Der Protector - N.L. Gassert - E-Book

Der Protector E-Book

N.L. Gassert

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Beschreibung

Soren Buchanan fühlt sich von seinem kontrollierenden Vater James eingesperrt, einem Geschäftsmann, der seine geschickt getarnten, illegalen finanziellen Transaktionen auf der Tropeninsel Guam abwickelt. Als James schließlich zu viel von ihm verlangt, flüchtet Soren und sucht Hilfe beim FBI. Bis sich Sorens Informationen als verwertbar erweisen, kann die Behörde ihn allerdings nicht beschützen. Diese Aufgabe fällt Mason Ward zu, einem ehemaligen US Army Ranger und Sicherheitsspezialisten. Soren zu beschützen, sollte nicht schwierig sein, aber Soren ist jung, verführerisch und nicht allzu mitteilsam, was die Probleme betrifft, die ihn verfolgen. Mason muss dagegen ankämpfen, dass er sich zunehmend zu dem jungen Mann hingezogen fühlt und es mit den Gangstern aufnehmen, die Soren Buchanan nach Hause bringen sollen … tot oder lebendig.

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Der Protector

von N.L. Gassert

Impressum

© dead soft verlag, Mettingen 2018

http://www.deadsoft.de

© the author

Originaltitel: The Protector

Copyright 2017 by N.L. Gassert

Im Original veröffentlicht von MLR Press, LLC

Übersetzung: Florentina Hellmas

Cover: Irene Repp

http://www.daylinart.webnode.com

Bildrechte:

© nadtochiy – shutterstock.com

© Dmytro Zinkevych – shutterstock.com

1. Auflage

ISBN 978-3-96089-249-6

ISBN 978-3-96089-250-2 (epub)

Inhalt 

Soren Buchanan fühlt sich von seinem kontrollierenden Vater James eingesperrt, einem Geschäftsmann, der seine geschickt getarnten, illegalen finanziellen Transaktionen auf der Tropeninsel Guam abwickelt. Als James schließlich zu viel von ihm verlangt, flüchtet Soren und sucht Hilfe beim FBI.

Bis sich Sorens Informationen als verwertbar erweisen, kann die Behörde ihn allerdings nicht beschützen. Diese Aufgabe fällt Mason Ward zu, einem ehemaligen US Army Ranger und Sicherheitsspezialisten.

Soren zu beschützen, sollte nicht schwierig sein, aber Soren ist jung, verführerisch und nicht allzu mitteilsam, was die Probleme betrifft, die ihn verfolgen. Mason muss dagegen ankämpfen, dass er sich zunehmend zu dem jungen Mann hingezogen fühlt und es mit den Gangstern aufnehmen, die Soren Buchanan nach Hause bringen sollen … tot oder lebendig.

Dieser Beitrag, der es in die Finalrunde des Lambda Literaturpreises für die beste Gay Mystery Geschichte geschafft hat, ist ein besonderes Geschenk für Fans der Okinawa Serie von L.A. Witt.

Kapitel 1

Die Luft über dem Yachthafen triefte vor Septemberfeuchtigkeit. Die am Dock vertäuten Boote schaukelten sanft, als vom Mondlicht beleuchtete Wellen gegen ihre Rümpfe schwappten. Der Duft des Pazifiks erfüllte die Nacht. Salzwasser mit totem Fisch und einem Hauch Diesel.

Mason Ward lächelte vor sich hin. Auch wenn die Szenerie idyllisch wirkte, die Situation war weit davon entfernt. Zum einen war der Rotschopf, der hinter ihm über das Dock ging, keine Verabredung. Zum anderen schleifte Mason ihn eher hinter sich her, als dass er ging. Mason hatte nur selten Verabredungen, tatsächlich hatte er seit Monaten kein Date mehr gehabt. Aber im Allgemeinen waren Männer nicht abgeneigt, ihm Gesellschaft zu leisten.

Allerdings hatte er eine lausige Vorgeschichte mit Rothaarigen. Gleich nach der Highschool, als er noch weitgehend zu leugnen versuchte, dass er sich zu Männern hingezogen fühlte, hatte er ein reizendes Mädchen mit feuerrotem Haar geheiratet. Heute war Angela, von der er seit zehn Jahren geschieden war, genauso uninteressiert an ihm wie der junge Mann, der neben ihm über das Dock stolperte. Mason fragte sich, in was er da hineingeraten war.

Keine zwei Stunden zuvor, deutlich nach der Zeit, die höfliche Menschen für angemessen hielten, um jemanden in derselben Zeitzone anzurufen, hatte Masons Telefon geklingelt. Obwohl er entschlossen gewesen war, nicht darauf zu reagieren, hatte er dennoch einen Blick auf das Display geworfen. Sein Freund Kaoru kontaktierte ihn so selten, dass der späte Anruf Masons Neugierde geweckt hatte. Er hatte sich gemeldet und Kaoru – der zweite von insgesamt nur zwei Agenten des FBI, die in Guam geboren und aufgewachsen waren – hatte sich in seiner typischen Art den Smalltalk geschenkt und war gleich zum Punkt gekommen. „Hör mal, Mason, alter Kumpel, ich habe hier diesen Jungen, der in Schwierigkeiten steckt. Ich brauche einen sicheren Platz, an dem ich ihn für ein, zwei Wochen unterbringen kann.“

Mason hatte gestöhnt, als seine Wochenendpläne so abrupt ausgebremst worden waren. „Suchst du einen Babysitter oder einen Bodyguard?“

„Beides. Der Junge steckt ziemlich tief in der Scheiße. Aber ich habe ein Problem mit seiner Story. Ich muss ihn irgendwo in Sicherheit und aus dem Weg haben.“

„Wie weit aus dem Weg?“

„Ausgedehnte Seereise aus dem Weg. Ich brauche ihn nüchtern und weit weg von seinem Vater.“

„Dieser Vater, ist der ein Problem?“

„Ja. Ich lehne mich hier für den Jungen ziemlich weit aus dem Fenster. Ich brauche jemanden, dem ich vertrauen kann, der ihn mir eine Zeitlang abnimmt, der mit ihm fertig wird und im schlimmsten Fall auch mit seinem Vater.“

Der Anruf hatte Mason alles gesagt, was er wissen musste. Sein Freund suchte für gewöhnlich nicht außerhalb seiner Abteilung nach Hilfe. „Du wirst es nicht bereuen“, hatte Kaoru versprochen, ehe er aufgelegt hatte.

Oh doch, das werde ich, hatte Mason gedacht. Er hatte das Gefühl, dass Soren Buchanan, James ‚The Smile‘ Buchanans Sohn, mit nach Hause zu nehmen, nach mächtig viel Ärger roch.

Mason und Soren erreichten ihr Ziel am Ende des langen Docks und Mason warf seinem mürrischen Schatten einen sehr betonten und sehr langsamen Blick zu und musterte seine magere Gestalt. Demnächst dreiundzwanzig, knapp 1,80m groß, feingliedrig, Haare wie poliertes Kupfer. Augen wie Jade. Wangenknochen und Kinn von Schrammen verfärbt. Das T-Shirt mit Flecken seines eigenen Blutes bedeckt.

Der Junge schob die Hände in die Taschen seiner ausgeblichenen Jeans und starrte auf die dunkle Yacht vor ihnen. „Was ist das?“

„Ein Boot.“

„Das sehe ich.“

Mason zog seine dunklen Augenbrauen hoch und zuckte mit den Schultern. Die FBI-Akte über Soren sagte, dass Autoritäten herauszufordern für ihn so natürlich war wie atmen. Und trinken. „Dein Zuhause für die nächsten zwei Wochen.“

„Das soll wohl ein Scherz sein.“

„Ich wurde angeheuert, um dich nüchtern und außer Reichweite deines Vaters zu halten. Das werde ich für die nächsten zwei Wochen tun.“

Das Boot – ein achtzehn Meter langes Fangschiff im Alaska Stil – war eine gute Idee. Nicht unbedingt Masons erste Wahl, weil es sein Zuhause war, aber trotzdem eine gute Idee. Der Junge schien dennoch nicht geneigt, freiwillig an Bord der Yacht zu gehen. Mason gab ihm einen kräftigen Schubs, als ein eindringlicher Blick nicht half.

„Lass mich dir etwas zeigen.“ Mason dirigierte seinen Gast in die Steuerkabine. Er deutete auf eine Seekarte, die ausgerollt auf dem Tisch lag. „Wir werden hier sein.“ Er tippte mit einem manikürten Finger auf die Weite des pazifischen Ozeans auf dem Papier. „Und hier sind wir im Augenblick.“ Er fuhr mit dem Finger zum östlichen Rand der Karte, wo die Küstenlinie von Guam zu sehen war, um seine Aussage zu verdeutlichen. Er ließ die Erkenntnis wirken.

„Nun …“ Er musterte den Rotschopf mit einem abschätzigen Blick. „Lass uns ein paar Dinge klarstellen. Es gibt keinen Alkohol hier an Bord. Wirklich gar keinen. Und ich bin ein sehr gründlicher Mensch.“

Soren schob die Hände in die Taschen seiner Jeans und löste seinen Blick von der Karte. „Was bedeutet das?“

„Es bedeutet, dass ich sogar das Mundwasser und den alkoholischen Reiniger unter der Spüle entfernt habe.“

„Fick dich.“

Mason schnaubte. Auf einer Insel, die von Schönheiten mit goldbrauner Haut und dunklem Haar bevölkert war, war Soren eine exotische Ausnahme, die die Blicke von Frauen und Männern gleichermaßen auf sich zog. Von seiner Schwäche für Rothaarige abgesehen fragte Mason sich, wie Soren wohl auf eine Anmache reagieren würde. Würde er darauf eingehen oder war er nur eine wandelnde Versuchung?

Mason packte ihn am Ärmel seines T-Shirts, entschlossen, nicht auf den Jungen hereinzufallen. Er führte den Rotschopf ein paar Stufen hinunter und durch einen schmalen Flur in eine große Kabine, wo Soren seine Hand abschüttelte und ihn aus schmalen grünen Augen verächtlich ansah.

Mason richtete sich auf und verschränkte seine muskulösen Arme vor der Brust. „Zieh deine Klamotten aus.“

„Was?“

Mason genoss den Moment. Es war nicht einfach, den Kleinen aus der Reserve zu locken, aber es war durchaus befriedigend. „Deine Klamotten“, wiederholte er. „Ich möchte …“ Er machte eine Handbewegung, unsicher, wie er das Ergebnis der Misshandlung nennen sollte. „… dich ansehen.“

Soren ignorierte ihn, drehte sich weg und betrachtete stattdessen die geräumige Kabine. Sein neugieriger Blick wanderte über das schimmernde Teakholz und die dunkle Bettwäsche auf dem großen, säuberlich gemachten Bett, das den Raum dominierte. Interessiert schaute er sich die geordneten Bücherregale an und berührte die gerahmten Fotos, die zwischen zwei geöffneten Bullaugen, durch die die feuchte Nachtluft hereinströmte, drapiert waren. Er begutachtete die alphabetisch geordnete CD Sammlung. „Das ist hübsch.“

„Ja, ist es. Danke. Gewöhn dich aber nicht daran, das ist mein Schlafzimmer. Deins ist da unten. Weniger hübsch.“ Mason deutete abwesend auf den Flur, setzte sich auf das Bett und breitete den Inhalt seines Erste-Hilfe-Koffers vor sich aus. Da war das Übliche: Heftpflaster und Verbände aller Größen, Mullbinden und so weiter, aber auch ein paar Dinge, die er im Laufe der Jahre hinzugefügt hatte. Wie zum Beispiel Bens übelriechende hausgemachte Heilsalbe für alle Arten von Ausschlägen und die Tinktur seiner Großmutter, die die meisten Schmerzen linderte.

„Zieh dich aus und setz dich“, sagte er und deutete auf die Bettkante.

Soren rümpfte die Nase. „Wonach riecht das?“

„Menthol.“

Er rührte sich nicht. Mason fixierte ihn und wartete. Es war eine kurze Pattstellung. Der Junge knickte zuerst ein. Mason hörte Sorens unterdrücktes Wimmern, als das Shirt über den roten Haarschopf glitt und er sah die Farbe aus dem ohnehin blassen Gesicht weichen. Soren warf das Shirt zur Seite, es rutschte über die Bettkante und fiel zu Boden. Ihn störte das offenbar nicht, aber Mason juckte es in den Fingern, es aufzuheben. Stattdessen wartete er, bis sein Gast sich vorsichtig auf das Bett gesetzt hatte, und stellte sich dann hinter ihn.

Da war jemand wirklich wütend gewesen und so, wie es aussah, hatte Sorens Rücken die volle Wucht der Aggression abbekommen und war vermutlich gegen ein paar harte Oberflächen geschleudert worden. Mason hegte den Verdacht, dass der Junge entweder noch immer betrunken oder mit Schmerzmitteln vollgepumpt war. Trotzdem zuckte Soren zusammen, gab ein zischendes Geräusch von sich und duckte sich weg, als Mason ihn sanft berührte und kühlende Salbe auf den Schrammen und Kratzern verteilte.

„Wer hat das getan?“

Sore ließ den Kopf hängen und sein zerzaustes Haar – eine Spur zu lang für Masons Geschmack – verdeckte sein Gesicht. „Was kümmert dich das?“

Sein Vater, James ‚The Smile‘ Buchanan, war eine rühriger Akteur in der politischen Landschaft. Trotz vier Ehen, deren Scheitern und seinem Appetit auf wesentlich jüngere Frauen wäre Buchanan zwei Mal beinahe Gouverneur geworden. Seine stürmische Ehe mit Sorens Mutter, einem schwedischen Supermodel – einer Beziehung, von der man munkelte, sie sei ein politischer Schachzug gewesen – hatte ihm vom politischen Parkett zu regelrechtem Prominentenstatus verholfen. Die Liste seiner wohlhabenden, einflussreichen Freunde las sich wie ein Who is who von Guam. Aber an James Buchanan war mehr dran als seine öffentliche Erscheinung. Er war ein Mann, mit dem man sich nicht anlegen sollte. Er war zu einflussreich, hatte zu gute Verbindungen und war, wenn man den Gerüchten Glauben schenken konnte, zu skrupellos. Nun, da sein verletzter, misshandelter Sohn vor ihm saß, hatte Mason das Gefühl, dass es sich bei dem Gerede über Buchanans aufbrausendes Temperament und seinen Jähzorn nicht um Gerücht handelte.

Er beobachtete, wie sich die Schultern des Jungen anspannten, als er mir einer salbenbedeckten Hand über seine geprellte Seite strich. Soren hatte die Porzellanhaut eines echten Rothaarigen. Der Hauch von Farbe, den die permanente, gnadenlose Sonne von Guam hinzugefügt hatte, war kaum genug, um Bräunungsstreifen zu hinterlassen. Es war jammerschade, dass die sommersprossige Haut von Schrammen bedeckt war.

„Kaoru sagte, dein Vater hätte das getan. Ist das wahr?“

„Stellst du immer so viele Fragen?“

„Ich werde dafür bezahlt, dass ich Fragen stelle.“

„Aha.“

„Also, ist es wahr?“

„Ja.“

„Warum?“

Soren seufzte und zuckte mit den Schultern. „Ich war kein vorbildlicher Sohn. Ich habe ihn vor seinen Geschäftspartnern blamiert.“

Mason räusperte sich. The Smile war also jähzornig. Selbst Kaoru hatte mit gewaltsamem Widerstand gerechnet, sonst hätte er nicht vorgeschlagen, den Jungen von der Insel zu schaffen. „Wie hast du ihn blamiert?“

„Ich war betrunken.“

„Du bist oft betrunken.“ Das war in den Unterlagen vermerkt gewesen, die er gelesen hatte.

Soren hob den Kopf. Wütend schaute er über seine Schulter und hielt Masons Blick stand. „Nein, bin ich nicht.“

„Ach wirklich?“

„Bin ich nicht.“ Er zuckte zurück, als Mason eine große Abschürfung untersuchte, die sich über seine Rippen erstreckte. „Das bin ich nicht“, wiederholte er. „Ich trinke nicht immer. Eigentlich trinke ich gar nicht so oft.“ Er atmete hörbar ein, als Mason die Verletzung berührte. „Aber wenn ich trinke, dann ordentlich. Ich trinke, weil ich betrunken sein will. Scheiße, das tut weh.“ Er presste die Lippen zusammen und verzog das Gesicht.

„Verstehe.“ Masons Hand strich ohne Mitleid noch einmal über die Verletzung. „Ich glaube nicht, dass was gebrochen ist. Atme tief ein.“

„Warum?“

„Mach einfach.“

Soren gehorchte.

Mason lehnte sich zurück und fixierte ihn mit einem Blick, bei dem ein anderer Mann nach Luft geschnappt hätte. „Die Idee ist, dass du die Rippe bewegst, wenn du atmest.“

Soren holte noch einmal tief Luft und verzog wieder das Gesicht. „Er hat bis zum nächsten Tag gewartet. Mein Vater. Gewartet, bis ich nüchtern war. Hat mir sogar ein Aspirin gegen den Kater gegeben. Und dann hat er mich verprügelt.“

„Fürsorglich.“

„Ja. Das war ein Scherz mit dem Boot und den zwei Wochen, oder?“

„Nein.“

„Scheiße. Was ist, wenn ich seekrank werde?“

„Wirst du?“

„Könnte doch sein. Immerhin bin ich offenbar ein genesender Alkoholiker und so.“

„Klugscheißer.“ Oh ja, er hatte sich eindeutig Ärger an Bord geholt. Keine Frage. Ärger, der nichts damit zu tun hatte, dass Soren der Sohn von The Smile war, aber sehr viel damit, dass er halb nackt und verletzlich mit zerzaustem rotem Haar auf Masons Bett saß. Er war eine Versuchung und Masons schlafende Hormone wurden davon aufgeschreckt und bettelten um eine Kostprobe, als seine Hände über warme Haut glitten. Da gab es aber auch noch so etwas wie Professionalität. Trotz der Hormone wusste Mason sehr gut, dass er die Grenze erreicht hatte, die medizinische Versorgung von Zärtlichkeit trennte. Nur widerstrebend nahm er seine Finger von dem Jungen.

„Ich habe keine Klamotten.“

Mason deutete auf seinen Kleiderschrank. „Du kannst dir was von mir leihen.“

Mason fühlte Sorens forschenden Blick über seinen Körper rieseln wie eine warme Brise. Er stand stöhnend auf, um Abstand zwischen die Versuchung und seine Willenskraft zu bringen.

„Ich bezweifle, dass mir etwas davon passen wird.“

Mason erlaubte sich einen forschenden Blick. „Es steht dir frei, nackt herumzulaufen.“

Soren verzog seine aufgeplatzten Lippen zu einem Grinsen. „Das hättest du wohl gerne.“

Kapitel 2

„Von wegen weniger nett“, brummte Soren am nächsten Morgen. Als er vermutet hatte, sein Quartier wäre vielleicht eine kleinere Ausgabe von Masons Kabine, hatte er ziemlich weit danebengelegen. Seine eineinhalb mal zweieinhalb Meter große Kajüte bestand aus einem Stockbett und sonst nicht viel. Soren stolperte die paar Stufen hinauf. Der Mann, der sich in der Kombüse Reis und gebratene Eier in den Mund schaufelte, als Soren vorbeischlurfte, war nicht Mason. Er war kleiner und hatte nicht so breite Schultern. Sein dunkles Haar und sein Bart waren grau meliert und auf seiner Nase saß eine Brille.

„Guten Morgen“, sagte der Mann. „Soren, richtig?“

„Ja.“ Soren blinzelte durch das verstrubbelte Haar, das ihm ins Gesicht fiel, und rieb sich über seine schmerzenden Schläfen. Er hievte sich auf einen der Hocker an der Küchentheke und drehte dem Wohnbereich mit seiner übergroßen Couch, auf der er sich gern ausgestreckt hätte, den Rücken zu, stützte die Ellbogen auf den Tisch und legte den Kopf in die Hände. „Und wer sind Sie?“

„Ben Marques. Masons Geschäftspartner.“

Soren besah sich den Spanier, der vielleicht Mitte vierzig war, und schätzte ihn als stillen Teilhaber ein. Definitiv kein Leibwächter. Seine Skepsis musste ihm anzusehen sein, denn Ben lächelte.

„Ich bin der Geschäftsführer“, erklärte er. „Möchtest du Frühstück?“

„Haben Sie eine Limo?“

„Zum Frühstück? Nein, tut mir leid. Keine Limonaden.“ Er lachte und hob die Hände, als Soren aufsah und ihn zornig anfunkelte. „Was ich eigentlich damit sagen wollte, war: Keine Limonade. Punkt. Mason hält nichts von dem süßen Zeug.“

Soren schnitt eine Grimasse und streckte das Kinn in Richtung des Kühlschranks aus fleckenlosem Stahl. Er brauchte etwas, um den sauren Geschmack von seiner Zunge zu spülen und seinen schmerzenden Körper in Schwung zu bringen. „Was ist da drin?“

Ben ließ seinen Frühstücksteller im Stich, steckte den Kopf in den Kühlschrank und berichtete. „Milch, Wasser, Tomatensaft.“

Tomatensaft? Der bloße Gedanke bewirkte, dass sich Soren der Magen umdrehte und ihm die Galle hochkam. Er würgte und überlegte für eine Sekunde, ob er nicht einfach ein halbes Glas nehmen sollte. Wenn er sich übergeben könnte, würde er sich vielleicht besser fühlen. Wenig anderes konnte das bewirken. „Wo steckt der Gefängniswärter überhaupt?“

Ben kicherte. „In der Dusche. Soll ich versuchen ein Aspirin für dich aufzutreiben?“

„Kaffee?“

Ben schnitt eine Grimasse. „Sorry, Kleiner. Auch kein Kaffee.“

„Kein Kaffee? Das soll wohlein Witz sein, oder? Der Mann trinkt keinen Kaffee?“

Ben schüttelte den Kopf.

„Keine Limo. Kein Kaffee. Was zum Teufel soll das?“ Soren fuhr sich mit der Hand durch sein ungekämmtes Haar und betrachtete die lange Küchenzeile. Natürlich war da keine Kaffeemaschine weit und breit. Was er stattdessen sah, und dafür hatte er ein Auge, war die Handwerkskunst, die in den eingebauten Holzschränken steckte. Es war wirklich ein schönes Boot, wie er widerwillig zugeben musste. Dann schüttelte er den Kopf, um sich nicht ablenken zu lassen.

„Und was ist mit mir?“, jammerte er. „Ich trinke Kaffee.“ Er musterte Ben misstrauisch. „Was trinkt er denn? Milch?“

„Tee. Er trinkt Tee. Aber unter uns, er ist da sehr eigen.“ Ben senkte die Stimme und lehnte sich über die Theke. „Das Zeug braucht Zucker, eine Menge Zucker. Aber lass dich nicht von ihm dabei erwischen, wie du welchen reintust.“

Soren stöhnte. Er war sich nicht sicher, was er erwartet hatte, als er aus dem Haus seines Vaters geflüchtet war und beim FBI um Schutz gebeten hatte. Er war auf ein ödes Hotel oder Motel gefasst gewesen, auf zwei desinteressierte Polizisten und chinesisches Essen vom Lieferservice. So wie man es im Fernsehen sah. Er hatte keinen Mason erwartet. Groß, dunkel und eine Statur wie ein Fels. Aber auch so unnachgiebig und schwer zu beeindrucken wie ein verdammter Felsbrocken. Mit einer achtzehn Meter Yacht und sehr sanften Berührungen, die einen angenehmen Schauer durch Sorens Wirbelsäule gejagt hatten. „Ich sitze bei einem Freak fest. Großer Gott, er ist doch kein Vegetarier. oder? Auf keinen Fall kann ich zwei Wochen von Gemüse leben.“

„Es sind ein paar Steaks in der Tiefkühltruhe“, sagte Mason und Soren fiel vor Schreck fast vom Hocker. „Ich hoffe, du magst Fisch, denn du wirst eine Menge davon essen.“

Sein Herz schlug wild gegen seine schmerzenden Rippen und Soren rollte mit den Augen. „Wahrscheinlich muss ich ihn auch noch selbst fangen“, brummte er und warf Mason unter seinen langen Wimpern einen düsteren Blick zu.

Frisch geduscht und rasiert und nur mit Shorts bekleidet, schritt Mason die Küchenzeile entlang und legte eine große Hand auf Sorens Schulter. „Verdammt richtig. Das ist nämlich kein Urlaub. Du wirst arbeiten müssen, um dir deinen Aufenthalt zu verdienen.“

„Ich muss gar nichts.“

Mason und Ben sahen sich an.

„Ich habe nicht vor, deine Wäsche zu waschen“, sagte Mason ruhig und verschränkte seine muskulösen Arme über seiner eindrucksvollen Brust.

„Welche Wäsche?“ Sorens Erinnerungen waren ein wenig verschwommen, aber er erinnerte sich nicht daran, einen Rucksack gepackt zu haben, ehe er aus dem Schlafzimmerfenster geklettert war und sich an das FBI gewandt hatte. Nicht, dass ein Reserve-T-Shirt und frische Unterwäsche ihn sehr weit bringen würden. Das war einer der Gründe, warum er noch immer in denselben Klamotten dasaß, die er am Vortag und am Abend davor getragen hatte. Er hatte sie angezogen, nachdem sein Vater mit ihm fertig gewesen war und bevor er sich wieder betrunken hatte.

„Und wenn du vorhast hier zu essen, dann rechnest du besser auch Kochen und Abspülen in deine Pläne ein.“

„Du willst, dass ich Hausarbeiten erledige? Ich mache keine Hausarbeiten.“

„Tee?“, fragte Mason.

„Was?“

„Möchtest du Tee?“

Ben gestikulierte und schüttelte hinter Masons Rücken den Kopf, aber Soren war nicht schlau genug, um seinem Rat zu folgen. Oder war es eine Warnung?

„Ja, ich schätze schon.“

„Nun, dann wollen wir mal ein paar Dinge klären. Ich bin kein Polizeibeamter und ich bin nicht beim FBI. Also mach dir keine Illusionen, dass es irgendwelche offiziellen Regeln gibt, denen ich folgen muss.“

Soren verzog das Gesicht. Mason war hübscher anzusehen als der durchschnittliche Polizist und sein Boot war verdammt viel hübscher als das durchschnittliche Hotelzimmer. Aber im Augenblick wollte Soren nichts anderes als die Art von Personenschutz, die in Fernsehserien gezeigt wurde. Mit Minibar, ordentlichem Frühstück und Bewachern, die leicht zu manipulieren waren.

„Kaoru bezahlt mich dafür, dich lange genug aus dem Verkehr zu ziehen, bis er weiß, was er mit dir anfangen soll. Er hat sich nicht dazu geäußert, wie ich das tun soll, solange ich dich zu einem Angelausflug mitnehme. Du kannst also die nächsten zwei Wochen in deiner Kabine verbringen oder du kannst hier mit anpacken.“

„Mit anpacken?“ Soren sah hilfesuchend zu Ben, aber der schüttelte den Kopf. Kam er auch mit auf diesen Trip? „Vergiss es. Hör mal, ich weiß die Hilfe zu schätzen, wirklich. Aber das wird nicht funktionieren. Ich sollte … gehen.“

Mason stellte den Kessel auf den Herd. „Gehen?“

„Ja, gehen. Irgendwo anders hin.“ Wo es Kaffee und Limonade gab und er seine Klamotten nicht selbst waschen oder sich sein Abendessen erst angeln musste. „Du bist … Wir sind … Zum Teufel, ich wusste nicht, worauf ich mich da einlasse … Ich kann selbst auf mich aufpassen.“

„Ja, das kann ich sehen.“ Mason griff über sie Theke, nahm Sorens Kinn in die Hand und drehte sein lädiertes Gesicht zur Seite. „Ben kann es auch sehen.“

Ben nickte.

Mit 1,95 m und über 90 kg hatte Mason eine einschüchternde körperliche Präsenz und es war schon beinahe eine Heldentat, sich ihm entgegenzustellen. Aber Sorens naturgegebene Trotzhaltung setzte sich gegen seinen gesunden Menschenverstand durch, der ihm hätte sagen sollen, dass er Mason nicht verärgern sollte. „Ich muss nicht bleiben“, fauchte er.

„Du gehst nirgendwohin. Du bleibst schön hier. Und du wirst dir deinen Aufenthalt verdienen. Du wirst tun, was ich dir sage, wenn ich es dir sage. Und du wirst nicht versuchen, zurück zu schwimmen. Du wirst dir auch keine hirnverbrannten Aktionen ausdenken, um zu erreichen, dass ich dich zurückbringe. Und ich sollte dich warnen: Ich bin ausgebildeter Sanitäter.“ Mason schlug mit der Hand auf die Theke. „Mit Ausnahme von Gehirnoperationen, mache ich hier alles.“

Soren betrachtete den großen Mann und sein Blick erforschte das gebräunte Gesicht. Unter dichten Augenbrauen waren Masons Augen so dunkel, dass nicht zu erkennen war, wo die Pupillen endeten und die Iris begann. „Das soll wohl ein Scherz sein.“

Er erinnerte sich, wie sanft Mason die Salbe auf seinen Verletzungen verteilt hatte. Ihm war so, als könne er Masons Finger immer noch an seinem Kinn fühlen. Er hatte keinen Zweifel daran, dass Mason ihn an die Theke fesseln und ihm den Blinddarm rausnehmen würde, wenn es nötig wäre. Zum Teufel mit ihm. Eingebildeter Bastard.

Das Wasser im Kessel auf dem Herd begann zu kochen. „Hast du wenigstens Zucker für den Tee?“, fragte Soren.

Kapitel 3

Es hätte Soren nicht überraschen dürfen, dass Mason erklärte, er habe keinen Zucker an Bord. Überhaupt keinen. Aber wenn Soren zu dem Zeitpunkt, der inzwischen sieben Tage zurücklag, gewusst hätte, was er mittlerweile wusste, hätte er Ben angefleht, ihn von da wegzubringen. Zum Teufel, er wäre in den Pazifik gesprungen, solange die Küste von Guam noch in Sicht gewesen war.

Aber er war bei Mason geblieben, der seinen Tee nach japanischer Art trank – bitter, erfrischend und frei von raffiniertem Zucker. Und der auch sonst einen wirklich sonderbaren Lebensstil pflegte. Er hatte nicht mal einen Fernseher.

Mason war ein Morgenmensch, der früh zu Bett ging und schon vor dem Morgengrauen aufstand. Die Tatsache, dass Soren eine Nachteule war, der gewöhnlich erst weit nach Mitternacht in sein Stockbett kletterte und deshalb auch keine Lust hatte, vor Mittag aufzustehen, hielt Mason nicht davon ab, ihn bei Sonnenaufgang zu wecken.

Masons Morgenroutine, während er den Sonnenaufgang beobachtete, bestand aus Liegestützen, achtzig lockeren Situps und Push-Ups in je zwei Minuten und einer Dusche von fünfzehn Minuten. Soren, der in einem Bruchteil der Zeit fertig war, kam schon ins Schwitzen, wenn er nur an Sport vor dem Frühstück dachte.

Selbst bei der Körperpflege hatten sie völlig unterschiedliche Gewohnheiten. Masons dunkles Haar war präzise geschnitten, eine Angewohnheit, die er aus seiner Armeezeit beibehalten hatte. Sorens kupferfarbenes Haar hatte seit Monaten keine Schere mehr gesehen und er machte sich nicht immer die Mühe, die zerzauste Matte mit einem Kamm zu bearbeiten.

Mason genoss auch sein Morgen- und manchmal sogar Abendritual, sich einzuschäumen, die Stoppeln von seinem Gesicht verschwinden zu lassen und Feuchtigkeitscreme aufzutragen. Soren hatte keine Motivation, sich täglich zu rasieren. Eine scharfe Klinge in die Nähe seiner Kehle zu bringen, war vermutlich zu keiner Tageszeit eine gute Idee. Und die einzige Creme, die je mit seinem Gesicht in Berührung kam, hatte Lichtschutzfaktor 50.

Soren bevorzugte es, mehrere Schichten Kleidung zu tragen, denn seine helle Haut dankte ihm ein Sonnenbad nicht. Mason dagegen trug nur Shorts aus Baumwollleinen. Sie waren aber nicht in allen Dingen gegensätzlich.

Beide vermissten Alkohol. Mason ein gutes Glas Wein nach dem Abendessen oder wenn er auf dem Vorderdeck saß und beobachtete, wie die Sonne am Horizont versank. Soren dagegen zu jeder Tageszeit, um seine Langeweile zu betäuben.

Sie schwammen und schnorchelten viel und zu Sorens Überraschung hatte Mason kein Problem damit, ein oder zwei Stunden auf dem überdachten Achterdeck zu dösen, wo Soren den Großteil seiner Zeit in einem bequemen Liegestuhl verbrachte und aus purer Verzweiflung eines von Masons vielen Büchern las.

Was sie einander näherbrachte, war Sorens uneingeschränkte Anerkennung der Handwerkskunst, die in der Ausstattung des Bootes steckte. Er bewunderte die Teakholztäfelung im  gesamten Innenraum, die verborgenen Stauräume in allen Winkeln und die clever konstruierten Regale, die Masons Bücher und CDs am Herausrutschen hinderten, wenn das Boot in rauer See schaukelte. Es gefiel Soren, dass sein aufmerksamer Blick und sein Interesse Mason überraschten und beeindruckten.

Es fiel ihm nicht schwer, zuzugeben, dass die Sea Sprite ein wunderschönes Boot war, geradezu klassisch. Sie war auf ein Trockendock verbannt gewesen, als Mason sie gefunden hatte. Mason, Ben und der Schreiner hatten zwei Jahre gebraucht, um sie zu restaurieren und sie nach Masons Bedürfnissen zu gestalten.

Gerade, als sie etwas besser miteinander auskamen, ruinierte Mason die Stimmung, indem er Soren daran erinnerte, dass er bei der Gestaltung seiner Kombüse zugunsten eines weiteren Kühlschranks auf einen Geschirrspüler verzichtet hatte. Eine Tatsache, die er treffsicher zur Sprache brachte, ehe er seinen Gast mit dem Abspülen beauftragte.

Für Sorens Geschmack genoss Mason es viel zu sehr, ihn herumzukommandieren. Spül das Geschirr! Reinige die Schnorchelausrüstung! Mach dich damit vertraut, wie du im Notfall das Funkgerät benutzt! Lern Bens Telefonnummer auswendig! Räum hinter dir auf!

Aber auch wenn Mason militärischen Gehorsam erwartete, tat Soren nichts, ohne es zu hinterfragen. Schon bald gehörten Varianten derselben Unterhaltung zu ihrer täglichen Routine.

„Ich sehe nicht ein, warum ich das tun soll.“

„Weil ich es dir sage.“

„Ich bin ein Gast. Ich verdiene es, mit Respekt behandelt zu werden.“

„Aber sicher“, pflegte Mason zu antworten und seine Stimme triefte vor Sarkasmus. „Aber auf meinem Boot bin ich der Kapitän und ich gebe die Befehle.“

Dazu musste Soren erst ein gutes Gegenargument einfallen.

Genau deshalb stand er nun in der Kombüse und starrte die Goldmakrele an, die er an diesem Nachmittag gefangen hatte. Die toten Augen des Fisches starrten ihn vom Schneidebrett aus an und Soren verging der Appetit. Er hatte nichts dagegen, sich sein Abendessen selbst fangen zu müssen – zu fischen war sehr viel besser als Geschirr zu spülen. Aber seinen Fang aufzuschlitzen? Er brummte und warf Mason über die Theke, die die Küche vom Wohnbereich trennte, einen düsteren Blick zu.

Der überhebliche Bastard grinste über beide Ohren. Er lag auf der maßgefertigten Couch ausgestreckt, die in die Steuerbordseite des Wohnzimmers eingelassen war, sah sehr entspannt aus und machte keine Anstalten, Soren zu helfen.

„Mach du das“, sagte Soren und legte das glatte Messer zur Seite. „Ich werde das verdammte Geschirr spülen.“ Mason schüttelte den Kopf, schloss die Augen und wandte das Gesicht dem Sonnenlicht zu, das durch die offenen Jalousien hereinströmte. „Du hast mir ein Dutzend Mal dabei zugesehen. Ich habe vollstes Vertrauen in dich.“

Soren schnaubte. „Komm schon. Ich fange, du bereitest zu, ich spüle. Das ist doch fair.“

Mason öffnete die Augen einen Spalt breit und sein Blick begegnete Masons Bitte mit einem erneuten Kopfschütteln und einem noch breiteren Grinsen. „Würdest du jetzt aufhören zu verhandeln und endlich den verdammten Fisch zerkleinern?“

Soren unterdrückte eine Beschimpfung und zerteilte den Fisch, wie Mason es ihm gezeigt hatte. Während er ihr Abendessen ausnahm und filetierte, schnitt er die ganze Zeit Grimassen und schwor sich, sich nie wieder zum Angeln überreden zu lassen.

„Jetzt sei ehrlich“, forderte Mason ihn heraus, nachdem sie ihr leckeres gegrilltes Abendessen verzehrt hatten, zu dem der Fisch letztendlich geworden war. „Ist das nicht besser, als wenn jemand dir einen fertigen Teller vorsetzt?“

Soren zuckte mit den Schultern. Er fühlte Masons Blick auf sich und beschloss, in die Offensive zu gehen. Er stand von seinem Hocker an der Theke auf, streckte sich und war sich der kaffeebraunen Augen sehr bewusst, die seinen Bewegungen folgten.

Aber so leicht war Mason nicht abzulenken. „Bist du kein bisschen stolz auf deine Leistung?“

„Du musst mich für einen unfähigen, verwöhnten Bengel halten.“

Mason zuckte mit den Schultern. „Du musst es für mich nicht beschönigen.“

„Du kapierst es nicht.“

Mason umrundete die lange Theke und holte sich eine Flasche Wasser aus dem Kühlschrank. „Dann erklär es mir“, forderte er.

Soren ließ sich auf die breite Couch fallen, l legte den Kopf auf die Armlehne und sah zu Mason auf, der noch immer in der Küche war. Er beobachtete, wie sich Masons Adamsapfel bewegte, als er trank, und leckte über seine eigenen trockenen Lippen. „Unabhängigkeit und Selbstgenügsamkeit waren vielleicht in deiner Familie eine Tugend. Da wo ich herkomme, war es eher ein Wort mit vier Buchstaben.“

Mason schüttelte den Kopf. „Du hast recht, ich verstehe es nicht.“

Soren öffnete den Mund und setzte dazu an, ein Leben zu verteidigen, das er nicht besonders gemocht hatte, aber Mason hob die Hand und unterbrach ihn. Er schnappte sich einen Hocker und lehnte sich gegen die Theke. „Ich verstehe, dass dein Vater dich in einem Abhängigkeitsverhältnis gehalten hat. Schön. Aber ich verstehe nicht, weshalb du dich hinter ihm versteckst.“

Sorens Augen wurden schmal.

„Du suchst nach Ausreden“, fuhr Mason fort. „Soren, ich bemühe mich, hier nicht wertend zu sein. Ich weiß schon, woher du kommst. Aber ich dachte, du wärst hier, weil du nicht dorthin zurück willst. Nicht in das Haus deines Vaters und nicht in die Situation, in der du warst.“

Soren knirschte mit den Zähnen. Er war betrunken und in einem Anfall von Trotz aus dem Fenster seines Zimmers geklettert, zum FBI gegangen und auf der Sprite gelandet. Er konnte nicht behaupten, dass er sich großartig Gedanken über seine Zukunft gemacht hatte.

Aber offenbar hatte Mason das getan. „Hör auf, seine Methoden zu benutzen, mit denen er dich abhängig gemacht hat, und sein Geld, um dich dahinter zu verstecken. Triff deine eigenen Entscheidungen. Es ist jetzt dein Leben. Wenn du ab jetzt tiefgekühlte Fischstäbchen kaufen willst, ist das für mich in Ordnung, aber hör auf deinen Vater für die Entscheidungen verantwortlich zu machen, die du jetzt triffst.“

Soren verzog das Gesicht und fuhr sich mit der Hand durchs Haar. Er hatte tatsächlich versucht, alle Gedanken an die Zukunft so gut wie möglich zu vermeiden. Aber Mason war wie ein Terrier mit einem Ball: Er brachte das Thema immer wieder auf. Seine einzige Zuflucht war der Rückzug in nachdenkliche Stille.

„Ben kommt morgen vorbei“, sagte Mason schließlich. „Er bringt Verpflegung“, erklärte er.

„Oh?“

„Ja und ich glaube, er hat gesagt, dass er etwas mitbringt, was es dir leichter machen wird, zurechtzukommen.“

Soren zog den Gameboy, den Masons Neffe vergessen hatte, unter der Couch hervor. „Batterien?“

„Das hat er nicht gesagt.“ Mason stand auf. „Wie weit bist du gekommen?“

„Ich habe es beinahe bis zum Spiel um den Meistertitel geschafft.“ Soren schnaubte. Er hätte sich nicht das Fußballspiel ausgesucht, aber solange es funktioniert hatte, hatte es seinen Zweck erfüllt und ihm ein, zwei Stunden gedankenfreie Unterhaltung beschert.

„Ich gehe ins Bett, Kleiner.“

Soren nickte Mason zu, während sein Blick auf dem breiten Rücken seines Gastgebers ruhte, bis der die Treppe hinunter und den Flur entlang verschwunden war, die zu seinem Schlafzimmer führten. Eines musste Soren ihm lassen. Für einen Mann seines Alters, das Soren auf Anfang dreißig schätzte, war Mason hervorragend in Form. Er fragte sich, ob Mason wohl nackt schlief.

Soren stellte fest, dass seine Hormone auf den Gedanken reagierten und stöhnte. Ihn traf keine Schuld an seinem wachsenden Interesse. Es war reine Langeweile. Mason beim Training und beim Schwimmen zuzusehen, war seine einzige Unterhaltung. Natürlich hatte er überlegt, wie sich all die Muskeln unter der gebräunten Haut an seinem Körper anfühlen würden. Dann schweiften seine Gedanken  fürgewöhnlich ab und er konnte nicht anders, als sich zu fragen, wie es sich wohl anfühlen würde, das Gewicht dieses großartigen Körpers auf sich zu spüren.

Hart, stellte er fest und griff in seine Shorts, steinhart.

Kapitel 4

„Beamte der Bundespolizei waren in meinem Haus und haben mir Fragen gestellt“, jammerte Lauro Miciano. Der Filipino lief in dem geräumigen Büro von James Buchanan im Zentrum von Hagatna auf und ab und wischte sich mit einem Taschentuch den Schweiß von der Stirn.

Offiziell lieferte Miciano, der schon vor Jahrzehnten neutralisiert worden war, Möbel und Antiquitäten von den Philippinen an örtliche Geschäfte. Inoffiziell machte er Geldgeschäfte und handelte mit Informationen. Seine Geschäftspartner waren die Sorte von Leuten, die in Zeiten wie diesen als Terroristen einzustufen waren.

„Das ist eine Einschüchterungstaktik“, entgegnete James. Er machte sich nicht einmal die Mühe, von seinem Laptop aufzusehen. Auf der Liste seiner unmittelbaren Sorgen stand Micianos Panik ziemlich weit unten. „Du bist sauber“, versicherte er seinem Klienten. „Die Befragungen sind reine Formalität. In deinem Fall sind sie kein Grund für schlaflosen Nächte.“

„Bundesbeamte, James. In meinem Haus.“

Ein kurzes Zusammenpressen der Lippen verriet, dass James verärgert war. Er schloss seine Dateien, fuhr den Laptop herunter und schob ihn weg. Dann stand er auf, um sich und seinem Gast etwas zu trinken zu holen. Er gab Eiswürfel in französische Kristallgläser, bevor er sie mit französischem Mineralwasser füllte. „Vertrau mir. Ihre gerichtlichen Buchprüfer können so genau suchen, wie sie wollen.“