herum, aber hast meine Frage noch nicht beantwortet.«

Sie sah in seine dunkelbraunen Augen. Er kannte sie nur zu gut. »Zuerst war alles bestens«, sagte sie leise. »Aber dann geriet es außer Kontrolle, und jetzt weiß ich nicht mal, wo Seb ist.« Sie biss sich auf die Lippe und erinnerte sich, wie er in Kieferngrund gewesen war. »Er konnte einfach keine Ruhe geben. Bei gar nichts.« Sie schüttelte den Kopf. »Ich will zum Tempel gehen.« Sie nickte zu der breiten Lichtsäule voller Staub, die den Mittelpunkt der Märkte kennzeichnete und wie ein Traum von Sommer in der Luft hing. »Kommst du mit?«

Jarath strich sich durch den Kragen seines Hemds über die Brust. Die Finger, die er hervorholte, waren rosa und ölig. »Du? Im Tempel? Jetzt bin ich sicher, dass es dir richtig dreckig gehen muss.«

»Komm schon, es ist wichtig.«

Sie nahm ihn am Arm und zerrte ihn zum Licht und dem Geruch von Meerwasser.

Der Tempel in der Mitte der Märkte war alt. Einige sagten, er sei sogar älter als Kreuzhafen selbst. Dort befand sich ein rundes Becken, das direkt in den Stein gehauen war, und wenn man sich an den Rand stellte und nach unten blickte – wenn man tapfer genug dafür war –, konnte man in einen tiefen, blauen Abgrund bis ins Nichts sehen. Es waren Steine und Korallen an den rauen Wänden zu erkennen, dazu viele Schatten, sodass man nie sicher sein konnte, wo sich die Grazien versteckten. Das Loch in der Decke ließ das helle Sonnenlicht des Nachmittags auf der Oberfläche des klaren Wassers tanzen, und der Tempel war ein Ort des schimmernden, herumstreifenden Lichts.

Ein paar Schritte vom Becken in der Mitte entfernt befanden sich runde Aquarien. Wydrin und Jarath standen bei einem von ihnen und sahen hinein.

»Du willst einen kräftigen«, sagte Jarath und tippte ans Glas. Dahinter schwamm ein dicker Fisch, angeschwollen und silbern. Er zappelte wegen der Störung und versteckte sich hinter einem Stein. »Etwas, in das die Grazien ihre Zähne versenken können.«

Wydrin schaute die Reihe der Aquarien hinab. Sie bestanden aus dem besten Glas und beinhalteten eine breite Auswahl an Meereslebewesen: Krabben, Hummer, Oktopusse, bunte Fische und in einem großen Behältnis ein grässlicher Meerwasserhecht. Das Sonnenlicht blinkte auf der Oberfläche des Wassers, strahlte durch die Seitenwände der Aquarien und strahlte die Lebewesen darin an. Sie fühlte sich an Holleys Haus voller verzaubertem Glas erinnert.

»Allerdings regen viele kleinere Fische mehr zu Bewegung an«, sagte sie. »Und die Graziösen Damen können daraus mehr auslegen, heißt es.«

»Heute wird es keine Auslegung mehr geben«, ertönte eine kalte Stimme hinter ihnen.

Wydrin und Jarath drehten sich um und sahen sich einer der Graziösen Damen gegenüber, die sie düster anschaute. Sie war klein und schlank, sodass sie in ihrer langen Purpurrobe fast zu versinken schien. Die traditionellen schwarzen Linien, die die Damen um ihre Lippen malten, und die Falten an ihren Augen hoben sich von ihrer blassen Haut ab. Ihr braunes Haar war mit Fischöl von der breiten Stirn nach hinten gestrichen, und der Geruch war überwältigend. Sie sah zu ihnen hoch mit Augen, die die Farbe von Seeschlamm hatten. »Keine Auslegungen, keine Opfergaben«, wiederholte sie. »Wir haben alles genommen, was wir heute nehmen.«

Die Graziöse Dame wies zur anderen Seite des Beckens, wo ein anderes Mitglied ihres Stands bei einer Reihe nervös wirkender Besucher stand. Wydrin reichte ein flüchtiger Blick, um zu erkennen, dass diese Männer und Frauen Geld besaßen: Sie hatten saubere Gesichter, feine Kleider und den besorgten Blick reicher Leute, die sich unter diejenigen mischen mussten, die sonst ihre Häuser putzten oder ihr Essen anrichteten.

»Ihr glaubt, wir hätten nicht die benötigten Münzen?«

Die Graziöse Dame zog die Augenbrauen hoch, dick und dunkel geschminkt. Sie sagte nichts.

»Ich habe die Münzen.«