Der Teufel trinkt Espresso - Anne Stevens - E-Book

Der Teufel trinkt Espresso E-Book

Anne Stevens

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Beschreibung

Wenn Liebe so einfach wäre ... Im Prinzip hat Erin Benson genau den Job, den sie will - gäbe es nicht ihren Chef. James Conlan ist ebenso übellaunig wie erfolgreich und leider genau der Mann, von dem Erin träumt, wenn sie nicht gerade mit ihm zankt - bis er sie vor die Tür setzt. Das könnte das Ende sein – aber bekanntlich trifft man sich immer zweimal.  Mittlerweile aus der eigenen Firma geflogen, gibt es nicht viele Menschen, die James aufnehmen würden. Wäre da nicht Erins verdammtes gutes Herz. Sie nimmt ihn unter ihre Fittiche, denn seine Firma mag James verloren haben, aber nicht seinen Sexappeal.  Ende gut, alles gut ... aber wer sagt, dass das schon das Ende ist? Im Buch enthalten: Eine Ex-Pornoqueen mit Herz, eine Prise Wahnsinn, Humor, ein schüchterner Nerd, Freundschaften mit und ohne Plus, ein tiefer Fall, Mut, der Zauber des Anfangs, alberne Sprüche-Shirts, eine göttliche Maschine, jede Menge Espresso, Liebe, Herzschmerz, eine Heldin, die keine sein will, Rollbraten-Wäsche, sexy Wäsche, eine Bratpfanne und ein garantiertes Happy End. Das Buch umfasst 347 Taschenbuchseiten und ist in sich abgeschlossen.

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Anne Stevens

Der Teufel trinkt Espresso

BookRix GmbH & Co. KG80331 München

Titelseite

Der Teufel

trinkt

Espresso

 

 

 

Von Anne Stevens

Copyright © November 2018 Anne Stevens

Alle Rechte vorbehalten.

ISBN: 9781729081259

 

 

Inhaltsverzeichnis

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

1. Kapitel

Ich huschte ins Loft und sah auf die Uhr. Ein riesiges altmodisches Teil mit gut einem Meter Durchmesser, das unser Chef ersteigert hatte, als alle Teile der nicht niet- und nagelfesten Einrichtung aus dem alten Hauptbahnhof unter den Hammer gekommen waren. Der lange Zeiger sprang gerade zur vier, wo er leicht nachwippte. Ich atmete auf. Nachdem ich mich wie eine Irre durch den Verkehr geschlängelt hatte, waren vier Minuten Verspätung nicht schlecht.

Suchend sah ich mich im Raum nach meinem liebsten Kollegen Newt um. Doch stattdessen traf mein Blick auf James‘ finsteres Gesicht. Innerlich ächzte ich. Nie hatte ich Glück. Kaum kam ich einmal zu spät, lief ich natürlich dem Boss in die Arme.

»Guten Morgen«, stammelte ich und wollte mich schon wieder abwenden, doch James‘ lodernde Iriden ließen mich nicht los. Er war auf hundertachtzig. Gut, das war seine Werkseinstellung. Eine Mischung aus Ironie und unterschwelliger Übellaunigkeit, die jederzeit in Mordlust umschlagen konnte.

»Rotkäppchen«, hob er an und dabei kräuselten sich seine Lippen zu etwas, das entfernt an ein böses Grinsen erinnerte. »Wie schön, dass du dich auch schon dazu herablässt, uns mit deiner Anwesenheit zu beehren. Allerdings hatte ich gehofft, dass du die vertrödelte Zeit nutzt, um im Bad etwas nachzuhelfen und uns einen erfreulicheren Anblick zu bieten.«

Okay, das war die Werkseinstellung plus fünfzig Extra-Punkte. Innerlich kochte ich. Aber was hatte ich erwartet? Kam ich pünktlich, schimpfte er mich eine Erbsenzählerin, war ich zu früh, nannte er mich Schleimerin. In James Conlans Augen gab es vieles – aber kein Richtig!

Andererseits wies mein Zeitkonto das komfortable Polster von zweihundert Überstunden auf. Da hatte ich mir ein bisschen Milde schon verdient. Fand zumindest ich. Aber wozu darauf herumreiten, wenn James in dieser gefährlichen Stimmung war? Ich rang mir ein Lächeln ab, sagte so verbindlich wie möglich »Entschuldigung« und quetschte dabei meine Daumen dermaßen fest, dass ich wahrscheinlich die Blutzirkulation lahmlegte. Bitte, Fortuna, wenn du im Dienst bist, heute wäre der Tag, an dem ich ein Quäntchen Glück brauchen könnte.

Wie nicht anders zu erwarten, pennte meine Glücksgöttin. Das sah ich an James‘ rechter Braue, die sich um ein paar Millimeter hob, und am linken Mundwinkel, den James zu einem ironischen Lächeln verzog. Er war durch meine Entschuldigung kein bisschen besänftigt. Das war nicht gut. Gar nicht gut. Und ich war bei weitem nicht die Einzige, der das aufgefallen war. Jedes Gespräch in dem riesigen Loft, in dem ich und zwei Dutzend andere Coaches arbeiteten, war inzwischen verstummt.

»Entschuldigung?«, wiederholte James demonstrativ ungläubig. »Mehr bekomme ich von dir nicht, Erin? Keine deiner fabelhaften Erklärungen? Lass uns doch ein wenig an deinem Leben teilhaben. Was war es diesmal? Hast du ein herrenloses Kätzchen gerettet? Einer Omi die Einkäufe von der Straße aufgelesen? Heraus damit, auf ein paar weitere verplemperte Minuten kommt es jetzt auch nicht an.«

Das mit den Einkäufen war im Dezember gewesen und längst verjährt. Wie kleinlich musste man sein, um wegen vier Minuten solch einen Tanz aufzuführen? Vier Minuten waren nichts. Vier Minuten vertrödelte James zwanzigmal am Tag, während er darauf wartete, dass seine dämliche Monster-Espresso-Maschine das Teer-Gebräu ausspuckte, nach dem er süchtig war.

Ehrlich, das war so ungerecht, dass ich an mich halten musste, um ihn nicht anzubrüllen. Angriffslustig reckte ich das Kinn vor. »Ich stand an einer roten Ampel, wenn du es genau wissen willst.« Zugegebenermaßen klang das weniger um Entschuldigung bittend als pampig.

»Oha, also ist heute der Tag, an dem sie die Dinger in Betrieb genommen haben? Damit war tatsächlich nicht zu rechnen. Also gut ...«, James machte eine Kunstpause und das brachte mich nur noch mehr auf die Palme, weil alle sichtbar die Ohren spitzten. »Für heute bist du entschuldigt.«

Ich wusste, ich sollte dankbar sein, so glimpflich davon zu kommen. Nur zog die Stimme der Vernunft bei mir häufig den Kürzeren. »Wenn es danach geht ...« Ich zückte meine Chipkarte und steckte sie mit übertriebener Geste in den Schlitz des Automaten, der mit unseren Arbeitszeitkonten verbunden war. Prompt blinkte eine Zahl auf. »Ha, da haben wir es. Grüne Leuchtziffern auf schwarzem Grund, die sagen, dass sich meine Überstundenzahl nach diesem desaströsen Fauxpas um vier Minuten auf 211,73 Stunden reduziert haben. Zufrieden? Oder wie wäre es, wenn ich gleich wieder nach Hause gehe und in fünf Wochen wiederkomme, weil mein Überstunden-Konto dann bei null ist? Würde dich das zufrieden machen?« Mein Herz schlug so heftig, dass ich es bis in meinen Hals klopfen hörte. Es pochte exakt gegen die Stelle, an der der Kloß saß, der sich einfach nicht herunterschlucken ließ.

Mittlerweile machte sich niemand im Loft mehr die Mühe, Arbeit vorzutäuschen. Das war so typisch. Feiglinge, allesamt. Keiner von ihnen traute sich, James gegenüber den Mund aufzumachen. Aber nach einem Anschiss in der Teeküche stehen und jammern, darin waren sie Weltmeister.

Mal ehrlich, wenn ich James in den Hintern kriechen wollte, hätte ich gar keine Chance, weil sein Darm gestopft voll war mit diesen Armleuchtern. Der erste in der Reihe musste vermutlich nur den Arm ausstrecken, um sein Gaumensegel zu kitzeln.

»Ob ich zufrieden bin?«, fragte James gefährlich leise. Dann wog er den Kopf hin und her und tat, als müsse er angestrengt nachdenken und die Relativitätstheorie auf ihre Schlüssigkeit hin prüfen. »Ich wäre zufrieden, wenn du deinen Hintern in mein Büro schwingst und mir die Zahlen von Bio.Aid präsentierst. Und wenn die so sind, wie ich es erwarte, dann ...«, er lächelte gefährlich, »und nur dann, Erin, bin ich vielleicht zufrieden.«

Es widerstrebte mir, mich vor versammelter Mannschaft abkommandieren zu lassen. Dummerweise hatte ich keine Wahl. Das Leben im Silicon Valley war teuer und eigentlich mochte ich meinen Job. »Gut, ich gehe nur kurz Newt holen«, presste ich hervor und würgte jede weitere Erwiderung herunter. Dabei schwang diese ganz spezielle Mixtur aus Widerwillen, Gehorsam und Bewunderung für diesen kranken Typen mit, die mich bei jedem unserer Streits überkam.

Das Problem war, dass ich James anbetungswürdig fand. Er hatte einen Körper, für den Auguste Rodin aus dem Grab schießen und zu Hammer und Meißel greifen würde, und dazu ein Gesicht, das das Prädikat »schön mit Sternchen« verdiente.

Die Lippen voll, die gletscherblauen Iriden klar und klug. Hohe Wangenknochen, ein markantes Kinn. Lauter Zutaten für das perfekte Gesicht – und als hätte sein Schöpfer ihm ein kleines I-Tüpfelchen mit auf den Weg geben wollen, hatte er Fehler eingebaut. Die Nase war ein wenig zu groß, das eine Auge saß einen Hauch tiefer, dazu das dunkle, strubbelige Haar, das sich nie bändigen ließ. Kleine Makel, die aus der perfekten, langweiligen Symmetrie eines schönen Gesichts eins machten, das rasend interessant war. Wäre James zusätzlich nett gewesen, man hätte keine fünf Minuten mit ihm verbringen können, ohne sich zu verlieben.

»Wenn du Newt brauchst, bitte«, James zuckte die Achseln, machte auf dem Absatz kehrt und ließ mich stehen.

Aus der hinteren Ecke des Raumes hörte ich leises Gelächter. Es war so typisch: Das Gewitter war vorüber, die Feiglinge kamen aus ihren Löchern. Aber wehe, wenn James ihnen befahl, die Luft anzuhalten. Keiner, ich schwöre es, nicht ein einziger seiner Jünger würde es wagen zu atmen. Eher gingen sie ohnmächtig zu Boden.

Mies gelaunt stapfte ich auf Newt zu, der es sich mit seinem Laptop in einem quietschgrünen Sitzsack auf der Empore bequem gemacht hatte.

»Halali!«, sagte er grinsend, doch in seinen Augen stand das pure Mitgefühl.

»Halali?«, wiederholte ich irritiert.

»Sagt man so auf der Jagd. Und das war es doch. Er jagt dich, du jagst ihn. Ein Ringelpietz, den niemand außer euch begreift. Jeden anderen hätte er soeben vor die Tür befördert«

»Wir ...«, ich blies empört die Backen auf. »Das war kein Ringelpietz. Hast du bitte mal gehört, wie er mit mir spricht?«

Newt legte den Kopf schräg, dass sein rundes Gesicht aussah wie ein zur Seite gekippter Smiley. »Natürlich habe ich das. Jeder hat es. Und es gibt niemanden, der sich nicht fragt, was zwischen euch läuft. Mal ganz davon abgesehen, dass er seit zwei Wochen hier herumläuft wie ein Kessel mit Überdruck. Natürlich lässt ein mieser Zyniker wie er sich die Gelegenheit, dich vorzuführen, da nicht entgehen. Außerdem scheint es dem Penner wirklich besser zu gehen, wenn er sich mit dir anlegen kann. Weiß der Kuckuck, warum.«

»Ah, bin ich jetzt so etwas wie sein Lieblingsventil?«, fragte ich ratlos.

Newt lächelte traurig. »Dich bemerkt er zumindest. Mich sieht er noch nicht einmal an, wenn er mit mir redet.«

Meine Wut wich einem unbestimmten Gefühl von Traurigkeit. Das war so unfair. Newt war fachlich brillant, aber er war mollig und schüchtern und hatte eine solche Angst, die Leute könnten hinter die Fassade und in seine empfindsame Seele blicken, dass er sich benahm wie viele Menschen, die unsicher waren. Lernte er jemanden kennen, fackelte er ein wahres Witz-Feuerwerk ab, um seinem Gegenüber klarzumachen, dass von ihm keine Gefahr ausging. Ich ballte dabei jedes Mal die Fäuste. In Newt steckte so viel mehr, wieso degradierte er sich zum netten Dicken von nebenan? Kein Wunder, dass James bei dieser Selbstdemontage nicht zuschauen mochte.

Wie üblich, bemühte ich mich, das schönzureden. »Es hat nichts mit dir zu tun. Du weißt, dass James ein Sozialverhalten wie eine offene Hose hat.« Ich knuffte Newt in die weiche Seite.

»Du meinst, dass er ein Arsch und mieser Wichser ist?«, verbesserte mich Newt. »Stimmt!«

Ich fürchte, an dieser Stelle muss ich die Geschichte kurz stoppen und ausholen. Um den speziellen Charakter von unserem Boss zu beschreiben, bedarf es klarer Worte. Lassen Sie mich sagen, wenn es dieser Geschichte nicht dienlich wäre, würde ich Ihnen die Kraftausdrücke ersparen. Aber falls Sie ein realistisches Bild von James Conlan, dreißigjähriger Start-up-Investor mit Wohnsitz in Palo Alto (Silicon Valley), bekommen möchten, müssen treffende Termini her. Los geht’s: Speichellecker, Arschloch, Sklaventreiber, Penner, und Arsch, Arsch, Arsch sind im Büro am gebräuchlichsten. Wer ihn mag, wählt eine Koseform. Zur Wahl stehen Idiot, Dummkopf, Blödmann. Peter Eagleman, der sich als Kreativer gern von der Masse abhebt, nennt ihn auch sturer Hund, Hornochse oder Rindvieh. Tut mir leid, da mache ich nicht mit! Ich mag Tiere. Und ich verabscheue Kraftausdrücke.

Um es kurz zu halten: Ich nenne ihn Chef oder James. Zum einen finde ich, dass man sich nicht leichter mit jemandem tut, wenn man ihm in der Erwartung ›den Arsch‹ zu treffen, gegenübertritt. Und dann glaube ich fest daran, dass alles zurückkommt und da möchte ich mit meiner Karma-Bilanz ungern in die Miesen geraten, indem ich mit Schimpfworten um mich werfe.

Ich seufzte. »Geht es dir besser, wenn du ihn so nennst?«

»Tut es!«

»Dann ... nur zu. Aber öffne bitte mal die Grafiken, damit wir ihm gleich die Zahlen präsentieren können. Sonst bricht das nächste Donnerwetter über uns herein.«

Newt tippte geschäftig auf seinem Laptop herum. Ich sah mich im Loft um.

Der Sturm im Wasserglas hatte sich gelegt, alle waren wieder bei der Arbeit, hockten in Hängematten, auf Sitzwürfeln oder an den stylischen, improvisiert wirkenden Besprechungstischen, die aus übereinander montierten Limonadenkisten bestanden.

Würde James nicht wie ein gutsherrischer Großinquisitor über uns herrschen, es könnte hier richtig nett sein. Vierhundert Quadratmeter Loft mit hohen Sprossenfenstern, unbehandelten Backsteinwänden und hellem Holzboden. Es gab einen Tischkicker, eine X-Box-Ecke und sogar eine Kochinsel, weil es sich beim Kochen gut plaudern ließ. Zuerst hatte ich damit wenig anfangen können, aber ein paar der besseren Ideen waren Newt und mir tatsächlich beim Gemüseputzen gekommen.

An dem Aquarium, in dem James residierte, ließ ich den Blick schnell vorbeihuschen und blieb dann an der Wand kleben, an der die Arbeiter seit vergangener Woche eine Treppe montierten, die hinauf führte zu der frisch eingezogenen Empore.

Niemand konnte sich auf diese Konstruktion einen Reim machen. Unter uns gab es drei weitere, ähnlich ausgestattete Etagen. Platzmangel herrschte also nicht. Und James schwor darauf, mit seinem Aquarium mitten im Trubel zu hocken, um alles überblicken zu können.

»Wozu Büros in der oberen Etage?«, fragte ich Newt.

Er sah von seinen Zahlen auf und wirkte, als müsse er sich im Hier und Jetzt erst einmal wieder zurechtfinden. »Was?«

»Na, die Büros da oben. Wofür sind die?«

Newt lachte verhalten. Es klang traurig. »Erin, glaub mir, falls James jemals der Gedanke kommt, seine Motive zu erklären, bin ich der Letzte, den er ins Vertrauen zieht.«

Reflexhaft strich ich über seinen Unterarm. Ich tat das gut ein dutzend Mal am Tag. Es sollte so viel heißen wie: Nimm’s nicht persönlich. Der Typ spinnt halt. »Du bist der Junge mit dem Meisterhirn. Wenn jemand in der Lage ist, das Rätsel ohne Hinweise und Telefonjoker zu lösen, dann du.«

Ein zaghaftes Lächeln stahl sich auf Newts Gesicht. »Was, wenn ich dir sage, dass es mich gar nicht interessiert?«

»Dann zwingst du mich zu erwidern, dass du ein schlechter Lügner bist«, ich zwinkerte Newt zu, erhob mich aus dem Sitzsack und schnappte sein Laptop, damit auch er sich in die Senkrechte bringen konnte. »Auf in den Kampf. Die Zahlen sind besser als seine Vorgaben. Und es wird ihn begeistern, dass Robin und Smith mit dem neuen Büro fast fertig sind.«

So lautete der Deal: James investierte in junge Gründer mit vielversprechenden Ideen. Und da die leider meist einige Defizite mitbrachten und sich mit Marketing, Buchhaltung und dem ganzen Computerkram kaum auskannten, brauchte James wiederum uns. Wir waren Spezialisten in den verschiedensten Bereichen und coachten seine Gründer.

Das letzte Projekt, das Newt und ich betreut hatten, war Bio.Aid. Robert und Smith stellten eine Limonade her, die den Körper angeblich von Giften reinigte. Nach vier Monaten Coaching waren sie so gut vorbereitet, dass sie in ein eigenes Büro ziehen und am Markt durchstarten konnten. Lief alles bestens, würde James von jedem Penny, den Robert und Smith verdienten, künftig dreißig Prozent bekommen. Ging die Idee den Bach runter, musste James seine Beteiligung abschreiben.

Wir bahnten uns unseren Weg entlang an gläsernen Stellwänden, um eine Pflanzen-Ansammlung herum und an der Kücheninsel vorbei. Mit jedem Schritt, den wir James‘ Aquarium näher kamen, wuchs meine Nervosität. Newt und ich hatten uns in den letzten Wochen die Köpfe heißgeredet. Schluss mit den Bio-Fressalien. James kaufte für seine Magical Factory laufend gute Ideen ein. Und Newt und ich fühlten uns definitiv bereit für eine Veränderung.

»Machen wir es wie besprochen?«, wisperte ich mit staubtrockenem Mund in Newts Richtung.

»Solange er in der Stimmung ist?«, brummte Newt düster.

Ich blieb stehen und tat, als würde ich mir einen Aushang an einer Säule ansehen. »Wir sind jetzt mit dem Projekt fertig. Wenn wir auf eine sonnige Gemütslage warten, würgt er uns den nächsten Bio-Mist rein und wir schlagen uns die nächsten vier bis sechs Monate wieder mit Ökosiegeln und unbelasteten Produktionsstätten herum. Ehrlich, Newt, wenn ich nochmal vier Monate auf ein Logo mit glücklich lächelnden Kühen oder tanzenden Gurken gucken muss, verliere ich die Lust.«

Newt seufzte. Er hatte es mit biologisch-dynamischer Ernährung in etwa so wie Schweine mit dem Fliegen. Das gab es, nur interessierte es ihn nicht. Wenn es nach meinem liebsten Kollegen ging, gehörte Fleisch auf einen Teller, gern von glücklichen Kühen, aber da verlangte er kein Psychogramm. »Also gut, machen wir es so: Wir präsentieren ihm die Zahlen und dann wird er uns schon sagen, was er uns als nächstes geben will. Wenn es wieder die gleiche Schiene ist und du eine Chance siehst, ihn behutsam in eine andere Richtung zu stupsen, tu es. Wenn nicht, beißen wir halt noch mal in den sauren Apfel und warten eine günstige Gelegenheit ab.«

Ich verdrehte die Augen. »Ha, der war gut, Newt. Wann wären wir bei ihm jemals nicht in Gefahr gewesen, in einen Blitz-Hurrikan zu geraten?«

»Als er sich in das Projekt mit dem neuen Elektro-Auto eingekauft hat«, flüsterte Newt wie aus der Pistole geschossen.

»Soll das heißen, wir beschäftigen uns mit Bio-Kram, bis ihm wieder jemand etwas Stimmungsförderndes erfindet? Komm schon, er ist auch nur ein Mensch. Wenn wir die Beschimpfungen überhören ...«

»Überhören?« Newt war unbeabsichtigt laut geworden. Nun senkte er die Stimme wieder und beugte sich vertraulich zu mir herüber. »Ich kann das überhören, dir ist das nicht gegeben. Du steigst jedes Mal in eine Diskussion ein. Erin, ich sag’s nicht gern, aber das Projekt ist beendet. Nie war der Zeitpunkt, uns vor die Tür zu setzen, günstiger. Dann holt er sich eben ein paar andere Leute ins Team, die ihm keine Wiederworte geben und artig nicken.« Newts Blick wurde weich. »Ich weiß es ehrlich zu schätzen, dass du dich so oft vor mich stellst, aber ich mag meinen Job. Wenn man James außer Acht lässt, haben wir hier Freiheiten, von denen andere nur träumen können.«

Damit traf Newt den Nagel mal wieder auf den Kopf: Der Job war toll. Alle paar Monate kamen neue Leute ins Loft, die vom Zauber des Anfangs und einer guten Idee so beseelt waren, dass es die reine Freude war, mit ihnen zu arbeiten. Wir waren vielleicht nicht Teil ihres Traums, aber wir trugen dazu bei, dass dieser Traum wahr werden konnte.

Da fiel es kaum ins Gewicht, dass wir zu James und unseren Kollegen nicht den besten Draht hatten.

Vielleicht unterbreche ich an dieser Stelle erneut, um zu sagen, dass Newt und ich unsere Jobs zwar lieben, aber nicht wirklich in die Firma passen. Ich meine, als Marketing-Fachfrau habe ich hier schon einen Schreibtisch und Newt, der beste Programmierer vor dem Herrn, ist auch fest angestellt. Nur sind wir im Vergleich zu unseren recht schillernden Kollegen ... nennen wir es bieder.

Weder hat Newt einen Bart, der an Catweazle erinnert, noch sehen wir aus, als hätte ein gelangweiltes Kind sich mit Filzstiften auf unserer Haut verewigt. Keine lustigen Bildchen auf Händen und Oberarmen, kein Metall in Nase, Mund und Brauen oder in tieferliegenden Körperregionen. Dieses unverbindliche kalifornische Höher-Schneller-Spaßiger-Lebensgefühl geht uns schlicht ab.

Natürlich haben wir als kleine Anpassungsmaßnahme zu unserem Einstand bei Magical Factory über ein Tattoo nachgedacht. Dann haben wir die Gefahr durch von unsauberen Nadeln übertragene Krankheiten gründlich durchdekliniert und festgestellt, dass es nichts gibt, das uns so begeistert, dass wir lebenslänglich damit beschriftet sein wollen. Ich meine, ich fand die Backstreet Boys gut. Aber möchte ich, dass die jugendlichen Schwestern im Altenheim mich in fünfzig Jahren fragen, ob das eine frühzeitliche Terrorgruppierung war? Nie!

Um uns zumindest leidlich anzupassen, haben Newt und ich uns dem Kleiderkodex unterworfen, der im Silicon Valley vorherrscht: Vom Einkommensmillionär bis runter zu den fleißigen Arbeitsbienen tragen alle Jeans, Sneakers und Sprüche-Shirts. Dabei hasse ich es, die Welt ununterbrochen mit albernen Lebensweisheiten zu beschlaumeiern. Überhaupt ist es mit meinem Sendungsbewusstsein nicht weit her. Trotzdem stecke ich heute in einem Top, das mein Gegenüber wissen lässt, dass ich die Lustigen zuletzt töte, während Newts Aufdruck an den legendären »Whole Earth Catalog« erinnert: »Stay hungry! Stay foolish!« Frei übersetzt heißt das so viel wie: Gib dich nie zufrieden und trau dich, Fehler zu machen! Das kommt hier im Silicon Valley irre gut an, weil es auch Steve Jobs‘ Leitspruch war.

Reflexhaft strich ich über Newts Unterarm. »Keine Diskussion. Ich versprech‘s! Und jetzt lass uns da reingehen und ihn mit den Zahlen vom Hocker hauen.«

Ich sah rüber zum Aquarium, wo James mitnichten saß, sondern vor dem albernen, chromblitzenden Monstrum stand, mit dem er seine Teer-Pampe braute. Natürlich hatte er in den Erfinder der »Dea Numero Uno« investiert. Ich hatte den Namen gegoogelt und herausgefunden, dass die Höllenmaschine mit den vielen offenliegenden Rohren und Rädchen tatsächlich auf den Namen »Göttin Nummer Eins« getauft war. Das passte zu James, der dem Brühvorgang ähnlich rituelle Bedeutung beimaß wie ein Japaner der Teezeremonie.

Ohne sich zu uns herumzudrehen, nahm James uns in Empfang. »Na, seid ihr fertig mit eurer kleinen, konspirativen Besprechung?«

»Das war keine konspi...« Als Newt mich fest in die Seite kniff, verstummte ich jäh. »Hm, wir ... wir haben nur noch einmal überlegt, ob wir auch alles haben.«

»Ach, ich dachte, das hättet ihr schon auf der Empore erledigt«, gab James gelassen zurück und justierte weiter an den Rädchen seiner Göttin herum. »Aber bitte, nehmt Platz. Ich bin gespannt, wie es für Robert und Smith weitergeht.« Endlich geruhte James, uns anzusehen. Innerlich zuckte ich zurück. Da loderte etwas so Undeutbares in seinem Blick, dass die Härchen auf meinen Unterarmen in die Höhe schossen.

»Ähm ja ... wir, wir ...«, stotterte ich los.

James rechte Braue zuckte nach oben. Hätte er mich so in einer Bar angeschaut, ich hätte meine amouröse Diaspora beendet und wäre vor ihm auf die Knie gefallen. Schlechte Idee, Erin. Ganz schlecht. Krieg das Bild aus dem Kopf und konzentrier dich aufs Wesentliche. Sonst gehst du am Ende mit einem Auftrag für Bio-Gummibärchen hier raus! »Wir setzen uns dann mal«, beendete ich den Satz so würdevoll wie möglich.

»Bitte, die Stühle sind alle zum mehrmaligen Gebrauch bestimmt«, sagte James und drehte uns wieder den Rücken zu.

Als er kurze Zeit später zu uns an den Besprechungstisch kam, trug er ein Tablett, auf dem je drei Gläser mit heißem Wasser und drei dampfende Espresso-Tassen standen, und erklärte: »Bedient euch!« Vielleicht war es nett gemeint, doch aus James‘ Mund klang es wie ein Befehl. Ich spürte, wie Newt neben mir versteinerte.

Damit war es an mir, ein leises »Danke!« zu murmeln, bevor ich Newts Laptop an James‘ großen Monitor anschloss. Der Rest war einfach, denn hinter den Zahlen konnte ich mich vortrefflich verstecken. Ich präsentierte den Internet-Auftritt von Bio.Aid, die Umsatzzahlen, die sich vervierfacht hatten, seit wir die beiden coachten, dazu die gesunkenen Produktionskosten, die Vertriebswege und das kleine Video, dass wir für die Bio.Aid-Homepage von der neuen Produktionsstätte gedreht hatten. »Wenn man bedenkt, dass der große Marketing-Feldzug zum Relaunch der Marke erst nächste Woche anfängt, nicht schlecht. Wir mussten schon jetzt eine zusätzliche Produktionslinie buchen. Tendenz steigend!«

James lehnte sich in seinem ledernen Obermotzsessel zurück, verschränkte die Hände hinter dem Nacken und sah mich unbeeindruckt an. Ich rechnete schon nicht mehr damit, dass er überhaupt etwas sagen würde, als er sich zu einem »Okay« herabließ.

Kaum war es heraus, trat Newt unter dem Tisch nach mir. Eine »Reiß dich zusammen, Erin«-Ermahnung, die ich locker in den Wind schoss.

»Okay? Das ist alles, was dir dazu einfällt?«, brauste ich auf. »Wir haben in den letzten Wochen Zehn-Stunden-Schichten geschoben. Auch an den Wochenenden. Und du findest es okay? Obwohl wir deine Vorgaben bei weitem übertroffen haben?« Ich schnappte nach Luft. Gab es etwas Arroganteres als diesen verdammten Mistkerl?

»Nun, ich setze die Zahlen nie besonders hoch an, um euch nicht zu entmutigen.« Schon für diese blasierte und herablassende Antwort wäre ich am liebsten über den Tisch gesprungen, um ihm sein hübsches Gesicht zu zerkratzen, aber Newts Hand hatte sich für James unsichtbar in meine Jeans verkrallt.

»Das ist ein Witz! Das muss einfach ein Witz sein«, hörte ich mich schimpfen, obwohl das Blut in meinen Ohren gerade so laut brauste, dass ich vermutlich selbst einen herannahenden Güterzug nicht bemerkt hätte.

James holte dramatisch Luft, bevor er sich ein seltenes Grinsen gestattete. »Stimmt! Aber ich sehe immer wieder gern, wie du explodierst, Erin. Gerötete Wangen, feuerrotes Haar«, spottete er munter drauf los. »Und deine Augen erst, das ist echt beeindruckend. Ich wundere mich jedes Mal, dass sie nicht aus den Höhlen springen.«

Es kostete mich immense Kraft, aber ich veratmete die Unflätigkeiten, die mir auf der Zunge lagen. »Wenn wir bitte wieder dienstlich werden können?«, verlangte ich schmallippig.

»Sind wir doch«, sagte James. »Du arbeitest für mich, ich kommentiere dein Auftreten. Alles ein großes, kosmisches Knäuel von Wenn-Dann-Verflechtungen.«

Newt, der mittlerweile an meiner Hose zerrte wie ein Trophäenjäger, der ein Stück Stoff von seinem Lieblings-Star mit nach Hause nehmen wollte, atmete dermaßen geräuschvoll aus, dass selbst James zu ihm herübersah. Dabei wirkte er so perplex, als hätte er Newt noch gar nicht wahrgenommen.

Es dauerte nur Sekunden, doch es gab mir Gelegenheit, mich ein wenig zu sammeln, bevor James mich wieder ins Visier nahm.

»Wie ich sehe, brodelt es in dir, Erin. Wirst du mir jetzt verraten, was ihr beide da draußen gerade ausgeheckt habt?« James verzog keine Miene.

Ich auch nicht. »Wir haben in der Tat überlegt, wie es nach Bio.Aid für uns weitergehen kann«, warf ich ihm ein Stichwort hin und hoffte, dass er den Faden aufgreifen und sich äußern würde.

James erstickte meine Hoffnung mit einem knappen »Aha!« im Keim. Wieder verschränkte er die Hände hinter dem Kopf, dass er dabei die Beine lässig von sich streckte, merkte ich nur, weil sein Fuß meinen touchierte. Die kurze Berührung traf mich wie ein leichter Stromimpuls.

Ich wartete.

Er wartete.

Ein stummes Pokerspiel, in dem die Stille immer drückender wurde. »Also gut, wir möchten kein Bio-Projekt mehr machen. Setz uns meinetwegen zu den Leuten, die an der Markt-Einführung für das Elektro-Auto arbeiten. Oder gib uns ... irgendwas.«

»Und wieso sollte ich das tun, Erin?«

»Weil ... du sagst doch selbst, dass man nicht in den immer gleichen Mustern denken soll. Vielleicht passiert uns das aber, wenn wir die immer gleichen Dinge pushen.«

»Guter Einwand. Aber ihr werdet da draußen doch nicht nur diesen schwachen Ansatz ausgeheckt haben. Wenn du in ein Gespräch gehst und etwas willst, brauchst du Argumente. Also los, Erin, überzeug mich.« James beugte sich vor, stützte die Ellbogen auf den Tisch und legte das Kinn in seine Hände. Das signalisierte mehr gespannte Aufmerksamkeit, als ich mir je gewünscht hatte.

Mir brach der kalte Schweiß aus. Von Newt war keine Hilfe zu erwarten. Der arme Kerl hyperventilierte, sobald James sich auf ihn konzentrierte. Wieder spürte ich das Blut in meine Wangen sprudeln. »Na ja, wir haben unsere Projekte bisher immer überdurchschnittlich gut ans Laufen bekommen«, sagte ich und hörte selber, wie lahm das klang.

»Guter Punkt, Erin. Für mich! Denn du hast mir mit eurer Erfolgsserie gerade ein gutes Argument dafür geliefert, euch weiter in diesem Bereich zu lassen.«

»Na jaaaa ...« Verdammt, wieso fiel mir nie etwas ein, wenn James mich so anstarrte? »Vielleicht sind wir in anderen Branchen viel nützlicher, werden es aber nie herausfinden, weil du uns auf diesen einen Bereich festnagelst.«

»Vielleicht ... du meinst, es könnte auch sein, dass ihr da viel schlechter seid?«

»Du drehst mir das Wort im Mund herum«, brauste ich auf.

»Ja, weil du es mir auch wirklich leicht machst.« James stand auf. Scheinbar hatte er begriffen, dass wir seine Teer-Brühe nicht trinken würden, denn er trug das Tablett wieder zum Sideboard und machte sich an der Göttin zu schaffen.

Dabei klebten meine Augen wie gebannt an James‘ Fingern. Sie waren wohl proportioniert und feingliederig und was er damit anstellte, sah geschickt aus. Ich legte den Kopf schief und beobachtete James. Es war Newt, der mich mit einem weiteren beherzten Kniff ins Diesseits zurückholte. Ich war beinahe irritiert, dass er auch noch da war und sah ihn fragend an.

Zur Antwort bekam ich ein Paar verdrehter Augen, bevor Newt in James‘ Richtung nickte. Die stummen Worte, die er dabei mit den Lippen formte, interpretierte ich als »Tu was!«.

Ich gab mir einen Ruck. »Was denn jetzt? Ich meine, Bio.Aid ist durch ... was machen wir ab morgen?«

James fummelte weiter mit provozierender Gelassenheit an seinem Espresso-Monstrum herum. Als er fertig war, kam er zurück an den Tisch, diesmal trug er nur eine Tasse. Mir taten die Lippen schon weh, während ich zusah, wie er an dem dampfenden Gebräu nippte.

»Ich habe letzte Woche beim First-Seed-Tag im Congress Center in vier Projekte investiert«, erklärte James und wirkte dabei nachdenklich.

In meinem Kopf ratterte es. First Seed, das bedeutete, dass die Gründer keine Bankkredite genutzt oder sie beantragt und nicht bewilligt bekommen hatten, und direkt in der ersten Finanzierungsrunde auf die Suche nach Investoren gegangen waren. Also war James bestimmt richtig groß eingestiegen, um sich in der Frühphase ein ordentliches Stück vom Kuchen zu sichern.

Ich hing an seinen Lippen. Leider bewegten die sich nur, um erneut an dem widerlichen Gebräu zu nippen.

Seufzend verschränkte ich die Arme vor meinem dämlichen T-Shirt-Aufdruck. »Sagst du uns auch noch, in welche Projekte du investiert hast?«

»Nein!«

»Sollen wir raten?«, fragte ich fassungslos.

»Nein!« Hatte James während des Gesprächs menschliche Züge erahnen lassen, so tarnte er sich jetzt wieder als emotionsloser Roboter.

»Dann ... war’s das?«

Endlich sah er mich wieder an. »Es wird eine ganze Menge Neuerungen geben, Erin. Morgen früh um neun werde ich euch zusammen mit allen anderen in Kenntnis setzen. Bis dahin ...« James brach ab, da war es wieder, das böse Glitzern. »Vielleicht versuchst du, ein paar Überstunden abzubummeln, bevor du mir noch einmal Vorhaltungen machen musst.« Er schüttete den Espresso herunter und wandte sich seinem Monitor zu.

Von Null auf Hundert war er so konzentriert, wir könnten von den Stühlen kippen und langsam auf dem Boden ausbluten, jede Wette, dass James es nicht mal merken würde.

2. Kapitel

»Heilige Scheiße! Was ist das?«, fragte ich ebenso leise wie fassungslos. Gut möglich, dass ich die Besucherin, die neben James lief, ziemlich blöd angaffte. »Kneif mich, Newt«, zischte ich. »Los, kneif mi...« Ich zuckte zusammen und veratmete ein schmerzerfülltes »Au!«. »Verdammt Newt, das war rhetorisch gemeint«, brummte ich und verfiel ebenso wie meine um den langen Konferenztisch versammelten Kollegen in stummes Starren.

In meinem Hinterkopf flackerte dabei eine ungute Erinnerung an meine Jugend auf. Ich mit leuchtend kupferfarbenem Haar, angezogen wie ein Provinzflittchen, weil ich beim Wechsel an die neue Highschool mondän und geheimnisvoll hatte wirken wollen – und gleich am ersten Tag verlacht und als billiges Flittchen abgestempelt worden war.

Die Parallele zu der Frau, die eben aus dem Fahrstuhl gestiegen war, und nun quer durch das Loft der Magical Factory auf uns zu stakste, ließ sich nicht von der Hand weisen. Augenblicklich fühlte ich mich mies, weil ich sie angaffte. Ich wusste doch, wie es einem dabei ging.

Andererseits war die Frau ein Kaliber, das das Weggucken schwer machte. Sie war etwa Mitte dreißig und maß wie ich knapp 1,60 Meter. Nur trug sie keine Chucks, sondern Plexiglas-Plateau-Heels, statt Jeans einen Minirock wie für einen Schulmädchenporno und dazu eine am Bauch geknotete Bluse, in der zwei Möpse so lebendig auf und ab wogten, dass sich die Frage nach Silikoneinlagen erst gar nicht stellte. Dafür schätzte ich, dass sie an Lippenimplantaten nicht gespart hatte. Und an Extensions. Und Make-up.

»Das«, beugte sich mein schleimiger Kollege Ezra vertraulich zu mir herüber, ohne den auf uns zu stöckelnden Sekretärinnen-Porno aus dem Blick zu lassen, »ist Bridget Bowers, bekannter ist sie unter dem Namen Doppel D. Ihre Filme waren in den Pornocharts jahrelang weit vorn. Bridgets Spezialität ist ...«

»Ich will’s nicht wissen«, unterbrach ich Ezra. Mal ehrlich, wenn eine Frau als Doppel D bekannt war und so aussah, hatte man doch gleich eine Idee von ihren Spezialitäten. Ich wusste, ich sollte sie nicht vorschnell verurteilen, aber Neutralität hin oder her – niemand zog sich so an, wenn er damit nicht etwas aussagen wollte. Trotzdem ärgerte mich Ezras herablassend schmieriges Getue.

Ein fieses Grinsen kräuselte seine Lippen. »Na, na, Erin«, tat er beleidigt, »Bridget Bowers hat sich ihren Ruf hart erarbeitet.«

»Dass dabei einiges hart war, kann ich mir denken«, klinkte sich nun auch die Besserwisserin Kitty ein, wobei sie Doppel D mit demonstrativer Abscheu ansah.

Das war mal wieder typisch. Wenn es stimmte, dass auf diesem Planeten für jeden Pol ein Gegenpol existierte, standen Newt und ich auf der einen Seite einer unsichtbaren Grenzlinie, während Ezra und Kitty mit ihrer permanenten Attitüde, besser, schneller, schöner und lässiger zu sein, auf der anderen Seite ein Team bildeten. Bereit, uns jederzeit auszustechen.

Nun, in diesem Fall sollte mir das nur recht sein, denn ich konnte mir nicht vorstellen, monatelang eng mit dieser Lady zusammen zu arbeiten. Für mein Empfinden war sie ein klassischer Zu-Typ. Zu viel Hüftgewackel. Zu lange Krallen. Zu viel mit sich selbst zu tun. Und damit das krasse Gegenteil von mir, die ich am liebsten in der zweiten Reihe stand und nichts dagegen hatte, übersehen zu werden.

»Was glaubst du, was für ein Projekt sie vorstellt?«, überlegte Ezra im Flüsterton, denn nun waren Doppel D und James fast beim Tisch angekommen.

Ich sah, wie Newt den Mund aufmachte, um zu antworten, aber Kitty kam ihm mal wieder zuvor. »Ich schätze, James wird das Geheimnis gleich lüften. Oder was meint ihr, was in dem Karton ist?«

Die Sexspielzeug-Barbie hatte mich derart fasziniert, dass mir die pinke Schachtel mit der blassrosa Schleife bis jetzt entgangen war. Das Ding hatte die Ausmaße eines Sitzwürfels. Himmel, jemand sollte ein Foto davon machen. James Conlan trug etwas, das sicher nicht ihm gehörte. Ein Wunder, denn er tat keine Gefallen. Nie. Wenn James überhaupt auf eine Bitte reagierte, dann, indem er das krasse Gegenteil tat.

Verstohlen sah ich mich um. Ich wusste, was Newt von einer Sache halten würde, lange bevor der Gedanke sich in seinem Kopf formte, und gerade dachte er genau das gleiche wie ich: Bitte nicht diese Frau!

Die anderen Kollegen am Tisch – auch die, die in zweiter und dritter Reihe saßen – versuchten, sich ebenfalls einen Reim auf Bridget Bowers Anwesenheit zu machen. Doch ihr leises Gemurmel erstarb in dem Moment, in dem James den Karton mit einem lauten Rums auf den Tisch plumpsen ließ. Hm, schien schwer zu sein. Mit Cupcakes handelte die Dame schon mal nicht.

Newt kniff mich in den Schenkel und deutete mit dem Kinn in Richtung Boss. Ja, James Conlan wirkte amüsiert. Bevor ich über sein Lächeln wieder in Verzückung geriet, sah ich schnell weg und versuchte, Newt mit bösen Blicken klarzumachen, dass wir unsere Kommunikation umstellen mussten. Von seinen gestrigen Kneif-Attacken hatte ich genug blaue Flecke davongetragen.

James räusperte sich. Leider klang schon das irgendwie gut. Unwillkürlich stahl sich ein Lächeln auf meine Lippen. Nicht, dass ich jemanden mit einem derart defizitären Charakter toll finden könnte, aber die Verpackung, in der er seine fiesen Eigenschaften spazieren trug, war bekanntlich erstklassig. Ganz zu schweigen von James‘ Stimme. Dunkel und doch samtig weich, selbst wenn er uns Gemeinheiten servierte.

»Die meisten von euch werden Bridget Bowers kennen. Sie hat ihre Laufbahn als Schauspielerin aufgegeben und ein Projekt gestartet, in das ich investiert habe«, sagte James, bevor er ihr einen der stylischen Sitze zurechtrückte, in diesem Fall ein paar übereinandergestapelte Limonaden-Kisten mit darauf montiertem Sitzkissen.

Bridget zeigte sich darüber kein bisschen irritiert, sondern ließ sich schlicht und bescheiden auf das Polster sinken. Falls der sabbernde Ezra die Hoffnung gehegt hatte, ihm würde ein Ausblick wie in der Verhör-Filmszene aus Basic Instinct geboten, enttäuschte sie ihn. Ihre Schenkel blieben sittsam geschlossen. Was sie mir fast schon wieder sympathisch machte, denn Ezra guckte tatsächlich geknickt. Gott, der Kerl war so vorhersehbar, dass er mir fast leidtat.

James plauderte weiter: »Beim letzten Pitch-Tag im Congress Center habe ich in vier förderungswürdige Gründer investiert. Sie alle werden in den kommenden Tagen hier einziehen, um ihre Ideen mit eurem Coaching bis zur Marktreife zu bringen. Da wir es diesmal mit ganz neuen Produkten zu tun haben, müssen sich auch die Coaching-Teams neu zusammenfinden. Am einfachsten ist es, wenn jeder von euch bei den Projekten, die ihn interessieren, die Hand hebt, ich werde dann die Teams bilden.« James ließ sich geschmeidig auf einen Sitzball sinken, der in ein Gestell mit einer Nackenstütze eingespannt war.

»Den Auftakt macht Bridget. Sie hat ihre Geschäftsidee so überzeugend vorgetragen, dass ich finde, dass sie auch hier für sich selbst sprechen kann. Zumal ihr in den nächsten Monaten eng mit ihr zusammenarbeiten werdet.«

»Eng? Bingo!«, frohlockte Ezra leise und ließ wieder dieses anzügliche Grinsen sehen.

Kitty wählte ein weniger frohgemutes, dafür aber langgezogenes: »Scheiiiiße«.

Während Newt lediglich brummte: »Hm, hm!«

Ich, nicht gerade die Meisterin der spontanen Kommentare, beschränke mich darauf, zuzusehen wie Bridget aufstand und sich wieder auf ihren Plexiglas-Unterbau stellte, und ich muss sagen, das nötigte mir schon ein wenig Respekt ab. Ich könnte auf diesen Stelzen noch nicht einmal laufen, wenn mein Leben davon abhinge. Bei ihr hingegen wirkte es natürlich und anmutig.

Strahlend stand sie da und riss den Deckel von der Schachtel, bevor sie sie mit Wucht umstieß. Heraus kugelte ein Wust aus Plastik. Pink, violett, schwarz, türkis in allen erdenklichen Formen.

Oh mein Gott! Ich wusste, was das war, aber mein Hirn weigerte sich, daraus einen Gedanken zu formen. Schweigend sah ich, wie das Plastik sich quer über den fünf Meter langen Tisch verteilte. Einige Kollegen wichen dem Zeug angewidert aus und ließen es an sich vorbei zu Boden gehen. Dabei heftete mein Auge sich an ein pinkfarbenes Ei, das den ganzen langen Weg bis zu mir trudelte. Bevor es ebenfalls herunterplumpsen konnte, griff ich danach.

Das war der Moment, in dem Doppel D zum ersten Mal den Mund aufmachte. Keine Ahnung, was ich erwartet hatte. Ein hohes, wie mit Helium angereichertes Quietschen vielleicht. Doch ihre Stimme war dunkel und verrucht. Weswegen es gleich viel bedeutsamer klang, als sie zu mir sagte: »Ein Vibro-Ei. Kannst du gern mitnehmen und ausprobieren. Das lässt sich mit einer App steuern. Kann ganz schön prickelnd sein, wenn man mit einem heißen Kerl im Restaurant sitzt und der das Ei auf Turbo-Schwingung stellt.«

Holy Shit! Abgesehen davon, dass ich vermutlich rot war wie ein verdammter Hydrant, schnappte mir der Kiefer auf. Wahrscheinlich konnten Bridget Bowers und alle anderen in diesem verdammten Raum meine Mandeln sehen.

Doppel D registrierte es, klimperte mit ihren unechten Wimpern, sperrte die Schlauchbootlippen auf und sagte: »Wieso reißt du den Mund auf, Süße? Da bringt das Ei dir nichts! Aber wenn du möchtest, kann ich es dir gern erklären. Die Produktpräsentation ist meine Spezialität.« Sie sah mich erwartungsvoll an.

Woraufhin ich unter dem verhaltenem Gelächter der Kollegen artig die Lippen zusammenpresste und das Ei auf den Tisch fallen ließ, als hätte ich mich daran verbrannt.

Außer mir hatte nur eine etwas aufgefangen, Kitty. Offenbar weigerte sich ihr Hirn ebenso wie vorhin meins, brauchbare Erkenntnisse zu formen, denn sie starrte nur stirnrunzelnd auf ein schwarzes Etwas, das gebogen war wie eine Banane und ein goldfarben lackiertes Bedienteil hatte. Sie schien Bridget nicht zugehört zu haben, denn ihr Blick fragte mehr als deutlich: Ist es das, wofür ich es halte? Ist es das?

Bridget half ihr gern auf die Sprünge. »Das ist einer unserer Verkaufsschlager«, ließ sie Kitty fröhlich wissen. »Der Komet hat acht Vibrationsstufen und ist ideal für die G-Punkt-Massage.« Dann klimperte sie mit ihren Wimpern, dass es aussah, als würde sich eine besonders haarige Raupe auf ihren Lidern austoben. »In diesem Gerät ...«, jeder, ich schwöre, jeder am Konferenztisch sehnte das Ende der Kunstpause herbei, »... steckt all mein Wissen!« Bridget lächelte glücklich.

Neben mir würgte Newt ein Lachen aus seiner Kehle. Und es kam wahrlich nicht oft vor, dass ausgerechnet er die Stille in einem Raum durchbrach. Vielleicht wirkte der Laut deshalb wie ein Weckruf. Aus der Schockstarre erwacht, begannen alle, hektisch auf ihren Tablet-PCs herumzuwischen oder ihre Handys auf Nachrichten zu checken. Und ich muss sagen, die fröhliche Sex-Missionarin Bridget wirkte schon ein wenig enttäuscht über das allgemeine Desinteresse. Fast bekam ich Mitleid mit ihr. Aber tatsächlich nur fast, denn ich wollte um keinen Preis an ihrem Projekt mitarbeiten.

Statt nun wie ein Lemming ebenfalls nach meinem Handy zu greifen, sah ich verstohlen zu James hinüber. Sein Blick klebte an mir, als hätte er nur darauf gewartet, dass ich aufsehen würde. Ich zuckte zusammen. Oh nein. Nein, nein, nein! Sieh mich nicht so an. Hier sitzen genug andere Leute herum, die das Zeug besser vermarkten können als ich. Lauter lässige Typen, die sich liebend gern den ganzen Tag über Vibratoren und Dildos und Liebeskugeln unterhalten. Ich war die Letzte, die Lust hatte, sich von Doppel D Bowers eine Unterweisung in Sachen Sexspielzeug geben zu lassen. Darum zwang ich mich, den Blick abzuwenden und stur auf die Tischplatte zu glotzen. Eine einfache Rechnung, wie bei der Klassensprecherwahl. Wer hochguckte oder unbedacht die Hand hob, hatte verloren und bekam vor versammelter Mannschaft die Arschkarte zugeteilt.

»Wie ich sehe, meldet sich kein Freiwilliger.« James Conlan zwang meinen Blick zurück zu sich. »Erin, wie ist es mit dir? Du und Newt ihr seid doch so ...«, er grinste böse, bevor er weiter sprach. »Offen und vielseitig interessiert.« Da war sie, die Quittung, die ich insgeheim seit gestern gefürchtet hatte.

Diesmal kniff Newt so fest in meinen Schenkel, dass ich morgen sicher weitere blaue Flecke haben würde. Ich wusste, was mir das sagen sollte: Hättest du dich nicht so weit aus dem Fenster gelehnt, hätten wir jetzt keinen Ärger. Das Dumme war, dass ich gestern nicht nur von meiner, sondern von unserer Unzufriedenheit geredet hatte. Damit trug ich Verantwortung für Newt.

Innerlich wand ich mich. Ich hasste es, mich vor allen zu Wort zu melden und öffentlich Dinge auszutragen. James wusste das. Und genau darauf legte er es an. Das sagten mir sein amüsiertes Grinsen und die angriffslustig erhobene Braue.

Ich gab mir einen Ruck. »Ähm ... ich glaube, dass Newt und ich nicht die Richtigen für das Projekt sind.« Zugegebenermaßen klang das nicht engagiert.

»Nicht die Richtigen? Ach komm, Erin. Ihr habt Bio.Aid so hervorragend zu Ende gebracht, ich dachte, ich gönne euch mal ein wenig Abwechslung.« James lächelte. Das hieß, die Mundwinkel hoben sich, aber der Blick aus seinen eisblauen Augen war so kühl, dass ich als Empfänger dieses Blicks ernsthaft mit Frostbeulen rechnete.

»Ähm ja ... das ist nett von dir«, stammelte ich und spürte zwei Dinge. Erstens den nicht gerade dezenten Tritt, den Newt mir unter dem Tisch verpasste. Und dann war da die Hitze, die mir mittlerweile die Wangen zu versengen drohte. Trotzdem hielt ich James‘ Blick stand. Ich konnte den herzensguten Newt nicht hängenlassen, der eher kollabieren als vor den versammelten Hyänen sprechen würde. »Ich fürchte, wir haben keine Ahnung von diesem Produkt. Es wäre also effizienter, jemanden zu beauftragen, der nicht erst recherchieren muss. Außerdem hast du selbst gesagt, dass wir uns die Projekte aussuchen können. Was, wenn es ein anderes gibt, in dem wir viel nützlicher sein können? Lass uns die anderen Gründer doch erstmal kennenlernen.«

James Augen blitzten. »Du hast also keine Ahnung, Erin? Wie soll ich das verstehen? Das ist ganz normales Sexspielzeug. Sofern du nicht Jungfrau bist, sollte dir zumindest technisch geläufig sein, was man damit tut. Ansonsten gibt es bebilderte Anleitungen. Bienchen, Blümchen ...« Seine rechte Braue hob sich weiter.

Immerhin weckte diese dämliche Ansprache meinen Widerspruchsgeist. »Technisch habe ich kein Problem«, entgegnete ich schnippisch. »Allerdings liegt mir eher die Variante ohne Spielzeug. Also werde ich um eine ausführliche Recherche nicht herum kommen. Das ist vertane zeit.« Ich hätte gern auch für Newt gesprochen, aber das wäre dann doch zuviel des Guten, zumal der Satz »Wir brauchen kein Spielzeug« Newt hyperventilieren ließe. Stattdessen machte ich ein paar ausladende Gesten, die vom Vibrator bis zu einer Sammlung schwarzer Zapfen Bridgets gesamte Kollektion umschloss und pantomimisch klarmachte: Keine Ahnung von nichts!

James‘ Braue hob sich um weitere Millimeter. Bis zum Ende der Besprechung touchierte sie wahrscheinlich seinen Haaransatz. »Kein Problem?«, äffte er meinen schnippischen Ton nach. »Das höre ich gern. Prima, dann wäre das geklärt. Ihr habt den Zuschlag. Wie allen anderen in der Firma, will ich auch euch die Gelegenheit geben, an Aufgaben zu wachsen.« Ebenso gut hätte er sagen können: Du kannst mich mal, Erin – du hast gestern darum gebettelt, wieder etwas anderes als Bio-Limos zu betreuen, jetzt find dich mit dem ab, was ich dir stattdessen gebe, und nimm deinen stummen Kumpel Newt gleich mit. »Falls es euch hilft, könnt ihr das kleine Büro bei den Fahrstühlen nutzen. Da habt ihr eure Ruhe und könnt euch ungeniert austauschen.« Das Wörtchen ungeniert betonte James mehr als anzüglich.

»Hört, hört! Na wenn Newt da mal nicht in den Glückstopf gegriffen hat«, wisperte Ezra und dabei machte er mit seinen Brauen etwas, das entfernt an James erinnerte.

Anfangs hatte es mich wütend gemacht, zu sehen, wie unsere Kollegen James‘ Gesten und sein kaltschnäuziges Getue imitierten. Jetzt fand ich es nur noch traurig. Aber es nicht zu tun, mich offen gegen James zu stellen und mit dem übergewichtigen, so gar nicht coolen Newt eine Einheit zu bilden, hatte auch andere Folgen: Es isolierte Newt und mich auf schwer zu greifende Weise. Nicht, dass es einer von James‘ Jüngern offen ausgesprochen hätte, aber sobald wir einen Raum betraten, begegnete man uns mit unterschwelliger Skepsis.

Kopfschüttelnd fand ich in die Realität zurück und sah mich einem lächelnden James gegenüber.

Gerade öffnete er den Mund und verkündete der Runde: »Die nächsten Gründer kommen in einer Stunde. Vielleicht zieht ihr einfach die Mittagspause vor. Allerdings gibt es da noch etwas, das ich gern vorher klären würde.« James stand auf, eine Hand lässig in der Tasche seiner tief sitzenden Jeans, die andere spielte mit einem USB-Stick. »In den letzten beiden Jahren sind wir so schnell gewachsen, dass ich beschlossen habe, ein paar Partner mit ins Boot zu holen. Das bringt erstens frisches Kapital und gibt mir außerdem mehr Freiheit, wieder aktiv an Projekten mitzuarbeiten.« Mitarbeiten? Mein innerer Alarm schrillte. Vor meinem geistigen Auge sah ich mich in einem Meeting sitzen, in dem sich Sexspielzeug-Barbie und James munter über Liebeskugeln austauschten. Aber James war noch nicht fertig. »Nach der Pause werde ich euch Beavis Mellowhead vorstellen. Er wird künftig die kaufmännische Geschäftsführung übernehmen und mich in diesem Bereich komplett entlasten. Er bringt ein Team mit, das vorwiegend ...« Blablabla – dass das Elektro-Auto dabei im Vordergrund stand, war keine große Überraschung. Newt und ich warfen uns einen vielsagenden Blick zu. Alle anderen verkrümelten sich, kaum dass James mit seiner Ansprache fertig war.

»Immerhin wissen wir jetzt, für wen die Büros da oben gedacht sind«, sagte Newt, während wir zusahen, wie James und Doppel D das Aquarium ansteuerten. Bevor der Chef die Tür hinter sich schloss, wandte er sich zu mir um. »Bridget und ich müssen noch kurz etwas bereden. Wenn ihr in fünf Minuten dazu kommen könntet?«

Newt und ich nickten unisono, dann schaute ich wieder auf die Stelle, an der James eben gesessen hatte.

»Was starrst du so auf den Platz von diesem Arsch? Willst du ihn mit Telepathie dazu bringen, zurückzukommen, damit er dir sagt, dass alles nur ein Aprilscherz war?« Newt, der als einziger noch bei mir saß, kräuselte die Lippen und lächelte leicht. »Das wäre selbst für deine Verhältnisse schräg, Erin.«

Ich hätte gern zurückgelächelt, aber die Aussicht, mit Doppel D zu arbeiten, krempelte mir den Magen um.

»Woher willst du wissen, dass es nicht funktioniert? Es gibt doch in jedem blöden Weltraumfilm Telepathen. Wenn sich Gerüchte über eine Fähigkeit so hartnäckig halten, ist vielleicht was dran«, sagte ich hoffnungsvoll und starrte weiter auf den verwaisten Ball. »Denk nur an diesen Typen aus dem Fernsehen, der mit Gedankenkraft Löffel verbiegen kann.«

»Erin, das ist gruselig. Deshalb empfinde ich es als großes Glück, dass du es nicht kannst«, sagte Newt mit ungewohntem Nachdruck.

Ich wusste, dass dieses Gespräch Nonsens war. Newt hatte recht. Ich konnte niemanden beeinflussen. Nicht einmal wenn ich mit zwanzig Dollar in der Luft wedelte, brachte ich die Müllabfuhr dazu, die schweren Container von meinem Wohnungseingang wegzurollen.

Trotzdem ärgerte es mich, dass Newt, sobald wir allein waren, immer alles kommentieren musste, was ich sagte. Da würde ich ihm nicht das berühmte letzte Wort überlassen. »Was macht dich da so sicher?«, fragte ich, nur um etwas zu sagen.

»Ganz einfach, niemand bekommt mehr als eine göttliche Fähigkeit. Du machst eine verdammt geile Lasagne. Was willst du vom Leben noch erwarten?«

Wer war ich? Die Küchenfee? »Entschuldige mal, das Rezept für Lasagne wurde mir nicht in die Wiege gelegt, das habe ich mir mühsam erarbeitet und verfeinert«, erwiderte ich und konnte mir das Grinsen dann doch nicht verkneifen, weil mich sein Lob so freute. Ich mochte nicht für mich allein kochen und fütterte Newt gerne durch. Bisher hatte es nie Klagen oder Reste gegeben.

Er strich sichtlich zufrieden über seinen massigen Bauch. »Schmeckt man, könntest du übrigens bald mal wieder mitbringen. Allerdings fürchte ich, dass jetzt die Uhr tickt. Wir müssen rein zu Conlan.«

»Newt?« Ich sah in sein gutmütiges, rundes Gesicht.

»Jap, stets zu Diensten.«

»Bitte sag mir, dass ich gerade nicht herumgestottert habe wie eine verklemmte Wahnsinnige. Ich flehe dich an.«

Er legte den Kopf schief und intensivierte sein Lächeln. »Willst du, dass ich dich anlüge, E?«

Ich zuckte schon lange nicht mehr zusammen, wenn Newt meinen ohnehin kurzen Namen auf einen Buchstaben reduzierte. »Nein, will ich nicht.«

»Tja, dann tut es mir leid, aber ich kann dir das nicht sagen. Du hast verdammt verklemmt geklungen. Und renitent.« Newt machte eine kurze Pause und das Lächeln verblasste. »Ist dir mal aufgefallen, dass du das nur hast, wenn dieser Penner in der Nähe ist?«

»Was, dass ich renitent bin? Nein, ist es nicht.«

»Es ist auch nicht wirklich renitent, eher so als ... ja, als hättest du dich lange extrem zurückgehalten mit etwas, das dir auf der Seele liegt. Und dann plötzlich muss es heraus und du schlägst einfach zu. Ohne Rücksicht auf Verluste.«

»Newt, ich habe grade gestottert wie eine unvorbereitete Grundschülerin beim Vokabeltest. Das kann man schwerlich als zuschlagen bezeichnen.« Ehrlich, ich liebte diesen großen Kindskopf, aber manchmal redete er Unsinn. Das sagte ich ihm auch. »Unsinn, ich bin nicht renitent und wenn doch, dann hat es nichts mit Conlan zu tun. Also können wir bitte mal zum eigentlichen Problem kommen? Bridget Bowers und ihre Spielzeugkollektion. Das ist ein Horror, von dem wir uns schleunigst befreien müssen. Ich meine, nicht dass ich verklemmt bin, aber Sex ist nicht gerade mein Gesprächsthema Nummer eins und ich will nicht in ein paar Wochen hier stehen und in einem Meeting glücklich lächelnd über Dildos referieren.« Mir kam eine Idee. »Fragen wir Ezra, ob er uns das abnimmt. Der hat sich gerade zwar nicht gemeldet, aber es ist nicht von der Hand zu weisen, dass er interessiert war. Wenn wir mit ihm reden und Bridgets Vorzüge ein bisschen anpreisen ...«

»Du willst ihm das Projekt schmackhaft machen, indem du Bridget und ihre besonderen Fähigkeiten anpreist? Sorry, aber das wäre Zuhälterei. Das willst du nicht wirklich, E«, sagte Newt.

»Stimmt«, knurrte ich missmutig, denn dass Newt mir den letzten Rettungsanker nahm, hob meine Laune kein bisschen.

»Du wärst sowieso eine lausige Puffmutter«, erklärte Newt.

»Ähm ... wie kommst du darauf?« Das wollte ich jetzt schon genauer wissen.

»Zu viel Herz. Ist wie mit den Leuten hier. Im Prinzip sind sie dir alle zu laut, scheinheilig, vordergründig und aufgesetzt, aber wenn dieser Arsch loswettert, verteidigst du sie, als wären sie eine Herde Miniatur-Heiliger.«

Ich wusste, dass es ein Kompliment sein sollte. Trotzdem fühlte ich mich gerade wie ein Depp. Ein Volldepp, um genau zu sein. »Ich verteidige sie doch gar nicht. Es geht nur gegen mein Unrechtsbewusstsein, wenn James herumbrüllt und uns beschimpft.«

»Dich beschimpft er aber nicht. Und da bist du die große Ausnahme. Er frotzelt herum und provoziert dich. Aber ich wüsste nicht eine Gelegenheit, nicht eine einzige, bei der er dich so hart angegangen ist wie ... nimm Kitty oder Ruth, die kriegen dauernd ihr Fett weg.«

»Komisch, bei dir klingt es, als hege er Sympathien für mich. Tut er aber nicht. Du hast doch gerade daneben gesessen, als er allen angeboten hat, dass sie sich für ein Projekt melden können – mir hingegen hat er eins aufgedrängt. Ich kann mich täuschen, sag es mir, falls ich ohne es zu merken den Finger gehoben habe.«

Newt seufzte. »Ach, E, denkst du, ich weiß nicht, wie wenig Lust du auf Bridgets Firlefanz hast? Anfangs war ich ja auch skeptisch ...«

»Und jetzt bist du dafür?«, platzte es aus mir heraus.

»Sagen wir, ich bin ambivalent. Nicht, dass ich wirklich Lust darauf hätte, andererseits ... wer weiß ... sie schien doch ganz nett. Sie putzt sich vielleicht heraus wie ein Zirkuspferd. Aber unter dem Strich ... sie wirkt unkompliziert. Nur gibt es leider kaum Dinge, von denen ich noch weniger Ahnung habe als von diesem Kram.« Er deutete auf das Regenbogen-Plastik-Potpourri, das noch immer auf dem Tisch und am Boden verstreut lag. Dann zuckte er hilflos die Achseln und sagte: »Die fünf Minuten sind um. Ich fürchte, wir müssen los.«

Oh nein, Newt Bishop, denk nicht, dass ich nicht sehe, was du da versuchst. Du willst mir das schönreden, damit ich mich nicht wieder mit James anlege. Ich fand es rührend – solange es nicht bedeutete, dass wir freiwillig den schwarzen Peter in die Hand nahmen.

Lächelnd streichelte ich mal wieder Newts Arm. Das äußerste an Nähe, das Newt auf platonischer Ebene ertrug. Bei ihm hatte immer gleich alles etwas zu bedeuten, darum hütete ich mich, ihm zu nahe zu kommen. Ich wollte unserer seltsam engen und doch unverbindlichen Beziehung nicht die Unschuld rauben, indem ich ihn auf Gedanken brachte.

Das Problem war, dass wir beide Singles waren, und Newt seine Großmutter verschenkt und sein Erstgeborenes draufgelegt hätte, um nicht mehr einsam zu sein. Er hatte sich in jeder halbwegs seriösen Partnerbörse angemeldet. Nur konnten die Frauen, die in sein Beuteschema fielen, herzlich wenig mit ihm anfangen. Er liebte quirlige Elfen – nur standen Nerds auf deren Wunschliste nicht weit oben. Was mich betraf, ich, sagen wir, hatte aus Gründen einen Schlussstrich unter eine unerfreuliche Beziehung gezogen. Kurz: Unsere sexuelle Aktivität ließ sich mit einem Barometer messen, auf dessen Skala sich einzig eine fett gedruckte Null befand. Was uns beide nicht zur Zusammenarbeit mit einer Pornoqueen qualifizierte.

»Ich sag’s nicht gern noch einmal, aber James wartet«, riss Newt mich aus meinen Gedanken. Er wirkte ein bisschen ängstlich. Wofür ich James umso inniger hasste. Mit seinem Killerblick und den fiesen Kommentaren war er für Newt pures Gift. Das schüchterte ihn so ein, dass er nicht mal sein trauriges Witzfeuerwerk herausbrachte.

»Wird schon nicht so schlimm werden«, sagte ich und lächelte demonstrativ. »Weißt du noch, neulich, als du vor der Auswahl der Leute für den Videospot so nervös warst?« Tatsächlich hatte Newt kurz vor einem Blutsturz gestanden. »Hinterher musste ich dich loseisen, weil du gar nicht mehr weg wolltest.«

Ich tätschelte seine Hand, erhob mich und sah düster auf die Stahlplanken. Eine stylische Treppenkonstruktion, die hinauf zu den neuen Büros führte. Es wirkte, als wären die Stufen aus dem unverputzten Mauerwerk gewachsen. Doch nach allem, was James gesagt hatte, würde er nicht nach oben ziehen.