Der Realitätenkellner -  - E-Book

Der Realitätenkellner E-Book

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Beschreibung

"Eigentlich bin ich ein ethnologisch interessierter, vom Lande kommender Realitätenkellner, der sich halt zum Bahnhof durchfragen muss." Gunther Schmidt Welche Wirklichkeit darfs denn sein? Die innovative und konstruktive Kraft des hypnosystemischen Ansatzes erobert nach der Psychotherapie auch andere Bereiche der professionellen Beratung: In Coaching, Supervision, Mentaltraining, Mediation und Organisationsberatung fördert er rasche und dabei tragfähige Fortschritte bei der Überwindung von alltäglichen wie von außergewöhnlichen Problemen. In diesem Buch lassen sich 25 Praktiker bei der täglichen Arbeit mit Klienten in unterschiedlichen Kontexten über die Schulter schauen. Dabei werden sowohl die Bandbreite des hypnosystemischen Ansatzes als auch seine jeweilige Ausgestaltung sichtbar. Als Leser erhält man vielfältige Anregungen zum eigenständigen Einsatz in den unterschiedlichsten Praxisfeldern. Das Buch ist auch eine Hommage an Gunther Schmidt, den Begründer des hypnosystemischen Ansatzes, der mit dem Life Achievement Award der German Speakers Association (GSA) ausgezeichnet wurde. Mit Beiträgen von: Reinhold Bartl, Danie Beaulieu, Martin Busch, Louis Cauffman, Klaus-Dieter Dohne, Peter Hain, Bruno Hambüchen, Eberhard Hauser, Karl-Ludwig Holtz, Klaus-Diethard Hüllemann, Gerald Hüther, Anne M. Lang, Werner Leeb, Ortwin Meiss, Matthias Mende, Peter Nemetschek, Bernd Schmid, Gunther Schmidt, Susy Signer-Fischer, Karl-Josef Sittig, Helm Stierlin, Bernhard Trenkle, Martin Weckenmann, Charlotte Wirl, Jeffrey K. Zeig. Die Herausgeber: Werner A. Leeb, Mag. rer. soc. oec.; Studium der Wirtschaftspädagogik, Betriebswirtschaft und Psychologie. Berufliche Tätigkeit in Lehre, Verlagswesen und Beratung. Unternehmensberater (Schwerpunkt: Organisations- und Personalentwicklung; CMC – Certified Management Consultant), Managementtrainer, Coach und approbierter Psychotherapeut (BMG) – Personzentrierte Psychotherapie (PP), Hypnotherapie/Klinische Hypnose. Mitglied der MEGA (Milton Erickson Gesellschaft Austria). Gesellschafter der Trigon Entwicklungsberatung, Wien. Autor zahlreicher Fachpublikationen aus den Bereichen Beratung und Coaching. Bernhard Trenkle, Dipl.-Psych., Dipl.-Wi.-Ing.; Psychologischer Psychotherapeut und Coach mit eigener Praxis in Rottweil; 1984–2003 Vorstandsmitglied der Milton Erickson Gesellschaft für Klinische Hypnose (M. E. G.); Gründungsherausgeber des M.E.G.a.Phon (1984–1998); 1986 Gründer des Milton Erickson Instituts Rottweil; Past-Präsident der International Society of Hypnosis (ISH), Mitglied des Direktoriums der Milton Erickson Foundation, Phoenix, USA. 1999 erhielt er den Life Time Achievement Award der Milton Erickson Foundation, 2012 den Milton-Erickson-Preis der M. E. G. sowie den Pierre Janet Award for Clinical Excellence der International Society of Hypnosis (ISH), 2016 erhielt er den Nezindlovu Award des Milton Erickson Instituts Südafrika für die Förderung der Hypnose auf dem afrikanischen Kontinent und 2017 den Life Time Achievement Award der Chinese Hypnosis Association. Veröffentlichungen u. a.: Das Ha-Handbuch der Psychotherapie (11. Aufl. 2024), Das Aha!-Handbuch der Aphorismen und Sprüche für Therapie, Beratung und Hängematte (5. Aufl. 2022), Die Löwen-Geschichte (8. Aufl. 2024), Dazu fällt mir eine Geschichte ein – Direkt-indirekte Botschaften für Therapie, Beratung und über den Gartenzaun (4. Aufl. 2021), 3 Bonbons für 5 Jungs – Strategische Hypnotherapie in Fallbeispielen und Geschichten (2016). Martin F. Weckenmann, Mmag., Dipl.-Psych., Dipl. rer. soc. oec.

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Seitenzahl: 553

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Dieses Buch ist auch eine Hommage an Gunther Schmidt, ein Dankeschön für seinen immer so positiven Einfluss auf uns, seine Freunde, Wegbegleiter und Schüler.

Werner, Bernhard & Martin

Werner A. Leeb/Bernhard Trenkle/Martin F. Weckenmann (Hrsg.)

Der Realitätenkellner

Hypnosystemische Konzepte in Beratung,Coaching und Supervision

Mit einem Geleitwort von Helm Stierlin

Dritte Auflage, 2025

Mitglieder des wissenschaftlichen Beirats des Carl-Auer Verlags:

Prof. Dr. Dr. h. c. Rolf Arnold (Kaiserslautern)

Prof. Dr. Dirk Baecker (Dresden)

Prof. Dr. Ulrich Clement (Heidelberg)

Prof. Dr. Jörg Fengler (Köln)

Dr. Barbara Heitger (Wien)

Prof. Dr. Johannes Herwig-Lempp (Merseburg)

Prof. Dr. Bruno Hildenbrand (Jena)

Prof. Dr. Karl L. Holtz (Heidelberg)

Prof. Dr. Heiko Kleve (Witten/Herdecke)

Dr. Roswita Königswieser (Wien)

Prof. Dr. Jürgen Kriz (Osnabrück)

Prof. Dr. Friedebert Kröger (Heidelberg)

Tom Levold (Köln)

Dr. Kurt Ludewig (Münster)

Dr. Burkhard Peter (München)

Prof. Dr. Bernhard Pörksen (Tübingen)

Prof. Dr. Kersten Reich (Köln)

Dr. Rüdiger Retzlaff (Heidelberg)

Prof. Dr. Wolf Ritscher (Esslingen)

Dr. Wilhelm Rotthaus (Bergheim bei Köln)

Prof. Dr. Arist von Schlippe (Witten/Herdecke)

Dr. Gunther Schmidt (Heidelberg)

Prof. Dr. Siegfried J. Schmidt (Münster)

Jakob R. Schneider (München)

Prof. Dr. Jochen Schweitzer † (Heidelberg)

Prof. Dr. Fritz B. Simon (Berlin)

Dr. Therese Steiner (Embrach)

Prof. Dr. Dr. Helm Stierlin † (Heidelberg)

Karsten Trebesch (Dallgow-Döberitz)

Bernhard Trenkle (Rottweil)

Prof. Dr. Sigrid Tschöpe-Scheffler (Köln)

Prof. Dr. Reinhard Voß (Koblenz)

Dr. Gunthard Weber (Wiesloch)

Prof. Dr. Rudolf Wimmer (Wien)

Prof. Dr. Michael Wirsching (Freiburg)

Prof. Dr. Jan V. Wirth (Meerbusch)

Umschlaggestaltung: Uwe Göbel

Umschlagbild: © Composer – Fotolia

Redaktion: Uli Wetz

Satz: Verlags service Hegele, Heiligkreuzsteinach

Printed in Germany

Druck und Bindung: CPI books GmbH, Leck

Dritte Auflage, 2025

ISBN 978-3-89670-469-6 (Printausgabe)

ISBN 978-3-8497-8533-8 (ePub)

© 2011, 2025 Carl-Auer-Systeme Verlagund Verlagsbuchhandlung GmbH, Heidelberg

Alle Rechte vorbehalten

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Carl-Auer Verlag GmbH

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Tel. +49 6221 6438-0 • Fax +49 6221 6438-22

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Inhalt

Vorwort der Herausgeber

Geleitwort

IGrundlagen des hypnosystemischen Ansatzes

Berater als »Realitätenkellner« und Beratung als koevolutionäres Konstruktionsritual für zieldienliche Netzwerkaktivierungen – Einige hypnosystemische Implikationen

Gunther Schmidt

Wer sich weiterentwickeln will, kann nicht so weitermachen wie bisher

Gerald Hüther und Klaus-Dieter Dohne

LoB macht erfinderisch Lösungsorientierte Beratung unter hypnosystemischer Perspektive

Karl L. Holtz

Ein ericksonscher Hypnoseansatz: Das phänomenologische Hypnosemodell; das Wesen hypnotischer »Zustände«; »Mehrebenenkommunikation«, »Indirektivität« und weshalb es nicht zutrifft, dass alle Hypnose Selbsthypnose ist

Jeffrey K. Zeig

IIHypnosystemische Beratung in unterschiedlichen Kontexten

»SELBSTentwicklung« – Ein Beitrag zur (Wieder-)Vereinigung von Körper und Ich Oder: Die Zukunft von Psychotherapie und Medizin liegt in ihrer Überwindung …

Martin Busch

Der Teil und das Ganze – Hypnosystemik in der Medizin Oder: Die Organisation von Gesundheit

Klaus-Diethart Hüllemann

Neuer Wein in neue Schläuche! – Hypnosystemische Supervision nach dem Bonner Ressourcenmodell

Anne M. Lang

Hypnosystemische Konzepte in der Konfliktarbeit

Werner A. Leeb

Die Aktivierung des impliziten Wissens des Klientensystems in der systemischen Therapie und der Hypnotherapie – Die Förderung von Selbstorganisation mit systemischen und hypnotherapeutischen Ansätzen

Ortwin Meiss

Überlastung zwischen Beruf und Familie

Peter Nemetschek

IIIHypnosystemisches Coaching und Spitzenleistung

Das Leben hat (k)ein Ziel – Hypnosystemische Konzepte für die kreative Arbeit mit Menschen in Kontexten mit überkomplexen Aufgabenstellungen

Reinhold Bartl

Der Tanz der »fünf« Schritte

Louis Cauffman

Kopfarbeit auf dem Gipfelweg

Bruno Hambüchen

Lässt sich Vertrauen operationalisieren?

Eberhard Hauser

Die Ökologie der emotionalen Grundbedürfnisse: Eine Speisekarte für bekömmliche Spitzenleistungen

Matthias Mende

Hypnosystemisches Coaching

Martin F. Weckenmann

IVHypnosystemische Methoden und ihr vielfältiger Einsatz

Impact-Therapie – Ein innovativer Therapieansatz mit ericksonschen Wurzeln

Danie Beaulieu

Kampf, Krampf und Lösung in Beratung und Coaching: Humorvolle Bilder und Metaphern im hypnosystemischen Ansatz

Peter Hain

Lebensübergänge in Beratung und Psychotherapie

Susy Signer-Fischer

Hypnosystemisches, ressourcenfokussiertes REMDR, REP und die Idee der Interferenz

Karl-Josef Sittig

Anleitung zum Nicht-erfolgreich-Sein – Schriftliche Hausaufgaben als Hypnotherapie zwischen den Sitzungen

Bernhard Trenkle

Metaphern und Ego-States – hypnosystemisch

Charlotte Wirl

VSchlussakkord

Priming – Prägende Einflüsse, innere Bilder und Schlüsselerzählungen

Bernd Schmid

Literatur

Über die Autoren

Über die Herausgeber

Vorwort der Herausgeber

Offensichtlich ist das Gesamte tatsächlich mehr als die Summe seiner Teile – das gilt auch für die Entstehung des vorliegenden Buches.

Schon nach dem 1. Heidelberger Kongress »Mentale Stärken« im Jahr 2007 hatte Bernhard Trenkle den Wunsch, die Vielzahl an hochkarätigen Vortragenden auch dahin gehend zu »utilisieren«, dass es so etwas wie einen Sammelband oder Kongressbericht geben könnte – allein die Ressourcen an Zeit waren äußerst beschränkt, was ihn zögern ließ, das Projekt sogleich anzugehen. Mit der Ankündigung des 2. Kongresses für 2010 wurde das Vorhaben wieder aktuell.

Ende 2009 hatte Werner Leeb, der sowohl im klinischen als auch im nichtklinischen Bereich mit dem hypnosystemischen Ansatz arbeitet, die Idee (sie entstammt übrigens einem Traum, in dem das fertige Konzept »auftauchte«), dieses Konzept für den nichtklinischen Bereich in seiner Vielfalt darzustellen, also für verwandte Felder wie Beratung, Coaching, Supervision, Training etc. Er tat sich mit Martin Weckenmann zusammen, und beide begannen, an der Konzeption des Buches zu arbeiten. Da sie sowohl bei Gunther Schmidt als auch bei Bernhard Trenkle ihre Aus- und Fortbildungen absolviert hatten, lag es nahe, mit ihnen Kontakt aufzunehmen, um abzuklären, welche Chancen eine solche Publikation haben könnte und auch ob sie bereit wären, einen Beitrag beizusteuern oder potenzielle Autoren zu benennen.

Wie es der Zufall wollte, hatte Bernhard Trenkle im Februar 2010 ein Seminar im Raum Wien, wo er sich mit Werner Leeb traf und beide ihre Buchideen austauschten. Die Autorenlisten der geplanten Werke waren weitgehend deckungsgleich. Was lag näher, als zusammenzuarbeiten? Im Verlauf des Gesprächs reifte schließlich der Entschluss, Referenten des Kongresses auf ihren nichtklinischen Einsatz des hypnosystemischen Ansatzes anzusprechen und sie als Autoren zu gewinnen. Außerdem sollte das Buch Gunther anlässlich seines 65. Geburtstages gewidmet sein – als Hommage an den Gründer des hypnosystemischen Ansatzes. Da Buchproduktionen jedoch mehr als ein halbes Jahr Zeit in Anspruch nehmen, wurde Gunthers 66. Geburtstag im Juli 2011 als Erscheinungstermin ins Auge gefasst – und damit auch gleich ein erster, provisorischer Titel: Mit 66 Jahren, da fängt das Leben an … als Zitat aus Udo Jürgens’ bekanntem Song. Was passte besser auf Gunther mit seinem unermüdlichen Ideenreichtum und seiner Initiative. Jedenfalls – eine Buchidee war geboren!

In der Folge präsentierten wir unser Konzept dem Carl-Auer Verlag, dem die Idee ausnehmend gut gefiel. Wichtig war uns, keine »Festschrift« zu gestalten, sondern dezidiert ein Buch mit praktischem Nutzen für die Leser, jedoch mit Widmung an Gunther. Um ihn mit dem Buch zu überraschen, wurde unter »Verschwiegenheitsgebot« mit zahlreichen Autoren (überwiegend Vortragenden des Kongresses »Mentale Stärken«) Kontakt aufgenommen. Angesichts der durchwegs hohen Auslastung der Gefragten waren wir über die Resonanz und Bereitschaft, Artikel beizusteuern, überrascht – ja, es meldeten sich sogar mehr, als wir geplant hatten – was auch den nunmehr stattlichen Umfang des Werkes erklärt.*

Da eine Hommage auch ein wenig mehr den Menschen Gunther Schmidt darstellen soll, haben einige Autoren auch einen persönlichen Bezug zu ihm und zur Entstehung des hypnosystemischen Ansatzes hergestellt, angefangen bei Helm Stierlin, dem Grandseigneur der Heidelberger systemischen Schule, in seinem Geleitwort zu diesem Buch. Bernd Schmid, langjähriger Weggefährte und 1979 »Kommilitone« bei Erickson, war bereit, die Leser in den Werdegang und die »Träume und damit Seele« Gunthers blicken zu lassen (was dieser dankenswerterweise zur Veröffentlichung freigab) – ganz nach dem Motto: »Was hat Gunther Schmidt zu dem werden lassen, der er heute ist?«

Das Buch gliedert sich in vier Hauptteile mit unterschiedlichen Schwerpunkten:

•Teil 1: Grundlagen des hypnosystemischen Ansatzes

•Teil 2: Hypnosystemische Beratung in unterschiedlichen Kontexten

•Teil 3: Hypnosystemisches Coaching & Spitzenleistung

•Teil 4: Hypnosystemische Methoden und ihr vielfältiger Einsatz

Der erste Teil widmet sich den Grundlagen des hypnosystemischen Ansatzes. Hier stellt Gunther Schmidt selbst einen short cut seines Ansatzes vor und beschreibt, wie er ihn versteht. Gerald Hüther und Klaus-Dieter Dohne stellen eine Verbindung des Ansatzes zu Ergebnissen der Hirnforschung her und weisen darauf hin, welche Herausforderung jede Weiterentwicklung bedeutet. Karl-Ludwig Holtz arbeitet mit seinem »LoB«-Konzept eine Differenzierung zwischen Lösungsfokussierung und Lösungsorientierung heraus. Jeff Zeig, Präsident der Milton Erickson Foundation, stellte uns einen Beitrag zum Erickson’schen Hypnoseansatz zur Verfügung, der auf eine der Wurzeln des hypnosystemischen Ansatzes verweist.

Der zweite Teil des Buches zeigt den Einsatz des hypnosystemischen Ansatzes in unterschiedlichen Kontexten: Martin Busch widmet sich der »Selbstentwicklung« – einer Fortentwicklung des Feldenkrais-Ansatzes – und geht der Frage nach, wie dort Hypnosystemisches angewandt werden kann. Klaus-Diethart Hüllemann, der Gründungspräsident des Deutschen Netzes Gesundheitsfördernder Krankenhäuser (DNGfK), zeigt Einsatzmöglichkeiten im Bereich der Medizin auf. Anne Lang stellt anhand des Bonner Ressourcen-Modells Anwendungsmöglichkeiten im Bereich der Supervision von Teams vor. Werner Leeb widmet sich in seinem Beitrag dem mediativen Einsatz im Rahmen eines Konfliktcoachings zwischen Führungskraft und Mitarbeiter. Ortwin Meiss beleuchtet anhand konkreter Beispiele die hypnosystemische Förderung von Selbstorganisation im Klientensystem. Peter Nemetschek schließt diesen Teil des Buches mit einem Blick auf die Balance zwischen Beruf und Familie.

Im dritten Teil richtet sich der Blick auf den Einsatz des hypnosystemischen Ansatzes im Coaching sowie bei der Erzielung von Spitzenleistungen im Sport und im Management. Reinhold Bartl eröffnet den Reigen mit dem Blick auf Business-Coaching mit Klienten in überkomplexen Systemen und zeigt, wie eine hypnosystemische Zugangsweise hier hilfreich sein kann. Louis Cauffman lehrt anhand praktischer Beispiele den »Tanz der fünf Schritte« im Sinne eines lösungsorientierten Coachings. Sportlichen Spitzenleistungen, hier konkret dem Golfspiel, widmet sich der Beitrag von Bruno Hambüchen, der sich bei der Arbeit mit einem angehenden Golfprofi über die Schulter sehen lässt. Eberhard Hauser führt uns in die Vorstandsetage eines Großunternehmens und lässt uns teilhaben an einem Teamcoaching über mehrere Sitzungen hinweg. Wie Spitzenleistungen erbracht werden können, ohne dass die Seele Schaden nimmt, erfährt man in Matthias Mendes Beitrag zur »Ökologie der emotionalen Grundbedürfnisse«. Martin F. Weckenmann schließt den Kreis, indem er sich den Prinzipien und Grundlagen des hypnosystemischen Coachings zuwendet.

Der vierte Teil des Buches widmet sich hypnosystemischen Methoden und deren vielfältigem Einsatz in klinischen wie nichtklinischen Bereichen. Danie Beaulieu demonstriert anhand zahlreicher Beispiele, wie »Impact-Techniken« Bewegung und Veränderung bei Klienten entstehen lassen. Peter Hain zeigt in seinem Beitrag, wie Humor in Beratungssituationen zu Entkrampfung und Entwicklungsschüben führen kann. Lebensübergänge prägen unterschiedlichste Phasen unseres Lebens, nicht immer friktionsfrei – Susy Signer-Fischer zeigt, wie sie mittels hynosystemische Interventionen besser gelingen können. Karl-Josef Sittig stellt – in diesem Buch erstmals publiziert – seine Interferenzmethodik vor, eine hocheffiziente Verbindung von hypnosystemischen, traumatherapeutischen sowie energiepsychologischen Techniken. Bernhard Trenkle widmet seinen Beitrag der Verordnung von Hausaufgaben und ihrer Wirkung auf Klienten und Beratungsprozesse. Das Ende dieses vierten Teils bildet ein Betrag von Charlotte Wirl zum Einsatz von Metaphern und der Arbeit mit Ego-States im Beratungsprozess.

Den »Schlussakkord« dieses Buches schlägt Bernd Schmid mit seinem sehr persönlichen Beitrag über Gunther Schmidt an.

An dieser Stelle möchten wir als Herausgeber Gunther Schmidt danken für seinen bewussten und unbewussten förderlichen und konstruktiven Einfluss, den er immer wieder auf unser Leben genommen hat, sei es als Freund und Wegbegleiter oder als »Lehrer«.

Den werten Lesern wünschen wir viel Freude an und konkreten Nutzen von diesem Buch – fühlen Sie sich frei, es zu nutzen, wie es ihrem eigenen bewussten oder unbewussten Streben entspricht, sei dies seriell – Seite für Seite – oder/und nach Lust und Laune, je nachdem, welcher Beitrag oder Titel Sie heute gerade besonders anspricht …

Werner A. Leeb, Bernhard Trenkle und Martin F. WeckenmannWien/Rottweil, März 2011

*Der Realtitätenkellner erschien zur 3. Tagung »Mentale Stärken« (www.mentalesstaerken.de), die alle 3–4 Jahre in Heidelberg stattfindet. Die Autoren des Buchs gehören zu den Stammreferenten dieser besonderen Tagung.

Geleitwort

Im Jahre 1974 kehrte ich aus den USA nach Heidelberg zurück, wo ich von 1946 bis 1952 gelebt und studiert hatte. Und hier kam ich auch bald in Berührung mit einem anderen USA-Heimkehrer, mit dem ich mich nun schon über Jahrzehnte freundschaftlich verbunden fühle. Das war Gunther Schmidt.

Als Heimkehrer hatten wir etwas gemeinsam: Uns beiden war in den USA der Name Erickson zu einem wichtigen Begriff geworden. Wobei es mir eine Zeit lang schwerfiel, nicht auch an Erik Erikson zu denken, mit dessen Werk ich im Verlauf meiner Ausbildung zum Psychoanalytiker vertraut wurde. In den damaligen maßgeblichen psychiatrischen und psychoanalytischen Kreisen war dieser Erikson fast zu einer Kultfigur aufgestiegen. Das galt jedoch nicht für den Psychiater und Psychotherapeuten Milton Erickson. Eher im Gegenteil. Denn unter den Psychiatern, mit denen ich damals verkehrte, war dieser Erickson keineswegs geschätzt. Es war die Rede von einem Mann, der noch oder wieder die Hypnotherapie aufleben ließ, obschon doch, so meinten die meisten meiner Kollegen, Freud diese Form von Psychotherapie als unwissenschaftlich und wenig wirksam verabschiedet hatte. Wobei wir uns erinnern dürfen: Damals war in den USA eine psychoanalytische Ausbildung für einen fortschrittlichen und um sein Fortkommen bemühten Psychiater ein Muss. Kein Wunder daher auch, dass in psychiatrischen Kreisen nicht wenige Stimmen laut wurden, die den Ausschluss Milton Ericksons aus der amerikanischen psychiatrischen Gesellschaft verlangten. Dazu kam es jedoch nicht.

Allerdings: Je mehr ich von der Arbeitsweise Milton Ericksons erfuhr, umso mehr wuchsen in mir die Neugier und der Wunsch, diesen Psychotherapeuten in einem seiner Seminare näher kennenzulernen. Leider erfüllte sich dieser Wunsch für mich nicht mehr, denn Erickson verstarb, bevor ich mich bei ihm anmelden konnte. Aber er erfüllte sich für Gunther Schmidt. Noch kurz vor Ericksons Tod konnte er diesen ungewöhnlichen Menschen als Seminarleiter erleben. Und was dieses Erlebnis in ihm bewirkte, vermittelt sich mir nicht zuletzt in dem Nachwort, das er für die deutsche Ausgabe der von William Hudson O’Hanlon und Angela L. Hexum gesammelten 316 Fälle Milton H. Ericksons schrieb.

In diesem Nachwort entwirft Gunther Schmidt ein Bild der menschlichen Seele, das offenbar Ericksons therapeutisches Vorgehen leitete. Ähnlich wie bei Freud haben darin die unbewussten oder nun auch: die unwillkürlichen Geschehnisse eine besondere Bedeutung. Aber aus dieser Bedeutung ergibt sich für Erickson eine andere Bewertung vieler psychischer wie auch somatischer Symptome, und es ergibt sich damit auch ein anderes therapeutisches Vorgehen, als dies sich für Freuds Psychoanalyse ergab. Das verdeutlicht sich vielleicht am ehesten an einem Vergleich mit der Weise, wie Freud in seinem Modell der menschlichen Seele die Begriffe »Über-Ich«, »Ich« und »Es« definiert und aufeinander bezieht und dabei das Es als Quelle einer Triebhaftigkeit kennzeichnet, die von einem starken Ich und Über-Ich gezügelt werden muss. Er charakterisiert dieses Es als den »dunklen, unzugänglichen Teil unserer Persönlichkeit, von dem wir wenig wissen und wovon das meiste einen negativen Charakter hat«. So sprach Freud vom Es auch als von einem Chaos und einem Kessel voll brodelnder Erregungen. Insgesamt spiegeln sich in diesem Modell Vorstellungen von einer in der Seele wirksamen autokratischen Ordnung, die allerdings stets bedroht ist. Demgegenüber lässt uns das, was Gunther Schmidt, inspiriert von Milton Erickson, beschreibt und tut, eher an ein demokratisch geprägtes Modell der Seele denken, in dem sich mehrere eng miteinander verflochtene innerpsychische Parteien zur Wirkung bringen. Diese sehen sich auch immer wieder herausgefordert, miteinander zurechtzukommen und sich zu versöhnen. Und wobei nun der Partei des Es als der Vertretung unserer komplexen und unwillkürlichen Körperbedürfnisse und Körperprozesse eine besonders wichtige Funktion zukommt. Sehr vereinfacht ausgedrückt, bedeutet das: Durch die Es-Partei signalisiert der Körper nicht so sehr, was in ihm außer Kontrolle geraten kann, was daher einer strengen Überwachung bedarf und was überhaupt im Körper defizitär, krank und pathologisch ist, vielmehr wird die Aufmerksamkeit vor allem auf ungenutzte Ressourcen und auf Kraftquellen gelenkt, deren Nutzung und Stärkung dann auch einen Zuwachs an persönlicher Autonomie mit sich bringen.

Solch eine Vorstellung vom menschlichen Innenleben und von menschlicher Autonomie ist nicht jedermanns Sache. Für viele Normalbürger auch im Bereich der Psychotherapie bezeugt sich Autonomie eher in der Fähigkeit und Bereitschaft des Individuums, einen krank machenden inneren Schweinehund erfolgreich zu bekämpfen, als in der Fähigkeit und Bereitschaft, in dem, was auf den ersten Blick krankhaft oder auch schweinisch anmuten mag, eine Ressource und einen Schlüssel zur Lösung unlösbar scheinender Probleme zu suchen und zu erkennen.

Als ich mit Gunther Schmidt vor Jahren in der von mir geleiteten Abteilung der Heidelberger Universität zusammenarbeitete, konnte ich immer wieder beobachten, wie er gerade diese Form der Autonomie sowohl vorlebte als sie auch in seinen Klienten anzusprechen und zu fördern verstand. Das war nicht zuletzt auch dann der Fall, wenn es sich um Klienten handelte, die uns mit der Diagnose einer schweren psychotischen Erkrankung zugewiesen worden waren. So ließ gerade er nicht locker, wenn es darum ging, ihre psychotische Symptomatik nicht nur als Ausdruck und Folge von Pathologien und Defiziten, sondern vor allem als Ausdruck und Folge von innerpsychischen und intersubjektiven Zwickmühlen und, damit einhergehend, von positiven Kräften und Ressourcen zu verstehen, die jedoch gleichsam verquer zur Wirkung gelangten. Wenn ich mich recht erinnere, vertrat besonders er diese Sicht, als wir uns angewöhnten, bei den Verhaltensweisen unserer bipolaren Klienten im Falle einer Depression von exzessiver Ordentlichkeit und im Falle einer Manie von exzessiver Unordentlichkeit zu sprechen, das heißt, von Verhaltensweisen, die normalerweise auch Gutes an sich haben, jedoch unter bestimmten Bedingungen sich übersteigern und aus dem Ruder geraten können. (Genaueres dazu lässt sich in unseren diesbezüglichen Publikationen nachlesen.) In unserem Team verstand es auch speziell Gunther Schmidt, solche Sicht den Klienten und ihren anwesenden Familienangehörigen in einer Weise zu vermitteln, die diese sich sowohl verstanden als auch wertgeschätzt fühlen ließ.

Und dies war in meiner Erinnerung noch mehr der Fall, als Gunther Schmidt nach meiner Emeritierung seine Form einer gleichsam unterschwellig hypnotisierenden systemischen Therapie weiterentwickelte und sie nunmehr in verschiedensten Kontexten anwendete und lehrte. Als das zentrale Merkmal dieser Therapie sehe ich heute mehr denn je das Faktum, dass sie bei den Klienten in oft erstaunlich kurzer Zeit zu Unterschieden verhilft, die einen Unterschied machen, und dabei die als krankhaft erlebten Symptome mindern oder verschwinden lässt, und dies eben vor allem dadurch, dass sie die Aufmerksamkeit der Betroffenen offen oder verdeckt auf Ressourcen und Lösungen in Bereichen lenkt, in denen bislang von Pathologien und Defiziten die Rede war.

Diese Haltung und dieses therapeutische Vorgehen haben Gunther Schmidt, wie ich meine: zu Recht, inzwischen viel Anerkennung eingetragen, was sich nicht zuletzt auch an den Beiträgen zu diesem Band zeigen dürfte. Und sie haben auch dazu geführt, dass er als Redner und Seminarleiter immer öfter auch dann ausgebucht ist, wenn man sich mit ihm ungestört und freundschaftlich unterhalten möchte. Aber sie haben insgesamt ebenfalls zu einer problematischen Situation beigetragen, die unser derzeitiges Gesundheits- und Versicherungssystem oder, vielleicht genauer: die unsere derzeitige Gesundheits- und Versicherungsbürokratie kennzeichnet. Das ist die Tatsache, dass sich in dieser Bürokratie, was psychische und psychosomatische Störungen anbelangt, Vorstellungen von Pathologie und Krankheit fest etabliert und verhärtet haben, die oft auch eine lange Behandlung nahelegen. Das schafft mehr Übersichtlichkeit, reduziert damit Komplexität und bewirkt in vielen Fällen auch mehr finanzielle Sicherheit für die behandelnden Ärzte und Psychotherapeuten. Aber es macht das Leben für innovative Geister wie Gunther Schmidt nicht unbedingt einfacher – besonders dann nicht, wenn diese Geister in weiten Kreisen für Unruhe sorgen, indem sie auch Kliniken gründen oder leiten, denen solche Pathologieorientierung abgeht.

Und doch: Gerade Gunther Schmidt liefert in meiner Sicht ein Beispiel dafür, wie viel Gutes solch Unruhestiften auch bewirken kann.

Helm Stierlin

IGrundlagen des hypnosystemischen Ansatzes

Berater als »Realitätenkellner« und Beratung als koevolutionäres Konstruktionsritual für zieldienliche Netzwerkaktivierungen – Einige hypnosystemische Implikationen

Gunther Schmidt

Einleitung

Der Begriff »hypnosystemisch« wurde von mir 1980 geprägt für das von mir entwickelte Modell, welches systemisch-konstruktivistische Ansätze mit den Konzepten der ericksonschen Hypnotherapie zu einem konsistenten Integrationskonzept ausbaut, wobei es auch hilfreiche Aspekte aus anderen Ansätzen mit einbezieht, die damit kompatibel sind, z. B. aus Psychodrama, Körpertherapien, Imaginationsverfahren u. a. Innerhalb der konsistenten Logik dieses Modells konnten viele neue Interventionen entwickelt werden, die sich in der Praxis als sehr wirksam bewährt und sich schnell im Bereich von Psychotherapie, Beratung, Coaching, Team- und Organisationsentwicklung, Führung und allgemeiner Lebensgestaltung verbreitet haben.

Eine besondere Stärke des Ansatzes liegt darin, alle Interventionen »maßgeschneidert« abzustimmen auf die einzigartigen Selbstorganisationsprozesse und Kontextbedingungen der Klienten und Klientinnen. Dies gewährleistet ein sehr systematisches, zielorientiertes Arbeiten sowohl mit interaktionellen als auch mit internalen, intrapsychischen Organisationsmustern und Erlebnisprozessen.

Manchmal werden die hypnosystemischen Konzepte so missverstanden, als ob es dabei nur darum ginge, alle Aufmerksamkeit auszurichten auf die gewünschten Ziele (Wunderfragen) und dann auf die Erfahrungsmuster im bisherigen Leben, die dafür wirksam werden könnten (»Ausnahmen vom Problem«, Muster des Gelingens), und man Fokussierungen auf Probleme tunlichst vermeiden sollte. Weiter wird oft postuliert, Berater sollten sich nur beziehen auf das, was die Klienten einbringen, und keine eigenen Ideen und Vorschläge unterbreiten, weil sie damit nur den autonomen Prozess der Klienten trüben oder behindern würden. Der Beitrag hier soll auch dafür dienen, solche irrtümlichen Gleichsetzungen mit einer aus meiner Sicht ohnehin zu kurz fassenden Interpretation des lösungsfokussierenden Ansatzes von de Shazer aufzulösen. Hier können aber nur sehr komplexitätsreduziert einige Basisprämissen und einige wichtige Implikationen des Ansatzes für praktisches Vorgehen dargestellt werden. Für umfassendere Darstellungen siehe z. B. Schmidt (2004, 2005; Schmidt et al. 2009).

Einige Basisannahmen

Einige Basisannahmen dabei sind z. B.:

•Alles Erleben wird jeweils ständig neu erzeugt, jede Realität wird also konstruiert – durch Prozesse der Aufmerksamkeitsfokussierung. Diese geschieht mit unseren fünf Sinnen (visuell, auditiv, kinästhetisch, olfaktorisch, gustatorisch), wobei der weit überwiegende Teil unbewusst und unwillkürlich abläuft. Je nachdem, wohin und wie die Fokussierungsprozesse gestaltet werden, erleben Menschen auch immer wieder ein unterschiedliches »Ich« – d. h. das Erleben, welches jeweils als »Das bin ich …« wahrgenommen und beschrieben werden kann. Wir sind also alle multiple Persönlichkeiten mit vielen Ichs.

•Dies ist aber von Beginn unseres Lebens an immer ein interaktioneller Prozess, das Ich entwickelt sich interaktionell, als ständiger Rückkoppelungsprozess mit der Umwelt, mit Beiträgen anderer und sonstigen Umwelteinflüssen, auf die dann wieder aktiv geantwortet wird. Wenn also jemand sagt, »Ich nehme es wahr«, ist dies nie die quasifotografische Abbildung dessen, wie »es ist«, sondern immer schon eine selbstorganisierte autonome Leistung, fokussierend Reize auszuwählen und sie so zu verarbeiten, dass erst entsteht, was ich »Wahrnehmung« nenne. Deshalb habe ich auch vorgeschlagen, solche Prozesse »Wahrgebung« zu nennen. (Die Neurobiologie belegt dies mit vielen Beispielen, siehe z. B. Metzinger 2009; Grawe 2005).

•Wir sind also eingebettet in ein dialektisches bzw. multilektisches Wechselspiel (wie in einem Tanz), bei dem wir einerseits autonom gestalten und gleichzeitig nicht ganz unabhängig davon sein können. Deshalb kann sich auch niemand darauf zurückziehen, dass z. B. Klienten alles, was Berater anbieten, autonom verarbeiten und aus diesem Grund der Berater keine Verantwortung dafür hätte. Für die Verarbeitung ist der Empfänger der Botschaft verantwortlich, aber der Sender hat als relevante »Umwelt« des Empfängers sehr wohl die Verantwortung dafür, welche Umwelt er darstellt, denn das trägt zum Auswahlprozess bezüglich der Antworten Wichtiges bei, gerade in Kontexten wie Therapie bzw. Beratung, in denen sich z. B. Klienten exponieren.

•In unserem unbewussten Erlebnisrepertoire werden alle emotional »geladenen« Erlebnisprozesse als eigenständiges Erlebnisnetzwerk gespeichert (Episodengedächtnis). Wir haben also viele Vergangenheiten (Episoden) und viele Zukünfte in uns. Je nachdem, welche davon gerade in uns »feuern«, erleben wir diverse Gegenwarten. Werden (und sei es nur unbewusst) in gegenwärtigen Situationen Ähnlichkeiten mit bestimmten Elementen früherer Netzwerke erlebt (z. B. Geruch, Musik, Mimik etc.), können diese früheren Netzwerke ganz oder teilweise in der Gegenwart reaktiviert werden (hebbsches Gesetz: Zellen, die miteinander feuern, vernetzen sich, und vernetzte Zellen feuern wieder miteinander).

•Solche Netzwerke, die den Erlebenden üblicherweise ja zum größten Teil unbewusst bleiben, können mit hypnosystemischen Modellen systematisch und detailliert beschreibbar und damit auch in ihren zentralen Aspekten bewusst erfassbar gemacht werden. Sie setzen sich z. B. (immer in Wechselwirkung, wobei kein Element »Ursache« für andere Elemente ist) zusammen aus Elementen wie: Körperkoordination, Atmung, jeweiligem Fokus auf Empfindungen, Alters-, Größen-, Raum- und Grenzenerleben, Art und Inhalt der Beschreibung von Phänomenen, auf die fokussiert wird, ihren Benennungen, Erklärungen, Bewertungen und Schlussfolgerungen, die daraus gezogen werden, auf damit assoziierte Emotionen, die Art innerer Dialoge und der Dynamik diverser innerer »Seiten« bzw. Anteile etc., auf die Art der Selbstbewertung und des Umgangs mit sich selbst, des Vergleichs mit anderen, des Verhaltens, die Art und den Inhalt der Kommunikation, der Erwartungen an sich und andere, die Art von Zielkonstruktion, der Assoziation mit Erinnerungen (positiven oder negativen) und entsprechenden Zukunfts- »Filmen«, die Art, wie nahe der Erlebende das Erlebte an sich heranlässt (Assoziation/Dissoziation), darauf, welches metaphorische Erleben damit einhergeht, welche Lösungsversuche gemacht werden, zu welcher Zeit, an welchem Ort, mit welchen Beteiligten etc.

•Mit gezielten Fragen können auch die gravierendsten Problemmuster schnell rekonstruiert und damit bewusster Beeinflussung zugänglich gemacht werden. Da diese Zusammenhänge aber den Klienten bisher fast nie bekannt waren, müssen solche hilfreichen Interventionen praktisch immer von den Therapeuten bzw. Beratern aktiv eingebracht werden, auch ohne Aufforderung durch Klienten.

•Solche Netzwerke (diverse Ichs) können sowohl autonom von innen aktiviert als auch – was oft geschieht – durch Reize von außen (Situationsfaktoren, Verhalten, Kommunikation von anderen etc.) angeregt werden. So können von gleichen Individuen ganz unterschiedliche soziale Systeme mit unterschiedlichen Wechselwirkungen, Regeln und Ergebnissen gebildet werden – Problem- und Lösungssysteme (je nach Kriterien der relevanten Beobachter dieser Prozesse).

•Im Gehirn wirken immer die Bilder und sonstigen Prozesse, die gegenwärtig feuern, so, dass sie das gegenwärtige Erleben erzeugen. Auch dann, wenn ich z. B. hypothetische Gedankenspiele mache und mich intensiv darin hineinversetze (assoziiere), setzen das Gehirn und der Organismus diese Bilder so um, dass sie sie zur momentan dominierenden Wirklichkeit machen und auch z. B. Muskeltätigkeit, Hormonregulierung, Blutdruck, Puls, Atmung, Emotionen, Körperkoordination etc. dementsprechend gestalten. So erzeugen wir unser Erleben immer selbst, auch wenn es uns so vorkommt, als ob unser Erleben nur die Wirkung von Außeneinflüssen oder von Impulsen von innen wäre, auf die wir keinen Einfluss hätten.

•Erlebt jemand ein Problem und will das ändern, ist es deshalb vorrangig wichtig, die gewünschten Lösungsprozesse zu verstehen, denn indem man diese imaginiert, können sie schon tendenziell erlebte Wirklichkeit werden, sogar schon dann, wenn man das »Problem« gar nicht verstanden hat.

•Das Problemmuster zu verstehen kann dennoch wichtig werden, damit weitere Informationen erzeugt werden, welche die Lösung verstärken, was es ermöglicht, z. B. das damit verbundene leidvolle Erleben zu würdigen und eine tragfähigere Kooperationsbeziehung aufzubauen; oder besser achtsam werden zu können für Auslösereize für das Problemmuster, die man dann konstruktiver beantworten kann; oder diese weiteren Informationen können wichtige Informationen über Ziele und Bedürfnisse sein, die sich im Problemmuster verdeckt melden, die dann übersetzt, positiv umgewertet und für eine tragfähige Lösung mit berücksichtigt werden können.

•Außerdem können Problemmuster derart absorbierend und automatisiert wirken, dass es sehr schwer für Betroffene wird, einfach durch Umfokussierung auf Lösungsmuster das Problem zu transformieren. Wesentlich wirksamer kann es dann sein, systematisch das Problemmuster zu rekonstruieren, dadurch eine steuernde Metaposition aufzubauen und so das Erleben hilfreich umgestalten zu können.

Aus diesen Prämissen ergeben sich einige zentrale Implikationen, z. B.:

Utilisation

Wenn alles Erleben erzeugt wird durch Aufmerksamkeitsfokussierung, sollte jedes Beratungsgespräch, jede Interaktion generell zum Ritual zieldienlicher Fokussierung werden. Dafür sollten alle Interaktionen und Kommunikationsprozesse so gestaltet werden, dass sie Kompetenzen der Klienten und Klientinnen erlebbar machen, welche zieldienlich für ihre Anliegen wirken. Und alle Schilderungen von »Problemen« und Prozessen, die bisher als Defizit erlebt wurden, sollten so übersetzt werden, dass sie verstehbar werden als kompetente Botschaften über einen Mangel und damit als Wissen über das, was gebraucht wird, also als wichtige und wertvolle Feedbackschleifen aus dem intuitiven Wissen der Klienten (Utilisation).

Da jede Realität konstruiert wird, ergibt sich die verpflichtende Aufgabe in Beratung und Therapie, jeden Beitrag (sowohl von Klienten als auch den Professionellen selbst) zu utilisieren. Das Konzept der Utilisation heißt, dass jedes in der Kooperation auftauchende Phänomen so beschrieben, benannt, erklärt, bewertet und so damit umgegangen wird, dass dies zieldienlich wirken kann. Kooperiert z. B. (aus der üblichen Sicht von Beratern) ein Klient nicht, sollte dies behandelt werden als ein anerkennenswerter Kooperationsbeitrag in dem Sinne, dass der Klient damit kommuniziert, dass er berechtigte Bedenken hinsichtlich der Kooperation hat oder andere Angebote braucht und dies kompetent zurückmeldet.

Oder: Wenn jemand z. B. fast nur auf Defizite fokussiert und bei jedem Hinweis darauf, dass man Kompetenzen bei ihm erlebt, mit »Ja, aber …« antwortet und jammert, »ist« dies aus dieser Perspektive kein Problem. Hypnosystemisch ergibt sich die Aufgabe, sich den Kontext auszumalen, in dem diese Beiträge als Kompetenz verstanden werden könnten. Dies geht am ehesten, wenn die Frage nach dem Wofür gestellt und beantwortet wird (also für welche Anliegen dessen, der die Phänomene »produziert«), anstatt sich mit dem Warum zu beschäftigen. Dann zeigt sich meist schnell, dass solche Phänomene wie Jammern, Defizitfokussierung etc. sehr wohl verstanden werden können als anerkennenswerte Lösungsstrategien (Lösungsversuche), die dazu dienen, z. B. Bindung herzustellen (Jammern) (siehe dazu z. B. auch Jonas 1992), Wertschätzung für Erlittenes zu erwirken und als Sicherheitshaltung (LeDoux 2001) vor Enttäuschungen und Überforderungen zu schützen (z. B.: »Ja, aber …«). So erscheint es ethisch verpflichtend, kongruent achtungsvoll (das soll nicht als strategischer Trick missverstanden werden) praktisch jedes angebotene und erlebte Phänomen so zu utilisieren, dass sich daraus die größtmöglichen Chancen ergeben dafür, kompetenzfokussierende Wahrnehmungsprozesse zu gestalten, die dann wieder helfen, diese Kompetenzen zu merken und zu reaktivieren aus dem »schlummernden Potenzialrepertoire« im Unbewussten der Beteiligten.

Aufbau des Beratungssystems als zieldienlichen, würdigenden, als sinnvoll erlebten und motivierenden Systems der Kompetenzfokussierung

Damit eine Beratung bzw. Therapie optimal wirksam werden kann, muss schon vor einer üblichen Anamnese und vor einem direkten Einstieg in die Anliegen der Klienten systematisch ein zieldienliches Kooperationssystem mit ihnen aufgebaut werden (Kybernetik 2. Ordnung). Dies ist nicht dadurch gewährleistet, dass jemand in die Beratungssituation kommt. Viele Kontakte werden initiiert durch Dritte (Vorgesetzte, Institutionen wie z. B. Jugendamt etc. oder durch Familienmitglieder, die Druck ausüben). Dadurch wird der Beratungskontext im Erleben der direkten Klienten oft als entwürdigendes Unterwerfungs- oder Abwertungsritual erlebt. Wenn Berater dann gleich mit ihrer üblichen Beratungsarbeit beginnen, können sie erscheinen als Parteigänger derer, von denen sich die Klienten als abgewertet erleben. Die angebotenen Interventionen werden dann meist eher destruktiv verarbeitet. Deshalb müssen schon zu Beginn die eigenen Sichtweisen der Anwesenden gewürdigt werden, auch solche, die sich abwertend gegen Beratung richten. Solche kritischen Positionen sollten als kompetente, anerkennenswerte Beiträge im Dienste der Würde und Autonomie der Klienten behandelt werden, die Beratung selbst muss zur Disposition gestellt werden, und dann muss achtungsvoll geprüft werden, was die Klienten bräuchten, um in für sie stimmiger Weise kooperieren zu können.

Wenn dies erfolgt ist, müssen Ziele ausgehandelt werden, die von den Klienten selbstwirksam erreicht werden können. Aus hypnosystemischer Sicht kann man keine generellen Aussagen machen wie »Jemand ist kompetent«. Man »ist« nicht kompetent oder inkompetent (so allgemein ausgedrückt), denn jedes Phänomen kann sich als Kompetenz oder als Inkompetenz erweisen, je nachdem, ob es sich für bestimmte Ziele effektiv auswirkt und als kontext- und systemverträglich erlebt wird oder nicht. Deshalb wird zur zentralen Aufgabe der Kooperation, sehr genau zusammen mit den Klienten zu prüfen, ob die Ziele, die sie sich für die Kooperation setzen, in Selbstwirksamkeit erreichbar sind oder nicht. In der Praxis der Beratung erweist es sich, dass zunächst die meisten Ziele, mit denen sich die Klienten intensiv identifiziert haben, in ihrer bisherigen Form nicht selbstwirksam erreichbar sind und deshalb nachverhandelt werden müssten. Dies führt oft zu Zwickmühlen für die Berater bzw. Therapeuten. Denn die Klienten sind mit den nicht selbst erreichbaren Zielen zunächst stark emotional identifiziert, von ihnen kommt fast nie die Idee, die Ziele zu ändern. Lässt man als Berater dies einfach so stehen, verstärkt man die Muster, die ja gerade zur Problemdynamik beigetragen haben. Schlägt man aber hier Änderungen der Ziele vor, könnte dies von Klienten als Zurückweisung erlebt werden und sie verprellen. Ohne ändernde Angebote von Beratern wird diese Zwickmühle selten auflösbar.

Beratung mit oder ohne Ratschlag?Zum Begriff des Realitätenkellners und ein Plädoyer für transparente Feedbackkultur

Hypothesen und eigene Vorschläge von Beratern – ein Problem oder Teil der Lösung? Der »Realitätenkellner« und »Gunthers erstes ethisches Postulat« für Berater

Die Zwickmühlen vermehren sich für Berater durch bestimmte Annahmen mancher lösungsfokussierender Konzepte. Oft wird die Forderung gestellt, man solle als Berater auf keinen Fall Ratschläge geben, ja sogar vermeiden, Hypothesen zu bilden (siehe z. B. Radatz 2000). Diese Positionen werden von Äußerungen von de Shazer abgeleitet, der öfter in Seminaren Statements abgab wie z. B.:

»Wenn ein Berater merkt, dass er Hypothesen während der Beratung bildet, sollte er das wie einen Anfall von Kopfschmerz behandeln, zwei Aspirin nehmen, sich in die Ecke setzen und warten, bis es vorbeigeht.«

Leider orientieren sich noch immer viele Berater an solchen Äußerungen. Wer dies aber tut, verlangt quasi von sich Ähnliches, als ob er Beratung machen wollte, ohne zu atmen. Denn kein Mensch kann je verhindern, dass er Hypothesen bildet, selbst wenn er das bewusst vermeiden will. Denn im limbischen System werden ständig unwillkürlich Hypothesen gebildet, indem bisherige Erfahrungen verglichen werden mit dem, was wir gerade wahrnehmen (z. B. auf Ähnlichkeiten hin), mit dem Ziel, daraus blitzschnell emotionale, kognitive und Verhaltensreaktionen abzuleiten. Dies hat im Laufe der Evolution erst das Überleben gesichert und ist völlig unvermeidlich. Erwartet man von sich, dass dies nicht mehr geschehen solle, setzt man sich Ziele, die man nicht erreichen kann, bringt sich in Stressdynamik und behindert damit die Aktivierung optimaler Kompetenzmuster.

Gerade Steve de Shazer, den ich im Laufe unserer über 20- jährigen Freundschaft und intensiver Kooperation als einen äußerst klugen und philosophisch sehr gebildeten Menschen schätzen lernen konnte, war sich übrigens sehr klar darüber, dass die Äußerung »Man sollte keine Hypothesen bilden …« selbstverständlich eine Hypothese ist – und diese Äußerung damit dem Paradoxon vom Kreter gleicht, der sagt, alle Kreter lügen. Und Fragen wie die »Wunderfrage« oder Skalierungsfragen nach »Ausnahmen vom Problem« sind natürlich das Ergebnis der Hypothese, dass solche Fragen eben für eine Kompetenzaktivierung besser wirken als z. B. Fragen nach vielen Misserfolgserlebnissen. Wenn jemand also die Hypothese, dass man keine Hypothesen bilden sollte, ernst nimmt, unterliegt er in undifferenzierter Weise einem intellektuellen Trugschluss.

Außerdem zeigt es sich in den meisten Fällen, dass Klienten so absorbiert sind in zum größten Teil unbewusst ablaufende Problemmuster, dass von ihnen selbst gar nicht erwartet werden kann, dass sie von sich aus die enorme Sogkraft dieser Muster unterbrechen und transformieren können. Und – verbunden mit einem leidvollen Erleben – es verändert sich fast bei allen Menschen das Bewusstsein in einengender Weise. Es wird dann das »leidende Ich« (der Leid-Ego-State, das Leidnetzwerk) aufgerufen. Damit assoziiert, verengt sich die Wahrnehmung (Schwarz-Weiß-Denken) auf viel Misserfolgs-, Inkompetenzerleben und auf den Glauben, dass Gewünschtes ohnehin nicht erreichbar ist und man keine Kompetenzen dafür habe. Dieses »Ich« kann oft, wenn z. B. »Wunderfragen« und andere kompetenzfokussierende Interventionen angeboten werden, keinen wirksamen Zugang zu »schlummernden« hilfreichen Potenzialen schaffen, weil die einengenden Netzwerke dafür zu sehr dominieren. Die pessimistische Perspektive wird als »Wahrheit«, als quasinaturgesetzlich erlebt. Oft werden kompetenzfokussierende Fragen aus diesem Ich-Prozess heraus sogar als zusätzlicher Druck und Stress erlebt. Dann wird es für die Betroffenen meist schwer bis unmöglich, hilfreiche Unterschiede in die dominierenden Problemmuster des Erlebens einzuführen. Sie drehen sich im Kreise problemstabilisierender Muster.

Hier erscheint es mir geradezu als ethische Pflicht, viele neue Ideen anzubieten, die als Unterschiedsbildungen quasi Licht in das »Dickicht der Problemmuster« bringen können.

Deshalb sollten die Berater von sich aus viele Angebote machen, die aus ihrer Kenntnis der Erlebnisnetzwerke abgeleitet sind (siehe oben bei Basisannahmen) und aus ihrem Wissen, dass solche Muster durch gezielte Unterschiedsbildung hilfreich verändert werden können. Für dieses Wissen sind die Berater hoffentlich Experten, und als solche auch ethisch verpflichtet, dieses Wissen aktiv in die Kooperation einzubringen, auch dann, wenn Klienten dies nicht nachgefragt haben.

Unter bestimmten Umständen könnte dies aber zu Zwickmühlen führen. Bietet ein Berater seine Ideen an (durchaus auch »Tipps« und andere Hypothesen, die er für zieldienlich für die Klienten hält), könnte dies von Klienten so erlebt werden, als wäre der Berater klüger oder würde beanspruchen, besser zu wissen, was für die relevante Realität der Klienten gut sei, als diese selbst. Das würde massiv gegen die wichtigste Zielrichtung der Beratung wirken, die Klienten in ihrer Eigenkompetenz zu stärken und sie als autonome, kompetente Autorität für ihre Lebensgestaltung und auch für die Ziele des Beratungsprozesses kongruent zu würdigen und sich ihnen gegenüber entsprechend zu verhalten.

Die Berater sind nicht Experten dafür, welche Schlüsse, Antworten und Lösungsstrategien die Klienten dann autonom auswählen. Dafür sollten diese respektvoll gewürdigt und unterstützt werden. Ich sage deshalb manchmal zu den Teilnehmern meiner Weiterbildungen im Spaß:

»Eine zentrale Kompetenz von Beratern sollte sein, dass sie sehr klug für Hypothesenbildung und Fragen, aber extrem dumm für Antworten sind.«

Diese »Dummheit« in Bezug auf Antworten fällt allerdings vielen Beratern sehr schwer. Da aber niemals ein kommunikatives Phänomen an sich seine Wirkung und Bedeutung bestimmt, sondern dies durch die Art geschieht, wie man die Beziehung zu diesem Phänomen gestaltet, können die beschriebenen Zwickmühlen sehr zieldienlich aufgelöst werden. In der Kooperation begegnen sich ja Wesen, die ihr Erleben völlig autonom (autopoietisch) selbst organisieren. Die Bedeutung und Wirkung einer Botschaft bestimmt immer der Empfänger, nicht der Sender. Deshalb muss in transparenter Metakommunikation kontinuierlich geprüft werden, wie die Interaktionsprozesse wechselseitig erlebt werden und in welche selbstorganisierten Erlebnisprozesse sie autonom umgesetzt werden. Dazu gehört, dass den Klienten immer ganz transparent alle für ihre Anliegen relevanten Ideen, Hypothesen, Interventionen und die Konzeptzusammenhänge, aus denen sie abgeleitet sind, verstehbar erklärt werden. Ich nenne dies »Produktinformationen«. Und alle Interventionen der Berater müssen kontinuierlich verbunden werden mit Fragen nach ihrer Wirkung bei den Klienten, mit denen sie eingeladen werden, als »kritisch prüfende Autorität« des Prozesses alles auf Stimmigkeit für sich zu messen. Dafür sollten sie ermutigt werden, ihre Körperreaktionen (»somatische Marker« im Sinne von Damasio 1997), die ihnen als gefühltes Wissen Stimmigkeit oder Unstimmigkeit anzeigen, als Kompetenz und als Maßstab für Auswahl und Entscheidungshilfe zu beachten und zu nutzen. Nicht die Berater führen den Prozess, letztlich führen immer die Klienten als Empfänger der Angebote.

Dafür sollte ein Berater zunächst anfragen, ob er den Klienten eigene Ideen etc. anbieten dürfe und ob dieser das Bedürfnis danach bei sich merke. Dann sollte er alle seine Anregungen, Empfehlungen, Ideen klar in Ich-Botschaften transparent eben als Hypothesen kenntlich machen, am besten auch gleich mehrere anbieten (Multiple Choice), aber immer als hypothetische Fragen mit dem Fokus darauf, welche Auswirkungen sie beim Empfänger der Angebote haben würden, wenn er sie hört und womöglich auch noch daraufhin prüft, ob er sie nutzen wolle. Besonders sollte gefragt werden a) danach, wie sich die jeweiligen Angebote auch anfühlen (stimmig/unstimmig), womit ein achtungsvoller Fokus auf den »somatischen Markern« (Damasio 1997) aufgebaut und damit die intuitive, unwillkürliche Rückmeldekompetenz mehr genutzt wird, und b) nach Auswirkungen auf die in der Beratung angestrebten Ziele. So können alle Angebote der Berater sehr effektiv genutzt werden als hilfreiche Unterschiedsangebote, die ganz eigenständige Such- und Findeprozesse der Angesprochenen anregen, und gleichzeitig kann die Position der Klienten als oberste, kompetente Autorität im Beratungsprozess (hinsichtlich ihrer Ziele und des Prozesses für diese) kontinuierlich »inthronisiert« bzw. gestärkt werden.

Zentral dafür ist, dass ein Berater diese Multiple-Choice-Angebote tätigt mit der Haltung, den Klienten völlig kongruent die freie Wahl zu überlassen, wie sie mit den Angeboten umgehen wollen (auch wenn sie die alle ablehnen wollten), und diese Wahl zu respektieren.

Damit Berater diese Haltung aber kongruent umsetzen können, müssen auch ihre Bedürfnisse im Prozess der Beratung berücksichtigt sein. Auch sie müssen sich als geachtet in ihren Prozessen erleben und sich unbeschwert und frei fühlen, sonst können sie keinen optimalen Zugang zu ihren Kompetenzen herstellen. Genau darauf aber hat jeder Klient einen Anspruch. Die provokativen Äußerungen von Steve de Shazer, dass man keine Hypothesen bilden solle, machte er deshalb, weil er darauf hinweisen wollte, dass viele Berater ihre Hypothesen und die damit verbundenen Angebote für »richtig« halten, sich in sie verlieben und sie den Klienten dann quasi missionarisch oktroyieren wollen. Diese Gefahr ist nicht zu unterschätzen. Sie wird dann besonders wahrscheinlich, wenn Berater den Wert ihrer Arbeit oder gar ihren Wert selbst davon abhängig machen, dass Klienten ihre Angebote gut finden und annehmen. Optimal können die Interventionsangebote aber erst werden, wenn Berater sich davon weitestgehend unabhängig machen. Das Kriterium für gute Arbeit der Berater darf nicht sein, dass die Klienten das umsetzen, was Berater gut finden, sondern dass deren Angebote die Klienten darin unterstützen, in einem ganz eigenständigen Such- und Findeprozess ihre eigenen, für ihre Einzigartigkeit stimmigen Antworten zu entwickeln. Dafür muss kongruent die freie Wahlposition der Klienten unterstützt werden, die Berater sollten ihre Angebote mit einer gewissen Demut als Teil von Multiple-Choice-Menüs und mit Respekt für die autonome, inthronisierte Autorität der Klienten machen. Und dies können Berater wieder nur kongruent, wenn sie sich optimal im Lot, sozusagen im Flow erleben.

Um dieses Erleben lebendig zu machen, sollten Berater z. B.:

a)nur Aufträgen zustimmen, für die sie in Eigenkompetenz etwas beitragen können, die ihnen sinnvoll und ethisch vertretbar erscheinen;

b)alle eigenen Beiträge nicht danach beurteilen, ob die Klienten sie übernehmen, sondern ob sie selbst nach »bestem Wissen und Gewissen« das getan haben, was ihnen zum jeweiligen Zeitpunkt möglich war (anstatt sich mit perfektionistischen Omnipotenzansprüchen zu überfordern);

c)deshalb auch die Klienten in deren selbstverantwortlichen Beiträgen ansprechen, also in dem, was die Klienten selbst zum Gelingen der Kooperation beitragen können;

d)alle eigenen Impulse, Ideen etc., genau wie dies in der Arbeit für die Klienten auch gemacht werden sollte, als wertvolle und kompetente Rückmeldungen aus ihrem unwillkürlichen Wissen über ihre berechtigten Bedürfnisse beachten und in Ich-Botschaften auch alle dieser Bedürfnisse, welche die Kooperation beeinflussen, transparent in die Kommunikation mit den Klienten einbringen;

e)alle eigenen Angebote mit vielen Feedbackfragen an die Klienten verbinden, sodass diese ihnen antworten können (Bedeutung und Wirkung der Botschaften von Beratern bestimmen ja die Klienten).

Da die Klienten es eben verdient haben, dass Berater für sie ihre Kompetenzen optimal zur Verfügung stellen können, ist es quasi die ethische Pflicht von Beratern, es sich rundherum gut gehen zu lassen in der Kooperation, d. h. für alle eigenen Bedürfnisse in diesem Prozess mindestens so achtungsvoll und empathisch zu sorgen wie für die Belange der Klienten. In schlagwortartiger Form habe ich diese Aspekte der Kybernetik 2. Ordnung schon oft in Weiterbildungen und Vorträgen als »Gunthers erstes ethisches Postulat« formuliert:

»Berater haben die ethische Pflicht, im Dienste optimaler Arbeit für die Klienten es sich immer sehr gut gehen zu lassen, und falls dies gerade einmal nicht abläuft, als erstes (noch lange, bevor sie an die Bedürfnisse der Klienten denken) schnell wieder dafür zu sorgen, dass alles gewährleistet ist in der Kooperation, sodass es ihnen gut gehen kann, erst dann sollte auf die Klienten fokussiert werden – sonst macht man sich schuldig an Klienten.«

Ich nenne das auch »altruistische Egozentrik«.

Sollte ein Berater aber einmal bei sich bemerken, dass sich gerade bei ihm selbst eine sehr stark »anklopfende« »Seite« meldet, die den Klienten am liebsten doch zu etwas bringen möchte (also quasi eine missionarische, eher fundamentalistische »Seite«), sollte er dies mit Wertschätzung für sich selbst als anerkennenswertes Bedürfnis von sich selbst (nicht vom Klienten) würdigen, in Ich-Botschaften genau das transparent machen und den Klienten wieder fragen, wie es sich auswirken würde, wenn der Berater sich mit dieser Seite in sich identifizieren und so dem Klienten gegenüber auftreten würde. Meine Erfahrung in Hunderten von Beratungen ist, dass selbst dies dann eine sehr konstruktiv nutzbare Chance wird. Dafür bedanken sich viele Klienten sogar, ganz unabhängig davon, ob sie etwas von den »Ratschlägen« aufgreifen oder sie ablehnen. Denn so oder so wird auf diese Art ein Ritual der Eigenkompetenz und der Würdigung der freien Wahlautorität der Klienten daraus, die ihr Selbstwertgefühl stärkt und als optimales Modell für »bezogene Individuation« (Stierlin 1995) dienen kann.

Mir erscheint die Metapher des »Realitätenkellners« für diese Gestaltung der Beraterrolle als besonders passend. Deshalb habe ich vor vielen Jahren diesen Begriff erfunden und in vielen Weiterbildungen und Vorträgen als Metapher vorgeschlagen. »Realitätenkellner« deshalb, weil ich ja, wenn ich so vorgehe, quasi vielfältige Menüvorschläge aus diversen Realitäten anbiete, wie ein Kellner, der von einem Gast beauftragt wird, ihm Speisen zu empfehlen. Dabei würde sich ein guter Kellner ja auch nicht weigern, dies zu tun, schon gar nicht mit der Begründung, er könne ja sonst vielleicht den Gast stören oder manipulieren. Der Kellner würde aber auch nicht den Gast nötigen wollen, etwas vom Empfohlenen nun auch zu essen, sondern würde höflich und respektvoll die Entscheidung des Gastes würdigen. Wenn gute Kellner das können (und ich kenne viele solche), sollten wir als Berater uns nicht minder kompetent darin zeigen und so dann auch unseren »Gäste« als wertschätzbare Autoritäten in einer interessanten Kooperationspartnerschaft begegnen.

Wenn Berater ihre Angebote in der beschriebenen Form praktizieren, immer als Ich-Botschaften, immer transparent und immer mit Rückfragen danach, wie sie wirken bei den Klienten, und immer mit der kongruenten Haltung, dass die Reaktionen er Klienten die führenden Entscheidungen werden und als kompetente Wahl gewürdigt werden, stärkt genau diese Form der aktiven Angebote das Erleben von autonomer Kompetenz der Klienten besonders, die Effektivität der Kooperation wird sogar wesentlich verbessert, und die Rückmeldungen der Klienten gehen immer genau in diese Richtung.

Feedbackkultur

In der SysTelios-Klinik haben wir dies z. B. zu einem tragenden Element der Kooperationskultur ausgebaut, welches von den Klienten als besonders wertvoller Aspekt immer wieder sehr hervorgehoben wird. Dort wird nicht nur jede Intervention in diesem Sinne erläutert, rituell werden jede Woche ganze Gruppensitzungen (alle Klienten einer Gruppe zusammen mit allen ihren Therapeuten) abgehalten, bei denen die Therapeuten den Klienten Feedback geben dazu, wie sie sie in der Woche erlebt haben und was sie ihnen weiter empfehlen, vor allem aber geben die Klienten den Therapeuten Feedback darüber, wie sie die Therapeuten erlebt haben, was von deren Angeboten ihnen genutzt oder nicht genutzt hat, was sie von ihnen mehr brauchen könnten und was sie nicht brauchen. Dann werden jeweils transparent die nächsten Schritte der Kooperation miteinander ausgehandelt. Dieses Vorgehen, von den Klienten als »Prozessreflexion« getauft, hat die Kooperationsbeziehungen und die Effektivität der Kooperation enorm verbessert. Ermutigt dadurch, haben wir z. B. auch die gerade bei uns befindlichen Klienten eingeladen, bei der Erweiterung der Klinik bei Treffen mit Bewerbern für die neuen Stellen mitzuwirken und den potenziellen neuen Mitarbeitern viele Informationen darüber zu geben, welche Art der Beiträge von Therapeuten aus ihrer Sicht nützlich und welche eher hinderlich sind. Für die Bewerber war dies zunächst fast ein kleiner Kulturschock, dann aber erlebten es die meisten als sehr hilfreich. Wenn wir Autopoiese ernst nehmen wollen, ist klar, dass ein Erfolg der Kooperation letztlich immer von den Klienten herbeigeführt wird, sie sind die eigentlichen kompetenten Therapeuten und wir ihre Kollegen. Dann muss auch die Kommunikation in diesem Sinne kollegial sein und deshalb völlig transparent und auf gleicher Augenhöhe. In der Tradition der strategischen, aber auch der systemischen Konzepte (nicht zuletzt auch durch die Haltung von Milton Erickson selbst) wird solche Transparenz explizit vermieden und abgelehnt, oft aus der Befürchtung heraus, sie könnte die Wirkung der Interventionen behindern. Unsere Erfahrungen belegen (durch Evaluationen gestützt), dass genau das Gegenteil der Fall ist.

Utilisation von »problem talk« als Chance für lösungsförderliche Kommunikation

Eine besonders häufige Glaubenshaltung lösungsfokussierend arbeitender Berater (abgeleitet aus einer Formulierung von de Shazer) ist: »Problem talk creates problems, solution talk creates solutions […].« (»Problem talk schafft Probleme, solution talk schafft Lösungen«) (de Shazer 1989; Szabo u. Berg 2009). Offen bleibt dabei, was als »problem talk« und als »solution talk« verstanden wird. Sehr häufig wird diese Aussage aber in dem Sinne verwertet, dass man nicht oder kaum über das Problem reden sollte, weil das ja Prozesse auslösen würde, die Problemerleben induzieren – dafür sollte man umso mehr über die gewünschte Lösung und bisherige Erfahrungsmuster reden, die dem gewünschten Lösungserleben ähneln oder gleichen (»Muster des Gelingens« oder »Ausnahmen vom Problem«). Einige Äußerungen von Steve de Shazer, z. B.: »Probleme sollte man behandeln als ›shit happens‹« (persönliche Mitteilung) gehen in die gleiche Richtung. Aus meiner Sicht handelt es sich dabei um sehr ungünstige Konstruktionen, die auch zu fatalen Missverständnissen und destruktiv wirkenden Verhaltensweisen von Beratern beitragen können.

Wird versucht, »problem talk« inhaltlich tunlichst zu vermeiden und bevorzugt nur auf Lösungsprozesse zu fokussieren und Probleme zu werten als »shit which happens«, wird die Haltung verstärkt, es sei ein Problem, wenn Probleme auftauchen und jemand intensiv über seine Probleme reden will. Durch diese »problemphobische« Haltung der Berater bzw. Therapeuten werden zusätzliche Probleme geschaffen und Chancen vernichtet. Dies führt oft dazu:

a)dass z. B. viele Klienten sich als abgewertet erleben und in ihrem Leid nicht genug ernst genommen (was die Kooperationsbeziehung sehr belasten kann)

b)dass quasi eine phobische Haltung der Klienten vor dem möglichen Auftauchen von Problemen gestärkt werden kann

c)dass das Opfererleben den Problemprozessen gegenüber weiter aufrechterhalten oder gar gestärkt werden kann

d)dass die wichtigen und sehr berechtigten Bedürfnisse, die sich über das Problemerleben melden (Problemerleben als Ausdruck des Wissens über einen Mangel, über einen Bedarf) wieder nicht beachtet und würdigend behandelt werden

e)dass (und dies erscheint mir besonders ungünstig) die längst vorhandenen Kompetenzen der Betroffenen, mit hilfreicher Kraft und erfolgreicher Handlungsfähigkeit auf die Problemreize antworten zu können, nicht erlebt und eingeübt werden können.

Mit hypnosystemischen Methoden kann klar gezeigt werden, dass niemals der Inhalt des Redens über Probleme zu problematischem Erleben beiträgt, sondern immer die Art, wie sich der Redende bzw. Hörende in Beziehung setzt zum Gesagten bzw. Gehörten. Das Gleiche gilt übrigens auch für die Wirkung der Vergangenheit. Noch immer sehr verbreitet ist ja sowohl bei Klienten als auch Therapeuten bzw. Beratern die Idee, dass z. B. belastende Kindheitserlebnisse, traumatische Erfahrungen in der Vergangenheit etc. das Erleben in der Gegenwart bestimmen würden. Dies mündet dann ein in das Konzept des »Wiederholungszwangs« von Freud. Dieses Konzept kann mit hypnosystemischem Vorgehen schnell als irrtümlicher Mythos widerlegt werden. Wenn es so wäre, wie die Idee des »Wiederholungszwangs« es beschreibt, hätte keine Beratung bzw. Therapie eine Chance, denn diese Vergangenheit ist ja nicht mehr zu ändern. Mit solchen Beschreibungen werden Realitätskonstruktionen aufgebaut, die z. B. diese Vergangenheit als die »Täterkraft« und die betroffenen Menschen als ihr ausgelieferte Opfer beschreiben, was wieder deren Erleben in schwächender Weise beeinflussen kann. Sicher kann man von einer starken »Einladung zum Wiederholen« reden, Einladungen kann man aber ablehnen, auch wenn sie als stark erlebt werden.

Wir wissen aber aus der Gedächtnisforschung, dass wir quasi über Tausende von Vergangenheiten in unserem Erlebnisrepertoire verfügen. Denn jede Episode, die wir emotional ein wenig intensiv erlebt haben, wird offensichtlich als eigenständiges Erlebnisnetzwerk in uns abgespeichert (»Episodengedächtnis«, Markowitsch 2009) und kann auch wieder als wirksames Erleben reaktiviert werden, wenn wir uns intensiv in dieses Netzwerk hineinversetzen (siehe hebbsches Gesetz). Jeder Mensch verfügt also über eine Vielzahl von belastenden, aber auch von hilfreichen Kompetenzvergangenheiten.

Wenn z. B. jemand in der Gegenwart systematisch auf hilfreiche Erfahrungsepisoden oder generell auf stärkende Erlebnisprozesse fokussiert, in denen er sich geschützt, sicher und mit der Fähigkeit erlebt hat, mit Überblick steuernd auf Abläufe einzuwirken, kann er dieses Kompetenzerleben wieder in seiner Gegenwart sehr wirksam reaktivieren, indem er sich auf allen Sinneskanälen in diese Erfahrung hineinversetzt. So wird ein »Kompetenz-Ich« (ein Ego-State) aufgerufen, aus dem heraus der oder die Betreffende alle auftauchenden Impulse, Emotionen, Körperreaktionen, Erinnerungs- oder Zukunftsbilder etc. so beantworten kann, dass sie quasi eine neuronale Vernetzung erfahren mit den in diesem Ego-State aktiven Kompetenzen bzw. Ressourcen. Solche aus der Hypnotherapie abgeleiteten Interventionen haben auch Eingang gefunden in die Traumatherapie und sind dort inzwischen obligatorische Basisinterventionen (Aufbau eines sicheren Ortes, Kinotechniken etc. – siehe dazu Schmidt et al. 2009; Reddemann 2007, 2011).

Wenn jemand dann »problem talk« praktiziert (z. B. inhaltlich ausführlich über seine Probleme und schmerzlichen Erfahrungen redet), nachdem vorher dieses Steuerungs-Ich aktiviert wurde, kann jedes Problemerleben nun mit diesen Kompetenzen vernetzt werden. An anderer Stelle habe ich ausführlich beschrieben (Schmidt 2004; Schmidt et al. 2009), wie mit den so gebildeten neuen Netzwerken dann sogar aus den unangenehmsten »Vergangenheiten« stärkende Chance werden können, die zu befreienden Lösungen beitragen. So erleben sich Klienten nicht nur mehr gewürdigt und empathisch begleitet in ihren leidvoll erlebten Prozessen, gerade diese können so sogar wieder utilisiert werden als »Trainingschancen« dafür, mit den unterschiedlichsten Belastungen aus Vergangenheit, Gegenwart und fantasierter Zukunft kompetenz- und lösungsstärkend immer gelassener umgehen zu können.

Wer sich weiterentwickeln will, kann nicht so weitermachen wie bisher

Gerald Hüther und Klaus-Dieter Dohne

Das Problem aller Besitzstandswahrer besteht darin, dass sie gern möchten, dass alles so bleibt, wie es ist. In einer sich ständig verändernden, sich fortentwickelnden Welt ist es aber so ziemlich das Anstrengendste, was man sich vorstellen kann, wenn einer ständig festzuhalten versucht, was er als ihm zugehörig zu betrachten gewohnt ist. So eine Sisyphusarbeit würde man niemandem zumuten oder gar anraten. Man sollte nicht meinen, dass sie jemand freiwillig auf sich nimmt oder dass sogar sehr viele bereit wären, sich auf diese Weise zu versklaven. Vor lauter Festhalten und Aufpassen, Sichanstrengen und Sichdurchwursteln kommt dann ja keiner mehr zu dem, was das Leben ausmacht. Statt sich weiterzuentwickeln und dabei über sich hinauszuwachsen, tritt man dann nur noch immer schneller und immer effektiver auf der Stelle. Als Gefangener im selbst gebauten Hamsterrad. Wir wollen uns in diesem Beitrag dieses Hamsterrad etwas genauer anschauen. Dabei werden wir aus der Perspektive der Hirnforschung beleuchten, wo genau dieses Hamsterrad aufgestellt ist und wer es dort aufgestellt hat. Und wir wollen anschließend zeigen, dass und wie es möglich ist, sich daraus auch wieder zu befreien – als Einzelner, aber vor allem auch gemeinsam mit anderen, also im Team.

Es geht auch anders, aber weiter geht es nur anders als bisher

Das Hamsterrad, das den meisten Menschen heutzutage so sehr zu schaffen macht, befindet sich dort, wo sie es am wenigsten vermuten: im eigenen Kopf. Oder, genauer: in der präfrontalen Rinde ihres Gehirns, dem sogenannten Frontallappen. Es hat die Form einer dort fest verankerten inneren Überzeugung bezüglich dessen, worauf es im Leben ankommt, wofür es sich anzustrengen lohnt, was sich im Leben verändern lässt und was man, wie alle anderen, einfach auszuhalten hat. Wer mit solch einer festen Überzeugung unterwegs ist, fragt sich nicht mehr, wer ihn eigentlich auf diesen Weg geschickt oder von wem er diese Vorstellungen übernommen hat. Er will ja inzwischen selbst so gut wie möglich funktionieren. Deshalb hält er auch all das aus, was normalerweise kein Mensch aushalten kann. Und er hält all das, was er durch sein optimales Funktionieren, d. h. durch seine dabei vollbrachten Leistungen, erreicht, für das, wofür es sich zu leben lohnt, worauf es also im Leben ankommt. In dieser Vorstellung bleibt der betreffende Mensch gefangen, bis es für ihn nichts mehr zu erreichen gibt. Dann hat das Leben für ihn seinen Sinn verloren. Meist dauert es nicht mehr lange, bis er es aufgibt, auch wenn sich die Mediziner noch so viel Mühe mit ihren lebensverlängernden Maßnahmen geben.

Ergänzt und in seiner Wirkung verstärkt wird dieses Hamsterrad im eigenen Kopf durch die Vielzahl von Organisations- und Verwaltungsstrukturen, die jede arbeitsteilige Gesellschaft entwickelt, um die anstehenden Aufgaben zuzuweisen und die für die Erfüllung dieser Aufgaben in Aussicht gestellten Belohnungen zu verteilen. Ähnlich wie die im Hirn des Einzelnen verankerten Vorstellungen entwickeln aber auch diese von Gemeinschaften entwickelten Organisations- und Verwaltungsstrukturen eine sich selbst stabilisierende Eigendynamik der Besitzstandswahrung. Dann wird die Organisation und wird die Verwaltung immer effizienter, und zwangsläufig wird auf diese Weise all das gestärkt, was dem noch besseren Organisieren und Verwalten all dessen dient, was da jeweils organisiert und verwaltet wird. Nur scheinbar handelt es sich dabei um Arbeit, Geld, Gesundheit, Bildung oder Renten. In Wirklichkeit sind es immer lebendige Menschen, die als Arbeitnehmer, Lohnempfänger, Einwohner, Patienten, Schüler oder Rentner zu Gegenständen dieses so entstandenen Organisations- und Verwaltungsapparates gemacht werden. Je häufiger aber Menschen die Erfahrung machen, dass sie organisiert und verwaltet werden, desto seltener finden sie Gelegenheit, sich selbst als Entdecker ihrer eigenen Möglichkeiten und als Gestalter ihres eigenen Lebens zu erleben. Und je früher und intensiver das geschieht, desto weniger gelingt es ihnen, diese Fähigkeiten aus sich selbst heraus überhaupt noch zu entwickeln. Dann bleiben sie zeitlebens Gefangene in diesem sozialen Hamsterrad der von uns selbst geschaffenen Organisations- und Verwaltungsstrukturen.

So könnte es ewig bleiben, und nichts würde sich ändern, wenn Menschen tatsächlich so funktionierten wie Maschinen oder wenn man sie tatsächlich so behandeln könnte wie Objekte. Aber Menschen sind eben doch lebendige Wesen. Und die lassen sich nicht funktionalisieren, höchstens für eine begrenzte Zeit und auch nur in einem begrenzten Raum, aber niemals alle überall zugleich. Deshalb wird es immer einzelne Menschen oder Gruppen von Menschen geben, die sich ihre angeborene Freude am eigenen Entdecken und Gestalten ihrer jeweiligen Lebenswelt nicht rauben lassen. Nicht überall, aber irgendwo schon. Wohl auch nicht immer, aber immer wieder.

»Das Heil der Welt liegt nicht in anderen Maßnahmen, sondern in einer anderen Gesinnung.« So formulierte es Albert Schweitzer, und »Die Probleme dieser Welt lassen sich nicht mit den gleichen Denkweisen lösen, die sie erzeugt haben« ist der gleiche Hinweis, den uns der andere Albert, Albert Einstein, in anderen Worten mit auf den Weg gegeben hat. Was aber ist das für eine Denkweise und Gesinnung, oder, etwas moderner ausgedrückt, was sind das für innere Einstellungen, Haltungen und Überzeugungen, mit denen wir unsere gegenwärtigen Probleme und das Unheil dieser Welt erzeugt haben? Wo kommen sie her? Wer hat sie uns in unser Gehirn gepflanzt? Und weshalb fällt es uns so schwer, sie zu beschreiben und sie uns bewusst zu machen? Wie sollen wir sie verändern, wenn wir sie gar nicht erkennen?

Wie ändert man Haltungen, wie entsteht ein neuer Geist?

Haltungen, so sagen uns die Hirnforscher, sind Ausdruck von in der präfrontalen Rinde erfahrungsabhängig geformten und stabilisierten neuronalen Netzwerken. Immer wieder in ähnlichen Kontexten gemachte Erfahrungen werden also zu Haltungen, und diese inneren Haltungen, Einstellungen und Überzeugungen bestimmen dann unser Denken, Fühlen und Handeln.

So weit, so gut, aber was könnte denn nun die Haltung, Denkweise oder Gesinnung sein, mit der wir in unserer westlichen Welt unterwegs sind und die unser Denken, Fühlen und Handeln so lenkt, dass wir damit so viele Probleme bekommen und so viel Unheil anrichten? Was könnten die vorherrschenden Erfahrungen sein, die wir hier offenbar schon seit Generationen gemacht und die zur Verankerung dieser Haltungen in unseren Gehirnen geführt haben? Und was für andere Erfahrungen müssten wir jetzt machen können, damit sich diese einmal entstandenen ungünstigen Haltungen – diese alte Denkweise oder Gesinnung – ändern und wir uns künftig anders verhalten als bisher, wie uns das die beiden Alberts ja ans Herz gelegt haben?

Wenn es die Haltung von Besitzstandswahrern ist, die sich im Frontallappen der überwiegenden Zahl unserer Zeitgenossen eingenistet hat, dann müsste man Bedingungen herstellen, die es ihnen ermöglichen, künftig andere, günstigere Erfahrungen zu machen.

Ihre wichtigsten Erfahrungen machen Menschen immer in der Beziehung zu anderen Menschen. Verankert werden diese Erfahrungen in Form gekoppelter Netzwerke im präfrontalen Kortex. Sie bestehen aus einem kognitiven (was habe ich erlebt?) und einem emotionalen (wie ist es mir dabei ergangen?) Anteil. In ähnlichen Kontexten immer wieder gemachte oder in der eigenen Vorstellung häufig wieder aufgerufene Erfahrungsmuster werden als gebahnte Netzwerkstrukturen zu Metaerfahrungen verdichtet, die wir im deutschen Sprachgebrauch als innere Haltungen, als innere Einstellungen und innere Überzeugungen, im Englischen vielleicht am ehesten als mindset bezeichnen.

Diese Haltungen bestimmen unsere Bewertungen und sind damit entscheidend dafür, was wir im Leben, also innerhalb unseres jeweiligen Kulturkreises, bedeutsam finden, worauf wir achten, womit wir uns beschäftigen, was uns emotional berührt und wofür wir uns begeistern. Es sind also unsere bisher in bestimmten Lebensräumen gesammelten Erfahrungen und die daraus entstandenen Haltungen, die darüber bestimmen, was für Erfahrungen wir künftig machen werden und wie sich deshalb unser Gehirn auf der Grundlage der dort bisher bereits erfahrungsabhängig herausgebildeten Netzwerke künftig noch weiter strukturiert. Und selbst dann, wenn sich die Lebenswelt inzwischen längst verändert hat und es inzwischen möglich wäre, ganz andere, günstigere Erfahrungen zu machen, bleiben diese einmal im Frontalhirn herausgebildeten Verschaltungsmuster meist auch weiterhin so, wie sie sich damals, als die Welt noch anders war, herausgebildet hatten. Sie bringen Menschen auch dann, wenn alles anders ist – wenn sie das Elternhaus verlassen, die Schule abgeschlossen, die Arbeitsstelle oder den Lebenspartner gewechselt haben –, immer wieder dazu, sich weiterhin so zu verhalten, so zu denken, zu fühlen und zu handeln wie bisher. Mit ihren einmal im Hirn verankerten Vorstellungen, Überzeugungen und Haltungen prägen sie als Eltern das familiäre Leben zu Hause, als Lehrer und Erzieher die Erfahrungsräume in Bildungseinrichtungen und als Vorgesetzte das Betriebsklima in ihrer Abteilung.