Der Schatz in der Villa - Horatio Dabelstein - E-Book

Der Schatz in der Villa E-Book

Horatio Dabelstein

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Beschreibung

Nach drei Jahren Plackerei ist das Studium geschafft, und Pierre möchte nur noch platt auf dem Sofa herumliegen. Da kommt die Einladung seiner Tante gerade recht, den Wohnwagen an der Ostsee über die Sommermonate zu nutzen. Frische Luft und Frieden, das ist doch genau das, was er gerade benötigt! Im verwilderten Park der alten Villa nahe dem Campingplatz trifft er auf den zuerst sehr abweisenden Großgrundbesitzer Maximilian, dem ein Lächeln echt stehen würde. Maximilian will einfach nur seine Ruhe von allem haben und ist genervt von aufdringlichen Touristen, die wohl sein Land mit einem Naherholungsgebiet verwechseln. Trotzdem scheint er Pierres Nähe zu suchen, und dessen Gaydar meldet schüchtern ein positives Messergebnis. Doch irgendetwas ist ganz und gar nicht in Ordnung im Urlaubsparadies, und es hängt ausgerechnet mit Maximilian zusammen. Gut, dass Pierres Interesse an diesem Mann ohnehin entflammt ist. Fast zu spät durchschaut er das finstere Spiel …

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Inhaltswarnungen

 

Kann Spuren von Erdnüssen enthalten!

 

Es gibt Inhalte, die Betroffene triggern können, das heißt, dass womöglich alte Traumata wieder an die Oberfläche geholt werden. Deswegen habe ich für diese Personen eine Liste mit möglichen Inhaltswarnungen für alle meine Romane zusammengestellt:

 

www.tanja-rast.de/inhaltswarnungen

 

Inhaltsverzeichnis
1. Ab an die Ostsee!
2. Ein Störenfried im Park
3. Abendspaziergang am Strand
4. Frühstück zu zweit
5. Treffpunkt Villa
6. Safari am Hünengrab
7. Gestrandet am Straßenrand
8. Erkundung von Neuknarrsby
9. Vanilleeis mit Kirschen
10. Entspannung auf Balkonien
11. Denkanstoß am Telefon
12. Geräusche in der Nacht
13. Frühstück mit Bonus
14. Der Rasenmähertrecker
15. Frischer Fisch
16. Überraschung in der Villa
17. Fischzug in der Bek
18. Raptoren im Kopf
19. Ein lautstarker Empfang
20. Der Schatz in der Villa
Epilog: Sieg der Honigkuchenpferde

 

Der Autor
Eine kleine Bitte
Danke
Wer ist Horatio Dabelstein?
Impressum

1. Ab an die Ostsee!

 

Pierre

Wie platt konnte ein Mensch sein? Antwort: platter als eine Briefmarke!

Aber Pierre hatte das Studium in der Regelzeit geschafft, alle Prüfungen bestanden, die Bachelorarbeit eingereicht, Zehnstundentage in der Uni verbracht und obendrein einen Nebenjob gewuppt, um seiner Familie nicht auf der Tasche zu liegen. Immerhin hatte er noch zwei jüngere Geschwister und auf jeden Fall verhindern wollen, dass er in Geldnot geriet, weil das klapprige Auto einfach irgendein wichtiges Teil durchkaute und ausspuckte. Für solche Extras genügte BAföG einfach nicht, und Mama hätte ihren letzten Cent für ihn zusammengekratzt! Kam ja nicht infrage. Genau deswegen hatte er doch vor dem Studium schon zwei Jahre lang gejobbt, die Einschreibung an der CAU so lange aufgeschoben, damit nicht nur er, sondern auch seine Familie ein kleines Finanzpolster hatte. Doch jetzt … Freiheit!

Nun hieß es: Abwarten, Tee trinken und das Wohnheim das letzte Mal verlassen.

Eigentlich hatte er vorgehabt, den Sommer zu Hause zu verbringen, aber dann hatten Mama und ihre Schwester Edith gemeinsam angerufen und ihm ein traumhaftes Angebot unterbreitet: Er durfte alleine im Wohnwagen von Tante Edith Urlaub machen! So lange er wollte!

Das riesige Ding stand auf einem Dauerplatz an der Ostsee, besaß mehr Komfort und mehr Grundfläche als das Wohnheimzimmer und war vor dem Studium in allen Sommerferien Pierres Zuhause gewesen. Er hatte beim Videocall fast Schnappatmung vor Freude bekommen.

»Darf ich wirklich? Du und Onkel Konrad wollt nicht den Sommer am Meer verbringen?«, hatte er gefragt, weil er das schlichtweg nicht fassen konnte.

»Wir machen da seit dreißig Jahren Urlaub! Mien Jung, es reicht nicht für ein großes Gratulationsgeschenk. Ja, ich gucke dein Auto streng an. Wir hätten zu gerne zusammengelegt und dir etwas Besseres gekauft. Aber den Urlaub können wir dir bieten!«

Er hatte nur noch einen Dank stammeln können. Er hatte genug Geld, um sich sechs Wochen oder länger leisten zu können. Keine Wohnheimmiete mehr, und vielleicht fand er in Neuknarrsby ja auch einen kleinen Nebenjob. Tankstelle oder bei einem Bauernhof helfen. Oder sogar auf dem Campingplatz selbst! Da ließ sich bestimmt etwas deichseln.

Aber erst würde er mindestens eine Woche nur platt auf einer Sonnenliege entspannen, endlich wieder Romane statt lediglich Fachliteratur lesen, gemütlich kochen, schwimmen oder mit dem kreischgrünen Kanu auf Tour gehen. Seele baumeln lassen und echten Urlaub machen.

 

Eine gute Dreiviertelstunde später erreichte Pierre den kleinen Campingplatz, der sich zwischen dem Wald nach Altknarrsby, dem Dörfchen Neuknarrsby und der Ostsee befand. Ein schmaler Fluss namens Bek trennte die beiden Ortsteile, und wenige Hundert Meter vom Campingplatz entfernt gab es eine alte Fußgängerbrücke über den Wasserlauf, die ein beliebter Standort für Angler war.

Pierre schwelgte in Kindheitserinnerungen. Später, als Teenager, hatte er die Zeit hier nicht so sehr genossen wie als Grundschüler, erfasste er. Doch jetzt war es wie ein Heimkommen. Da war die Brücke! Auf der anderen Seite befand sich mitten im Wald eine alte, unbewohnte Villa umgeben von einem total verwilderten Park. Da hatte er mit anderen Kindern vom Campingplatz Dschungelforscher auf der Suche nach alten Maya-Tempeln und vor allem nach Dinosauriern gespielt. Nun, meistens auf der Flucht vor Dinosauriern! Er lachte leise bei der Erinnerung. Das große Haus hatte auf einer ziemlich zugewucherten Lichtung gestanden und auf Pierre immer wie ein Fremdkörper gewirkt. Die perfekte Kulisse für Dinos und Forscher.

Als Teenager hatte er es noch einige Male besucht. Einmal sogar nachts im Dunklen, weil er einen Gruselkick gesucht hatte. Die Villa war nicht verfallen gewesen, hatte aber deutlich nach Fensterputzern und einem frischen Anstrich geschrien. Ein Wunder, dass da nie jemand eingebrochen war und kostenlos gehaust hatte. Wahrscheinlich hatte es eine Art Hausmeisterdienst gegeben.

Versonnen seinen Erinnerungen nachhängend kam er bei der Anmeldung an, parkte das asthmatisch schnaufende Auto und erwog kurz, ob er den Motor laufen ließ. Nicht, dass die Kiste gleich nicht wieder ansprang. Manchmal machte das Auto Zicken. Er drehte die Zündung trotzdem ab. Dann blieb der Wagen eben hier, während Pierre zu Fuß zum Wohnwagen ging. Nach einer Stunde Pause berappelte der Motor sich meistens wieder, dann konnte er umparken.

Wider Erwarten sprang das Auto aber artig an, und Pierre konnte zum Stellplatz rollen. Da wartete eine Überraschung auf ihn! Fort war der große, alte Wohnwagen und durch ein neueres Modell ersetzt worden. Die Veranda war den Maßen des Domizils angepasst worden und bot ein überdachtes Frischluftwohnzimmer mit Mückenschutz und allem. Wie lange war er nicht hier gewesen? Fünf, sechs Jahre. Und der Wohnwagen war immer noch größer als das Zimmer im Wohnheim.

Pierre parkte auf dem kiesbestreuten Platz auf der rechten Seite seines Sommerheims. Den Schlüssel für den Wohnwagen hatte er am Empfang erhalten. Verschwunden war auch die alte Metallschaukel, stellte er mit einem Hauch Wehmut fest. Dafür stand ein gemauerter Grill neben einem kleinen Unterstand mit Sitzgelegenheiten. Onkel Konrad hatte in den letzten Jahren, seitdem er im Ruhestand war, offensichtlich Beschäftigung gebraucht.

Er stieg aus, schulterte seinen Rucksack und stieg die zwei Stufen zur Veranda empor, wo er das Gepäck erst einmal abstellte. Dann schloss er auf und betrat den neuen Wohnwagen.

Schön war der! Warme Holztöne mit Akzenten von Maigrün und Wollweiß. Deutlich kleiner, aber das war ja nur sinnvoll. Früher hatten sie hier oft zu sechst gelebt und geschlafen, aber für Edith und Konrad reichte dieser Wagen vollkommen aus. Und jetzt für Pierre.

Rechts von der Tür befand sich die Essecke mit genug Platz für drei Personen, vier, wenn sie alle sehr schlank waren. Links befand sich die Küche, gegenüber dieser der Eingang zur Nasszelle. Pierre öffnete die Tür und spähte hinein. Hammer! Wie klein Badezimmer sein konnten, hatte er im Wohnheim gelernt, aber das hier war viel gemütlicher und frischer als dort.

Im Heck des Wohnwagens standen zwei Einzelbetten mit einem ausreichend breiten Gang zwischen ihnen und ringsum Stauraum.

Ein Bett war frisch bezogen, über das andere war eine Schutzdecke gelegt worden, auf der Pierre nun den Rucksack abstellte. Nachher musste er den Wagen ausladen: mehr Wäsche, Bücher, sein Fahrrad. Ein paar Lebensmittel hatte er noch im Auto, aber er erinnerte sich an den kleinen Supermarkt in Neuknarrsby, wo er seine Vorräte aufstocken konnte. Sobald das Auto verschnauft hatte, konnte er dahin fahren.

Er öffnete den Kühlschrank und schnappte nach Luft. Ein handgeschriebener Zettel hin an einem Bord: Willkommen und herzlichen Glückwunsch! Darunter hatte Tante Edith einen breit grinsenden Smiley gemalt. Der Kühlschrank war voll. Es war fraglich, ob Pierre seine paar Sachen noch unterbringen konnte.

»Ey, danke«, murmelte er. Seine Familie war einfach zu süß, und jetzt war er noch einmal so stolz, dass er während des Studiums kein einziges Mal um eine Finanzspritze hatte bitten müssen.

Okay, der Plan für den restlichen Tag lautete, den Wagen zu entladen, alles sinnvoll zu verstauen und eine Bestandsaufnahme des Stellplatzes vorzunehmen, ob Pierre sich irgendwie nützlich machen konnte. Es hatte alles picobello ausgesehen. Onkel Konrad nutzte sein Rentnerdasein nach Kräften aus. Klar, da Pierre hier einige Wochen verbringen wollte, würde er zwischendurch den Rasen mähen und Pflanzen gießen. Alles ganz sutsche und entspannt.

Doch schon nach dem zweiten Umzugskarton ertappte er sich dabei, dass er immer wieder in Richtung des Waldes spähte, in dem die alte Villa stand.

Als Kind hatte er sie als Kulisse für seine Abenteuer genutzt. Als Teenager hatte er sich vorgestellt, wie es wohl sein musste, in einem solchen Prachtbau zu wohnen. Wie viele Zimmer mochte es dort wohl geben? Er hatte versucht, durch die Fenster zu blicken, soweit ihm die Vorhänge das gestatteten. Er hatte Holzparkett und mit weißen Tüchern verhängte Möbel ausmachen können, einen gewaltigen Kamin, eine Küche, in der man tanzen könnte, weil sie so groß war. Ganz anders als in modernen Häusern, in denen man vom Herd nur jeweils einen Schritt tun musste, um alles Notwendige zu erreichen. In der Villa bekam man wahrscheinlich Kilometergeld, um etwas zu kochen!

Er holte die Lasagne aus dem Kühlschrank, die Tante Edith für ihn vorbereitet hatte. Ein Zettel mit Anleitung, bei welcher Temperatur die Lasagne wie lange in den Ofen musste, klebte auf dem Deckel der Glasschale.

Pierre stellte die Auflaufform zurück in den Kühlschrank. Das machte er sich nach seinem Spaziergang fertig. Er schnappte sich den Schlüssel des Wohnwagens und schlüpfte in seine Schuhe, die er draußen vor der Tür gelassen hatte. Er war einfach gespannt, ob der Zauber des verwilderten Parks und die Villa mit ihrer Fassade aus teils verputztem roten Backstein mit den aufwendigen Verzierungen um die hohen Fenster immer noch auf ihn wirkten. Dieses Mal nicht auf Dinosauriersuche oder Schnitzeljagd, nicht länger ein versponnener Teenager, der sich vorstellte, mit dem Mann seiner Träume in diesem Prachtbau zu wohnen, morgens gemeinsam das Frühstück anzurichten, es auf dem Balkon einzunehmen und den Blick über den Park schweifen zu lassen, während sie die Party für das Wochenende planten.

Für einen Freund hatte er sich die letzten drei Jahre während des Studiums keine Zeit genommen. Aber die Teenagerträume kochten jetzt wieder in ihm hoch. Wunderschöner Prinz auf weißem Pferd und solcher Unfug.

Energisch schloss Pierre den Wohnwagen ab, verriegelte den alten Kombi via Funkbedienung, stopfte beide Schlüssel in seine Hosentasche und eilte in Richtung des Flusses Bek, der Brücke und des wilden Parks. Ganz wie früher.

Vielleicht entzauberte er all das jetzt auch schlagartig. Möglicherweise stand die Villa gar nicht mehr, sondern hatte modernen Häusern Platz machen müssen, einer Ferienhaussiedlung oder einem kleinen Hotel zum Beispiel. Immerhin war das hier Touristenland par excellence! Oder sie stand noch gerade so, weil der Zahn der Zeit zu sehr an ihr genagt hatte.

Er hoffte, dass sie immer noch wie ein Dornröschenschloss inmitten ihres wilden Parks auf Bewohner wartete, dass niemand auf die Idee gekommen war, alles zu roden und einen langweiligen Golfplatz daraus zu machen.

Das Ganze war natürlich albern, und Pierre wusste das auch genau. Wem auch immer Villa, Park und Wald rundherum gehörten, hatte seit vielen Jahren bewiesen, dass ihm das Anwesen vollkommen egal war. Nun, nicht ganz vollkommen, denn die Villa war gewartet worden. Sonst wäre sie schon vor Langem in sich zusammengekracht. Jetzt, während er auf die Brücke zuhielt, erinnerte er sich auch an einen Sommer, da sämtliche Fenster ausgetauscht worden waren. Die Handwerker hatten die kleinen Abenteurer freundlich aufgenommen, ihnen aber strikt verboten, auf dem Gerüst herumzutoben, das die Villa wie ein Spinnennetz aus Stahl umgeben hatte.

Aber es war gleichgültig, was die Eigentümer mit der Villa machten. Es ging Pierre nichts an. Nur einen geheimen Blick darauf wollte er stehlen, durch den Park spazieren, in dem alte Obstbäume wuchsen. Wie oft hatte er Kirschen aus ihnen gestohlen? Er lachte leise. Ungezählte Male. Und war mehr als einmal beinahe abgestürzt, weil ein trügerisch sicherer Ast sich als morsch erwiesen hatte.

Konnte man sich in ein Haus verlieben? Oder nur in seinen Zauber? Er lachte wieder, als er daran dachte, wie er sich platt gegen die vom Sonnenschein gewärmte Wand gedrückt hatte, weil jeden Augenblick ein Velociraptor um die Ecke kommen würde. Und er entsann sich des Blumenstraußes, dessen Bestandteile er liebevoll aus verwilderten Beeten zusammengeklaut und den er Mama mitgebracht hatte.

Ach, er befand sich gerade auf einer sentimentalen Wanderung. War so, musste er akzeptieren.

Er überquerte die Brücke. Nach links verlief eine asphaltierte Strecke zum Strand, nach rechts ging es nach Altknarrsby. Dieser Piste folgte er ein Stück, ehe er lächelnd stehen blieb. Seine Erinnerungen hatten ihn nicht getrogen. Hier befand sich der Trampelpfad, den sie früher genommen hatten. Eine bunte Schar Kinder aus der halben Bundesrepublik unterschiedlichen Alters, Jungen und Mädchen auf Abenteuersuche.

Der Weg war deutlich stärker zugewachsen, als Pierre ihn in Erinnerung hatte. Die Sommerzeit begann erst richtig, bestimmt würden auch dieses Jahr Kinder in den geheimnisvollen Urwald eintauchen, Kirschen und Johannisbeeren ernten. Was sie derzeit wohl spielten? Waren Dinosaurier noch aktuell? Er entsann sich, wo das Nest des T-Rex gewesen war. Darum würde er auch heute einen weiten Bogen machen. Herrlich albern!

Langsam bahnte er sich seinen Weg, wich matschigen Abschnitten aus, wo er die Spuren von Rehen ausmachte, bog Zweige beiseite und befreite sich aus Brombeerranken. Besonders schmerzhaft war es, wenn sie sich ihm um die Knöchel wickelten. Fleischfressende Dschungelpflanzen, ganz eindeutig.

Das Dickicht lichtete sich ein wenig und entließ Pierre nach noch einmal gut einhundert Metern auf die große Wiese, die auch jetzt wieder voll Löwenzahn stand. Es duftete nach Wald, Meer und Gras, und hinter dem Obstbaumgarten konnte Pierre schon schemenhaft die Villa ausmachen. Sie stand noch! Das Dach glänzte im Sonnenlicht, der Backstein leuchtete warm.

»Kein verdammter Golfplatz«, murmelte er zufrieden und stapfte über die Löwenzahnwiese. Schmetterlinge umflatterten ihn, er hörte das geschäftige Summen von Bienen und Hummeln. Idylle! Postkartenkitsch! Aber, Hammer, wie sehr er das tatsächlich vermisst hatte in den letzten drei Jahren an der Uni. Gut, Kiel war keine Metropole und hatte auch grüne Ecken, aber diese geballte Ladung Sommerfrische war gerade alles, was Pierre wirklich dringend benötigte.

Doch wurde sein Kopf ziemlich brutal aus den Schmetterlingswolken gerupft, als hinter ihm eine barsche Stimme erklang. »Sie scheinen sich verlaufen zu haben. Dies ist Privatbesitz.«

Pierre wirbelte herum und fand sich einem athletisch gebauten Mann mit ganz dezentem Silberfunkeln an den Schläfen und wachen dunklen Augen gegenüber. Leger in Jeans und einem wie maßgeschneidert sitzenden weißen Hemd unter einer schwarzen Lederweste.

Wow. Hammer. Was hatte der Mann gesagt? Offenbar waren alle Schmetterlinge erschrocken in Pierres Kopf geflüchtet und veranstalteten dort ein heilloses Chaos.

Privatbesitz?

2. Ein Störenfried im Park

 

Maximilian

Augenscheinlich war Maximilian vom Schicksal auserkoren, seine Tage damit zuzubringen, Touristen von seinem Grundstück zu vertreiben, die die Hinweisschilder offenbar für Deko hielten. Verdammt, er wollte doch nur seine Ruhe, endlich wieder durchatmen und hoffentlich seine zersplitterte Welt kitten.

Obwohl es ihm bei diesem jungen Mann beinahe leidtat, ihn auf das unerlaubte Betreten des Parks hinzuweisen. Wie verträumt der Mann gelächelt hatte, als er den Blick über die verwilderte Wiese bis zum Haus hatte schweifen lassen. Wie Sonnenglanz ihn eingehüllt hatte, als würde er hierher gehören.

Aber wenn Maximilian sich jetzt einfallen ließ, Ausnahmen zu gestatten, nur weil jemand den Anblick des Anwesens zu genießen schien, würden wieder Leute über seine Terrasse trampeln und sich die Nasen an den Fensterscheiben platt drücken. Oder ihn selbst begaffen, wenn er es wagte, auf dem Balkon auf der Sonnenliege auszuruhen.

»Privatbesitz?«, echote der schlaksige junge Mann vor ihm, und seine Augen weiteten sich, ehe er lächelte. »Tut mir leid. Klar, ich wusste, dass das irgendjemand gehören muss. Aber … ich habe als Kind hier gespielt, wenn ich auf dem Campingplatz war. Jurassic Park, und man musste beim Nest des T-Rex besonders vorsichtig sein …« Er zögerte, schien zu überdenken, was er da gerade gesagt hatte, und grinste dann offensichtlich über sich selbst. »Wirklich, tut mir leid. Ich wollte nur nachsehen, ob das hier inzwischen ein Golfplatz ist.«

»Ein Golfplatz?«, fragte Maximilian irritiert, obwohl er sich eigentlich gar nicht auf ein Gespräch einlassen wollte.

»Verdammt! Habe ich Ihnen jetzt einen Floh ins Ohr gesetzt? Nein, nein, bitte keinen Golfplatz daraus machen! Die Villa erschien mir immer wie ein Dornröschenschloss. Ich wollte nur nach ihr sehen.« Wieder ein Zögern. »Ich mache mich hier gerade zum Obst, nicht wahr? Bitte, vergessen Sie, was ich gesagt habe. Ich verschwinde schon wieder.« Dann leuchtete das gleiche, versonnene Lächeln wie eben auf, ehe Maximilian ihn angesprochen hatte. »Ich freue mich, dass die Villa wieder bewohnt wird. Darf ich auf dem gleichen Pfad wieder verschwinden, auf dem ich kam?«

»Ich bitte darum«, antwortete Maximilian knapp und trat beiseite. Und dann fragte er zu seinem eigenen Erstaunen: »Wo befindet sich das Nest des T-Rex?«

Der junge Mann warf den Kopf zurück und lachte. So unbeschwert und lebendig, dass es Maximilian wärmte. Was natürlich vollkommen unsinnig war. Wenn es eines gab, das er gerade nicht suchte, dann jemand, den er an sich heranlassen wollte. Ganz bestimmt keine neue Partnerschaft, vollkommen sicher keine Person in seinem Leben. Dieser Mann war ein Störenfried, der auf seinem Grundstück herumstromerte. Nicht mehr, nicht weniger.

Mit einem jungenhaften Grinsen drehte der Mann sich halb und wies in Richtung des Kieferngehölzes, das das kleine Belvedere nahe dem Seeufer umringt hatte und die Aussicht aus dem gemauerten Bauwerk garantiert komplett versperrte. »Da beim Pavillon. Ausblick, wie auch immer. Weit genug von der Villa entfernt, dass wir uns hinter ihr verstecken konnten, wenn der T-Rex unterwegs war.«

»Danke für die Warnung«, antwortete Maximilian ernst und musste dann wider Willen doch lächeln. Absurd mochte die Unterhaltung sein, aber trotzdem machte sie ihm Spaß. »Was sonst noch? Velociraptoren?«

»Aber selbstverständlich! Ein paar Triceratopse waren auch immer da.« Er sah immer noch zum Belvedere. »Die Seerosen sind übrigens wirklich wunderschön. Entschuldigung, ich halte Sie auf. Dabei wollte ich doch artig verschwinden.« Er lächelte Maximilian an, nickte ihm zu und stapfte über die ungemähte Wiese in Richtung Waldsaum.

Maximilian sah ihm nach, bis er zwischen den Bäumen verschwand. Zumindest war dies keine unangenehme Begegnung gewesen. Er hatte schon Leute verscheucht, die direkt neben einem Hinweisschild auf Privatbesitz und Durchgangsverbot eine Diskussion mit ihm hatten beginnen wollen. Sie wären doch schon immer hier entlanggegangen, er solle sich nicht anstellen und nicht egoistisch sein, und sie hätten doch quasi Wegerecht.

Natürlich, ein Zaun ringsum wäre eine Option. Allerdings nicht, wenn Maximilian diejenigen in Betracht zog, die hier nach Herzenslust herumstromern durften und tatsächlich Wegerecht besaßen: Rehe und andere Wildtiere, die während der Jahre des Leerstandes den Park zu ihrer Heimat gemacht hatten. Sie waren auch die Einzigen, die er morgens vom Balkon aus gerne in Sichtweite hatte, die durch die Terrassentüren spähen durften. Hier waren sie sicher vor Jägern, aber natürlich war ihr Revier viel größer als nur Maximilians Park. Also schieden Zäune aus.

Er sah zu der Stelle, an der sein letzter Besucher verschwunden war. Vielleicht sollte er ihm nachgehen – mit Abstand natürlich, denn er wünschte ja keinen Kontakt – und sich die Stelle merken, wo der Mann das Grundstück betreten hatte. Dort musste offensichtlich noch ein Schild hin. Wo ein vormaliges Urlauberkind in den Wald wanderte, konnten ihm andere folgen. Sowohl jene, die früher auf dem Campingplatz den Sommer verbracht hatten, als auch aktuelle Urlauberkinder. Sicher war sicher.

Aber zuerst ließ er den Blick schweifen, wie sein Besucher das getan hatte. Über die ungemähte Wiese zum Belvedere und zur Villa. Sie leuchtete im Sonnenlicht.

Er hatte nur einen kleinen Teil des Parks rund um das Gebäude mähen und instand setzen lassen. Zum Teil auch wegen der Wildtiere, aber vor allem, weil er keine Lust auf wochenlange Gartenbauarbeiten auf seinem Grundstück hatte.

Jetzt sah er zum ersten Mal bewusst den blühenden Löwenzahn, der die Wiese bis zum Obstgarten in ein goldenes Meer verwandelte. Die Seerosen sollte er sich vielleicht auch einmal ansehen. Von hier aus wirkte der Teich wie eine dunkelgrüne Ebene voll rosa Tupfen.

Er blickte wieder in die Richtung des Trampelpfades und lächelte. Sein Eindringling hatte ihm gerade die Augen für die Schönheit des Anwesens geöffnet. Erstaunlich.

Dabei wusste er doch, dass die Villa wunderschön war, dass die zum Haus gehörenden Ländereien nicht nur weitläufig bis zum Privatstrand reichten, sondern auch ansehnlich mit altem Baumbestand und kunstvoll modulierter Landschaft aufwarteten.

Der Trampelpfad konnte warten, beschloss Maximilian und stapfte über die blütenbestandene Wiese. Erst einmal sah er sich seine Seerosen an, auf die ein Wildfremder ihn hatte hinweisen müssen. Und er würde ganz besonders behutsam um das Nest des T-Rex herumschleichen. Bei diesem Entschluss musste er lachen. Das tat verdammt gut und klang auch nicht so künstlich und dezent schrill wie die letzten Wochen und Monate, wenn er sich seinem Schwager Stefan zuliebe an vorgetäuschter Heiterkeit versucht hatte. Bei seiner Schwester hatte er es weise gar nicht erst ausprobiert. Er wusste ja, dass er keinerlei Aussicht auf Erfolg gehabt hätte. Melanie kannte ihn einfach zu gut.

Da, bitte, der Rückzug aufs Land wirkte schon! Oder dieser geheimnisvolle Fremde … Das war Unfug reinsten Wassers!

Nach der Trennung von Nathan war Maximilian zu einem einzigen Zweck hierher gekommen: Wunden lecken, Ruhe haben, den Verlust verarbeiten. Ich mache mich hier gerade zum Obst, nicht wahr? Er musste wieder lachen. Diese entwaffnende Offenheit. Und ganz ohne Scheu über Kindheitsspiele gesprochen. Nein, Maximilian war definitiv nicht auf der Suche nach einem neuen Mann an seiner Seite, aber das kurze Gespräch hatte ihm wider Erwarten gutgetan.

Er genoss die Wärme der Sonnenstrahlen auf Kopf, Schultern und Rücken, das Summen der Bienen im Löwenzahn und hielt auf das Belvedere zu, das ein wenig an einen griechischen Tempel angelehnt war. Auch wenn es nun kaum zu sehen war und der Ausblick nur auf Kiefern ging. Davor breitete sich der See aus, in dessen Mitte ein derzeit inaktiver und wahrscheinlich der Reparatur bedürftiger Springbrunnen mit Neptun und vielen Fischen aufragte. Voller Moos und Algen. Sah doch auch ganz nett in dieser Aufmachung aus, beschloss Maximilian.

Der Weg führte leicht bergab zum Seeufer, dessen Oberfläche komplett von Seerosen bedeckt war. Es quakte auch leise in den trüben Fluten. Ob ein einziger Goldfisch die Jahre der Vernachlässigung überlebt hatte? Sehr unwahrscheinlich. Oder es war tatsächlich ein einziger Goldfisch übrig, der den Rest aufgefressen hatte und jetzt auf Frösche und Vögel Jagd machte.

Eine Weile stand Maximilian einfach nur am Seeufer und betrachtete die Blütenpracht. Er fühlte Frieden in sich kriechen, die Spannung langsam aus seinen Schultern sickern. Hierher – nicht nur zum See, sondern in das alte Haus an der Ostsee – zu kommen, war wirklich eine gute Idee gewesen. Touristen mit angeblichem Wegerecht mal außer Acht lassend.

Vielleicht sollte er es mal wieder mit Yoga versuchen. Joggen im eigenen Park würde wegen der Brombeeren, die sich im hohen Gras hervorragend tarnen konnten, wie er inzwischen schon schmerzhaft in Erfahrung gebracht hatte, beschwerlich werden. Aber es gab ja ringsum genügend Wege. Der an der Bek entlang zum Beispiel. Oder einfach morgens eine Runde schwimmen. Die Ostsee lag ja wirklich vor der Haustür.

Ein Knacken erklang rechts hinter ihm. Maximilian wirbelte herum, mit einem Mal felsenfest überzeugt, den länglichen Kopf eines Velociraptors mit hellwachen gelben Augen und allzu vielen Zähnen zu sehen.

Es war ein Reh, das ihn aus sanften Augen betrachtete, einmal mit den Ohren wackelte und dann mit einem Herumwirbeln und einem langen Satz im Unterholz verschwand.

Halleluja! Maximilian legte die flache Hand auf die Brust und atmete einmal tief durch. Dann grinste er. Gleich darauf lachte er. Vielleicht sollte er lebensgroße Dinofiguren kaufen. Am besten sogar Animatronics. Wenn er diese an strategisch geschickten Orten platzierte, würden sie gewiss eine bessere abschreckende Wirkung als die Betreten-Verboten-Schilder haben. Oder noch mehr Touristen anziehen, verflixt. Oder er selbst handelte sich einen Herzinfarkt vor Schreck ein, wenn so ein Biest mit einem Mal den Schädel aus dem Farn hob.

Er schüttelte den Kopf über sich selbst und lachte immer noch leise, während er am Seeufer entlang ging und auf das Haus zuhielt. Kein Yoga heute Abend, und schwimmen würde er auch nicht gehen. Garantiert würde er sich den Mosasaurus im Ostseewasser einbilden. Das musste wirklich nicht sein.

Aber der junge Mann hatte mit seinen Geschichten erreicht, was Maximilian vorher selbst nicht vollbracht hatte. Er konnte wieder lachen – auch über sich selbst.

Der heutige Abend gehörte einer Pizza aus der Tiefkühltruhe und einem Film, beschloss er. Oder einem guten Buch.

Er betrat das Haus auf der Rückseite, indem er die kleine Treppe zur überdachten Veranda emporstieg und solcherart ins Esszimmer mit der offenen Küche gelangte. Rasch teilte er seiner Alarmanlage mit, dass er es war und kein Einbrecher. Einen Fehlalarm hatte er bereits beinahe ausgelöst, weil in seiner Kindheit keine Schaltkästen mit Datenpad installiert gewesen waren und er sich erst an ihr Vorhandensein gewöhnen musste. Die Zentrale befand sich im ersten Stock, was als sicherster Ort bezeichnet worden war.

Doch die Villa stand vollkommen allein am Hintern der Welt herum, sodass Maximilian selbstverständlich auf den Rat von Schwester und Schwager gehört hatte, eine Alarmanlage einbauen zu lassen.

Nach der Entschärfung wandte er sich um und sah sich anerkennend um. Zuletzt war er als Kind hier gewesen, als die Ehe seiner Eltern noch intakt gewesen war. Vor der dringend notwendigen Reinigung und teilweisen Renovierung war er schon durch diese Räume gegangen und hatte so vieles wiederentdeckt, was ihm seit seiner Kindheit in Erinnerung geblieben war. Und neben ihm hatte die Innenarchitektin und Herrin über ein riesiges Team Handwerker sich Notizen gemacht. Maximilian hatte artig in seinem Haus in Hamburg gewartet, bis er das Startsignal für den Umzug erhalten hatte.

Die Villa war ein schönes, altes Haus mit hohen, stuckverzierten Decken, honigfarbenen Holzböden und eleganten Türen. Riesengroß war es, und er kam sich ein bisschen wie die letzte Erbse in der Schüssel darin vor. Das Haus bot sich an für eine kleine Horde Übernachtungsgäste, für elegante Partys. Auf beides hatte Maximilian nicht die geringste Lust. Dann war er eben eine einsame Erbse.

Er holte eine Pizza aus dem Gefrierschrank, streute noch ein wenig Käse auf den gefrorenen Belag, zögerte, überlegte und kippte deutlich mehr geriebene Köstlichkeit darauf, ehe er das solcherart optimierte Gericht in den Ofen verfrachtete und diesen anschaltete. Jede Wette, die Hersteller bauten auf solches Aufpeppen und sparten deswegen vergnügt am Käse?

Leise knarrte der Dielenboden unter Maximilians Schritten. Mitunter fühlte er sich wie in einem Museumshaus, und das stellte eine willkommene Abwechslung zu der Villa dar, in der er mit Nathan gewohnt hatte.

Nathan. Es half ja nichts. Dafür war er hier, um darüber nachzudenken und vor allem darüber hinwegzukommen. Die Tage seit seiner Ankunft hatte er nur mit dem Verscheuchen von Wanderlustigen, Auspacken, Einrichten und vor allem ohne Nachdenken verbracht, damit er sich nachts nicht in den Schlaf weinte.

Die Trennung war für ihn aus heiterem Himmel gekommen. Acht Jahre lang waren sie ein Traumpaar gewesen, und dann war Maximilians Welt ins Wanken geraten, als Nathan gegangen war.

Bestimmt hatte es Vorwarnzeichen gegeben, und er hatte sie als Einziger nicht erkannt. Vielleicht hätte er sonst noch etwas machen, den letzten Tag verhindern können. Es hatte keinen Streit gegeben, natürlich nicht. Er war ja so ein Harmoniesüchtling, und Nathan war sanft und stets freundlich. Niemand konnte mit ihm streiten, nicht einmal der jähzornigste Mensch der Welt, weil Nathan ihn nur verwundert betrachten und auf keine Attacke eingehen würde.

Und so war dann auch die Trennung geschehen. Ohne Lärm, ohne Vorwürfe, ohne ein einziges böses Wort. Im Guten auseinandergegangen, wie es so schön hieß. Bedeutete aber nicht, dass es nicht schmerzhaft und entsetzlich gewesen war. Und das hielt immer noch an.

Nathan hatte es freundlich und behutsam wie immer angesprochen. Auseinandergelebt, nur noch aus Gewohnheit zusammen, es gab da jemand anderen.

Ja, danke. Bei Maximilian hatte es eben nicht so ausgesehen. Er hatte gedacht, alles wäre in Ordnung, und das Ende der Beziehung hatte ihm den Boden unter den Füßen weggezogen.

Deswegen hatte er im Eiltempo die Villa herrichten, ein Team mit Rasenmähern das schlimmste Chaos rund um das Gebäude beseitigen lassen und war in ländliche Einöde geflohen, um seine Wunden zu lecken und den Kopf wieder frei von schwarzen Spinnweben zu bekommen. Leichter gesagt, als getan, das stand einmal fest.

Er hatte vor, sich liebevoll an ihre schöne Zeit zu erinnern und dann endlich einen Schlussstrich zu ziehen, damit er wieder klarkam. Das schaffte er, beschloss er energisch, während er die Auswahl DVDs durchsah, die im Schrank unter dem gewaltigen Fernseher stand. Eine hervorragende Umzugsfirma hatte alles hierher geschafft. Doch entweder war diese Villa größer als die gemeinsam mit Nathan bewohnte, oder Maximilian hatte einfach zu viel Platz, weil er alleine war. Die einsame Erbse. Immerhin konnte er über diese Bezeichnung ein wenig selbstironisch grinsen.

Er ließ den Fernseher ausgeschaltet, verspeiste seine Pizza, räumte alles weg und verfügte sich nach einem letzten Rundgang zur Kontrolle von Türen und Fenstern und Nachtaktivierung der Alarmanlage nach oben in sein Schlafzimmer. Er hatte das Kleinste – immer noch geräumig trotz Wasserbett und diverser Kommoden – mit angrenzendem Ankleidezimmer für sich erkoren. Es verfügte über eine Terrassentür auf den Balkon, und Maximilian hatte bereits gelernt, morgens eine halbe Stunde auf diesem zu genießen, einfach den Blick schweifen zu lassen, die frische, saubere Ostseeluft zu atmen und hin und wieder auch eine Entspannungsübung zu machen.

Ein großes Badezimmer und zwei weitere Räume, die mit einem wunderschönen Torbogen miteinander verbunden waren, füllten den Rest des ersten Stockwerks. In den beiden Zimmern hatte er ein Arbeitszimmer und seine Bibliothek einrichten lassen. Wobei die Regale vor allem mit Taschenbüchern und einigen Klassikern gefüllt waren. Ein bequemer Ohrensessel lud zu entspannten Lesestunden ein, obwohl Maximilian bislang nicht ausreichend Ruhe verspürt hatte, sich dort niederzulassen. Aber das kam noch, sagte er sich energisch, als er ins Bad ging. Irgendwie kam alles wieder ins Lot.

Er grinste. Morgen früh würde er als Erstes zum Nest des T-Rex blicken. Albern, aber er war dem Fremden so dankbar. Beinahe tat es ihm leid, dass dieser so unkompliziert abgezogen war, dass Maximilian auch nicht wirklich etwas eingefallen war, um das Gespräch zu verlängern. Das war natürlich Unfug. Er wollte seine Ruhe und keine Unterhaltung mit jemand, den er gar nicht kannte. Trotzdem … Hm. Vielleicht sollte er morgen einkaufen fahren und versuchen, mit Leuten aus der Ortschaft zu sprechen. Nur, damit er nicht vollkommen einrostete!

3. Abendspaziergang am Strand

 

Pierre

Er hatte ganz vergessen, wie absolut göttlich die selbst gemachte Lasagne von Tante Edith schmeckte. Und jetzt hatte er viel zu viel davon gefuttert und das Gefühl, nur noch rollen zu können.

Pierre räumte die winzige Küche auf, erledigte den Abwasch, trocknete ab und verstaute alles wieder an seinem Platz. Der Rest der Lasagne musste abkühlen, ehe er wieder in den Kühlschrank durfte.

Ein rascher Blick auf die Uhr sagte Pierre, dass es doch eigentlich noch viel zu früh war, um ins Bett zu gehen. Außerdem war dies sein erster Urlaubstag, und der Spaziergang im Park der Villa war deutlich kürzer als erwartet ausgefallen, nachdem er auf den Eigentümer der wilden Pracht gestoßen war. Der Eigentümer, der ihm seitdem beharrlich im Kopf herumgeisterte, war das denn zu fassen?

Okay, Faktencheck! Attraktiv? Oh, Hammer, ja, und wie! Bestimmt zehn Jahre älter als Pierre selbst. Teurer, akkurater Haarschnitt, der letzte Friseurbesuch garantiert nicht länger als eine Woche her, dezentes Silber an den Schläfen und im kurzen Bart. Pierre hatte bislang nicht gedacht, dass er einen Bart attraktiv finden könnte, aber dem grummeligen Grundbesitzer stand er! Betonte die markante Kieferlinie. Und so grummelig war der Mann gar nicht, war er doch merklich dank der Dinosaurier aufgetaut. Wenn er lächelte, war er umwerfend! So. Gut. War Punkt eins damit abgehakt? Nein, nicht ganz. Toll gebaut war der Mann nämlich auch noch. Etwas größer als Pierre, aber kein ausgemachter Riese. Weiter mit dem Faktencheck: Interesse? Oh, seitens Pierre auf jeden Fall! Mistig nur, dass eine vorsichtige Nachfrage nach Vorlieben so rasch böse enden konnte. Hetero Männer quatschten doch dauernd Frauen an, ohne nach deren Vorliebe zu fragen, weil sie einfach vom Standard ausgingen und sich zumeist umwerfend fanden. Aber wehe, ein anderer Mann wagte das bei ihnen! Statt das als Kompliment zu nehmen. Schlichte Abfrage, die einfach mit Ja oder Nein zu beantworten wäre. Menno! Okay. Sehr karger Faktencheck. Nächster Punkt: Chance auf ein Wiedersehen? Wenn, dann aber absolut nur sehr zufällig, denn Pierre konnte nach dem ersten Rauswurf schlecht noch einmal den Park betreten. Ein Jammer! Also, beides! Park und Mann.

Doch immerhin war die Villa keinem Supermarkt oder Golfplatz gewichen, sondern wurde wieder bewohnt. Das stellte ein winzigkleines Trostpflaster dar.

Da seine Gedanken wie ein Hamster auf Steroiden im Rad kreiselten und es ihm immer noch zu früh erschien, jetzt einfach ins Bett zu kriechen, schnappte Pierre sich den Plüschanhänger, an dem er alle verfügbaren Schlüssel zusammengefasst hatte, damit er sich nicht irgendwo aussperrte oder einen wichtigen Türöffner verbummelte.

---ENDE DER LESEPROBE---