Der Spiegelorden - Andi Bottlinger - E-Book

Der Spiegelorden E-Book

Andi Bottlinger

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Beschreibung

Begeisternde High Fantasy mit überraschenden Wendungen Als das Land Gerien von dem selbsternannten Weltherrscher Arandes erobert wird, scheint es nur eine Hoffnung für die Bevölkerung zu geben: Das kleine Mädchen Nauri, die Wiedergeburt der mächtigen Magierin Nauranda. Doch ist es wirklich fair, das Schicksal eines Landes auf die Schultern eines Kindes zu legen? Sollte es für Gerien nicht eine andere Möglichkeit der Befreiung geben als eine uralte Prophezeiung? Der königliche Leibwächter und Attentäter Darien sieht die Lösung seiner Probleme nicht darin, sich so lange mit dem Mädchen zu verstecken, bis es sein volles Potential entfaltet. Auch sein widerwilliger Verbündeter, der ehrenhafte Hochlandkrieger Bjoron, ist eher für direkte Taten zu haben. Und Berinda – die junge Königin Geriens und Nauris Schwester – hat die Wahl: Entweder sie stirbt in Arandes’ Kerker oder ihr fällt bald ein kluger Plan ein. Während alle drei darum kämpfen, ihren eigenen Weg zu finden, holt sie die Prophezeiung um Nauranda doch ein – allerdings auf eine Art, mit der niemand gerechnet hat.

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Seitenzahl: 557

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Der Spiegelorden

ANDI BOTTLINGER

Impressum

Der Spiegelorden

Andi Bottlinger

1. Auflage 2024

© 2024 Calderan

Ein Imprint der Kraterleuchten GmbH,

Gartenstraße 3, 54550 Daun

Verlagsleitung: Sven Nieder

Alle Rechte vorbehalten.

Korrektorat: Tim Becker

Titel- und Innenillustration: Björn Pollmeyer

Gestaltung und Satz: Björn Pollmeyer

ISBN E-Book 978-3-98600-016-5

ISBN Print 978-3-98600-015-8

www.calderan.de

Darien

Schreie und das Klirren von Metall blieben hinter Darien zurück, als er in den Innenhof trat. Nur der Widerschein des Feuers an den Wolken spiegelte sich auf dem Wasser, färbte den Teich in der Mitte des Gartens rot.

Wären die großen Dichter Letharns nicht wie alle anderen damit beschäftigt gewesen, um ihr Leben zu rennen, hätte sie dieser Anblick sicher entzückt. Sie hätten die richtigen Worte gefunden. Über die Einheit von Schönheit und Schrecken. Hätten dieser Niederlage vielleicht einen Sinn verliehen.

Darien allerdings hatten längst alle Worte verlassen. Geblieben war nur das Gefühl, dass die Flammen, die seine Heimat verzehrten, auch in seinem Inneren brannten. Er spürte ihre Hitze in seinem Magen, geschürt von dem Wunsch, eine Klinge im Fleisch des Mannes zu versenken, der für all dies verantwortlich war. Die Flammen glühten umso heißer, wenn er daran dachte, dass seine Königin ihm genau das verwehrte. Dass er seine Königin im Stich ließ, um eine andere Aufgabe zu erfüllen.

Kies knirschte unter Dariens Schritten, als er zwischen die Bäume des Gartens trat. Am Ende des Weges erhob sich der Eingang des Klosters. Dort, in dem breiten Doppeltor, standen in weiße Gewänder gehüllte Gestalten und blickten ihm entgegen. Mitglieder des Ordens des ewigen Kreises.

Eine leichte Brise kam auf, kräuselte das Wasser des Teiches und fuhr durch die Blätter der Bäume. Während sich das Wasser schnell wieder beruhigte, wurde das Rascheln der Blätter lauter.

Darien hob den Blick, sein Herz schlug schneller. Die Äste wiegten sich immer stärker, während das Gefühl des Windes auf seiner Haut immer schwächer wurde. Sie schlängelten sich, streckten sich wie vielfingrige Hände in seine Richtung. Zweige griffen nach seinem Haar und seiner Kleidung.

Ordensmagie! Darien fluchte und machte einen schnellen Schritt zurück. Hatte das ständige Brüten über alten Schriftrollen diesen Leuten die Augen so sehr verdorben? Sah er etwa aus wie ein Feind?

»Ich bin Darien, Mitglied der Leibgarde Ihrer Majestät«, rief er über das Rascheln hinweg. Er schlug einen Zweig beiseite, der sich um sein Handgelenk wickeln wollte. »Die Königin schickt mich.«

Abrupt schnellten die Äste in ihre natürliche Position zurück wie ein Hund, den sein Herrchen zurückgepfiffen hatte. Für einen Moment wiegten sie noch heftig hin und her, dann verstummte das Rascheln.

Darien setzte sich wieder in Bewegung. Die Ordensmitglieder bildeten am Tor des Klosters eine Gasse, durch die er eintreten konnte. Keiner von ihnen sprach ein Wort. Nur ein missbilligendes Zungenschnalzen brach die Stille. Darien runzelte die Stirn. Was hatte er falsch gemacht?

Sein Blick fiel auf die nackten Füße der Ordensmitglieder, wanderte weiter zu seinen eigenen Stiefeln. Konnten sie das ernst meinen? Als wäre es nun noch wichtig, ob er die Stiefel auszog. Wenn er keinen Dreck in diese heiligen Hallen trug, würden es die feindlichen Soldaten tun, die nach ihm kamen. Außerdem konnte er das Messer noch brauchen, das in seinem rechten Stiefelschaft steckte. Er beschleunigte seine Schritte.

»Bist du hier, um Nauranda die 156. in Sicherheit zu bringen?« Noch mehr Weiß, selbst das Gesicht dieser Frau war nur ein Schemen hinter einem weißen Schleier. »Die Königin sagte, sie würde jemanden schicken.«

»Das bin ich.« Wann hatte Königin Berinda die Zeit gefunden, im Kloster Bescheid zu geben, dass jemand kommen würde? Wie lange hatte sie schon einen Plan für den Fall, dass Letharn fiel? Und wie lange wusste sie schon, dass sie ihn wegschicken würde, und hatte ihm nichts davon gesagt? Verfluchte Geister der Berge, wenn er es früher gewusst hätte, hätte er sie vielleicht umstimmen können!

»Dann komm schnell.« Die Ordensfrau wandte sich einfach um, wartete nicht ab, ob Darien ihr folgte. Gemeinsam eilten sie schmale, dunkle Gänge entlang. Zwei weitere weißgekleidete Gestalten hielten vor einer Schiebetür Wache. Auf einen Wink der Ordensfrau hin, zogen sie das kunstvoll bemalte Holz beiseite.

Dort saß das Mädchen, die hundertsechsundfünfzigste Wiedergeburt der legendären Nauranda, nominelle Anführerin des Ordens des ewigen Kreises. Und die letzte Hoffnung Geriens, wenn es nach seiner Königin ging.

Darien sah nur ein Kind von höchstens sechs Jahren. Nauri, hatte Berinda sie genannt, viel passender als der offizielle Name. Das Mädchen hockte reglos auf seinen Fersen, hatte die Augen geschlossen und die Hände fest in die Falten seines Gewandes verkrallt. Es saß genau unter einem Oberlicht, als hätten die Ordensleute es dort absichtlich platziert. Darien schnaubte. Vielleicht konnte man damit einen ehrfurchtgebietenden Effekt erzielen, wenn die Sonne in den Raum schien und Nauri in eine Säule aus Licht tauchte. Doch nun war sie in flackernden Feuerschein gehüllt. Er spielte über das schwarze Haar, das wie ein Wasserfall über ihre Schultern bis zum Boden fiel. Und er tanzte über das kleine Gesicht und hob die Angst darin hervor.

Einen Augenblick lang stand Darien auf der Schwelle. Selbst wenn all die Legenden stimmten, selbst wenn dieses Kind die Seele einer großen Magierin in sich trug. Was sollte es tun, um eine ganze Armee wieder aus der Stadt zu vertreiben?

Doch nun war es zu spät, um die Befehle seiner Königin zu hinterfragen.

Als Darien eintrat, öffnete Nauri die Augen und sah ihn an. Im flackernden Flammenschein musterten sie einander. Ihre Augen waren groß und blau, aber immerhin schimmerten keine Tränen darin. Ein kleines Mädchen aus einer von Feinden überrannten Stadt zu bringen war schon schwer genug, wenn es nicht weinte.

Ein Schrei hallte durch die Gänge. Nauri zuckte zusammen. Hoffentlich fing sie nicht doch noch an zu heulen.

Erneut ließ Darien den Blick durch den Raum schweifen. Wahrscheinlich war das Palasttor gefallen, Letharns Niederlage damit endgültig besiegelt. Vielleicht hatten die Feinde den Hof bereits erreicht. Die Zeit zerrann ihm zwischen den Fingern, und je länger er wartete, desto mehr Fluchtwege würden ihm versperrt. Warum gab es in diesem ganzen von allen Geistern verfluchten Kloster keine ordentlichen Fenster, durch die er hinausklettern konnte?

In einer Ecke entdeckte er eine Truhe. Mit schnellen Schritten war er bei dem Möbelstück und zog es unter das Oberlicht. Die Ordensfrau beobachtete ihn durch ihren Schleier. »Was tust du da?«

»Das, was die Königin mir befohlen hat. Ich werde mit dem Mädchen kaum zum Haupteingang hinausspazieren können, nicht wahr?«

Er sprang auf die Truhe und inspizierte die Öffnung in der Decke. Glas in einer Bleifassung. Darien zog ein Messer aus der Scheide hinter seinem Rücken. Er senkte den Kopf und stieß den Griff der Waffe nach oben. Die Bleifassung knirschte. Noch einmal. Dann regneten Splitter über seine behandschuhte Hand und in sein Haar.

Weitere Schreie drangen von draußen herein, während er die scharfkantigen Glasreste aus ihrer Fassung brach. Er atmete tief durch, achtete darauf, seine Bewegungen sicher und zielstrebig zu halten. Ruhe bewahren, nur nicht hektisch werden. Schließlich packte er die Kante der Öffnung. Von der Truhe konnte er sie leicht erreichen.

»Warte!« Die Ordensfrau ergriff Dariens Arm. »Dies hier musst du ebenfalls mitnehmen.«

Er bemühte sich, seine Ungeduld nicht zu zeigen, als er sich umwandte und den Beutel musterte, den sie ihm hinhielt. Er musste mit einem kleinen Kind heimlich aus der Stadt schleichen, und diese Frau wollte ihm Gepäck mitgeben? Wofür hielt sie ihn? Einen Packesel?

Dennoch nahm Darien den Beutel entgegen und wog ihn in der Hand. Nicht schwer, aber zu groß, um ihn an seinen Gürtel zu knoten. Irgendetwas raschelte darin.

Die Ordensfrau schien sein Zögern zu bemerken. »Er enthält die wichtigste Schrift unseres Ordens. Naurandas Geschichte.«

Darien runzelte die Stirn. »Jeder weiß, wie Nauranda und ihre Gefährten die Devra besiegt haben.« Er reichte der Frau den Beutel zurück. Sperrige Schriftrollen, die ihn bei der Flucht womöglich behinderten, konnte er nicht gebrauchen. »Das bleibt hier.«

»Nein, du verstehst nicht! Die Devra sind nur der unwichtigste Bestandteil der Legende. Diese Rollen enthalten die ganze Geschichte. Du musst sie mitnehmen, damit das Wissen nicht verloren geht!«

Darien unterdrückte einen Fluch. Draußen splitterte Holz mit einem lauten Krachen, die Schreie kamen immer näher. Ganz Letharn brannte, und diese Ordensfrau dachte an irgendein nutzloses Schriftstück! Doch streiten würde ihn nur noch mehr Zeit kosten.

»Hängt ihr den Beutel um.« Er deutete auf Nauri, die dicht neben der Truhe stand und mit großen Augen zu ihm aufsah. Sie hatte die Hände auf die Ohren gepresst und zog dennoch bei jedem neuen Schrei den Kopf ein wenig tiefer zwischen die Schultern.

Ohne die Antwort der Ordensfrau abzuwarten, griff Darien nach der Kante des Oberlichts und zog sich durch die Öffnung nach oben. Auf dem flachen Dach des Klosters kniete er sich hin und streckte die Hand nach unten in den Raum. »Reicht sie mir hoch.«

Die Ordensfrau dachte nicht daran, der Aufforderung zu folgen. Stattdessen verneigte sie sich vor Nauri. Das Mädchen stand einfach nur steif da, die Hände inzwischen an ihren Seiten zu kleinen Fäusten geballt, den Beutel auf der Brust.

»Verzeiht die ungebührliche Behandlung. Dies alles dient nur Eurer Sicherheit.«

Darien stieß einen ungeduldigen Laut aus. Was nützte es nun noch, seine wahren Gefühle zu verbergen? So nah, wie die feindlichen Soldaten schon waren, sprach er ohnehin mit einer toten Frau. »Wir haben keine Zeit für unsinnige Förmlichkeit«, zischte er. »Reicht das Mädchen hoch! Sofort!«

Die Ordensfrau schnappte hörbar nach Luft. Sie nahm die Schultern zurück und hob stolz den Kopf. Wollte sie ihm ausgerechnet jetzt eine Strafpredigt halten?

Doch dann wandte sie sich ab und wieder dem Mädchen zu. Vielleicht sah sie ein, dass sie keine Zeit hatte, vielleicht hielt sie es auch einfach nur für unter ihrer Würde, mit einem Leibwächter zu streiten. Jedenfalls fasste sie Nauri um die Hüften und hob sie zum Oberlicht hinauf.

Das Mädchen streckte Darien die Hände entgegen, immer noch, ohne einen Laut von sich zu geben. Sollte es nicht weinen und zappeln und sich weigern, seine gewohnte Umgebung zu verlassen? Doch Darien konnte nicht von sich behaupten, sich gut mit Kindern auszukennen. Vielleicht waren sie alle so, vielleicht stand das Mädchen unter Schock.

Nauri war leicht, und sie klammerte sich mit verzweifelter Kraft an seinen Arm. Nicht lang, dann hockte sie neben ihm auf dem Dach und sah sich mit großen Augen um. All der Rauch. Die Flammen, die irgendwo rechts von ihnen in den Himmel schlugen.

Darien hob sie hoch und huschte geduckt auf das angrenzende Gebäude zu, das ein wenig höher war als das Kloster. Zwischen einem Türmchen und einem Wasserspeier kauerte er sich auf die Ziegel. Hier konnte er sich eine Weile verstecken. Er würde warten, bis der Kampf endgültig vorüber war, bis die feindlichen Soldaten feierten und plünderten. Dann konnte er sich durch eines der Aquädukte aus der Stadt stehlen. Und seine Königin in den Händen der Feinde zurücklassen, wie sie es ihm befohlen hatte.

Der beißende Geruch des Rauchs stieg Darien in die Nase, während er den Blick über die Stadt schweifen ließ, in der er aufgewachsen war. Es war auch ganz sicher nur der Rauch, der ihm die Tränen in die Augen trieb. Es lag nicht daran, dass es aussah, als würde der Krater, in dem Letharn erbaut worden war, wieder Feuer spucken. Dass direkt zu Dariens Füßen fremde Soldaten durch das zerstörte Tor in der Palastmauer strömten, ohne noch auf nennenswerten Widerstand zu stoßen.

Wenn er diesen Auftrag erfüllt hatte, würde es kein Zuhause mehr geben, in das Darien zurückkehren konnte. Die Königin, die zu beschützen er geschworen hatte, war bis dahin vermutlich tot. Und das Gewicht des Mädchens zog an seinen Armen, hielt ihn davon ab, irgendetwas anderes zu tun, als abzuwarten, bis alles vorüber war. Es hatte das Gesicht an seiner Schulter vergraben, als würde all die Zerstörung nicht geschehen, wenn es nicht hinschaute.

Wenn es doch nur so einfach wäre.

Wenn er doch wenigstens glauben könnte, dass dieses Kind mehr war als ein einfaches Mädchen.

Bjoron

Nicht mehr lang bis zu Bjorons erster, richtiger Schlacht. Der Heereszug der Hochlandstämme wälzte sich bereits durch die letzten Ausläufer des Gebirges, ein Band in Fell gewandeter Krieger, die die Kinder, die Alten, die Schwangeren und das Vieh in ihre Mitte genommen hatten. Nicht einmal von dem Hügel, auf dem er stand, konnte Bjoron den Zug ganz überblicken. Ein erhebender Anblick. Ein Anblick, der jeden Feind erzittern lassen musste. Und ein Anblick, der aus Bjorons Magen einen kleinen, kalten Klumpen machte. Nicht mehr lang, bis er sein Schwert zum ersten Mal richtig führen würde, und diesmal durfte er nicht versagen. Diesmal nicht.

Wie von selbst glitt sein Blick zu der breitschultrigen Gestalt seiner Mutter, die aus der Menge ragte. Das Haar bereits von weißen Strähnen durchzogen, um den Hals eine Kette aus den Zähnen erschlagener Berglöwen. Als hätte sie etwas gespürt, sah Jernsa auf und begegnete Bjorons Blick. Doch Ihr Gesicht blieb ausdruckslos. Fast war es, als würde sie einen Fremden ansehen. Dann wandte sie sich ab und wieder Tjark zu, ihrem Erstgeborenen. Sie sagte etwas, schlug Bjorons älterem Bruder auf die Schulter und lachte.

Bjorons Kiefer malten. Er war genauso viel wert wie Tjark, und spätestens nach der Schlacht würde auch seine Mutter das erkennen. Dann würde die Sache mit Neljar vergessen sein, genauso wie die verlorenen Yaks.

Bjorons Finger schlossen sich fester um den Griff seines Schwertes. Nicht mehr lang.

Seine Mutter beschleunigte ihre Schritte, zog auf dem Weg zur Spitze des Zuges an den Reihen der Krieger vorbei. Tjark fiel zurück, blickte nun seinerseits zu Bjoron. Er winkte und grinste, trabte dann den Hügel hinauf. Wie Bjoron hatte er wegen der milden Temperaturen hier unten längst die meisten Felle abgelegt, trug nur noch eine Hose aus grobem Stoff und eine Fellweste.

»Na, genießt du die Aussicht? Das wird eine großartige Schlacht! Wir machen die Belagerer nieder, und dann lassen wir uns in Letharn als Retter feiern.«

Mit einem schwachen Grinsen nickte Bjoron. Genau so würde es laufen, musste es laufen, wollte er nicht das Gespött des ganzen Stammes bleiben. Im nächsten Moment traf ihn ein kräftiger Knuff an der Schulter. »Lass nur diesmal nicht Neljar in der Nacht vorher in dein Zelt.«

Bjoron verzog das Gesicht. Erinnerungen blitzten vor seinem inneren Auge auf. Neljar, der abends in sein Zelt gekrochen kam und seine Felle abstreifte. Wie er am nächsten Morgen von Rufen und Flüchen aufwachte, während Neljar auf dem Kampfplatz den kleinen Trupp in alle Richtungen versprengte, den Bjoron hätte anführen sollen. Der Trupp, der nur halb so stark war, wie geplant, und schlecht vorbereitet, weil es Bjorons Aufgabe gewesen wäre, die Krieger zu wecken und einzuweisen.

»Wobei ich zugeben muss, dass ich auch alles andere vergessen hätte, wenn jemand Hübsches in mein Zelt gekrochen wäre.« Tjark grinste. »Auch wenn ich dabei jemand Weiblicheren vorziehen würde.«

»Dich alles andere vergessen zu lassen, ist nicht schwer, Tjark.« Das war Kerlfts Stimme. Bjoron blickte sich um und entdeckte seinen zweitältesten Bruder auf halber Höhe des Hangs. »In deinen Kopf passt immerhin stets nur ein Gedanke gleichzeitig. Denkst du wirklich, die Schlacht wird einfach? Wenn die Sonne nach diesem Kampf das nächste Mal aufgeht, werden einige von uns tot sein.« Kerlft schniefte, während er neben Bjoron stehen blieb. Er zog den Fellumhang um seine Schultern zurecht, als wäre ihm kalt. »Mutter hätte auf mich hören und das Vieh und die Kinder zu Hause lassen sollen.«

Bjoron schnaubte, auch wenn er insgeheim froh war, etwas gefunden zu haben, dass ihn von seiner Schmach ablenkte. »Und wer hätte dann wen gegen die Berglöwen verteidigt? Die Kinder das Vieh oder das Vieh die Kinder?« Das war wieder eine dieser seltsamen Ideen, die Kerlft aus seiner Zeit in den Tieflanden mitgebracht hatte.

Auf seiner anderen Seite lachte Tjark und schlug ihm auf die Schulter. »Hör dir unseren Bruder an, Kerlft. Er hat keine Tieflandschule besucht, und trotzdem ist er schlauer als du.«

Kerlft zog eine säuerliche Miene. »Wenn die Frauen mit den Kindern und dem Vieh in den Lagern bleiben würden, wie es bei den Tiefländern Brauch ist, müssten wir nicht mit all unserem Hab und Gut in die Schlacht ziehen.«

Nun schnaubte Tjark, deutlich abfälliger als Bjoron zuvor. »Die Tiefländer sind dumm, wenn sie fast die Hälfte ihrer Krieger zurücklassen. Stimmt es außerdem, dass sie außer Männer und Frauen keine Geschlechter kennen? Ziemlich beschränkt, wenn du mich fragst.«

Kerlft überging die Frage, wie er es gerne tat, wenn man eine Schwachstelle in der Kultur der Tiefländer aufzeigte. »Ach, wie lange hast du gebraucht, um auszurechnen, dass es fast die Hälfte wäre? Pass auf, dass dein Kopf nicht überhitzt von so viel Denken.«

Aus dem Augenwinkel sah Bjoron, wie Tjark die gewaltigen Armmuskeln anspannte. »Wenn hier einer auf seinen Kopf aufpassen sollte, dann du.«

Bjoron grinste. Wie oft hatte er diesen Streit schon gehört? Insgeheim musste es seinen Brüdern Spaß machen, sich gegenseitig anzukeifen, ansonsten hätten sie schon längst angefangen, sich aus dem Weg zu gehen.

Wieder ließ er den Blick über den Heereszug schweifen, während Kerlft und Tjark über seinen Kopf hinweg weiter stritten. Dann wandte er seine Aufmerksamkeit ihrem Ziel zu. Vor ihm erstreckten sich die Tieflande bis zu der blauen, dunstverschleierten Linie gewaltiger Berge am Horizont. Eine Hügellandschaft aus Wäldern, Wiesen und Feldern, viel grüner, als die Hochlande es selbst im Frühling waren. Grün bis auf den Rauch, der über den Wipfeln aufstieg.

Bjoron fluchte leise. Die schwarze Säule zerschnitt die Linie der Berge in der Ferne, als hätte jemand mit einer Axt eine Kerbe hineingeschlagen. Sie war gewaltig im Vergleich zu den Bäumen ringsum, ihr oberes Ende vom Wind zerfranst. Was lag dort? Stand der Wald in Flammen oder die Stadt, zu deren Rettung sie gekommen waren? Der Wald, es musste der Wald sein.

Und seine Brüder stritten noch immer.

Bjoron stieß Tjark den Ellenbogen in die Rippen und schlug Kerlft gegen die Schulter. »Seht mal dort.« Seine Stimme klang heiser.

Sofort verstummten seine beiden Brüder und spähten in die Richtung, in die er deutete.

»Viel zu groß für ein Lagerfeuer«, knurrte Tjark. »Sieht aus, als hätten die den ganzen Spaß ohne uns.«

Kerlft schwieg. Er kniff die Augen zusammen und starrte konzentriert in Richtung des dunklen Rauchs. Bjoron beobachtete seinen schmächtigen Bruder aufmerksam. Es war seine Meinung, die zählte. »Könnte dort wirklich Letharn liegen?«

Die Antwort war ein Schulterzucken. »Gut möglich. Das Heer braucht vielleicht noch einen Tag bis dorthin, und von hier aus sieht man weit.«

Mit einem Mal schmeckte Bjoron Asche auf der Zunge. Aber noch war nichts sicher. Und vielleicht lag der Brandherd auch nur ganz in der Nähe Letharns? Alles war möglich, nicht wahr? »Was denkt ihr, brennt da? Die Stadt selbst oder etwas im Umland?«

»Die Stadt«, antwortete Kerlft düster.

»Die Belagerer«, sagte Tjark im selben Moment im selben Tonfall. »Wir haben den Ausfall verpasst. Wer von euch hat die Ahnen so sehr verärgert?«

»Yakschädel«, zischte Kerlft. »Die Belagerer haben nur ein paar Zelte, das ergäbe nicht so viel Rauch. Wir haben den Sieg des Feindes verpasst!«

»Hast du nicht gesagt, Letharn wäre uneinnehmbar?« Unverwandt starrte Bjoron die Rauchsäule an. Es konnte doch nicht sein, dass er schon wieder zu einem Kampf zu spät kam! Diesmal war es zwar nicht seine Schuld, aber das machte es nicht besser.

Kerlft strich sich mit gerunzelter Stirn durch einen Bart, der die Bezeichnung kaum verdiente. »Vielleicht habe ich mich geirrt. Jede Befestigung hat irgendwo eine Schwachstelle.«

Tjark schüttelte den Kopf, als könnte er das nicht glauben. Aber auch seine Miene war nun todernst. »Kommt, wir sagen Mutter Bescheid.«

Bjoron ließ sich zurückfallen, während seine Brüder den Hügel hinuntereilten. Seine Mutter würde ihn ohnehin nicht sehen wollen. Erneut starrte er zu der Rauchsäule hinüber. Dies war seine einzige Chance auf eine echte Schlacht gewesen, und nun war sie womöglich dahin. Wie lange würde ihm die Sache mit Neljar noch nachhängen, wenn er sich nicht beweisen konnte?

Berinda

Königin Berinda hatte nicht damit gerechnet, den Tag zu überleben. Doch nun war er fast vorüber und sie zu ihrer Überraschung noch immer wohlauf. Zumindest wenn man von der Kälte absah, die aus den Steinen ringsum in ihre Glieder kroch. Fröstelnd schlang sie die Arme um ihren Oberkörper auf der Suche nach ein wenig Wärme. Sie hatte nicht gewusst, dass es Teile ihres Palasts gab, die so ungemütlich waren. Es war, als hätte der Winter die Kerker als Schauplatz für sein letztes Aufbäumen gegen den Frühling gewählt. Während über der Erde längst gesät wurde, rechnete sie in diesem Loch bei jedem Ausatmen damit, ein Dampfwölkchen vor ihrem Gesicht zu sehen.

Sie ging auf und ab, um sich warmzuhalten, mehrere Decken um die Schultern geschlungen, die sie auf dem Strohlager in ihrer Zelle gefunden hatte. Eigentlich sollte sie ihre Kräfte schonen, vielleicht ein wenig schlafen. Aber immer wenn sie die Augen schloss, sah sie die Stadt brennen. Ihre Stadt. Letharn.

Und dann waren da die Fragen. Wieso war sie noch am Leben? Wieso hatte der Mann, dessen Heer ihr Land überrannt hatte, sie gefangen genommen, anstatt sie zu töten, wie er es mit ihren Fürsten getan hatte? Was wollte er von ihr? Bisher hatte sie Arandes, den selbsternannten Weltherrscher, nicht einmal gesehen. Seltsamerweise kränkte sie das. Wenn er schon eine Königin gefangen nahm, sollte er sich dann nicht die Mühe machen, seinen Triumph persönlich auszukosten?

Schritte vor der Zellentür ließen sie innehalten. Unwillkürlich wich sie an die hintere Wand zurück. Mit einem Mal war sie sich nicht mehr so sicher, ob sie Arandes überhaupt sehen wollte. Was auch immer er mit ihr vorhatte, es konnte nichts Gutes sein.

Was hatte sie sich nur dabei gedacht, die Eroberer in ihrem Thronsaal zu erwarten, anstatt zu fliehen? Nun kam ihr das wie eine sinnlose Trotzgeste vor, obwohl sie wusste, weswegen sie es getan hatte. Sie konnte nur hoffen, dass ihr Plan aufging. Dass ihre Schwester, die kleine Nauri, in Sicherheit war und niemand nach ihr suchte.

Schatten bewegten sich vor dem vergitterten Fenster in der Tür, verdeckten für einen Moment die Fackeln auf dem Flur, ihre einzige Lichtquelle. Dann knirschte ein Schlüssel im Schloss, und die Tür schwang auf. Zwei Soldaten schleppten eine in weiße Gewänder gehüllte Gestalt herein, die reglos zwischen ihnen hing. Erst als die beiden Männer sie fallen ließen, drang ein leises Stöhnen unter den Resten eines Schleiers hervor. Ohne ein Wort zogen sich die Soldaten zurück, die Gesichter ausdruckslos unter den ledernen Helmen. Sie schienen kaum Notiz davon zu nehmen, wie Berinda zu der Gestalt hinübereilte. Sie kniete sich nieder, berührte eine in Weiß gehüllte Schulter. »Ehrwürdige?«

Sie war es, die Vorsteherin des Ordensklosters von Letharn, nach Nauri die ranghöchste Person im Orden des ewigen Kreises. Rostrote Flecken zierten ihr Gewand.

»Sie wollte nicht reden.«

Als Berinda den Blick hob, sah sie direkt in dunkle Augen. Sie saßen in einem hageren Gesicht, das von schwarzem Haar umrahmt wurde. Den Kopf krönte ein dünner, goldener Reif und verriet den Status seines Trägers. Im Gegensatz zu seinem Titel war Arandes’ Krone offensichtlich eher bescheiden.

Der Weltherrscher stand in der Tür, die Hand locker am Knauf seines Schwertes. Er trug dieselbe Rüstung aus überlappenden Lederplatten wie seine Männer, doch bei ihm zeichneten sich keine dunklen Flecken darauf ab, keine Scharten abgelenkter Hiebe.

Als er einen Schritt in den Raum hinein tat, folgten ihm wie seine Schatten zwei in Roben gehüllte Gestalten. Berinda sah es unter den Kapuzen glitzern. Dort, wo ihre Gesichter hätten sein sollen, blickten ihr nur zwei runde Masken entgegen, in denen sich Teile des Kerkers spiegelten. Wenn man versuchte, in den Mienen dieser beiden zu lesen, würde man nur ein verzerrtes Abbild von sich selbst sehen.

Einige Schritte vor Berinda blieb der Weltherrscher stehen und musterte sie eine Weile schweigend. Sie hielt sich gerade, reckte das Kinn stolz vor.

»Ihr seid also Königin Berinda. Nach der gut organisierten Verteidigung, gegen die meine Truppen angerannt sind, hätte ich Euch für älter gehalten.«

»Nach der blutigen Zerstörung, die Ihr in meinem Land angerichtet habt, hätte ich erwartet, dass ihr mehr Ähnlichkeit mit einem Wesen aus der Unterwelt besitzt.« Ihre Stimme zitterte ein wenig, aber zumindest kamen ihr die Worte flüssig über die Lippen.

Arandes lachte, und das Geräusch hallte verzerrt von den Kerkerwänden wider. »Dann ist Euch also zu Ohren gekommen, was in den Städten geschehen ist, die auf meinem Weg lagen. Ich nehme an, die Köpfe Eurer Herzöge und Barone zieren die Stadttore noch immer. Wolltet Ihr deren Schicksal unbedingt teilen, oder wieso habt Ihr nicht versucht zu fliehen?«

Berinda schluckte. Nur nicht daran denken. Nur nicht an all die Männer und Frauen denken, die mit ihr zusammen Kriegsrat gehalten hatten, als die Nachricht sie erreicht hatte, dass ein Heer das selbstmörderische Unterfangen auf sich genommen hatte, das westliche Gebirge zu überqueren. Sie hatte jeden einzelnen davon mit Namen gekannt. Und Arandes hatte Kriegstrophäen aus ihnen gemacht.

»Ich bin geblieben, weil ich Euch etwas fragen wollte.« Nichts als leere Worte, von denen sie hoffte, dass sie sie unerschrocken wirken ließen. »Wie seid Ihr in die Stadt gelangt? Auf Eure seltsamen Vogelwesen waren wir vorbereitet, doch es kamen keine. Und ich glaube nicht, dass es Euren Männern gelungen ist, die Steilhänge rings um Letharn zu erklettern. Ich weiß außerdem, dass ihr die Tore nicht mit Gewalt durchbrochen habt.«

Der Weltherrscher lächelte. »Verrat.«

Ein langsames Nicken, mehr brachte Berinda nicht zustande. »Das habe ich mir gedacht.« Dennoch schmerzte die Erkenntnis. Ein Verräter in den eigenen Reihen. Wer es wohl gewesen war?

Arandes legte den Kopf ein wenig schief, betrachtete sie neugierig. »Wenn Ihr es Euch gedacht habt, war die Antwort den Preis kaum wert, nicht wahr?«

Gespielt gleichgültig hob Berinda die Schultern. »Es gibt doch ohnehin keinen Ort mehr, an den ich hätte fliehen können. Ihr habt mein Land erobert, und ich bin nicht verrückt genug, die Berge ringsum zu überqueren.«

Wieder lachte der Weltherrscher. »Das kann ich tatsächlich nicht empfehlen. Ich habe ein Drittel meiner Männer bei dem Versuch verloren.«

Ein Drittel? Wie groß musste seine Armee beim Aufbruch gewesen sein? Und was gab es in ihrem Land, das Arandes so dringend wollte, dass er so viel dafür riskierte?

»Wohin habt Ihr das Mädchen bringen lassen?«

Für einen Moment schien es Berinda, als würde diese Frage ihre eigene beantworten. Aber das ergab keinen Sinn. Auf der anderen Seite der Berge kannte man die Legende von Nauranda wahrscheinlich nicht einmal. Es hatte immer nur wenig Kontakt gegeben.

»Welches Mädchen?« Ihr Blick huschte von der weiß gekleideten Ordensfrau am Boden zu den Männern mit den Spiegelmasken. Sie glaubte, die Blicke dieser stummen, gesichtslosen Gestalten zu spüren.

Die Miene des selbsternannten Weltherrschers verdüsterte sich. »Ihr wisst, welches Mädchen ich meine. Das, welches als Wiedergeburt der Magierin Nauranda gilt. Das Mädchen, über dessen Verbleib mir Eure Zellengenossin keine Auskunft geben wollte.«

Berinda schluckte, zwang sich, diesmal nicht zu der Ordensfrau hinüberzusehen. »Nauri ist fort.«

Ungeduldig trommelte Arandes mit den Fingern auf dem Griff seines Schwertes. »Das ist mir aufgefallen. Aber wohin wurde sie gebracht?«

Es fiel ihr erstaunlich leicht, sich ein Lächeln abzuringen. Immerhin war es ein kleiner Triumph, dass er ihre Schwester nicht finden konnte. »Fort eben. Das mag eine fremdartige Vorstellung für Euch sein, Weltherrscher …« Sie legte so viel Spott in seinen Titel, wie sie nur konnte. »… aber meine Untergebenen sind in der Lage, eigenständige Entscheidungen zu treffen. Ich weiß nicht, in welche Richtung sie sich mit ihr gewandt haben.«

Sie konnte nur hoffen, dass die Lüge überzeugend klang, dass sie sich nicht verplapperte. Sie verbannte alle Erinnerungen an die Befehle, die sie gegeben hatte, in den hintersten Winkel ihres Gedächtnisses.

Arandes machte einen Schritt auf sie zu, musterte sie so eindringlich, dass sie das Gefühl hatte, er versuche ihr direkt in die Seele zu sehen. »Ich glaube, Ihr habt zumindest eine ungefähre Vorstellung.«

»Nicht die geringste.«

Der Blick des Weltherrschers ging wie zufällig zu der liegenden Ordensfrau, und Berinda folgte ihm automatisch. Allzu deutlich hoben sich die Blutflecken vom Weiß des Gewandes ab. Sie schluckte, wandte sich eilig wieder Arandes zu. »Egal, was Ihr mir antut, was ich nicht weiß, kann ich nicht verraten.«

Er schüttele den Kopf. »Ich gedenke nicht, Euch etwas anzutun. Aber Ihr solltet Euch im Klaren darüber sein, dass ich nicht eher ruhen werde, bis ich Nauranda gefunden habe. Und wenn ich dafür jedes mögliche Versteck dem Erdboden gleich machen muss, dann werde ich das mit Vergnügen tun. Dörfer, Städte …« Er machte eine Handbewegung, als wische er eine lästige Fliege beiseite. »Denkt darüber nach.«

Mit diesen Worten wandte er sich um, und die Tür fiel hinter seinen Schatten mit den Spiegelmasken ins Schloss. Einen Moment lang starrte Berinda einfach nur das mit Eisen beschlagene Holz an. Warum ging ihr Plan nicht auf, was wollte dieser Mann von ihrer kleinen Schwester?

»Es beginnt erneut.« Die Stimme war schwach, und Berinda konnte die Worte kaum verstehen. Sie drehte sich zu der Ordensfrau um, die sich langsam regte. Mit wenigen Schritten war sie bei ihr, half ihr, sich aufzusetzen. Dabei rutschte ein Ärmel zurück, ein weißer Ärmel mit einem roten Fleck darauf. Die Haut darunter war unversehrt. War es gar nicht ihr Blut? Doch was hatte Arandes ihr dann angetan? »Was habt Ihr gesagt, Ehrwürdige?«

Die Frau schüttelte den Kopf, als wäre es nicht weiter wichtig gewesen. »Mich würde der wahre Grund interessieren, weshalb Ihr nicht geflohen seid.«

Berinda seufzte. »Ihr sagtet, Nauri sei unsere einzige Hoffnung. Deshalb dachte ich, ich wäre vielleicht in der Lage, Arandes’ Aufmerksamkeit von ihr abzulenken. Aber er zeigt mehr Interesse an ihr, als ich erwartet hatte.«

»Ja«, murmelte die Ordensfrau. »Ich fürchte, das tut er. Umso dankbarer bin ich Euch dafür, dass Ihr meine Bitte erhört und jemanden zu ihrem Schutz geschickt habt. Auch wenn ich ehrlich sagen muss, dass ich Eure Wahl nicht gutheißen kann.« Selbst im Kerker gelang es der Ehrwürdigen noch, die kühle Distanz in ihre Stimme zu legen, mit der sie immer über Leute sprach, die ihr nicht gefielen.

Berinda lächelte. »Er ist mein bester Leibwächter und er besitzt zudem einige verborgene Talente. Meine Mutter hat ihn von Kindesbeinen an ausgebildet. Wenn jemand Nauri in Sicherheit bringen kann, dann Darien.«

Die Ordensfrau schüttelte den Kopf. »Ich weiß, wer er ist. Eben das macht mir Sorgen. Der Sohn eines Rebellen bleibt ein Rebell.«

»Ich vertraue ihm.«

»Dann wollen wir hoffen, dass Ihr damit Recht behaltet.«

Bjoron

Im Rot des Sonnenuntergangs wirkte die Rauchsäule wie eine Wunde im Horizont. Das letzte Licht des Tages schien darin zu versickern, während Bjoron und Tjark zum Lager zurückkehrten, das die Stämme inzwischen für die Nacht errichtet hatten. Bjoron trat nach einem Stein in seinem Weg. Vielleicht hatte Kerlft doch recht. Ohne das Vieh und die Kinder hätten sie Letharn noch vor dem Ende des Tages erreicht. Dann stände er jetzt bereits dem Feind gegenüber. Aber was hätte es noch genützt? Die ersten Flüchtlinge waren ihnen bereits am Nachmittag entgegengekommen, hatten vom Fall der Stadt berichtet. Das war der Moment gewesen, an dem Jernsa beschlossen hatte, dass sie nicht die Nacht durchmarschieren würden, nur um dann erschöpft einem ausgeruhten Feind gegenüberzutreten. Nicht, wenn es ohnehin zu spät war.

Immerhin hatte Bjoron seitdem nicht tatenlos herumsitzen müssen. Er und Tjark hatten die nähere Umgebung erkundet. Dennoch, hätte ihre Mutter sie nicht nach Letharn schicken können, um dort die Lage auszukundschaften? Diese Aufgabe war anderen zugefallen.

»Wenn die Späher Bericht erstatten …«

»… sage ich dir Bescheid«, unterbrach ihn Tjark. »Aber Mutter wird dich eh dabeihaben wollen, wenn wir beraten, was wir als Nächstes tun.«

Bjoron warf seinem Bruder einen skeptischen Blick zu. »Sie hat seit der Sache mit Neljar kein Wort mehr mit mir gewechselt.« Und die Gelegenheit, sich zu beweisen, war womöglich vertan.

Tjark zuckte mit den Schultern. »Deine Niederlage hat sie fünf Yaks gekostet. Natürlich ist sie wütend. Aber das hier ist wichtiger. Sie wird wollen, dass alle ihre Kinder ihre Pläne kennen. Wenn sie fällt, müssen wir den Stamm führen.«

»Sie fällt nicht, sie verliert nie.« Doch vor seinem inneren Auge sah Bjoron die grauen Strähnen im Haar seiner Mutter. Ihm war nicht entgangen, wie Jernsas Bewegungen von Jahr zu Jahr steifer wurden. Irgendwann war die Zeit gekommen, wenn selbst der stärkste Berglöwe seinen ersten Kampf verlor.

Tjarks Lachen durchbrach Bjorons Gedanken. »Ich kann es mir auch nicht vorstellen. Mutter wird irgendwann im hohen Alter einfach in die Steppe hinauswandern und nicht wiederkommen. Wie die alten Helden. Vielleicht stirbt sie beim Ringkampf mit einem Höhlenbären.«

Bei dieser Vorstellung musste auch Bjoron grinsen. »Ich dachte, das wäre dein Plan fürs Alter.«

»Oh nein. Kerlft wird dem Bären zuvorkommen, indem er mich zu Tode quatscht. Mutter will, dass er mein Berater wird.«

»Vielleicht ist es nicht verkehrt, ab und zu auf ihn zu hören.«

Tjark verdrehte die Augen. »Nun will mir sogar schon der Langschläfer unter meinen Brüdern Ratschläge erteilen.«

Nicht schon wieder die Sache mit Neljar. Bjoron stieß seinem Bruder den Ellenbogen in die Rippen, und bereute das gleich darauf, als Tjark sich mit deutlich mehr Kraft revanchierte. Ächzend machte er einige Schritte rückwärts, um weiteren Knüffen zu entgehen.

Gerade wollte er wieder zu seinem Bruder aufschließen, als dieser abrupt stehen blieb. Alle Heiterkeit verschwand aus seiner Miene, seine Haltung wurde angespannt, sprungbereit. Tjark hob die Hand wie ein Jäger, der Beute erspäht hatte. Sofort hielt auch Bjoron inne und sah sich aufmerksam um.

Mittlerweile hatte sich der Himmel von Rot zu einem dunklen Blau verfärbt. Tiefe Schatten lauerten zwischen den Bäumen. Bjoron kniff die Augen zusammen, versuchte die Dunkelheit mit Blicken zu durchdringen. Was hatte Tjark gesehen? Oder war es ein Geräusch gewesen?

Dann entdeckte er es. Rechts von ihnen schimmerte ein schwaches Licht im Dunkel, ein Splitter des roten Scheins unter der Rauchsäule am Horizont. Das flackernde Licht eines Lagerfeuers.

Die beiden Brüder tauschten einen Blick. Das konnte niemand von den Hochlandstämmen sein, das Lager war noch immer ein Stück entfernt. Aber feindliche Späher wären doch sicher nicht so dumm, ein Feuer zu entzünden?

Tjark machte eine schnelle Bewegung mit der Hand. Wieder ein Jägerzeichen. Bjoron nickte, dann trennten sie sich, drangen an unterschiedlichen Stellen in den Wald vor.

Schon nach wenigen Schritten fluchte Bjoron stumm vor sich hin. In den Hochlanden wuchsen vor allem Heidekraut und kleine, zerzauste Bäume, die sich zum Schutz vor dem Wind tief über den felsigen Boden duckten. Dort gab es keine ausladenden Äste, die das Licht von Mond und Sternen blockierten, und es gab nicht so viel Gestrüpp, in dem man sich verfangen konnte. Kein Wunder, dass die Tiefländer schlechte Jäger waren, wenn sie sich mit solchen Bedingungen herumschlagen mussten.

Zweige zerkratzten Bjoron die Arme, und die Blätter daran raschelten in seinen Ohren verräterisch laut. Er setzte seine Schritte doppelt so vorsichtig, wie er es in seiner Heimat getan hätte. Mit den nackten Zehen tastete er sich Stück für Stück über den Untergrund, um nicht versehentlich auf einen Ast zu treten. Den nächsten Zweig packte er, bog ihn beiseite, dirigierte ihn hinter sich langsam wieder in seine Ausgangsposition zurück. So funktionierte es. Aber es war die reinste Geduldsprobe. Kam er überhaupt vorwärts?

Quälend langsam kam der Flammenschein näher. Doch schließlich erkannte er eine Senke, in der das Feuer brannte. Eine Gestalt zeichnete sich vor den flackernden Flammen ab. Sie stocherte mit einem Stock in der Glut, nicht mehr als ein Schattenriss vor dem Licht. Aber sie war ziemlich klein. Ein Kind etwa?

Während sich Bjoron vorsichtig näher heranschob, stoben Funken auf, beleuchteten das Gesicht der Gestalt. Tatsächlich ein Kind. Sechs Jahre höchstens. Schwarzes Haar umrahmte die ernste Miene, fiel verdreckt und voller Knoten bis zur Hüfte. Das Kind steckte in einem Gewand, das wahrscheinlich einmal weiß gewesen war, doch nun vor Dreck starrte. Es hatte die Schultern hochgezogen, als könnte es sich so vor allem schützen, was aus dem Wald kommen mochte. Aber es war doch sicherlich nicht allein unterwegs? Suchend ließ Bjoron den Blick schweifen. Wo waren seine Eltern und Geschwister?

Auf der anderen Seite der Senke zog eine Bewegung Bjorons Aufmerksamkeit auf sich. Tjark. Dass sein Bruder sich nicht zeigte, konnte nur bedeuten, dass ihm ähnliche Fragen im Kopf herumgingen. Doch sie konnten schlecht auf der Lauer liegen, bis …

Rascheln hinter ihm. Ein altes Blatt, das unter einem Tritt zerfiel.

Das Geräusch war so leise, dass Bjoron es beinahe nicht gehört hätte. Wie von selbst schloss sich seine Hand um den Griff seines Schwertes. Doch gleichzeitig fühlte er scharfen Stahl an der Kehle. Behandschuhte Finger umklammerten sein Handgelenk.

»Arandes oder Berinda?«, zischte eine Stimme an seinem Ohr.

Bjoron fluchte. Sein Herz pochte schneller. Das Gefühl, das sich jedes Mal vor einem Kampf seiner bemächtigte, dieses Kribbeln drohender Gefahr, rauschte durch seinen Körper. Es verengte seine Wahrnehmung, bis es nur noch den Körper hinter ihm und die Hitze der Wut in seinem Inneren gab. Er war in eine Falle gelaufen, hatte sich wieder einmal überlisten lassen. Er spannte die Muskeln, um den Griff des feigen Bastards hinter ihm zu sprengen. Der Kerl konnte nicht sonderlich stark sein, wenn er es nicht wagte, sich ihm in einem offenen Kampf zu stellen.

Ein scharfer Schmerz brachte ihn zur Besinnung. Blut lief warm seinen Hals hinunter, und Bjoron schluckte. So hatte er sich seinen Tod nicht vorgestellt.

»Beantworte einfach meine Frage! Wem dienst du? Arandes oder Berinda?«

»Die Hochlandstämme verneigen sich vor keinem fremden König.«

Eine Mischung aus Zischen und Seufzen strich an seinem Ohr entlang. Es klang frustriert. »Auf wessen Seite wolltet ihr kämpfen?«

»Berindas.«

»Dann kommt ihr zu spät.« Mit einem Mal war der Druck der Klinge fort und Bjorons Arm wieder frei. Er drehte sich um, zog in derselben Bewegung das Schwert.

Zwischen den Bäumen stand eine schmale Gestalt, gerade außerhalb seiner Reichweite. Sie hob die Hände in einer beruhigenden Geste. Von dem Messer, mit dem der Kerl ihn bedroht hatte, war nichts mehr zu sehen. »Ganz ruhig, wir sind auf derselben Seite. Ich musste nur sichergehen.«

Rechts von ihm hörte er Zweige brechen, doch Bjoron sah sich nicht nach der Quelle des Geräuschs um. Das konnte nur Tjark sein, der endlich bemerkt hatte, dass etwas nicht stimmte.

Bjoron hob das Schwert, tat einen Schritt auf seinen Angreifer zu. Der schmächtige Kerl wich zurück, bis er mit dem Rücken gegen einen Baumstamm stieß. Im schwachen Licht des Feuers wirkte er jung, jünger als Bjoron, aber vielleicht lag das auch nur an dem glattrasierten Gesicht und dem kurzen Haar.

»Sichergehen? Es besteht eine Freundschaft zwischen der Königin und den Stämmen. Hältst du uns etwa für Verräter?« Bjoron wischte sich mit der freien Hand über den Hals. Der Schnitt brannte, allerdings nicht so sehr wie seine Scham darüber, dass er sich hatte überrumpeln lassen. Doch am heißesten brodelte der Zorn gegen diesen Tiefländer, der es gewagt hatte, ihn erst aus dem Hinterhalt anzugreifen und dann auch noch des Verrats zu beschuldigen.

Der Feigling schüttelte mit düsterer Miene den Kopf. »Nein, aber Arandes hat die Tore Letharns nicht mit Gewalt durchbrochen. Ich bin lieber übervorsichtig als tot.«

»Und wer bist du?« Das war Tjarks Stimme. Sein Bruder trat neben Bjoron, die Hand lag locker auf dem Griff des Schwertes, ohne die Waffe jedoch zu ziehen.

Der Blick des Tiefländers huschte von einem zum anderen, als versuche er sie einzuschätzen. »Ich bin Darien. Mitglied der Leibgarde der Königin.« Kurz huschte sein Blick zu dem Kind am Feuer. Aber das konnte doch unmöglich die Königin sein. Die Tiefländer mochten einige seltsame Vorstellungen haben, doch Bjoron hatte noch nie gehört, dass sie sich von Kindern regieren ließen. Der Feigling log. Aber weshalb? Und wer war dieses Kind?

Tjark stieß ein bellendes Lachen aus. »Du bist niemals ein Leibwächter!«

»Ach ja?« Dariens Lippen verzogen sich zu einem humorlosen Grinsen. »Frag mal deinen Begleiter. Ich hätte ihn vorhin töten können, wenn ich gewollt hätte.«

Mit hochgezogener Augenbraue sah sein älterer Bruder zu Bjoron herüber. »Hätte er?«

Bjorons Hand schloss sich fester um den Griff seines Schwertes. Nicht zu fassen, dass sich dieser Feigling nun auch noch mit seiner Tat brüstete! »Er hat aus dem Hinterhalt angegriffen! Der ist eher ein Attentäter als ein Leibwächter. Wir sollten ihn einfach erschlagen und das Kind ins …«

»Ich kann beweisen, dass ich aus dem Palast komme«, unterbrach Darien ihn schnell. »Nauri, komm her.« Bei den letzten Worten sah er zu dem Kind hinüber. Ein kurzer Blick über die Schulter zeigte Bjoron, dass es die ganze Zeit über am Feuer gesessen und in die Flammen gestarrt hatte, als gäbe es nichts Spannenderes auf der Welt. Doch die noch immer weit hochgezogenen Schultern verrieten Angst, und es hatte aufgehört, im Feuer zu stochern. Nun stand es auf und kam mit zögernden Schritten auf sie zu. Aus großen Augen musterte es Bjoron und Tjark. Langsam schob es sich zwischen ihnen hindurch, wobei es darauf bedacht war, zu beiden so viel Abstand wie möglich zu halten.

Bei Darien angekommen, griff es haltsuchend nach einem Zipfel seines Hemdes. Der Tiefländer verzog das Gesicht. Zögernd streckte er die Hand aus, die in einem ledernen Handschuh steckte, und tätschelte den dunklen Schopf, wie man es bei einem Hund getan hätte. »Brav.«

Bjoron schnaubte. Wer auch immer diesem Darien sein Kind anvertraut hatte, er musste ziemlich verzweifelt gewesen sein.

Der Tiefländer ging in die Hocke und nahm dem Mädchen einen Beutel ab, den dieses um den Hals getragen hatte. Den hielt er Tjark hin. »Hier, in das Leder ist das Siegel des Ordens des ewigen Kreises eingeprägt. Das größte Kloster des Ordens steht innerhalb der Palastmauern in Letharn. Mir wurden die Schriftstücke anvertraut, die sich in diesem Beutel befinden.«

Warum trug dann das Kind diese Schriftstücke? Auch Tjark betrachtete das Kind eindringlich, während er den Beutel entgegennahm.

»Es heißt Nauri?«, fragte er. »Wie Nauranda, die Magierin, die dem Helden Djorn geholfen hat, die Devra auszurotten?«

Darien hob die Schultern. »Die Version der Geschichte, die ich kenne, besagt, dass es genau andersrum war und er ihr geholfen hat.«

Mit einem erneuten Schnauben schüttelte Bjoron den Kopf. Was für eine lächerliche Vorstellung. Der große Held Djorn, der einer Magierin in den Kampf folgte.

Aber Moment … der Tiefländer lenkte vom Thema ab.

»Hier ist was, das aussieht wie ein Siegel. Was meinst du?« Tjark warf seinem Bruder den Beutel zu, und der fing ihn mit einer Hand. Es raschelte darin wie das Papier von Kerlfts Büchern. Bjoron hielt das Leder so, dass das Licht des Feuers darauf fiel. Tatsächlich bildete dort eine Vertiefung einen Kreis. Einige Zeichen ruhten darin, die ihm nichts sagten. »Kerlft kennt es vielleicht.«

»Dann nehmen wir die beiden mit ins Lager.«

»Wir sollten ihm vorher seine Waffen abnehmen. Er hat irgendwo ein Messer.« Mit düsterem Blick musterte Bjoron den Tiefländer. Noch immer konnte er nirgendwo eine Waffe entdecken, aber der Schnitt an seinem Hals bewies, dass dieser Eindruck täuschte. Und er wollte diesen hinterhältigen, feigen Bastard ganz sicher nicht mit einer Klinge durch ihr Lager laufen lassen. Wer wusste schon, was der Kerl wirklich plante.

Darien seufzte. Er griff langsam hinter seinen Rücken und zog ebenso langsam ein Messer aus einer Scheide, die dort verborgen an seinem Gürtel hängen musste. Die Klinge war etwas länger als eine Hand. Mit dem Griff voran hielt er Tjark die Waffe hin, der sie entgegennahm und an Bjoron weiterreichte. »Hier, achte auf seine Sachen und darauf, dass er nichts anstellt. Wenn er sich als Lügner oder Spion erweist, tu ihm weh, aber lass ihn am Leben. Mutter wird ihm dann ein paar Fragen stellen wollen.«

Bjoron nickte seinem Bruder dankbar zu. Tjark würde ihn später sicher damit aufziehen, dass er sich hatte überrumpeln lassen, aber immerhin gab er ihm auch die Chance, sich für den hinterhältigen Angriff zu revanchieren.

Als er sich abwandte, begegnete sein Blick dem des Kindes. Es klammerte sich noch immer an Dariens Hemd, aber nun musterte es Bjoron offen. Was hatte es mit ihm auf sich? Warum machte der Tiefländer ein solches Geheimnis darum?

Redal

Redal kauerte in der Dunkelheit. Dumpfer Schmerz pochte in seinen Knien vom langen Hocken. Er hielt den Atem an und lauschte. Die Schreie draußen waren verstummt, ebenso wie das Klirren von Waffen und die schweren Schritte der Soldaten. Nur in der Ferne erklangen noch Rufe, irgendwo weinte ein Kind, hell und durchdringend. Und da war das dumpfe Brausen und Knacken im Hintergrund, das Geräusch von Flammen, die sich durch Holz fraßen.

Longret an seiner Seite regte sich. »Sind sie fort?«

Redal drückte ihre von jahrelanger Arbeit raue Hand, klammerte sich kurz an diese eine vertraute Sache in all dem Chaos. »Ich gehe nachsehen. Warte hier.«

Ächzend stemmte er sich in die Höhe, fluchte leise, als ein stechender Schmerz durch seinen Rücken schoss, als seine Knie knackten. Er rieb sich den Schmerz aus den Knochen, streckte die Beine.

»Redal?« Longret klang besorgt.

Er winkte ab, obwohl sie es in der Dunkelheit nicht sehen konnte. »Ich bin einfach zu alt, um stundenlang in einem kalten Keller zu sitzen.«

»Stoß dich nicht auf dem Weg zur Tür.«

»Keine Sorge, Gret, keine Sorge.« Die Worte kamen wie von selbst über seine Lippen, während er das Schwert fester packte. Die Lederumwicklung des Griffs war noch immer geschmeidig unter seinen Fingern, trotz der fünf Jahre, die es über dem Kamin gehangen hatte. Einmal Gardist, immer Gardist.

Allerdings … ein Gardist versteckte sich nicht im Keller, wenn der Feind angriff.

Redal presste die Lippen aufeinander, schüttelte den Kopf. Was hätte er tun sollen? Longret allein lassen? Die Königin hatte genug jüngere Männer, die für sie kämpften.

Vorsichtig suchte Redal sich einen Weg durch die Dunkelheit, wobei die Steifheit langsam aus seinen Gliedern wich. Seine tastenden Finger stießen gegen etwas Raues. Holz. Da war er also, bei den Feuerholzvorräten für kalte Tage. Langsam schlurfte er weiter, vorbei an den letzten Äpfeln, die vom Wintervorrat übrig geblieben waren, bis sein Fuß eine Stufe berührte.

Eine, zwei, drei, dann stieß sich Redal den Kopf an der schrägen Kellerluke. »Bei allen Geistern der Berge!«

»Leise doch«, flüsterte Longret. »Was, wenn dich jemand hört?«

Redal rieb sich die Stirn. »Sie sind sicher alle fort. Wir haben gesiegt, und bald wird die Armee der Königin diese Fremdländer wieder über die Berge treiben.«

So musste es sein. Natürlich hatten sie die Berichte gehört. Andarn gefallen. Sinthan gefallen. Aber Letharn, das hielt diesen Bastarden ganz sicher stand, selbst wenn sie es zugegebenermaßen durch die Tore geschafft hatten. Spätestens an seinen ehemaligen Kameraden von der Palastgarde bissen sie sich ohne Zweifel die Zähne aus. Und vielleicht waren die Barbaren ja doch noch gekommen, hatten den Feind in die Zange genommen.

Dennoch hob Redal das Schwert, bevor er den Riegel zurückschob und die Kellerluke öffnete.

Ein Toter lag auf der Schwelle des Hauses gegenüber. Unter Schmutz und Blut leuchteten die Farben der Königin hervor. Den rechten Arm hatte der Mann ein Stück die Straße hinunter verloren, er lag noch dort, in einer Pfütze aus Blut. Irgendwie hatte sich der Mann danach noch in den Hauseingang geschleppt, nur um dort zu verbluten.

Und das Kind weinte noch immer, weinte, ohne dass sich jemand darum kümmerte.

Aber sie hatten doch gewonnen, oder nicht? Vorsichtig trat Redal aus der schrägen Luke am Fundament seines Hauses. Mehr Leichen rechts und links die Straße hinunter. Warum trugen sie alle die Farben der Königin? Nein, am Fuß einiger Stufen entdeckte der die dunkle Lederrüstung des Feindes. Aber daneben, war das nicht?

»Oh heilige Nauranda, das ist Ilindas Junge!«

Als Redal sich umdrehte, stand Longret neben ihm. Sie war blass, eine Hand hatte sie vor den Mund geschlagen, die andere griff nach seinem Arm. Das ergraute Haar hing ihr in wirren Strähnen in die Stirn, ein Zustand, den sie unter normalen Umständen nie geduldet hätte.

»Geh wieder rein, Gret, bitte geh rein.«

Sie presste die Lippen aufeinander und schüttelte den Kopf. »Ich muss nach Ilinda sehen.«

Er seufzte, aber jedes weitere Wort war sinnlos, das hatten ihn die letzten dreißig Jahre gelehrt. »Bleib hinter mir.«

Zusammen schoben sie sich durch die enge Straße. Ilinda und Heron lebten nur ein paar Häuser weiter, genau dort, wo ihr Sohn gefallen war, wohl in dem Versuch, den Feind von der Schwelle seines Heims zu vertreiben.

Es hatte nichts genützt, hatte womöglich alles nur schlimmer gemacht. Die Tür hing gesplittert in den Angeln. Dahinter in der Diele Heron, ein klaffendes Loch im Bauch, die Augen blicklos zur Decke gerichtet. Das Schwert hielten seine kalten Finger noch umklammert.

Redal schluckte. Und er hatte im Keller gesessen, hatte so getan, als würde er die Schreie nicht hören. »Es tut mir leid, alter Kamerad, es tut mir so leid.« Aber das machte es nicht besser, ganz und gar nicht.

»Ilinda!« Ehe er reagieren konnte, rannte Longret an ihm vorbei. Sie raffte ihre Röcke, als sie über Herons Leiche hinwegstieg. »Ilinda!«

Redal fluchte und eilte ihr hinterher, so schnell die noch immer etwas steifen Beine ihn trugen.

Sie fanden sie in der Essstube. Ilinda war über dem Tisch zusammengebrochen, ein großer Blutfleck prangte auf dem Rücken ihres Kleides. Ringsum lagen zerbrochene Becher und Teller auf dem Boden. Eine Tür der Anrichte war herausgerissen, die goldenen Medaillen, die Heron für seinen langen Dienst und für seine Tapferkeit erhalten hatte, fort. Von allen Geistern verfluchte, fremdländische Bastarde!

Longret rüttelte an der Schulter ihrer Freundin, rief immer wieder deren Namen. Tränen liefen ihr über die Wangen, und ein Klumpen bildete sich in Redals Kehle.

Sanft zog er seine Frau in seine Arme, redete ihr zu, bis sie sich aus dem Haus führen ließ.

Der Geruch nach Rauch hing inzwischen wie eine erstickende Decke über der Straße. Nicht schwer zu erraten, wo es brannte. Unten im Armenviertel, wo die Häuser aus Holz und Stroh bestanden und leicht Feuer fingen. Vielleicht sollten sie gehen und löschen helfen. Alles war besser, als hierzubleiben, zwischen toten Nachbarn und toten Soldaten.

»Redal!«

Er sah auf. Gilad eilte die Straße herunter auf sie zu. »Der heiligen Nauranda sei Dank, ihr lebt!«

Dicht hinter dem hageren Schankwirt folgte Sanden, der seinen rechten Arm vor zwanzig Jahren in der Schlacht um Andarn eingebüßt hatte. »Dann fehlt aus der alten Truppe nur noch Heron. Wo ist der faule …?«

Sanden verstummte, als sein Blick auf die zerborstene Tür fiel, dann weiterwanderte über die Leichen auf den Pflastersteinen, bis er an der einzigen Gestalt hängen blieb, die weder Rüstung noch Uniform trug. »Oh ihr Geister, ist das Herons Junge?«

Redal nickte stumm, drückte Longret an sich, die schon wieder von Schluchzern geschüttelt wurde. »Heron und Ilinda sind auch tot.« Seine Stimme klang selbst in seinen eigenen Ohren heiser und rau.

Sanden zog sich den Schlapphut vom Kopf, Gilad seine Kappe, unter der nur noch spärlich Haar spross. Einen Augenblick lang standen die beiden mit gesenktem Kopf da. Dann räusperte sich Gilad. »Ihr müsst mitkommen. Alle anderen sind schon bei mir. Wir verstecken unsere Waffen in dem leeren Fass in meinem Keller. Wir …«

Die Worte drangen nur langsam zu Redal durch. Er hob eine Hand. »Warte. Warte … Ihr versteckt die Waffen?«

Sanden nickte. »Damit der Feind sie nicht findet. Glaub mir … ist das Erste, was man macht, wenn man eine Stadt erobert … also nach dem Morden und Plündern und so. Alle Waffen einsammeln …«

»Erobert?« Ein Reif aus Eisen schien sich um Redals Brust zu legen, sich immer weiter zuzuziehen. »Aber … Haben wir … Haben wir nicht …?«

»Gardist!« Gilads Kasernenton ließ Redal zusammenzucken. Automatisch nahm er Haltung an, verzog nur leicht das Gesicht, als sein Rücken mit einem dumpfen Schmerz protestierte. »Wir haben keine Zeit zu verlieren! Marsch, marsch zum Fröhlichen Igel!«

Wie von selbst setzten sich Redals Beine in Bewegung. Während sie zu viert die Straße hinaufgingen, hielt er Longrets Hand umklammert. Ob er damit sie oder sich selbst beruhigen wollte, wusste er längst nicht mehr.

Schließlich traten sie auf die nächste, breitere Straße. Wie von einer unsichtbaren Kraft gezogen, wandte sich Redals Kopf nach rechts. Er blickte den Hang hinauf, dorthin, wo am Rand der Stadt, am Rand des Kraters, in dem Letharn erbaut worden war, der Palast thronte.

Der Anblick ließ ihn schlucken. Flammen leckten dort in den Himmel, wo normalerweise die Banner der Königin wehten. Irgendwer hatte jedes einzelne davon in Brand gesetzt, ganz ohne Zweifel, um ein Zeichen zu setzen: Diese Stadt gehört nicht mehr ihr.

Sie hatten nicht gesiegt. Letharn war gefallen.

»Was habt ihr vor?«, krächzte Redal.

Sanden zuckte mit den Schultern. »Warten und hoffen.«

»Worauf?«

Gilad blickte über die Schulter zu ihm zurück. »Darauf, dass der Orden Nauranda in Sicherheit bringt. Dass sie schnell erwachsen wird. Sie wird Gerien nicht im Stich lassen. Und wenn sie kommt, um das Land zu befreien, müssen wir bereit sein, an ihrer Seite zu stehen.«

Redal nickte. Das Band um seine Brust lockerte sich ein wenig. Er mochte sich im Keller versteckt haben, aber wenn Nauranda zu den Waffen rief, dann würde er antworten, egal wie sehr Knie und Rücken schmerzten. Vielleicht konnte er so zumindest ein bisschen was wiedergutmachen.

Sie eilten weiter die Straße hinauf. Plötzlich hielt Gilad inne, hob eine Hand. Als Redal lauschte, hörte er es auch. Schritte. Die schweren Schritte der fremden Soldaten.

Kurz darauf gesellte sich eine Stimme zu ihnen. Sie klang seltsam, als schwänge das Klirren von Glas darin mit. »Diese Stadt ist nun Teil des Weltreiches des großen Herrschers Arandes. Alle Bewohner sind angehalten, in ihren Häusern zu bleiben. Diese Stadt ist nun …«

»Schnell!« Gilad winkte sie weiter.

Sie rannten, schnaufend und keuchend, aber sie waren alle Soldaten genug, um sich von alten Knochen nicht aufhalten zu lassen. Redal zog mit einer Hand Longret hinter sich her, während er mit der anderen das Schwert umklammert hielt. Jeden Moment mussten die Männer in den dunklen Rüstungen um die Ecke kommen. Doch dort vorne schwankte bereits das Schild mit dem Igel darauf, der selig lächelnd einen großen Bierkrug umarmte. Gilad erreichte die Tür, riss sie auf, scheuchte sie hindurch.

Dann waren sie in der Schankstube, in Sicherheit. Soweit man in einer besetzten Stadt eben in Sicherheit sein konnte.

Schwer atmend beugte Redal sich vor, stützte die Hände auf die Knie. Er ließ den Blick schweifen, entdeckte an den Tischen all seine alten Kameraden, ihre Frauen und Kinder. Graues oder angegrautes Haar, teilweise knotige Gelenke und ängstliche Gesichter.

Wenn Nauranda kam, um Gerien zu befreien, waren sie hoffentlich nicht die Einzigen, die ihrem Ruf folgten.

Berinda

Berinda hatte der Ordensfrau das Strohlager und die Decken überlassen. Den Protest, den Verweis darauf, wer von ihnen beiden Königin war, hatte sie beiseite gewischt. Sie herrschte nicht mehr und sie war nicht diejenige von ihnen, die sich kaum auf den Beinen halten konnte.

Schließlich hatte die Ehrwürdige nachgegeben und genickt. »Dann nennt mich bitte auch nicht mehr bei meinem Titel. Mein Name ist Marlena.« Mit diesen Worten hatte sie sich den zerrissenen Schleier vom Gesicht gezogen. Darunter kam im spärlichen Licht eine strenge Miene zum Vorschein, in der sich erste Falten zeigten.

Nun saß sie in die Decken gewickelt auf dem Lager und zitterte so heftig, dass das Klappern ihrer Zähne von den Wänden widerhallte. Immer wieder stöhnte sie, hielt sich den Kopf, als hätte sie große Schmerzen. Berinda beobachtete sie, kaute dabei nachdenklich auf ihrer Unterlippe. Auch sie zitterte, aber nicht so heftig. Und das, obwohl sie das Gefühl hatte, als wäre die Kälte des Kerkers längst bis in ihr tiefstes Innerstes gekrochen. Wenn sie doch nur wüsste, was mit Marlena nicht stimmte. Noch immer konnte sie keinerlei Verletzungen erkennen, doch diese Tatsache beruhigte sie längst nicht mehr.

Schließlich ging Berinda vor der Ordensfrau in die Hocke und packte sie bei den Schultern. »Was hat er Euch nur angetan, Marlena? Das Blut an Eurer Kleidung stammt nicht von Euch, oder? Aber wie hat er dann versucht, Euch zum Sprechen zu bringen? Sagt es mir, damit ich mich dagegen wappnen kann, falls er es auch bei mir versucht.«

Marlena holte tief und zitternd Luft. »Wollt ihr es wirklich wissen?«

»Was auch immer es ist, es kann nicht schlimmer sein als die Ungewissheit.«

Diese Aussage entlockte der Ordensfrau ein schwaches Nicken. »Ihr habt recht.« Sie zog die Decken noch ein wenig enger um sich. »Das Blut stammt nicht von mir, sondern von meinen Brüdern und Schwestern. Wir haben sie aufgehalten, solange wir konnten. Doch all unsere Magie war nutzlos. Wir haben die Tempelbäume für uns kämpfen lassen, aber alles, was diese Gestalten mit den spiegelnden Masken berühren, verdorrt. Was wir ihnen entgegenwarfen, prallte an ihnen ab. Und hinter ihnen kamen die Soldaten …« Sie stockte, starrte einen Moment ins Nichts. Schließlich fuhr sie so leise fort, dass Berinda sich vorbeugen musste, um sie zu verstehen. »Doch das Schlimmste sind die Masken selbst. Man sieht sich darin, klein und verloren. Wertlos und …« Sie schüttelte den Kopf. »Seit ich mich in diesem Spiegel gesehen habe … Ich hätte beinahe jede von Arandes’ Fragen beantwortet, nur um diese Leere zu füllen. Sie ist immer noch da, und ohne die Lehren Naurandas wäre ich inzwischen sicherlich verloren.«

Wieder krümmte sie sich, umklammerte ihren Kopf, als wollte sie ihn daran hindern zu bersten. Berinda schüttelte sich. Nun verstand sie, wie Arandes jemanden hatte finden können, der ihm die Tore Letharns öffnete.

Eine Sache allerdings verstand sie noch immer nicht. »Aber wieso ist er so versessen darauf, Nauri zu finden? Er hat gedroht, ganze Dörfer und Städte zu vernichten, nur damit sie sich nicht mehr darin verstecken kann.« Berinda schlang die Arme um ihren Körper. Allein der Gedanke, Arandes könnte seine Drohung wahr machen, bereitete ihr Übelkeit. Aber wie konnte sie ihn aufhalten, ohne Nauri zu verraten?

»Er will sie aus demselben Grund finden, aus dem Ihr bereit seid, Euer Leben zu geben, um das von Nauranda der 156. zu schützen. Ihr tut dies doch nicht nur, weil sie Eure Schwester ist.«

Berinda biss sich erneut auf die Unterlippe, schüttelte dann den Kopf. »Nein. Ich tue es, weil ich die Legende von Nauranda kenne und an sie glaube. Ich bin davon überzeugt, dass es nicht mehr lange dauern wird, bis Nauri sich an ihre früheren Leben erinnert. Bis sie weiß, dass sie als Nauranda die Erste geschworen hat, ganz Gerien zu beschützen. Bis sie ihre alte Macht zurückerlangt. So habt Ihr es mir versprochen, und ich habe keinen Grund, daran zu zweifeln. Aber Arandes kommt von jenseits des westlichen Gebirges. Wir wissen kaum etwas über die Länder, die dort liegen. Er ist sicher nicht mit der Legende von Nauranda aufgewachsen. Wieso sollte er an sie glauben?«

Die Ordensfrau senkte den Blick. Sie zupfte an ihren Decken, tat so, als sei sie vollständig damit beschäftigt, sich fester darin einzuwickeln. Wie ein kleines Kind, das den Honig gestohlen hatte und sich nicht traute, es zuzugeben, obwohl es längst überführt war. Berinda verengte die Augen zu Schlitzen. »Was wisst Ihr, das Ihr mir nicht verratet?«

»Verzeiht, Majestät, aber …«

Marlena unterbrach sich, als Berinda sie wieder an den Schultern packte, diesmal fester. Die Ordensfrau hatte ihr tatsächlich etwas verschwiegen? Warum? Wie konnte sie nur? Das Schicksal des gesamten Landes hing von ihren Entscheidungen ab. Es war wichtig, dass sie alles wusste, was es zu wissen gab!

Berindas Blick bohrte sich in den der Ordensfrau. »Keine Ausflüchte! Ich habe Euch vertraut. Ich habe alles getan, worum Ihr mich gebeten habt, und habe mein Leben aufgrund dessen riskiert, was Ihr mir erzählt habt. Doch nun stelle ich fest, dass ich nicht alles wusste, dass ich vielleicht eine falsche Entscheidung getroffen habe. Ich will die Wahrheit. Jetzt!«

»Verzeiht …« Nun war die Stimme der Ordensfrau nur noch ein Flüstern. »Ich konnte nicht ahnen, dass Ihr Euch entscheidet, hierzubleiben. Hätte ich es gewusst, hätte ich Euch davon abgeraten. Andererseits war ich mir nicht ganz sicher, bis ich in die Maske geblickt habe.«

»Womit wart Ihr Euch nicht sicher?« Berindas Stimme klang heiser. War es nicht schon schlimm genug, dass ihr Land erobert, seine Hauptstadt niedergebrannt war? Was für schlechte Neuigkeiten würde sie nun noch erfahren?

»Ihr müsst verstehen, dass es ein Ordensgeheimnis ist, um das es hier geht.« Marlena machte sich aus Berindas Griff los und nahm die Schultern zurück. »Die große Nauranda persönlich hat vor Jahrhunderten verfügt, dass niemand außerhalb des Ordens diese Geschichte erfahren soll. Sie ändert auch nichts an dem, was ich Euch versprochen habe. Nauranda die 156. wird sich an ihre früheren Leben erinnern und sie wird ihre alte Macht wiedererlangen. Die einzige Fehlannahme, zu der mein Schweigen Euch verleitet hat, ist die: Arandes kann durchaus mit der Legende von Nauranda aufgewachsen sein. Wenn auch vielleicht mit einer etwas anderen Version davon.«