Der silberne Schlüssel und das Geheimnis der Wahrheit - Alexander Lombardi - E-Book

Der silberne Schlüssel und das Geheimnis der Wahrheit E-Book

Alexander Lombardi

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Beschreibung

Die vier vom See sind dem Versteck der sagenumwobenen goldenen Schale so nah wie nie zuvor. Doch als Franky nach einem Unfall ins Krankenhaus kommt, stößt er dort auf Spuren eines unglaublichen Skandals. Und auch persönlich muss sich Franky einer unangenehmen Wahrheit stellen ... Eine spannende Geschichte rund um vier Freunde und die erlösende Freiheit, die die Wahrheit mit sich bringt. Ab 11 Jahre.

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ALEXANDER LOMBARDI · SANDRA BINDER

Die 4 vom See

Der silberne Schlüsselund das Geheimnis der Wahrheit

SCM ist ein Imprint der SCM Verlagsgruppe, die zur Stiftung Christliche Medien gehört, einer gemeinnützigen Stiftung, die sich für die Förderung und Verbreitung christlicher Bücher, Zeitschriften, Filme und Musik einsetzt.

ISBN 978-3-417-22972-1 (E-Book)

ISBN 978-3-417-28873-5 (lieferbare Buchausgabe)

Datenkonvertierung E-Book: CPI books GmbH, Leck

© 2020 SCM Verlag in der SCM Verlagsgruppe GmbH

Max-Eyth-Straße 41 · 71088 Holzgerlingen

Internet: www.scm-verlag.de; E-Mail: [email protected]

Die Bibelverse sind folgender Ausgabe entnommen:

Neues Leben. Die Bibel, © der deutschen Ausgabe 2002 und 2006 SCM R.Brockhaus in der SCM Verlagsgruppe GmbH Witten/Holzgerlingen

Umschlaggestaltung: Patrick Horlacher, Stuttgart

Titelbild und Illustrationen: Clara Vath, vath-art.de

Satz: Christoph Möller, Hattingen

Inhalt

Über den Autor

Die 4 vom See – das sind …

Special Feature: Was bisher geschah

Zum Ersten: Das Ende einer Jagd

Kapitel 1: Franky

Kapitel 2: Im Krankenhaus

Kapitel 3: Ein Stein mit Tränen

Kapitel 4: Seltsame nächtliche Begegnungen

Zum Zweiten: Vater und Mutter

Zum Dritten: Ein schicksalhafter Besuch

Zum Vierten: Die Macht der Kirche

Kapitel 5: Die mystische Quelle

Kapitel 6: Eine Krankenschwester unter Verdacht

Kapitel 7: Franky ermittelt allein

Zum Fünften: Das Tagebuch

Zum Sechsten: Ein Bild im Felsen

Zum Siebten: Verbannung

Kapitel 8: An der Tränenquelle

Kapitel 9: Der vergessene Keller

Kapitel 10: Retrograde Amnesie

Kapitel 11: Ein Skandal wird aufgedeckt

Zum Achten: Der Brief des Vaters

Kapitel 12: Schwester Monicas Geschichte

Kapitel 13: Eine Brosche wird zusammengesetzt

Zum Neunten: Eine Tür fällt zu

Kapitel 14: Franky kommt nach Hause

Epilog: Der Wächter

[ Zum Inhaltsverzeichnis ]

SKANDAL IN DERNOBEL-KLINIK

Die vier vom See sind dem Versteck der sagenumwobenen goldenen Schale so nah wie nie zuvor. Doch als Franky nach einem Unfall ins Krankenhaus kommt, stößt er dort auf Spuren eines unglaublichen Skandals. Und auch persönlich muss sich Franky einer unangenehmen Wahrheit stellen ... Eine spannende Geschichte rund um vier Freunde und die erlösende Freiheit, die durch Wahrheit entsteht.

Ab 11 Jahre.

[ Zum Inhaltsverzeichnis ]

Die 4 vom See – das sind …

Antonia Reihmann

Alter: 12

Hobbys: Klettern, Archäologie

Beste Freundin: Emma

Lieblingsort: Antonia hängt am liebsten im »alten Heinrich« ab oder sitzt auf dem Burgturm und guckt auf den Starnberger See. Außerdem klettert sie auf jeden Berg, der ihr in die Quere kommt.

Lieblingsessen: Wiener Schnitzel mit Pommes

Besondere Kennzeichen: trägt immer Jeans und Sneaker. Hat Diabetes.

Emma Weiß

Alter: 12

Hobbys: Reiten, Biologie

Beste Freundin: Antonia

Lieblingsbeschäftigung: auf ihrem Pferd »Firestorm« reiten, mit ihren Freunden abhängen, Lesen, Träumen und in ihrem Labor forschen

Besondere Kennzeichen: Emma ist Vegetarierin. Sie trägt eine Brille und geht ohne Pferdeschwanz nicht aus dem Haus.

Franky Giuliani

Alter: 12

Hobbys: Computer, Zocken, Kochen

Bester Freund: Jaron

Lieblingsessen: Pizza und Döner

Besondere Kennzeichen: Franky trägt am liebsten Jogginghosen. Auf seine Baseballkappe würde er niemals verzichten. Außerdem hat er immer das neueste Smartphone.

Jaron Rahn

Alter: 12

Hobbys: Kung-Fu

Bester Freund: Franky

Lieblingsbeschäftigung: mit seinen Freunden zusammen sein, in Flugzeugbüchern stöbern, Flugzeugmodelle bauen

Lieblingsessen: Currywurst mit Pommes

Besondere Kennzeichen: hat immer perfekt gestylte Haare.

[ Zum Inhaltsverzeichnis ]

Special Feature:

Was bisher geschah

Für alle, die es interessiert, fassen wir hier zusammen, was bei den ersten zwei Abenteuern der »4 vom See« passiert ist. Allerdings muss man das alles nicht vorher wissen, sondern kann auch direkt auf Seite 13 in den dritten Band einsteigen!

Jerusalem, 135 nach Christus

Der Priestersohn Benjamin flieht vor den römischen Soldaten, die die Stadt erobern. Sein Vater gibt ihm einen Schatz mit: eine goldene Schale aus dem Tempel. Benjamin kommt mit einer römischen Familie in die Gegend am Starnberger See. Jahre später versteckt sein Sohn die wertvolle Schale in einer Höhle. Rätselhafte Hinweise auf das Versteck bringt er in einer Brosche an.

Die Seeburg, Starnberger See, heute

Antonia, Franky, Jaron und Emma sind beste Freunde. Sie treffen sich regelmäßig im alten Heinrich, einem ausgedienten Zirkuswagen, den Antonias Vater für sie eingerichtet hat. Die vier vom See, wie sie sich nennen, beschäftigen sich gern mit ungelösten Rätseln. Sie klären Diebstähle auf und werden hellhörig, als sich im Vorfeld eines Reitturniers merkwürdige Vorkommnisse häufen. Auch hier gelingt es den Freunden, Licht ins Dunkel zu bringen!

Als die vier in einer geheimen Gruft zwei Skelette finden, die eine alte Broschenfassung und einen auffälligen Schlüssel bei sich haben, ist ihre Neugierde geweckt. Bei ihrer Recherche stoßen sie auf eine alte Sage: Irgendwo am Ufer des Starnberger Sees soll eine goldene Schale versteckt sein. Dieser wird nachgesagt, dass sie heilende Kräfte habe. Auf der Suche nach diesem Schatz können die Freunde zwei der Steine aufspüren, die einst von der Brosche gehalten wurden. Um den Hinweis, den die Brosche verbirgt, enträtseln zu können, müssen sie den dritten Schmuckstein finden.

[ Zum Inhaltsverzeichnis ]

Ferdinand hasste die Kälte und den Dreck. Fröstelnd zog er die Schultern hoch und umklammerte die Zügel seines Pferdes noch fester.

Sein Bruder Gustav, der neben ihm ritt, warf ihm einen verächtlichen Blick zu. Doch das war nichts Neues. Ferdinand wusste, dass der Ältere ihn für ein Weichei hielt.

»Na, hast du Spaß?«, höhnte Gustav. »Schön, so an der frischen Luft, meinst du nicht auch? Mal was anderes als der Staub, den du in der Bibliothek immer einatmest. Mutter hatte schon recht, als sie darauf bestand, dass du diesmal mitkommst.«

Ferdinand antwortete nicht, sondern seufzte nur innerlich. Er wusste aus Erfahrung, dass es wenig Sinn hatte, seinem zwei Jahre älteren Bruder zu widersprechen. Auch eine geistreiche Bemerkung konnte er sich sparen. Entweder würde der Sechzehnjährige nicht verstehen, was er meinte, und sich dann über sich selbst ärgern. Oder er würde die Ironie begreifen und auf Ferdinand wütend werden. In beiden Fällen würde er den Jüngeren seinen Zorn spüren lassen.

Daher ließ Ferdinand sein Pferd etwas zurückfallen, während Gustav mit einem letzten Grinsen zu seinen Freunden aufschloss, die vor ihnen ritten. Umringt von der Meute der Jagdhunde lachten sie gerade schallend über irgendetwas.

Gustav sagte etwas in die Runde, worauf sich alle zu Ferdinand umdrehten und erneut in Gelächter ausbrachen.

Der Vierzehnjährige tat so, als würde er es gar nicht bemerken. Jetzt konnte er zum Glück wieder ungestört seinen Gedanken nachhängen. Jedenfalls so lange, bis irgendein bedauernswertes Tier in Sicht kam, das sich als Beute eignete.

Die Jagdgesellschaft war ein kleines Stückchen weiter gekommen, als einer der Hunde, der den Pferden vorauslief, anschlug. Augenblicklich änderte sich die Stimmung in der Gruppe. Die Jäger griffen hinter sich, zogen ihre Waffen aus den Satteltaschen und packten die Zügel noch fester.

Blitzschnell nahm die Hundemeute die Fährte auf und stürmte bellend los, die Reiter folgten im Galopp. Ferdinand überlegte einen Moment, sich seitlich in die Büsche zu schlagen, um dem, was nun folgen würde, einfach auszuweichen.

Aber der Waffenmeister der Grafenfamilie, der links hinter ihm ritt, hatte sein Zögern bemerkt und warf ihm einen strengen Blick zu. Ferdinand hatte keine Chance zu entwischen. Also schnalzte er leise mit der Zunge und trieb seine Stute ebenfalls zu einem Galopp an.

Das Pferd schnaubte. Ganz wie ihr Herr liebte die Stute die Ruhe, einsame Ausritte und sonnige Tage auf der Weide. Nicht das Gedränge, den Lärm und die Anstrengung einer Jagd. Trotzdem beschleunigte das Tier gehorsam und setzte leichtfüßig über einen liegenden Baumstamm hinweg.

Der Ritt ging durch Gebüsch, an alten Bäumen vorbei und über zahlreiche Felsbrocken, die im Wald der Familie von Beilstein verteilt lagen. Zweige peitschten Ferdinand ins Gesicht, regenfeuchte Blätter durchnässten seinen Umhang. Die Kälte kroch ihm den Rücken hinauf und er beugte sich noch tiefer über den Hals des Pferdes.

Er hielt sich absichtlich im hinteren Teil der Gruppe. Seine Armbrust hatte er nicht einmal aus der Satteltasche geholt. Er hatte kein Interesse daran, das Wild zu stellen und den ersten Schuss zu setzen. Wenn es nach ihm ging, würde er heute überhaupt nicht schießen. Und so war er einer der Letzten, die einen steilen Abhang hinabritten, an dessen Fuß sich die Jagdgesellschaft versammelt hatte.

Die meisten Reiter waren schon abgestiegen und standen um einen prächtigen Hirsch herum, der auf dem Boden lag. Als Ferdinand näher kam, konnte er zwischen den Männern hindurch sehen, dass das Tier noch lebte. Die Hunde waren kaum zu bändigen, sie jaulten und bellten, während die Jagdhelfer sie an den Halsbändern zurückhielten.

Ferdinand zügelte seine Stute und stieg ab. Er ging zu den Männern, blieb aber im Hintergrund.

Da rief ihn sein Bruder von vorne. »Ferdinand!«

Sofort drehten sich alle zu ihm um und machten ihm Platz.

Zögernd folgte der Vierzehnjährige der Aufforderung und ging nach vorne. Gustav und seine Freunde sahen ihm entgegen, als planten sie etwas.

»Heute soll die Ehre dir gehören«, erklärte Gustav, während er seinem Bruder mit einem breiten Grinsen seine Armbrust hinstreckte.

»Wie meinst du das?«, fragte Ferdinand unsicher.

»Na, gib ihm den Rest! Du siehst doch, dass er leidet. Erlös ihn von seinen Qualen, das machen ehrbare Jäger so.«

Ferdinand rutschte das Herz in die Hose. »Ich? Aber ich will nicht …«

»Na, komm schon«, höhnte sein Bruder. »Tu’s einfach. Es wird dich etwas Härte lehren, deshalb hat Mutter doch darauf bestanden, dass du mitkommst.« Er trat auf Ferdinand zu und drückte ihm die Waffe an die Brust. »Vorsicht!«, grinste er. »Ist schon gespannt.«

Ferdinand blieb nichts anderes übrig, als die Armbrust zu nehmen. Er sah den Hirsch an.

Der lag auf der Seite, die Beine von sich gestreckt. Sein Brustkorb hob und senkte sich hastig. Die Augen waren weit aufgerissen. Ein erster Schuss hatte ihn im Hals getroffen. Ferdinand erkannte den Bolzen, er stammte von der Armbrust seines Bruders. Offenbar hatte der Schuss das Tier zu Boden gerissen, aber nicht tödlich verwundet.

Gustav beugte sich vor und packte den Jüngeren am Ellbogen. »Los jetzt!«, zischte er. »Oder ich erzähle Mutter von deinem Versagen. Du weißt, was das bedeutet.«

Ferdinand schluckte. Zu seiner Mutter hatte er keine besonders enge Beziehung. Sie gab ihm immer wieder zu verstehen, dass sie wenig mit ihm anfangen konnte, weil er so zurückhaltend war. Bestimmt würde ein negativer Bericht seines Bruders ihr Verhältnis nicht gerade verbessern.

Er trat noch näher an das Tier heran. Dann legte er die Armbrust an und löste die Sicherung. Sein Atem ging stoßweise, sein Finger am Abzug zitterte. Schließlich kniff er ein Auge zu, zielte zwischen die Augen des Hirschs und krümmte den Finger.

In diesem Moment brüllte einer von Gustavs Freunden: »Der schießt doch nie, lasst mich das machen!«

Ferdinand zuckte zusammen, der Abzug löste aus und das Geschoss schwirrte davon. Der Bolzen flog nur wenige Zentimeter am Kopf des Tieres vorbei, zwischen zwei Männern hindurch und bohrte sich dann in die Rinde eines dahinterstehenden Baumes.

Ein Aufschrei ging durch die Gruppe. Die beiden Männer, die ganz dicht an der Schusslinie gestanden hatten, brüllten vor Empörung und wollten sich auf Ferdinand stürzen. Andere hielten sie johlend davon ab.

Gustav riss seinem Bruder die Armbrust aus der Hand. Sein Kopf war hochrot angelaufen, er schnaubte vor Wut. »Unfähig bist du! Blind, wie Vater! Gib schon her, alles muss man selber machen.«

Mit einer raschen Bewegung positionierte er einen neuen Bolzen auf der Waffe, legte an und tötete den Hirsch mit einem zielgenauen Schuss.

Der Mann, der Ferdinand gerade so erschreckt hatte, rief provozierend: »War doch klar, dass er das nicht hinkriegt. Ein Feigling ist er, wie sein Vater. Diese Lutheraner sind doch alles Weicheier! Keine echten Männer, null Mumm in den Knochen!«

Beifällige Kommentare wurden laut.

Gustav ließ die Waffe sinken und starrte seinen Bruder an, zitternd vor Zorn.

Währenddessen stand Ferdinand nur da. Er hatte den Kopf gesenkt und hoffte, dass diese Szene bald vorbei sein würde.

»Ich kann nicht begreifen, wie so etwas Unfähiges mein Bruder sein kann!«, brüllte Gustav.

Dass seine Freunde laut auflachten, schien ihn nur noch wütender zu machen.

»Hol wenigstens den Bolzen, den du verschossen hast!« Er gab dem Jüngeren einen Stoß.

Ferdinand blinzelte in die Richtung, in die der Schuss gegangen war. Aus dieser Entfernung konnte er den Bolzen nicht genau erkennen, aber er setzte sich gehorsam in Bewegung und stolperte auf den Baum zu. Dort angekommen, begann er, den Bolzen aus der Rinde zu pulen. Das Geschoss hatte etwa in Kopfhöhe eingeschlagen und saß ziemlich fest.

In diesem Moment hörte er, wie hinter ihm wieder eine Armbrust gespannt wurde. Gleich darauf ertönte das Klicken der Sicherung. Erstaunt drehte er sich um. Hatten die Jäger noch ein weiteres Tier entdeckt?

Doch als er zu der Gruppe hinschaute, sah er, dass alle Gesichter ihm zugewandt waren. Dann schnarrte eine Sehne. Und im selben Augenblick schoss ein glühend heißer Schmerz durch seine rechte Hand.

1 So hieß der Starnberger See bis 1962.

[ Zum Inhaltsverzeichnis ]

Kapitel 1:

Franky

Am Starnberger See, Januar 2019

Als er aufwacht, tasten seine Hände über Ziegelsteine. Die weiche Decke seines Krankenhausbettes ist verschwunden. Es riecht irgendwie modrig. Nach uraltem Stein und Erde.

Und wo ist das Fenster? Das hier ist definitiv nicht das Krankenhaus.

Es gelingt ihm irgendwie, sein Handy aus der Hosentasche zu ziehen und die Taschenlampenfunktion einzuschalten. Dann kneift er die Augen zusammen und versucht, sich zu konzentrieren. Aber er kann kaum etwas erkennen; es fühlt sich so an, als sei sein Kopf voller Watte.

Anscheinend liegt er auf dem Steinboden eines Kellerraums. Da vorne ist eine Tür.

Er nimmt alle Kraft zusammen und robbt darauf zu. Kiesel bohren sich in seine Handflächen, sein Arm tut weh, als er ihn zur Klinke hochstrecken will. Er versucht, sich auf den Ellenbogen aufzustützen, um sich aufzurichten, aber die Schmerzen sind zu schlimm.

Erschöpft schließt er die Augen wieder und lässt sich fallen. Dabei landet seine Hand auf etwas Weichem. Als er es zu sich zieht, entfaltet sich eine Decke, die nach Schimmel riecht und offenbar ganz steif ist vor lauter Schmutz.

Aber das ist ihm in diesem Moment völlig gleichgültig.

Franky zieht die Decke über sich und rollt sich zusammen. In seinem Kopf wird es dunkel.

Drei Tage vorher

»Du wirst es nicht glauben, Franco mio!«

Stirnrunzelnd blickte Franky von seinem Tablet auf und sah seinen Vater im Türrahmen stehen. Germano Giuliani wedelte mit seinem Handy und strahlte übers ganze Gesicht.

»Mann, Papa, klopf doch an! Ich marschier doch auch nicht einfach in dein Zimmer rein!«, murrte der Zwölfjährige.

Aber sein Vater ließ sich nicht beirren, sondern redete einfach weiter. »Michele Pfeiffer kommte zum Training heute!«, rief er, während er ihm das Handy unter die Nase hielt.

Franky warf irritiert einen Blick darauf und sah dann wieder seinen Vater an. »Ja, und, wer soll das sein?«, fragte er.

»Verstehst du nicht? Du kennste ihn doch«

»Nein.«

»Er iste Scout beim FC Bayern! Er wohnt hier am See und liebt Pizza. Iste schon oft Gast in unsere Restaurant gewesen, und da habe ich ihn gefragt, ob er nicht mal kommen will zu eine Spiel. Habe ihm erzählt, wie gut du biste.«

»Ja, und?«

»Oh, figlio mio, das iste deine Chance!«

»Ach, Papa …« Franky schaute wieder auf sein Tablet. Wenn sein Vater ihn nur in Ruhe lassen würde!

»Du weißte, was das heißte!« Germano positionierte sich direkt vor Franky, der auf dem Bett saß, und stemmte die Arme in die Seiten.

Franky sah seufzend auf. Sein Vater würde ja doch nicht aufgeben. »Nein, das weiß ich nicht«, murmelte er, obwohl er es schon ahnte.

»Franco! Das kann endlich sein deine Durchbruch! Du haste das Talente. Ich sehe das. Du haste das Zeug zu werden Profi! Du weißte, dass ich kann das beurteilen. Damals, ich habe gespielt beim FC Parma und wir …«

»… sind 1986 in die zweite Liga aufgestiegen«, vollendete Franky den Satz, den er schon so oft gehört hatte.

Frankys Eltern Germano und Elvira waren als junge Erwachsene von Italien nach Deutschland gekommen. Heute trainierte Germano die Jugend des TV Allmannshausen, also auch die Mannschaft, in der sein Sohn Franky spielte.

»Sì, genau!«, bestätigte Germano. »Du haste Fantasie beim Spiel, du haste Geschick mit dem Ball, du biste beste Spielführer, den ich gesehen habe je.«

»Ja, kann schon sein.«

»Nein, nix ›kann sein‹ – du haste das Talente. Glaub mir!«

Statt einer Antwort zuckte Franky nur mit den Achseln

»Du musse nur ein paar Kilo abnehmen!«

»Mann, Papa!« Franky hasste es, wenn sein Vater ihn so bedrängte und dann auch noch auf sein Gewicht anspielte. Warum meint er nur, dass ich unbedingt Fußballprofi werden muss? Fußball ist ja okay, aber nicht die ganze Zeit, dachte Franky. Er war lieber mit seinen Freunden Jaron, Antonia und Emma unterwegs, um sich mit ungelösten Rätseln rund um den Starnberger See zu beschäftigen. Oder er setzte sich eine Weile an den Computer und verfeinerte seine Hackerkünste.

Warum sah sein Vater nicht, dass auch noch andere Dinge wichtig waren? Warum bestand er darauf, dass Franky Fußball als Leistungssport betrieb?

Vielleicht liegt es daran, dass er selbst nicht die Möglichkeit hatte, in die erste Liga aufzusteigen, nachdem er sich das Sprunggelenk verletzt hatte, überlegte der Zwölfjährige.

Franky hatte keine Lust auf das Spiel heute, wollte aber seinen Vater, der ihn immer noch begeistert ansah, auch nicht enttäuschen. Nur weil Germano den Fußballscout ans Spielfeld gelotst hatte, meinte er offenbar, dieser Tag würde Frankys Leben verändern.

»Ich werde mein Bestes geben«, seufzte der Junge deshalb.

»Va bene! Also mach dich jetzt fertig. Das Spiel gehte bald los! Andiamo.«

»Jaja, ich komm ja schon«, antwortete Franky und stand widerwillig auf.

Die Kabine füllte sich mit Spielern. Sie würden heute gegen den MTV Berg spielen, und zwar in einem Match, das den weiteren Verlauf der Saison bestimmen konnte.

Es war einer dieser Tage, an denen es Franky definitiv nicht auf den Platz zog. Denn das Wetter war typisch für Mitte Januar: kalt, ein wenig regnerisch. Bald durften sie die Halle benutzen, aber aus Platzgründen fand dieses Spiel noch auf dem winterlich braunen Rasen statt.

Franky zog sich um und ging nach draußen, um sich aufzuwärmen. Da bemerkte er, dass seine besten Freunde Jaron, Antonia und Emma am Spielfeldrand standen und ihm zuwinkten.

»Hey, Franky«, rief Jaron und lachte. Seine sportliche, durch Kung-Fu trainierte Gestalt überragte die beiden Mädchen um ein paar Zentimeter. Seine Jacke stand wie immer offen und die langen Haare fielen ihm gut gestylt ins Gesicht.

»Cool, dass ihr da seid!« Franky rannte zu den dreien hinüber und klatschte sie ab.

»Ist doch klar! Wir wollen doch dabei sein, wenn ihr heute das Spiel gewinnt«, erwiderte Jaron und klopfte seinem Kumpel auf die Schulter. »Du hast uns so viel vorgejammert, da haben wir gedacht, du kannst jede Unterstützung gebrauchen.«

»Ja, vielleicht.« Franky zuckte mit den Schultern.

»Oh, oh, ich sehe da große Begeisterung«, frotzelte Antonia und grinste ihn an. Sie war, wie Jaron, eine begeisterte Sportlerin, wenn es sie auch eher in die Kletterhalle oder an hohe Felsen in der freien Natur zog. Wie fast immer trug sie ein Sweatshirt und hatte ihre langen blonden Haare zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden.

»Ach, ich bin froh, wenn das Spiel heute vorbei ist«, meinte Franky. »Mein Vater macht mal wieder Druck!«

»Warum gerade heute?« Emma – die Dritte im Bunde – sah ihn fragend an.

»Na, heute kommt irgend so ein Typ vom FC Bayern, der uns beim Spielen zuschauen will. Papa meint, dass ich mich unbedingt anstrengen soll«, erklärte Franky, während er auf der Stelle dribbelte, um sich aufzuwärmen.

»Ist doch nicht schlecht, ist voll die Chance«, sagte Antonia aufmunternd.

»Chance? Für was denn?«, maulte Franky.

Antonia kniff die Augen zusammen und musterte ihn. Sie schien zu merken, dass er nicht gut drauf war. Und ihr eindringlicher Blick war wirkungsvoller als jedes ausführliche Verhör.

Franky hörte auf zu dribbeln und seufzte. »Ich hab halt keine Lust heute. Fußball ist ja okay, ich spiel auch echt gerne. Aber auf den Stress mit den Turnieren und dreimal die Woche Training hab ich einfach keinen Bock. Das will nur mein Vater so.«

»Und warum sagst du ihm nicht, dass es dir zu viel wird?«, fragte Emma und rückte ihre Brille zurecht. Sie war die Jüngste der vier Freunde, hatte aber oft die besten Ideen. Ihr brauner Pferdeschwanz wippte, als sie jetzt von einem Fuß auf den anderen trat. Für sie schien Frankys Problem ganz einfach zu lösen zu sein.

»Ach, weil …« Franky wusste nicht, was er sagen sollte.

»Na, Franky – bereit, heute den Ball zu treffen?«, ertönte es hinter ihm. Leo von Beilstein, der größte Angeber der Mannschaft, grinste ihn an. »Oder stolperst du mal wieder durchs Spiel, so wie immer?«

Sein Kumpel Luggi Huber, der meistens zwei Schritte hinter ihm lief, lachte laut. Er war allerdings der Einzige.

Franky verdrehte die Augen, schüttelte den Kopf und beachtete die beiden nicht weiter. Doch sie machten sich ohnehin schon wieder aus dem Staub.

»Warum sollte er das tun? Er will euch beide ja nicht kopieren«, rief Antonia ihnen hinterher.

Luggi und Leo lachten nur höhnisch und rannten davon.

»Sind die immer so drauf, selbst im Spiel?«, wollte Emma wissen. Sie kannte Leo und Luggi nur aus der Schule.

»Allerdings«, antwortete Franky und dribbelte weiter. »Aber sie sind schon echt gute Spieler.«

»Ah, da biste du ja, ich habe dich schon die ganze Zeit gesucht!« Germano Giuliani lief auf seinen Sohn zu. Ein Mann, den Franky nicht kannte, folgte ihm.

»Und deine Freunde sinde auch schon da!« Als Germano die kleine Gruppe erreicht hatte, lächelte er die vier gut gelaunt an.

Jaron, Antonia und Emma grüßten ihn höflich.

Franky wusste, dass sie seinen Vater für einen netten Mann hielten, der zwar leicht aufbrauste, sich aber schnell wieder beruhigte. Außerdem war er ein toller Gastgeber und immer für einen Scherz zu haben.

»Ich spüre, dass heute iste ein guter Tag!«, rief Germano überschwänglich. Dann wandte er sich an seinen Begleiter und legte eine Hand auf dessen Schulter. »Wenn ich euch vorstellen darf: Das hier iste Michele Pfeiffer. Er iste Scout vom FC Bayern! Und dasse«, er legte die andere Hand auf Frankys Kopf, »iste mein figlio, äh, Sohn Franco und seine Freunde!«

Während er sprach, schien er vor Freude fast überzusprudeln, er grinste übers ganze Gesicht.

Franky war die Situation äußerst peinlich.

»Hab gehört, dass du großes Talent hast«, sagte der Scout freundlich zu ihm.

Franky zuckte mit den Achseln und antwortete verlegen: »Vielleicht.« Er wäre am liebsten im Boden versunken, so unwohl fühlte er sich.

»Na, dann wünsche ich dir heute ein gutes Spiel!«

»Danke.«

Zu Frankys großer Erleichterung erklärte Michael Pfeiffer nun, dass er sich einen guten Platz suchen würde. Anschließend drehte er sich um und ging in Richtung der kleinen Tribüne.

»So, du musse dich jetzt noch richtig warme machen«, meinte Germano, wobei er seinen Sohn eindringlich ansah.

»Jaja, Mann, Papa! Das krieg ich schon allein hin«, erwiderte Franky genervt.

»Iste schon gut«, beschwichtigte Germano, bevor er sich lächelnd an die übrigen drei wandte: »Und ihr feuerte Franco an! Nach dem Spiel lade ich euch ein zu einer Pizza!«

»Oh, das hört sich gut an«, meinte Jaron, sichtlich erfreut, und auch die beiden Mädchen nickten begeistert. Frankys Eltern betrieben die Pizzeria am Sportheim in Allmannshausen. Dort gab es die beste Pizza im ganzen Landkreis. Der Scout war nicht der einzige Promi hier am See, der immer wieder für eine frische »Pizza Margherita« zu ihnen kam.

»Wir feuern ihn an, so laut wir können«, versprach Antonia lachend, und die anderen beiden stimmten eifrig zu.

»Bene! Oh, ich bin so stolz auf dich, figlio mio«, rief Germano Giuliani und klopfte seinem Sohn auf die Schulter. Dann drehte er sich um und ging zum Spielfeldrand, wo sich die Trainer während des Spiels aufhielten.

Als er weg war, sagte Franky etwas verlegen zu seinen Freunden: »O Mann, sorry. Wenn er erst mal in Fahrt ist, ist er nicht mehr zu bremsen.«

»Ist schon gut«, grinste Emma. »Wir kennen ihn doch! Er ist halt sehr temperamentvoll.«

Ein Pfiff riss die Gruppe aus ihrem Gespräch.

»Oh, es scheint loszugehen«, meinte Franky. »Also, drückt mir die Daumen.« Damit wandte er sich ab und joggte zu seiner Mannschaft, die mittlerweile vollständig am Spielfeldrand versammelt war.

Während Franky mit seinen Mannschaftskameraden aufs Feld lief, blickte er sich zu seinen Freunden um. Jaron, Emma und Antonia suchten sich gerade freie Plätze, was nicht weiter schwierig war. Bei diesen Temperaturen war die Größe des Publikums meist überschaubar.

Franky fand seinen Platz bei den Stürmern und wartete auf den Anpfiff. Zuerst hörte er noch vage die Anfeuerungsrufe der Fans, bald aber konzentrierte er sich voll aufs Spiel. Der MTV Berg machte mächtig Druck und so stand es schon nach zehn Minuten 1:0 für Berg.

Als das Tor fiel und die Gegner jubelten, warf Franky einen Blick auf seinen Vater. Der stand wild fuchtelnd am Spielfeldrand und brüllte ihm alle möglichen Anweisungen zu.

Frankys Mannschaft hatte Mühe, den Ball zu erobern, obwohl Franky einige Zweikämpfe gewinnen konnte. Er strengte sich wirklich an. In der 29. Spielminute hatte er dann eine echte Chance. Einer seiner Mitspieler passte ihm den Ball zielgenau zu, Franky dribbelte einen Gegenspieler aus und gab Gas. Hinter ihm fingen die Zuschauer an zu schreien.

Franky kam vor das gegnerische Tor, hatte freie Bahn und schoss.

Der Torwart hechtete nach dem Ball und packte ihn, doch er rutschte ihm aus den Händen.

Schnell rannte Franky weiter und bekam den Ball wieder vor die Füße. Mittlerweile liefen allerdings schon drei Gegenspieler auf ihn zu.

Sein Mannschaftskamerad Leo war ebenfalls in seiner Nähe und rief: »Ich bin frei!«

Aber Franky schoss noch einmal aufs Tor.

Einer der Gegenspieler stoppte in vollem Lauf zwischen Franky und dem Tor und lenkte den Ball mit dem Fuß ab, sodass er gegen den linken Torpfosten knallte.

Sofort rannte der Torwart zum Ball und schloss ihn diesmal sicher in die Arme.

Durch die Fans des Allmannshauser Fußballklubs ging ein Raunen der Enttäuschung.

Franky ließ den Kopf hängen, beugte sich nach vorne und stützte seine Hände auf die Oberschenkel. Dann sah er zu seinem Vater hinüber, der jetzt nur noch den Kopf schüttelte.

»Mann, du Idiot«, fauchte Luggi ihn an. »Leo war komplett frei! Den hätte er reingekriegt!«

»Ja, sorry, hab es nicht gesehen«, gab Franky kleinlaut zur Antwort.

»Dann mach die Augen auf!«, blies jetzt auch Leo ins selbe Horn.

»Ist ja gut, ich weiß, dass das Mist war«, zischte Franky, der sich jetzt selbst fürchterlich über die versaute Torchance ärgerte.

Der Rest der ersten Halbzeit verlief ohne weitere Höhepunkte. Keine der beiden Mannschaften konnte mehr eine Chance in ein Tor verwandeln. Als der Schiedsrichter zur Pause pfiff, trottete Franky vom Spielfeld und sah, wie sein Vater ihn zu sich herwinkte.

Auch das noch, dachte er, jetzt kann ich mir auch noch Papas nerviges Gerede anhören. Glücklicherweise gesellten sich seine Freunde mit dazu, sobald er seinen Vater erreicht hatte.

»Oh figlio mio«, begann Germano und packte ihn an den Armen. »Das war die Chance! Warum haste du nicht zu Leo gepielt! Er war frei!«

»Weil ich ihn nicht gesehen habe«, erwiderte Franky patzig. »Mann, das kann doch mal passieren!«

»Ich fand’s trotzdem einen echt coolen Spielzug von dir«, warf Emma ein.

»Ja, sicher«, meinte Germano. »Aber du musse dir noch viel mehr Mühe geben. Was solle der Scout von dir denken? Vergiss nicht: Du haste das Talente! Verstanden?«

»Ja, klar, mach ich. Ich werde mich anstrengen, um alle deine Träume zu erfüllen!«, sagte Franky wütend, drehte sich auf dem Absatz um und stapfte zu den Umkleidekabinen.

Obwohl sein Vater ihm noch »Franco!« hinterherrief, beachtete er ihn nicht weiter.

»Was hat der Junge?« Germano Giuliani sah die Freunde ratlos an. »Er hat so viel Talente. Warum setzt er das nicht ein? Er spielt ohne Freude.«

»Äh, ich glaube, dass Franky schon Spaß an Fußball hat, aber vielleicht will er nicht dauernd spielen«, sagte Emma zögernd.

»Aber er hat das Zeug zu einem ganz großen Spieler. Das sehe ich«, beharrte der Italiener. »Und dazu musse er spielen, spielen, spielen.«

»Mag schon sein, aber vielleicht ist er noch nicht so weit«, meinte Antonia.

Jaron nickte bejahend.

»Ja, wahrscheinlich hast du recht«, seufzte Germano Giuliani und schien sich ein wenig zu beruhigen. »Muss schon sagen, Franco hat wirklich gute Freunde.« Er lächelte die drei an. »Aber ich gehe noch zu dem Scout«, fuhr er fort. »Ich musse noch mal mit ihm reden. Wir sehen uns nach dem Spiel in der Pizzeria?«

»Ja, gerne«, bestätigte Jaron.

»Bene, bene. Arrivederci!« Mit diesen Worten wandte Germano sich ab und ging schnurstracks auf Michael Pfeiffer zu.

»Krass, der will Franky ja echt zum Profi machen«, sagte Jaron nachdenklich.

»Ich finde, Franky sollte unbedingt mal mit ihm reden«, erklärte Antonia. »Ich glaube nämlich nicht, dass er da so viel Lust drauf hat.«

»Dafür müsste er ja seinen ganzen Vorrat an Schokoriegeln vernichten«, kicherte Emma, und die anderen lachten ebenfalls.

Gemeinsam bummelten sie zur Tribüne zurück, wo Frankys Vater auf den Scout einredete, der freundlich lächelte. »Kein Problem«, hörten sie den Scout sagen, als sie näher kamen, »das Spiel ist ja noch nicht zu Ende. Er ist technisch wirklich ein guter Spieler.« Die drei beobachteten, wie Germano zufrieden nickte.

»Na, scheint ja gar nicht so schlecht für Franky auszusehen«, stellte Jaron fest. »Der Scout hat ihn noch nicht aufgegeben.«

»Ja, vielleicht, aber wenn er das doch gar nicht will?« Emma runzelte die Stirn.

»Dann muss er seinem Vater die Wahrheit sagen«, erwiderte Antonia energisch.

»Schon, aber das ist doch gar nicht so einfach«, verteidigte Emma ihren Kumpel.

»Seht, da kommen die Spieler, es scheint weiterzugehen«, unterbrach Jaron die Überlegungen der beiden Mädchen. Daraufhin setzten sie sich und warteten auf den Anpfiff der zweiten Halbzeit.

Wieder startete das Spiel mit hohem Tempo, diesmal aber war es der Allmannshauser Fußballklub, der den Gegner unter Druck setzte. Und tatsächlich, nach einem Pass von Franky zu Leo konnte dieser den Ausgleich zum 1:1 schaffen. Die drei Freunde lachten sich fast kaputt, als Frankys Vater am Spielfeldrand einen Freudentanz aufführte.

Es war in der 68. Spielminute, als Jaron beobachtete, wie Franky von Leo einen Pass zugespielt bekam. Franky stoppte den Ball und sah sich um. Da ein Verteidiger der gegnerischen Mannschaft direkt auf ihn zurannte, gab er den Ball an Luggi weiter. Dann stürmte er auf das gegnerische Tor zu.

Jaron sprang auf und feuerte seinen Freund aus voller Kehle an.

Luggi spielte den Ball wieder zurück, aber leider viel zu stark. Als der Ball zwischen Frankys Füßen landete, kam der Zwölfjährige ins Straucheln. Er hatte keine Chance, sich zu fangen, und fiel zu Boden. Weil Leo, der ihm gefolgt war, nicht mehr abbremsen konnte, stolperte er über ihn. Dabei trat er mit voller Wucht auf Frankys Arm.

Entsetzt beobachtete Jaron, dass Franky sich mit schmerzverzerrtem Gesicht hin- und herrollte. Das sieht nicht gut aus, dachte er erschrocken.

»Mein Arm, mein Arm!«, hörte er Franky schreien.

Der Schiedsrichter hatte das Spiel unterbrochen, Frankys Vater rannte aufs Spielfeld. Dicht hinter ihm liefen zwei Sanitäter, die sich nun über den Verletzten beugten. Seine Mannschaftskameraden, die gegnerischen Spieler, alle standen um ihn herum, sodass die drei Freunde ihn nicht mehr sehen konnten. Aber sie hörten ihn, denn er schrie immer noch vor Schmerzen.

Emma kullerten Tränen über die Wangen. Sie war ebenfalls aufgesprungen und rief: »Was hat er nur?«

»Anscheinend ist der Arm gebrochen«, meinte Jaron besorgt.

»Oh weh, das wäre ja furchtbar«, stellte Antonia fest.

Es war schlimm für die drei Freunde, nicht genau zu wissen, was mit Franky los war. Im Publikum herrschte betretenes Schweigen. Alle beobachteten, was weiter geschah.

Einer der Sanitäter löste sich aus der Gruppe um Franky, rannte vom Feld und kam kurze Zeit später mit einer Trage zurück. Frankys Schreie hatten sich inzwischen in ein leises Wimmern verwandelt. Dann bemerkte Jaron, wie ein Krankenwagen an den Rand des Spielfeldes fuhr. Franky wurde auf die Trage gelegt und zum Wagen gebracht. Er lag mit geschlossenen Augen da, sein Vater lief neben ihm her.

Als die Sanitäter Franky in den Krankenwagen luden, hielten es Jaron, Emma und Antonia nicht länger an ihren Plätzen aus und liefen hinüber. Jaron war ganz schlecht, und er konnte sehen, dass Emma erneut mit den Tränen kämpfte.

Die Türen des Wagens schlossen sich gerade, als sie atemlos bei Frankys Vater ankamen. Er wechselte noch ein paar Worte mit einem Sanitäter, bevor dieser auf der Beifahrerseite einstieg. Dann fuhr der Krankenwagen los.

»Was ist passiert?«, rief Emma.

»Der Arm iste wahrscheinlich gebrochen«, antwortete Germano Giuliani niedergeschlagen.

»Wo wird er jetzt hingebracht?«, wollte Jaron wissen.

»In die Klinik nach Kempfenhausen. Ich hole meine Frau, dann fahren wir gleich dorthin.«

In diesem Moment kam Michael Pfeiffer auf die Gruppe zu. »Es tut mir sehr leid«, sagte er freundlich. »Ich hoffe, es ist nicht allzu schlimm?«

»Na ja, der Arm iste gebrochen.«

»Ach, das wird sicherlich wieder.«

»Und, hat Franco eine Chance?«, erkundigte sich Germano. »Er hat heute wirklich einen schlechten Tag.«

»Nun ja«, zögerte der Scout, »technisch ist er schon gut, aber halt nicht schnell.«

»Sie müssen ihm noch mal eine Chance geben – ich weiß, dass er das kann«, bettelte Frankys Vater.

Jaron konnte sehen, dass der Scout Mitleid mit Germano hatte. »Also gut«, stimmte er zu. »Wenn Franco wieder gesund ist, komme ich noch einmal vorbei.«

»Oh, grazie mille! Sie werden sehen, er kann gut spielen.«

Michael Pfeiffer nickte. »Wünschen Sie ihm bitte von mir gute Besserung.«

Die beiden Männer schüttelten sich die Hände, dann ging der Scout in Richtung Parkplatz davon.

»So, ich fahre jetzt zum Krankenhaus«, sagte Germano.

»Dürfen wir mitfahren?«, fragte Jaron, und auch Emma und Antonia sahen Frankys Vater bittend an.

»Tut mir leid, das gehte nicht«, erwiderte er. »Ich habe nur die Ape dabei.« Er deutete auf den kleinen dreirädrigen Kastenwagen, der nicht weit entfernt parkte. In dieses Gefährt passten höchstens zwei Leute, und das auch nur, wenn sie sehr eng saßen.

Jaron zuckte mit den Achseln. »Dann fahren wir mit den Fahrrädern nach Kempfenhausen.«

»Das iste eine gute Idee!«, sagte Frankys Vater. »Bis später.«

Die drei Freunde sahen ihm zu, wie er in den kleinen Wagen stieg und sich knatternd entfernte.

»Mir ist immer noch ganz flau«, erklärte Antonia.

»Ja, mir auch«, bestätigte Emma.

Jaron stimmte zu, er fühlte sich genauso.

»Sollen wir vielleicht einfach mal für Franky beten?«, fragte Antonia.

Jaron und Emma nickten.

»Lieber Gott, ich bitte dich jetzt für Franky, dass es ihm schnell wieder besser geht und er keine Schmerzen hat. Und ich bitte dich auch, dass er nicht operiert werden muss, Amen.«

»Amen«, wiederholten die beiden anderen.

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Kapitel 2:

Im Krankenhaus

»Und, habt ihr gewonnen?«, fragte der Sanitäter, der sich über Franky beugte. Seine Warnjacke raschelte, er roch nach Rasierwasser. Seine Hand lag auf Frankys Schulter.

Der Junge durchschaute, was der Mann mit der Frage bezweckte. Du willst mich von den Schmerzen ablenken, mir meine Angst nehmen. Netter Versuch.

Trotzdem antwortete er: »Wir waren dabei zu gewinnen, ja. Es stand 2:1. Aber wir können niemanden mehr einwechseln. Ob meine Mannschaft diesen Vorsprung halten kann, obwohl sie in Unterzahl spielen müssen, weiß ich nicht.«

Und es half. Über das Spiel nachzudenken, lenkte ihn tatsächlich ab. Sein Atem wurde ruhiger. Oder waren es die Schmerzmittel, die anfingen zu wirken?

Der Sanitäter nickte und lächelte. »Verstehe. Na, dann hoffen wir mal, dass deine Teamkameraden das hinkriegen werden. Und um dich kümmern wir uns, damit du auch bald wieder auf dem Spielfeld stehen kannst.«

Das hat keine Eile, dachte Franky.