Der Schatten der Vergangenheit und das schleichende Gift - Alexander Lombardi - E-Book

Der Schatten der Vergangenheit und das schleichende Gift E-Book

Alexander Lombardi

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Beschreibung

Im sechsten Abenteuer müssen die vier vom See damit fertig werden, dass Emma gemobbt und sogar des Diebstahls beschuldigt wird. Das bringt die vier Freunde fast auseinander; sie müssen sich entscheiden, wessen Wort sie glauben. Und dann werden Antonia und andere Menschen am Starnberger See auch noch schwer krank. Ob es ihnen gelingt, beide Fälle aufzuklären?

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Seitenzahl: 299

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ALEXANDER LOMBARDI · SANDRA BINDER

Die 4 vom See

Die Schatten der Vergangenheit und das schleichende Gift

SCM ist ein Imprint der SCM Verlagsgruppe, die zur Stiftung Christliche Medien gehört, einer gemeinnützigen Stiftung, die sich für die Förderung und Verbreitung christlicher Bücher, Zeitschriften, Filme und Musik einsetzt.

ISBN 978-3-417-27050-1 (E-Book)

ISBN 978-3-417-28968-8 (lieferbare Buchausgabe)

Datenkonvertierung E-Book: CPI books GmbH, Leck

© 2022 SCM Verlag in der SCM Verlagsgruppe GmbH

Max-Eyth-Straße 41 · 71088 Holzgerlingen

Internet: www.scm-verlag.de; E-Mail: [email protected]

Die Bibelverse sind folgender Ausgabe entnommen:

Neues Leben. Die Bibel, © der deutschen Ausgabe 2002 und 2006 SCM R.Brockhaus in der SCM Verlagsgruppe GmbH Holzgerlingen

Umschlaggestaltung: Patrick Horlacher, Stuttgart

Titelbild und Illustrationen: Clara Vath, varth.de

Satz: Burkhard Lieverkus, Wuppertal

Lektorat: Christiane Kathmann, www.lektorat-kathmann.de

Inhalt

Die 4 vom See – das sind …

Kapitel I: Schatzsuche

Kapitel 1: Unter Wasser

Kapitel 2: Die Neue

Kapitel 3: Begegnung im Waschraum

Kapitel 4 Mit Opa Hans auf dem See

Kapitel II: Die Flucht beginnt

Kapitel III: Im Gedrängel

Kapitel IV: Es wird eng

Kapitel 5: Emma unter Beschuss

Kapitel 6: In der alten Villa

Kapitel 7: Skandal in der Schule

Kapitel 8: Das Video

Kapitel V: Unerwartete Verbündete

Kapitel VI: Immer weiter

Kapitel VII: Vorkehrungen

Kapitel VIII: Das letzte Stück der Reise

Kapitel 9: Der Streit

Kapitel 10: Das Versteck

Kapitel 11: Schubladen

Kapitel 12: Aufgedeckt

Kapitel 13: Måneskin

Kapitel IX: Daheim

Kapitel X: Ein freudiges Wiedersehen

Kapitel XI: Die Gänsemagd

Kapitel 14: Der Dieb wird enttarnt

Kapitel 15: Gift

Kapitel 16: Gerechtigkeit für Emma

Kapitel XII: Wir schaffen das!

Die 4 vom See – das sind …

Antonia wohnt schon, seit sie denken kann, in der großen Burg direkt am Ufer des Starnberger Sees, mitten zwischen den Villen der Reichen und Schönen – ein Zuhause, um das sie viele beneiden. Ihre Eltern Andreas und Gitti Reihmann sind die Herbergseltern der Jugendherberge, die in dem Gebäude untergebracht ist, deshalb wohnt die Familie in dem historischen Gemäuer. Wenn Antonia morgens aufwacht, kann sie ans Fenster treten und auf den See hinausblicken – wenn sie dabei nicht über ihr Kletterzeug stolpert, das meistens irgendwo im Zimmer auf dem Boden liegt. Klettern ist Antonias größtes Hobby, sehr ordentlich ist sie aber nicht. Wenn sie nicht in einer Felswand hängt, liest sie gerne Informationen über Geschichte und Archäologie. Ihr Wissen hat den vier Freunden bei ihren Entdeckungen schon oft geholfen.

Antonia hat zwei jüngere Geschwister, die siebenjährigen Zwillinge Sina und Lukas. Zu ihrer Familie gehört außerdem Opa Hans, ein alter Fischer, der nicht weit entfernt von der Seeburg in einer Fischerhütte direkt am See lebt und über die Jahre zu ihrem Ersatzopa geworden ist. Von seinen Ratschlägen und vor allem seinem festen Glauben hat Antonia schon viel gelernt.

Die Familie Reihmann besucht eine evangelische Freikirche in Starnberg. Für Antonia gehört der Glaube ganz selbstverständlich zum Alltag dazu, und dass sie sich auf Jesus verlassen kann, hat sie schon oft erfahren. Das heißt aber nicht, dass es nicht auch einige Dinge in ihrem Leben gibt, die sie richtig ärgern oder nerven. Beispielsweise leidet Antonia seit dem Kindergartenalter an Diabetes. Sie muss ständig eine Insulinpumpe tragen, die das lebensnotwendige Insulin in ihren Körper abgibt. Meistens hat Antonia ihre Krankheit gut im Griff, doch manchmal sackt ihr Blutzucker plötzlich ab, und dann wird es gefährlich für sie, wenn sie nicht sofort etwas Zuckerhaltiges isst oder trinkt. Zum Glück wissen ihre Freunde Bescheid, besonders ihre beste Freundin Emma, und können ihr im Notfall helfen.

Antonia hasst es, schwach zu sein. Sie regt sich schnell auf, wenn ihr jemand unterstellt, dass sie etwas nicht kann, und wird richtig wütend. Ihre Kraft und Entschlossenheit machen sie zu derjenigen, die bei den vier vom See oft die Initiative ergreift.

Emma ist da etwas zurückhaltender. Sie denkt eher zweimal nach, bevor sie etwas unternimmt, ist dafür aber gründlich und plant voraus. Ihre Stärke liegt vor allem in der Planung – und in der Recherche. Emma ist eine talentierte Forscherin, Naturwissenschaften sind ihre Leidenschaft. Außerdem reitet sie, ihr Pferd Firestorm ist ihr ein und alles.

Emmas Eltern sind geschieden und so lebt sie einen Teil der Woche im Zuhause ihrer Mutter und ihres Stiefvaters Peter und den anderen Teil bei ihrem Vater Jörg und seiner Frau Manuela. Jörg ist Chemiker und betreibt ein Analyse- und Forschungslabor in der Villa am See. Manuela ist Innenarchitektin und engagiert sich stark in sozialen Projekten. Zusammen haben sie noch eine Tochter, Emmas jüngere Halbschwester Mia. Peter ist Kommissar bei der Kripo in Starnberg, Emmas Mutter Katrin ist Arzthelferin.

Emma leidet unter der Zerrissenheit, darunter, sich immer zwischen ihren Eltern entscheiden zu müssen. Meistens versucht sie, nicht weiter darüber nachzudenken, aber manchmal gelingt ihr das nicht.

Emma hat sich im Versteck der vier vom See, einem alten Zirkuswagen auf dem Gelände der Seeburg, ein kleines Labor eingerichtet. Hier verbringt sie viele Stunden mit Experimenten. Außerdem ist sie häufig auf der Seeburg bei ihrer besten Freundin Antonia. So häufig, dass sie dort eine Zahnbürste im Bad stehen hat und einen festen Sitzplatz in der Küche. Sie fühlt sich bei Antonias Familie sehr wohl und genießt die gemeinsamen Abendessen am großen Familientisch.

Während der Trennungsphase ihrer Eltern musste Emma lernen, die Stimmungen anderer Menschen schnell zu erfassen. Sie ist deshalb sehr sensibel und hoch empathisch, außerdem scheut sie Konflikte. Bei den teilweise abenteuerlichen Unternehmungen der vier Freunde ist sie oft diejenige, die die anderen bremsen möchte.

Frankys Zuhause liegt direkt am Sportplatz von Allmannshausen – nicht das Reihenhaus seiner Familie, das befindet sich ein paar Straßenzüge weiter, sondern das Restaurant seiner Eltern, in dem die Familie die meiste Zeit verbringt. Frankys Vater Germano und seine Mutter Elvira sind aus Italien nach Deutschland gezogen und betreiben die Pizzeria schon seit vielen Jahren. Sie backen die beste Pizza in der gesamten Umgebung und so treffen sich bei »La Ruota« Nachbarn, Freunde und Sportvereine. Franky liebt auf der einen Seite Pizza über alles (wie fast jedes italienische Gericht), auf der anderen Seite hasst er es, im Restaurant mit anpacken zu müssen.

Neben der Zubereitung italienischer Gerichte kennt sich Frankys Vater vor allem mit einem aus: Fußball. Er trainiert die Jugendmannschaft des TV Berg und war selbst in seiner Jugend ein richtig guter Spieler. Sehr zum Leidwesen von Franky hat er seinen Ehrgeiz nie ganz abgelegt und ihn auf seinen Sohn übertragen, bei dem er sofort ein großes Talent für Fußball erkannt hat. Franky spielt gerne und gut Fußball, doch es ist nicht seine erste Leidenschaft und die Pläne, die sein Vater für ihn hat, sind ihm zu viel. Deshalb hat er vor einiger Zeit mit dem Training aufgehört und widmet sich nun dem Hobby, das ihn wirklich begeistert: Programmieren.

Franky ist der Computerexperte der vier Freunde. Er ist in der Lage, sich schnell mit jedem fremden System vertraut zu machen, und hat seine Hackerkünste schon manchmal eingesetzt, um Dinge herauszufinden, die sonst nicht zugänglich gewesen wären. Aber er achtet streng darauf, keinen Schaden anzurichten.

Emma, Antonia und Franky kennen sich schon seit der Grundschule. Gemeinsam haben sie vor ein paar Jahren einen alten Zirkuswagen auf dem Gelände der Seeburg zu einem gemütlichen Versteck gemacht, in dem sie sich treffen, reden und Pläne schmieden. Franky ist gerne dort. Mit dem Glauben hat er nicht so viel am Hut. Seine Familie ist zwar in einer katholischen Kirchengemeinde und Franky hat an der Kommunion teilgenommen, aber sie gehen eigentlich nur an den hohen Feiertagen in den Gottesdienst und der Glaube spielt in ihrem Alltag kaum eine Rolle.

Jaron ist erst vor Kurzem zu den anderen drei gestoßen. Er ist zusammen mit seiner Mutter von Köln an den Starnberger See gezogen, als diese eine Arbeit als Sekretärin auf der Seeburg angenommen hat. Angelika Rahn und Gitti Reihmann sind alte Schulfreundinnen und haben immer Kontakt gehalten. Jarons Vater lebt nicht mehr, er ist bei einem Autounfall ums Leben gekommen, als Jaron vier Jahre alt war. Der Unfall hat Jarons Leben überschattet, lange hat er geglaubt, er wäre schuld am Tod seines Vaters. Erst vor wenigen Monaten hat er erkannt, dass das falsch war und er sich lange grundlos gequält hat. Seitdem weiß er, wie viel Kraft man aus Vergebung ziehen kann.

Jaron interessiert sich für Flugzeuge, trainiert leidenschaftlich Kung-Fu und liebt Sport aller Art – am Starnberger See hat er zum Beispiel das Surfen für sich entdeckt. Jaron liebt den See. Wann immer er Zeit hat, geht er schwimmen oder sitzt am Seeufer und flitscht Steine über die Oberfläche. Der historische Löwensteg der Seeburg ist dafür der perfekte Ort. Die wechselnden Wetterlagen über dem See faszinieren ihn und er bekommt nicht genug davon.

Jaron und seine Mutter Angelika gehen in die gleiche Gemeinde wie Antonia und ihre Eltern. Sie waren in Köln schon in einer freien Gemeinde und haben sich in Starnberg gleich zu Hause gefüllt. Dazu trägt auch bei, dass Jaron nach dem Umzug endlich einen besten Freund gefunden hat – Franky. Nicht nur sind die beiden unzertrennlich, Jaron liebt außerdem die Pizza, die Frankys Vater backt.

»Jetzt werden wir sehen, ob uns der was nützt«, sagte Karl und zog einen Dietrich aus der Tasche. Der kleine Metallhaken, den er aus einem Stück Draht gebogen hatte, sollte sie endlich an ihr Ziel im Keller führen.

Hinter ihm rückten seine drei Geschwister näher und schauten ihm über die Schulter. Karl steckte den Haken in das Schlüsselloch der Kellertür. Wie es ihm sein Bettnachbar gezeigt hatte, drehte er den Dietrich hin und her. Er spürte die Bewegung der Bolzen. Tatsächlich! Beim dritten Versuch klickte es. Das Schloss war offen.

»Sie ist auf«, sagte er staunend und drückte die Klinke herunter.

»Hurra!«, jubelte Elfie, doch Katrin hielt ihr sofort mit der Hand den Mund zu.

»Leise!«, zischte der Vierzehnjährige, »sonst wird es nichts mit der Rückkehr nach Mannheim, auch wenn da drin was Wertvolles sein sollte.«

Elfie verstummte und schaute betreten zu Boden. Aber nicht lange, dazu war sie viel zu neugierig. Karl zog die Tür auf und alle vier Kinder traten einen Schritt zurück. Vor ihnen lag Dunkelheit.

Hinter dem Türrahmen erstreckte sich ein schmaler Gang in Richtung der Seeburg, in der das Kinderheim untergebracht war. Sein Ende war nicht zu erkennen, er verlor sich in Finsternis. Muffig roch es aus dem Loch, alt und feucht. Aber da war noch ein anderer Geruch, ein Hauch von etwas Scharfem, das in der Kehle brannte. Etwas Fremdes, von dem man sofort wusste, dass man nicht viel davon ertragen würde.

Karl atmete einmal durch, dann sah er Katrin, Elfie und den kleinen Wilhelm an. »Nun?«, fragte er. »Wollen wir?«

Katrin nickte. Wilhelm griff nach ihrer Hand und drückte sich an sie. Elfie trat einen Schritt vor und wollte als Erste durch die Türöffnung gehen, doch Karl hielt sie zurück.

»Ich gehe vor«, sagte er bestimmt. »Wer weiß, was da drin auf uns wartet.« Das war nicht der einzige Grund, warum er vorangehen wollte. Er hatte Angst und es wurmte ihn, dass seine kleine Schwester unerschrockener war als er selbst. Also trat er trotz seiner Zweifel in den dunklen Gang. Es war einfach zu wichtig, dass sie Geld für ihre Flucht fanden. Er tastete die Wand ab und seine Hände fühlten einen Lichtschalter. Ein Glück, dachte er erleichtert, als er den Knopf herumdrehte. Eine Glühbirne an der Decke flammte auf und nun konnten die vier sehen, wo der Gang endete: an einer weiteren Tür aus rauem, massivem Holz.

Hintereinander gingen sie auf diese zu. Karl wollte schon seinen Dietrich hervorholen, drückte aber zuerst auf die Klinke. Die Tür war offen.

Wieder lag Dunkelheit vor ihnen, doch dieses Mal fand Karl den Schalter sofort und sie sahen, dass es hier nicht mehr weiterging. Der Raum vor ihnen musste unter der Burg liegen, schätzte Karl, aber es gab keinen anderen Zugang als den, den sie vom Schuppen aus genommen hatten. Er sah sich um. Vor roh gemauerten Wänden standen auf der einen Seite mehrere flache Kisten an die Wand gelehnt. Auf der rechten Seite stapelten sich Metalldosen auf einem Regal. Der chemische Geruch war hier viel stärker, sodass ihm fast die Augen tränten. Er trat zu den silbernen Behältern und betrachtete sie. Auf alle waren Etiketten aus Papier geklebt. Karl beugte sich vor und las laut: »Selenophenol.« Auf einer anderen Dose stand »Zyklon B«. Elfie drehte eine der Dosen herum, um die Beschriftung besser lesen zu können. »Chemiefabrik Adolf von Brüning Mannheim«, las sie vor. Sie sah ihren großen Bruder an und fragte: »Das ist doch die Firma, in der Papa gearbeitet hat, oder?«

»Ja, stimmt«, antwortete Karl.

»Was haben denn Chemikalien aus Mannheim hier am Starnberger See zu suchen?«

Karl zuckte mit den Schultern. »Das kann ich dir nicht sagen.«

»Sind die Dosen wertvoll? Können wir sie eintauschen gegen ein Zugticket?«, fragte Elfie.

»Ich habe keine Ahnung«, erwiderte Karl. »Aber ich denke, eher nicht. Ich glaube, das steht nur hier unten, weil es so stinkt.«

Sie blickte ihn enttäuscht an. »Und wie kriegen wir jetzt Geld, um nach Mannheim zu kommen? Ich will zu Mama.«

Karl seufzte genervt. »Jetzt sei doch nicht so ungeduldig, wir werden schon was finden!«

Er drehte sich von den Regalen weg. Katrin, die mit Wilhelm bei der Tür stehen geblieben war, sah ihn fragend an, aber er zuckte nur mit den Achseln. Die Kisten an der anderen Wand zogen seine Aufmerksamkeit auf sich. Sie bestanden aus dünnen, genagelten Brettchen, gingen ihm etwa bis zur Hüfte und waren nur eine Handbreit dick. Ein ganzer Stapel lehnte an der Wand. Karl zog die vorderste zu sich und besah die Rückseite. Nichts ließ darauf schließen, was sich darin befand, keine Beschriftung, kein Etikett. Er fasste die Kiste links und rechts und versuchte, sie anzuheben. Sie schabte am Boden entlang, doch es gelang ihm kaum, sie ein wenig in der Luft zu halten.

Katrin stand neben ihm und beobachtete ihn. »Und? Was meinst du?«, fragte sie. »Sind die Kisten das, was wir brauchen?«

Karl richtete sich auf und rieb sich den Staub von den Händen. Ein Spreißel hatte sich aus dem ungehobelten Holz in seine Handfläche gebohrt und schmerzte. Er packte ihn mit den Fingerspitzen und zog ihn heraus. Dann seufzte er. »Selbst wenn der Inhalt der Kisten viel wert sein sollte, nützt er uns nichts. Die Dinger sind viel zu schwer. Die könnten wir nicht mal bis runter zum See tragen und schon gar nicht bis zum Bahnhof in Starnberg.«

Die enttäuschten Gesichter seiner Geschwister waren für ihn kaum zu ertragen. Er lächelte. »Jetzt nicht den Mut verlieren! Wisst ihr noch? So schnell geben wir nicht auf, das haben wir uns versprochen. Lasst uns erst einmal zurück in unser Versteck gehen, damit uns hier unten niemand erwischt. Ich habe da noch eine Idee …«

Er trat zu Katrin und Wilhelm, legte seinem kleinen Bruder die Hand auf die Schulter und nickte seiner Schwester zu. »Kommt«, sagte er, »hier ist es wirklich nicht angenehm, lasst uns verschwinden.«

Die zehnjährige Elfie stand immer noch vor dem Regal mit den Dosen. Als sich Karl umdrehte, steckte sie gerade etwas in die Tasche ihrer Schürze.

»Kommst du, Elfie?«, fragte er.

Sie nickte, ging zu ihm und griff nach seiner Hand. »Hast du wirklich noch eine andere Idee?«, fragte sie ein wenig misstrauisch.

Karl schmunzelte, sie kannte ihn einfach zu gut. Aber in diesem Fall lag sie falsch. Er hatte nicht geschwindelt, nur um sie beruhigen. Er hatte tatsächlich noch eine Idee, wie er ihnen die Flucht aus dem verhassten Kinderheim ermöglichen könnte, in das sie vor ein paar Monaten gegen ihren Willen gebracht worden waren.

»Elfie, Elfie, Elfie«, sagte er, immer noch lächelnd, »du gibst dich mit einfachen Antworten nicht zufrieden, oder? Ja, ich weiß noch eine andere Möglichkeit, uns Geld für die Bahnfahrt zu besorgen. Aber die erzähle ich euch erst, wenn wir sicher in unserem Versteck sitzen. Und jetzt raus hier!«

Adolf von Brüning schreckte hoch. Für einen Moment schwebte er zwischen Traum und Wirklichkeit. Doch dann wurde ihm klar: Etwas hatte ihn geweckt. Etwas Fremdes. Doch was?

Der Heimleiter sog die Luft scharf ein und sah sich um. Sein Blick glitt über den großen Kleiderschrank, den Lehnsessel aus Leder am Fenster, die Anrichte mit Kristallkaraffen und Gläsern und die Ölgemälde an der Wand. In seinem Schlafzimmer im obersten Stock der Seeburg schien alles wie immer. Und doch, da war etwas gewesen. Der Wecker auf seinem Nachttisch zeigte 3 Uhr.

Mit einem Arm stützte er sich auf. Er schwang seine Beine über die Bettkante und stöhnte leise, wie jedes Mal. Seine kaputte Hüfte brauchte immer lange, bis der Schmerz sie nicht mehr lähmte. Sitzend rieb er sich die Seite und streckte sich kurz, bevor er mühsam aufstand und ans Fenster humpelte.

Draußen lag der See vollkommen ruhig im Licht des Halbmonds. Sein Licht spiegelte sich auf der Wasserfläche. Kein Blatt regte sich an den Bäumen. Alles war still. Hatte er sich geirrt? Er legte die Hände vors Gesicht und rieb seine müden Augen, blinzelte mehrmals und lauschte erneut.

Da! War da nicht eine Bewegung unter den Bäumen gewesen? Von Brüning öffnete das Fenster und lehnte sich weit in die kühle Nachtluft hinaus. Es raschelte im Laub auf dem Abhang zwischen Burg und Seeufer. Der Zweig eines Gebüschs schwang hin und her und er meinte, einen Schatten zu erkennen, der sich zwischen die Stämme duckte. Von Brüning kniff die Augen zusammen. Er sah genau hin und hielt den Atem an. Doch der Schatten war weg und alles war wieder vollkommen still.

Eine ganze Weile stand der hagere Mann am Fenster, spähte und lauschte in die Dunkelheit. Irgendwann riss ihn der Ruf eines Käuzchens aus seiner Starre und er bemerkte, wie kalt seine nackten Beine unter dem Nachthemd geworden waren. Vielleicht hat mich doch nur ein böser Traum geweckt, dachte er, zuckte mit den Schultern und schloss das Fenster. Und das da draußen war bestimmt ein Reh, du Dummkopf!, rügte er sich selbst.

Sein Bett war noch nicht vollkommen ausgekühlt. Mit einem zufriedenen Seufzer streckte von Brüning sich darin aus und zog das dicke Federbett über sich.

Kapitel 1

Unter Wasser

Starnberger See, Gegenwart, Sommer

Die Sonne ließ die kleinen Wellen auf der Oberfläche des Starnberger Sees glitzern, ein leichter Wind wehte von Südwesten, die Luft war weich und klar an diesem Frühsommertag. Der letzte Schnee auf den Gipfeln der Alpen leuchtete am Horizont. Ein kleineres Segelboot fuhr am Ostufer entlang, weit genug draußen, um die Schwimmer an der Badestelle in Berg nicht zu stören. Am Kiesstrand machte sich ein einsamer Taucher bereit, er schwitzte bereits nach wenigen Minuten in seinem schwarzen Neoprenanzug und hatte es eilig, ins Wasser zu kommen.

Als er ins Wasser stapfte, verscheuchte er ein Blesshuhn, das sich auf der Suche nach Nahrung zu nahe an den Strand gewagt hatte. Ein kleiner Junge auf einem Schwimmreifen trieb an ihm vorbei und beobachtete neugierig, wie der Taucher die Brille aufzog und das Mundstück anlegte. Dann ließ sich der Mann ins kühle Wasser sinken.

Direkt unter der Wasseroberfläche tanzten die Sonnenstrahlen im Rhythmus der Wellen, und als er die ersten Schläge mit den Flossen tat, stießen deren Spitzen an den Boden, der mit runden Kieseln bedeckt war. Langsam ließ er sich weiter hinaustreiben. Knapp schwebte er über den Boden hinweg. Kleinere Fische schwammen hektisch aus seinem Weg. Tang bewegte sich in der Strömung.

Nach kurzer Zeit kam der Taucher an der Tauchstelle an, wegen der jedes Jahr etwa 4 000 Taucher hierherkamen. Der flache Boden verschwand plötzlich und unter ihm war nur noch dunkelgrünes Wasser. Er hatte die Allmannshauser Steilwand erreicht. Einen kurzen Moment zögerte er und streckte noch einmal den Kopf aus dem Wasser. Niemand achtete auf ihn. Niemand in der Nähe schien zu wissen, dass Alleingänge hier streng verboten waren. Er beugte sich vor und schwamm mit kräftigen Beinschlägen in die Tiefe, immer am Felsen entlang.

Die Wand fiel neben ihm in Stufen immer weiter ab. Ihre Oberfläche, die im Schein seiner Lampe aufleuchtete, sah aus wie der Boden einer Wüste aus hellem Sand und Stein. Je tiefer er sank, desto dunkler wurde es um ihn herum. Auf einmal schrak er zurück: Der Kopf eines riesigen Hechts tauchte im Lichtkegel auf. Seine Augen starrten den Eindringling böse an. Doch ein Flossenschlag, und der Fisch verschwand in der Dämmerung.

Seine Tauchuhr zeigte an, dass er inzwischen zwanzig Meter tief gekommen war. Vor ihm zogen sich Aale in ihre Höhlen in der Felswand zurück, als er vorbeischwamm. Er warf einen Blick nach oben, das Wasser über ihm leuchtete grün.

Es wurde immer dunkler, kleine Partikel schwebten an ihm vorbei, die Sicht betrug nur ein paar Meter. Irgendwann kam er an der Plakette vorbei, die vierzig Meter Tauchtiefe anzeigte. Hier mussten diejenigen, die mit Pressluft tauchten, umdrehen. Er jedoch sank immer tiefer, hinab in die Dunkelheit des Sees.

Schließlich endete die Steilwand und der Boden wurde flacher. Die Tauchuhr zeigte siebzig Meter. Gegenstände tauchten im Lichtschein auf, eine alte Toilette, eine Gartenbank, die irgendjemand hier entsorgt hatte, aber auch Dinge, die andere Taucher hier aus Spaß zurückgelassen hatten: eine Minion-Figur, ein Weihnachtsmann aus Ton, eine Gruselmaske. All das interessierte ihn nicht. Systematisch suchte er den Boden ab, schwamm immer weiter, bis er die Bereiche des Seegrunds erreicht hatte, in die die Sporttaucher nur selten vordrangen. Die Wassertemperatur hier unten betrug nur noch wenige Grad über null und er konnte nur wenige Meter weit sehen.

In einem genau geplanten Muster suchte der Taucher den Boden ab. Immer weiter führte ihn sein Weg. Dann, urplötzlich, tauchte das vor ihm auf, was er gesucht hatte. Er hielt inne und richtete seine Lampe auf den Boden vor ihm. Für einen Moment schwebte er nur regungslos und atmete tief ein und aus. Die Luftblasen seines Atems stiegen sprudelnd nach oben, Richtung Oberfläche.

Der Taucher holte seine Kamera hervor. Plötzlich bemerkte er einen großen Schatten neben sich und riss überrascht den Kopf herum. Er spürte, dass etwas an seinem Atemschlauch riss, und wehrte sich verzweifelt, schlug mit Armen und Beinen um sich, seine Kamera fiel auf den Boden. Auf einmal ertönte ein lautes Zischen und Brodeln, Luft stieg in großen Blasen auf und dem Taucher blieb der Atem weg. Der Schatten verschwand. Panisch strampelte der Taucher, stieß sich immer weiter hinauf, alle Vorsicht beim Aufsteigen außer Acht lassend. Mit letzter Kraft aktivierte er den Luftsack. Der Beutel füllte sich zischend mit Pressluft und riss den Mann an seiner Leine hinauf, immer weiter, bis zur Oberfläche.

Unten am Boden des Sees blieb die Lampe des Tauchers zurück und sorgte für einen schwachen Lichtschein in dem dunkelgrünen Wasser. Nach einigen Stunden wurde ihr Licht schwächer, flackerte, verlosch schließlich ganz.

Die Gegenstände, die der Taucher gesucht und gefunden hatte, waren wieder in Dunkelheit gehüllt. Doch in dem verzweifelten Kampf hatte der Mann um sich getreten und dabei die Hülle eines Behälters eingedrückt. Ganz langsam drangen erste Tropfen des Inhalts hinaus und vermischten sich mit dem Seewasser.

Kapitel 2

Die Neue

Starnberger See, zwei Wochen später

Dieser Morgen beginnt definitiv nicht so, wie er sollte, dachte Emma seufzend, als sie mit ihrer besten Freundin Antonia das Klassenzimmer betrat. Die gesamte Klasse hatte sich um die Cousinen Isabelle und Xenia geschart, ein böses Zeichen, das wusste Emma. Besonders ärgerlich, dass auch Jaron und Franky unter den Neugierigen waren, die wie hypnotisiert auf das Smartphone starrten, das Isabelle ihnen hinhielt. Emma schob irritiert ihre Brille hoch und sah Antonia an. Die wusste sofort, was sie störte, und verdrehte die Augen.

»Wahrscheinlich zeigt sie wieder ein paar Fotos von ihrem Fotoshooting«, vermutete Emma leise und folgte ihrer Freundin, die sich zu ihrem Platz durchdrängelte.

»Ja, sie wird bestimmt mal so ein Topmodel«, antwortete Antonia deutlich genervt und extra laut, damit jeder es hören konnte. »Oh Mann, die geht mir so auf den Zeiger!« Mit diesen Worten schwang sie sich auf ihren Sitzplatz und stellte ihren Rucksack auf die Seite. Emma setzte sich neben sie und bemerkte aus dem Augenwinkel, dass Isabelle sie beide ansah. Doch sie achtete nicht auf sie und holte stattdessen Buch und Heft aus dem Ranzen.

»Sie ist voll berühmt«, sagte Isabelle zu den anderen, »sie hat über 600 000 Follower. Das sind krass viele – und sie kommt in unsere Klasse!«

»Bist du dir sicher?«, fragte Franky und sah sie ungläubig an.

»Ja klar. Meine personal Trainerin hat es mir erzählt«, trumpfte Isabelle auf.

»Die ist nämlich auch die Trainerin von Luna«, fügte Xenia an und blickte in die Runde.

»Aha, und wer soll das sein?«, rief Antonia von ihrem Platz aus.

»Das ist ja klar, dass du die nicht kennst«, antwortete Isabelle grinsend.

Antonia schnaubte nur als Antwort.

Da Emma merkte, dass ihre Freundin wütend wurde, erklärte sie schnell: »Das ist diese Influencerin.«

»Influencerin?«, Antonia sah sie fragend an. »Warum sollte ich die kennen?«

»Weil das Luna Berger ist und die jeder kennt«, feixte Isabelle, »na ja, außer Antonia Rahn. Die spielt halt noch mit Barbies und guckt Sandmännchen.«

»Was soll das denn jetzt?«, zischte Antonia und Emma hielt die Luft an. Sie sah, dass der Hals ihrer besten Freundin ganz rot wurde, und wusste, dass Antonia kurz davor stand, zu platzen. Emma bewunderte Antonia, Kletter-Ass, Anführerin ihrer kleinen Clique, unerschrocken und allergisch gegen Aufschneider und Ungerechtigkeiten. Sie selbst hielt sich mit ihren Gefühlen lieber zurück, um niemandem auf die Füße zu treten. Oft fehlte ihr auch der Mut, sich so deutlich zu äußern wie Antonia.

In diesem Moment ging glücklicherweise die Tür auf und ihre Klassenlehrerin Frau Marktgreiner kam herein, gefolgt von einem etwa 25-jährigen Mann mit halblangen braunen Haaren, einer Kuriertasche und Sneakern. Er grinste.

»Guten Morgen!«, rief die Lehrerin. »Bitte setzt euch.«

Emma lehnte sich erleichtert zurück und stupste ihre Freundin an, die Isabelle immer noch giftig anblitzte. Die Traube von Schülern löste sich und alle schlurften lustlos zu ihren Plätzen.

»So eine eingebildete Zicke«, zischte Antonia Emma zu, »ich hab noch nie mit Barbies gespielt.«

»Komm, lass sie«, beschwichtigte Emma, »du kennst sie doch.«

»Ja, leider. Ich wäre froh, wenn ich sie nicht kennen würde«, antwortete Antonia bockig.

Emma grinste.

»Antonia, Emma, hört ihr jetzt auch endlich auf zu reden?«, rief Frau Marktgreiner in ihre Richtung. Emma nickte und wurde rot.

»Ich möchte euch jemanden vorstellen«, fuhr die Lehrerin fort, »das ist Herr Einsermann. Er ist gerade nach Bayern gezogen und ersetzt unsere Referendarin Frau Sommer, die ja kurzfristig ausgefallen ist, weil sie ein Baby erwartet. Er wird euch bis zu den Sommerferien in Mathe unterrichten.«

»Einsermann? Ich hoffe, Ihr Name ist Programm, ich könnte ein Paar Einser gebrauchen«, prustete Franky. Ein Kichern ging durch die Klasse.

»Vielen Dank für den konstruktiven Beitrag, Franco«, erwiderte Frau Marktgreiner genervt, »und sei nicht so vorlaut!«

Sie hatte mal wieder einen ihrer empfindlichen Tage. Emma und Antonia schmunzelten sich zu. Typisch Franky, dachte Emma, er liebt es, im Mittelpunkt zu stehen und den Klassenclown zu spielen.

Franky war neben Jaron einer ihrer besten Freunde und Mitglied ihrer Viererbande »Die vier vom See«. Gesegnet mit fast magischen Computerkenntnissen, Fußballtalent, einem unstillbaren Appetit auf Schokolade und einem frechen Mundwerk war er der loyalste, ausgeglichenste Ruhepunkt ihrer Clique. In dem neuen Referendar aber traf er auf einen Ebenbürtigen.

Herr Einsermann lächelte cool und meinte gelassen: »Na, wir werden ja mal sehen, ob mein Name bei dir Programm wird. Ich hätte da einige gute Aufgaben in Geometrie.«

»Lieber nicht«, murmelte Franky kleinlaut.

»Okay, dann holt mal eure Mathehefte raus, Herr Einsermann übernimmt jetzt«, sagte Frau Marktgreiner und suchte sich einen Stuhl an der hinteren Wand. Ein Stöhnen ging durch die Klasse. »Ich sehe schon, ihr liebt Mathe so wie ich«, meinte Herr Einsermann und begann mit einer Stunde, die sie so schnell nicht vergessen würden.

»Oh Mann, dieser Einsermann bringt mich noch um!«, stöhnte Franky, als er in der nächsten Pause zu Emma und Antonia kam. »Gut, dass bald Ferien sind. Warum nimmt der mich ständig dran?«

»Du hast ihm doch die beste Steilvorlage gegeben«, antwortete Jaron lachend, trat von hinten an ihn heran und klopfte ihm auf die Schulter. »Jetzt kriegst du vielleicht deinen Einser, Mann!« Jaron war der vierte in ihrem Bunde, Frankys bester Freund, tatkräftig und mutig. Er setzte sich lässig auf die Kante des Tischs der beiden Mädchen, strich sich den langen Pony aus dem Gesicht und verschränkte die Arme.

»Wie witzig«, knurrte Franky ihn an. Er wandte sich an Antonia und fragte: »Du hast wirklich noch nie was von Luna gehört?«

»Mann, jetzt fängst du auch noch an. Warum muss man die kennen?«, erwiderte Antonia gereizt, und Jaron meinte: »Ich hab von der auch nur mal kurz gehört.«

»Aber 600 000 Follower ist ne Nummer«, warf Emma ein, obwohl sie wusste, dass Antonia dies nicht hören wollte. Sie hatte es am liebsten, wenn sie alle zusammen im alten Heinrich abhingen, dem alten Zirkuswagen, in dem sie sich immer trafen. Das ganze »Geschminke« und stundenlange Abhängen auf irgendwelchen sozialen Netzen war für sie oberflächliches Gehabe.

»Ja, und sie war schon oft in irgendwelchen Talkshows«, bestätigte Franky, »sie ist echt bekannt.«

»Heißt das also, dass ich hinter dem Mond lebe?«, schnauzte Antonia.

»Jetzt chill mal«, erwiderte Emma genervt, »das ist doch kein Problem, wenn du sie nicht kennst. Warum stresst dich das so, wenn Isabelle einen Aufstand macht?«

»Was weiß ich?«, sagte Antonia und zuckte mit den Schultern.

»Hier.« Emma holte ihr Handy aus der Tasche, wischte über das Display und zeigte es ihr.

»Lunas Beauty Place«, las Antonia.

»Da kannst du dir mal ein paar Schönheitstipps holen«, frotzelte Jaron und knuffte Franky gegen den Oberarm.

»Bei mir ist wenigstens noch was zu machen, bei dir ist Hopfen und Malz verloren«, gab dieser schlagfertig zur Antwort und selbst Antonia musste lächeln.

»Hier, sie hat noch einige andere Kanäle.« Emma wischte wieder über das Display. »Luna Daily und Lunas Hacks for Life.«

Auf einmal beugte sich Isabelle über Jarons Schulter, der sich irritiert wegduckte. »Ach, gibst du deiner Freundin Nachhilfe?«, frotzelte sie. Im Hintergrund grinste Xenia.

»Ja«, meinte Emma leichthin, »es kann ja nicht jeder so klug und belesen sein wie du.«

»O ha«, machte Isabelle gespielt erstaunt, »nicht schlecht, die schlaue Emma ist schlagfertig.«

»Ja, bin ich«, antwortete Emma, ohne ihr auch nur einen Blick zu schenken.

»Ach, Jaron«, Isabelle legte den Kopf auf die Seite und sah ihn an, »kommst du heute Nachmittag zu mir? Sam ist da und vielleicht kommt Luna auch.«

»Warum sollte Luna zu dir kommen?«, fragte Antonia.

Isabelle ging nicht auf sie ein.

»Äh, mal sehen«, stotterte Jaron, »ich muss eigentlich was für meine Mutter erledigen.«

»Na ja, kannst dir’s ja überlegen. Wird bestimmt total cool.« Isabelle drehte sich zu den Mädchen und giftete: »Und ihr beiden könnt derweil mit Barbies spielen.« Damit drehte sie sich um und takelte davon.

»Boah, so ne blöde Zicke«, platzte Antonia heraus.

»Warum? War doch nett von ihr, Jaron einzuladen«, frotzelte Franky und boxte seinen besten Freund in die Seite. Jaron lächelte nur müde.

In diesem Moment gongte es. Als Frau Marktgreiner die Klasse betrat, folgte ihr diesmal ein etwa 13-jähriges Mädchen mit einem schwarzen Top, kurzer Felljacke und einer engen Jeans mit Löchern. Sie trug eine verspiegelte Sonnenbrille, die sie nach oben geschoben hatte, die langen Haare waren in einem engen, hohen Pferdeschwanz zusammengefasst. Über der Schulter hing lässig ein Minirucksack mit einem goldenen Markenemblem, das im Licht glitzerte.

»Das ist eure neue Mitschülerin«, stellte Frau Marktgreiner sie vor, »ihr Name ist Luna Berger. Sie ist von München nach Starnberg gezogen. Es wäre super, wenn eine von euch ihr in der Pause mal die Schule zeigt.«

Isabelle meldete sich sofort. »Ich kann das machen.«

»Okay, Isabelle, gerne.«

»Sie kann auch gern bei mir sitzen«, meinte Isabelle. Sie sah ihre Cousine neben sich auffordernd an und sagte: »Du kannst dich ja neben Jaron setzen, Xenia.«

Bevor Xenia protestieren konnte, widersprach Frau Marktgreiner: »Luna, nimm einfach den leeren Platz neben Jaron.«

Luna zuckte mit den Schultern. »Klar, kein Problem.« Sie stolzierte zu dem freien Platz, legte lässig ihre Tasche auf den Tisch und schlug die Beine übereinander, während ihr alle Blicke folgten.

Mit einem Lächeln sagte sie zu Jaron: »Hi, ich bin Luna.«

Jaron schluckte und erwiderte kurz angebunden: »Jaron.«

»So, Ruhe bitte«, rief die Lehrerin in die Klasse, die langsam verstummte. »Bevor wir mit dem Unterricht anfangen, gibt es noch eine tolle Neuigkeit: Wir haben eine Preisträgerin unter uns!«

»Damit bist bestimmt du gemeint!«, flüsterte Antonia Emma zu.

Ein mulmiges Gefühl überkam Emma, denn sie ahnte, dass Antonia recht hatte, und hätte diesen Erfolg gern für sich behalten. Im März hatte sie einen Beitrag zum Thema »Starnberger Biotope« beim Schulwettbewerb »Science Olympiade« eingereicht, offensichtlich waren nun die Ergebnisse da.

»Emma, ich gratuliere dir! Gerade eben hat mich die Nachricht erreicht, dass du den Landeswettbewerb für Bayern gewonnen hast«, fuhr Frau Marktgreiner voller Freude fort. »Du darfst zum Bundeswettbewerb fahren und unsere Schule dort vertreten!«

Sie klatschte und alle Schülerinnen und Schüler klatschten mit, nur Isabelle nicht. Emma wurde knallrot. Wie ihr Vater liebte sie Themen aus Biologie und Chemie und war fasziniert von den Zusammenhängen, von der Komplexität in Gottes Schöpfung. Der Wettbewerb war genau nach ihrem Geschmack gewesen.

Als es wieder leise war, bat Frau Marktgreiner: »Emma, erzähl doch mal, was du genau gemacht hast.«

Das war das, wovor Emma Angst gehabt hatte, denn sie sprach nicht gerne vor so vielen Leuten. Zögernd antwortete sie: »Ich habe verschiedene Pflanzen am Starnberger See untersucht, wie sie sich in den letzten Jahrhunderten aufgrund von Umwelteinflüssen verändert haben oder welche ausgestorben sind. Zusammen mit meinem Vater habe ich bei uns am Strand ein kleines Biotop mit Armleuchteralgen angelegt, die ich schon seit ein paar Monaten beobachte. Wir versuchen, dadurch seltene Arten von Pflanzen wieder zu regenerieren, die vom Aussterben bedroht sind.«

Sie blickte ihre Klassenkameraden an.

»Armleuchteralgen?«, fragte Franky grinsend und alle lachten.

»Ja, die heißen so, weil sie vom Aussehen her an einen Kerzenleuchter erinnern. Die Armleuchteralge ist was Besonderes«, antwortete Emma, »der Starnberger See ist einer der größten Seen mit natürlichen Kiesufern, dort können sie wachsen. Sie sind ein natürlicher Indikator dafür, dass der See sehr kalkhaltig, aber sauber ist.«

»Sehr schön«, unterbrach Frau Marktgreiner die Stille, »Emma, ich gratuliere dir. Das ist eine großartige Leistung.«

»Danke«, murmelte Emma verlegen.

»Hast du gerade ein neues Projekt?«

»Ja, ich will die Algen noch auf andere Art untersuchen, aber dafür fehlt mir die Ausrüstung. Die ist ziemlich teuer, da spare ich gerade drauf.«

»Da wünsche ich dir viel Erfolg! Und damit sind wir schon beim Thema. Biohefte raus!«, rief die Lehrerin und ein Stöhnen ging durch die Klasse.

Kapitel 3

Begegnung im Waschraum

Nach dem Unterricht machten die vier Freunde sich auf den Weg zu ihren Fahrrädern. »Ich muss noch mal auf Toilette«, sagte Emma zu Antonia, »kommst du mit?« Antonia nickte.

»Ach Jaron, ich müsste auch noch aufs Klo, kommst du mit?«, frotzelte Franky. »Sonst schaffe ich das nicht alleine.«

Jaron lachte. Emma knuffte Franky in den Oberarm und rief lachend: »Ihr Doofköpfe.«

Die beiden Mädchen setzten ihre Schulranzen ab und gingen zur nächsten Toilette. Als Emma die Tür aufdrückte, hörte sie drinnen die Stimmen von Isabelle und Xenia.

»Warte«, flüsterte Antonia hinter ihr und legte ihr eine Hand auf die Schulter, »ich will hören, was die sagen.«

Emma ließ die Tür vorsichtig wieder ins Schloss fallen und die beiden Mädchen drückten ihre Ohren an die Tür.

»Antonia wohnt in der Jugendherberge Seeburg, nur ein paar Hundert Meter von unserem Hotel«, sagte Isabelle gerade, »Sie ist mega bescheuert und voll die dumme Zicke. Sie steht auf Jaron, aber der will nichts von ihr wissen.«

»Spinnt die? Das stimmt doch gar nicht«, flüsterte Antonia.

»Pst«, zischte Emma.

»Dieser Jaron ist doch ganz süß«, erklang jetzt die Stimme von Luna.

»Schon.« Das war Xenia. »Ich verstehe nur nicht, was der mit den anderen drei Freaks will.«

Antonia fuhr zurück. »Ich geb der ›Freaks‹«, platzte sie heraus und riss die Tür auf. Emma konnte gerade noch ihren Kopf wegziehen.

Drinnen fuhren die drei Mädchen am Waschbecken herum und Isabelle ließ vor Schreck ihren Lippenstift fallen.