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Mord-Ermittlungen auf dem Campus der Universität Passau: Gerade wurde Passaus Uni zum schönsten Campus Deutschlands gekürt, da wird eine junge Frau brutal ermordet. Unfassbar für die Ermittler der Passauer Mordkommission ist die Tatsache, dass sich die Studentin offenbar freiwillig auf ihren Mörder eingelassen hat, ihn in aufreizenden Dessous erwartete, nachdem sie sich per SMS mit ihm verabredet hatte. So ist ein erster Tatverdächtiger schnell ermittelt; doch der streitet vehement alles ab. Bleibt die beste Freundin der Toten, die ihr Wissen aber nur nach und nach preisgibt und damit mehr Fragen aufwirft als beantwortet. Wer hat die Fotos der halbnackten Studentin ins Netz gestellt? Und welche Rolle spielt der Jura-Professor Markwart?
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Seitenzahl: 512
Veröffentlichungsjahr: 2017
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Von Dagmar Isabell Schmidbauer
Todesfalle Campus
Todesfalle Campus Dagmar Isabell Schmidbauer
published by: epubli GmbH, Berlinwww.epubli.de
Copyright: © 2016 Dagmar Isabell Schmidbauerwww.der-passau-krimi.de Konvertierung: Sabine Abels | www.e-book-erstellung.de
Keuchend brach er im Sand zusammen. Horchend blieb er liegen, bis er sicher war, dass ihm niemand folgte. Auf der einen Seite der Sandbank, nur ein Stück von ihm entfernt, floss der Inn an diesem Tag ungewöhnlich träge dahin. Auf der anderen Seite gab es ein kleines Waldstück und dann diesen Radweg. Wenn sie doch noch kämen, um ihn zu holen, säße er in der Falle. Dann könnte er nur noch ins Wasser gehen und versuchen, das andere Ufer schwimmend zu erreichen.
Er hob den Kopf und stützte ihn mit der rechten Hand ab. Die Stimmen, die er vernahm, waren weit weg, und sie schienen auch nicht bedrohlich zu sein. Trotz allem würde er aber vorsichtig sein. Lieber noch eine Weile abwarten, bis die Luft wirklich rein war.
Plötzlich raschelten im nahen Gebüsch Schritte. Sein Herz schlug schneller, seine Muskeln spannten sich. Er war zum Sprung bereit. Dann die Entwarnung: In der zunehmenden Dämmerung erkannte er, dass sich ihm arglos ein schwarzer zotteliger Hund näherte. Erleichtert ließ er sich zurück in den Sand fallen. Der Hund kam näher und leckte ihm zutraulich erst über die Hände, dann übers Gesicht. Energisch schob er ihn weg, woraufhin der Hund sich ebenfalls im Sand niederließ. Blödes Vieh, dachte er und begann mit der linken Hand im Sand zu kratzen. Aufmerksam folgte der Hundeblick seinem Tun. Er mochte keine Hunde, hatte keine Lust mit ihnen zu toben und zu spielen, er brauchte keinen Kameraden.
In der oberen trockenen Sandschicht fand er einen Kronkorken. Erst blickte er ihn an, als habe er noch nie einen Kronkorken gesehen, dann buddelte er mit seiner Hilfe tiefer, bis seine Finger auf einmal etwas Größeres, Massives berührten.
Er richtete sich ein wenig auf, um so den ganzen Gegenstand freizulegen. Vielleicht hatte er ja etwas Wertvolles gefunden, dachte er noch und musste gleich darauf feststellen, dass es sich nur um eine Eisenstange handelte. Um eine angerostete Eisenstange, um genau zu sein. Nichts Besonderes eigentlich. Doch als er mit der Hand über die raue Oberfläche strich, bahnten sich Erinnerungen ihren Weg ans Licht, die er lange und tief verdrängt hatte.
Seine Kehle wurde eng, es war, als müsse er ersticken. Er sprang auf und schnappte nach Luft, wollte zum Wasser, doch seine Beine versagten ihm ihre Dienste. Und dann schoss dieses Dröhnen in seinen Kopf, das wie eine Botschaft aus vergangenen Zeiten war. Panik erfasste ihn. Er schüttelte den Kopf, warf ihn in den Nacken. Der Hund sprang an ihm hoch, jaulte auf und warf sich vor ihm in den Sand. Vielleicht wusste er instinktiv, was gleich passieren würde.
Kurz schloss er die Augen. Als er sie wieder öffnete, war der Schwindel vorbei. Eine neue, nie gekannte Kraft erwuchs in ihm. Mit der rechten Hand hob er die Eisenstange empor und schlug mit einer einzigen Bewegung den Hund nieder, der erst vor Schmerz aufjaulte und dann nur noch kläglich winselte.
Da hob er die Eisenstange erneut und schlug zu, wieder und immer wieder, bis der Hund leblos liegen blieb. Erst jetzt ließ er die Stange sinken und entdeckte, dass seine Jacke voller Blut war. „Scheiß Köter!“, fluchte er und stierte auf seine ruinierte Jacke. Mit dem Fuß verpasste er dem Hund einige Tritte. Währenddessen zog er das Messer aus seiner Jacke und stach dann haltlos auf den leblosen Körper ein.
Wochen später …
„Guten Morgen Paulina, bist du schon wieder fit?“
Während Paulina auf dem Inn-Radweg entlang in Richtung Uni schlenderte, hatte sie ihr Studienkollege Bene mit seinem Fahrrad eingeholt und fuhr nun langsam neben ihr her. „Soll ich dich vielleicht ein Stück mitnehmen?“
Die junge Frau musterte seinen durchtrainierten Körper und lachte hell auf. Schließlich schüttelte sie noch immer belustigt den Kopf und scheuchte ihn mit den Händen davon. „Mach, dass du weg kommst, du verrückter Kerl!“, rief sie ihm lachend hinterher und sah zu, wie er in Richtung Audimax davon radelte.
Am gestrigen Abend hatten die jungen Leute mal wieder mächtig gefeiert und dabei ordentlich getankt. Passau hatte, wie jüngst eine Umfrage unter Studierenden ergeben hatte, den schönsten Campus Deutschlands. Unter den Passauer Studenten war das natürlich längst bekannt. Wer einmal einen Abend auf den Inn-Wiesen verbracht hatte, wusste auch warum. Kaum lockte die sommerliche Wärme, schon fanden sich die ersten Gruppen mit Grill, Fleisch, Salaten, Bier und Musik ein, und in Nullkommanichts war die ganze Wiese bevölkert, der Campus eine einzige Feiermeile.
Heute nun hatte Paulina um zehn Uhr eine Vorlesung bei Professor von Kalckreuth im neuen Informatikzentrum. Da würde sich zeigen, ob die, die gestern so fröhlich gefeiert hatten, heute auch rechtzeitig aus ihren Betten gekommen waren.
Bene war längst weg, als Paulina noch immer auf dem Radweg stand und ihm fröhlich hinterher winkte. Sie trug an diesem herrlichen Junitag ein weißes italienisches Spitzenkleid, das mit kühler Seide abgefüttert war, dazu Flipflops. Ihre langen dunklen Haare wehten offen in der leichten Brise, die vom Inn zu ihr heraufstieg. Der Campus lag schon in Sichtweite, nach und nach entdeckte sie immer mehr Kommilitonen, die sie von gemeinsamen Kursen kannte.
Dass der Passauer Campus nicht nur einer der schönsten, sondern auch einer mit einer ganz besonderen Geschichte war, hatte Paulina erst gestern Abend erfahren. Früher stand hier der städtische Schlachthof. Dieser war 1892 erbaut worden und galt damals als einer der modernsten. Neunzig Jahre später musste er allerdings den Neubauten der Universität weichen. Heute erinnert nur noch die alte Trafostation an diese Zeit. Da, wo einst Tiere geschlachtet, Fleischwaren hergestellt und die Felle verwertet wurden, hängen heute Studenten herum, hatte man ihr gestern als Witz erzählt. Ein irgendwie gruseliger Vergleich, dachte Paulina auch heute noch und bog jetzt ebenfalls in Richtung Audimax ab.
Vor ein paar Monaten hatte sie relativ spontan beschlossen, ein Aufbaustudium in Informatik an ihr abgeschlossenes BWL-Studium anzuhängen. Bei ihrem Chef war sie sofort auf offene Ohren gestoßen. Ganz anders sah die Sache allerdings bei ihrem guten Freund Josef Schneidlinger aus, dem leitenden Kriminalhauptkommissar der Passauer Mordkommission. Als sie ihm von ihrer Absicht erzählt hatte, war der praktisch aus allen Wolken gefallen.
„Du willst tatsächlich wieder studieren?“, hatte er gefragt und sie dabei angesehen, als wolle sie sich an einen reichen Scheich verkaufen.
Bei der Erinnerung an dieses Gespräch wurde Paulinas Grinsen breiter. Dieser Gedanke kam bei ihm natürlich nicht von ungefähr. Während ihres BWL-Studiums an der LMU München hatte sie, nebenbei und wie sie fand sehr elegant, für einen Escort-Service gearbeitet. Es gefiel ihr durchaus, mit interessanten Männern auszugehen und, naja, manchmal war natürlich auch mehr daraus geworden, aber auch das zählte zu den interessanten Erfahrungen ihres Lebens. Viele dieser Männer waren tatsächlich mehr daran interessiert gewesen, ihr etwas Gutes zu tun, als für sich etwas zu fordern. Wobei es letztlich in jedem Fall auf das Gleiche hinaus lief. Sie hatte mal mehr und mal weniger guten Sex gehabt, na und? Die Männer, die sie über den Escort-Service traf, waren zwar alle nicht mehr ganz jung, dafür hatten sie aber Manieren, waren gepflegt und sauber. Von ihren anderen Partnern konnte sie das nicht immer sagen.
Josef Schneidlinger war nicht nur leitender Kriminalhauptkommissar bei der Passauer Mordkommission, sondern auch glücklich verheiratet und Vater von vier Kindern im anstrengendsten Alter, wie er immer betonte. Paulina selbst war praktisch ohne Anhang und konnte tun und lassen was sie wollte. Dank einer guten Stelle mit interessanten Inhalten war sie unabhängig und frei. Trotzdem, oder vielleicht gerade deshalb, bestand zwischen ihnen seit Jahren eine besondere Beziehung, die aber nie weiter als bis zu einem guten Glas Rotwein zu zweit vorangeschritten war.
Kennengelernt hatten sie sich ebenfalls über den Escort-Service, nur dass Schneidlinger sozusagen auf der anderen Seite gestanden hatte. Einer ihrer Begleiter war zu ihr zwar ausgesprochen zuvorkommend und sehr großzügig gewesen, nebenbei hatte er aber auf nicht so ganz feine Art Geschäfte abgewickelt, die dazu führten, dass er in den Fokus der Polizei geriet und mit ihm Paulina, die als Zeugin im Prozess gegen ihn aussagen musste. Da sie zu diesem Zeitpunkt gerade mit ihrem Studium fertig gewesen war, hatte sie das Angebot eines großen Betriebes angenommen und war nach Passau gezogen. Schneidlinger folgte ihr, als dort die Stelle bei der Mordkommission vakant wurde. Rein zufällig, wie er immer wieder betonte.
Tatsächlich wusste sie längst, dass er mehr als Sympathie für sie empfand, doch sie hatte Respekt vor seiner Familie und hielt sich an die freundschaftlichen Regeln: Rotwein und Reden ja. Sex nein!
Natürlich hätte sie ihm einfach sagen können, dass das, was sie tat, ihn nichts anging. Aber das war nicht ihr Ding, und wenn er sich darauf versteift hatte, dass Studieren bei ihr gleichbedeutend mit „sich prostituieren“ war, dann hatte sie einfach keine Lust, mit ihm darüber zu diskutieren. Und um weiteren Streitereien aus dem Weg zu gehen, hatte sie im März beschlossen, das Thema einfach auszusparen und ohne sein Wissen ihr Studium aufzunehmen. Er war ein Freund, mehr nicht, und ein Freund musste ja nicht alles wissen.
Nach einem kurzen Abstecher über die Mensa-Cafete, wo sie sich bei Emma schnell einen Cappuccino to go der Extraklasse holte, erreichte Paulina das IT-Zentrum. Bene hatte sein Fahrrad längst abgeschlossen und stand nun plaudernd mit einigen Kommilitonen zusammen, die ebenfalls mit dem Rad gekommen waren. Radfahren stand ganz oben auf Paulinas Wunschliste. Der Inn-Radweg war ein Traum, das wusste sie vom Joggen, und per Fahrrad würde sie viel weiter kommen, bis in die reizende österreichische Stadt Schärding etwa. Dumm war nur, dass ihr Fahrrad seit dem Umzug aus München mit einem platten Vorderreifen im Keller stand und sie noch immer niemanden gefunden hatte, der ihr beim Austauschen der Schläuche half. Aber vielleicht konnte sie ja einen ihrer Kommilitonen ansprechen. Oder doch ihren Freund Schneidlinger?
Paulina steuerte die kleine Gruppe an, warf einen Blick auf die Uhr und mahnte: „Auf gehts, der Prof mag es doch nicht, wenn wir zu spät kommen!“
Vielleicht sollte sie nachher auch einfach mal Bene fragen, ob er ihr den Reifen wechseln würde. Fragen kostete ja nichts, das hatte sie in ihrem Leben gelernt und auch, dass Männer gerne helfen, wenn man sie nett darum bittet.
Wohlig räkelte sich Franziska im warmen Badewasser. Ihr Kopf ruhte auf einem Handtuch, die in Pink lackierten Zehen spielten mit dem Badeschaum. Seit Walter aus Palermo zurück war, achtete sie wieder mehr auf ihr Äußeres.
Ein halbes Jahr hatte er sich dort als Gastarbeiter an einem Theater weitergebildet – und damit war ein großer Traum von ihm in Erfüllung gegangen. Natürlich hatte sich Franziska für ihn gefreut und war auch gleich zwei Mal zu ihm ans Meer gereist, um mit ihm gemeinsam in einem kleinen Haus die schönste Zeit ihres Lebens zu verbringen, wie sie, allein wieder zuhause angekommen, seufzend feststellen musste. Während ihres gemeinsamen Urlaubs war einfach alles perfekt. Da stand kein Wölkchen an ihrem persönlichen Himmel, die Zeit flog dahin und nichts konnte ihr Glück trüben. Doch als der Tag der Abreise kam, schlichen sie sich wie aus dem Nichts heran, die trüben Gedanken, die sie mit Wucht von ihrer rosa Wolke katapultierten, hinab in einen Strudel aus Eifersucht und Zweifel. Sie bezeichnete das stets als ihr Temperament, während Walter sie lachend eine kleine Spießerin nannte. Doch egal welchen Namen sie ihnen gab: Diese Gedanken taten weh und machten Franziska verletzlich – ein Umstand, den sie so gar nicht leiden konnte.
Doch jetzt war alles so, wie Franziska es sich wünschte. Walter war zurückgekommen, lebte in der kleinen Wohnung über der Theaterwerkstatt in Maierhof und arbeitete wieder am Passauer Stadttheater. Mit dieser Situation konnte sie umgehen. Und wenn sie beide Zeit hatten, dann waren sie zusammen. Wenn Walter sich dann etwas Besonderes für sie ausdachte, wurde ihr schon beim Gedanken daran ganz heiß und ein wunderbares Kribbeln breitete sich in ihrem Schoß aus.
Ein Grinsen huschte über Franziskas Gesicht und setzte sich in ihren Mundwinkeln fest. Walter hatte sie ins Bad geschickt. Sie solle sich vom Dienst entspannen, abschalten, runterkommen. Als ob das jetzt noch ginge. Denn Walter war in ihrer Wohnung und bereitete etwas für sie vor. Das konnte eine Kleinigkeit sein wie ein köstliches Essen oder aber etwas ganz Ausgefallenes wie das Bemalen ihres nackten Körpers in der Künstlerwerkstatt. Er hatte sie schon an die ausgefallensten Orte entführt oder zu Tristans Isolde gemacht. Bei Walter war alles möglich, nur langweilig wurde es nie.
Vorsichtshalber hatte Franziska ihre langen Haare aufgesteckt, damit sie sie nachher nicht erst noch umständlich föhnen musste. Nachher war schon ganz bald, nämlich dann, wenn Walter mit seinen Vorbereitungen fertig war und sie holen kam.
Mit den Zehen bediente sie den Wasserhahn und ließ noch ein wenig heißes Wasser nachlaufen. Nie musste sie ihm sagen, was sie gerne hätte und was lieber nicht. Walter hatte ihre Bedürfnisse von Anfang an erkannt und wusste sehr genau, wie er sie nehmen und was er ihr geben musste. Und letztlich war die Ungewissheit über das was kommen würde der Grund, warum sie das Warten kaum noch ertragen konnte.
Walter, der leidenschaftliche Frauenversteher, wusste immer, was sie gerade brauchte. Holte sie mit seinen verrückten Ideen aus ihrem Alltagstrott und schenkte ihr damit den wunderbarsten Sex, den man sich vorstellen konnte. Als Oberkommissarin bei der Passauer Mordkommission hatte sie nur zu gern das Heft in der Hand. Und viele Jahre lang hatte sie gedacht, so müsse es auch sein, wenn sie mit einem Mann intim war. Bis sie den Bühnenkünstler Walter Froschhammer kennenlernte. Gleich zu Beginn, als eine Beziehung noch gar nicht infrage kam, übernahm er die Regie und reizte sie mit seinen Anspielungen und Nachrichten bis aufs Blut, das nur zu leicht in Wallung geriet, sobald sie ihm begegnete. Doch das war eine gefühlte Ewigkeit her.
Inzwischen kannten sie sich sehr gut, und so hatte sich vieles zwischen ihnen verändert. Nur eine Sache wollte ihr einfach nicht aus dem Kopf: Als die Schauspieler während der Mordermittlungen im Passauer Stadttheater den Bühnenkünstler charakterisieren sollten, hatten sie berichtet, dass dieser Frauen gern in einem Akt festhielt. Und um ihre wahre Schönheit zu zeigen, führte er sie vorher zum Höhepunkt. Ob das so stimmte, wusste nur er. Denn egal wie raffiniert Franziska ihn auszuhorchen versuchte, Walter schwieg beharrlich.
Seufzend suchte sie nach einem unverfänglicheren Thema für ihre Gedanken. Schon huschte das nächste Lächeln über ihr Gesicht. Trotz der oft ausschweifenden Pizzaorgien mit ihrem Kollegen Hannes hatte sie eine Figur, um die sie manche Frau beneiden würde, na ja bis auf … Ach Quatsch! Sie war eine heiße Frau, wie Walter ihr immer versicherte, und seit seine Hände ihre Haut regelmäßig zum Lodern brachten, fühlte sie sich einfach großartig.
Ihr Blick glitt zum Türhaken, an dem auf einem Bügel ein schwarzes Nichts aus Spitze und Bändern hing. Walter hatte es aus Italien mitgebracht und ihr für den heutigen Abend als Dresscode überreicht. Mehr brauchst du nicht, hatte er gesagt, sie ganz zärtlich geküsst und ihr dann eine Wanne voll duftendem Schaumbad eingelassen.
Franziska lauschte in die Stille der Wohnung und fragte sich, ob er mit seinen Vorbereitungen wohl schon fertig war? Sofort erfasste ein lustvolles Beben ihren Körper und trieb sie aus dem Wasser. Auf dem kleinen Hocker gleich neben der Wanne lag ein dickes, flauschiges Handtuch, in das sie sich einhüllte. Ihre Haut kribbelte voller Vorfreude, voller Ungewissheit. Vorsichtig trocknete sie sich ab und cremte ihre Haut mit einer duftenden Lotion ein. Dann stieg sie in das Nichts, was angesichts der vielen Bänder gar nicht so einfach war. Sie löste ihre langen Haare, bürstete sie durch und betrachtete sich zufrieden im Spiegel.
Als sie die Tür zum Flur öffnete, stand Walter vor ihr und lächelte sie vielsagend an. Sein wunderbarer Körper steckte in nichts weiter als Boxershorts, die ganz lässig auf seinen Hüften saßen. Sie liebte dieses Lächeln und wusste, was es zu bedeuten hatte, doch bevor sie etwas sagen oder tun konnte, drehte er sie um und legte ihr wortlos ein schwarzes Tuch über die Augen, das er vorsichtig an ihrem Hinterkopf zuknotete.
„Hast du Lust darauf, etwas Neues auszuprobieren?“, fragte er mit sanfter Stimme, woraufhin ein wohliger Schauer ihren ganzen Körper überzog.
Zärtlich küsste sie der Mann ihrer Träume auf die linke Schulter, den Hals hinauf und schließlich ihre Lippen, bevor er sie hochhob und kreuz und quer durch die Wohnung trug, bis sie nicht mehr wusste, in welchem Raum sie sich befand. Weil sie nichts sehen konnte, registrierte sie jedes Geräusch, jeden Lufthauch, jede seiner Bewegungen umso intensiver, was ihre Lust immer weiter steigerte. Als er sie auf ihr Bett im Schlafzimmer gleiten ließ, brannte das Verlangen in ihrem Schoß bereits lichterloh.
Wie jedes Mal, wenn sie sich derart in seine Hände begab, war es eine Wahnsinnserfahrung aller Sinne. Nichts sehen zu können bedeutete, dass sie auf jeden noch so kleinen Reiz reagierte. Jedes Geräusch schwoll in ihren Ohren an, jede Berührung brachte ihre Haut zum Lodern, bis sie am ganzen Körper zitterte und bebte, doch am schlimmsten, am allerschlimmsten waren die Pausen. Dann, wenn er gar nichts tat, wenn sie nicht wusste, ob und wie er sie ansah und was er als nächstes tun würde.
Von diesen süßen Gedanken erfüllt, ließ sie es zu, dass er ihr erst den einen und dann den anderen Arm über den Kopf führte, sie küsste und streichelte … und erst als sie das kalte Metall an ihren Handgelenken spürte und gleich darauf das feine Klicken hörte, wusste sie Bescheid.
Dagegen musste sie natürlich protestieren, das ging nun doch zu weit. Aber weil er sie in diesem Moment so intensiv küsste und seine Hände dabei so zärtlich über ihre von schwarzer Spitze umrahmten Brüste streichelten, blieb es bei einem langen wohligen Stöhnen.
„Ganz ruhig, Frau Kommissarin, in den nächsten Stunden gehörst du ganz allein mir, und ich werde alles tun, damit du sie nie mehr vergisst“, flüsterte er und biss sie vorsichtig in ihr linkes Ohrläppchen.
„Wie soll ich ruhig sein“, stöhnte sie erneut, „wenn du mich derart … oh, ja! Mach weiter, nicht aufhören!“
Doch Walter tat nichts von dem, was sie sich so sehr wünschte, egal wie sie sich wand und seinen Händen entgegenreckte. Immer wenn sie ihn mit einem „Ja, oh ja!“, dazu bringen wollte, dass er weiter machen sollte, ließ er von ihr ab, um sie gleich darauf an einer anderen Stelle ihres sich immer weiter erhitzenden Körpers zu berühren. Alles, alles hätte er in diesem Moment von ihr haben können, wenn er sie nur endlich von ihren Qualen erlösen und ihren Körper zum Explodieren bringen würde. Wenn er nur endlich …
Und dann explodierte sie wirklich. Schnell, viel zu schnell. Wenn auch nicht vor Lust und Sinnlichkeit. Im ersten Moment hatte sie noch gedacht, er hätte vielleicht das Radio angeschaltet, damit die Nachbarn ihre Lustschreie nicht hören würden, doch das was sie hörte, war nicht das Radio, es war ihr Handy. Und die Stimme, die jetzt direkt in ihr Ohr sprach, gehörte niemand anderem als Hannes, ihrem Kollegen, der gerade fragte: „Franziska, hörst du mich?“
„Ja!“, antwortete sie gepresst und versuchte mühsam, ihren Atem und die ganze Situation unter Kontrolle zu bringen.
„Stör ich?“, fragte Hannes unnötigerweise, denn spätestens seit er sein Schätzchen Sabrina hatte, war es sinnlos ihm vorzumachen, dass sie vielleicht gerade beim Sport war.
„Nein.“ Franziska versuchte irgendwie eine vernünftigere Lage einzunehmen. Bestimmt würde sie dann seriöser klingen. Doch ihre vergeblichen Versuche lösten nur ein Klirren der Handschellen aus. Hannes würde dieses Geräusch todsicher erkennen und seine Schlüsse ziehen.
„Kein Problem, was gibt es denn?“ Wenn sie das Handy nur selbst in die Hand nehmen könnte … aber Walter reagierte ja nicht. Während sie auf Hannes’ Antwort wartete, zappelte sie mit den Füßen, in der Hoffnung, Walter würde ihr wenigstens die Augenbinde abnehmen.
„Auf dem Gelände der Universität wurde eine tote Frau gefunden. Kannst du dich losmachen und vorbeikommen? Obermüller sagt gerade dem Chef Bescheid.“
Für einen Moment setzte Franziskas Herz aus, dann bewegte sie den Kopf ruckartig in die Richtung, aus der Hannes’ Stimme kam, bis sie tatsächlich mit dem Ohr an ihr Handy stieß. „Ja, ich komme. Bis gleich.“ Mit einem einzigen Stöhnen sackten Lust, Sinnlichkeit, Verlangen und die Aussicht auf ein grandioses Ende in sich zusammen.
„Mach mich los! Bitte. Ich muss weg“, erklärte sie resigniert. Sie ging davon aus, dass alles gesagt war und Walter das Gespräch beendet und ihr Handy zur Seite gelegt hatte.
„Franziska?“, hörte sie da erneut Hannes fragen. „Willst du gar nicht wissen, wo du hin musst?“
Ein Abend voller Hiobsbotschaften.
So oder so ähnlich würde Kriminalhauptkommissar Josef Schneidlinger im Nachhinein über diesen schwarzen Dienstag urteilen. Tatsächlich aber ahnte er in dem Moment, da die Nachrichten eine nach der anderen in sein Leben strömten, nicht, welche die schlimmste für ihn werden sollte und welche in letzter Konsequenz sein Leben am intensivsten auf den Kopf stellen und ihn zum Umdenken zwingen würde.
Alles begann, kaum dass er seinen Porsche Boxster in der großen Scheune des elterlichen Bauernhofes neben dem Traktor seines Bruders geparkt, das Verdeck geschlossen und den Motor abgestellt hatte, mit dem Läuten seines Handys. Als er die Nummer erkannte, griff er nach seinem Sakko auf dem Beifahrersitz und stieg aus.
„Hallo Schatz, ist was mit den Kindern?“, fragte er und malte sich in Gedanken das schlimmste Szenario aus. Unfalltod, Entführung, lebensbedrohliche Krankheit oder ein Hausbrand. Kaum rief ihn Gabi außer der Reihe an, begann sich schon das Horrorkarussell in seinem Kopf zu drehen.
„Musst du schon wieder so maßlos übertreiben?“, herrschte sie ihn in scharfem Ton an. Der sonst so energische Schneidlinger spürte, wie er innerlich zusammensackte.
„Also?“, fragte er geduldig zurück, ohne auf ihren Ton einzugehen.
„Die Kinder streiken. Sie wollen nicht mehr jedes Wochenende auf dem Bauernhof rumsitzen und hoffen, dass ihr Vater Zeit für sie hat.“
„Und du?“, fragte er seine Frau vorsichtig.
Die Wünsche der Kinder waren ihr noch nie so wichtig gewesen wie ihre eigenen Ziele. Und von jedem Wochenende konnte man ja sowieso nicht sprechen. Während er sich nach seinem beruflichen Umzug nach Passau wieder auf dem elterlichen Hof im Rottal eingelebt hatte, war der Rest der Familie in München geblieben und kam vielleicht alle zwei, eher alle drei, manchmal auch nur alle vier Wochen zu Besuch. Gabi besaß in München mehrere Geschäfte, in denen sie allerlei Kleinkram verkaufte, was unter dem Strich monatlich eine hübsche Summe zusammenbrachte. Kurz gesagt, sie verdiente das Geld, während er, um nicht vor Langeweile zu sterben, gewissermaßen hobbymäßig bei der Kripo seinen Dienst tat. So gesehen führten sie eine überaus moderne Ehe.
„Ich möchte auch nicht mehr auf den Bauernhof kommen“, sagte sie so leise, dass er im ersten Moment nicht glauben konnte, was er gehört hatte.
„Wie?“
„Ich denke, wir sollten uns eine Weile überhaupt nicht sehen. Abstand hat ja noch keiner Ehe geschadet“, erklärte sie wie auswendig gelernt und versuchte sich tatsächlich in einem aufmunternden Lachen.
„Sind die Kinder da?“, hatte er noch gefragt und als sie ihm sagte, dass sie im Schwimmbad seien, hatte er sich auch schon mit einem knappen „Tschüss“ verabschiedet. Er hatte nicht vor zu betteln, letztlich sollte es ja auch nur eine Trennung auf Zeit sein, nicht mehr und nicht weniger.
Als er die Scheune verlassen hatte und den Hof überquerte, war er froh darüber, in diesem Moment nicht seinem Bruder Franz in die Arme zu laufen. Der war das genaue Gegenteil von ihm. Am besten ließ sich das an ihren Lieblingsgefährten ablesen. Schneidlinger liebte den Boxster, sein Bruder seinen Traktor, wobei sie sich dabei preislich in nichts nachstanden.
Auch im Haus war alles still, nur der Fernsehapparat lief, doch den konnte er ignorieren. Die Tür zum Wohnzimmer war geschlossen. Trotzdem atmete er erleichtert auf, als er die Küche betrat, die seine Mutter nach dem Mittagessen wie immer tipptopp aufgeräumt hatte. Er musste Ruhe bewahren, es half überhaupt nichts, wenn er jetzt verrücktspielte. Mechanisch öffnete er den Kühlschrank, schnappte sich ein Bier und ließ den Verschluss laut aufploppen. Ein herrliches Geräusch, geschaffen, um die Welt hinter sich zu lassen.
Während er den herben Gerstensaft genüsslich durch seine Kehle rinnen ließ, beschloss er, Paulina anzurufen. Natürlich würde er sich nicht bei ihr ausweinen, das kam auch gar nicht infrage, aber ein Gespräch mit ihr brachte ihn zumindest auf andere Gedanken. Außerdem mochte er ihre Stimme am Telefon. Sie war sinnlich und verrucht und gleichzeitig unerreichbar. Sie war genau die Art Freundin, die einen Mann verrückt machte und ihn doch immer wieder auf den Boden der Tatsachen stellte.
„Na, wie war dein Tag?“, fragte er eloquent und nahm für sie sogar am Handy Haltung an.
„So schlimm?“, fragte Paulina belustigt zurück, und Schneidlinger musste lachen, weil er ihr einfach nichts vormachen konnte.
„Nein, im Büro war es ganz in Ordnung, ich wollte nur mal hören, wie es dir geht.“
Dass im Büro alles in Ordnung war, entsprach nicht unbedingt der Wahrheit. Seit Passau neben Freilassing zum bevorzugten Einreisetor für die Flüchtlinge aller weltweiten Kriege geworden war, ging es rund in der Nibelungenstraße, auch wenn für Asylbewerber eigentlich die Bundespolizei zuständig war. Schon lange herrschte bei den öffentlichen Ordnungshütern ein wachsender Personalmangel, und seit zusätzlich die Probleme von außen auf diese Achillesferse drückten, standen sie kurz vor dem Kollaps. Da das niemand zugeben wollte, wurden inzwischen Anweisungen von höchster Stelle erteilt, dass man doch bitte bei nicht so dringenden Fällen einfach wegschauen sollte. Verkehrskontrollen beispielsweise also besser erst gar nicht durchführen, dann machten sie hinterher auch keine Arbeit.
Inzwischen rächte es sich eben, dass bei der Polizei in den letzten Jahren immer mehr gespart und die Achtung vor den Ordnungshütern nicht gestärkt, sondern durch zweifelhafte Gerichtsurteile sogar noch untergraben worden war.
„Was bist du doch für ein schamloser Lügner“, lachte Paulina, und Schneidlinger drückte sich ein wenig näher an sein Handy, denn genau diese Art der Unterhaltung war es, die er so sehr schätzte. „Aber gut, wenn du es unbedingt wissen willst, ich war heute in der Uni, so wie häufig in den letzten Monaten und es war sehr interessant …“
„Davon hast du aber gar nichts mehr erzählt. Ich dachte, wir wollten darüber noch einmal reden.“ Gern hätte er einen Schluck aus seiner Bierflasche genommen, aber das hätte Paulina gehört und dann hätte sie ihn auch dafür aufgezogen. Sie hatte ihn schon beim letzten Mal einen „Kleinbürger“ genannt. Natürlich nur spaßeshalber, aber immerhin. Also lehnte er sich an die Küchenzeile und wischte sich mit dem Handrücken den Schweiß ab.
„Josef, du tust ja gerade so, als würde ich in den Puff gehen. Ich studiere wieder, nicht mehr und nicht weniger …“
Er holte tief Luft, um zu einer Gegenargumentation anzusetzen und ihr zu erläutern, was er in ihrem Falle unter mehr oder weniger verstand, als seine Mutter zur Küchentür hereinkam, ihm einen strafenden Blick zuwarf und wortlos das Telefon hinhielt. Dabei war er sich nicht sicher, ob sie ihn belauscht hatte und das Gespräch, das er gerade mit seinem Handy führte, nicht guthieß, oder ob es sie nicht einfach ärgerte, dass sie von ihrer Lieblingssendung lassen und ein Gespräch annehmen musste, das nicht für sie bestimmt war. Schneidlinger vermutete letzteres, denn seine Mutter war eine herzensgute Frau, die lediglich ihre festen Prinzipien hatte. Und dazu gehörten einfach ihre Lieblingssendungen, die sie nicht verpassen wollte. Besser man kam ihr dabei nicht in die Quere.
Da es unmöglich war, sein Gespräch mit Paulina in Ruhe fortzusetzen, verlegte er sich aufs Beschwichtigen. „Nein, nein, natürlich nicht. Aber ganz so entspannt wie du sehe ich es auch nicht“, erklärte er umständlich und hoffte, im Vergleich zu seiner Mutter würde Paulina sofort verstehen, was er damit sagen wollte.
„Bist du nicht allein?“, fragte die prompt zurück.
Seine Mutter machte eine ungeduldige Kopfbewegung in Richtung des Telefons in ihrer Hand. Schneidlinger nickte zurück und erbat sich mit einer besänftigenden Handbewegung noch einen kleinen Aufschub. Paulina wartete auf eine Antwort. Sie hatten Anfang des Jahres schon einmal darüber gesprochen. Ganz kurz nur, und da hatte sie argumentiert, dass Weiterbildung in ihrem Job unumgänglich sei. Im Prinzip fand er das ja auch gut, nur eben nicht so, wie sie das organisierte … oder zumindest wie er befürchtete, dass sie es organisierte.
„Es tut mir leid, aber ich bekomme gerade einen dringenden Anruf“, sagte er mit enttäuschter Stimme. „Ich melde mich bei dir, machs gut!“
„Herr Obermüller“, erklärte seine Mutter und reichte ihm endgültig das Telefon. Sie war die einzige, die den Kollegen mit Herr ansprach, für alle anderen war er einfach nur Obermüller. Ein ausgezeichneter Ermittler, wie Schneidlinger inzwischen gelernt hatte, gemütlich, aber sehr zuverlässig und ausgleichend im Arbeitsklima. Obermüller hätte nie angerufen, wenn es nicht dringend gewesen wäre.
„Tut mir leid Chef, aber ich konnte Sie am Handy nicht erreichen. Auf dem Unigelände wurde eine weibliche Leiche gefunden. Und es gibt keinen Zweifel, die Frau wurde ermordet!“
Im Strom der Blechlawine, die sich um diese Zeit quer durch Passau arbeitete, wurde Franziska über die Schanzlbrücke, durch das Nadelöhr Nikolastraße und schließlich die Innstraße entlanggespült, bis sie sich, mit deutlich ruhigerem Pulsschlag, vor der Zentralbibliothek nach einer Parkmöglichkeit umsah. Walter hatte die Dringlichkeit des Anrufes endlich erfasst, sie von den Handschellen befreit und dann doch erst einmal seine Arme um sie geschlungen und ihr einen langen Kuss gegeben. Wie so oft hatte er Verständnis für das, was sein musste, während sie ihren Beruf in diesem Moment genauso dafür hasste, dass er immer zur falschen Zeit so wichtig wurde, wie sie ihn im nächsten Moment für seine ganze Vielfalt liebte.
Bevor sie sich jedoch auf den Weg machen konnte, musste sie sich zuerst der schwarzen Dessous entledigen und sich tatortgeeignet ankleiden.
So stieg sie jetzt mit Sneakers, Jeans, T-Shirt und einem Leinenblazer bekleidet aus ihrem Auto, das sie schließlich neben den Fahrzeugen der KTU abgestellt hatte und wappnete sich innerlich für das, was sie gleich in Augenschein nehmen sollte. „Mach dich auf einiges gefasst!“, hatte Hannes noch hinzugefügt, nachdem er ihr den rückseitigen Ausgang der Zentralbibliothek genannt hatte. So ließ Franziska auch den Haupteingang des Gebäudes unbeachtet liegen und umrundete den hellgestrichenen Bau, bis sie auf Obermüller stieß, der gemeinsam mit einigen Kollegen am Flatterband wartete. Der sonst so robuste Ermittler war grau im Gesicht und wirkte mitgenommen.
„Hallo Obermüller, gibt es schon Erkenntnisse?“ Noch versuchte sie ihrem Tonfall etwas Heiteres zu verpassen. Der Wunsch, egal wie schlimm es kommen konnte, nicht zu viel an sich heranzulassen, lag nahe.
„Ich würde sagen, sie hat sich mit dem falschen Kerl eingelassen.“
„Ich wollte von dir wissen, was du weißt und nicht was du vermutest“, wies ihn Franziska sanft zurecht.
„Georg Brummer, einer der Bibliothekare, hat die Leiche gefunden. Sie liegt in“, Obermüller blickte auf einen Zettel, den er in der Hand hielt, „einem Dublettenmagazin. Das grenzt direkt an das eigentliche Büchermagazin der Uni an, ist aber ein abgeschlossener Raum mit einer Tür nach draußen in Richtung Inn.“
Die Oberkommissarin nickte. „Weißt du sonst noch was, Obermüller?“
„Ja, also: Der Raum hat ursprünglich das Archiv der Universität beherbergt. Das zog dann nach Fertigstellung des Verwaltungsgebäudes dorthin um. Nachdem das Archiv frei war, wurde es kurzzeitig als Sozialraum für die Mitarbeiter des Magazindienstes genutzt, bis auch dafür entsprechende Räumlichkeiten eingerichtet wurden. Aktuell lagern dort Buch- und Zeitschriftenbestände, die in nächster Zeit ausgemistet werden sollen, weil es sich um Zweit- und Drittexemplare handelt.“
„Aha, und wer hat dich derart umfangreich informiert?“, hakte Franziska interessiert nach.
„Georg Brummer, er ist einer der Bibliothekare, die das alles sichten, eventuelle Schätze vor dem Untergang retten und alles andere der Vernichtung zuführen müssen.“ Der dicke Ermittler lächelte schief. „Ich hatte den Eindruck, als täte es ihm um diese alten staubigen Bücher mehr leid, als um die junge Frau.“
„Du meinst …“
Abwehrend hob Obermüller die Hände. „Nein, nicht dass ich ihm die Tat anhängen will, aber mir scheint, Bücher sind seine große Leidenschaft. Er ist übrigens Volkskundler … ja und normalerweise wird der Raum nur selten genutzt …“ Hilflos zuckte er mit den Schultern.
„Okay! Wo muss ich hin?“
„Immer dem Rundweg folgen, dann findest du es.“
„Ist der Chef auch schon da?“
„Ja, er hat die Uni-Präsidentin aus dem Bett geklingelt“, berichtete Obermüller sachlich. „Und dein Lieblings-Notarzt schaut sich das Opfer gerade an. Vielleicht kann er dir ja schon mehr sagen.“
Franziska nickte. „Der gute Dr. Buchner!“ Sie musste lächeln. Obwohl sie sich nur an Tatorten trafen, war zwischen dem gütigen Mediziner, der seine ruhige Art auch bei heftigen Fällen niemals ablegte, und ihr so etwas wie eine Freundschaft entstanden. Auch wenn er sich nie zu vorschnellen Aussagen verleiten ließ, konnte sie ihm meist etwas entlocken. Aber noch wichtiger war, dass sie ihm vertraute, weil er wusste, wie wichtig seine erste Einschätzung war.
Als sie das grüne Gittertor erreicht hatte, warf sie einen letzten Blick in den abendlichen und fast wolkenlosen Himmel, holte tief Luft und ging hinein. Die Tür zum Dublettenmagazin stand weit offen und gab den Blick auf einen Raum mit grauen, schäbigen Metallregalen und einem eben solchen PVC-Bodenbelag frei. In den Regalen lagerten die von Obermüller beschriebenen Bücher und Zeitschriften. In einer Ecke standen ein paar kaputte Stühle, platzsparend aufgestapelt. Aufgeschlitzte Kissen lagen auf einem Tisch. Die Oberkommissarin entdeckte Schachteln mit undefinierbarem Inhalt, kaputte Plakataufsteller, verbogene Buchstützen und über all dem strahlten Neonröhren, von denen die Spinnweben herunter hingen.
Franziska blickte zu Dr. Buchner in seinem roten Anorak. Der Notarzt untersuchte eine junge Frau, deren schlanker Körper mit einigen schwarzen Stofffetzen eher umwickelt als bekleidet war. „Man hat ihr die Kehle durchgeschnitten“, erklärte er gerade, woraufhin die Kommissarin näher trat und sich über den Hals und das arg zugerichtete Gesicht des Opfers beugte, das von unzähligen Wunden entstellt war. Franziska hatte schon einiges gesehen, dennoch sog sie scharf die Luft ein, als sie auf die junge Frau hinunter blickte. Die blutunterlaufene Haut und die zugeschwollenen Augen zeugten ebenso wie die Wunden, Striemen und Blutergüsse, mit denen ihr gesamter Körper überzogen war, von einem schlimmen Martyrium.
Die Tote lag auf der linken Seite, der Kopf ein wenig überstreckt in einer Blutlache, die langen blutgetränkten Haare nach oben gezogen, als ob sie daran festgehalten worden wäre. Ihre Arme lagen vor ihrem Körper, die Handgelenke wiesen dunkle Vertrocknungsspuren auf, was darauf hindeutete, dass sie vor ihrem Tod über einen langen Zeitraum gefesselt gewesen sein mussten. Die Beine lagen ausgestreckt auf dem staubigen Boden. An den Fußgelenken befanden sich die gleichen vertrockneten Fesselspuren wie an den Handgelenken.
Annemarie Michel, die Leiterin der Kriminaltechnik, stand neben Buchner und reichte Franziska ein Paar Latexhandschuhe für den Fall, dass sie die Tote inspizieren wollte.
„Hat sie versucht sich zu wehren?“, fragte die Oberkommissarin ihre ältere Kollegin, denn sie war sich sicher, dass Annemarie bereits alles in Augenschein genommen hatte.
Die Chefin der KTU beugte sich hinunter und ergriff die rechte Hand der Toten. „Entweder kam sie nicht mehr dazu, bevor sie gefesselt wurde“, Annemarie blickte Franziska nachdenklich an, „oder sie wollte sich gar nicht wehren. Fingernägel und Zähne sind jedenfalls intakt.“
„Du denkst an einvernehmlichen Sex? Prostitution oder ein ausuferndes Liebesspiel?“
Annemarie zuckte mit den Schultern. „Seit scheinbar alle Welt Gefallen an Sado-Maso-Spielchen entdeckt hat … wer weiß?“
„Ja gut“, räumte Franziska ein und dachte kurz an ihre eigene Vorstellung von Liebesspielen. „Aber solche Spiele haben doch ihre Grenzen, da gibt es feste Regeln und an die hat man sich zu halten. Und bestimmt gehört dazu nicht, sich ohne Gegenwehr die Kehle durchschneiden zu lassen.“
„Natürlich nicht!“ Annemarie erhob sich und gab damit den Blick auf den Boden rund um die Beine der Toten frei. „Aber siehst du die Staubschicht? Sie hat noch nicht einmal gezappelt, als er das Messer ansetzte.“
„Dann war sie vielleicht schon tot, als er ihr die Kehle durchschnitt?“
„Nein!“ Energisch mischte sich Buchner in die Spekulationen ein und lenkte damit den Blick wieder auf den Kopf der Toten. „Um so viel Blut aus dem Körper zu befördern, muss das Herz schon noch tüchtig pumpen. Und dass es den Körper noch ordentlich leergepumpt hat, zeigt sich wiederum an den nur sehr spärlich vorhandenen Leichenflecken.“
Franziska nickte. „Ja klar. Mein Fehler.“
Buchner schenkte ihr ein Lächeln. „Ich will mich nicht festlegen, das …“
„… können die Kollegen in München besser beurteilen!“ Auch Franziska lächelte über diese Routineaussagen.
„Sie könnte zu diesem Zeitpunkt einfach aufgegeben haben. Ich meine, so wie sie zugerichtet ist, war das keine Sache von fünf Minuten.“
„Wurde sie vergewaltigt?“
„Genau kann ich das nicht sagen. Fakt ist, dass sie im Genitalbereich schwer verletzt wurde. Ob nur äußerlich oder auch innerlich …“ Der Mediziner zuckte mit den Schultern.
„Aber dann muss sie doch wenigstens am Anfang geschrien haben. Und das muss doch jemand gehört haben. Draußen führt ein Weg direkt an der Tür vorbei. Da könnten Spaziergänger entlanggegangen sein …“ Franziska warf einen ratlosen Blick zu Hannes, der gerade neben ihr aufgetaucht war. Doch außer einem begrüßenden Nicken trug der nichts zum Gespräch bei.
„Können Sie etwas zum Todeszeitpunkt sagen?“, fragte Franziska vorsichtig, denn sie wusste, wie ungern sich der Notarzt solchen Spekulationen hingab.
„Na ja, ich denke jetzt mal laut nach. Die Leichenstarre ist voll ausgeprägt. Das ist in der Regel und vor allem bei den gerade herrschenden Temperaturen nach etwa acht bis zehn Stunden der Fall. Die Lösung sollte nach etwa vierundzwanzig Stunden beginnen. Das ist so, weil sich das Muskeleiweiß dann selbst verdaut, was anschließend in die Fäulnis übergeht. So weit ist es aber scheinbar noch nicht.“ Buchner blickte kurz die Kommissare an, sprach dann über die Tote gebeugt in seinem Vortragston weiter. „Die Leichenabkühlung erfolgt in drei Phasen. In den ersten zwei bis drei Stunden bleibt die Temperatur erhalten, die zum Todeszeitpunkt herrschte, danach geht sie pro Stunde etwa ein Grad runter, bis die Umgebungstemperatur erreicht ist.“
Der Mediziner blickte erst auf seine Uhr und dann auf die Thermometer, die er gerade ablas. „Jetzt haben wir 20 Uhr 50, sagen wir 21 Uhr. Die Umgebungstemperatur in diesem Raum beträgt 18 Grad. Die Mastdarmtemperatur unserer Leiche zeigt 19 Grad an. Sie ist also noch in der Auskühlungsphase. Wenn wir davon ausgehen, dass sie zum Zeitpunkt ihres Todes 37 Grad Körpertemperatur hatte, ergibt sich eine Differenz von 18 Grad beziehungsweise 18 Stunden, plus zwei bis drei Stunden. Macht 20 bis 21 Stunden oder eine geschätzte Todeszeit von 22 bis 23 Uhr am gestrigen Abend.“
Franziska nickte zufrieden. Sie wusste, dass sich Dr. Buchner auf diesen Zeitpunkt nicht festnageln lassen würde. Sie wusste aber auch, dass sie jetzt einen soliden Anhaltspunkt hatten.
„Gut, dann müssten wir jetzt nur noch wissen, wie lange sie hier zuvor festgehalten wurde.“
„Dazu kann vielleicht der Bibliothekar Georg Brummer etwas sagen“, mischte sich Hannes nun doch ein. „Ich habe ihn befragt, aber er musste zurück in den Lesesaal.“
„Was hat er ausgesagt?“
„Nur dass er sie aus Zufall gefunden hat. Er habe gestern Abend schon einige dieser“, Obermüller zuckte mit den Schultern, „Schätze geholt und wollte sich heute weitere holen, um sie sich in seiner Spätschicht vorzunehmen. Dabei hat er sie gefunden.“
„Wann gestern Abend?“
„Er meinte so um fünf. Da habe er seinen Spätdienst angetreten und da war der Raum leer.“
„Spätdienst! Ich wusste gar nicht, dass Bibliothekare so was machen“, überlegte Franziska.
„Na ja, das hab ich ihn auch gefragt, aber er sagte, er wäre lieber hier und sichte Bücher, als zuhause zu sein.“ Obermüller grinste kurz, aber aussagekräftig und streckte Franziska einen Zettel entgegen. „Hier ist seine Handynummer.“
„Und hier sind ihre Sachen“, mischte sich die kleine Mona, eine weitere Kollegin der KTU, in das Gespräch ein und drückte Hannes eine Plastiktasche in die inzwischen behandschuhten Hände. Mona war zwar nur einsfünfzig groß, dafür aber sehr gewieft und bekannt für ihre tollen Fotos. Wie immer hatte sie zunächst den ganzen Tatort minutiös abfotografiert, bevor irgendjemand sich daran zu schaffen machen durfte.
„Das hab ich da hinten gefunden.“ Mona zeigte zu einem der Stühle, die an der Wand aufgestapelt waren. „Solche durchsichtigen Taschen sind unter anderem in der Bibliothek vorgeschrieben“, bemerkte sie.
Annemarie nahm den Beutel aus Hannes’ Händen und schaute hinein. „Tempos, Geldbörse und Schlüsselbund.“ Vorsichtig hob sie ein Bündel Kleidung heraus. „Und ein komplettes Outfit: BH, Slip, Flipflops, ein Kleid“, zählte sie auf und schlussfolgerte sofort: „Demnach hat sie sich erst hier umgezogen!“
Hannes blickte sich um und dann die tote Frau an. „Also war sie verabredet und wollte den Mann beeindrucken“, spekulierte er.
„Ich weiß nicht. Das passt doch nicht! So was macht man in einem Hotel, aber doch nicht in einer Abstellkammer.“ Alle Augen richteten sich auf Franziska, doch die blickte ganz ruhig und nachdenklich auf die Tote. „So was zieht man am besten vor dem Spiegel an …“, Annemarie nickte zustimmend, „… und nicht in einer dunklen Ecke eines schmuddeligen Raumes. Noch dazu, wo hier ja scheinbar doch hin und wieder jemand vorbei kam.“
„Vielleicht hatte sie es zufällig dabei und ihr Partner überredete sie, es anzuziehen“, überlegte Hannes.
„Du meinst, sie haben es in der Stadt gekauft und fanden das so erregend, dass sie spontan beschlossen haben, hier Sex zu haben?“ Franziskas Gesichtsausdruck zeigte, dass sie dieser These sehr skeptisch gegenüberstand. „Habt ihr denn eine Einkaufstüte und einen Kassenzettel gefunden?“
Mona schüttelte den Kopf. „Nichts dergleichen!“
„Immerhin spricht die ganze Verkleidung für eine Beziehungstat. Für einvernehmlichen Sex, der dann zu heftig wurde“, resümierte Franziska ruhig. „Wie und warum sie hier gelandet sind, wird sich zeigen müssen …“
„Sie könnten sowohl durch die Bibliothek, als auch vom Innweg hereingekommen sein“, wusste Mona und griff nach der Geldbörse und dem Schlüsselbund, die sie vorsorglich in eine Asservatentüte gesteckt hatte. „Hier ist übrigens ihr Studentenausweis. Sie heißt Vanessa Auerbach.“
„Und sonst?“, fragte Franziska und blickte auf die Tasche.
„Hundertfünfzig Euro und eine EC-Karte. Zwei Kassenzettel, etwas Kleingeld. Eine Campus Card“, berichtete Mona und überprüfte die weiteren Fächer.
„Was ist mit dem Handy?“
„Kaputt!“ Mona holte aus ihrer Sammelbox eine weitere Tüte der Marke Asservatenkammer und hielt sie für alle gut sichtbar in die Höhe. „Dieses superschicke Smartphone wurde von irgendjemandem ziemlich schlecht behandelt.“
„Funktioniert es noch?“, hakte Franziska nach und wollte schon nach dem Handy greifen, aber Mona schüttelte energisch den Kopf. „Da muss ein Techniker ran.“
Resigniert nickte Franziska. „Was hast du sonst noch gefunden? Vielleicht die Tatwaffe, ein scharfes Messer oder so?“
„Bisher Fehlanzeige. Aber die Kollegen suchen bereits das Gelände ab.“
„Was allerdings schwierig werden wird.“
Franziska wirbelte herum. Hinter ihr stand der leitende Kriminalhauptkommissar Josef Schneidlinger. „Ich habe mich gerade mit der Präsidentin der Universität unterhalten. Sie sagte mir, dass gestern auf dem Campus eine ziemlich große und durchaus laute Party stattgefunden hat, mit Livemusik, Picknick und wohl entsprechend viel Alkohol.“
„Immerhin erklärt das, warum niemand etwas bemerkt hat“, schlussfolgerte Hannes aus der Tatsache, dass zur Tatzeit rundum lautstark Musik gespielt worden war. „Man konnte ihre Schreie gar nicht hören. Vielleicht hat der Täter genau das ausgenutzt.“
Franziska nickte zögernd. „Vielleicht, vielleicht auch nicht. Aber egal ob Prostitution, Liebesspiel oder was auch immer hier aus dem Ruder lief. Wir müssen herausbekommen, mit wem sie sich getroffen oder verabredet hat. Wer Zugang zu diesem Raum hatte und wer vielleicht doch etwas beobachten konnte.“ Sie griff nach dem Schlüsselbund in Hannes’ Händen.
„Wie kommen Sie auf Prostitution?“, hakte Schneidlinger ein wenig scharf nach, weshalb Franziska sofort in die Verteidigungsposition ging: „Ein Spiel? Geld? Drogen? Irgendetwas muss sie ja dazu gebracht haben, sich hier derart entkleidet auf ihren Mörder einzulassen.“
Schneidlinger blickte nachdenklich auf das zerstörte Gesicht der Toten. „Ja natürlich. Irgendetwas muss diese Frau dazu gebracht haben, an diesem besonderen Ort ein Stelldichein mit dem Tod zu haben.“
Ungeduldig pustete sie in ihre Tasse mit Kräutertee. Er würde ihr guttun, aber er war noch viel zu heiß, um ihn zu trinken. Enttäuscht stellte sie die Tasse zurück auf das kleine fahrbare Beistelltischchen, das sie sich an das Sofa herangezogen hatte und ließ sich in die Kissen sinken. Sie war so müde, so schrecklich müde und doch stemmte sie sich mit aller Kraft gegen den Schlaf, der ihren Körper gefangen nehmen wollte. Der ihn schwer wie Blei hinunter in die rabenschwarze Welt ihrer Albträume zu ziehen versuchte.
In diesen Albträumen stand sie am Gitter und schaute zu, wie das Monster zuschlug. Wie es quälte und zerstörte und schließlich tötete. Sie konnte nicht weglaufen, weil ihre Beine ihr den Dienst versagten. Sie wollte die Augen schließen, doch selbst dann hörte sie ja noch die entsetzlichen Schreie, wie von einem Tier. Nichts Menschliches lag mehr darin. Und immer spielte diese Musik, diese fürchterliche Musik, die so laut war, als müsse sie das, was geschah, überstrahlen, als könne sie es ungeschehen machen, wenn sie nur laut genug spielte. Als wäre alles nur ein großes Fest zu Ehren des Bösen, als wären alle gekommen, um seiner Zerstörungswut zu huldigen … und sie war mittendrin, gefangen in ihren eigenen Wünschen und Gedanken, von ihrer eigenen Hoffnung auf Gerechtigkeit, gefangen in ihrer Verletztheit und ihrer großen, großen Angst.
Sie sackte noch tiefer in die Kissen. Nur kurz ihren Kopf anlehnen, nur kurz die Augen schließen, auch wenn sie auf keinen Fall einschlafen durfte. Ihre Muskeln schmerzten wie nach einem langen Fieber. Sie fühlte sich so matt, und doch wusste sie, dass es kein Fieber war. Nie wieder wollte sie die Augen schließen, nie wieder in Ruhe schlafen. Sie war zur Komplizin eines Monsters geworden, ohne die Kraft sich ihm zu entziehen. Warum nur hatte sie in diesen Strudel aus Lüge und Betrug, aus Hass und Vergeltung geraten müssen? Warum nur hatte er ihr das alles angetan?
Kaum hatten Franziska und Hannes Vanessa Auerbachs Wohnung betreten, lächelte ihnen die ehemalige Bewohnerin in einem enganliegenden Abendkleid von einem großformatigen Foto sehr selbstbewusst entgegen.
„Für Inszenierungen hatte sie also schon mal was übrig“, kommentierte Franziska das Hochglanzplakat gegenüber der Eingangstür und warf Hannes einen fragenden Blick zu. „Hübsches Mädchen, selbstbewusst und eine eigene Wohnung. Warum hat sie sich bloß auf so einen Fessel-Scheiß eingelassen?“
Hannes zuckte die Schultern, wandte sich ab, öffnete die Tür zur Küche und tastete mit den Händen nach dem Lichtschalter.
Nachdem Hauptkommissar Schneidlinger mit Nachdruck dafür gesorgt hatte, dass die Studentenkanzlei, bei der alle Studierenden der Passauer Uni registriert sind, so spät am Abend nochmals besetzt worden war, war es eine Kleinigkeit gewesen, die Adresse der Toten herauszufinden. Mithilfe des bei ihr gefundenen Schlüssels hatten sie nach zweimaligem Klingeln – für den Fall, dass sie nicht allein lebte – die Wohnung im Klosterwinkel geöffnet.
„Hier ist es fast klinisch sauber“, kommentierte Hannes die Kücheneinrichtung. Er zog einige Schubladen auf und inspizierte den Inhalt des Kühlschrankes. „Es gibt weder Wurst noch Bier. So wie es hier aussieht, hat sie sich von Joghurt ernährt.“
Franziska nickte und ging vor ihm her ins Wohnzimmer. Es war nicht besonders groß und unspektakulär möbliert: ein Sofa, eine Anrichte, ein kleiner Esstisch mit vier Stühlen, Bücherregal, Fernseher. Vor dem Fenster hingen Raffrollos in leuchtenden Farben. Franziska zog sie hoch, was den Blick auf den nächtlichen Inn und das auf der anderen Seite liegende, hoch aufragende und sehr schön beleuchtete Kloster Maria Hilf freigab.
„Wahnsinn, was für ein Ausblick“, bemerkte sie und wandte sich vom Fenster ab, um das Regal zu durchsuchen. Da gab es einige Lehrbücher, Ordner, eine Box mit Stiften, Bücher und CDs. Gleich daneben hingen einige Gruppenaufnahmen an einer Pinnwand, wie sie zum Ende der Schulzeit oder ähnlichen Anlässen gern gemacht wurden.
„Kein Foto von einem Mann, aber die hier sind immerhin ein Anfang“, versuchte sich Franziska zu freuen.
„Vielleicht war die Beziehung noch zu neu. Ich meine, wie lange hast du kein Foto von deinem Bühnenkünstler auf dem Schreibtisch stehen gehabt?“
„Hab ich noch immer nicht. Wir teilen unser Büro einzig mit deiner Sabrina“, gab sie schnippischer als gewollt zurück und wandte sich, als sie es bemerkte, rasch dem Tisch zu, der offensichtlich gleichermaßen zum Essen und Lernen genutzt wurde. Neben einer gut gefüllten Obstschale stand dort ein Laptop, der, wie Hannes jetzt feststellen musste, mit einem Passwort geschützt war. Insgesamt fanden die Kommissare alles sehr ordentlich, bis sie ins Schlafzimmer kamen.
„Ups!“ Überrascht hielt Franziska inne. Vor ihren Augen breitete sich das totale Chaos aus. Auf dem großen Bett und dem hellen Holzboden lagen mehrere Blusen, T-Shirts, Hosen, zwei Kleidchen und etliche winzige Dessous verstreut. „Ich würde sagen, hier hat sich jemand nicht entscheiden können.“ Vorsichtig lugte sie in die offenstehenden Türen des Kleiderschranks und zog dann eine enttäuschte Schnute. Denn außer weiteren Klamotten, verschiedenen Schuhen und zwei Handtaschen, die Franziska herausnahm und öffnete, fand sich auch hier kein Hinweis auf einen Mann. „Schade! Ich hab schon gehofft, hier ihr geheimes Lager zu entdecken, wo sie alles bunkert, was Besuchern verborgen bleiben soll“, erklärte sie ihre Enttäuschung.
Hannes trat hinzu, hob einen der am Boden liegenden Büstenhalter auf, wog ihn in der Hand und meinte dann nachdenklich: „Eher Durchschnitt.“
„Ja“, antwortete Franziska, beachtete das billige Spitzengewebe aber nicht weiter. „Wie sieht es im Bad aus?“
„Nichts. Kein Rasierzeug, keine zweite Zahnbürste, kein Schlafanzug.“ Vorsichtig legte er den Büstenhalter aufs Bett zurück. „Vielleicht hat er ja ihre Sachen benutzt?“
„Machst du das?“ Sie blickte Hannes abwartend an, und als er nicht antwortete, fügte sie hinzu: „Das heißt, sie lebte allein, und ob sie eine Beziehung führte, wissen wir nicht.“ Suchend blickte sie sich um und landete schließlich wieder im Wohnzimmer vor den Gruppenbildern, auf denen Vanessa immer in der ersten Reihe stand. „Mensch Mädchen! Wenn wir das Schwein finden sollen, musst du uns schon was über dein Liebesleben preisgeben.“ Sie nahm die Fotos von der Pinnwand und blickte sich suchend nach einem Umschlag zum Verstauen um.
„Hey, hast du das schon gesehen, da hinten steht was drauf!“ Hannes nahm ihr eines der Fotos aus der Hand und drehte es so, dass er es lesen konnte. „Comenius-Gymnasium Deggendorf K12“.
Während Hannes las, nahm sich Franziska das Regal vor. „Schade, sie stand anscheinend nur auf Fantasy-Bücher. Dabei hatte ich gehofft, sie wäre eine SM-Anhängerin gewesen und würde uns vielleicht damit einen Hinweis geben.“ Franziska zuckte enttäuscht mit den Schultern. „Aber zumindest wissen wir jetzt eines ganz sicher: Wenn es einen Mann in ihrem Leben gegeben hat, dann hat sie ihn ziemlich gut versteckt.“
„Also eine typische Studentenwohnung, die nichts über die wahren Vorlieben ihrer Besitzerin aussagt“, kommentierte Hannes, doch das wollte seine Kollegin nicht gelten lassen.
„Das stimmt doch gar nicht.“ Sie blickte auf ihr Handy, um zu sehen wie spät es war und entdeckte eine SMS von Walter, die sie sich aber nicht zu lesen traute. „Wir haben die Fotos und können uns den Laptop vornehmen. Und …“, sie grinste, während sie ein mit dem Uni-Logo versehenes Blatt aus einem Buch zog, „… wir haben das hier!“
Hannes nahm es ihr aus der Hand und überflog den Inhalt. „Eine Ausschreibung für ein Seminar zum Thema „Betriebliches Rechnungswesen“. Wenn sie daran teilgenommen hat, wird vielleicht einer der Teilnehmer etwas mehr über sie wissen.“
Franziska zuckte mit den Schultern. „Das wird sich zeigen, aber es ist zumindest ein Anfang. Und morgen kann sich ja die Spurensicherung noch einmal alles ansehen.“
Obwohl sich Franziska Hannes gegenüber so zuversichtlich gab, hatte sie natürlich sehr wohl gehofft, in der Wohnung einen Hinweis auf eine offensichtliche Beziehung zwischen Vanessa Auerbach und einem Mann zu finden. Ein Foto, eine Anschrift, vielleicht den Freund persönlich, der sich unbeteiligt gab und den sie durch ein paar geschickte Fragen und seine am Tatort hinterlassenen Spuren sehr schnell überführen konnten. Stattdessen musste sie sich mit einem Klassenfoto und einem gesicherten Laptop zufrieden geben. Andererseits konnte sie so in aller Ruhe nach Hause fahren. Sie hatte nur noch rasch Hannes bei seinem Fahrrad an der Uni absetzen müssen. Von dort radelte dieser zu sich nach Hause in den Fuchsbauerweg, wo sein Schätzchen Sabrina, ebenfalls Polizistin, aber bei der Bereitschaftspolizei, auf ihn wartete.
Während Franziska ihm hinterherblickte, fiel ihr die SMS von Walter wieder ein. Er wolle nach seinem Termin am Theater in seine Wohnung fahren und dort übernachten, damit sie sich ganz auf ihren Fall konzentrieren konnte, las sie und war enttäuscht. Eine leere Wohnung und ein leeres Bett – beides fand sie in diesem Moment nicht besonders anziehend. Darum ließ sie ihr Auto vor der Studentenkanzlei stehen und beschloss spontan, noch einen Abstecher zum Inn zu machen, um sich dort in der kühlen Nachtluft den Kopf freipusten zu lassen.
Auf dem gesamten Uni-Gelände war es an diesem Abend beinahe gespenstisch ruhig. Ob es daran lag, dass selbst Studenten nach einer so ausgelassenen Feier wie am gestrigen Abend ein wenig mehr Schlaf benötigten, oder vielleicht doch eher an der Tatsache, dass sich die Nachricht vom Tod ihrer Kommilitonin bereits herumgesprochen hatte, konnte sie nur vermuten. Aus Erfahrung wusste Franziska, dass sich junge Menschen gern für unverwundbar hielten. Vielleicht hatten sich die Studenten ja auch, wenn schon nicht ins eigene Bett, so zumindest in ihre vier Wände oder in eine der Altstadtkneipen zurückgezogen, die als Treffpunkt dienten.
Der Leichnam von Vanessa Auerbach dagegen war längst in der Frauenlobstraße in München angekommen, und mit ein bisschen Glück wurde er dort auch schon obduziert. Je schneller sie das Ergebnis bekämen, desto früher konnten sie die dabei gewonnenen Erkenntnisse verwerten.
Vor dem Tatort hatte Kriminalhauptkommissar Schneidlinger eine Streife postiert, um ihn vor unbefugten Besuchern zu schützen. Die Spurensicherung sollte weitermachen, sobald es hell wurde. Ob sie unter all den Spuren und Fundstücken, die auf dem weitläufigen Gelände verstreut lagen, doch noch eine Tatwaffe finden könnten, oder etwas, was die Aufklärung der Tat beschleunigen würde, war nach einem derartigen Event, wie es zur Tatzeit abgehalten worden war, allerdings mehr als fraglich.
Müde ließ sich Franziska auf einer der vielen Parkbänke nieder und versuchte, an etwas anderes als den brutalen Mord an der Studentin Vanessa Auerbach zu denken, was ihr nicht gelingen wollte. Stattdessen stellte sie weitere Vermutungen an: Welche Art Männer musste sie gekannt haben, damit diese imstande waren, ihr so etwas anzutun?
Franziska blickte auf den nächtlichen Inn, als könne er ihr eine Antwort geben. Vor zwei Jahren hatte hier das Jahrtausend-Hochwasser alles unter sich und den mitgeführten Schlamm- und Sandmassen begraben. Danach waren unzählige ehrenamtliche Helfer ans Werk gegangen und hatten die Stadt in kürzester Zeit wieder aufgeräumt. Fremde, die einfach nur helfen wollten, weil es so unfassbar war, was Wassermassen anrichten konnten.
Hatte auch Vanessa Auerbach sich auf einen Fremden eingelassen oder hatte sie den Mann, der in der vergangenen Nacht mit so viel Brutalität ihr Leben ausgelöscht hatte, tatsächlich gekannt?
In ihrer Wohnung gab es absolut keine Hinweise auf eine Beziehung, weder eine bestehende noch eine vergangene. War sie einfach nicht der Typ gewesen, der die Trophäen vergangener Eroberungen hortete? Oder hatte sie ihr Liebesleben den Prinzipien unserer modernen Wegwerfgesellschaft angepasst: vorbei und weg damit?
Vanessa war ein hübsches Mädchen gewesen, die Haare lang, die Fußnägel lackiert, die Scham rasiert. Eine Frau, die Männern gefallen, von ihnen begehrt und nicht misshandelt werden wollte. Die Wäsche in ihrer Wohnung war weder bieder noch besonders aufreizend. Warum zeigte sie sich dann ausgerechnet an einem Ort wie dem Dublettenmagazin der Zentralbibliothek in einem derart gewagten Outfit?
Dafür konnte es nur eine Erklärung geben. Der Täter musste sie dazu animiert haben, musste die Sachen mitgebracht und sie ihr gegeben haben. Und ihrer Einschätzung nach musste sie sie auch freiwillig angezogen haben. Und dann? Was war dann passiert? Warum war dieses Rendezvous tödlich ausgegangen? Konnte sie wirklich so leichtsinnig gewesen sein, sich mit einem Mann das erste Mal auf diese spezielle Weise zu treffen und keinerlei Sicherheitsmaßnahmen zu ergreifen?
In einer Zeit, in der scheinbar alle auf einer verherrlichenden Sado-Maso-Welle ritten und kritiklos den Kick in der Hingabe ohne Absicherung suchten, war ja vielleicht sogar das möglich. Aber gehörte zu diesem Kick dann auch ein Platz zwischen staubigen alten Büchern und der Möglichkeit, entdeckt zu werden?
Franziska blickte nach links. Der Radweg entlang des Inns führte in dieser Richtung bis zur Ortsspitze, um sie herum und dann an der Donau entlang weiter. Sie wandte den Kopf und schaute nach rechts. In die entgegengesetzte Richtung konnte man bis nach St. Moritz durchradeln. Wobei der Inn mit seinem grünen Gebirgswasser noch etwas höher gelegen im Malojapass entspringt und dann mehr als fünfhundert Kilometer zurücklegt, bis er an der Ortsspitze in die Donau mündet.
Das alles hatte mit der Tat und mit ihrem Fall wenig zu tun, außer dass es zeigte, wie einfach der Täter den Tatort verlassen haben konnte. Wobei er genauso gut zu Fuß über die großangelegten Wiesenflächen, zwischen grillenden und feiernden Studenten oder mit dem Auto über die Innstraße entschwunden sein konnte. Letztlich sogar mit einem Boot.
Denn tatsächlich führten die Rasenflächen bis zum Fluss und wurden immer wieder für spontane Partys genutzt, so wie in der vergangenen Nacht, um das Studentenleben aufzulockern. Hinter ihr wuchsen große Büsche; sie sorgten bei Tag, wenn die Sonne unbarmherzig schien, für Schatten. In der Nacht konnte sich aber auch problemlos jemand dahinter verbergen. Jemand, der ein leichtes Opfer suchte und dieses dann ausgerechnet in den Keller der Zentralbibliothek entführte? Nein, nein, nein, dachte Franziska, nie und nimmer! Und dann begann sie doch ein wenig zu frösteln.
Im Grunde fürchtete sie sich nie oder zumindest nicht auf einer nächtlichen Parkbank auf dem Universitätsgelände. Und auch jetzt, trotz allem, konnte sie sich immer noch nicht vorstellen, dass Vanessa ihren Mörder nicht gekannt haben sollte. Vanessa – sie versuchte der Toten in ihren Gedanken das Gesicht wiederzugeben, ein Gesicht, das der Täter ihr mit Tritten oder Schlägen genommen hatte. Übertötung nennt man das, wusste die Kommissarin und auch, dass dahinter oft der Wunsch des Täters steckte, dem Opfer nicht nur das Leben, sondern auch die Identität zu rauben. Hatte Vanessa diesen Mann aus ihrem Leben verbannt und hatte er sie dann genauso zerstören wollen, wie sie ihre Beziehung zu ihm?
Es blieb ihr nichts anderes übrig, als mehr über Vanessa Auerbach herauszufinden. Was ja eigentlich nicht so schwer sein durfte. In einer Zeit der allgemeinen Vernetzung und Verlinkung sollte sie doch Menschen finden, die die lebende Vanessa gekannt hatten und etwas über sie und ihre Bekanntschaften sagen konnten.
Alles sprach für eine Beziehungstat. Für eine gescheiterte oder zumindest für eine aus dem Ruder gelaufene Beziehung. Solche Fälle hatte sie schon des Öfteren erlebt. Eine totgeschlagene Ehefrau, die zur letzten Aussprache gegangen war, ohne begriffen zu haben, dass ihr Mann, wenn er sagte, er könne ohne sie nicht leben, das auch wortwörtlich meinte. Ihre letzte Aussprache war dann wirklich das letzte, was sie erlebte. Manchmal nahm sich der Mann dann ebenfalls das Leben, warf sich vor einen Zug oder knallte mit dem Auto gegen einen Baum. Sie konnte sich an zwei Fälle erinnern, wo es genauso abgelaufen war. Beim dritten hatte dem Mann der Mut gefehlt, es auch für sich selbst zu Ende zu bringen. Alle drei hatten Abschiedsbriefe geschrieben, worin sie mehr oder weniger flüssig beschrieben, was in ihnen vorgegangen war und warum sie so und nicht anders gehandelt hatten.
Diese Männer hatten ihre Frauen geschlagen, gewürgt und dann getötet. Wenn schon nicht auf Erden, dann zumindest im Himmel vereint, lautete die Botschaft. Eine Liebe, die nicht sterben durfte. Eine unendliche Liebe, die mit brutaler Gewalt gegen die Frauen erzwungen wurde. Unvorstellbar für einen rational denkenden Menschen, für die Täter aber allem Anschein nach der einzige Ausweg aus ihrem ganz persönlichen Dilemma. Eine der Frauen war damals ziemlich heftig vergewaltigt worden. Wobei sie alle drei in der gemeinsamen Wohnung oder dem gemeinsamen Haus gestorben waren und sich keine der Frauen extra aufreizend angezogen hatte.
Vielleicht würde sich ja auch im Fall Vanessa Auerbach ein solcher Abschiedsbrief finden, hoffte die Kommissarin, auch wenn nach dem aktuellen Ermittlungsstand nichts zu einer letzten Aussprache passte.
Franziska wandte sich um und blickte hinauf zu dem hell gestrichenen Bau der Zentralbibliothek, wo noch immer Licht brannte. Es war kurz vor elf. Der Bibliothekar leiste noch seinen ganz persönlichen Spätdienst, hatte Hannes gesagt. Franziska öffnete ihre Tasche und holte ihr grünes Notizbuch heraus. Darin lag der Zettel mit der Handynummer des Bibliothekars. Ich hoffe, du bist auch heute noch im Dienst und hast es nach allem, was passiert ist, nicht vorgezogen nach Hause zu fahren, dachte sie kurz. Dann tippte sie die Nummer ein und wartete darauf, dass ihr Anruf entgegengenommen wurde. Wenn sie an diesem Abend schon nichts über Vanessa in Erfahrung bringen konnte, dann konnte sie ja vielleicht die Frage klären, wie Opfer und Täter ins Dublettenmagazin gelangt waren.