Der Professor und der Wolf - Univ. Prof. Dr. Peter Filzmaier - E-Book

Der Professor und der Wolf E-Book

Univ. Prof. Dr. Peter Filzmaier

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Beschreibung

Peter Filzmaier und Armin Wolf sprechen oft über Politik. Wenn der bekannteste Politikwissenschaftler und der bekannteste Journalist des Landes im Fernsehstudio aufeinandertreffen, ordnen sie das aktuelle Geschehen für uns ein, egal ob Videos von Urlaubsinseln auftauchen, Landtagswahlen anstehen oder im Parlament lautstark gestritten wurde. Für dieses Buch haben sie sich getroffen, um einmal ohne Sakko, dafür ganz grundsätzlich über Politik zu reden: Wie funktioniert Österreich eigentlich? Wer ist für die Gurkenkrümmungsverordnung verantwortlich? Wieso gibt es neun Bundesländer? Warum ist das Verhältnis von Politik und Medien so schwierig? Was darf der Bundespräsident alles entscheiden? Und warum sollen wir uns überhaupt für Politik interessieren? Kurzweilig und unterhaltsam, fundiert und kritisch zugleich nehmen sie uns wie schon im Erfolgs-Podcast Der Professor und der Wolf mit in das politische System, das Österreich und damit unserem Alltag gestaltet. Denn wer das System kennt, versteht auch das tägliche Geschehen!

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Seitenzahl: 214

Veröffentlichungsjahr: 2023

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Peter Filzmaier

Armin Wolf

DER PROFESSORUND DER WOLF

Das 1 × 1 der österreichischen Politik

Einleitung

1Der Bundespräsident

2Die Regierung

3Das Parlament

4Parteien und Wahlen

5Die Bundesländer

6Neutralität und EU

7Sozialpartner und direkte Demokratie

8Politik und Medien

Tipps

Dank

Die Autoren

Einleitung: Warum wir uns für Politik interessieren (sollten)

ARMIN WOLF: Peter, was ist deine erste politische Erinnerung?

PETER FILZMAIER: Meine erste bewusste Erinnerung an Politik ist sehr unschön. Wir hatten in der Schule gleich zwei Lehrer, die uns Kindern stolz erzählten, dass sie zur Nazizeit Blockwarte waren. Das waren Typen, die in einem Häuserblock – deshalb der Name – die diktatorische und rassistische nationalsozialistische Ideologie trommelten, schikanöse Vorschriften für Jüdinnen und Juden umsetzten sowie letztlich deren Abtransport in Massenvernichtungslager mitbetrieben. Genauso überwachten und meldeten sie alle Hausbewohner, ob jemand etwas Kritisches zu den Nazis sagte.

WOLF: Solche Lehrer hatte ich glücklicherweise nicht. Ich war gerade am Ende der zweiten Klasse Volksschule, als 1974 der damalige Bundespräsident Jonas gestorben ist. „Unser Bürgermeister“ in meiner Heimatstadt Innsbruck hat dann als neuer Bundespräsident kandidiert. Ich kann mich noch an die Wahlplakate überall erinnern. Alois Lugger hat aber gegen Rudolf Kirchschläger verloren und ganz Innsbruck war enttäuscht.

Wann hast du dann begonnen, dich ernsthafter für Politik zu interessieren?

FILZMAIER: Ereignisbezogen ist meine erste Erinnerung zum Glück positiver, nämlich an die Umweltbewegung in der Hainburger Au an der Donau, wo 1984 der Bau eines Kraftwerks verhindert wurde und heute ein Naturschutzgebiet ist. Erstmals wahlberechtigt war ich dann 1986, fand jedoch schon die Wahlen in den späten siebziger und frühen achtziger Jahren interessant. Wobei ich mich erinnere, dass unsere ausgezeichnete Deutsch- und Geschichtelehrerin mit der Klasse die oft sehr schlichten Wahlkampfslogans und Plakatsprüche der Parteien analysiert hat. Irgendwie war das vielleicht der kleine Anfang für mein Interesse an einem Studium der Politikwissenschaft und meinen jetzigen Beruf.

WOLF: Meine Eltern waren politisch engagiert, sehr an der Basis. Mein Vater war Betriebsratsobmann in der Wohnbaugesellschaft, bei der er als Hausmeister beschäftigt war, und meine Mutter war in einer kleinen Ortsgruppe der ÖVP-Frauenbewegung aktiv. Und sie haben sehr viel diskutiert und im Fernsehen fast alle politischen Sendungen geschaut. Ich fand das interessant, hab dann mit 14, 15 begonnen, auch Zeitschriften wie das „Profil“ und den „Spiegel“ zu lesen, eine Schülerzeitung gegründet und mich sehr in der Schülervertretung engagiert.

FILZMAIER: Du hast ja dann auch Politikwissenschaft studiert.

WOLF: Wobei ich eigentlich Lehrer werden wollte. Kurz vor der Matura habe ich dann aber am Tag der offenen Tür an der Uni Innsbruck eine Vorlesung von Anton Pelinka gehört, der damals der bekannteste Politikwissenschaftler in Österreich war und ständig im Fernsehen – so wie heute du. Und die Vorlesung war so spannend, dass ich beschlossen habe, doch nicht Wirtschaftspädagogik zu studieren, sondern mich für Politikwissenschaft anzumelden. Und weil ich nicht wusste, was man damit beruflich machen könnte, habe ich damals – da war ich 18 – entschieden, ich werde Professor für Politikwissenschaft. Und der Nachfolger von Anton Pelinka. Das ist mir ganz offensichtlich nicht gelungen. Aber dir!

FILZMAIER: Wobei ich zuerst mit einem Jusstudium – also Rechtswissenschaft – begonnen habe. Doch hat mich letztlich die Rechts- und Verfassungswirklichkeit mehr interessiert als bloß der schnöde Text von Gesetzen und sogar der Verfassung. Wir in Österreich haben ja bei Rechtsvorschriften als politisches Kulturelement die seltsame Einstellung „Ein bisserl was geht immer!“. Die Verfassung wird hoffentlich anerkannt, doch das Steuerrecht sehen schon viele als unverbindliche Empfehlung und wir sind eine „Brauchen S’ a Rechnung“-Gesellschaft.

WOLF: Was ist eigentlich Politik?

FILZMAIER: Politik ist das Treffen allgemein verbindlicher Entscheidungen, um unser Zusammenleben zu regeln. Das klingt furchtbar theoretisch – aber bist du ein Anarchist, der so gar keine Gesetze haben will? Wenn nein, so wirst du zustimmen, dass wir in einer Gesellschaft mit sehr vielen Menschen auch sehr viele Regeln brauchen.

WOLF: Warum konkret brauchen wir Regeln?

FILZMAIER: Sonst könnten Lehrerinnen und Lehrer in der Schule einfach unterrichten, was immer ihnen Spaß macht. Den Schülerinnen und Schülern wäre freigestellt, bei der Matura zu betrügen, oder es dürften alle Autorowdys mit Tempo 180 durch eine Wohnstraße rasen. Genauso müsste niemand mehr Steuern zahlen, und es würde umgekehrt keiner mehr eine sozialpolitische Leistung für kostenlose Arztbesuche oder als Mietbeihilfe bekommen. In all diesen Bereichen gibt es Regeln, die auf politische Entscheidungen und Gesetze oder Verordnungen zurückgehen.

WOLF: Politik ist also der Prozess, wie solche Regeln gemacht werden?

FILZMAIER: Ja. Wobei aber mit dem Wort oft genauso die einzelnen Fachbereiche der Politik gemeint sind. Also beispielsweise die Bildungspolitik, die Steuerpolitik, die Sozialpolitik und die Verkehrspolitik, um bei den eben gebrachten Beispielen zu bleiben. Oder man meint damit den Rahmen der Politik, der in der Verfassung eines Staates festgeschrieben ist. Das alles heißt auf Deutsch Politik.

WOLF: Im Englischen gibt es dafür drei verschiedene Wörter.

FILZMAIER: Genau. Der Prozess der Politik, also das Aushandeln von politischen Kompromissen, Wahlkämpfe, innerparteiliche Auseinandersetzungen und so weiter, das heißt auf Englisch politics. Wo es um politische Inhalte geht, beispielsweise um Bildungs- oder Umweltpolitik, da spricht man von policy. Die politischen Institutionen und Strukturen wie das Parlament oder das Wahlrecht nennt man polity.

WOLF: Wenn man Politikwissenschaft studiert, lernt man das in der allerersten Vorlesung und vergisst es nie mehr! Wir haben einander ja auch auf der Uni kennengelernt. Allerdings nicht als Studienkollegen, sondern ich war dein Student. Kannst du dich noch erinnern, wann das war?

FILZMAIER: Das muss so 1997, 98 gewesen sein – und du warst auch einer der älteren oder sagen wir nicht mehr ganz so jungen Studenten.

WOLF: Stimmt, ich war schon 30 und schon über zehn Jahre beim ORF, habe aber nebenberuflich noch immer studiert, sehr langsam allerdings. Bei dir war ich in einem Seminar über „Gewaltenteilung in den USA“, das du 1997 noch als externer Lektor an der Uni Wien gehalten hast. Im Hauptberuf warst du damals noch im Bildungsministerium angestellt.

FILZMAIER: Ja, jeder hat seine „Jugendsünden“ und ich war vor langer Zeit einmal das, was man wissenschaftlicher Beamter nannte. Wobei ich immer an die Uni wollte. Nur mangels sofortiger Jobchancen dort war diese Sache mit dem Ministerium eine Art Umgehungskonstruktion, bei der ich durchaus strategische Hintergedanken hatte. Nach ein paar Jahren ist es mir endlich gelungen, aus dem Ministerium an die Universität zu wechseln. Davor war ich eben als Außenstehender mit einzelnen Lehrveranstaltungen betraut. Weil ich mit dem schon damals sehr bekannten Politikwissenschaftler Fritz Plasser ein Buch über Politik und Demokratie in den USA geschrieben hatte, war das als Seminarthema logisch. Als ehemaliger Korrespondent im ORF-Büro Washington warst du da aber fast überqualifiziert und ich musste dir einen Einser geben.

WOLF: War für mich total okay, ehrlich! Die Note hatte aber nichts damit zu tun, dass ich dich in dieser Lehrveranstaltung fürs Fernsehen entdeckt habe, was ich seither gerne und stolz erzähle.

FILZMAIER: Ich muss ja zugeben, dass für meine Fernsehbekanntheit ein US-Präsident verantwortlich war, der seine Praktikantin nicht in Ruhe lassen konnte.

WOLF: Stimmt. Als Anfang 1998 der Skandal um Präsident Clinton und Monica Lewinsky richtig groß geworden ist, bis hin zu einem Amtsenthebungsverfahren, haben wir dringend einen USA-Experten als Studiogast gesucht. Und da ist mir der eloquente Lektor von der Uni eingefallen.

FILZMAIER: Wobei ich das, was die Zuseher vielleicht am meisten interessiert hat, nicht beantworten konnte: was sich nämlich da ganz genau zwischen Clinton und Lewinsky im Oval Office abgespielt hat. Jedenfalls bekam ich nach der Sendung einige reichlich seltsame Reaktionen von Zusehern, die offenbar am liebsten Originalbilder dazu gesehen hätten. Was nun wirklich nicht Sache eines Politikwissenschaftlers ist.

WOLF: Die von Journalistinnen und Journalisten übrigens auch nicht. Weil das aber ein exzellenter Auftritt von dir war und sich die Lewinsky-Affäre über Monate gezogen hat, haben wir dich immer wieder eingeladen. Irgendwann dann auch öfter zur österreichischen Politik, weil du auch ein Experte für Wahlkämpfe warst.

FILZMAIER: Wobei du da ein paar Jahre überspringst. Zunächst hat mein ursprüngliches Thema USA mir viele weitere ORF-Auftritte beschert. Nach den Terroranschlägen in New York und Washington am 11. September 2001 sowieso, aber davor schon zum Wahlchaos bei den US-Präsidentenwahlen im Jahr 2000. Erst zwei Jahre später hat mir der ORF auch die Kompetenz für österreichische Wahlkämpfe zugetraut und mich rund um die Nationalratswahl 2002 regelmäßig interviewt.

WOLF: Etwa zu der Zeit bist du auch hauptberuflich an die Uni gewechselt und hast dich dort vor allem mit politischer Bildung beschäftigt.

FILZMAIER: Politische Bildung als Thema war nach der Zeit im Bildungsministerium ja naheliegend, und irgendwie die von mir gerne erfüllte Bedingung, dass ich aus dem Ministerium an die Universität wechseln konnte. Ich habe da längere Zeit einen Fortbildungslehrgang für Lehrerinnen und Lehrer zur politischen Bildungsarbeit geleitet. Weil sich Politikvermittlung in einer modernen Mediendemokratie vor allem über Massenmedien abspielt, wurde so nach und nach die politische Kommunikation mein Hauptfachgebiet.

WOLF: Politische Bildung machst du aber nicht nur auf der Uni und in Vorträgen, sondern auch in Medien. Mit dem ORF hast du inzwischen sogar einen Vertrag als ständiger politischer Analytiker und bist so oft zu Gast im „Zeit im Bild“-Studio, dass manche Menschen glauben, du würdest in einem Schlafsack unterm Studiotisch übernachten. Aber wir enthüllen jetzt: Das stimmt nicht! Da wäre zu wenig Platz.

Du erklärst aber nicht nur im ORF die aktuelle Politik, du schreibst auch regelmäßig Kolumnen in Zeitungen.

FILZMAIER: Fürs Protokoll: So wie Otto Waalkes in seinem legendären Auftritt bei Ingrid Thurnher war ich wirklich einmal unterm Tisch des „ZiB 2“-Studios. Für einen kleinen Gag, den wir für „Willkommen Österreich“ gedreht haben. Daher weiß ich, dass es unter dem Tisch gar keinen Schlafsack gibt.

WOLF: Das war nicht meine Frage!

FILZMAIER: Ist schon gut, du hast ja recht! Also zu meiner Medientätigkeit: Natürlich verdiene ich mittlerweile auch Geld damit, das soll man transparent sagen. Doch das war viele Jahre nicht der Fall. Meine Motivation ist eine andere: Ich wollte nie in der Fachöffentlichkeit des angeblichen Elfenbeinturms Wissenschaft verbleiben, sondern Politik allgemein erklären.

WOLF: Das ist auch das, was wir Medienmenschen an dir schätzen: dass du sehr komplexe Dinge sehr verständlich erklären kannst, aber auch präzise und kurz, was im Fernsehen wichtig ist. Das war schon bei deinem allerersten Studioauftritt vor 25 Jahren so. Woher konntest du das?

FILZMAIER: Danke für das Kompliment, was willst du trinken? Nein, im Ernst: Ich habe nie vor dem Spiegel geübt und hatte nie einen Rhetoriktrainer. Vielleicht hatte ich einfach Glück, dass mir am Anfang keine Hoppalas passiert sind. Aber ein Sendungsmacher im ORF sagte einmal, dass ich extrem viel über die politischen Nachrichten- und Diskussionssendungen gefragt habe, eben auch was Zeitbudget und Zielpublikum betrifft. Zudem erinnere ich mich an einen Chefredakteur, der mir sagte, dass für mich womöglich zehn Prozent der Zuseherinnen und Zuseher in meinem Berufsleben wichtig sind, ihr die Sendung aber genauso für die anderen 90 Prozent machen müsst. Daran habe ich mich hinsichtlich Präzision und Verständlichkeit immer zu halten versucht.

WOLF: Das können und wollen aber nicht alle Menschen, die an der Uni forschen. Wir bekommen leider sehr oft Absagen, wenn wir Wissenschaftler oder Wissenschaftlerinnen in die Sendung einladen wollen. Andererseits gibt es oft auch eine Art Eifersucht auf Kolleginnen und Kollegen von der Uni, die sehr wohl in den Medien auftreten. Wie erlebst du das?

FILZMAIER: Ich respektiere alle Kolleginnen und Kollegen sehr, die Medienauftritten skeptisch gegenüberstehen, weil dort alles extrem verkürzt wiedergegeben wird. Im Fernsehen wird sogar Einsteins Relativitätstheorie auf eine Kürzestversion in einem Mini-Ausschnitt reduziert. Deshalb musst du alle Absagen bitte wirklich verstehen. Wenn freilich jemand absagt und sich zugleich ärgert, dass wer anderer im Fernsehen ist, nun ja, das ist weniger logisch.

WOLF: Ich habe das nie verstanden. Zum einen werden Unis von allen Menschen in Österreich über ihre Steuern finanziert. Und ich finde, die haben auch ein Recht, zu erfahren, was da erforscht wird. Vor allem aber würde ich, wenn ich Wissenschaftler wäre, möglichst viele Menschen für mein Fach begeistern wollen und sehr gerne erzählen, was ich tue. Welche Reaktionen bekommst du denn außerhalb der Uni auf deine Auftritte?

FILZMAIER: Zunächst muss ich betonen, dass es Universitäten mittlerweile längst begrüßen und fördern, wenn ihre Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler öffentlich auftreten. Was die Reaktionen betrifft: Es werden immer mehr, erfreulicherweise sind sie in der überwältigenden Mehrheit sehr positiv. Vor allem aber wollen Menschen dann mit mir immer und überall nur über Politik diskutieren. Ich liebe meinen Beruf, aber da muss ich als Privatmensch manchmal um Verständnis bitten, dass ich bei einem Abendessen oder am Buffet einer Veranstaltung nicht unbedingt nur über die Unappetitlichkeiten der Politik sprechen will. Sondern lieber über Sport.

WOLF: Beschweren sich Politiker oder Politikerinnen manchmal über deine Analysen im Fernsehen?

FILZMAIER: Interessanterweise sehr selten. Ich erinnere mich in rund zwei Jahrzehnten höchstens an eine Handvoll Fälle. Mit einer Ausnahme waren diese direkten Kontaktaufnahmen aber durchaus sachlich. Nur in einem Fall war jemand, der nicht mehr in der Politik ist, eher verhaltensauffällig.

Und wie ist das bei dir? Anlaufstelle nach einer Sendung bin ja weniger ich als Studiogast, sondern der ORF und seine Moderatorinnen oder Moderatoren. Bekommst du viele Beschwerden über deine Interviews?

WOLF: Jedes Mal, wenn ich einen Studiogast unterbreche, kommen mehrere Mails, in denen steht: „Meine Kinder haben schon im Kindergarten gelernt, dass man seine Gesprächspartner aussprechen lässt. Sie nicht?“ Ich schreibe dann immer zurück: Doch, das habe ich auch gelernt und ich bin sogar ein ziemlich höflicher Mensch. Sollten wir uns mal treffen und unterhalten, werde ich Sie nicht unterbrechen, versprochen! Aber ich vermute, da wird keine Uhr mitlaufen und Sie werden auch nicht mit vorbereiteten Botschaften kommen, die Sie in jedem Fall loswerden wollen, ganz egal, was ich Sie frage. Und Sie werden wahrscheinlich nicht mit Absicht besonders lange reden, obwohl es auch viel kürzer ginge.

FILZMAIER: Warum machen das Studiogäste? Das ist doch ein bisschen schade um die Sendezeit, würde man meinen.

WOLF: Das bringen ihnen ihre Medientrainer bei. Weil ich dann weniger Fragen stellen kann, die sind ja meistens kritisch und eher unangenehm. Oder ich muss dafür unterbrechen. Und das findet zumindest ein Teil des Publikums unhöflich und respektlos – dadurch wirkt dann der Studiogast sympathischer. Wobei es da einen sehr interessanten Unterschied gibt: Die älteren Zuseherinnen und Zuseher mögen es generell gar nicht, wenn unterbrochen wird, den meisten jüngeren taugt es, weil sie das Interview dann spannender finden.

FILZMAIER: Sind die Gäste sauer, wenn das Interview sehr hart war und sie vielleicht nicht so gut ausgestiegen sind?

WOLF: Sauer vielleicht schon, aber in der Regel so professionell, dass sie es nicht an mir auslassen. Ein Staatssekretär, der längst in Pension ist, hat mich mal nach dem Live-Interview, während der nächste Beitrag lief, minutenlang mit hochrotem Kopf angebrüllt. Leider habe ich irgendwann gesagt: In zehn Sekunden ist der Beitrag aus. Und er ist – noch immer schreiend – aus dem Studio gestürmt.

FILZMAIER: Warum leider?

WOLF: Ich hätte ihn natürlich weiterbrüllen lassen sollen, bis wir wieder auf Sendung waren. Das wäre auch fast 20 Jahre später noch ein echter YouTube-Hit. Na ja, eine Anfänger-Dummheit. Apropos Dummheit, Frank Stronach hat nach unserem ersten Interview beim Verabschieden zu mir gesagt: „Du hast jetzt aber sehr dumme Fragen gestellt.“ Dabei waren wir gar nicht per Du.

FILZMAIER: An Frank Stronach ist aber auch jede Analysefähigkeit zerschellt, das musste ich leidvoll erfahren. Wie analysiere ich jemanden, der auf die Frage nach dem Grund des österreichischen Nationalfeiertags antwortet, dass er da schon einmal interviewt wurde? Stronach hat auch in einer Spitzenkandidatendiskussion zur Zukunft Europas nur gemeint, dass ein Schuldirektor sich seine Lehrer selbst aussuchen soll. Solche TV-Diskussionen schauen wir beide uns ja gemeinsam an, bevor wir Ausschnitte daraus in der „ZiB 2“ besprechen. Bei Veranstaltungen werde ich oft gefragt, ob ich bei unseren Studiogesprächen die Fragen vorher weiß. Ich sage dann, ich als Analytiker im Groben schon, zumindest wenn vor dem Gespräch genug Zeit ist. Politikerinnen und Politiker hingegen wissen nie vorher, was du sie fragst.

WOLF: Genau. Das sind auch zwei ganz verschiedene Arten von Interviews. Mit Expertinnen im Studio versuchen wir, gemeinsam dem Publikum etwas zu erklären. Und da ist es sinnvoll, das Gespräch vorher inhaltlich zu strukturieren, damit wir in möglichst kurzer Zeit möglichst viel Information unterbringen. Bei politischen Interviews ist es anders. Da geht es darum, dass Politiker nicht einfach nur verkünden, was sie vorhaben, wie bei Wahlreden oder auf Parteitagen, sondern dass sie sich mit Kritik und Gegenargumenten auseinandersetzen und ihre Politik auch argumentieren und begründen müssen. Und dabei hoffentlich auch etwas sagen, das nicht schon drei Pressemenschen vorformuliert haben. Aber warum tun sich die meisten Politikerinnen und Politiker eigentlich so schwer, auf Fragen klar zu antworten?

FILZMAIER: Das liegt nicht am mangelnden Können. Sie wollen einfach nicht. Du sagst ja selbst, dass Politikerinnen und Politiker ihre Vorhaben und ihre Sicht der Dinge darlegen wollen. Oft auch, wie sehr ihre Partei und sie selbst alles richtig gemacht haben und wie toll sie sind. Das gilt nicht nur für Wahlreden, sondern genauso im Fernsehstudio. Also würden sie am liebsten nur zu ihrem Wunschthema etwas sagen und ihre zentrale Botschaft verkünden.

WOLF: Sie kommen ja auch nicht meinetwegen oder wegen meiner Fragen.

FILZMAIER: Sondern weil bis zu 800.000 Menschen zuschauen, manchmal sogar über eine Million. Die sind das Publikum, um das es geht, nicht du. Aber deine Fragen völlig zu ignorieren und einfach über etwas ganz anderes zu reden, das geht auch nicht. Obwohl das manchmal passiert. Nur gut ankommen tut es nicht.

WOLF: Der frühere Bundeskanzler Viktor Klima hat auf fast jede Frage geantwortet: „Das ist eine sehr interessante Frage, aber lassen Sie mich vorher sagen …“

FILZMAIER: Das ist die eher plumpe Variante. Die meisten Medientrainer bringen ihren Kunden bei, den Inhalt der Frage zumindest kurz zu berühren, dann mehr oder weniger elegant das Thema zu wechseln und letztlich ihre eigene Geschichte zu erzählen. Auf Englisch nennt man das: Touch – Turn – Tell, die „T-T-T-Strategie“.

WOLF: Politische Interviews waren ja auch der Anlass für dieses Buch. Vor der Bundespräsidentenwahl im Oktober 2022 haben gleich mehrere Kandidaten ständig erklärt, wie schnell sie als Präsident die Regierung rausschmeißen würden und Neuwahlen ansetzen und die Inflation bekämpfen oder die Asylpolitik ändern. Und so einfach ist das halt alles nicht. Da hatte ich die Idee für einen Podcast, in dem man sich mal Zeit nimmt und etwas ausführlicher erklärt, was der Bundespräsident eigentlich darf oder nicht darf. Und da dachte ich mir, ich kenne doch einen Professor für Politikwissenschaft, der besonders gut erklären kann.

FILZMAIER: Geregelte Arbeitszeiten haben wir ja beide nicht. Also hast du mich am Sonntag angerufen, und ich wusste nicht, wie ich Nein sagen soll. Nein, im Ernst, ich fand die Idee auch sofort spannend, all diese Dinge in einem Podcast als relativ spontanes Gespräch zu vermitteln und nicht ein Einführungsskriptum oder ein Lehrbuch zu schreiben. Das ist genauso wichtig, aber viel langweiliger.

WOLF: Letztlich haben wir die Themen dann aber doch ähnlich strukturiert wie in einer klassischen Einführung in die österreichische Politik.

FILZMAIER: Aber hoffentlich doch kurzweiliger. Diese Einteilung hat aber schon eine Logik. Es sind insgesamt acht Gespräche geworden – über den Bundespräsidenten, die Regierung, das Parlament, die Parteien und die Bundesländer. Dann haben wir die Neutralität und die EU besprochen und wie man Politik außerhalb des Parlaments machen kann, also in Bürgerinitiativen, mit direkter Demokratie und in der Sozialpartnerschaft. Und natürlich soll uns niemand vorwerfen können, wir hätten ausgerechnet das schwierige Verhältnis von Politik und Medien ausgespart. Deshalb hören wir damit auf.

WOLF: Und als ich im ORF ein Studio gesucht habe, wo wir diese Gespräche zwischendurch aufnehmen könnten, hat uns Radio FM4 sein Videostudio angeboten. Was den Vorteil hatte, dass wir dort nicht nur einen Audio-Podcast produzieren konnten, aus dem gleich noch eine Radiosendung geworden ist, sondern auch einen Video-Podcast. Der war in ORF 1 zu sehen und steht nach wie vor auf dem YouTube-Kanal von FM4. Ein echtes Multimedia-Projekt also, aus dem jetzt auch noch dieses Buch entstanden ist.

FILZMAIER: Hier im Buch duzen wir uns übrigens, wie auch im Podcast und im echten Leben, obwohl wir im „ZiB 2“-Studio seit über 20 Jahren per Sie sind. Warum ist das eigentlich so?

WOLF: Weil ich in der „ZiB 2“ grundsätzlich alle Gäste sieze, unabhängig davon, wie lange oder gut ich sie kenne. Ich finde das einfach professioneller. Im „ZiB 2“-Studio haben wir ja auch beide immer Anzug und Krawatte an, obwohl ich das im Alltag nicht ständig trage und du auch nicht. Aber ich finde das auch den Gästen gegenüber respektvoller. Im Podcast-Studio waren wir da lockerer, ohne Sakko zumindest.

FILZMAIER: Politik in Hemdsärmeln sozusagen.

WOLF: Aber mit Krawatte. Es sollte ja nicht völlig entgleisen. Gehen wir’s an, Herr Professor?

FILZMAIER: Sehr gerne, Herr Wolf!

1

Der Bundespräsident

Ist der Präsident auch der Chef der Regierung? Kann er sie einfach entlassen und eine neue einsetzen? Darf er das Parlament auflösen? Warum gab es noch nie eine Bundespräsidentin? Wie ist das mit den Notverordnungen und welche Kommandos kann der Oberkommandierende des Bundesheers geben?

ARMIN WOLF: Peter, was ist denn der größte Irrtum oder das größte Missverständnis über den österreichischen Bundespräsidenten?

PETER FILZMAIER: Da gibt es gleich zwei: Viele Menschen glauben erstens, er sei sowieso nur Frühstücksdirektor und Staatsnotar, der sieben Tage in der Woche ein würdiges Wort zum Sonntag spricht und eine Menge Dinge unterschreibt, die andere verfasst haben und ihm vorlegen. Zweitens gibt es den Glauben an die Allmacht des Präsidenten, als wäre er eine Art österreichischer Superchef, der Regierung und Parlament alles Mögliche anschaffen kann. In Wahrheit hat er seine Kompetenzen im Wechselspiel mit Regierung und Parlament.

WOLF: Ist der Bundespräsident so etwas wie der Chef der Regierung?

FILZMAIER: Nein. Der Bundespräsident ernennt den Bundeskanzler und auf dessen Vorschlag die Ministerinnen und Minister. Aber er hat kein Weisungsrecht gegenüber der Regierung. Er gibt also keine Anweisungen, was zum Beispiel der Bildungsminister an den Schulen morgen und übermorgen tun soll.

WOLF: Darüber werden wir noch etwas ausführlicher reden. Aber beginnen wir mal grundsätzlich: Wer kann denn überhaupt Bundespräsident oder Bundespräsidentin werden? Was muss man für das prominenteste politische Amt in Österreich können?

FILZMAIER: Armin, ich weiß, dass du in Tirol geboren bist, aber ist man da österreichischer Staatsbürger?

WOLF: Nicht grundsätzlich, aber oft – ich bin es.

FILZMAIER: In deinem Fall also: ja. Bist du über 35 Jahre alt?

WOLF: Das ist jetzt ein bisschen uncharmant, dass du das fragst, aber: knapp!

FILZMAIER: Und die letzte und wichtigste Frage: Hand aufs Herz, bist du vorbestraft?

WOLF: Soweit ich weiß, nein.

FILZMAIER: Das würde man in Österreich wissen, wenn man vorbestraft ist. Damit könntest du formal für das Präsidentschaftsamt kandidieren. Denn man muss österreichischer Staatsbürger oder Staatsbürgerin sein, älter als 35 Jahre, und man darf nicht zu einer Haftstrafe von einem halben Jahr unbedingt oder einem Jahr bedingt verurteilt worden sein. Du erfüllst diese Kriterien.

WOLF: Aber ist das nicht ein bisschen wenig? Jeder Bäcker muss eine Lehre und eine Gesellenprüfung machen, damit er Bäcker werden darf. Jede Lehrerin muss studiert haben. Und als Bundespräsident muss ich nur halbwegs unfallfrei 35 werden und sonst muss ich nichts können?

FILZMAIER: Die Idee dahinter ist: Es soll jemand – oder fast jede und fast jeder – aus dem Volk sein können, wenn er oder sie vom Volk gewählt wird. Außerdem wäre es schwierig, eine Berufsgruppe als Voraussetzung zu definieren. Wir beide haben Politikwissenschaften studiert, aber es gibt eine Menge Menschen, die es nicht so toll finden würden, wenn wir sagen, Bundespräsident dürfen nur Politikwissenschaftler werden, weil das Amt mit nationaler und internationaler Politik zu tun hat. Genauso gut könnte man sagen, Bundespräsident sollte immer ein Jurist sein, weil er mit der Verfassung zu tun hat. Oder ein Militäroffizier, weil er ja formal Oberbefehlshaber des Bundesheeres ist. Oder ein Berufsdiplomat, weil er Österreich repräsentiert. Aber eine Person, die all das erfüllt, die würde man kaum finden.

WOLF: Wenn ich die österreichische Staatsbürgerschaft möchte, weil ich nicht hier geboren wurde, muss ich eine Prüfung machen – aber Bundespräsident geht einfach so?

FILZMAIER: Die Prüfung nennt sich Wahl. Wenn jemand so gar keine Ahnung von Österreich hat, fällt das den Wählerinnen und Wählern und auch den Medien in ihrer Kontrollfunktion wahrscheinlich und hoffentlich im Wahlkampf auf.

WOLF: Jetzt reden wir die ganze Zeit von dem Bundespräsidenten und nie von einer Bundespräsidentin. Gibt es in Wahrheit nicht noch eine Voraussetzung, um es werden zu können, nämlich dass man ein Mann ist? Es hat in Österreich noch nie eine Bundespräsidentin gegeben.

FILZMAIER: Das muss man vor allem den politischen Parteien vorwerfen, weil es immer nur jemand geworden ist, der von einer Partei zu ihrem Kandidaten gemacht wurde. Lange Zeit entweder von der SPÖ oder von der ÖVP und 2016 erstmals von den Grünen. Bisher hat keine Partei eine Frau nominiert, die auch gewonnen hat. Eigentlich waren nur zwei Mal Frauen relativ nahe dran: Benita Ferrero-Waldner von der ÖVP, die 2004 gegen Heinz Fischer verloren hat; und Irmgard Griss, 2016 unabhängige Kandidatin mit Unterstützung der NEOS, die fast in die Stichwahl gekommen wäre. Wer weiß, wie es dann ausgegangen wäre.

WOLF: Aber antreten können alle, die diese sehr geringen Voraussetzungen erfüllen und antreten wollen. Warum gibt es dann nicht jedes Mal hundert oder zweihundert oder tausend Kandidatinnen und Kandidaten? Da bewerben sich ja bei „Starmania“ mehr Menschen als für das wichtigste Amt im Staat. Ist der Job so uninteressant, oder ist er doch so schwer?

FILZMAIER: Es gibt schon noch eine Sache, die du schaffen müsstest, wenn du jetzt wirklich überlegst, bei der nächsten Präsidentschaftswahl zu kandidieren. Es genügt nicht, wenn du dir in der Früh unter der Dusche denkst: Das wäre doch fein, wenn ich Präsident werde. Sondern man muss für die Kandidatur mindestens 6.000 Unterstützungserklärungen sammeln. Das ist nicht ganz so einfach, weil es nicht genügt, wenn Menschen im Internet irgendetwas zur Unterstützung anklicken oder auf der Straße eine Liste unterschreiben. Das sind vielmehr formelle Unterstützungserklärungen, die dann auch beim Innenministerium als Wahlbehörde abgegeben werden müssen.

WOLF: Was kostet so ein Bundespräsidentschafts-Wahlkampf eigentlich?

FILZMAIER: