Der Tod in Flandern - Adolf Köster - E-Book

Der Tod in Flandern E-Book

Adolf Köster

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Beschreibung

Kein Schuß fiel mehr — nur die Atemzüge rasselten — mit Kolben, Messer, Bajonett schlugen und stießen sie. Ab und zu ein Schrei. Manchmal wurden die Knäuel zu dicht — dann warfen sie die Waffen weg und rangen. Zwei riesenstarke Männer würgten sich. Ein kleiner Seeleutnant sank unter dem Faustschlag eines Engländers wie ein Wäschestück zusammen. Hein Kröger sah es und stieß dem Tommy sein Gewehr in den Bauch. Ein anderer sprang zu und hieb ihm seine Schulter mit dem Kolben wund. Hein Kröger brüllte auf und wollte ausholen — da sank der Tommy schon von hinten getroffen um. Die Spitze eines Bajonettes starrte ihm aus der Brust. Nach einer Viertelstunde war der Kampf entschieden. Die Engländer hatten gekämpft wie Helden — aber keiner entkam.

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Seitenzahl: 102

Veröffentlichungsjahr: 2019

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Der Tod in Flandern

Kriegsnovellen

 

von

Adolf Köster

______

Erstmals erschienen im:

Albert Langen Verlag,

München, 1914

__________

Vollständig überarbeitete Ausgabe.

Ungekürzte Fassung.

© 2018 Klarwelt Verlag

ISBN: 978-3-96559-161-5

www.klarweltverlag.de

 

Dem Andenken an

Ludwig Frank

gewidmet

Inhaltsverzeichnis

 

Titel

Der Tod in Flandern

Madame Marchand

Vor Lüttich

Feuermann Stiscola

Der Feldprediger

Fernande

Hein Kröger und die Engländer

Die Verlobten

Ein Abend in Ostende

Heyengas Geschichte

Der Tod in Flandern

ie waren sehr verschieden und doch immer beieinander — die vier Primaner. Sie gingen gemeinsam in die Schule, aber sie saßen auf sehr verschiedenen Plätzen. Sie zeichneten sich in sehr verschiedenen Fächern aus, aber sowohl in den Pausen wie auf den abendlichen Spaziergängen sah man sie immer beisammen. Sie regelten alles gemeinsam — die mathematischen Aufgaben und die Religion der Zukunft, Liebeskummer und väterliche Konflikte. Es war ganz selbstverständlich, dass alle vier sich bei demselben Regiment meldeten, als der Krieg ausbrach.

Alle vier wurden angenommen. Das heißt, einen Augenblick sah es aus, als ob Budde Beermann zurückgewiesen werden sollte wegen seiner dicken Brille.

Aber — wie er später sagte — er riss seine Augen mit aller Gewalt zusammen, und so erreichte er gerade noch die richtigen Buchstaben.

Sie wurden zehn Wochen lang ausgebildet. Ihre Gestalten wurden noch länger und hagerer. Aber die Uniform machte sie männlich. Ihre Verschiedenheiten schwanden, weil es keine Zeit mehr gab, über sie zu reden. Sie aßen, tranken, schliefen wie nie in ihrem Leben. Und alle ihre weltenweiten Zukunftsträume waren verdichtet zu dem einzigen Wunsch: in diesen unbekannten, lockenden Strudel hinein, der sich „Krieg“ nannte.

Was war der Krieg? Er war auch heute noch jenes problematische Ungeheuer, über das die Primaner in ihrem Diskutierklub „Schiller“ sich so oft und so schön gezankt hatten. Aber zugleich war er auch noch etwas anderes geworden: eine Musik und eine flatternde Fahne, etwas wie selige Verliebtheit und holder Wahnsinn, eine schimmernde Zukunft — die aber ganz nahe war, und über die kein Erwachsener lachte. Ja, das war die erschütternde Neuigkeit für alle diese jungen Leute: jetzt durfte man öffentlich schwärmen. Man durfte sagen, dass man eine Schlacht entscheiden, dass man höchst eigenhändig mit einer Bombe das Zelt des russischen Zaren vernichten wolle — und alle nahmen einen ernst, und selbst die ältesten Knacker klatschen in die Hände. So war der Krieg: heute noch war man ein dummer Primaner, dem der Lehrer eine Ohrfeige anzubieten wagte, und morgen stand man in hunderttausenden Blättern, und die stolzesten Mädchen kauften sich Bilder von einem und hängten sie in ihrem Zimmer auf. So war der Krieg.

Bis auf den Sohn des Pastors Kuhn, der auf den Monismus schwur und Chemie studieren wollte, waren sie übrigens alle verliebt. Das heißt mit sehr großen Unterschieden. Budde Beermann liebte zwei junge Mädchen zugleich. Der junge Frerichs betete die Frau des Hilfslehrers an, obschon er nie ein Wort mit ihr geredet hatte. Richtig und ernsthaft verliebt war nur Jürgen Pens — in die einzige Tochter des Pastors.

Das ist nicht unwichtig. Denn die kleinen und großen Herzensfreuden dieser jungen Leute spielten auch in den Krieg hinein. Und wo in einsamer Stunde ein Zweifel, eine kleine Angst oder nur ein Zurseitespringen der Gedanken aufmachte, da waren es die Bilder dieser Frauen und Mädchen, die alles wieder einrenkten — lockend, drohend, besänftigend.

So zogen die vier in Reih’ und Glied aus dem Städtchen aus — alle in derselben Kompagnie. Am stolzesten schritt Frerichs dem Bahnhof zu. Denn sein Rivale, der Hilfslehrer, war ein elender Landsturmmann ohne Waffe und brauchte nicht mit. Ja, das war eine Ehre und ein Ruhm, schon bevor es losging, unter den lächelnden Augen einer geliebten Frau durch die Straßen zu ziehen — in Gefahren, Sieg oder Tod.

Durch ganz Deutschland ging es wie im Triumph. Der ganze Zug war voll von jungen Menschen, die kaum zwanzig Jahre zählten. Alles durcheinander, Primaner, Studenten, Bauern, Arbeiter und Kaufleute. Die Männer und Frauen auf den Bahnhöfen, an den Chausseeübergängen, in den Straßen der Städte — sie winkten und jubelten. Nur einige alte Leute, die diesen Strom von Jugend sahen, zogen das Taschentuch und weinten.

Kurz hinter der belgischen Grenze sahen sie die ersten Verwundeten. Es waren zunächst zwei junge frischgebackene Leutnants. Der eine hatte den ganzen Kopf in Watte, der andere hatte den Arm verbunden. Sie hatten ihren Zug verlassen und gingen auf dem Bahnsteig auf und ab. Die vier Primaner standen stramm vor ihrem Waggon. O, wie bewunderten sie diese beiden Helden. Und ohne dass sie etwas sagten, dachte ein jeder: „Ach, käme ich mit solchen Ehren heim!“ Aber dann liefen sie nach dem Verwundetenzug hinüber und guckten neugierig bald hier, bald da hinein. Überall roch es — nach Blut, nach Karbol — meistens nach Blut. Die schönen grauen Röcke der Soldaten waren starr von Dreck. Ihre Gesichter sahen bleich aus. Viele humpelten. Einige wurden getragen. Aber alles war still. Man hörte keinen Klagelaut. Alles half sich gegenseitig.

Die Kriegsfreiwilligen standen herum. Die vier Primaner auf einem Haufen. Das war nun das erste offene Gesicht des Krieges nicht sein bestes. Die Primaner erschauerten.

Aber da rief aus einem Kupee ein graubärtiger Hauptmann: „Heda, ihr Jungens, hier mal ran und helft mir!“ Sie sprangen hinzu. Der Alte hatte ein blessiertes Bein und wollte hinaus. Die vier packten an und hoben ihn herunter. Und indem sie das taten, war ihr Schauer weg. Und sie fühlten, dachten und marschierten wieder in Reih’ und Glied.

Es kamen die ersten zerstörten Häuser und Dörfer — es kamen die ersten Schlachtfelder. Zunächst auch hier ein jugendliches Staunen, ein leiser Versuch zu fragen, wie und weshalb. Aber doch nur einen ganz kleinen Augenblick. Dann wurden es gerade diese Stätten des Schreckens, die die jungen Leute fest und mutig machten. Das kam, indem die Leute des Landes vor ihnen den Hut zogen, indem Frauen vor ihnen zitterten und alte Männer gehorsam ihren Willen taten. Die jungen Menschen sahen, was Besiegte sind. Und sie lernten reden und handeln, wie Sieger es tun. Ihr Stolz und ihre Eigenwilligkeit erhoben sich im Verhältnis zu ihrer Jugend. Einige wurden frech.

Aber die vier blieben auch als Sieger Primaner. Eines Mittags — ihr Regiment lag jetzt als Besatzung in irgendeinem Dorf Südbelgiens — eines Mittags nach dem Essen rekelten sie sich in der Septembersonne auf der Wiese neben einem kanalartig verbreiteten Flusse, dessen Wasser träge dahin schwomm. „Kinder, es ist halb eins“ — sagte Frerichs — „jetzt hätten wir zu Hause Horaz. Der Alte würde uns erklären, was Freundschaft ist, Pens würde schlafen, sein Schwager würde Darwin lesen — und jetzt liegen wir im Krieg zwei Tage hinter der Front. Eheu fugaces Postume, Postume . . .“ „Wisst ihr noch“ — meinte nun Pens — „als der Alte in seiner Abschiedsrede auf ‚die sittlichen Gefahren des Krieges‘ zu sprechen kam? Und er sah dabei den Beermann ganz scharf an. Gewiss, Beermann, sei ruhig! Er tat es. Aber nun sage mir bloß einer, wo sind diese sittlichen Gefahren?“

„Na, Pens, ich meine, mit Beermann hatte der Alte schon recht. Oder will Beermann bestreiten, dass er mit der kleinen Schwarzen aus dem Gärtnerhaus hier dick in der Tinte sitzt?“

„Brotneid, Brotneid, purer Brotneid, Kinder“ — antwortete Beermann — „ich werde gar nichts bestreiten, aber auch gar nichts behaupten. Ich möchte vielmehr fragen, wo sind überhaupt die Gefahren, von denen wir träumten? Wir liegen hier jetzt drei Wochen und werden dick und rund. Auf dem rechten Flügel soll es hapern. Warum schickt man uns nicht hin? Ich kann doch nicht als ordinärer Muskote zu meinen Eltern zurückkehren. Und hier scheint mir die Gelegenheit zum Eisernen verdammt schlecht zu sein.“

In diesem Augenblick wurden die Augen der vier auf einen Gegenstand gerichtet, der vor ihnen im Wasser auftauchte. Es war der Arm eines Menschen — in blauem Tuch — der Arm eines Soldaten — die Hand war schneeweiß — der Arm zog langsam auf dem Wasser an ihnen vorbei.

„Da hast du’s, Beermann — verflucht und zugenäht! — Es ist ein Menschenarm — vielleicht aus Deutschland.“

„Wahrhaftig, ein Arm“ — sagte Budde Beermann und hustete verlegen — „er muss von einer Granate weggerissen sein. Aber ich glaube, er liegt schon lange im Wasser. Er ist ganz weiß.“

Alle waren innerlich entsetzt. Jeder hätte am liebsten geschwiegen. Aber jeder schämte sich, und so redeten sie los.

„Granatschüsse sollen das Schrecklichste sein, schlimmer als Dum-Dum. Der Leutnant neulich im Zuge hat es auch gesagt. Ich bin für einen glatten Gewehrschuss.“

„Ich auch, — ich habe sogar vorgestern geträumt, wir wären im Gefecht, — und ich bekäme einen Schuss mitten ins Herz. Aber es tat gar nicht weh — es war ein Gefühl wie dicht vorm Einschlafen.“

„Geträumt habe ich auch mal davon — aber ich weiß nicht mehr was. Ich weiß nur, als ich aufwachte, da hatte ich den ganzen Tag in Händen, Schultern, Beinen das seltsame Gefühl, als müssten Kugeln kommen und sie treffen. Ich hatte direkt eine Art körperlicher Sehnsucht nach den Kugeln — aber natürlich war es Spielerei.“

„Es war noch weniger als Spielerei. Pens will sich interessant machen. Aber ich glaube ihm nichts mehr“ — rief der Sohn des Pastors — „ich weiß nur, dass Pens als Amulett ein paar Schuberische Noten auf der Brust trägt. Und das finde ich sentimental, und ich lobe mir dafür meinen gefüllten Brustbeutel. Amen.“

„Und den Tierentwickler Darwin, den du in deinem Tornister trägst? Oder willst du etwa leugnen, dass du ihn mitgenommen hast? Die Geschmäcker sind eben verschieden, Herr Pillendreher. Und eine Schubertsche Ecossaise ist etwas anderes als gewärmter Froschlaich.“

So neckten sich die beiden. Sie waren immer sehr derb gegeneinander. Das kam, weil der eine die Schwester des andern liebte. Des Abends saßen sie und tranken. Keiner hatte gewusst, dass in Belgien so viel Rotwein war. Mit den Kameraden ihrer Kompagnie standen sie sehr gut. Einmal veranstalteten sie eine regelrechte kleine Kommentkneipe mit Gesang. An dieser nahmen sowohl ein paar Arbeiter wie auch zwei junge Leutnants teil. So vergingen einige Wochen. Endlich traf der langersehnte Landsturm zur Besetzung des Dorfes ein. Und unsere Freiwilligen rückten ab in die Front. Es gab niemanden, der nicht innerlich jubelte.

Wie waren sie alle gewachsen in den zwei Monaten, seit sie damals auf dem Kasernenhof in der Heimat antraten. Sie waren zwar auch jetzt noch keine Männer — nein, wenn sie marschierten und sangen, dann schwebte trotz des strammen Schrittes etwas Zartes, Elastisches, etwas Rührendes um ihre Reihen. Und dennoch — welch ein Unterschied! Damals wie Knaben von morgens bis abends gehütet — jetzt standen sie allein die Nacht hindurch auf Posten — Tod und Leben in der Hand.

Und je tiefer und je länger sie hineinkamen in diese Riesenmaschinerie des Krieges — desto einfacher wurde sie ihnen. Denn sie sahen nur immer ein winziges Stück von ihr — ein kleines Stück mit kleinen Schrecken. Und ihre harten Aufgaben ließen ihnen keine Zeit, über die Schrecken zu grübeln und zu greinen. So war ihre Laune immer froh und voll Erwartung. Manchmal so voll Erwartung, dass sie sich gottloserweise irgendetwas Schreckliches wünschten, nur damit überhaupt etwas passierte.

Natürlich schrieben sie oft nach Hause. Und auch die zu Hause merkten an den Briefen, wie die viere wuchsen. Sie erhielten auch viele Antworten aus der Heimat. Manche aber waren wie aus einer fremden Welt. So verschieden war das, was sie in ihrer Kompagnie, und das, was man im Kreisstädtchen daheim den Krieg nannte.

Acht Tage, nachdem sie in der Front lagen, machten sie ihre erste wichtige Nachtpatrouille. Es war eine Freiwilligenpatrouille von zehn Mann. Natürlich waren die vier unter denen, die sich meldeten.

Sie hatten zunächst einen Fluss zu durchschwimmen — einer nach dem andern. Die Nacht war dunkel. In dem kräftigen Oktoberwind verhallten ihre plätschernden Geräusche.

Dann krochen sie über einen losen Acker — dreihundert Meter weit. Da begann der Wald — und nun verteilten sie sich. Der Auftrag lautete, aus den Wipfeln der Bäume heraus den ganzen nächsten Tag alle Bewegungen des Feindes zu beobachten und in der nächsten Nacht auf dem Wege über Acker und Fluss zurückzukehren.