Der Stöckelschuh im Ai Petri Massiv - Ulrike Maria Hund - E-Book

Der Stöckelschuh im Ai Petri Massiv E-Book

Ulrike Maria Hund

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Beschreibung

"Ukrainische und russische Frauen sind nicht zimperlich. Sie sind es gewohnt, in Stöckelschuhen kilometerweit zur Metro zu gehen, sie tragen Seidenstrümpfe bei minus 40 Grad, und sie wechseln auch beim Aufstieg auf einen Gipfel nicht extra ihre Schuhe." Die beliebtesten Reisegeschichten der letzten 10 Jahre - voll Komik, Poesie und einem subversiven Blick auf den Alltag unterwegs. Mit Druckgrafiken von Petra Pickschun humorvoll illustriert.

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Vorbemerkung

Als Reiseleiterin im Osten und Süden Europas unterwegs, erlebe ich oft witzige Situationen. Wenn die Erwartungen von Reisenden und die Wirklichkeit eines Landes aufeinanderprallen, schlägt das Funken, die fast schon von selbst zu Pointen werden. Zumindest wenn man sich den gelassenen Blick auf die kleinen und großen Hindernisse unterwegs bewahrt. Und sollte er Ihnen einmal abhandenkommen, lesen Sie einfach diese Glossen. Sie sind über die Jahre in unregelmäßigen Abständen in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung erschienen und strafen hoffentlich jenen Dichter Lügen, der ausrief: „Ach vergeblich das Fahren!“

Ulrike Maria Hund im Frühjahr 2014

Auf vielfachen Wunsch meiner Reisegäste habe ich den Band um einige Geschichten sowie um denkwürdige Begebenheiten in Hotels erweitert. Russland aber ist zur Erinnerung geworden.

Ulrike Maria Hund 2023

Inhalt

Wir alle sind Eingeborene

Adschiko

Von hier zu Fuß

Zwei, eins, meins

Wandern in Stöckelschuhen

Ihre Identität ist unvollständig

Falsch programmiert

In der Hitze der Nacht

Die Spacedusche

Dreitausend

Schiff verpasst

Im Südosten Gruppenzwang

Komm in den totgesagten Park

Geben Sie mir sofort die Suite!

Weltkulturerbe

Sohlenbröseln

Bäuchlings vor der Orchidee

Sozialistisches Umlagern

Russland, tiefgekühlt

Der Carneval ist wieder da!

Das ganz feine Würstchen

Italien auf der Zunge

Italienisches Ostergelage

Russland schmecken

Ist der Sack verbrannt

Belarus so schön

Komm, tanz mit mir!

Stadt der Fantasten

Leise nieselt der Schnee

Eis.Kunst.Lauf

Freitagabends in Cagliari

Beinaheabsturz

Wir alle sind Eingeborene

Eine Reise kann noch so spektakulär und exotisch sein, der Kontakt mit den Einheimischen gibt ihr erst die eigentliche Würze – vorausgesetzt, er ist freundschaftlich. Ein Überfall wird keinesfalls unter positiver Urlaubserinnerung verbucht, kleinere Unbilden aber schon. Wir zeigen stolz den Zeh, der uns beim Eisfischen mit einem Eskimo fast erfroren wäre, berichten mit Schaudern von Insekten, die wir bei einem Initiationsritus in einem afrikanischen Buschdorf verspeisen mussten, und zeigen ein Photo mit dem Journalisten, der mit uns über die Menschenrechtsfrage in seinem Heimatland geplaudert hat. Die Begegnungen sind deshalb so entspannt, weil wir wissen, dass wir im Ernstfall nicht von den gefangenen Fischen leben müssen, den Ritus nicht selbst erleiden und im Zweifelsfall der Journalist eingesperrt wird, weil er zu viel geredet hat, und nicht wir. Natürlich gibt es neben diesen, von Veranstaltern organisierten Begegnungen, auch immer noch die spontane Gastfreundschaft. Man kommt zum Beispiel an einer Jurte vorbei und wird von der betagten Großmama auf ein Glas vergorene Stutenmilch eingeladen. Aber auch dabei wissen wir, dass die großherzige Gastgeberin im seltensten Falle den Gegenbesuch antreten wird. Dann nämlich wären wir selbst die Eingeborenen, würden bestaunt, belächelt und photographiert.

Ich spreche aus Erfahrung, denn ich stamme aus einem Wein- und Fischerdorf, das heute in vielen Katalogen beworben wird. In meiner Kindheit waren wir eine Art Geheimtipp. Im Sommer kamen Touristen, die bei uns Urlaub auf dem Bauernhof machten und nebst der Begegnung mit den Tieren auch den Familienanschluss suchten. Sie nahmen unsere Sitzplätze auf dem Sofa ein, schliefen in unseren Betten, ließen sich von meinen Eltern zu selbstgebranntem Schnaps einladen und brachten uns Hochdeutsch bei. Wir ließen uns über den Kopf streicheln, im Kommunionkleid photographieren, und natürlich bekamen wir am Ende des Urlaubs auch ein Trinkgeld dafür.

Damit ist es heute leider vorbei, denn jetzt pilgern ganze Busladungen von Touristen unter unserem Fenster vorbei. Deutsche, Amerikaner, Japaner und Chinesen. Verstohlen, neugierig oder ganz und gar unverhohlen mustern sie mich, wenn ich einen Fensterflügel öffne, um ein wenig frische Luft ins Zimmer zu lassen, oder wenn ich mich, hinter einem Oleanderbusch nur notdürftig verborgen, auf den Balkon setze und ein Buch aufschlage.

Wir Eingeborenen haben verschiedene Strategien entwickelt, mit diesem Phänomen umzugehen. Die meisten meiner Nachbarn vermieten ihre Wohnungen an Saisonarbeiter, die nun die historischen Fensterläden öffnen und als Darsteller für diverse Schnappschüsse dienen. Die Einwohner in den beliebten Touristenorten der Toscana halten ihre Fensterläden einfach das ganze Jahr über geschlossen, angeblich wegen der Hitze. Die Holländer machen das Gegenteil. Sie haben die Vorhänge abgeschafft, man schaut in blitzblanke Küchen hinein, sieht dem Hausherrn beim Gemüseschnippeln zu und fragt sich, ob das, was wir sehen, nun eine Kochshow in einem Mustermöbelhaus oder das wirkliche Leben ist.

Einen ernsthaften Schaden habe ich an meiner Eingeborenenrolle nicht genommen, so glaube ich wenigstens. Nur meine Urlaubsphotos sind seltsam menschenleer. Und eine gewisse Skepsis ist mir geblieben, wenn meine Freunde mir von ihren Begegnungen in fremden Ländern erzählen. Dann sehe ich wieder das Kommunionkleid vor mir. Und vielleicht, Sie brauchen es nur aufzuschlagen, lächle ich auch in Ihrem Album auf einer Urlaubserinnerung.

Adschiko

Ich war noch neu in Georgien. Unsere Gruppe war klein, wir waren zu neunt und passten alle in einen Mercedesbus hinein, der schon bessere Tage gesehen hatte. Unser Fahrer hieß Adschiko, wie eine scharfe rote Soße, die man in Georgien gerne zu Schaschlik isst. Ein agiler Typ mit einem schmalen dunklen Gesicht. Zur Begrüßung ließ er goldene Schneidezähne sehen. Der Sicherheitsgurt in der ersten Reihe war ausgeleiert und so verhakt, dass ich hineinklettern musste, was großes Gelächter ergab. Eine stämmige Swanin aus dem Hochgebirge im Westen Georgiens, die mit ihrer tiefen Stimme selbst einen Bären eingeschüchtert hätte, begleitete uns.

Ich war eben aus Armenien gekommen, wo die Fahrer, zumindest, wenn sie Deutsche an Bord haben, so tun, als würden sie rohe Eier befördern. Adschiko jedoch schien entschlossen, uns zu demonstrieren, was ein deutscher Mercedesbus selbst in hohem Alter noch kann und zog an jedem der klapprigen Lastwagen und museumsreifen Ladas, von denen es damals nicht wenige auf den Straßen gab, voller Verachtung vorbei, sobald sich auch nur die geringste Lücke ergab. Ich versuchte den Sicherheitsgurt enger zu ziehen, was mir nicht gelang. Er grinste nur. Was wohl so viel heißen sollte, wie: Vertrau mir, ich kenn mich hier aus. Wir hatten die Hauptstadt verlassen und befanden uns auf einer Landstraße. Schon wieder tauchte ein Laster vor uns auf. Adschiko hatte nicht vor, sein Tempo zu drosseln, er zog, ohne zu zögern, an ihm vorbei, obwohl die Straße schmal und unübersichtlich war. Kaum befanden wir uns auf der Gegenspur, kam uns auch schon ein weiterer Lastwagen entgegen und hielt direkt auf uns zu. Der Gruppe entfuhr ein einziger Schrei. Adschiko bremste keineswegs, auch die anderen Beteiligten nicht. Sie wichen in letzter Sekunde nur minimal zur Seite aus. Er fuhr passgenau zwischen den beiden Ungetümen hindurch, ein Siegerlächeln und den gekränkten Ausdruck im Gesicht: Ich weiß nicht, was ihr habt.

Es war im Sommer 2008. Saakaschwili war Präsident von Georgien. Sein tolldreister Plan, die Russen mit Waffengewalt aus Südossetien rauszuwerfen, wunderte mich nach diesem Überholmanöver nicht mehr so sehr. Bekanntlich hat Saakaschwili die Lage falsch eingeschätzt. Aber als ihm das seine Bürger nach dem Krieg vorwarfen, war er mindestens so gekränkt wie Adschiko, als ich mich dagegen verwahrte, unser Leben noch einmal aufs Spiel zu setzen.

Gomardschobat! grüßte Adschiko auch weiterhin jeden Morgen mit seinem goldblitzenden Lächeln, ehe er sich hinters Lenkrad setzte. Gomardschoba! entgegneten wir im Chor: Sei siegreich! – So heißt auf Georgisch Guten Tag. Es klang wie eine Aufforderung für die nächste Kamikazefahrt.

Von hier zu Fuß

Die Sicherheitsbestimmungen sind bekanntlich in Deutschland besonders streng, und das Sicherheitsbedürfnis der Deutschen ist so berühmt wie ihre Automobile und Reisebusse. Letztere sind ein Exportschlager in Osteuropa. Dort gibt es fast keinen Reisebus ohne deutsche Aufschrift. So liest man mitten im Kaukasus „Schwarzwaldreisen, Todtmann, Höllental“. Erstaunlich, dass ein Unternehmen mit diesem Namen florieren konnte.

Ähnliches denken wohl die Herren, die sich unauffällig um den Schwarzwaldreisebus drücken und mit einem Eurostück das Reifenprofil prüfen. Zwei Zentimeter tief soll es sein, argumentiert ein Experte auf diesem Gebiet. Sein Kollege kriecht halb unter den Bus, um zu prüfen, ob wenigstens die Bremsen funktionieren. Der Reisebus, soweit ist sich die Gruppe einig, stammt mit Sicherheit noch aus dem letzten Jahrtausend. Ein Anruf bei der Agentur hilft auch nicht weiter. Ein anderer Bus sei im Moment nicht zu haben, Hochsaison, tut uns leid. Der Busfahrer schaut ausdruckslos und bittet uns mit einer Handbewegung, einzusteigen.

Sicherheitsgurte gibt es nicht, und wo es sie gibt, in den ersten Sitzreihen, sind sie ausgeleiert oder verklemmt. Dafür allerdings kleben jede Menge Heiligenbildchen im Cockpit unseres Reisebusses. Die gesamte Deesis: Die Muttergottes und Johannes der Täufer flehen den in ihrer Mitte thronenden Christus um Beistand an. Der Heilige Nikolaus hebt seine segnende Hand. Am Rückspiegel schwankt das Ninokreuz bei jeder Bodenwelle. Und als wollte er keinen Zweifel daran lassen, dass wir höheren Schutzes bedürfen, bekreuzigt sich unser Fahrer, ein beleibter Kaukasier mit den Oberarmen eines Ringers, ehe er in einen finsteren Tunnel fährt - und wir heimlich auch.

Nun ist der Kaukasus etwa viermal so hoch wie der Schwarzwald. Bald hat sich die ganze Straße in einen besseren Feldweg verwandelt, durchzogen von Asphaltresten und tiefen Rillen, die ukrainische Vierzigtonner, die ihre Fracht über den 2500 Meter hohen Pass transportieren, immer noch weiter ausfahren. Um voranzukommen, fahren wir in Schlangenlinien die Serpentine hinauf, vorsichtig, um in den nach innen geneigten Kurven nicht aufzusetzen. Mit seinen abgefahrenen Reifen balanciert unser Fahrer geschickt am Abgrund entlang. Statt Nörgelei herrscht ehrfürchtige Stille im Bus.