Der rätselhafte Findling - Jörn Dassow - E-Book

Der rätselhafte Findling E-Book

Jörn Dassow

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Beschreibung

Am zweiten Pfingsttag des Jahres 1828 tauchte in Nürnberg eine merkwürdige Gestalt auf. "Possierlich und pudelnärrisch", so wurde später zu Protokoll gegeben, war ein etwa 16- bis 17-jähriger Junge den Berg "heruntergewackelt" gekommen. Er hatte eine auffällig untersetzte Statur und die "unteren Teile" seines Gesichtes traten hervor, was ihm ein "gemeines" Aussehen gab. Seine Augen hatten den Ausdruck "thierischer Stumpfheit" und sein Wortschatz beschränkte sich auf wenige, schwer verständliche Wortfetzen. Auf die Frage nach seiner Herkunft konnte oder wollte der junge Mann keine sinnvolle Antwort geben. Auch die Beamten der städtischen Polizeibehörde, die ihn noch am selben Abend verhörten, hatten Mühe, aus seinen wirren Äußerungen brauchbare Informationen zu ziehen. Das einzige Resultat der langen Vernehmung bestand darin, dass der Junge auf einem ihm vorgelegten Bogen Papier den Namen "Kaspar Hauser" schrieb. Die Nachricht über den auffälligen, offenbar schwer verwahrlosten jungen Mann verbreitete sich schon bald wie ein Lauffeuer in ganz Deutschland. Bis heute ist die Faszination an dieser Figur bestehen geblieben. Dabei ranken sich eine Vielzahl von Legenden um den historischen Kaspar Hauser. Diese Kurzbiographie soll die historische Person "Kaspar Hauser" erklären, die sich hinter dieser mythenumrankten Gestalt verbirgt. Nicht das Rätsel, das Phänomen oder die Legende, sondern das durch geschichtliche Quellen dokumentierte Leben Kaspar Hausers soll im Fokus der Darstellung stehen. Das Buch bietet in kompakter Form alle wichtigen Informationen zum Phänomen "Kaspar Hauser", ergänzt um Bilder und Quellentexte im Anhang. Die Reihe "Geschichte kompakt" bietet einen zeitgemäßen Zugriff auf Themen und Fragen der Weltgeschichte - geeignet für Schule und (Eigen-)Studium, zum Nachlesen, Nachschlagen, Lernen, auf den aktuellen Stand bringen und Bescheidwissen.

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Jörn Dassow

Der rätselhafte Findling

Das Leben des Kaspar Hauser

Impressum

Bibliografische Informationen der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen

Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über

http://dnb.d-nb.de abrufbar.

ISBN: 978-3-86408-102-6 (epub) // 978-3-86408-103-3 (pdf)

Korrektorat: Alexander Schug

© Copyright: Vergangenheitsverlag, Berlin / 2012

www.vergangenheitsverlag.de

Alle Rechte, auch die des Nachdrucks von Auszügen, der fotomechanischen und digitalen Wiedergabe und der Übersetzung, vorbehalten.

eBook-Herstellung und Auslieferung: readbox publishing, Dortmundwww.readbox.net

Inhalt

1. Einleitung

2. Der historische Kaspar Hauser

2.1. Verhör und Inhaftierung

2.2. Das Opfer eines Verbrechens?

2.3. Vom Tiermenschen zum Schuljungen

2.4. Ein Attentat?

2.5. Der neue Vormund: Gottlieb von Tucher

2.6. Ein englischer Lord tritt auf

2.7. Die letzten Lebensjahre

2.8. Rätselhafte Herkunft - Rätselhafter Tod

3. Die prominentesten Kaspar-Hauser-Legenden

3.1.Die Kerkerlegende

3.2. Die Prinzenlegende

4. Fazit

Quelle 1 (Zitiert nach: Weckmann, Kaspar Hauser. Die Geschichte und ihre Geschichten, S. 83f.):

Quelle 2 (Aus: Peter Josef Keuler: Der Findling Kaspar Hauser als medizinisches Phänomen, S. 86f.)

Quelle 3 (Aus: Feuerbach, Kaspar Hauser, S. 139f., 169):

Quelle 4 (Aus: Hermann Pies, Die amtlichen Aktenstücke über Kaspar Hausers Verwundung und Tod, Bonn 1928, S. 12f.)

Quelle 5 (Aus: Ulrich Struve, Der Findling Kaspar Hauser in der Literatur, S. 191ff.)

Abbildungsverzeichnis

Quellen und Literatur

1. Einleitung

Am zweiten Pfingsttag des Jahres 1828 tauchte auf dem Unschlittplatz in Nürnberg eine merkwürdige Gestalt auf. „Possierlich und pudelnärrisch“, so wurde später zu Protokoll gegeben, war ein etwa 16 bis 17-jähriger Junge den Berg „heruntergewackelt“ gekommen.1 Er hatte eine auffällig untersetzte Statur und die „unteren Teile“ seines Gesichtes traten hervor, was ihm ein „gemeines“ Aussehen gab.2 Seine Augen hatten den Ausdruck „thierischer Stumpfheit“3 und sein Wortschatz beschränkte sich auf wenige, schwer verständliche Wortfetzen wie „ reutha wöan“, „woas nit“ oder „hoam weissa“.4 Auf die Frage nach seiner Herkunft konnte oder wollte der junge Mann keine sinnvolle Antwort geben. Auch die Beamten der städtischen Polizeibehörde, die ihn noch am selben Abend verhörten, hatten Mühe, aus seinen wirren Äußerungen brauchbare Informationen zu ziehen. Das einzige Resultat der langen Vernehmung bestand darin, dass der Junge auf einem ihm vorgelegten Bogen Papier den Namen „Kaspar Hauser“ schrieb.5

Die Nachricht über den auffälligen, offenbar schwer verwahrlosten jungen Mann verbreitete sich schon bald wie ein Lauffeuer in ganz Deutschland. Dies war vor allem auf eine öffentliche „Bekanntmachung“ zurückzuführen, die vom Nürnberger Bürgermeister Jakob Binder herausgegeben worden war. Kaspar Hauser, so wurde hier erklärt, sei als Kind das Opfer eines schweren Verbrechens geworden. Über viele Jahre sei er in einem finsteren Kerker eingesperrt gewesen und nur mit Wasser und Brot ernährt worden. Völlig abgeschnitten von seiner Umwelt und ohne jeglichen Menschenkontakt habe er in einem dunklen Raum dahinvegetieren müssen, bis er im Alter von 16 Jahren in die Freiheit entlassen wurde.6

Ob diese These tatsächlich der Wahrheit entspricht, ist jedoch bis heute umstritten. Die Ursache hierfür liegt in der unklaren Quellenlage begründet: Es sind keine schriftlichen Dokumente überliefert, anhand derer wir mit absoluter Sicherheit Aussagen über Kaspar Hausers Kindheit und Jugend treffen können.7 Erst nachdem der Junge im Jahr 1828 zum ersten Mal in der Öffentlichkeit aufgetaucht war, ist sein Leben von zahlreichen Zeitzeugen dokumentiert worden.8 Alles andere davor liegt im Ungewissen. Und dennoch: Der Fall Kaspar Hauser hat einen nachhaltigen Eindruck bei vielen Generationen von Schriftstellern und Intellektuellen hinterlassen. Namhafte Autoren wie Georg Trakl, Jakob Wassermann oder Klaus Mann haben sich von Hausers Schicksal inspirieren lassen und ihn zum Thema gemacht.9Auch viele Historiker, Kriminologen und Mediziner haben sich mit der Geschichte des Nürnberger Findeljungen auseinandergesetzt und sie unter wissenschaftlichen Aspekten untersucht.10 In der Psychologie und in der Verhaltensbiologie sind sogar eigene Fachtermini in Anlehnung an den Jungen entstanden. So ist der Ausdruck „Kaspar-Hauser-Versuch“ ein gängiger Begriff für Experimente, bei denen Tiere ohne jeglichen Kontakt zu Artgenossen oder anderen Tieren aufgezogen werden.11

Bild 1: Kaspar Hauser im Jahr 1830, Pastell von J.F.C Kreul.

Auch in den populären Medien ist der Fall Kaspar Hauser bis heute präsent geblieben. Als „Rätsel seiner Zeit“, als „Kriminalfall“ oder als „Kronprinz oder Schwindler?“ ist er noch immer Gegenstand zahlreicher Film- und Buchveröffentlichungen.12 Manchmal wird sein Name auch fallen gelassen, um den Folgen von jahrelanger, menschenunwürdiger Isolation einen Namen zu geben. So wurde etwa das Entführungsopfer Natascha Kampusch, das jahrelang in einem Keller eingesperrt war, in einem Artikel des Magazins „Stern“ als „Kaspar Hauser des 21. Jahrhunderts“ tituliert.13 Nicht zu Unrecht schreibt der Literaturwissenschaftler Bertold Weckmann, dass die Figur Kaspar Hauser sich „längst zum „zitierfähigen und anspielungshaften Bildungsgut“ entwickelt habe.14

Diese Kurzbiographie soll die historische Person „Kaspar Hauser“ erklären, die sich hinter dieser mythenumrankten Gestalt verbirgt. Nicht das Rätsel, das Phänomen oder die Legende, sondern das durch geschichtliche Quellen dokumentierte Leben Kaspar Hausers soll im Fokus der Darstellung stehen.

Der erste Teil der Biographie behandelt Kaspars Leben von seinem Auftauchen auf dem Nürnberger Unschlittplatz 1828 bis zu seinem Tod im Dezember 1833. In mehreren Kapiteln erfährt man, wie Kaspar in Nürnberg aufgenommen wurde, wie er sich in seiner neuen Umgebung entwickelte und wie er als „Kind von Europa“ internationale Bekanntheit erlangte. Dabei wird auf historische Faktentreue Wert gelegt und auf die wichtigsten überlieferten Quellen sowie auf einschlägige Werke aus der Sekundarliteratur Bezug genommen.

Der zweite Teil dieser kompakten Darstellung wird dann zwei der bekanntesten Legenden über Hausers Herkunft und Kindheit kurz vorstellen. Hier wird zunächst auf die bereits angesprochene Kerker- und dann auf die Erbprinzenerzählung eingegangen. Letztere hängt eng mit der Kerkererzählung zusammen: Sie besagt, dass Kaspar Hauser als Erbprinz von Baden geboren worden war, jedoch noch als Säugling gekidnappt und an einem isolierten Ort eingesperrt wurde.

Das Buch bietet also in kompakter Form alle wichtigen Informationen zum Phänomen „Kaspar Hauser“, ergänzt um Bilder und Quellentexte im Anhang.

2. Der historische Kaspar Hauser

2.1. Verhör und Inhaftierung

Bereits wenige Stunden nach seinem plötzlichen Auftauchen auf dem Nürnberger Unschlittplatz wurde Kaspar Hauser zur städtischen Polizeiwache geführt. Auch dort fiel er durch seine verwahrloste Erscheinung und sein äußerst verwirrtes Auftreten auf. Auf die gängigen Fragen der Polizisten nach seiner Herkunft, seinem Beruf und seinem Reisepass konnte er keine zusammenhängenden Antworten geben. Stattdessen äußerte er schwer verständliche Wortfetzen wie „des woas nit“, „Bue“ oder „A Reutä wähn, wie mei Vottä wähn is“. Letzteres ließe sich ins Hochdeutsche übersetzen mit: „Ein Reiter werden, wie mein Vater einer ist.“ Wie sein Vater jedoch hieß und in welchen Verhältnissen er aufgewachsen war, verriet der Junge nicht.15

Die anwesenden Beamten und Polizeisoldaten hatten große Probleme zu entscheiden, in „welche der gangbaren Polizei-Rubriken“ man „die seltsame Erscheinung“ einordnen sollte. Offenbar hatte der junge Mann, der ihnen gegenübersaß, weder eine Vorstellung, wo er sich befand, noch wusste er, was man von ihm wollte. In manchen Momenten starrte er gedankenlos in die Leere, in anderen Momenten wiederum brach er ungehemmt und ohne erkennbaren Anlass in Tränen aus.16