Der sensible Mensch - Samuel Pfeifer - E-Book

Der sensible Mensch E-Book

Samuel Pfeifer

4,6

Beschreibung

Unsere Gesellschaft hebt Menschen aufs Podest, die etwas leisten, die hart im Nehmen sind und eine dicke Haut haben. Sensibilität ist im Alltag nicht gefragt, sie ist bestenfalls unpraktisch. Dabei haben 15–20 Prozent aller Menschen eine besonders "dünne Haut". Ein Leben mit erhöhter Empfindsamkeit birgt jedoch besondere Chancen und Gefahren. Dieses Buch hilft Betroffenen und Fachleuten, sie zu verstehen. Stand: 1. Auflage 2012 (8. Gesamtauflage)

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ISBN 978-3-7751-7121-2 (E-Book)ISBN 978-3-7751-5400-0 (lieferbare Buchausgabe)

Datenkonvertierung E-Book:CPI – Ebner & Spiegel, Ulm

© der deutschen Ausgabe 2012SCM Hänssler im SCM-Verlag GmbH & Co. KG • 71088 HolzgerlingenInternet: www.scm-haenssler.de; E-Mail: [email protected]

Umschlaggestaltung: Kathrin Retter, Weil im SchönbuchTitelbild: shutterstock.comSatz: Burkhard Lieverkus, Wuppertal / www.lieverkus.de

Ich widme dieses Buch

den hochsensiblen

und feinfühligen Menschen,

die mir Anteil an

ihrem Leben und Leiden

gegeben haben.

Inhalt

Inhalt

EinleitungAuf dünnem Eis

Kapitel 1Sensibilität – was ist das eigentlich?

Teil ISensibilität als Gabe, Sensibilität als Last

Kapitel 2Sensibilität und Persönlichkeit

Kapitel 3Sensibilität und Psychosomatik

Kapitel 4Kindheit, Trauma und Sensibilität

Kapitel 5Das Immunsystem der Seele – Wie sich sensible Menschen schützen

Teil II»Sensible Syndrome«

Kapitel 6Wenn Sensibilität zur Krankheit wird

Kapitel 7Diana – die sensible Königin der Herzen (1961–1997)

Kapitel 8Störungen der Persönlichkeit

Kapitel 9Leben im Schatten Depression und chronische Erschöpfung

Kapitel 10Wenn Angst das Leben beherrscht

Kapitel 11Gefühle auf der Achterbahn Hysterie und seelische Instabilität

Kapitel 12Grübeln, Zwang und Zweifel

Kapitel 13Macht uns die Umwelt krank? – Multiple Chemische Sensibilität

Teil IIITherapie und Seelsorge

Kapitel 14Sensibilität und Glaube

Kapitel 15Sich schützen und sich Gutes tun – Wege zum Umgang mit Sensibilität

Literaturverzeichnis

Neuere Literatur

Fußnoten

[ Zum Inhaltsverzeichnis ]

Einleitung

Auf dünnem Eis

Wer seelisch leidenden Menschen aufmerksam zuhört, der wird immer wieder einen Satz heraushören: »Ich bin so sensibel!« Ein junger Mann sagte mir einmal: »Ich gehe wie auf dünnem Eis. Es ist wie bei einem Teich, auf dem sich gerade die erste feine Eisschicht bildet. Schon eine Fliege kann sie zum Bersten bringen!« Immer wieder glänzte»Die erhabene und beklagenswerte Familie der sensiblen Menschen ist das Salz der Erde.« MARCEL PROUST in seinen Augen eine Träne. Es war so anstrengend für ihn, sich nichts anmerken zu lassen, im Beruf seine Leistung zu bringen, gegenüber Mädchen die Fassung zu bewahren. Jede kritische Bemerkung bestätigte sein Gefühl, ein Versager zu sein. Er zweifelte an sich selbst und konnte kaum glauben, dass andere ihn gern hätten. »Meine Stimmung ist wie ein Kippschalter. Schon ein schiefer Blick lässt bei mir das Licht ausgehen, und dann ist alles blockiert. Mein Leben ist überschattet von Angst. Der Chef ist zwar freundlich, aber wie lange noch? – Ich habe eine tolle Chance am Arbeitsplatz, aber werde ich es schaffen? – Diese Ängste sind so lähmend, sie nehmen mir alle Energie. Es ist so schwer, das in Worte zu fassen. Da bebt und zerrt es in mir, bis ich die ersten Worte über die Lippen bringe.«

Sensible Menschen gehen auf dünnem Eis, nicht nur innerlich. Sie müssen auch nach außen ständig etwas vorspielen, denn Schwachheit ist nicht »in«, übermäßige Sensibilität ist nicht »cool«. Unsere Kultur hebt Menschen aufs Podest, die etwas leisten, die lustig sind, Gewinnertypen, Leute mit Ausstrahlung, hart im Nehmen. Sensible scheinen nicht in diese Welt zu passen.

Doch die Starken wissen nicht, was sie gerade den sensiblen Menschen verdanken. Sensibilität ist nicht nur eine Last. Eine erhöhte Empfindsamkeit ist auch eine Gabe. Der bekannte französische Dichter Marcel Proust hat einmal geschrieben: »Die erhabene und beklagenswerte Familie der sensiblen Menschen ist das Salz der Erde.« Sie werden Ihnen in diesem Buch begegnen: bekannte Maler und Dichter, großartige Künstler oder die unvergessliche englische Prinzessin Diana. Sie alle führen uns vor Augen, dass sensible Menschen enorm wertvoll sind, eine notwendige Balance zu den Starken in dieser Welt.

Sensible Menschen sind begabt und belastet. Einerseits ist Empfindsamkeit ein wertvolles Element der Ganzwerdung des Menschen. Wenn sie aber entgleist, so kann sie zur Übersensibilität werden, die es den Betroffenen schwer macht, das Leben zu genießen und sich in reifer Weise in Beziehungen einzubringen. Erschöpfbarkeit und Gefühlsschwankungen führen zu inneren Nöten, die andere nur schwer verstehen können. Nicht selten ist auch das Glaubensleben von Ängsten, Depressionen und Zweifeln überschattet. Sensibilität ist ein Bild für das weiche Wachs der Seele, in der schon jede zufällige Bewegung Spuren hinterlässt und jeder Schlag tiefe Schrunden reißt, ein Bild für die Intensität der Gefühle und die Verletzlichkeit des Empfindens.

In meiner Suche nach Literatur zu diesem Thema war ich überrascht, wie wenig ich fand.1 Sind die Übersensiblen eine solche Minderheit, dass man sie nicht wahrnimmt? Als wir von unserer Klinik aus ein Seminar zum Thema anboten, waren wir verblüfft über die enorme Resonanz. Schließlich entstand ein Seminarheft mit dem Thema »Der sensible Mensch und seine Lebensnöte«. Seither erhalte ich immer wieder E-Mails oder Briefe von Menschen, die sich angesprochen fühlen:

»Endlich, endlich habe ich eine Antwort auf mein Verhalten bekommen. Ob auch das darin passt, dass ich überhaupt nicht fernsehen kann, seit meiner Kindheit? Ich kann gespannteSituationen nicht aushalten. Wenn ich Bücher lese, muss ich oft weinen dabei, wenn es sehr traurig ist. Ständig bin ich erschöpft, selbst beim normalen Fahrradfahren oder auf Bergwanderungen. Psychisch habe ich sehr große Schwankungen. Sehr viele Hemmungen, in Menschenmengen zu gehen zum Beispiel, oder auch einfach unbekannte Menschen. Sehr oft auch traurige Stimmung, das Traurige zieht mich immer an. Ich habe Mitleid mit jeder Kreatur, sei es nur eine Schnecke. Überhaupt habe ich keine Lebensfreude, weil diese überschattet ist von Angst, Zweifel und Weltschmerz.«2

Mosaik der Sensibilität

Allmählich bildete sich ein Mosaik der Sensibilität, das zunehmend an Kontur gewann. Im obigen Brief tönt schon etwas an, was uns in diesem Buch auch beschäftigen wird: Sensibilität ist zwar keine Krankheit, aber sie erhöht die Empfindlichkeit und kann zu Ängsten und Depressionen führen, die das Leben massiv einschränken. Die Besonderheiten der psychischen Probleme sensibler Menschen beschäftigen mich als Arzt natürlich oft. Es geht ja nicht nur um eine Feinfühligkeit, sondern auch um ein »zartes Nervenkostüm«, wie es im Volksmund heißt. Leib und Seele sind gerade in der Sensibilität eng miteinander verwoben. Wie kann man das Leiden sensibler Menschen besser verstehen? Wie können sensible Menschen so mit ihren Kräften umgehen, dass sie nicht krank werden?

Diese Fragen sind auch wesentlich für Seelsorgerinnen und Seelsorger: In der Beschäftigung mit sensiblen Menschen ist die innere Haltung des Therapeuten und Seelsorgers von wesentlicher Bedeutung. Können die Betroffenen ein inneres Mitfühlen spüren – auch in den Fällen, wo die Sensiblen ihr Leben nicht im Griff haben, wo sie sich in ihrer Suche nach Schutz und Bewältigung in störendes oder selbstschädigendes Fehlverhalten flüchten?

Seelsorger und Therapeutinnen3 sind oft gefangen in ihrer therapeutischen Schule. Geht es ihnen nur um Ursachensuche und Problembewertung, um »Neurose« und »Abwehrmechanismus«, oder spüren die Ratsuchenden etwas von einem existenziellen Offensein, Mitleiden, Mittragen und Begleiten, auch ohne letzte Antworten?4 Aus diesem Grund sollen durchgehend Fallbeispiele das Gesagte illustrieren. Nicht alle Beispiele sind von meinen eigenen Patienten. Manchmal ziehe ich es vor, bereits veröffentlichte Fallbeispiele zu zitieren, selbst wenn ich eigene ähnliche Beobachtungen gemacht habe. Gleichzeitig unterstreichen derartige Zitate, dass hier nicht eine neue Problematik herbeigeredet wird, sondern vielfältige Beobachtungen in der Literatur bestehen, die bisher nur selten zu einem Ganzen verwoben wurden.

Das Ziel, ein lesbares Buch zu schreiben, fordert Einschränkungen. Manche Fachleute werden von diesem Buch enttäuscht sein, weil es nicht umfassend genug ist oder weil es nicht einfach an herkömmliche Neurosenlehren anknüpft. Wer umfangreiche Kriterienkataloge für jede mögliche Störung sucht, sei auf die entsprechende Fachliteratur verwiesen.

Mein Hauptanliegen ist es, auf die sensiblen Menschen selbst zu hören, ihre Geschichten ernst zu nehmen und gemeinsame Elemente darin zu finden. Ich möchte ausgetretene Wege der Psychologie verlassen und dennoch immer wieder den Bezug zur Fachliteratur herstellen – gerade weil es mein Anliegen ist, sensiblen Menschen Wege zur Bewältigung und zur Behandlung aufzuzeigen.

Natürlich liegt auch eine Gefahr im Lesen eines solchen Buches: Es werden so viele Saiten angeschlagen, Auffälligkeiten und Charakterzüge angesprochen, die Sie auch bei sich selbst wahrnehmen. Denken Sie immer daran: Sensibilität an sich ist keine Krankheit, sie ist eine Anlage, die Ihr Leben prägt. Manchmal müssen wir lernen, mit Unvollkommenheiten und Besonderheiten der Persönlichkeit zu leben, ohne gleich in eine Therapie zu streben. Dieses Buch soll Ihnen Mut machen, sich den eigenen Kämpfen und Konflikten zu stellen, darüber nachzudenken, vielleicht die ganze Problematik der übermäßigen Sensibilität auch im Gebet mit Gott zu besprechen. Und es ist mein größter Wunsch, dass Sie die Erfahrung machen, wie sich Türen öffnen und Wege zeigen, die Sie vielleicht bis jetzt noch nicht beschritten haben.

Riehen, im Frühjahr 2002

Dr. med. Samuel Pfeifer

[ Zum Inhaltsverzeichnis ]

Teil I:Sensibilität als Gabe,Sensibilität als Last

[Zum Inhaltsverzeichnis]

Kapitel 1

Sensibilität–was ist das eigentlich?

Anita ist eine hübsche junge Frau. Die 26-jährige Kindergärtnerin wird von vielen beneidet. Sie fährt ein kleines Sportauto und ist immer gut angezogen. Doch Anita ist auch bekannt als »schwierig«. Keiner kommt wirklich an sie heran, keiner weiß eigentlich, wer Anita ist. Im Gottesdienst sitzt sie immer in der hintersten Reihe am Rande der Bank. Und meistens verschwindet sie noch während des letzten Liedes.

»Ich habe Angst unter so vielen Leuten; sie erdrücken mich schier«, sagt Anita im Gespräch. »Ich brauche alle meine Kraft, um überhaupt zu existieren. Mein Leben gleitet mir zunehmend aus der Hand. Ich bin der Arbeit mit den Kindern nicht mehr gewachsen. Jedes Telefonat mit der Mutter eines Kindes macht mir Herzjagen, Durchfall und schlaflose Stunden.«

Anita träumt eigentlich von einer Familie. Aber der richtige Mann sei ihr noch nicht begegnet. Vordergründig erscheint sie manchmal kontaktfreudig, fast kokett. Sie lässt sich gerne einladen und freut sich an schönen Geschenken. Einen flüchtigen Kuss, eine Umarmung, das hält sie gerade noch aus; doch wenn ein Mann ernsthafte Absichten äußert, dann bekommt sie Angst und löst die Beziehung auf.

Nachts hat sie oft Angstträume: Sie steht irgendwo ganz allein an einem dunklen Fluss, hinter ihr hohe Felsen. Manchmal sieht sie Schlangen züngeln, Raubtiere fletschen die Zähne. Oft ist sie auf der Flucht, fällt ins Nichts und wacht schweißgebadet auf.

Im Gespräch klagt sie: »Ich habe einfach keine Energie, ich kann nicht mithalten mit den andern. Es kostet so viel Kraft, die Fassade aufrecht zu erhalten. Ich bin einfach zu sensibel, ständig am Rande meiner Kräfte.«

Anita hat gelernt, mit ihren Grenzen zu leben. »Aber es ist hart«, sagt sie. »Ich fühle mich oft so überwältigt von allem, was auf mich einstürmt. Und dann brauche ich einfach Zeit für mich, Zeit, um wieder ruhig zu werden. Selbst schöne Dinge werden mir zur Belastung. Ich gehe schon jahrelang nicht mehr ins Kino. Die intensiven Bilder gehen mir so zu Herzen und bewegen mich noch nach Wochen.«

»Überwältigt von allem, was auf mich einstürmt«– diese Aussage ist zentral für das Erleben sensibler Menschen. Die amerikanische Psychologin Elaine N. Aron spricht von den »Hochsensiblen«, denen es von Natur aus schwerer fällt, Sinneseindrücke zu verarbeiten, einzuordnen und abzulegen.1 Doch sie nehmen die Umwelt auch viel intensiver und schöner wahr, als der weniger sensible Teil der Menschheit. Was meinen Menschen also, wenn sie sagen: »Ich bin so sensibel!«? Tabelle 1 zeigt sowohl positive als auch negative Aussagen.

Tabelle 1: »Ich bin sensibel!«

Positive Aspekte

Negative Aspekte

-feinfühlig

-überempfindlich

-intensives Empfinden

-verletzlich (vulnerabel)

-tiefes Wahrnehmen und Erleben

-liest (und spürt) zwischen den Zeilen

-angesprochen von der Schönheit in Natur, Kunst, Musik, Dichtung, Film

-denkt zu viel nach

-introvertiert und schüchtern

-ängstlich

-intuitive Wahrnehmung

-nicht belastbar/keine Reserven

-nicht unberührt vom Leid anderer Menschen

-schnell an meinen Grenzen

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

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