Der Rabbiner ohne Schuh - Barbara Bišický-Ehrlich - E-Book

Der Rabbiner ohne Schuh E-Book

Barbara Bišický-Ehrlich

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Beschreibung

Der beste Frisör der Welt, Rinderzunge zum Frühstück, ein Rabbiner ohne Schuhe und über allem die Frage, was Karel Gott auf ihrer Hochzeit zu suchen hatte – Barbara Bišický-Ehrlich erzählt vom ganz »normalen« Alltag einer jüdischen Familie in Deutschland. Enge, meist schon zu enge Familienbande spielen darin ebenso eine wichtige Rolle wie die ewige Frage, ob der Kühlschrank auch wirklich voll genug ist. Augenzwinkernde Geschichten mit einer gehörigen Portion Selbstironie für Menschen, die endlich einmal wissen wollen, wie das so ist – als Jüdin in Deutschland …

  • Chaotisch und ein bisschen meschugge - eine jüdische Familie in Deutschland
  • Geschichten vom Leben, Lieben und darüber lachen
  • Augenzwinkernd, heiter und sehr wahr

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Seitenzahl: 162

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Barbara Bišický-Ehrlich

Der Rabbiner ohne Schuh

Kuriositäten aus meinem fastkoscheren Leben

Barbara Bišický-Ehrlich, 1974 geboren wuchs Barbara Bišický-Ehrlich als Kind tschechischer Emigranten in Frankfurt am Main auf. Nach ihrem Studium der Theaterregie und Dramaturgie in Prag absolvierte sie ein Redaktionsvolontariat beim Südwestrundfunk, arbeitete für Frank Farian und in einer PR-Agentur.

Heute arbeitet sie selbstständig als Werbe- und Synchronsprecherin und leitet Kinder-Theatergruppen in der Jüdischen Gemeinde Frankfurt.

Ihre autobiografische Familienchronik »Sag’, dass es dir gut geht«, ihr Debüt als Autorin, erschien im Februar 2018 im Größenwahn Verlag. Sie lebt mit ihren drei Kindern in Frankfurt.

Bezaubernd leicht und persönlich erzählt Barbara Bišický-Ehrlich vom jüdischen Alltag und zeigt dabei, dass es »den« jüdischen Alltag nicht gibt.

Aus der Perspektive einer Frau, die zwischen den Kulturen zu Hause ist, seien diese nun religiös oder auch sprachlich-ethnisch geprägt, macht sie auf sehr unterhaltsame Weise die Pluralität des Judentums in Deutschland sichtbar.

Mit ihren Familiengeschichten bringt sie zum Schmunzeln, möchte damit aber auch immer noch festsitzende Vorurteile in Deutschland auflösen.

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Copyright © 2022 Gütersloher Verlagshaus, Gütersloh,

in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH,

Neumarkter Str. 28, 81 673 München

Umsetzung eBook: Greiner & Reichel, Köln

Umschlagfoto: Katia Klapproth, © Barbara Bišický-Ehrlich

ISBN 978-3-641-28774-0V002

www.gtvh.de

Eine Gemeinschaft ist umso stabiler, je vielfältiger sie ist.

Inhalt

Das Ende

Die Hochzeit

Geschenke

Geschirr

Unkoscher

Der Knochen

Herr Doktor

Der beste Freund meiner Eltern

Der Klapps

Krämer

Die neue Welt

Bat Mitzwah auf Tschechisch

»Heil Hitler!«

My name is Petr Černý

Übergewicht

Worte, nichts als Worte

Baruch HASCHEM

Studium

Rote Bete

Wer bin ich

Jude

Der Anruf des Mossad

Das Fest der Liebe

Hokuspokus – Dreimal schwarzer Kater

Jüdische Mame

Chai

Bekenntnis

Die neue Generation

Unschuld

Jüdischer Feminismus

Traummann

Der Frisör

Was bleibt

Der Anfang

Glossar

Das Ende

Ich schritt die Treppen hinunter. Zwar zitterten mir die Knie, mein Herz schlug mir bis zum Hals, ich atmete schwer und mein Brustkorb bebte, aber aufrecht und stolz, erhobenen Hauptes verließ ich das Synagogengebäude. Die Gedanken sprangen wie kleine Kobolde in meinem Kopf herum: Habe ich ihm jetzt eins ausgewischt? … Ich muss zu den Kindern. … Was koche ich zum Abendessen? … Ich muss die Wäsche machen … Warum hat der eine Rabbiner die Schuhe ausgezogen? … Was war das gerade? … Die konnten alle kein Deutsch. Meine arme Mama! Steht auf Honzas Grabstein ein jüdischer Name? Verdammt! Die Wäsche … die Fußballschuhe … die Kleine muss unbedingt Haare waschen … Rieche ich nach Schweiß? …

»Hiermit bestätigen wir, dass die o. g. Personen am zweiten Tag der Woche (Montag), dem 24. Tag des Monats Nissan im Jahre 5776 nach der jüdischen Zeitrechnung (2. Mai 2016) vor dem zentralen Beit Din Deutschlands in Zusammenarbeit mit dem Oberrabbinat des Staates Israel geschieden worden sind.«

Dieses Schreiben trudelte etwa drei Monate später in zweifacher Ausführung – Deutsch und Hebräisch – in meinem Briefkasten ein. Auf dem Dokument zwei Fotos – eines von mir und eines von meinem Exmann. Die hebräische Version, die ich nicht lesen kann, könnte genauso gut ein Steckbrief des Mossad sein. Gesucht: zwei Idioten! Zwei dumme Esel, die ungeduldig und rastlos auf der Suche nach Glück sind. Hilflos, nicht ahnend, dass sie vor eben diesem flüchten, je mehr sie sich von sich selbst entfernen. Was, verdammt nochmal, ist der Beit Din? … Der Sekretär der obersten Rabbinerkonferenz spielte früher mit meinem Bruder Tischtennis … Seit wann ist ein Mann Sekretär? … Ist das frauenfeindlich?

Seit der schriftlichen Bestätigung meines »Get« – der jüdischen Scheidung vor Gott – bekomme ich regelmäßig virtuelle Post von der orthodoxen Rabbinerkonferenz, von deren Existenz ich bis dahin nicht einmal wusste. Als die erste Mail kam, ging es mir durch Mark und Bein: Hatten die etwa einen Fehler gemacht? Wird die Scheidung annulliert? Muss ich da noch einmal hin? Nein, es war schlichtweg Werbung. Eine Religion, die mit Mails für sich wirbt?! Wöchentlich erhalte ich seither elektronische Post. Inhalt: die Parascha der Woche in Kürze und ihr »Konzept«, also die Erörterung dazu, abschließend die Frage der Woche und deren Lösung. Außerdem bietet man mir auch noch diese fantastische Möglichkeit:

»Jetzt können Sie das Daf der Paraschat Haschawua auch als PDF-Datei herunterladen.«

Und ich werde über die aktuellen Publikationen der orthodoxen Rabbinerkonferenz informiert und vor allem über deren Preise.

Eigenartig ist nur der Zeitpunkt, wann die Herren angefangen haben, mir die Informationen zu schicken: direkt nach dem »Get«! Soll mir das sagen: »Kind, du bist vom Wege abgekommen und wir leiten dich«? Oder ist es hier einfach wie bei einem Onlinekauf: einmal die E-Mail-Adresse angegeben und schon wird man zum Opfer der Werbeattacken? Sind sie einfach nur gute Geschäftsleute? Ich werde allerdings das Gefühl nicht los, in den Augen der ORD, der Orthodoxen Rabbiner Konferenz, doch ein klein wenig unartig zu sein, und nun haben sie den Wunsch, mich zurück in ihre Reihen zu holen. Als sei ich jemals dort gewesen.

Heißt es nicht immer, Juden missionierten nicht? Stimmt, Juden missionieren nicht, sie gehen nicht herum und sagen: Werde Jude, dann wirst du glücklich und erlöst von allem Unheil! Nein, wir Juden machen das viel subtiler. Wir sagen: »Ojojoj, so schwer unsere Last! Sei froh, dass du kein Jude bist. Diese vielen Feiertage, der viele Alkohol, die vielen Gebote und vor allem diese unglaublich engen Familienbande … die nehmen uns die Luft zum Atmen. Das Leben als Nichtjude muss viel einfacher sein.« Wir Juden machen uns auf entgegengesetzte Weise interessant. Spätestens aber, wenn ein Nichtjude einmal auf einer jüdischen Familienfeier war, ist er fasziniert und verzaubert vom Charme, Humor, der Herzlichkeit und der Fähigkeit zum Feiern.

Nach der Bar Mitzwah meines Sohnes schrieb ein Freund: »Was für ein fantastisches Fest! Im nächsten Leben wechsle ich den Verein.« Und zack, ein neues Schäfchen für die nächste Generation gewonnen. Der Wodka und die schönen Frauen in viel zu engen Kleidern spielten sicher keine Rolle.

Eine gute Bekannte sagte mir einmal, wenn ein Nichtjude einmal mit einem Juden zusammen war, so wird der Nichtjude danach entweder zum Antisemiten oder kann nie wieder mit Nichtjuden zusammen sein. Ob das tatsächlich so ist, weiß ich nicht, aber der Gedanke ist ein wenig irritierend. Das würde uns Juden zu einer Art allgemeinem Suchtmittel machen. Man liebt oder verabscheut uns. Dazwischen liegt relativ wenig, am seltensten die Gleichgültigkeit. Erklärt das vielleicht die Abneigung gegen uns?

Die Hochzeit

Meine Scheidung war die notwendige Konsequenz des Zustandekommens dieser Ehe. Für die zivile Trauung im Standesamt baten wir unsere Brüder, Trauzeugen zu sein: der eine bereits geschieden, der andere Junggeselle. Also perfekt geeignet, um uns den Segen für einen »ewigen Lebensbund« zu geben.

Der Rabbiner, der Lior und mich dann etwa sechs Monate später unter der Chuppah, dem Baldachin, traute, war damals schon zum dritten Mal verheiratet. Ursprünglich arbeitete er als Dramatiker, dann konvertierte er zum Judentum, studierte Judaistik in Heidelberg und Israel, schließlich wurde er sogar zum Oberrabbiner gewählt. Was ihn aber nicht daran gehindert hat, sich später ein weiteres Mal scheiden zu lassen und heute mit einer 35 Jahre jüngeren Frau zusammenzuleben. Die Trauzeugen für die jüdische Hochzeit sollten möglichst etwas von Religion verstehen, im Idealfall sogar Shomer Shabbat sein, also den Shabbat halten. Solche Zeugen konnten wir beide mit unseren Freundeskreisen nicht bieten, aber die Freunde von Lior, meinem Bräutigam, waren wenigstens in der Lage, hebräisch zu lesen, und kannten die Riten und Bräuche. Also boten wir auf, was wir finden konnten, und wählten so sensibel wie möglich: Der eine war ein – heute zum zweiten Mal – geschiedener bunter Vogel des Frankfurter Nachtlebens und der andere ein umtriebiger Junggeselle. Alle Sterne waren also, im Nachhinein betrachtet, nicht besonders günstig, alles widersprach der ursprünglichen Idee der religiösen und gesellschaftlichen Institutionen von einer Ehe, von Moral, Anstand und heiligem Segen. Wir hatten nur die Vorzeichen nicht verstanden, hatten es doch gut gemeint: Wir wollten jüdisch heiraten, mit den richtigen Trauzeugen, mit den richtigen Namen und in der richtigen Stadt.

In Prag fanden die jüdische Hochzeitszeremonie, mit Rabbiner und Kantor unter dem Baldachin, und die anschließende Feier statt. In der Stadt, die wie keine andere vor dem Krieg die Verschmelzung der drei Kulturen repräsentierte, der tschechischen, der deutschen und der jüdischen.

Meine Mutter hatte sich das sehr gewünscht. Als emigrierte Tschechin hatte sie sich in den Jahren des Exils ein heiliges, gelobtes Land zusammenfantasiert, das alle kennen und lieben mussten! Wir nickten ihren Wunsch brav ab und sahen zwei Vorteile: Erstens hatte es in der verwöhnten jüdischen Gesellschaft von Frankfurt nie zuvor eine Feier in Prag gegeben und zweitens könnte Tschechien, nur wenige Jahre nach der Wende, ein recht günstiges Pflaster für ein solch spektakuläres Fest werden. Mama nahm die Organisation in die Hand und entspannt ließen wir sie gewähren.

Im Vorgespräch mit dem Prager Rabbiner fragte dieser uns nach unseren Namen. Jeder Jude braucht auch einen jüdischen Namen, mit dem er im Gottesdienst in der Synagoge zur Lesung der Thora aufgerufen werden kann – so auch der Vater der Braut. Der Rabbiner wollte den Namen meines Vaters wissen. Ich wurde nervös und stammelte vor mich hin: »Ähm, also, mein Vater heißt Honza. Also Jan. Reicht das?« (Honza ist die tschechische Koseform von Jan.) Der Rabbiner fragte: »Hat er keinen jüdischen Namen?« Unsicher stotterte ich: »Ich weiß nicht. Ich glaube nicht.« Ich hielt den Atem an und vermutete schon, dass Lior mich innerlich verfluchte, weil ich in Prag heiraten wollte. Die spezielle Ostblock-Atmosphäre war 2001 noch mit jeder Pore spürbar: Korruption, Ungeduld und Neid lauerten in allen Gesellschaftsschichten wie giftige Schlangen. Möglicherweise glaubte Lior mir nun auch gar nicht mehr, dass ich Jüdin war. Immerhin hatte mein Vater keinen jüdischen Namen und konnte auch nicht aus der Thora lesen. War nicht auch die erste Frage von Liors Mutter gewesen, als er ihr von mir berichtet hatte: »Ist sie überhaupt Jüdin? Ich kenne die Familie gar nicht.«

Der Rabbiner strich sich über den Bart, kratzte ihn ein wenig, zog die Mundwinkel nach unten und rief freudig: »Aaaaaach, nicht schlimm. Jan … Jan … Jan … Wir nennen ihn einfach: Chanan!« Er öffnete beide Arme, als wollte er unseren Applaus entgegennehmen, und ich atmete auf. So einfach war das also.

Und jetzt: die richtige Location, etwas Gutes zu essen, und Musik. Für Musik war recht schnell gesorgt. Lior buchte einfach die Hochzeitsband, die damals gerade von jüdischer Feier zu jüdischer Feier gereicht wurde und ein Stimmungsgarant war. Die Chuppah, die es in der Prager Gemeinde gab, war eine tragbare, ließ sich also nicht befestigen, so wie das in alten Zeiten üblich war. Da wir aber unseren Freunden nicht zumuten wollten, die ganze Prozedur hindurch den Baldachin zu tragen, und wir ihn ohnehin auch mit Blumenschmuck versehen wollten, liehen wir uns einfach die Chuppah der Frankfurter Gemeinde. Ich glaube, das war eher unüblich, aber wir fanden es ziemlich lässig, mit geliehener Chuppah – dem Symbol für unser künftiges jüdisches Heim – im Auto nach Prag zu fahren.

Die richtige Location besorgte uns ein Freund meiner Mutter, der Eventmanager war. Meine Mutter war hellauf begeistert: »Bára, ihr könnt im Žofín heiraten!« Im was? »Na im Palais Žofín, dem prächtigen Neorenaissance-Gebäude mitten auf der Moldau.« Dieses Palais ist eines der bedeutendsten Zentren des politischen, kulturellen und gesellschaftlichen Lebens in Prag. Ein Ort, an dem feudale Feiern und Kongresse stattgefunden haben – hier sollten wir, zwei unbedeutende kleine Juden, heiraten? Meine Mutter zeigte Bilder und mir zog sich der Magen zusammen. Mit Prunk und Protz zu feiern lag mir extrem fern. Mich überkam eine Heidenangst und am liebsten hätte ich mich unter dem Tisch verkrochen, bis alles vorbei war. Lior nickte höchst anerkennend und befand den Ort für absolut angemessen und traumhaft schön.

Das waren aber noch nicht alle Neuigkeiten, die meine Mutter zu bieten hatte: »Kinder, haltet euch fest … stellt euch vor, unser Hochzeitsplaner kennt Karel Gott!« Mir schossen mittlere bis starke Stromschläge durch den Körper und ich starrte sie entsetzt an. »Und jetzt kommt der Clou: Als Karel Gott davon erfahren hat, dass in Prag die erste große jüdische Hochzeit seit dem Krieg stattfinden wird, war er sofort so angetan, dass er angeboten hat, auf eurer Hochzeit aufzutreten. Er hat nämlich gerade eine CD mit jüdischen Liedern veröffentlicht. – Na, was sagt ihr jetzt?« Meine kleine Mutter war in diesen Sekunden um mindestens 30 Zentimeter gewachsen und strahlte übers ganze Gesicht. Nach einigen Sekunden der Stille schnappte ich nach Luft und legte los: »Mama, bist du des Wahnsinns? Der Typ singt Schlager. Das wäre ultrapeinlich. Das geht auf gar keinen Fall!« Nur vier Sätze, und meine Mama schrumpfte wieder auf Normalgröße, was sie aber nicht daran hinderte, ihre Lippen zu spitzen, die Augenbrauen hochzuziehen und heftig mit den Armen zu fuchteln: »Also Bára, davon verstehst du wirklich überhaupt nichts. Glaube mir, die Leute werden völlig ausflippen. Und wenn nicht für euch, dann müssen wir das für meine Generation machen. Karel Gott will auf eurer Hochzeit singen, umsonst, du spinnst total, Bára, wenn du nein sagst! Lior, was meinst du?« Sie wandte sich beleidigt von mir ab. Ich war abgeschrieben und in tiefste Ungnade gefallen. Und Lior: »Pffffffhhh, keine Ahnung«, schaute zu mir, dann zu ihr, wieder zu mir und zu ihr. »Wenn der Typ zwei, drei Lieder singt, ist doch eigentlich ok, oder?« Meine Mutter nickte höchst zufrieden. Ich merkte, dass ich hier überhaupt keine Stimme hatte, und fügte nur noch an: »Dann sollte er aber bitte auch die ›Biene Maja‹ singen, das würde wenigstens unsere Generation freuen.« Meine Mutter druckste: »Also, das ist seine einzige Bedingung, er wird auf keinen Fall die ›Biene Maja‹ singen.« Lior und ich schauten uns an und gaben auf. Meine Mutter war die Chefin im Ring. Karel Gott sang auf unserer Hochzeit drei wunderschön getragene Lieder und die Freunde unserer Eltern waren zu Tränen gerührt. Doch dann geschah das Unvermeidliche. Etwa 150 Gäste zwischen 25 und 35 Jahren sprangen von ihren Stühlen auf, rannten mit erhobenen Händen auf die Tanzfläche und schrien rhythmisch: »Maja, Maja, Maja, Maja!«

Karel Gott sang die ›Biene Maja‹ dreimal! Dazu tanzten unsere Freunde im traditionell jüdischen Kreis und bejubelten den Star auf der Bühne. Danach verließ Karel etwas irritiert, aber doch höchst zufrieden die Bühne und bedankte sich für diese wunderbare Stimmung.

Es war ein herrliches Fest, obgleich die Vorzeichen allesamt sehr skurril waren: der mehrfach geschiedene Rabbiner, die moralisch nicht einwandfreien Trauzeugen, der unorthodox transportierte Baldachin, die anfängliche Unsicherheit meiner Schwiegermutter, ob ich tatsächlich der richtigen Religion angehörte, der fehlende jüdische Name meines Vaters und ein völlig aus dem Ruder geratenes Probeessen im Vorfeld des Festes.

Ich weiß nicht, wie wir damals auf die grandiose Idee gekommen sind, die gesamte Familie zum Probeessen mitzunehmen, aber genau das haben wir gemacht. Die gesamte Familie bedeutete: mein Bruder, meine Eltern, meine Oma und meine Schwiegermutter in spe. Alle sind wir also nach Prag gefahren, um uns ein ruhiges Wochenende zu machen und der Hochzeitsplanung den letzten Schliff zu geben. Wir sind sehr entspannt und gut gelaunt in dieses traumhaft schöne gelbe Neorenaissance-Gebäude auf der kleinen Moldauinsel im Herzen Prags hinein- und sind als völlig zerrüttete, geschiedene Familie hinausgegangen. Was sich drinnen ereignet hat, bleibt Familiengeheimnis. Nur so viel: blankgewetzte Nerven, gegenseitige Schuldzuschreibungen, Arroganz, Überheblichkeit, Beleidigungen, schlechtes Benehmen und ein völlig ungenießbares Mahl. Ephraim Kishon oder Woody Allen hätten ihre Freude an uns gehabt. Jüdische Mütter kurz vor einem Nervenzusammenbruch, ein jüdischer Vater, der zu allem schweigt, höchstens ein singendes »nu ja« hervorbringt, ein Bruder, der gern provoziert, und Braut und Bräutigam, die vor Schuldgefühlen fast ersticken. Offensichtlich hat das ungenießbare Essen uns nicht davon abgehalten, ein rauschendes jüdisches Fest zu feiern, und wenigstens war (ein) Gott mit uns.

Geschenke

Die Hochzeitsnacht war für mich, wie erwartet, eine ziemlich triste Angelegenheit. Auf jüdischen Feiern wird sehr viel Wodka getrunken, und so konnte mein Bräutigam leider nicht mehr die traumhaft sündhafte und edle Wäsche bestaunen, die ich extra gekauft hatte. Stattdessen hatte ich die Mühe, allein jedes einzelne Häkchen des Kleides und der Korsage am Rücken zu öffnen. Ich saß wie ein Baiser-Törtchen um vier Uhr morgens auf dem Hotelbett, in einer Tüllwolke, umgeben von Umschlägen, gefüllt mit Glückwünschen und Geld. Neben mir schnarchte es.

In den Tagen darauf inspizierten wir auch die Sachgeschenke, die nach Prag mitgeschleppt worden waren. Darunter auch eine Büste auf einem Sockel, wie man sie früher auf ein Kaminsims gestellt hätte; sie war aus braunem Stein und unglaublich hässlich.

Die Büste innerhalb Frankfurts weiter zu verschenken schien uns zu riskant, irgendwann hätte sie der ursprüngliche Käufer zurückbekommen können, und so gaben wir sie unserem Hochzeitsplaner in Prag fürs Büro. Er freute sich und wir waren das schwere Ding los. Nur wenige Wochen darauf rief er uns aufgeregt in Frankfurt an: »Ich organisiere gerade eine große Veranstaltung für eine Firma und vorhin waren die beiden Chefs in meinem Büro, haben eure Büste gesehen und waren völlig aus dem Häuschen. Báro, das ist eine limitierte Edition und das Stück kostet um die 2000 DM.« Gerne hätte ich gewusst, wie vielen Beschenkten dieses wertvolle Geschenk bereits durch die Lappen gegangen ist. C’est la vie.

Geschirr

Das Leben schreibt Geschichten, ohne dass wir es auch nur ahnen oder uns dessen ansatzweise bewusst sind, ununterbrochen. Groteske Zusammenhänge werden nie oder manchmal erst nach vielen Jahren deutlich.

Vor meiner Hochzeit war ich ganz stolz und aufgeregt mit meiner Mutter bei Lorey, einem namhaften und sehr gut sortierten Haushaltswarengeschäft in Frankfurt, um dort einen Hochzeitstisch zusammenzustellen: alles, was ein guter Haushalt braucht und die Gäste guten Gewissens kaufen können, ohne Gefahr zu laufen, unseren Geschmack nicht zu treffen. Mama und ich gingen durch das Haus und suchten Toaster, Küchenmaschine, Töpfe, Pfannen und und und. Was natürlich nicht fehlen durfte, war ein komplettes Geschirrset für 24 Personen. Für besondere Anlässe. Schließlich müssen in einem jüdischen Haushalt viele Gäste zu den Feiertagen versorgt werden, und das an einem würdevoll gedeckten Tisch. Gemeinsames Essen spielt eine große Rolle in jüdischen Familien. Nicht nur, weil viele Feiertage unterschiedliche symbolträchtige Speisevorgaben haben, auch der Krieg hat mit seinen Entbehrungen dem Essen einen neuen Stellenwert verliehen. So pflegte mein Opa immer zu sagen: »Was du im Bauch hast, kann dir keiner mehr nehmen.«

Ich suchte mir ein schlichtes und klassisch elegantes Geschirr von Rosenthal aus: Maria Weiß. Weil ich aber den Preis für die Teller vollkommen überteuert fand, erklärte mir die Verkäuferin, sie habe das alles auch in »dritter Wahl«. Ich sah mir diese »dritte Wahl« an, konnte nicht den winzigsten Unterschied erkennen und entschied, dass die Hochzeitsgäste lieber dritte Wahl für weniger Geld kaufen sollten. Das erzählte ich natürlich niemandem. Meine Mama und ich fanden das sehr vernünftig.