Der rote Spatz - Marcel Huwyler - E-Book

Der rote Spatz E-Book

Marcel Huwyler

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Beschreibung

Wirtschaftsspionin Eliza Roth-Schild erhält erstmals einen Auftrag von einem Kunden aus dem Ausland: Der schwerreiche Norbert Kitzbichler, Österreicher mit Wohn- und Firmensitz in Monaco, sucht seinen Sohn. Der zwölfjährige Moritz – ein verhätscheltes Muttersöhnchen, wie der Vater findet – wurde aus einem Eliteinternat im Nobelferienort Gstaad im Berner Oberland entführt. Die Kidnapper haben nichts von sich hören lassen, auf eine Lösegeldforderung warten die Eltern bislang vergeblich. Eliza ermittelt mit Charme, Raffinesse und mit der Hilfe ihres Chauffeurs Herrn Wälti, dem Taxifahrer mit ungeahnten Schnüffler-Talenten. Zwischen Belle-Époque-Hotel und U-Haft merken die beiden schnell, dass im Fall Moritz alles ganz anders ist, als es aussieht. Und dann ist da noch Elizas WG-Mitbewohner Fabio Caprez, der einer uralten, ungeheuerlichen Familiengeschichte auf der Spur ist, die sein Leben verändern wird …

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Marcel Huwyler

Der rote Spatz

Der dritte Fall für Eliza Roth-Schild

Kriminalroman

atlantis

Prolog

Verhaftet zu werden, war für Eliza eine ganz und gar neue Erfahrung.

Und noch dazu auf solch gewaltige Weise.

Der Zugriff erfolgte vor ihrem zweiten Morgenkaffee und erinnerte Eliza an eine gigantische Tischbombe. Oder an Wagners Ritt der Walküren. Das Hauptportal des Jagdschlösschens wurde mit einem Knall aufgerammt, und eine Fontäne von Männern ergoss sich in ihr Haus. Massige Gestalten in schwarzen Uniformen, darüber Batmanmuskelwesten, Granitvisagen hinter Helmvisieren, kurze giftige Maschinenpistolen, chorales »Polizei!«-Gebrüll.

Und schon wurde Eliza bäuchlings zu Boden gedrückt, im großen Salon, auf dem von der Reinigungsfirma erst gestern frisch eingeölten Fischgrätparkett. Ob sie die Schmierflecken je wieder aus ihrem Morgenrock aus Maulbeerseide herauskriegen würde?

Nach dem ersten Schockmoment, gefolgt von Augenblicken des Entsetzens und Sekunden der Lähmung, flackerte in ihr paradoxerweise so etwas wie Neugierde auf. Was würde die Polizei mit ihr als Nächstes anstellen? Was brachte so eine Festnahme durch eine Antiterroreinheit noch so alles mit sich?

Wohlgemerkt, die allererste Verhaftung überhaupt in ihrem Leben.

Eine Premiere für Eliza, wenn auch eine der missliebigsten ever. Aber als Frau von Welt interessierte sie sich nun mal für Debüts und Exklusivitäten – egal welcher Art.

Aber, Teufel noch mal, erklärte ihr jetzt endlich mal jemand, was der Zirkus hier sollte?

Ihr kam beim besten Willen kein Vergehen in den Sinn, das sie sich hatte zuschulden kommen lassen. Natürlich ritzte sie, wenn es der Auftrag verlangte, schon mal am Gesetz oder balancierte entlang der Grauzone. Aber sie tat ganz bestimmt nichts richtig, richtig Böses, was justiziabel gewesen wäre, geschweige denn solch ein Überfallkommando rechtfertigte.

Oder waren die am Ende gar nicht hinter ihr her?

Sondern hatten Fabio im Visier? Hatte er es etwas arg übertrieben mit seinem … Hobby?

Der Polizeigrenadier, der sie noch immer auf den Boden gedrückt hielt, drehte ihr jetzt beide Arme auf den Rücken. Eliza spürte schweren, kalten Stahl an ihren Handgelenken und hörte zwei Schlösser klicken.

So also fühlten sich Handschellen an.

Echte Handschellen. Sie hatte nämlich schon mal welche getragen, deren Fesseln allerdings mit pinkfarbenem Fell eingefasst gewesen waren. Hardy hatte ihr die damals angelegt. Zwei Stück sogar, gekauft in so einem schummrigen Eros-Shop, vor dessen Eingang er mehrmals vorbeigetigert war, bis keiner schaute und er sich hineinzuhuschen traute. Je ein Schellenende hatte er um Elizas Handgelenke fixiert, das andere um eine der dekorativen Metallsprossen am hohen Kopfende des Ehebettes. Meine Güte, wie lange war das her? In jenem Jahr hatten sie geheiratet, also vor über fünfundzwanzig Jahren, als Hardy mit diesem Vorspiel-Accessoire-Klassiker gekommen war. Seine Art, die Frischangetraute noch mehr an sich zu binden.

Zwei Pranken packten Eliza bei den Schultern und hoben sie hoch. Gopfridstutz, ging es nicht noch etwas grober? Wo sie doch so schnell blaue Flecken kriegte. Und das jetzt, im Sommer – ihre schulterfreie Garderobe konnte sie für diese Saison vergessen. Der Barbar stieß Eliza hinüber ans Terrassenfenster zur samtblauen Chaiselongue und drückte sie auf das Sitzpolster. Sie schaute scheu auf und versuchte sich einen Überblick zu verschaffen. Da waren so viele Uniformierte überall, und alle schienen etwas zu suchen. Hektisch, nah am genervt, so als liefe ihnen die Zeit davon.

Ein Mann in Zivil – älter und seelenruhiger als der Trupp in Kampfvollmontur – kauerte jetzt vor Eliza nieder, stützte sich mit den Händen auf seine Knie und musterte eindringlich ihr Gesicht. Als versuche er darin Informationen zu finden. Wie ein Gedankenleser oder ein Hautarzt.

»Krumenacher, Kriminalpolizei.«

Eliza schätze ihn auf Mitte vierzig. Er hatte einen taubengrauen Anzug, eine randlose Bifokalbrille und seltsame Stirnfransen, als wäre er ein Kind oder Komiker.

»Am einfachsten für uns alle, Sie kooperieren, Frau Roth-Schild.« Mit der Stimme könnte er bestimmt auch Glas schneiden.

»Ich habe absolut keine Ahnung, was Sie von mir wollen«, antwortete Eliza. Und meinte es auch genau so.

Krumenacher nahm die Brille ab, putzte sie mit der Spitze seiner Krawatte und setzte sie wieder auf, ohne dabei sein Gegenüber auch nur für einen Moment aus den Augen zu lassen. Er schaute Eliza an, wie Amseln Regenwürmer anschauen.

»Sagen Sie mir einfach nur, wo, Frau Roth-Schild.«

Blitzschnell veränderte er seine Position und beugte den Oberkörper jetzt so weit nach vorn, dass sich ihre Stirnen beinahe berührte. Eliza roch warme Pfefferminze. Und unter seinem Jackett entdeckte sie ein Schulterholster, in dem ein kleiner, stupsnasiger Revolver steckte.

»Wo? Ist? Er?«

1

Zehn Tage zuvor

Elizas ausgebufftester Trick beim Spionieren war, sich dabei absichtlich erwischen zu lassen.

Sie hatte diese – auf den ersten Eindruck etwas gar nach Harakiri-Taktik anmutende Vorgehensweise – selbst erfunden, weiterentwickelt, mehrfach an der Front getestet und mittlerweile nahezu perfektioniert.

Sie nannte sie die »Ätsch-bätsch«-Methode.

Diese vermeintlich selbstzerstörerische Spionagestrategie basierte auf folgender, ebenfalls von ihr hergeleiteter Theorie: Die meisten Menschen glaubten, eine »Führungskraft« heiße darum so, weil sie besonders gut im Anführen war. Falsch gedacht. Manager trugen diesen Titel, weil sie Experten im Verführen waren.

Behauptete jedenfalls Eliza.

Entscheidungsträger, insbesondere männliche, wollten nonstop verführen: die Kundschaft zum Kaufen, Kapitalgeber und Anleger zu Risiko-Investitionen, die Firmen-Belegschaft zu Zugeständnissen bei Gehalt, Urlaub und Überstunden und die Konkurrenz zum Fehlermachen – sowie die an diesem Abend im Restaurant Mauvais Garçon anwesende Frau Roth-Schild möglicherweise zu einem unverbindlichen, amourösen Dessert zwischen Dinnerende und Morgenkaffee. Darauf wenigstens – da ging Eliza jede Wette ein – spekulierte die für sie heute zuständige Verführungskraft.

Doch ihre Ätsch-bätsch-Methode zielte auf einen anderen, viel perfideren Trieb der Wirtschaftskapitäne ab. Lustvoller noch und stärker als das Verführen.

War das Überführen.

So weit Elizas Erkenntnis nach mittlerweile zwei Jahren Feldforschung in der Businessprärie, in der es vor Leitwölfen, Alpharüden und Lackaffen nur so wimmelte. Die Gattung der Manager wurde nämlich von einer geradezu kindlich-spöttischen Schadenfreude erfüllt – Ätsch-bätsch, erwischt! –, wenn sie den Gegner und Konkurrenten beim Lügen, Schummeln, Klauen, Tricksen oder Betrügen ertappen konnte.

Oder beim Ausspionieren von Betriebsgeheimnissen.

So wie das in wenigen Minuten mit Eliza Roth-Schild geschehen würde.

 

Der Auftrag war vor eineinhalb Wochen über die Wirtschaftskanzlei Veil, Spörry & Bovier hereingekommen. Einer deren Mandanten – ein Big Player in der Tierpharmabranche und national führender Hersteller von Veterinärpharmazeutika – benötigte ganz bestimmte Informationen über einen rasch wachsenden und deshalb bedrohlich im Nacken sitzenden Konkurrenten. Diese Insiderdaten zu beschaffen, war auf legale Weise gelinde gesagt etwas umständlich. Die Kanzlei hatte ihrem Mandanten daraufhin die diskreten Dienste der Firma Roth-Schild, Business Research empfohlen. Und sodann den Kontakt zur Inhaberin vermittelt.

 

Eliza hatte beinahe ein wenig Mitleid mit der ihr gegenübersitzenden Verführungskraft. Sie mochte den Kerl irgendwie. Und – für ihren Auftrag noch viel wichtiger – er sollte sie mögen.

Die Kostümierung für so einen Fronteinsatz war essenziell. Bereits Stoff und Stil konnten eine Zielperson subtil manipulieren. Eliza wählte ein klassisches Büro-Deux-pièces, Blazer und knielanger Bleistiftrock aus leichter Merinowolle (Eleganz, Weiblichkeit aber auch Rigorismus ausstrahlend) in der gewürfelten Frechfarbenkombi Retrorot-Schwarz (smarte Keckheit andeutend).

Ganz die kapriziöse Seriöse.

Sie schätzte ihr Gegenüber auf Ende vierzig, also etwas jünger als sie. Sein trauriges Blockflötengesicht wollte so gar nicht zu seinem sportlichen Federgang und dem Knackhintern passen, der sich in der slim fit geschneiderten Anzugshose abzeichnete wie zwei enthäutete, vakuumierte Truthahnbrüste. Er war Leiter Marketing bei Läupi Animal Health Biotech, hieß Thomas Ford und bat Eliza beim Aperitif, ihn doch bitte Tom zu nennen.

»Tom, okay, ja gern. Ich bin Eliza. Also, Tom Ford, so wie der …«

»Genau wie der. Ich bin aber nicht die Spur … anzüglich.«

Sie lachten beide hell und vergrinst und auf diese flirty-dirty Art, die einen spannenden Abend versprach.

Eliza hatte ihre Zielperson über die zwei Business-Netzwerke Xing und LinkedIn kontaktiert. Mit dieser doppelten Anfrage signalisierte sie großes Interesse sowie eine gewisse Dringlichkeit ihrerseits. Tom Ford hatte prompt angebissen und Eliza binnen zweier Tage geantwortet. Sie sei Business Researcherin, schrieb sie ihm beim ausführlicheren Zweitkontakt per E-Mail, spezialisiert auf die Datenanalyse für innovative Ideen und künftige Produkte und neuerdings sehr interessiert an der prosperierenden Tierpharmazie. Ob man sich vielleicht demnächst für ein informelles Gespräch treffen könne, schrieb Eliza weiter und legte am Schluss der E-Mail ihre Honigfalle aus: Ich wende mich an Sie, weil ich vom Branchenbesten lernen möchte.

Woraufhin Tom Ford sie zu einem Lunch einlud. Eliza aber erwiderte, ein Meeting am Abend käme ihr aus agendatechnischen Gründen gelegener. Er kaufte ihr den Schwachsinn ab und schlug das heutige Dinner im Mauvais Garçon vor.

»Unglaublich spannend, was du alles über Tierarznei weißt«, sagte Eliza jetzt, während sie mit dem Besteck die kross gebratene Haut von ihrer Dorade Royal ablöste und zusammengefaltet am Tellerrand drapierte.

»Und es ist ein überaus attraktiver Wachstumsmarkt«, antwortete Tom. Er schenkte sich und Eliza etwas vom Chardonnay nach. »Weltweit wurden letztes Jahr mit Tiergesundheit dreiundvierzig Milliarden Dollar umgesetzt. In zehn Jahren erwartet man das Doppelte. Das Doppelte!«

»Darf ich mir ein paar Notizen machen? Ist alles Neuland für mich. Und ich kann eine ganze Menge von dir lernen.«

Tom Ford lächelte und hob die Hände, als gebe er sich geschlagen.

Aus ihrer Handtasche kramte Eliza ein kleines, in rotes Leder gebundenes Büchlein hervor, blätterte darin bis zu einer leeren Seite und begann mit ihrem Füller hineinzuschreiben. Ohne aufzuschauen, fragte sie: »Und ihr von Läupi Animal Health Biotech spielt bei den ganz Großen dieser Branche mit?«

Er schmunzelte verspielt verlegen. »Das darf man wohl sagen, und wir wachsen noch weiter. Unsere klügste strategische Entscheidung war, ganz auf die Sparte Geriatrika für Haustiere zu setzen.«

»Wie jetzt? Beruhigungszäpfchen für den senilen Wellensittich?«

Er atmete amüsiert aus. »Ja, spotte du nur. Aber Tierhalter heutzutage geben viel Geld aus, um ihr altersdementes Haustier medikamentös zu unterstützen. Für ihre Lieblinge zahlen Herrchen und Frauchen Unsümmchen.«

»Interessant.« Eliza schraubte ihren Füller zu und legte ihn auf das aufgeklappte Notizbuch. Sie griff wieder zur Gabel und steckte sich ein in scharfe Chraimeh-Sauce getunktes Stück Fisch in den Mund. »Köstlich.« Sie leckte sich die Lippen einmal zu oft.

Und Tom schaute einmal zu oft hin. Dann fuhr er fort. »Unser derzeitiger Verkaufsschlager CanineRehax – ein Geriatrikum in Filmtablettenform – unterstützt Hunde beispielsweise nach einem Schlaganfall. Das Mittel hilft überdies bei pulmonalen Beschwerden infolge Durchblutungsstörungen im zerebralen und peripheren Bereich. Ebenfalls große Kasse machen wir mit unserem Antidepressivum HilarusTigrix, das bei Katzendemenz die schwere kognitive Dysfunktion der Büsi …«

Eliza wollte, dass er locker wird, also ließ sie ihn labern.

Über eine halbe Stunde lang schwadronierte Tom Ford jetzt schon über die Möglichkeiten der Tierpharmazie. Und von deren traumhaften Gewinnmargen. »Unsere Firma wächst stetig. Wir vergrößern und expandieren.«

»Ihr wollt die Nummer eins werden im Land, stimmts?«

Er schmunzelte, griff nach der Parmesan-Menage und streute mit dem Löffelchen etwas Käse über seinen Limetten-Orangen-Risotto. Dabei schielte er nach rechts und links zu den Gästen an den Nebentischen, als befürchte er Mitlauscher. Und dann im konspirativen Flüsterton zu Eliza: »Ich kann es dir ja verraten, wir machen die News sowieso in einigen Wochen publik; bis dahin aber zu niemandem ein Wort darüber.«

Eliza zog einen imaginären Reißverschluss über ihren Mund.

»Läupi Animal Health Biotech eröffnet nächstes Jahr eine Niederlassung in Jakarta.«

»Nein, so was aber auch.«

»Doch, doch, macht durchaus Sinn. Asiaten haben ihre Haustiere bekanntlich … zum Fressen gern.«

Irgendetwas geriet ihm beim Lachen in den falschen Hals. Er hustete, ein gelbes Risottokorn pfiff aus seinem Schlund und landete auf Elizas Brotteller. Sie warf komplizenhaft den Kopf in den Nacken und gackerte tapfer mit zu seinem Witz.

Dann stellte sie die Frage, wegen der sie einzig und allein heute Abend hergekommen war. Und deren Beantwortung ihrem Auftraggeber eine obszön hohe fünfstellige Summe wert war.

Es begann Phase eins von Elizas Ätsch-bätsch-Theorie. Mach ein plumpes Kreuzverhör.

»Eure Expansionspläne, die Sache mit Jakarta … So etwas kann deine Firma doch nie und nimmer allein stemmen, oder?« Sie lächelte ihm verschwörerisch zu. »Mein lieber Tom, gehe ich recht in der Annahme, dass Läupi Animal Health Biotech deshalb demnächst mit einem anderen Medizinalunternehmen fusionieren wird?«

In voller Absicht geradeheraus und unsensibel wie eine Brechstange.

Er wich ihrem Blick sofort aus, griff stattdessen nach dem Mini-Baguette auf seinem Brotteller und erwürgte es. »Was … Warum willst du das wissen?«

»Och, ging mir nur eben so durch den Kopf. Ich meine … Ist ja eigentlich nur der nächste, logische Schritt, oder etwa nicht?«

Er plagte weiter sein Mini-Baguette und schien innerlich zu zappeln. »Ich, äh, meine Güte, Eliza. Das ist jetzt etwas gar …«

Sie tippte sich theatralisch an die Stirn. »Oh, ich Unsensibelchen. Verstehe. Du darfst nichts dazu sagen. Sorry. Wollte dich nicht in eine unangenehme Situation bringen. Mein Fehler.«

Phase zwei der Ätsch-bätsch-Theorie. Gib dem Gegner eine Denkpause.

»Du entschuldigst mich mal bitte für eine Minute.« Sie kramte erneut in ihrer blauen Handtasche, zog ein winziges Necessaire mit Margeritenmuster heraus und hängte die Tasche an die Stuhllehne. Dann nickte sie Tom zu und rauschte davon in Richtung der Waschräume.

Phase drei der Ätsch-bätsch-Theorie. Lass ihn schnüffeln.

 

Tom Ford saß da, starrte auf seinen leeren Teller und fragte sich, was hier gerade abgegangen war. Hatte die jetzt tatsächlich versucht … Warum wollte sie? Warum sollte sie …

Er erhob sich, griff nach Elizas Handtasche und öffnete den Verschluss. Erst schaute er nur hinein, dann streckte er seine Hand vorsichtig ins Innere und begann herumzuwühlen.

Und zog ein winziges digitales Diktiergerät heraus.

Er hielt es zwischen spitzen Fingern und starrte es an, als handle es sich um ein Bömbchen. Am Gehäuse glimmte eine rote Leuchtdiode.

Gerät auf Aufnahme.

Fords trauriges Flötengesicht bekam gerade noch ein paar Töne mehr; sein Mund klappte auf, und er vergaß, wie man atmete. Nach einigen Sekunden kam wieder Leben in ihn. Seine Finger zitterten, als er die Anordnung und Beschriftung der Knöpfe auf dem Diktiergerät studierte. Dann drückte er nacheinander einige von ihnen und nickte hämisch, als ihm auf dem Display delete all user data mitgeteilt wurde. Er ließ das Diktiergerät in die Tasche zurückgleiten, verschloss diese wieder und hängte sie an die Stuhllehne zurück.

Jetzt saß er mit durchgedrücktem Rückgrat da, atmete tief in den Bauch und labte sich am geilheißen Gefühl – Ätsch-bätsch, erwischt! –, das Weibsstück ertappt zu haben. Der Spionage überführt.

Phase vier von Elizas Ätsch-bätsch-Theorie. Lass ihn seinen Triumph genießen – und teilen.

Innerlich kochte Ford. Oh, er würde die Billigagentin zur Rede stellen, wenn sie vom Scheißhaus zurückkam. Die Kuh so richtig zusammenstauchen. Die enttarnte Jane Bond herunterputzen. Und das mit ganz viel Genuss. Er hatte ja noch kein Dessert gehabt.

Dann stutzte er. Freude verdoppelt sich bekanntlich, wenn man sie teilte. Vor allem, wenn man so ein toller Agentenjäger war wie er.

Er fischte sein Handy aus der Innentasche des Sakkos und wählte eine Nummer.

»Ich bin’s. Du glaubst nicht, was hier gerade abläuft. So eine aufgetakelte Wachtel versucht mich auszuspionieren. … Ja, unsere Fusionspläne. … Doch, glaub mir, Mann. Ich sitze mit der im Mauvais Garçon. … Ja, echt, aus-spi-o-nie-ren. Ich sag’s dir, die hat die Konkurrenz geschickt … Weiß ich doch nicht, kann sein. … Ja, auch möglich. Oder es waren die Holländer. … Ich? Hey, hey, für wie naiv hältst du mich? Kein Sterbenswort von mir über unsere Fusionspläne. Nein, nein! Jetzt mach dir nicht in die Hose. Der Firmenname Müller-VetMedica wurde nie erwähnt. … Entspann dich, Alex, alles easy, hab’s voll im Griff. … Nein, sie ist noch da. Ging eben pinkeln. Aber sobald sie zurückkommt, stelle ich sie zur Rede und mache … Was? Warum nicht? Gönn mir doch den Spaß, come on. … Okay, wenn du meinst. Schade, ich hätte die gern so richtig runtergeputzt … Hey, muss Schluss machen, Nullnullzero kommt zurück. See you morgen im Meeting.«

 

Eliza nahm auf dem kühlen Leder der Rückbank Platz und nannte dem Taxifahrer ihre Adresse. Natürlich hätte Herr Wälti dezent betupft reagiert, wenn er sie jetzt so gesehen hätte, wie sie sich in einer Karosse der Konkurrenz nach Hause chauffieren ließ. Aber es war schon fast elf, und sie wollte die Nach-Feierabend-Dienste des guten Mannes nicht über die Maßen strapazieren. Zumal sie seinen Service ja bereits morgen wieder benötigte.

Kaum war Eliza zum Tisch zurückgekehrt, hatte Tom Ford theatralisch auf seine Testpilotenarmbanduhr geschaut, etwas von »shit, schon so spät« und von einem unaufschiebbaren, weil wichtigen Zoom-Meeting mit Fernost um Mitternacht gefaselt. Er hatte laut nach der Rechnung verlangt, mit schwarz-glänzender Kreditkarte bezahlt und sich schnell und schmallippig von Eliza verabschiedet, ja sie noch nicht einmal bis zum Taxistand begleitet.

Der Verführer und Überführer beging Führerflucht.

Eliza bat den Chauffeur, die Klimaanlage eine Spur höher zu stellen. Bei geschäftlichen Showdowns wurde ihr in letzter Zeit öfters etwas heißer. Sie fischte das Diktiergerät aus der Handtasche, erweckte das Display zum Leben und nahm lächelnd das delete all user data zur Kenntnis.

Dann griff sie erneut in die Tasche, wühlte sich durch all den Elizakram hindurch bis ganz hinunter zum Boden – und zog ihr Handy heraus. Die Aufnahme lief seit dreiundzwanzig Minuten und elf Sekunden. Sie stoppte sie, ging auf Anfang, stöpselte sich einen stylishen weißen Knopf ins Ohr, lauschte und hoffte darauf, dass sie einen Erfolg verbuchen konnte.

Später am Abend daheim im Jagdschlösschen, nachdem sie eine Dusche genommen und in ihr im Gemüsefach des Kühlschranks gelagertes Seidennachthemd geschlüpft war, schrieb sie ihrem Auftraggeber eine sehr knappe E-Mail.

Lediglich die üblichen Anrede- und Grußfloskeln.

Sowie den Namen einer Firma.

2

Fabio war geschickt mit den Händen, aber er kannte seine Grenzen.

Bei Knüpf-, Häkel- und Näharbeiten beispielsweise oder beim Umgang mit Lismernadeln verstrickte er sich heillos. Für Eingriffe in Starkstromapparaturen liebte er sein junges Leben viel zu sehr, und bei Kundenaufträgen, die Feinmechanik erforderten, fehlte ihm schlicht der Maschinenpark – solche teuren, computerbasierten Bohr-, Fräs- und Drehmaschinen, wie Profis sie benutzten.

Walo war so ein Profi. Fabio kannte Walo gut. Und Walo mochte Fabio.

Hatte unter anderem damit zu tun, dass beide ausgewanderte Heimwehbündner waren. Leidende, kantige Bergdörfler in der hippen flachen Stadt in der Fremde, mit der sie so fremdelten.

Und sie arbeiteten zusammen in den Werkstätten des Stadttheaters. Fabio als gelernter Schreiner hatte eine leitende Stelle in der Bühnenbildnerei inne. Und Walo war eben Feinmechaniker, der aber auch Grobrequisiten mit Finesse zu behandeln wusste. Von den hochkomplexen Multischarnieren einer Aida-Schiebekulisse über die ferngesteuerten Gelenke der Ritterrüstung Siegfrieds im Ring des Nibelungen bis hin zu den mit Federn, Relais, Draht, Lötzinn und Kondensatoren vollgestopften Eingeweiden von US-Flipperautomaten aus den Sechzigern für das Musical Grease – Walo konnte einfach alles präparieren und reparieren. Oder so raffiniert nachbauen, als wären es Originale.

Letzteres war für Fabio ganz praktisch.

»Sali, wie geht’s?« Er betrat Walos Reich und schloss hinter sich die Metalltür. Je weniger Ohren mithorchten, was sie hier dealten und besprachen, desto besser.

In der Werkstatt roch es nach heißen Metallspänen, Drehbankfett und Ozon. Und nach Walos Mittagessen. Irgendetwas mit geschmolzenem Käse und scharfer Wurst. Walo saß auf einem Drehhocker an einer frei stehenden Werkbank und schaute sehr satt und zufrieden aus.

Fabio war immer wieder aufs Neue fasziniert, wie dieser fettleibige Mensch mit seinen Schinkenpranken ein derart filigraner Feinmechaniker sein konnte. Wie Walo sich jetzt jede Fingerkuppe einzeln sauber saugte, erinnerte Fabio an ein Weißwurstwettessen. Am Dreifachkinn und der rechten Hängewange pappte etwas rote Soße, und sein schwarzes Haar klebte ihm in Strähnen an der Stirn, als hätte er gerade eine schweißtreibende Sportstunde hinter sich. Walo war sich selbst ja auch wirklich eine Riesenlast. Besonders spöttische Arbeitskollegen am Stadttheater frotzelten, das O an dessen Namensende sei total überflüssig.

Fabio fand Walo schwer in Ordnung. Und meinte das nicht zynisch.

»Ah, Caprez. Hab grad gegessen.« Mit einem dumpfen Faustschlag befreite Walo einen Rülpser aus seiner Brust. »Hättest doch vorher etwas gesagt, dann hätte ich dir aus dem Don Leone auch was mitgebracht.«

»Hab schon gegessen«, log Fabio. Im Mülleimer neben dem Tisch entdeckte er zwei fettfleckige Flachkartons im XXL-Format.

»Hab schon gegessen.« Walo äffte eine Tussi nach und flatterte dazu mit den Fingern, als trockne er Nagellack. »Aber wohl nichts Anständiges. Sicher wieder nur so Schlappsalat und Gemüsegestrüpp.«

»Frisches Grünzeug ab und zu würde auch dir nicht schaden, mein Freund.«

»Hey, ich hatte eben massenhaft Rucola auf meiner Pizza.«

»Und ich wette, den hast du vom Belag gezupft und weggeschmissen.«

Walos Robbenäuglein bestätigten Fabios Verdacht. Er versuchte es auf die Kumpeltour: »Nimm den Rat eines Freundes an. Du musst besser auf deinen Körper achten.«

»Tu ich doch. Gerade heute Morgen habe ich mich auf die Waage gestellt.«

»Und?«

»Ich bin zu klein.«

Fabio verdrehte die Augen, als hätte er einen kleinen Epileptischen.

»Ich hätte dich am Nachmittag sowieso noch angerufen«, sagte Walo. Mit einem Bärenächzer erhob er sich vom Drehhocker, zog seine Dehnbundhose hoch und schlurfte zu einem Eisenregal an der Wand.

»Du hast es fertig?«, fragte Fabio.

Walo griff in eine der vielen farbigen Plastikboxen und präsentierte auf der Handfläche sein neustes Werk. »Da ist es, das Geschenk für deinen Patenjungen. Zufrieden, Herr Caprez?« Er feixte wie ein Frischverliebter. Oder Dauerbekiffter.

»Ja, aber hallo. Das sieht ja prächtig aus.« Fabio betrachtete das Stück mit vorgebeugtem Oberkörper und professoral auf dem Rücken verschränkten Armen. »Darf ich?«

Walo legte ihm das Werk auf den ausgestreckten Handteller.

»Unglaublich, wie du das umgebaut hast.« Fabio drehte das silberne Ding um alle Achsen. »Und die neu gefräste Form ist wirklich wunderschön.« Er strich mit dem Daumen an den fein polierten Konturen entlang. »Genau so sahen diese Schiffe damals aus. Große Klasse, Walo, wirklich.«

»Probier doch aus, ob es funktioniert. Heiz dem Teil mal ein.«

Fabio hantierte daran, und bereits der erste Versuch gelang. Er und Walo strahlten sich an wie Jungen mit einem Blanko-Gutschein im Spielzeugladen von Franz Carl Weber.

»Über achtzig Jahre im Einsatz und funktioniert immer noch tadellos«, meinte Walo. »Solche Qualitätsware findest du heute nur noch selten. Was sagt der Caprez übrigens zu meiner eingefrästen Inschrift?«

Fabio kniff die Augen ein wenig zusammen und berührte mit der Nase beinahe das silberglänzende Ding. »Meisterhaft. Gestochen scharfe Gravur und so schön retro prägnant. Die Schriftart, die ist tatsächlich …«

»… Fraktur, wie du es haben wolltest.« Walo stülpte die Unterlippe vor, als sei er ein wenig beleidigt. »Finde ich persönlich ja zwar etwas sehr antiquiert – für ein Kind sowieso. Und ich frage mich schon, warum du …«

»Walo, bist ein wahrer Künstler«, fiel Fabio ihm ins Wort. Je weniger Hintergrundinformationen der Kerl erhielt, desto besser. »Hast was Großes gut bei mir.«

Der Hochgelobte errötet. »Ich hoffe, dein deutscher Patenjunge freut sich über das Geburtstagsgeschenk.«

»Deutscher Pat…? Woher …« Fabio schaute, als sei er ertappt worden.

»Na, bei uns hier heißt doch kein Mensch so. So … altmodisch sehr deutsch.«

3

Noch vor Feierabend fuhr Fabio vom Stadttheater auf direktem Weg ins Nordquartier zu Bärtschi Antiquitäten, um den Auftrag abzuliefern. Wenn er größere oder schwere Gegenstände transportierte, benutzte er seinen alten maltablauen Kleintransporter; heute jedoch lieferte er mit seinem E-Bike aus.

Fabio hatte auf dem Display seines Fahrradcomputers den Urban-Mountain-Modus eingetippt und zischte auf dem Radstreifen an den stehenden Autokolonnen vorbei. Doch andauernd musste er scharf abbremsen oder hektisch ausweichen, weil ein Wagen ausscherte oder zu weit rechts stand oder falsch von einer Seitenstraße einbog oder schlicht das neue Bike-first-Dogma der Verkehrspriester und Cityplaner nicht kapierte. Seit die Stadtregierung für viele Millionen die neuen, angeblich viel schnelleren und sichereren Radwege gebaut hatte, bewegten sich deren Benutzer näher an der Todeszone als je zuvor.

Für Fabio gerade der richtige Aufwärmkick für ein Treffen mit seinem Auftraggeber.

Bobby J. Bärtschi war ein sein Pensionsalter ignorierender Antiquitätenhändler mit Ostätzschweizer Dialekt, kurzer Statur, noch kürzerer Zündschnur, dafür langem Giftstachel. Sein Geschäftssinn war genauso scharf wie sein Hohn und Spott.

Brocken-King und Kotzbrocken.

Letzteres insbesondere zu Kundschaft, die entweder seine weltexklusive Ware nicht zu schätzen wusste – oder alles besser.

Bobby J. Bärtschi war Fälscher und Großmaul.

Plagiator und Plagöri.

Er hatte sich auf dem internationalen Schwarzmarkt einen Namen in der Sparte History-Piraterie gemacht. Der alte Sack erfand oder fälschte Artefakte der Weltgeschichte und verkaufte sie als »garantiert echt mit Zertifikat« an fanatische Sammler und geifernde Indiana-Jones-Jünger. Viele rücksichtslose Jäger verlorener Schätze (Bärtschi nannte sie Archäophaten) waren bereit, für abartige Trouvaillen oder geschichtlich skurrile Reliquien ein Heidengeld hinzublättern. Und keine Fragen nach Herkunft der Ware sowie Beschaffungsmethoden zu stellen.

Bärtschi ersann schamlos historische »Originale« – Fabio Caprez fabrizierte sie ebenso unverfroren. Echt gute Fälschungen. Und polierte damit seinen Lohn am Stadttheater auf, in letzter Zeit immer häufiger und profitabler. Es war mittlerweile mehr fette Glasur denn bloße Politur.

»Schau an, der Schlaubündner. Wurde aber auch langsam Zeit.« Bärtschi hockte in seinem fensterlosen, mit eselsohrigen Katalogen, staubigen Kartons, Nippes und Militaria-Krimskrams zugemüllten Kabuff. Überall hingen und standen gerahmte Uraltfotos herum mit steif posierenden Hochzeitspaaren, schnauzbärtigen Finstermännern oder feixenden Bubis mit hohen Stehkragen und abstehenden Ohren; alles wohl entweder längst verblichene Mitglieder der Bärtschisippe (war das Jüngelchen mit dem dämlichen Fratzengesicht am Ende Bobby selbst?) oder aber wildfremde Wahnsinnige aus schwarz-weißen Vorvorkriegszeiten.

Der niedrige Wackeltisch mit Grünfilzplatte, an dem er saß – Fabio hatte den bei seinem Erstbesuch vor sieben Jahren zuerst für einen Campingtisch gehalten –, soll angeblich im Ersten Weltkrieg Generalquartiermeister Erich Ludendorff als Kartentisch gedient haben. Behauptete Bärtschi.

»Warum hat das so lange gedauert? Der Kunde nervt mich täglich mit seinen Anrufen. Hast es endlich dabei?«

Seelenruhig schnallte Fabio seinen Rucksack ab, kramte darin herum, zog einen schwarzen Stoffbeutel heraus, hob ihn in die Höhe wie ein Priester eine geweihte Reliquie und machte dazu ein übertriebenes Showmastergesicht.

»Hör auf herumzukaspern. Gib endlich her.« Der Alte stemmte sich schwer schnaufend aus seinem dünnpfiffbraunen Ledersessel und baute sich vor Fabio auf. Bärtschi war hitzköpfig, rotgesichtig und übergewichtig. Sein Karamell gefärbtes, nach hinten brillantiertes Haar kräuselte sich im Nacken. Fabio hatte ihn in all den Jahren ihrer Zusammenarbeit noch nie in einer anderen Kluft gesehen als dieser: sommers wie winters tortilla-braune Tweet-Anzüge mit Karomuster, einen schwarzen Rollkragenpullover und kurioserweise immer auch noch ein beiges Hemd darüber. Der Alte erinnerte Fabio stets ein wenig an einen verarmten und vergrämten Landadeligen.

Bärtschi schnappte sich den Stoffbeutel, nestelte ihn auf und holte den Gegenstand heraus. Er begutachtete ihn von allen Seiten und ließ sich schließlich zu einem »Gopfertelligopferdammi« hinreißen. Seine Wüstwortwahl bei Höchstlob.

»Zufrieden also?« Fabio hatte die Hände wieder in Professorenmanier auf den Rücken gelegt. Er grinste etwas zu selbstgefällig.

»Momoll, geiles Teil«, sagte Bärtschi und fletschte Fabio ein gelbstummliges Lächeln zu. »Aber funktioniert es auch?«

Fabio nahm es ihm wieder aus der Hand, kippte die Verschlusskappe auf, ein Funke sprang heraus, und sogleich züngelte eine Flamme aus dem Gehäuse.

Das antiquarische Feuerzeug hatte er auf einer Auktionsplattform im Internet ersteigert, für nicht mal einen Hunderter. Ein Triplex Super von neunzehnsechsunddreißig, hergestellt von der österreichischen Knopf- und Metallwarenfabrik Julius Meister & Co. Ein Benzinfeuerzeug aus vernickeltem Stahl mit verschiebbarem Windschutz, Wattetank und Reibradzündung. Ein sturmerprobter Klassiker. Aus stürmischen Zeiten. Seinerzeit das Feuerzeug in Hitlers Wehrmachtstruppe.

So weit, so alt, so gut. Doch Bärtschis Kunden waren scharf auf obskure Historie. Also hatte der Alte sich hierzu eine Legende ausgedacht. Und Fabio mit der Umsetzung beauftragt. Und der wiederum hatte Walo um einen Fräs-Gefallen gebeten.

Das vormals hohe, rechteckige Feuerzeug hatte jetzt eine Zigarrenform, die Gestalt eines Luftschiffs, eines Zeppelins. Am Bug auf der Backbordseite war zudem ein Name eingraviert, in Frakturschrift, wie im Dritten Reich gebräuchlich.

Max Pruss.

Walo gegenüber hatte Fabio gelogen, das Feuerzeug sei ein Geburtstagsgeschenk für seinen Patenjungen, einem großen Zeppelin-Fan – den es so natürlich überhaupt nicht gab.

»So richtig herrlich geschichtspervers, das Ding. Findest du nicht auch, hä, Bündnerburschi?« Bobby J. Bärtschi feixte heiser. »Muss man sich mal auf der Zunge zergehen lassen. Ausgerechnet das Feuerzeug eines Zeppelinmannes; wo doch ein einziger Funke an Bord … Boooom.« Er schleuderte die Arme in die Luft und machte dazu ein Explosionsgeräusch. »Wir zwei sind schon ausgekochte Sieche, hä.« Er boxte Fabio in die Schulter. »Fehlt nicht mehr viel, und wir führen die Eiswürfelmaschine vom Kapitän der Titanic im Angebot.«

Fabio schaute ihn unsicher an. »Ist das jetzt … ein neuer Auftrag an mich?«

Erst ein feuchter Hustenanfall stoppte Bärtschis Räuberlachen.

Und so ging seine Geschichte mit dem Feuerzeug. Luftschiffer Max Pruss hatte im Jahre neunzehnsechsunddreißig das Kommando über die LZ129 erhalten, das größte je gebaute Luftfahrzeug – die »Hindenburg«. Aus Anlass der Beförderung zum Kapitän – an der Stelle begann Bärtschis Lügenmärchen – überreichte ihm die Deutsche Zeppelin Reederei ein eigens dafür angefertigtes Feuerzeug in Form eines Luftschiffs samt eingraviertem Namen.

Nur ein Jahr später, am 6. Mai 1937, kam es bei der Landung der Hindenburg im amerikanischen Lakehurst zur Brandkatastrophe mit fünfunddreißig Toten. Kapitän Pruss wurde beim Unglück so schwer verletzt, dass er noch gleichentags von einem Priester im Krankenhaus die Letzte Ölung erhielt. Er überlebte jedoch und erholte sich – sein Gesicht indes blieb für immer vom Feuer entstellt.

Max Pruss’ Feuerzeug – so flunkerte Bärtschi seinem Kunden gegenüber – sei später am Absturzort in den Trümmern gefunden und dem Eigentümer zurückgegeben worden. Nach Preuss’ Tod neunzehnsechzig erstand ein Sammler aus London das Stück, dessen Erben es wiederum zwanzig Jahre später einem flämischen Schatzjäger von Devotionalien aus der Nazi-Zeit weiterverkauften. Hier verlor sich angeblich die Spur des Artefaktes.

Bis Bärtschi Antiquitäten das Feuerzeug »zufällig« aufgespürt und angekauft hatte.

»Und das Echtheitszertifikat?«, bellte der Chef jetzt. »Hast hoffentlich eines gebastelt?«

Fabio griff erneut in seinen Rucksack und streckte ihm ein Stück Papier entgegen. Format A4, mit dünnem Holzrahmen und hinter Glas.

Bärtschi las und grunzte.

»Zufrieden?« Fabio klang leicht genervt.

»Papier?«, fragte Bärtschi, ohne vom Dokument aufzusehen.

»Original von neunzehnachtzig. Schreibmaschinenblatt Typ Kanzlei, Grau-Ripp, leicht vergilbt, Oberkante mit kleiner Blessur. Hab ich aus alten DDR-Beständen.«

»Schreibmaschine?«

»Brother Super 7300 D mit Kugelkopf.«

Bärtschis Ätzton bekam noch eine Aggressivstufe mehr, als er fragte: »Und hat das Jüngelchen auch daran gedacht, ein ebenso altes Farbband zu benutzen?«

Fabio riss die Augen auf und griff sich an den Kopf. »Jesses, nein, ich habe doch tatsächlich …« Abrupt brach er seine Show ab und zischte Bärtschi spöttisch zu: »Hallo. Bin ich ein Anfänger oder was?«

Bärtschi bewegte den Mund, als wollte er ausspucken. »Idiot, einen alten Mann so zu erschrecken.« Dann hielt er sich das Papier dicht vor seinen rot geäderter Zinken. »Und wer soll dieser Experte sein?« Er deutete auf die Unterschrift am Ende des Dokuments. »Doktor Hans-Emil Koblenzer? Hast den frei erfunden?«

»Aber Meister Bärtschi.« Fabio hatte mit einem Mal den Tonfall einer Intensivpflegekraft drauf. »Den Mann haben wir doch vor ein paar Monaten bereits einmal als Gutachter benutzt. Schon vergessen?«

Bärtschi tat einen Doppelgrunzer.

»Bismarcks Nachttopf aus Sterlingsilber«, sagte Fabio. »Na, klingelt’s?«

»Jäso säb, stimmt. Und wie war das noch gleich: Diesen Dr. Klugscheißer … den gibt es tatsächlich?«

»Gab es tatsächlich. Koblenzer ist vor zwölf Jahren mit über neunzig verstorben. Ein sehr bekannter Gutachter. Er war damals im Team jener Experten, die die Hitlertagebücher von Konrad Kujau, die der Stern damals veröffentlichte, als echt bezeichneten.«

Bärtschi schaute Fabio gehässig an. Jeden Moment konnte aus den Ohren des Alten Rauch aufsteigen. »Ernsthaft? Spinnst du, Schlaubündner. Ausgerechnet so eine Pfeife präsentierst du hier als unseren Gutachter? Momoll, wahnsinnig glaubwürdig.«

»Ja, ganz genau darum. Nach seinem Jahrhundert-Lapsus mit Führers Memoiren war Koblenzer fortan doppelt und dreifach kritisch bei seinen Gutachten. Wenn er also etwas als echt bezeichnete – dann war es das garantiert.«

Jetzt grunzte Bärtschi drei Mal.

Schließlich setzte er sich wieder an seinen Generals-Campingtisch und holte aus einer Seitenschublade eine gelbe Geldkassette heraus. Zweieinhalbtausend klopfte er in Fünfhundertern auf die Grünfilzplatte und schob Fabio – »da, deine Gage, du Künstler« – seinen Anteil zu.

Gerade als dieser nach den aufgefächerten Geldscheinen greifen wollte, brummte sein Telefon in der Gesäßtasche der Jeans. Er klaubte es heraus und schaute auf das Display.

»Das ist …« Sein Gesicht erstarrte. »Da muss ich rangehen.«

»Eine deiner Miezen, hä?«, giftete Bärtschi.

Mit einer unnatürlich langsamen Bewegung hob Fabio das Telefon an sein Ohr, als fürchte er sich davor, das Gespräch anzunehmen. »Mama, was ist passiert?« Er lauschte lange, viel zu lange, ehe alle Farbe aus seinem Gesicht wich und die braunglänzenden Jungstieraugen zu Schmutzklumpen wurden.

»Ist … tot.« Er flüsterte. Und dann noch: »Ja, ich werde kommen.«

4

Eliza wusste gerade nicht, was sie wunderlicher finden sollte.

Dass dieses Treffen an Bord eines Privatjets stattfand. Oder dass die Maschine während der gesamten Besprechung auf dem Vorfeld des Airports herumstand.

Himmel noch mal, so ein Luxusvogel gehörte doch in die Wolken. Was für eine Vergeudung – als ehemaliger Swissair-Stewardess krampfte sich ihr bei so was der Herzmuskel zusammen –, einen solchen Sphärenflitzer am Boden stehen zu lassen. Als zwinge man einen Adler ins Vogelhäuschen.

Lediglich die Meeting-Zeit verging wie im Flug. Was primär an Elizas Neukunden lag.

Norbert Kitzbichler.

Quereinsteiger, Querschläger, Quadratschädel.