Der Tote vom Oberhaus - Dagmar Isabell Schmidbauer - E-Book

Der Tote vom Oberhaus E-Book

Dagmar Isabell Schmidbauer

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Beschreibung

Mord-Ermittlungen in der Veste Oberhaus: Im Fürstenkeller der Veste Oberhaus bricht ein Mann zusammen und verblutet hinter einer verschlossenen Tür. Er wurde mit einer mittelalterlichen Partisane erstochen. Doch nicht nur vom Täter fehlt jede Spur, auch in der Wohnung des Toten weist nichts auf dessen wahre Identität hin. Das Ermittler-Duo Steinbacher/Hollermann tappt zunächst im Dunkeln, bis nacheinander drei Frauen auftauchen, die mit dem Toten eine Beziehung geführt haben wollen. Für die Passauer Mordkommission, die Licht in das düstere Konstrukt bringen muss, das der Tote um sich herum aufgebaut hat, verlangt dieser Fall höchsten Einsatz und viel Kriminalistischen Spürsinn. Was sie entdeckt, ist eine schmierige Inszenierung, die vor nichts und niemandem Halt gemacht hat und die über den Tod hinaus weitere Opfer fordert.

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Seitenzahl: 499

Veröffentlichungsjahr: 2017

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Von Dagmar Isabell Schmidbauer

Der Tote vom Oberhaus

Kriminalroman

Imprint

Der Tote vom Oberhaus Dagmar Isabell Schmidbauer

published by: epubli GmbH, Berlinwww.epubli.de

Copyright: © 2012 Dagmar Isabell Schmidbauerwww.der-passau-krimi.deKonvertierung: Sabine Abels | www.e-book-erstellung.de

Prolog

Nach dem Tod der geliebten Großmutter hatte Sunny das kleine Häuschen am Anger kaum verändert. Es gab ihr das Gefühl von Geborgenheit und Liebe. Gefühle, die nur in ihrer Erinnerung existierten. Nach Jahren des Schmerzes symbolisierte die hölzerne Eingangstür mit ihrem blauen Farbanstrich, der an vielen Stellen bereits abblätterte, das Versprechen auf ein besseres Leben. Daran konnte nicht einmal die Feuchtigkeit, die von der Donau heraufstieg, um sich in allen Winkeln des Hauses auszubreiten und die verblichenen Tapeten von den Wänden zu lösen, etwas ändern. Sie hätte mehr aus dem Häuschen und seiner wunderbaren Lage, mit Blick direkt auf den Fluss und allem, was sich darauf bewegte, machen können. Aber für Sunny war es gut, so wie es war.

Ihr reichte der wackelige Küchenstuhl, auf dem sie saß, während sie mit den Händen zärtlich über ihren runden Bauch streichelte. Sie mochte es, wenn er sich soweit vorwölbte, und genoss es immer wieder, wenn die winzigen Fäustchen in ihrem Inneren sanft gegen die Bauchdecke drückten und die kleinen Füßchen strampelten, als könnten sie das Leben kaum erwarten. Beinahe schade, dass es schon bald vorbei sein sollte.

Während an diesem kalten Februartag im Garten der Schnee von einem eisigen Wind erfasst und durch die Luft gewirbelt wurde, sah sie sich in der aus Kindertagen vertrauten Küche um. Auf dem Tisch standen noch die Cornflakesschüsseln und die halb vollen Kakaobecher ihrer Kinder, an ihrer eigenen Tasse hatte sie bisher nur genippt. Die letzte Nacht sei die kälteste in diesem Jahr gewesen, hatte der Nachrichtensprecher am Morgen verkündet, und Sunny hatte sich gefragt, wie er das hatte wissen können. Schließlich war der Winter ja noch nicht vorbei, und man konnte den bevorstehenden Frühling wirklich nur erahnen. Dabei liebte Sunny nichts so sehr wie den Sommer und die Zeit, die sie mit ihren Buben im Garten verbringen konnte. Die Kinder spielten auf der alten verrosteten Schaukel oder in dem kleinen Sandkasten, in dem sie ständig alle möglichen Schätze fanden, während sie selbst zwischen Gemüse und Kräutern nach Unkraut suchte.

Über ihr Gesicht huschte ein zufriedenes Lächeln. Es gab nichts Wichtigeres in ihrem Leben. Das dachte sie jeden Abend, wenn sie im Kinderzimmer stand, die Kleinen im Schlaf betrachtete und den unschuldigen Geruch einer glücklichen Kindheit einatmete. Einer Kindheit, die sie nie erlebt hatte. Sunny hatte nicht viel zum Leben, aber ihr größter Reichtum war ohnehin das fröhliche Lachen, das schon am Morgen durch das kleine Häuschen schallte, und auch die vielen Fragen, die ihre Kinder an sie und das Leben stellten.

Sie bemühte sich, nicht an die Vergangenheit zu denken, und doch lag sie wie ein dunkler Schatten über ihrem Leben. Was passiert war, kam Sunny wie ein Film vor, der immer wieder zurückgespult und abgespielt wurde, und den sie einfach nicht löschen konnte.

Für einen Moment schloss sie die Augen. Ihre Wünsche waren so einfach, kitschig, rosarot. Nur hin und wieder erlaubte sie sich, an diesen Traum zu denken. Er war wie eine Droge: ohne Gestern, ohne Gewalt und ohne Schuld. Und während ihre Hände weiterhin beschützend auf ihrem Bauch lagen, begann Sunny zufrieden zu lächeln. Sie musste sich beruhigen – und das Kind. Sie musste ihm sagen, dass sie beide nichts dafür konnten.

Aber ihr fehlten die Worte, die ihr ungeborenes Kind glauben konnte. Ihr fehlten die Worte, die es am Ende verzeihen ließ.

Urplötzlich erstarb ihr Lächeln.

Die Wehen kamen jetzt alle drei Minuten.

Und sie taten weh. Sehr weh!

Doch letztlich war der Schmerz, der gerade so heftig ihren Bauch durchzuckte, nichts. Viel schlimmer waren das Gefühl der Hilflosigkeit und die Angst, ob sie es am Ende wirklich schaffen würde.

Dann, wenn es kein Zurück mehr gab.

Sunny begann, sich auf ihre Atmung zu konzentrieren. Sie hatte gelernt, richtig zu atmen, und sie wusste, dass es ihr helfen würde. Zumindest gegen den Schmerz, den sie gerade fühlte. Tief und immer tiefer einatmen. Den Bauch ganz groß aufblasen. Den Schmerz von ihrem Ungeborenen wegführen, um ihm zu zeigen, dass sie es ihm leicht machen wollte.

Doch gegen ihre Angst half das alles wenig.

Als die Wehen ihr eine kurze Pause gönnten, erhob sich Sunny schwerfällig von ihrem Stuhl. Sie hatte noch so viel zu erledigen, und doch war sie froh, dass es so schnell voranging. Bis die nächste Wehe kam, blieben ihr nicht mehr als zwei Minuten. Entschlossen schob sie den Stuhl an seinen Platz.

Dann musste sie sich eben beeilen.

Das Kind kamfrüher als erwartet. Aber was hatte sie denn überhaupt erwartet? Jeden Tag hatte sie gehofft und gebangt. Und jetzt sah es so aus, als ob sie es wirklich geschafft hatte. Aber sie durfte sich nicht zu früh freuen, das Schlimmste lag ja noch vor ihr. Wer wusste schon, was noch passieren würde, nach allem, was sie zugelassen hatte?

Immer wieder …

Mit schweren Schritten schleppte sie sich die Treppe hinauf ins Badezimmer. Im Flur lagen die Schlafanzüge der Kinder, Hausschuhe und Spielsachen.

Es war eine schwere Entscheidung, aber sie hatte keine andere Wahl.

Schwerfällig sammelte sie die Wäsche ein und schob die Schuhe zur Seite.

Als sie sich wieder aufrichtete, spürte sie, dass es ernst wurde. Sunny suchte Halt am Treppengeländer, das unter ihrem Gewicht leise knarzte. Nach vorn gebeugt begann sie einzuatmen. Tief und immer tiefer, bis es nicht mehr ging. Sie musste die Luft wieder aus ihren Lungen hinaus lassen und den Schmerz empfangen. Und wirklich, als sie ausatmete,

griff er augenblicklich und grob nach ihrem prallen Leib, als wollte er die Mitte ihres Körpers einfach in zwei Teile reißen. Mühsam unterdrückte sie einen Schrei. Zwar würde sie ohnehin niemand hören, aber Sunny verbot sich diese Schwäche.

Sie hatte noch nie geschrien. Egal, was passiert war.

Als alle Luft aus ihrem Körper gewichen war, begann sie, wieder tief einzuatmen, sog die Luft in ihre Lungen, bis in ihren Bauch, bis sie meinte, sie müsste zerplatzen. Sie hielt den Atem an, wollte den Moment hinauszögern. Sie dachte, sie hätte alles im Griff.

Und dann schrie sie doch auf. Vor Schreck, vor Scham und vor Angst. Sie war einfach nicht so stark, wie sie es sich wünschte.

Das Wasser, das plötzlich an ihren Beinen hinunterlief, zeigte ihr, dass die Zeit gekommen war. Sunny betrachtete die kleine Pfütze zu ihren Füßen, sie war hell und klar. Es gab überhaupt keinen Grund zur Sorge.

Wie in Trance riss sie ein paar Handtücher aus dem Regal und zog die nasse Unterhose aus. Dann kniete sie sich hin, und als die nächste Wehe kam, gab sie dem Druck einfach nach, öffnete sich und entließ mit ihrer ganzen Kraft ihr Kind ins Leben.

Als er schließlich vor ihr lag, blutverschmiert und rosig, lächelte sie matt und nahm den Kleinen in ihre Arme. Er war ein bisschen zerknautscht, und die Strapazen der Geburt hatten seinen Gesichtszügen zugesetzt. Trotzdem konnte sie jetzt schon erahnen, wie er später einmal aussehen würde.

Wochen später

Das Gefühl, dass ihm jemand folgte, hatte ihn zum ersten Mal ergriffen, als er den letzten steinernen Torbogen passiert hatte und in den Burghof der Veste Oberhaus schritt. Natürlich war das blanker Unsinn, warum sollte ihn ausgerechnet hier jemand verfolgen? Und wenn doch, dann hätte er es sicher nicht bemerkt, schließlich wuselten hier oben, auf dem Oberhausberg, Hunderte von Menschen herum. Es war Mitte Juni, und um diese Jahreszeit war die Stadt voller Touristen. Die meisten Besucher, die auf die Burg kamen und in die Welt der Fürstbischöfe eintauchten, wollten in die Vergangenheit reisen, dem Mythos Mittelalter und allem, was davor und danach kam, begegnen. Natürlich gab es auch einige, die einfach nur einen besonders schönen Blick auf die Stadt werfen wollten. Doch die meisten, ob bewusst oder unbewusst, wollten von den Vorfahren lernen, um es in der Gegenwart vielleicht ein bisschen besser zu machen.

Auch Xaver Mautzenbacher suchte nach der Vergangenheit, oder besser gesagt: Sie suchte ihn.

Typisch für ihn war allerdings, dass er nichts davon ahnte. Vielleicht wollte er aber auch gar nicht begreifen, was er falsch gemacht hatte und warum er dafür leiden würde.

Es war früher Montagnachmittag. Mautzenbacher hatte eine Verabredung. Es ging um eine Angelegenheit, für die ihm dieser Ort hoch über der Stadt Passau zwar geeignet, aber höchst ungewöhnlich schien. In der Regel lag es an ihm, den richtigen Treffpunkt auszuwählen, aber in diesem Fall hatte er nicht kleinlich sein wollen.

Es stand zu viel auf dem Spiel.

Während er über den mit Kies bedeckten Hof schritt, warf er einen raschen Blick auf seine Uhr. Es war erst kurz vor zwei. Bis zu seiner Verabredung um drei hatte er noch viel Zeit. Er würde sich in aller Ruhe umsehen können.

Doch als er die Tür zum Empfang öffnete, sah er im Spiegel des Glases ein bekanntes Gesicht und wusste endlich, warum er das Gefühl, verfolgt zu werden, die ganze Zeit über nicht hatte abschütteln können.

Er löste sein Eintrittsticket, erkundigte sich nach dem Weg zum Rittersaal und stieg dann die Treppe hinauf. Mautzenbacher hatte nicht vor, sich die ganze Ausstellung anzusehen, es genügte, wenn er in der Mitte begann. Im ersten Stock angekommen wandte er sich nach links und blieb vor einer Installation stehen, die wiedergab, wie Passau und sein regierender Fürstbischof infolge der Napoleonischen Kriege ihre Selbstständigkeit verloren hatten und fortan zu Bayern gehörten. Im Grunde interessierte ihn das alles nicht. Er war ein Mann, dem es auf andere Sachen ankam. Wissen bedeutete für ihn nicht, die geschichtlichen Zahlen einer Stadt zu kennen. Er wollte nur sicher sein, dass ihn sein Verfolger nicht aus den Augen verlor.

Nichts liebte Mautzenbacher so sehr wie das Spiel, welches er in diesem Moment zu spielen begann. Es begeisterte ihn, dass ihn jemand beschattete – nein: Es erregte ihn. Er genoss, dass er sowohl den Weg als auch das Ziel selbst bestimmte. Er war Herr der Lage, der Gejagte, der zum Jäger wurde. Er fühlte sich nie besser als in diesen Situationen. Und er freute sich schon jetzt auf den Augenblick, in dem sein Verfolger bemerkte, dass er zum Opfer geworden war. So betrachtet waren die Ausstellungsräume also Nebensache. Für Mautzenbacher ging es ausschließlich darum, seinen Verfolger, ohne dass dieser es merkte, hinter sich herzulocken und den geeignetsten Ort für sein Vorhaben zu finden.

Er schlenderte durch den Arkadengang hinein in den Raum mit dem Wohnturm und den Werkzeugen vergangener Zeiten, durch die Kältekammer, die für seine Zwecke leider nicht infrage kam, und durch alle möglichen bunten Aufbauten. Schließlich erreichte er schon den Burghof und hatte noch immer nicht gefunden, was er suchte. Doch dann, er sah das Gesicht

seines Verfolgers schon erhitzt um die Ecke schauen, entdeckte er die Glastür, die ihn in den Fürstenkeller führte.

Dort, wo niemand die Schreie hören würde.

Durch die vergitterten Fenster wurde der Raum nur spärlich ausgeleuchtet, und seine Augen mussten sich erst an das Zwielicht gewöhnen. Doch rasch erkannte er, welch gute Wahler getroffen hatte. Mit zwei schnellen Schritten verschwand er hinter der Tür, in voller Spannung auf den nächsten Moment. Nicht einmal sein Atem hatte sich beschleunigt. Er war ein Mann, der Überraschungen liebte. Natürlich nur, wenn er sie selbst bestimmte, wenn seinem Gegenüber der Schock in die Glieder fuhr.

Schreckensschreie liebte er über alles.

Zögernd, wie nur ängstliche Menschen gehen, wenn sie nicht wissen, was auf sie zukommt, kamen die Schritte näher und tasteten sich schließlich in den Raum hinein. Xaver Mautzenbacher erwartete jeden Moment ein schüchternes „Hallo? Ist da jemand?“.

Als sein Verfolger den Raumbetreten hatte, schloss Mautzenbacher leise die Tür und baute sich in voller Körpergröße vor dem einzigen Fluchtweg auf. Dann begrüßte er seinen Gast, und als er den unterdrückten Schrei vernahm, begann sein ganzer Körper vor Erregung zu kribbeln.

Er musste lächeln. Ach, war das schön, wenn man sich auf etwas freuen konnte!

Zufrieden beobachtete er das Zurückweichen seines Verfolgers, und mit Genugtuung setzte er sich Schritt für Schritt in Bewegung, vorwärts, direkt auf seinen verängstigen Gast zu. Jetzt. Jetzt war es gleich so weit.

Andächtig beugte sich Samantha Halmgaard über ihre fast fertige Skizze und erschrak, als die alte Uhr, die neben dem Fenster hing, zur vollen Stunde schlug. Sie hatte sich von ihren Ideen in andere Welten tragen lassen und dabei vollkommen die Zeit vergessen. Hastig schob sie die Papiere zusammen und legte sie in eine Arbeitsmappe. Dann streckte sie sich, schob den schweren Stuhl zurück und stand auf. Dabei fiel ihr Blick erneut auf die Mappe, und ein zufriedenes Lächeln huschte über ihr Gesicht. Es war der Entwurf für eine Installation zur Kaiserhochzeit von Leopold I. und Eleonore von Pfalz-Neuburg. Nachdem das Museum dieses Jahr an den großen Stadtbrand von 1662 erinnert hatte, wollte Samantha als Nächstes das zweite große Ereignis, das Passau berühmt gemacht hatte, in den Mittelpunkt der Dauerausstellung rücken.

Neues zu ersinnen und Visionen in die Tat umzusetzen, das war es, was ihren Beruf als Direktorin des Oberhausmuseums für sie so einzigartig machte. In ihrer Fantasie war alles möglich. Sie konnte Pläne schmieden, ohne zu fragen, ob sie sich später wirklich realisieren ließen. Damit musste sie sich erst herumschlagen, wenn es ums leidige Geld ging.

Wenn sie mitten in den Planungen steckte, war ihr alles andere lästig. Jeder Anruf, jede Störung. Und so war sie durchaus froh darüber, dass ein überraschender Besucher, der sich für die Mittagszeit angekündigt hatte, nicht gekommen war.

Natürlich sprach sie wie alle Künstler gern über ihre Arbeit, und im Grunde liebte sie Abwechslung und kleine Überraschungen. Aber sie hatte gelernt, Privatangelegenheiten außerhalb des Museums zu lassen. Da war sie sehr streng mit sich, und letztlich hatte sich das ausgezahlt.

Mit einem wohligen Stöhnen dehnte sie ihre verspannten Muskeln und gähnte herzhaft. Seit drei Jahren war sie hier die Museumsdirektorin, und seither hatte sie nicht nur ihren Kleidungsstil verändert. Als sie ihren Kopf in den Nacken legte, wanderte ihr Blick über die hohe Decke und an den Wänden ihres großzügigen Büros entlang. Es war ein wunderschöner Raum, alt und geschichtsträchtig, untergebracht im ehemaligen Gästehaus – was von Unkundigen oft mit einem Lächeln quittiert wurde. Von einem der Fenster aus konnte man über ganz Passau blicken. Genau so wie einst die regierenden Fürstbischöfe.

Die zierliche Frau fuhr zusammen. Sie sah zur alten Biedermeieruhr, und erkannte erschrocken, dass es bereits kurz vor halb fünf war. In Kürze schloss das Museum, und sie wollte unbedingt noch eine Runde durch die Ausstellungsräume drehen und sich bei dieser Gelegenheit den ausgeräumten Raum im Fürstenkeller ansehen. Sie hatte es versprochen und es dann beinahe vergessen, vor lauter Kaiser Leopold I. und seiner jungen Frau, Eleonore Magdalena Theresia.

Samantha Halmgaard lächelte. Sie hatte viel vor mit den beiden. Kaiserglanz stand hoch im Kurs bei den Besuchern, und wenn Passau schon etwas so Einzigartiges zu bieten hatte, was ja letztlich auch nur dem besonderen Vertrauensverhältnis zu Fürstbischof Sebastian von Pötting geschuldet war, dann durfte sie diesem Umstand ruhig in einer Ausstellung huldigen.

Nur unwillig löste sie sich von ihren Plänen, holte den Schlüssel aus der Schublade ihres Schreibtisches und verließ das Büro. Sie schenkte sich den ganzen Rundgang durch die Ausstellung und überquerte den Hof, um in den gegenüberliegenden Keller hinunterzusteigen. Im Vorbeigehen grüßte sie wie immer die Bruderschaft der Salzhändler, zog den Kopf ein, als sie die fünf Stufen hinunterging, wandte sich nach links und studierte kurz den Zettel, der an der Tür angebracht worden war und darauf hinwies, dass hier umgebaut wurde. Dann streckte sie die Hand aus, um die Tür zu öffnen – doch im selben Moment fiel ihr Blick auf den Spalt unter der Tür. Verärgert bückte sie sich. Verdammt, was war denn das wieder? Warum begriffen manche Leute nicht, dass es Dinge gab, die so alt waren, dass man sie einfach schützen musste!

Kriminalhauptkommissar Schneidlinger saß an seinem Schreibtisch und massierte sich mit zwei Fingern die Nasenwurzel. Das konzentrierte Lesen von Akten strengte ihn zunehmend an, und der Stapel vor ihm auf dem Schreibtisch verriet, dass Schneidlinger damit so schnell noch nicht fertig sein würde. Dabei konnte er sich noch nicht einmal bei jemandem beschweren. Josef Schneidlinger war der neue Chef im K1, zuständig für Kapitalverbrechen: Mord und Totschlag. Vier Wochen war es her, dass man ihn ins neue Amt eingeführt hatte, und doch war ihm das Bild vor dem Fenster seines Büros noch immer fremd.

Darum hatte er am frühen Nachmittag jeden, der nicht zwingend im Dezernat gebraucht wurde, nach Hause geschickt. „Zeit um Überstunden abzubauen!“, hatte er gesagt und auf seine ganz eigene Art gelächelt, denn das war natürlich nicht der wirkliche Grund.

Er brauchte endlich eine Gelegenheit, um sich einzugewöhnen. Er wollte wissen, wie die neuen Kollegen tickten, und er hatte keine Lust, mit jedem deswegen erst einmal einen trinken zu gehen!

In den ersten Tagen hatte man ihn herumgereicht, hatte von ihm wissen wollen, wie er seinen Job in der Mordkommission angehen wolle und, ja, man hatte ihn sogar gefragt, was ihm eigentlich die Ehre verschaffte, den alten Chef zu beerben. Natürlich waren diese Fragen durchaus berechtigt, zumindest aus Sicht der Kollegen. Denn Schneidlinger war in Passau ein unbeschriebenes Blatt, und alles, was man von ihm wusste, war, dass er verheiratet war, vier Kinder hatte und zurzeit wieder auf dem großen Bauernhof im Rottal lebte, auf dem er geboren worden war. Hinzu kam seine Leidenschaft für seinen Porsche Boxster, den er sommers wie winters fuhr.

In München hatte er sich den respektablen Ruf erarbeitet, ein harter Hund zu sein. Einer, der nicht nur seine Nase überall hineinsteckte, sondern, wenn es sein musste, auch tief graben konnte. Diese Eigenschaft und ein effektives Netzwerk wollte er jetzt einsetzen, um seine Position in Passau zu stärken, um zu beweisen, dass er die richtige Wahl für den freien Posten gewesen war.

Daher hatte er in den vergangenen Tagen, wann immer es seine Zeit erlaubte und er sich unbeobachtet fühlte, die alten Fälle gewälzt. Akten, die ihn Tag für Tag mehr gelangweilt hatten, bis er, vor zwei Stunden, auf den Fall der getöteten Sopranistin Sophia Weberknecht gestoßen war. Sofort hatte er erkannt, dass hier etwas nicht stimmte.

Sein Vorgänger, Kriminalhauptkommissar Berthold Brauser, hatte die junge Frau schon vor ihrem Tod gekannt und sich heimlich mit ihr getroffen. Natürlich stand das nicht so direkt in den Akten, und Brauser selbst war inzwischen in Pension und konnte zum derzeitigen Stand der Recherche nicht dazu befragt werden. Fest stand aber: Nachdem die junge Frau tot aufgefunden worden war, hatte Brauser den Fall an seine jungen Kollegen abgegeben.

Allerdings nicht, und das ging aus den Akten eindeutig hervor, aus Befangenheit, sondern weil er sich in Kombination mit dem zum damaligen Zeitpunkt ebenfalls ungeklärten Mord an Klaus Wallenstein überfordert gefühlt hatte.

Während Schneidlinger die Zusammenhänge erfasste, stellten sich ihm die Nackenhaare auf – ein sicheres Vorzeichen für eine neue Fährte. Solchen Märchen hatte er noch nie Glauben geschenkt. Dafür hatte er selbst schon zu viel erlebt, und als er weiterlas, huschte ein kaum wahrnehmbares sardonisches Lächeln über sein Gesicht. Das also war das Geheimnis, das die Kollegen mit sich herumtrugen!

Jetzt war er nicht mehr zu halten. Seite für Seite las er die Berichte und fand schließlich den Hinweis auf eine Tonaufnahme, in welcher der Dreifachmörder Joachim Herlau den Kollegen Brauser des Mordes an Sophia Weberknecht bezichtigte.

Schneidlinger lächelte zufrieden, um im nächsten Moment irritiert festzustellen, dass dieses Band auf geheimnisvolle Weise verschwunden und Joachim Herlau tot war, und seine Beschuldigung somit auch nicht mehr wiederholen konnte.

Energisch klappte der Hauptkommissar die Akten zu und schob sie auf seinem Schreibtisch zusammen. Schluss für heute, dachte er und schüttelte über sich selbst den Kopf.

„Man könnte meinen, du hast nichts Besseres zu tun“, lästerte er über seine eigene Beflissenheit und griff nach seinem Handy. Schon als er dem Freizeichen lauschte, entspannten sich seine Züge, und als er die vertraute Stimme hörte, breitete sich ein zufriedenes Lächeln auf seinem Gesicht aus.

„Hallo Paulina, hier ist Josef!“

Mit einem scheuen Blick in den Rückspiegel überprüfte Franziska Steinbacher ihr Gesicht. Ihre Wangen glühten, was nicht nur an der Hitze lag, die seit Tagen die Passauer Bevölkerung zum Schwitzen brachte. Seit dem Mittag fuhren ihre Gefühle Karussell, schürten in ihr gleichermaßen Zweifel und sinnliches Verlangen und ließen ihr Gesicht von einem geheimnisvollen Lächeln erstrahlen. Heute war sie zu allem bereit. Verträumt zupfte sie sich eine Strähne ihrer langen Haare aus dem Gesicht, um ungehindert ihre Lippen mit Lipgloss bemalen zu können, bis ihr auffiel, dass man sie von der Straße und den Häusern rundum sehen konnte. Hastig riss sie sich von ihrem Spiegelbild los und stieg aus. Sie war ohnehin ein bisschen spät dran, was heute aber nicht an ihrem Job bei der Passauer Mordkommission, sondern nur an einer einzigen Frage lag: Was ziehe ich an?

Normalerweise hatte es Franziska nicht nötig, sich mit solchen Problemchen zu beschäftigen, schließlich gehörte sie zu den beneidenswerten Frauen, die es sich leisten konnten, fast alles zu tragen. Am heutigen Tag jedoch war nichts normal. Denn letztlich ging es nicht nur um die Auswahl der richtigen Garderobe, sondern vor allem um die Frage: Wie ziehe ich es nachher möglichst eindrucksvoll wieder aus?

Mit schnellen Schritten lief sie die Treppe zur Künstlerwerkstatt des städtischen Theaters im Maierhof hinauf und drückte zaghaft auf die Klingel. Sie hatte sich für ein leichtes Sommerkleid entschieden, und obwohl es nur aus einem Hauch von Stoff bestand, begann sie zu schwitzen.

Als endlich jemand die Tür öffnete, war es ausgerechnet Carlos Rodriguez, der junge Tenor mit dem weichen Gesicht und den wunderbaren Locken, bei dem sie nie wusste, ob er mit ihr flirtete oder einfach nur nett war. Ihn zu treffen war auf jeden Fall ein Vergnügen, wobei sein anzügliches Lächeln weniger ihrer gemeinsamen Vergangenheit galt, als vielmehr dem Grund, warum sie heute hier war.

„Ist Walter da?“, fragte Franziska nach einem Räuspern und spürte, wie eine leichte Hitze ihr Gesicht überzog.

„Ja, er ist oben.“ Mit dem Kopf zeigte Carlos die hinter ihm liegende Treppe hinauf und ließ sie dann, ohne ein weiteres Wort zu verlieren, einfach stehen. Gleich darauf vernahm sie seine eindrucksvolle Stimme aus dem großen Malsaal, in dem die Ensembleproben stattfanden. Einen Moment blieb Franziska vor der Tür stehen und lauschte. Sie mochte ihn, würde seine Stimme unter tausend Sängern heraushören, aber in diesem Moment verzückte es sie nicht, ihn singen zu hören. Sie wollte Zeit schinden, denn sie war sich auf einmal nicht mehr sicher, ob sie das Richtige tat.

Als sie schließlich das obere Stockwerk betrat, schlug ihr stickige Luft entgegen, und ihre Schritte hallten leise von den weißen Wänden wider, an denen hier und da einige Regale mit Bühnenbildmodellen vergangener Aufführungen standen. Zu beiden Seiten gingen Türen zu kleineren Proberäumen für die Musiker ab.

Endlich hatte Franziska die Wohnungstür am Ende des Flurs erreicht und wollte gerade auf den Klingelknopf drücken, als Walter öffnete und sie mit einem breiten Lächeln begrüßte.

„Hallo Frau Kommissarin! Schön, dass du gekommen bist.“

Bei seinem Anblick biss sich Franziska auf die Lippen. Walter sah so gut aus! Groß, durchtrainiert, gut gebaut und braun gebrannt. Die vollen dunklen Haare, die schon vereinzelt von einem silbernen Grau durchzogen wurden, hatte er im Nacken zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden. Seine Haut glänzte feucht, ob vom Duschen oder der Hitze, wagte Franziska sich nicht auszumalen. Er trug bunte Boxershorts, sonst nichts. Kein T-Shirt, keine Schuhe. Einfach nichts.

„Entschuldige, ich hab mich verspätet“, entfuhr es Franziska aufgeregt, und gleich darauf ärgerte sie sich, weil sie nichts Originelleres gesagt hatte, wie zum Beispiel: „Du siehst aber lecker aus!“, oder „Ganz schön heiß in deiner Gegenwart.“

„Auf schöne Frauen warte ich gern auch ein bisschen länger“, wiegelte Walter lächelnd ab, trat aus der Wohnung und zog sie an sich, um sie auf beide Wangen zu küssen.

Franziska spürte die Wärme seiner Haut, die Geborgenheit seiner Umarmung und schloss die Augen. Sie schnupperte an seinem Hals, bis ihr vor lauter Aftershave ganz schwindelig wurde, und sie wusste: Diesem Mann würde sie heute nichts abschlagen können.

„Wollen wir?“

Ohne auf ihre Antwort zu warten, schloss er hinter sich die Wohnungstür und nahm Franziska an der Hand. Er führte sie vorbei an den Proberäumen und zwei Praktikanten, die gerade über die verschiedenen Möglichkeiten, ein Modell zu bauen, philosophierten, die Treppe hinunter und bis in den kleinen Malsaal, in dem, im Vergleich zum großen Pendant, noch handwerklich gearbeitet wurde.

Franziska fand weder Zeit zum Luftholen noch um zu fragen, warum er sie ausgerechnet hierher brachte. Als sie aus dem Nebenraum die Stimme von Carlos hörte, der seine Partie jetzt in Begleitung des Klaviers sang, war sie erleichtert, dass Walter die Tür hinter ihnen schloss. Nie würde sie sich an die Freizügigkeit des Theaters gewöhnen, und bestimmt sah man ihr das in diesem Moment mal wieder an.

Doch Walter zeigte sich unbeeindruckt, wies mit einem Kopfnicken auf ein Podest, das mitten im Raum stand, und lud Franziska mit einer schwungvollen Geste ein näherzutreten. Als sie auf das kleine Treppchen steigen wollte, schüttelte er allerdings den Kopf. Sein Lächeln war breiter geworden, und mit sanfter Stimme sagte er: „Erst ausziehen.“

„Was?“

„Alles.“

„Walter, bitte!“, flüsterte Franziska und sah schnell zur Tür. „Was ist, wenn jemand hereinkommt?“

„Was machst du dir nur wieder für Gedanken? Jeder weiß, dass du dich ausziehen wirst!“

Franziska wurde rot. Dass das jeder wusste, hätte er nicht unbedingt sagen müssen.

Im Rahmen ihrer Ermittlungen im Fall Sophia Weberknecht hatte Franziska den Bühnenkünstler des Städtischen Theaters im vergangenen Herbst kennengelernt. Tatsächlich hatte es eine Weile so ausgesehen, als sei Walter Froschhammer in diesem Mordfall der Hauptverdächtige. Doch während Franziska damit beschäftigt gewesen war, ihm seine Tat nachzuweisen, waren sie sich näher gekommen – allerdings nicht zu nah, denn die Oberkommissarin hatte die Bekanntschaft mit Walter immer als einen Teil ihrer Ermittlungen betrachtet. Als dann der wahre Täter gefasst und der Fall abgeschlossen wurde, hatte Walter ihr eine SMS geschickt und sie gebeten, sich von ihm malen zu lassen. Monatelang hatte Franziska gezögert, ihn hingehalten und vertröstet. Und Walter hatte nicht lockergelassen, bis sie endlich zugesagt hatte. Doch das war nicht der einzige Grund, warum sie heute hier war.

Viel zu schnell hatte Franziska sich in den Bühnenkünstler verliebt, und eigentlich wäre Walter auch der Richtige für sie gewesen, wenn, ja wenn er nicht diesen speziellen Ruf gehabt hätte. In Theaterkreisen tuschelte man, dass er jede Frau, die er malen wollte, zuvor verführte. In diesem delikaten Umstand begründet lägen das Mysterium seiner wunderbaren Bilder und das Schönheitsgeheimnis einer jeden Frau, die er auf der Leinwand festhielt. Natürlich hätte Franziska das Ganze für ein Gerücht halten können. Verwirrend daran war nur, dass Walter sich nie davon distanzierte, nie das Gegenteil behauptet hatte.

Mit diesen Gedanken im Kopf öffnete Franziska der Reihe nach die Knöpfe ihres Sommerkleides, streifte die Träger über die Schultern und ließ den Stoff an ihrem Körper entlang zu Boden gleiten. Sie spürte seinen Blick auf ihrer Haut und sah auf.

„Weiter.“ Er schien völlig unbeeindruckt.

Franziska löste den Verschluss ihres Büstenhalters und streifte die Träger über die Schultern, um ihn dann, versucht gleichgültig, neben ihr Kleid fallen zu lassen. Während sie noch zögerte, trat Walter auf sie zu und schob ihr den Slip über die Hüften.

Als er sich wieder aufgerichtet hatte, ließ er seinen Blick prüfend von oben nach unten und wieder zurück wandern.

„Weißt du eigentlich, wie schön du bist?“, fragte er und hob mit einer zarten Geste ihr Kinn in die Höhe, sodass sie ihn ansehen musste. Seine Augen fixierten die ihren, und Franziska wollte nur noch darin versinken, wollte vergessen, dass jeden Moment einer der Sänger hereinkommen konnte.

So standen sie dicht beieinander, die Sekunden zogen sich in die Länge, aber nichts geschah. Franziska wünschte sich, er würde endlich seinem Ruf gerecht werden, sie umarmen und küssen und was auch immer mit ihr tun, doch er sah sie nur an, mit diesem Blick, dem sie nichts entgegenzusetzen hatte. Wie ein hungriger Löwe, der beschlossen hatte, künftig als Vegetarier zu leben.

Mühsam versuchte sie, sich zu beruhigen, nahm ihren Blick von dem Mann, den sie so sehr begehrte, und ließ ihn stattdessen durch den Raum schweifen. Sie registrierte den großen Tisch, auf dem neben unzähligen Malutensilien Skizzenbücher lagen. Unter Tüchern entdeckte sie einen Stuhl, in der Ecke einen Kleiderständer und an der Wand unter dem Fenster eine Werkbank mit allerlei Gerätschaften darauf. Daneben lehnten Bilder in unterschiedlichen Entwicklungsstadien und Größen, und in einem Regal lagerten Papiere, Pappe, Dosen und Schachteln. Am auffälligsten aber waren die großen Holzplatten, die im hinteren Teil der Werkstatt darauf warteten, bearbeitet zu werden.

Während sie sich noch überlegte, was er wohl daraus bauen wollte, umfasste Walter auf einmal ihre Taille und hob sie wie eine Schaufensterpuppe auf das Podest.

„Entspann dich, du siehst wirklich ganz bezaubernd aus“, schnurrte er und ließ seine Hände auf ihrer Hüfte ruhen. Franziska stand ganz still, versuchte zu nicken, doch ihre Gedanken überschlugen sich, und ihr sonst so vernünftig denkendes Gehirn versagte seinen Dienst.

„Mit deinen Armen müssen wir allerdings noch etwas machen.“

Franziska sah ihn an und musste lachen. Die ganze Situation war einfach zu verrückt! Da stand sie nun, nackt und erregt vor einem Mann, der vorgab, sie zu begehren, und über dessen Verführungskünste die halbe Stadt sprach, und alles, was ihm wichtig schien, waren ihre Arme! Walter deutete ihr Lachen falsch.

„Du brauchst keine Angst zu haben. Es kommt bestimmt niemand rein. Die sind doch alle mit ihrer Probe beschäftigt.“

Beim letzten Satz war seine Stimme zu einem sanften Flüstern geworden, das ihr wie ein sommerlicher Regenschauer über den nackten Körper lief.

Franziska nickte, genoss seine Worte, die langsam über ihre Haut perlten, und fühlte sich sehr sexy, als Walter seine Hände in einer sanften Bewegung so weit nach oben schob, dass sie ganz automatisch ihre Arme hob und eine weitere Welle der Erregung Franziskas Körper überflutete.

Sie schloss die Augen. Gleich würde er sie küssen. Ihre Lippen bebten in heißem Verlangen. Sie konnte sich nicht rühren, war betört von seinem Duft, dieser berauschenden Komposition aus männlichem Aftershave und seinem eigenen Körpergeruch. Sie wusste, dass er ganz nah vor ihr stand, konnte seinen Atem spüren. Sie beugte sich ein wenig vor und verging dabei fast vor Sehnsucht.

Als sie die Augen schließlich öffnete, sah er sie zufrieden an. „Das ist perfekt, bleib so, wie du bist.“

Er drehte sich von ihr weg und ging zu einem Stuhl, auf dem ein Stapel zusammengefalteter Tücher lag.

„Ich hab noch was für dich“, rief Walter, und als er zurückkam, hielt er ein großes, helles Seidentuch in der Hand und lächelte geheimnisvoll. „Sonst fühlst du dich vielleicht ein bisschen nackt …“

„Oh, ich fühle mich großartig!“, log Franziska und versuchte, wieder Herrin der Lage zu werden.

„Dann lass auch schön die Arme oben“, forderte er, und sie gehorchte.

„Ich habe heute etwas ganz Besonderes mit dir vor. Eine neue Kunstrichtung sozusagen. Es wird dir gefallen!“

„Okay“, antwortete Franziska zögerlich, und für einen Moment beschlich sie der Verdacht, es ginge ihm wirklich nur um Kunst. Doch dann wanderten seine Hände mit dem Tuch über ihren nackten Körper und brachten mit seinen Berührungen ihre Haut erneut zum Brennen. Während er den Stoff in Falten legte und mit einer Spange an der Schulter zusammenhielt, stöhnte sie leise auf und biss sich gleich darauf auf die Lippen, bis sie zu kichern begann. Sie wusste selbst nicht warum, aber auf einmal fand sie alles überhaupt nicht mehr peinlich, sondern einfach nur schön und erregend. Wenn es nach ihr gegangen wäre, hätte er nie wieder von ihr lassen dürfen.

Entsprechend enttäuscht war sie, als er sie plötzlich stehen ließ und zu seinem Arbeitstisch ging, um einen dicken Pinsel, ein Glas mit Wasser und eine Farbpalette zu holen.

Ohne ein Wort zu verlieren, stellte er das Wasser auf einen kleinen Tisch, der neben ihrem Podest stand, tunkte den Pinsel hinein und blickte auf die Farben, als gäbe es in diesem Augenblick nichts Wichtigeres zu entscheiden.

Dann sah er sie an und murmelte: „Rot. Rot wie die Liebe.“ Mit dem Pinsel nahm er Farbe auf, hob die rechte Hand und hielt einen Moment inne, bevor er sehr konzentriert begann, den Seidenstoff direkt über ihren Brustwarzen damit zu betupfen. Überrascht von der Kälte der Farbe wich Franziska ein wenig zurück, musste lachen und nahm dabei die Arme etwas herunter.

Mit einem unschuldigen Blick fragte Walter: „Warum lachst du?“

Franziska zuckte mit den Schultern, sie wusste es selbst nicht, konnte aber auch nicht aufhören. Die ganze Situation war so unwirklich. So ganz anders, als sie es erwartet hatte.

„Du musst schon stillhalten, sonst wird das nichts“, ermahnte er sie streng.

„Ja“, seufzte sie und richtete sich erneut auf. Aber auf ihrem Gesicht lag jetzt ein laszives Lächeln. Sie hatte sein verräterisches Grinsen gesehen, nur ganz kurz, aber es reichte, um seine Masche zu durchschauen.

Als Walter beim nächsten Mal den Pinsel hob, klebte ein sattes Orange an den Borsten. Damit zeichnete er die Erhebung ihrer Brüste, die Konturen der Taille und den Venushügel nach.

Von Bodypainting hatte Franziska schon gehört. Dass man ein Seidentuch direkt auf dem Körper seines Models bemalte, war ihr jedoch nicht geläufig gewesen.

„Ich hatte mir das heute irgendwie anders vorgestellt“, gestand sie kleinlaut, vielleicht, um einfach etwas zu sagen.

„So? Wie denn?“

„Na ja, ich dachte mehr an Papier oder eine Leinwand.“

„Würde dich das anmachen?“

Bei dieser Frage sah Walter sie an, doch keine Regung verriet seine Gedanken.

Franziska schüttelte fast unmerklich den Kopf. „Nein. Aber du scheinst ja auch nicht erregt zu sein.“

Das war jetzt wieder ein typischer Franziskaspruch! Immer, wenn es am schönsten war, musste sie so etwas sagen. Trotzdem war sie gespannt, wie er darauf reagieren würde.

„Woher willst du das wissen?“, fragte er lässig, aber das Grinsen, das in diesem Moment über sein Gesicht huschte, verriet ihn. Franziska konnte nicht antworten. Noch nie hatte ein Mann mit einem einzigen Blick ihren ganzen Körper so in Aufruhr versetzt.

„Na, siehst du! Und jetzt lass schön die Arme oben und sei ein braves Mädchen.“

Doch sie wollte kein braves Mädchen sein und sie wollte schon gar nicht länger die Arme über dem Kopf halten, sie wollte …

„Fertig!“ Walter legte Palette und Pinsel zur Seite und stieg zu ihr auf das Podest. Dann nahm er ihre Arme, die langsam taub wurden, und bettete sie auf seine Schultern. „Das muss jetzt noch ein bisschen trocknen, aber gleich hast du es geschafft.“ Er lächelte, beugte sich nach vorn und streifte mit seinen Lippen ihren Mund. Einmal, zweimal.

Jetzt hielt es Franziska nicht mehr aus. Stürmisch schlang sie ihre Arme um seinen Nacken, Farbe hin oder her, und zog ihn an sich. Sie wollte sich nicht länger mit diesem flüchtigen Darüberhuschen, diesem lustvollen Knabbern zufriedengeben! Es war so schön mit ihm. Nie wieder wollte sie etwas anderes, als ihn zu riechen, zu schmecken und seine Haut auf ihrer zu fühlen. Endlich ließ sie sich fallen, in ein Spiel, das nur aus Lust und Nacktheit, aus Begehren und dem Wunsch bestand, es möge niemals zu Ende gehen.

Doch schon beim ersten Klingelton wusste sie, dass es vorbei war. Für besondere Anrufer hatte sie besondere Anrufsignale, und dieses hier gehörte eindeutig zu ihrem Kollegen Hannes Hollermann.

Auch Walter ahnte, dass das Liebesspiel urplötzlich ein unerwartetes Ende fand, und ließ Franziska los, um ihre Tasche zu holen und sie ihr zu reichen. Wenn Walter sie auch noch nie so nah gespürt hatte wie an diesem Abend, so kannte er sie doch lange genug, um zu wissen, dass jetzt nicht der Moment für Verhandlungen war.

„Was gibt’s?“, fragte Franziska in ihr Handy, und ihrer Stimme haftete noch immer etwas von dem vorangegangenen Zauber an.

„Wir haben einen Toten im Oberhaus“, erklärte Hannes nüchtern. „Kommst du?“

Franziska zögerte. Was, wenn sie nicht kommen würde? Was, wenn sie einfach hier bliebe und mit Walter weitermachte? Wenn sie einfach so tat, als gäbe es kein Oberhaus, keinen Toten, keine Polizei, keine Kollegen – keine anderen?

„Ähm …“

„Wo bist du?“, fragte Hannes, weil es bei Franziska eigentlich nie ein Zögern gab.

„Wo ich bin?“ Franziska schaute sich suchend um. Wo sie war, wollte sie Hannes nicht sagen. Das ging einfach nicht.

„In einer Ausstellung“, soufflierte Walter leise.

„In einer Ausstellung“, erklärte Franziska.

„Und wo?“

„Wo?“, wiederholte Franziska verzweifelt, weil ihr Gehirn offensichtlich noch immer von zu vielen Hormonen am korrekten Arbeiten gehindert wurde.

„Auf dem Mond“, kam es diesmal von Walter.

„Auf dem Mo … Moderne Kunst. Museum für Moderne Kunst“, stotterte Franziska, verdrehte die Augen und war doch froh, dass sie noch einmal die Kurve bekommen hatte. Walter grinste und löste vorsichtig die Spange an ihrer Schulter, um sie von dem feuchten Seidentuch zu befreien.

„Na, dann hast du es ja nicht weit. Bis gleich also!“

Hannes hatte aufgelegt.

„Was sollte denn das eben mit dem Mond?“, fragte sie und schaute an sich hinunter.

„Du schienst mir so weit weg, als wärst du auf dem Mond. Das ist alles.“

Ja, dachte Franziska, aber dieser Moment musste Lichtjahre her sein. Walter brachte ihr ein Handtuch und begann, sie damit von den Farbresten zu säubern.

Doch Franziska wandte sich ab. „Ich hab keine Zeit mehr, sonst fällt es auf.“ Während sie hastig Slip, Büstenhalter und Kleid anzog, versuchte Walter immer wieder, den einen oder

anderen Fleck zu erwischen. Schließlich gab er auf, stellte sich vor sie hin und zog sie ohne zu fragen in seine Arme, und bevor sie protestieren konnte, küsste er sie mit einer solchen Leidenschaft, dass ihre Knie so weich wurden wie Butter in der Sonne. Genauso plötzlich ließ er sie wieder los, reichte ihr die Tasche und drehte sie in Richtung Tür. Dann gab er ihr einen kleinen Schubs, als wollte er nicht, dass sie sich noch einmal umsah.

„So, und jetzt erledigst du brav deinen Job, und wenn du fertig bist, machen wir genau hier weiter!“

Als Franziska auf der Straße stand und in ihrer Tasche nach dem Autoschlüssel kramte, war sie aufgewühlt von Walters Berührungen, verärgert über die Störung durch den Anruf, aber auch neugierig auf den neuen Fall.

Jahrelang hatte sie geglaubt, berufliches Fortkommen und der Mann fürs Leben ließen sich einfach nicht miteinander vereinbaren. Doch dann war der Bühnenbildner in ihr Leben getreten, hatte sie umworben und nicht mehr locker gelassen, bis sie endlich einem Treffen zugestimmt hatte.

Per SMS hatte er ihr damals eine gute Nacht gewünscht und dann mit seiner Schilderung aller möglichen Liebesszenen dafür gesorgt, dass sie nicht einschlafen konnte. Er hatte sich nach ihrem Beruf erkundigt, um lakonisch festzustellen, dass sie viel zu schade für diesen Job war und doch endlich seine Muse werden sollte. Als mögliche Treffpunkte hatte er die verrücktesten Orte vorgeschlagen, und wenn sie dann absagen musste, hatte er geseufzt und gemeint, er würde, wenn das so weiter ginge, noch impotent werden. Franziska hatte diese Zeit genossen und langsam eingesehen, dass sie für ihn keine schnelle Eroberung war, sondern eine Frau, für die er sich etwas einfallen ließ. Schließlich hatte sie ihr Herz in die Hände genommen und sich weich und voller Hormone auf das Abenteuer Walter Froschhammer eingelassen.

Und dann musste, ausgerechnet im allerschönsten Moment, dieses verdammte Handy klingeln. Als ob man ihr diesen Abend nicht gönnen wollte. Als ob das alles, verdammt noch mal, nicht warten konnte!

Aber natürlich konnte sie sich nicht drücken. Sie liebte ihren Job und sie musste sich beeilen, denn Hannes dachte ja, sie sei im Museum für Moderne Kunst. Von der Veste Oberhaus, die weit über der Stadt Passau emporragte, war das Museum praktisch einsehbar, und dieser Umstand sorgte dafür, dass Franziska noch einen Zahn zulegte. Versuchte sie selbst auch das Gerede der Leute zu ignorieren, so wollte sie auf gar keinen Fall, dass Hannes erfuhr, wo sie bei seinem Anruf gewesen war. Er war mehr als nur ihr Kollege. Aber das mit Walter war privat, und Privates ging Hannes nun mal nichts an, beschloss sie, während sie auf der Angerstraße an der Donau entlang fuhr. Zum Glück hatte sich der Berufsverkehr bereits beruhigt, und so kam sie relativ schnell voran, bog nach dem Tunnel zweimal links, dann scharf rechts in die Ferdinand-Wagner-Straße ein und gelangte über die Versorgungsstraße auf den Burghof, wo sie hinter dem Fahrzeug der Kriminaltechnik parkte. Der Porsche vom Chef war noch nirgends zu sehen.

Erst als sie über den Burghof ging, erkannte sie, dass sie, nach allem, was sie für diesen Abend geplant hatte, nicht für die Begehung eines Tatortes angezogen war. Das musste auch der Streifenbeamte am Eingangstor bemerkt haben, denn er musterte sie ungeniert und schenkte ihr dann ein süffisantes Lächeln.

„Durch das nächste Tor in den inneren Burghof und dann am Brunnen vorbei. Dort wartet Ihr Kollege Obermüller.“

Franziska nickte und ging in die Richtung, in die sein Finger zeigte. Im Burghof parkten ein weiteres Fahrzeug der Kriminaltechnik und ein Rettungswagen. Als sie durch die Fensterscheibe ins Fahrzeuginnere des Kriminaltechnikwagens blickte, erkannte sie an ihrem Spiegelbild, dass ihr Kleid nicht richtig geschlossen war.

„Tut mir leid, aber Sie können nicht …“ Obermüller tat, als habe er sie nicht gleich erkannt, und grinste anzüglich. „Wird in deinem Kleid vielleicht ein bisschen kalt da unten“, gab er schließlich zu bedenken und reichte Franziska die Hand.

„Danke für den Tipp!“ Franziska versuchte es mit einem Lächeln. „Wo liegt er?“

„Komm mit, ich zeig‘s dir.“Mit schnellen Schritten stürmte Obermüller die Stufen hinunter, und Franziska hatte Mühe, ihm zu folgen.

„Franziska ist da“, rief Obermüller übertrieben geschäftig, woraufhin Hannes im Türrahmen erschien und sie abschätzend betrachtete.

„Du hast da was“, sagte der statt einer Begrüßung trocken und wischte mit dem Finger über einen Punkt unterhalb ihres Schlüsselbeines.

Franziska versuchte seinem Blick zu folgen.

„Farbe“, entschied Hannes, nachdem er seinen Finger inspiziert hatte. „Hast du nicht gesagt, du warst bei einer Ausstellung?“

„Ja. War ich auch.“

„Komisch. Ich dachte immer, bei einer Ausstellung sind die Bilder bereits fertig.“ Der junge Kommissar machte ein nachdenkliches Gesicht.

„Nicht immer“, wich Franziska aus und versuchte es mit einem gewinnenden Lächeln. „Bist du schon lange hier?“

„Seit einer dreiviertel Stunde.“

„Aha. Dann kannst du mir doch bestimmt schon etwas über den Toten sagen?“ „Ähm, ja.“ Hannes schaute ein letztes Mal irritiert auf ihr Schlüsselbein und wandte sich dann abrupt ab, um mit einem großen Schritt über die Blutlache zu steigen, die sich von der Mitte des Raums bis zum Türrahmen gebildet hatte. Franziska betrachtete den bereits geronnenen, dunkel verfärbten Fleck, der sich auf dem Eichenholzparkett gebildet hatte, und tat es Hannes gleich.

An einer Wand des Raums stand ein Gerüst für die bereits anskizzierten Malerarbeiten, auf dem Boden lagen einige verpackte Gegenstände, die Franziska nicht gleich erkannte. Das kann warten, dachte sie, denn erst wollte sie die Kollegen begrüßen und Näheres von ihnen erfahren. Sie schickte eine Begrüßung in den Raum und drehte sich dann zu Hannes um, der vor dem Toten stehen geblieben war.

„Der Mann heißt Xaver Mautzenbacher und ist zweiundvierzig Jahre alt. Als er gefunden wurde, hatte er seinen Ausweis, eine Kreditkarte, zwanzigtausend Euro Bargeld sowie eine Rolex und einen Schlüsselbund bei sich“, begann Hannes die wichtigsten Fakten aufzuzählen, während Franziska erstmals in das bleiche Gesicht des toten Mannes blickte.

Seine Augen waren geschlossen, der Mund dagegen geöffnet, wie bei jemandem, der auf einer langen Busfahrt eingeschlafen ist. Die Haut schien bereits ein wenig wächsern. Er lag in einer Embryo ähnlichen Stellung ein Stück von der Wand entfernt, wobei die Blutspur zeigte, dass er nicht von Anfang an dort gelegen haben konnte. Neben ihm auf dem Boden lag ein zur Hose passendes dunkles Jackett. Der Tote trug ein Hemd, das einmal weiß gewesen war, eine Krawatte und schwarze Schuhe. Das Hemd war blutgetränkt und so weit aufgerissen, dass Franziska die klaffende Wunde am Bauch mühelos sehen konnte.

„Er muss halb sitzend hinter der Tür gekauert haben“, erklärte Hannes die Position und Lage der Leiche und fing Franziskas fragenden Blick auf. „Die Kollegen mussten ihn zur Seite schieben, um die Tür zu öffnen. Anni hat auch schon eine Theorie.“

Als Annemarie Michl, die Chefin der Kriminaltechnik, ihren Namen hörte, sah sie vom Boden auf, und als sie Franziska erkannte, ließ sie von ihren Fundstücken ab, erhob sich und kam auf sie zu.

„Den Blutspuren zufolge muss er sich an der Tür angelehnt haben, daraus schließe ich, dass er ursprünglich davor saß.“ Franziska fixierte die Blutlache, über die sie beim Eintreten gestiegen war, anschließend den Toten. So wie er jetzt dalag, hätte sie sich nie bilden können.

„Hast du schon eine Vorstellung davon, wie es passiert ist?“, fragte sie die Kollegin und sah sich weiter im Raum um.

„Mit dieser Prunkpartisane.“ Annemarie ging zurück zu der Stelle, an der sie gerade gearbeitet hatte, bückte sich und hob eine in Plastikfolie gewickelte altertümliche Waffe in die Höhe. „Hier!“ Sie reichte Franziska eine Lanze, die diese an der langen dunklen Holzstange, an der eine Blattklinge befestigt war, ergriff. „Er muss sie sich aus dem Bauch gerissen haben und ist dann auf allen Vieren zur Tür gekrochen, konnte sie aber nicht öffnen.“

Franziska betrachtete die Waffe näher und blickte dann fragend Annemarie an.

„Wie sagtest du, heißt das Ding?“

„Prunkpartisane. Stammt aus dem Jahre 1689. Im Mittelalter nannte man die Dinger auch Stoßlanze, und als solche muss sie der Täter auch verwendet haben. Geführt wurden sie von der Leibgarde des Fürstbischofs.“

Die Kommissarin nickte anerkennend. „Was du alles weißt, Anni!“

„Da drüben hängt noch eine alte Tafel mit einer Abbildung der Partisane und einer Beschreibung“, gab Annemarie unumwunden zu. Mit der Waffe in der Hand beugte sich Franziska über den Toten. Sein Gesicht war entspannt, und wenn sie nicht besser über diesen Umstand Bescheid gewusst hätte, hätte sie gedacht, er habe im Sterben noch genug Zeit gefunden, um einen letzten zufriedenen Blick auf sein Leben zu werfen.

Als sie wieder aufsah, stand der Notarzt neben ihr. Er hatte seinen Koffer gepackt, seine Arbeit war getan.

„Ah, Dr. Buchner. Sagen sie, woran ist der Mann Ihrer Meinung nach gestorben?“ Konzentriert fokussierte sie den Mediziner. Buchner war ein routinierter Notarzt, der schon viel gesehen und erlebt hatte. Manches hatte Spuren in seinem gütigen Gesicht hinterlassen. Ihr gefiel seine bedachtsame, freundliche Art, die er niemals ablegte, auch dann nicht, wenn es richtig schlimm wurde. Die Kommissarin vertraute ihm und seinem Urteil vollkommen.

„Ich denke, er ist verblutet. Zumindest sieht es danach aus. Aber Näheres können …“

„… die Kollegen in der Rechtsmedizin in München besser beurteilen. Ich weiß.“ Franziska nickte. „Trotzdem wüsste ich gern, was Sie darüber denken. Sie wissen doch, ich schätze Ihre Meinung.“ Sie schenkte ihm ein aufforderndes Lächeln und fügte verschwörerisch hinzu: „Bis die in München fertig sind …“ Sie beendete den Satz absichtlich nicht. Mit Erfolg: Geschmeichelt erwiderte Buchner ihr Lächeln und setzte zu einer Erklärung an.

„Ich würde Folgendes vermuten: Die Blattspitze ist oberhalb des Nabels in den Bauch eingedrungen und hat spätestens beim Herausziehen die Aorta aufgerissen.“

„Was soll das heißen, die Lanze ist in den Bauch eingedrungen? War es vielleicht Suizid?“

In Franziskas Stimme lag die Hoffnung auf ein schnelles Ende der Ermittlungen.

„Also, das will ich jetzt wirklich nicht entscheiden“, druckste er herum und sah Hilfe suchend zu Annemarie.

„Zumindest weist nichts auf einen Kampf hin. Die Unordnung hier scheint von den bevorstehenden Umbaumaßnahmen zu kommen. So wie der Staub, in dem sich zahlreiche Fußabdrücke verewigt haben.“ Annemarie kratzte sich müde am Kopf und stöhnte. „Nichts Eindeutiges, und vor morgen läuft da gar nichts.“

„Na, das ist doch prima“, fiel Franziska ein. „Dann können wir alle so schnell wie möglich wieder nach Hause auf unser gemütliches Sofa.“

„Ich dachte, du warst in einer Ausstellung?“, wunderte sich Hannes.

„Äh, ja, das sagt man doch so, oder?“, Franziska war genervt. Sie wollte nichts weiter als einen freien Abend für alle herausschlagen.

„Wie auch immer, vergiss deinen freien Abend!“ Annemaries Stimme duldete keinen Widerspruch.

Ohne auf Hannes und Franziska zu achten, beugte sie sich über eine Asservatenkiste und holte ein in Folie gewickeltes Handy heraus. „Sein Telefon lag direkt neben ihm, und die letzte gespeicherte Nummer ist die 110. Das war übrigens um 14 Uhr 33.“

„Er könnte es sich anders überlegt haben und wollte Hilfe holen“, spekulierte Franziska, bis ihr langsam dämmerte, dass etwas nicht stimmte. „Um 14 Uhr 33, sagst du. Und warum sind wir erst jetzt hier?“

„Er hatte keinen Empfang.“ Annemarie zeigte mit dem Kopf zur Wand. „Wir sind im Keller.“

„Trotzdem, das spricht noch nicht für einen Mord“, beharrte Franziska. Sie beugte sich über die Körpermitte des Toten, um sich dessen Bauchwunde genauer ansehen zu können. „Was ist mit dem Gürtel? War der schon offen, oder habt ihr ihn geöffnet?“

Annemarie zuckte die Schultern und schaute Buchner an, der nach der Streife als Erster am Tatort angekommen war. Er nickte. „Das Hemd musste ich aufreißen. Der Gürtel dagegen war offen“, sagte er, ohne darüber zu spekulieren, welchen Sinn das machen könnte.

Franziska stöhnte resigniert und hielt die eingepackte Partisane dicht vor die klaffende Wunde. Sie versuchte sich vorzustellen, wie sie in den Bauch des Toten eingedrungen war, und bat Mona, die Szene mit der Kamera festzuhalten.

„Möchtest du mit drauf sein?“, fragte Mona und hob die Kamera weit über ihren Kopf. Mithilfe des drehbaren Displays richtete sie das Objektiv aus.

„Nein, natürlich nicht“, antwortete Franziska verwundert und sah die Kriminaltechnikerin, die gut einen Kopf kleiner als sie war, streng an.

„Gut, du hast da nämlich was.“Mona lächelte verschmitzt und deutete auf die Stelle unterhalb von Franziskas Schlüsselbein, die Hannes schon zuvor bemerkt hatte.

Als Mona mit dem Fotografieren fertig war, sah Franziska in die Runde und fragte erneut: „Also, was ist jetzt? Mord oder Suizid?“

Als niemand reagierte, mutmaßte sie weiter und merkte gar nicht, dass sie sich dabei immer weiter vom gewünschten Resultat entfernte. „Wenn ich mich töten will, indem ich mir diese Blattklinge in den Bauch stoße, dann muss ich die Holzstange ganz nah an der Metallklinge greifen.“ Sie zeigte mit leeren Händen, was sie meinte. „Und sie mir dann mit voller Wucht durch das Hemd in den Bauch stoßen.“ Sie hielt kurz inne, weil das passende Bild vor ihrem inneren Auge nicht entstehen wollte. „Wir wissen, dass Suizidenten oft davor zurückschrecken, die eigene Kleidung zu ruinieren. Warum aber öffnete er die Hose und nicht das Hemd?“

Sie sah sich um, doch keiner hatte eine Erklärung dafür.

„Und ich frage mich, wie du das machen willst. Die Holzstange ist fast zwei Meter lang und so schwer, dass du die Waffe kaum waagrecht halten kannst.“ Annemarie grinste sie frech an.

Franziska warf einen Blick auf die Statur des Toten und meinte lapidar: „Er hatte sicher mehr Kraft als ich.“

„Vielleicht hat er sie zwischen Boden und Wand geklemmt und sich dann hineingestürzt“, versuchte Hannes, eine Erklärung zu liefern. Man spürte aber, dass ihm bei dieser Überlegung nicht wohl war.

„Ja, das könnte sein“, nickte Franziska. „Aber, ob ein Mensch so kaltblütig sein kann?“

„Letztendlich wird uns diese Frage die Rechtsmedizin beantworten müssen. Nur die können anhand des Winkels sagen, ob die Spitze von unten oder von vorn eingedrungen ist. Wobei“, Anni wog die Tatwaffe erneut abschätzend in der Hand und sah sie prüfend an, „wenn er sich hineingestürzt hätte, dann müsste sich viel mehr Blut am Schaft befinden. Und“, sie zögerte, bevor sie ihre Einsicht kundtat, „wäre er dann mit der Waffe im Bauch bis zur Mitte des Raumes gegangen, hätte sie sich dort herausgerissen, auf den Boden geworfen, wäre zusammengebrochen und schließlich auf allen Vieren bis zur Tür gekrochen, nur um festzustellen, dass die verschlossen war?“

Es lag nicht unbedingt an der Schilderung, die allen den Atem verschlug. Vielmehr war es die Tatsache, dass die Tür verschlossen war. Von außen verschlossen.

Vom Täter verschlossen?

„Warum sagst du das nicht gleich?“, fragte Franziska nicht unfreundlich.

Entschuldigend hob Annemarie die Hände.

„Abwehrspuren gibt es jedenfalls nicht“, ergänzte Dr. Buchner, der mit seiner Tasche in der Hand das Gespräch verfolgt hatte.

Franziska überlegte, was diese zwei neuen Erkenntnisse zu bedeuten haben könnten. „Er hat den Täter gekannt und ist von dessen Angriff wahrscheinlich völlig überrumpelt worden.“ Sie hielt einen Moment inne. „Es könnte sogar sein, dass er sich arglos mit ihm hier getroffen hat, während der Täter alles geplant hatte und die Kaltblütigkeit besaß, sein blutendes Opfer eingesperrt zurückzulassen.“

„Vielleicht ging der Täter davon aus, dass sein Opfer Hilfe holen könnte“, versuchte es Hannes mit einer anderen Version, bis ihm auffiel, dass es noch viel perfider gewesen sein musste. „Der Täter wusste, dass es hier keinen Empfang gab. Er kannte sich aus, schließlich hatte er einen Schlüssel.“

„Wer hat ihn eigentlich gefunden?“, fragte Franziska. Sie wollte herausfinden, ob derjenige auch als Täter infrage kam.

„Die Direktorin des Museums entdeckte Blut auf dem Boden unter der Tür und rief uns an, weil sie sie nicht öffnen konnte“, wusste Hannes von den Streifenbeamten.

„Und wo ist sie jetzt?“

„In ihrem Büro. Im Gästehaus. Sie war dabei, als unsere Kollegen die Tür aufgeschoben und den Toten gefunden haben, und das ging ihr ziemlich nah.“

„Wo ist das Gästehaus?“

„Wenn du die Treppe raufgehst rechts, und dann gleich gegenüber.“

„Dann werde ich sie dort mal besuchen, vielleicht ist ihr ja sonst noch was aufgefallen“, entschied Franziska und sah Hannes an. „Wo bleibt eigentlich der Chef?“

Hannes schaute auf seine Uhr. „Er wollte so gegen acht kommen.“ Franziska versuchte, auf seine Uhr zu schielen. „Noch gut fünfzehn Minuten“, ergänzte Hannes.

Super, dachte Franziska und vergaß für einen Moment den Tatort, ich lass alles stehen und liegen und der Chef sagt einfach: Ich komme gegen acht.

„Was ist eigentlich mit dem Geld?“

Hannes nickte Annemarie zu, die den Beutel mit den zwanzigtausend Euro aus der Asservatenkiste holte und ihn in die Höhe hob. „Alles da!“

Franziska schmunzelte, als sie den überkorrekten Eifer der beiden sah. „Mich interessiert lediglich, wo ihr den gefunden habt.“ Kopfschüttelnd grinste Franziska die beiden an.

„Es war in seinem Sakko, in der Innentasche“, sagte Hannes. Franziska blickte auf das Jackett, das in einem Plastikbeutel neben dem Toten lag, und Annemarie beeilte sich zu versichern, dass das bei ihrem Eintreffen an der Stelle gelegen habe, wo die Blutspur begann, und dass Mona alles im Originalzustand fotografiert habe.

Franziska schüttelte den Kopf und stöhnte. Sie hätte gern

tief durchgeatmet, doch die Luft in diesem Raum war einfach zu stickig. Es roch nach süßem, schwerem Tod. Nichts, was sie besonders verlockend fand.

„Mir schwirrt schon der Kopf.“ Zum Zeichen, dass sie es ernst meinte, verdrehte sie die Augen.

„Wie sagtest du, heißt die Direktorin?“

„Halmgaard, Samantha Halmgaard“, las Hannes von seinen Notizen ab. Zum Dank klopfte Franziska ihm auf die Schulter und verließ den Tatort.

Kaum hatte die Kommissarin den Burghof überquert, stand sie auch schon vor einer der hölzernen Eingangstüren, die zum ehemaligen Gästehaus führten. Die Tür war versperrt, weshalb Franziska klingelte, und die Zeit, in der sie auf die Museumsdirektorin wartete, dazu nutzte, um den viel beachteten Farbfleck unterhalb ihres Schlüsselbeines zu entfernen. Dann hörte sie auch schon das leise Knarzen der Tür, die sich nur schwerfällig in den Angeln bewegte, und erblickte schließlich eine zierliche Frau, die sie mit großen Augen fragend ansah.

„Ja, bitte?“

„Oberkommissarin Franziska Steinbacher von der Mordkommission Passau.“ Sie zückte ihren Ausweis. „Sie sind Frau Halmgaard?“

Die Museumsdirektorin nickte, während sie Franziskas Papiere studierte, und gab der Kommissarin damit Gelegenheit, sie näher zu betrachten. Ihr Kostüm saß perfekt, die braunen Haare waren zu einer raffinierten Hochsteckfrisur arrangiert, das Make-up war dezent.

„Ich würde Ihnen gern ein paar Fragen stellen.“

„Ja, natürlich. Kommen Sie doch rein.“ Samantha Halmgaards Stimme war angenehm, der Händedruck fest.

Während sie nacheinander die ausgetretenen Steinstufen hinaufstiegen, fiel hinter ihnen die Eingangstür geräuschvoll ins Schloss. Franziska erschrak ein wenig, weil sie gerade fasziniert die hohen zweifarbigen Lackpumps Samantha Halmgaards inspiziert hatte. Solche Schuhe trugen nur wenige Frauen, vor allem, wenn sie tagtäglich über Pflaster und Kies gehen mussten.

„Wissen Sie denn schon, wie es passiert ist?“, fragte Samantha Halmgaard, nachdem sie die Tür zu ihrem Büro geschlossen hatte.

„Allem Anschein nach wurde der Mann erstochen“, erklärte Franziska und beobachtete das Gesicht der Direktorin.

„Erstochen, sagen Sie?“ Die zierliche Frau erschauderte.

„Ja, mit einer Partisane.“

„Doch nicht mit einer der historischen Prunkpartisanen?“

Die Kommissarin nickte.

„Oh, mein Gott, das ist ja furchtbar!“ Samantha Halmgaards Gesicht zeigte blankes Entsetzen. Franziska sah ihr an, dass sie wusste, von welcher Waffe die Kommissarin sprach. Doch eine Sekunde später hatte die Direktorin ihre Emotionen wieder unter Kontrolle. Mit einer einladenden Handbewegung zeigte sie zu einer kleinen Tischgruppe. „Bitte, nehmen Sie doch Platz.“

Franziska wählte den Sessel, von dem aus sie den ganzen Raum im Blick hatte, und setzte sich. Ungefragt schenkte die Hausherrin Wasser in zwei Gläser ein und setzte sich ebenfalls.

„Wer tut so etwas?“

„Ich hoffe, dass Sie mir bei der Beantwortung dieser Frage helfen können.“ Franziska lächelte kurz und konzentrierte sich auf das Gesicht ihres Gegenübers.

„Ja, natürlich. Wenn Sie mir sagen, wie …“

„Zunächst einmal müsste ich wissen, wer alles einen Schlüssel zu der Tür hatte, hinter welcher der Tote gefunden wurde.“

Die Direktorin nickte, als habe sie schon die ganze Zeit auf diese Frage gewartet. „Normalerweise ist dieser Raum ja nicht abgeschlossen. Aber soweit ich weiß, gibt es zwei Schlüssel.“ Sie hielt kurz inne, schloss die Augen und massierte sich mit den Fingerspitzen beider Hände die Schläfen. Dabei blitzte ein funkelnder Diamantring im Licht der Deckenlampe auf. Fasziniert sah Franziska dem Lichtspiel zu.

„Bitte entschuldigen Sie, aber das war heute alles ein bisschen viel. Wie war noch einmal Ihre Frage?“

Franziska lächelte nachsichtig. „Ich wollte wissen, wer alles einen Schlüssel hatte.“

„Ah ja, natürlich.“ Samantha Halmgaard ließ die Hände in den Schoß sinken und richtete sich auf. „Einen Schlüssel habe natürlich ich, er liegt immer in meinem Schreibtisch, und den zweiten habe ich dem Maler gegeben, der den Raum gerade umgestaltet.“

„Das heißt nur Sie und der Maler hatten Zugang zu dem Raum?“, kombinierte die Kommissarin.

„Im Moment. Ja, das ist richtig.“

Franziska gab sich mit dieser Antwort zufrieden undwechselte das Thema. „Wie kam es eigentlich, dass Sie den Toten gefunden haben?“

„Ich … Es war purer Zufall. Ich wollte mir die Skizzen des Malers ansehen, bevor morgen die Ausmalarbeiten beginnen.“ Samantha Halmgaard rückte ihre Brille zurecht und versuchte, sich zu konzentrieren. „Als ich auf die Tür zuging, sah ich die Blutlache. Das heißt, zunächst dachte ich, es sei verschüttete Farbe, und ich ärgerte mich, weil ich fürchtete, dass das schöne Parkett ruiniert sei.“

„Und?“

„Ich schloss die Tür auf und stellte fest, dass sie sich nicht öffnen ließ. Es war ganz merkwürdig. Ich spürte ja, dass sie offen war, aber sie wollte einfach nicht nachgeben. Da bückte ich mich noch einmal, um mir die Flüssigkeit genauer anzusehen, und stellte fest, dass es Blut war.“ Samantha Halmgaard schaute auf den Zeigefinger ihrer rechten Hand, als haftete noch immer das Blut des Toten daran.

„Sie können sich bestimmt vorstellen, wie entsetzt ich war, als die Polizei die Tür schließlich aufdrückte und wir diesen Mann auf dem Boden entdeckten.“

„Haben Sie den Mann schon einmal hier gesehen?“

Die Direktorin schüttelte gedankenverloren den Kopf und schloss erschöpft die Augen. „Es war einfach grotesk, er sah so friedlich aus, und dann das viele Blut auf dem Boden. Ich glaube, das war alles ein bisschen viel für meine Nerven.“

Müde öffnete sie die Augen und sah die Kommissarin an. „Aber wissen Sie, was wirklich seltsam war? Mir ist erst später aufgefallen, dass ich gar nicht mit meinem Schlüssel aufgeschlossen habe, sondern mit dem, der die ganze Zeit über im Schloss steckte.“

Zur Bekräftigung ging sie zu ihrem Schreibtisch und holte einen weiteren großen Schlüssel heraus, der genau wie der aussah, der bereits am Tatort sichergestellt worden war.

„Gut, dann spreche ich mit dem Mann, der den zweiten Schlüssel hatte. Wenn Sie mir bitte seinen Namen und die Adresse geben, unter der ich ihn erreichen kann.“

„Sie glauben doch nicht, dass Froschhammer …“ Die Direktorin schien zu überlegen und zuckte dann unentschieden mit den Schultern, was Franziska jedoch kaum noch beachtete.

„Froschhammer“, wiederholte sie tonlos und dachte für einen Moment, der Boden gäbe unter ihren Füßen nach. Soweit sie wusste, gab es nur einen Maler, der Froschhammer hieß. Walter Froschhammer.

„Ja“, bestätigte die Direktorin inzwischen überzeugter und sprach weiter. „Ich suche Ihnen die Adresse heraus, sie muss hier irgendwo stehen.“