Der Traum vom Hotel am Meer - Katie M. Bennett - E-Book
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Der Traum vom Hotel am Meer E-Book

Katie M. Bennett

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Beschreibung

Der Duft von Lavendel und Meer – Willkommen im kleinen Hotel zum Verlieben!
Ein fesselnder Sommerroman vor der traumhaften Kulisse Südfrankreichs

Nilas Leben ist ein Scherbenhaufen. Nach der Trennung von ihrem Verlobten verliert sie auch noch den Job. Von Geldsorgen geplagt, kommt das Angebot der exzentrischen Renée Durand gerade recht. Sie soll die alte Dame zum Familienanwesen in die Provence begleiten, um dessen Verkauf abzuwickeln. Doch Nila verliebt sich auf Anhieb in das alte Gemäuer, das die perfekte Grundlage für ihren Jugendtraum wäre – ein kleines Hotel am Meer. Aber Nila spürt bald, dass ein Geheimnis diesen verwunschenen Ort umgibt. Als auch noch der charismatische Sohn des Hauses, Vincent, auftaucht, scheint das Chaos perfekt. Zwischen tragischen Familiengeheimnissen, Lavendelfeldern und Rotwein wächst Nilas Sehnsucht nach dem für sie richtigen Leben.

Dies ist eine überarbeitete Neuauflage des bereits erschienenen Romans Lavendelblaue Sehnsucht.

Erste Leser:innenstimmen
„Traumhafter Liebesroman und die perfekte Urlaubslektüre!“
„So authentisch geschrieben, dass ich den Lavendel förmlich riechen konnte.“
„Mitreißend, emotional, wundervoll – sorgt garantiert für Sommergefühle!“
„Spannende Geheimnisse, tolle Protagonistin und atemberaubende Kulisse.“

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Seitenzahl: 412

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Über dieses E-Book

Nilas Leben ist ein Scherbenhaufen. Nach der Trennung von ihrem Verlobten verliert sie auch noch den Job. Von Geldsorgen geplagt, kommt das Angebot der exzentrischen Renée Durand gerade recht. Sie soll die alte Dame zum Familienanwesen in die Provence begleiten, um dessen Verkauf abzuwickeln. Doch Nila verliebt sich auf Anhieb in das alte Gemäuer, das die perfekte Grundlage für ihren Jugendtraum wäre – ein kleines Hotel am Meer. Aber Nila spürt bald, dass ein Geheimnis diesen verwunschenen Ort umgibt. Als auch noch der charismatische Sohn des Hauses, Vincent, auftaucht, scheint das Chaos perfekt. Zwischen tragischen Familiengeheimnissen, Lavendelfeldern und Rotwein wächst Nilas Sehnsucht nach dem für sie richtigen Leben.

Dies ist eine überarbeitete Neuauflage des bereits erschienenen Romans Lavendelblaue Sehnsucht.

Impressum

Überarbeitete Neuausgabe Juni 2023

Copyright © 2024 dp Verlag, ein Imprint der dp DIGITAL PUBLISHERS GmbH Made in Stuttgart with ♥ Alle Rechte vorbehalten

E-Book-ISBN: 978-3-98778-597-9 Taschenbuch-ISBN: 978-3-96817-822-6 Hörbuch-ISBN: 978-3-96817-857-8 Taschenbuch-ISBN: 978-3-98998-064-8 Hörbuch-ISBN: 978-3-98778-958-8

Copyright © 2021, dp Verlag, ein Imprint der dp DIGITAL PUBLISHERS GmbH Dies ist eine überarbeitete Neuausgabe des bereits 2021 bei dp Verlag, ein Imprint der dp DIGITAL PUBLISHERS GmbH erschienenen Titels Lavendelblaue Sehnsucht (ISBN: 978-3-96817-358-0).

Covergestaltung: Anne Gebhardt unter Verwendung von Motiven von shutterstock.com: © oeahead, © Kriengsuk Prasroetsung stock.adobe.com: © philipus , © Irina Schmidt , © Weiming , © ArtDingo, © oraziopuccio , © Sheremetio elements.envato.com: © PixelSquid360 Lektorat: Claudia Steinke

E-Book-Version 26.04.2024, 09:47:44.

Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Sämtliche Personen und Ereignisse dieses Werks sind frei erfunden. Etwaige Ähnlichkeiten mit real existierenden Personen, ob lebend oder tot, wären rein zufällig.

Abhängig vom verwendeten Lesegerät kann es zu unterschiedlichen Darstellungen des vom Verlag freigegebenen Textes kommen.

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Der Traum vom Hotel am Meer

Vorwort

Dies ist eine überarbeitete Neuauflage des bereits erschienenen Titels Lavendelblaue Sehnsucht – Sommer in der Provençe von Katie M. Bennett. Da wir uns stets bemühen, unseren Leser:innen ansprechende Produkte zu liefern, werden Cover sowie Inhalt stets optimiert und zeitgemäß angepasst. Es freut uns, dass du dieses Buch gekauft hast. Es gibt nichts Schöneres für die Autor:innen und uns, zu sehen, dass ein beständiges Interesse an ästhetisch wertvollen Produkten besteht.

Wir hoffen du hast genau so viel Spaß an dieser Neuauflage wie wir.

Dein dp-Team

Für Andreas

Prolog

Les Issambres Juli 2001

Das Geräusch des aufheulenden Motors erinnerte sie an das Kreischen eines verzweifelten Kindes und hallte schmerzhaft in ihren Ohren nach.

Zitternd rieb sie sich die nackten Oberarme, auf denen eine Gänsehaut nicht weichen wollte, obwohl das Thermometer längst auf über dreißig Grad geklettert war.

Ihre Augen begannen zu brennen. Zu lange schon richtete sie den Blick starr auf den sandigen Zufahrtsweg. In der unsinnigen Hoffnung, er würde es sich anders überlegen und zurückkommen.

Der aufgewirbelte Staub legte sich jetzt langsam, nur vereinzelte Partikel flirrten noch in der heißen Luft.

Sie hätte sich wehren können. Die Wahrheit hätte gereicht, um nicht mehr Zielscheibe seines Zorns zu sein. Aber das hatte sie nicht tun können. Zu groß war die Gefahr, dass die Wahrheit ihn zerstören würde. Das konnte sie nicht zulassen. Niemals.

Egal, wie hoch der Preis sein mochte. Sie würde ihn bezahlen.

1.

Wann genau hatten sie aufgehört, ein Liebespaar zu sein? Seit wie vielen Jahren lebten sie nur noch als Bruder und Schwester zusammen? In tiefer Freundschaft, vermutlich sogar Liebe verbunden, aber ohne jedes Kribbeln. Zwei Jahre? Drei? Warum tat es so schrecklich weh, obwohl Trennung die einzig richtige Lösung zu sein schien? Vielleicht hätten sie mehr kämpfen müssen. Oder die Schwerpunkte anders setzen.

Bis in die frühen Morgenstunden hatte Nila die immer gleichen Fragen im Kopf gedreht, gewendet und zum Teufel geschickt. Es machte keinen Sinn, in Endlosschleife weiter zu denken. Aufhören konnte sie trotzdem nicht. Nila und Niklas, das Traumpaar. Seit zwölf Jahren. Komme, was wolle, sie gehörten zusammen.

Sie war sechzehn und er achtzehn, als sie sich verliebten. Stürmisch, und schon bald mit der Gewissheit, nie wieder auseinanderzugehen. Schließlich fand sich ihr Name sogar in seinem wieder. Wenn das kein gutes Omen war. Sie passten perfekt zusammen. Womöglich zu perfekt. Auch dieser Gedanke tauchte wieder und wieder auf, ließ sie hochschrecken, wenn sie fast eingeschlafen war. Konnte Liebe an Perfektion scheitern? Nila wusste es nicht. Sie wusste gar nichts mehr. Ihr Kopf schmerzte und ihre Augen fühlten sich geschwollen und wund an. Mühsam setzte sie sich im Bett auf und zog ihr Handy, das auf dem Nachttisch lag, zu sich heran. Zehn Uhr. Ein paar Stunden hatte sie tatsächlich geschlafen.

Nun lag das Pfingstfest hinter ihr, und bis zum Ende der Woche hatte sie noch Urlaub. Ein Umstand, von dem sie noch nicht zu sagen vermochte, ob er angesichts ihres desolaten Zustands ein Geschenk des Himmels war oder nur weitere vertane Zeit beinhaltete, die sie mit nutzlosen Grübeleien verbringen würde. Als sie den Urlaub eingereicht hatte, war sie noch davon ausgegangen, dass Niklas und sie spontan verreisen würden. Vielleicht eine Städtereise nach London oder Venedig. Oder ein paar Tage ans Meer … dann vermutlich mit Frankreich als Ziel, ihrer beider Lieblingsland. Nilas Hals wurde eng. Schnell schob sie den Gedanken daran zur Seite. Frankreich tat zu weh. Keine gute Idee, dem Raum zu geben. Würde es vielleicht nie mehr sein. Nila seufzte. Ihr Mund war trocken, sie griff zur Wasserflasche neben ihrem Bett, öffnete sie und trank einen großen Schluck. Was sollte sie mit dem heutigen Dienstag anfangen? Sie könnte sich endlich um die vielen Dinge kümmern, die seit dem Einzug in die neue Wohnung bislang vergeblich darauf gewartet hatten, erledigt zu werden. Aber sie war so unendlich müde, und alleine der Gedanke daran überforderte sie. Außerdem machte er ihr Angst. Unweigerlich würde sie auf Sachen stoßen, die Niklas gehörten … Als er letzte Woche gegangen war, hatte er nur das Nötigste mitgenommen. Seitdem wohnte er im Gästezimmer von Marie und Jonas. Dort konnte er seinen gesamten Hausstand schwerlich unterbringen. Die Suche nach einer eigenen Wohnung war vermutlich noch nicht von Erfolg gekrönt, sonst hätte er sich gemeldet. Sowohl die Kammer als auch die letzten unausgepackten Kartons mussten weiter warten. Immerhin war der größte Teil der 80-Quadratmeter-Wohnung bereits in einem wohnlichen Zustand. Nila würde sich auch heute wieder durch den Tag treiben lassen. Wahrscheinlich musste sie sich diese Zeit des Nichtstun einfach gönnen. Zur Tagesordnung übergehen und die letzten zwölf Jahre mit einem Schulterzucken abtun, würde nicht funktionieren. Ob Niklas es konnte? Tränen schossen in ihre Augen. Wütend wischte sie sie weg. Die ewige Heulerei half auch nicht.

Sie zog geräuschvoll die Nase hoch und schwang die Beine entschlossen über die Bettkante. Ihre nackten Füße berührten das warme Eichenparkett, als sie aufstand und auf wackligen Beinen zum Fenster stakste. Sie zog die Gardine zur Seite, öffnete das Fenster und blickte hinaus in einen sonnenhellen Frühsommertag. Die Läden im urbanen Eppendorf waren längst geöffnet, ebenso hatten die Cafébetreiber ihre Tische und Stühle auf den Bürgersteigen hergerichtet. Erste Gäste ließen sich bereits ihr Frühstück schmecken. Ein verführerischer Duft nach Kaffee und frischen Croissants wehte zu Nila in den zweiten Stock. Mit einem Knurren meldete sich ihr vernachlässigter Magen. Er hatte allen Grund dazu – die letzte Mahlzeit verdiente kaum diesen Namen – Nilas Abendessen hatte aus einem Stück Käse und zwei Gläsern Rotwein bestanden.

Appetit verspürte sie immer noch wenig, aber die Aussicht auf den besten Karamell-Macchiato der Stadt, den es nur bei Antonia gab, bewog sie schließlich, das Fenster auf Kipp zu stellen und sich in Richtung Badezimmer zu bewegen. Dort versuchte sie, den Blick nicht auf die gläserne Ablage zu richten, auf der ein einsamer Zahnputzbecher stand. Den letzten schweren Heulkrampf letzte Nacht hatte sie genau diesem Blick zu verdanken gehabt. Aus den Augenwinkeln nahm sie es natürlich doch wahr. Sie biss sich auf die Lippen, zog ihr T-Shirt aus, pfefferte es in den Wäschekorb und stellte sich unter die bodentiefe Regendusche. Die nächste Erinnerung: Niklas wollte unbedingt so eine haben. Nila schloss die Augen und ließ das Wasser auf ihr Gesicht prasseln. Ihre verspannten Schultern lockerten sich unter dem warmen Wasserstrahl. Minutenlang stand sie einfach nur da, bis sie sich schließlich gründlich mit Duschgel einschäumte und die Haare wusch.

Zum Abschluss drehte sie das warme Wasser ab und ertrug für einen Moment die eisige Kälte auf ihrer Haut. Nach Luft japsend stieg sie schließlich aus der Dusche und griff zu einem flauschigen Handtuch. Ihr morgendliches Ritual hatte zumindest die Müdigkeit vertrieben. Nachdem sie sich abgetrocknet hatte, stand sie vor dem Spiegel und entwirrte ihre langen, roten Locken. Vielleicht sollte sie sich die Haare abschneiden lassen. Taten Frauen das nicht gewohnheitsmäßig, wenn ein neuer Lebensabschnitt anfing? Nila verwarf die Idee jedoch gleich wieder. Ihre widerspenstige Haarpracht würde in kurzer Form vermutlich noch schwerer zu bändigen sein und sie könnte Pumuckl ähneln. Sie zog eine Grimasse und putzte sich die Zähne. Dabei nahm sie ihr Gesicht näher unter die Lupe. Die Augen waren nicht mehr ganz so geschwollen, aber die Ringe darunter verrieten dem aufmerksamen Betrachter, dass sie in den letzten Nächten viel zu wenig Schlaf bekommen hatte. Ihr Gesicht war noch blasser als sonst, selbst die Sommersprossen auf der Nase wirken heller. Und ihre tiefblauen Augen besaßen noch immer diesen erschreckten Ausdruck, der sich hartnäckig seit jenem Moment hielt, als die folgenschweren Worte ausgesprochen worden waren. Es ist besser wir trennen uns. Seltsamerweise wusste Nila nicht mehr, ob Niklas oder sie den Satz gesagt hatte, sie hatte es gleich wieder vergessen. Wahrscheinlich, weil es keine Rolle spielte und sie sich einig waren, dass es die Wahrheit war. Jetzt müsste nur noch der verdammte Schmerz nachlassen, dann könnte das Leben weitergehen. Ein bitteres Lächeln erschien auf ihren Lippen, während sie Tagescreme und Make-up auftrug, um der Welt da draußen gleich vorzugaukeln, dass eine Trennung nicht das Ende des Lebens war. Flüchtig tuschte Nila noch die Wimpern und benutzte ihren nudefarbenen Lieblings-Lippenstift, bevor sie entschied, dass es mit der Tarnung reichte. Es interessierte sowieso niemanden, ob sie Liebeskummer hatte oder nicht.

Sie tappte zurück ins Schlafzimmer, öffnete den Kleiderschrank und zog ein lindgrünes Sommerkleid vom Bügel, das sie liebte. Der weiche Stoff trug sich angenehm leicht und war das perfekte Outfit für einen warmen Tag. Dann fiel ihr ein, dass das Kleid ein Geschenk von Niklas war. Während sie nachdenklich Slip und BH anzog, hatte sie sich schon fast entschieden, doch lieber zu Jeans und T-Shirt zu greifen. Aber in dem Moment wallte etwas wie Trotz in ihr auf. Verdammt, ihr Leben musste weitergehen! Und irgendwie musste sie es schaffen, ihr altes Leben ins neue zu integrieren. Wenn sie bei jeder Erinnerung innerlich zusammenbrach, konnte sie gleich einpacken. Wie hatte Mona so schön gesagt? Niemand sagt, dass es leicht werden wird. Aber du wirst es schaffen, da verwette ich mein Moped drauf! Nila musste lächeln. Der Gedanke an ihre beste Freundin machte ihr Herz etwas leichter. Mona mit ihrem unerschütterlichen Frohsinn war es zu verdanken, dass die schweren ersten Stunden und Tage nach Niklas Auszug ein wenig von ihrem Schrecken verloren hatten. Wenn Mona sogar ihr Baby verwettete, musste sie sehr sicher sein. Entschlossen zog Nila das Kleid über den Kopf. Praktische Sneaker vervollständigten ihre Garderobe. Sie ignorierte das ungemachte Bett, das mit dem einzelnen Kopfkissen viel zu riesig wirkte und stapfte in den Flur. Gerade wollte sie ihre Handtasche schnappen, als der melodische Klang der Türklingel sie innehalten ließ. Sie erwartete niemanden. Zögernd betätigte sie die Gegensprechanlage.

„Moin, die Post. Ein Einschreiben für Nila Roonstein.“

Überrascht betätigte sie den Summer. Kurz darauf übergab der junge Briefträger ihr einen Umschlag aus dickem, goldumrandeten Papier. Sie erkannte sofort das teure Briefpapier ihres Arbeitgebers. Alles bei Villa & more, der Maklerfirma für besondere Immobilien, war edel und auffallend, da wurde natürlich auch beim Postversand nicht gespart. Geld spielte keine Rolle, und bei dem Wenigen, das heutzutage nicht elektronisch versandt wurde, erst recht nicht. Nila zog eine Augenbraue hoch, bedankte sich bei dem Postboten, der die Treppe wieder herunterstürmte, nachdem sie den Empfang quittiert hatte, und betrachtete skeptisch den Brief. Etwas krampfte bei dem Anblick ihren Magen zusammen. Sie hatte Urlaub, Gehaltsbescheinigungen wurden per Mail versandt und sollte eine Rückfrage zu einem ihrer Objekte bestehen, hätte man sie angerufen. Nila schluckte und stopfte den Umschlag in ihre Handtasche. Vielleicht rebellierte ihr Magen auch nur vor lauter Hunger. Es würde jedenfalls reichen, wenn sie das Kuvert nach dem Frühstück öffnete.

2.

Nila hatte sich einen Schattenplatz vor Tonys Café gesucht.

Die Tische, die auf dem Bürgersteig standen, waren ungefähr zur Hälfte besetzt. Neben jungen Müttern mit ihren Kindern genossen Geschäftsleute, Rentner und Studenten das besondere Flair von Eppendorf, während sie sich von Tony mit ihren liebevoll zubereiteten Frühstücken verwöhnen ließen. Nila war verliebt in diesen Stadtteil, der mit seinen vielen kleinen Straßencafés, Restaurants und winzigen Läden an das Savoir-vivre erinnerte. Wenn sie schon nicht in Frankreich lebte, dann wenigstens an einem Ort, der dem nahekam.

Sie stützte die Ellbogen auf den weiß lackierten Bistrotisch und verschränkte die Hände unter dem Kinn. Passanten schlenderten vorbei, und normalerweise würde Nila jetzt längst das typische Urlaubsgefühl verspüren, das Besuche bei Tony sonst zuverlässig begleitete. Heute war sie weit davon entfernt. Leere und Verzweiflung trieben ihr schon wieder die Tränen in die Augen, die sie sicherheitshalber hinter einer großen Sonnenbrille verborgen hatte. Sie presste die Fingerspitzen vor den Mund und befahl sich, tief Luft zu holen. Ein Heulkrampf im Café war so ziemlich das Letzte, was sie gebrauchen konnte. Alles wird wieder gut, betete sie sich still vor. Ja, im Moment war es hart, ein Leben ohne Niklas, aber sie würde sich dran gewöhnen. Sie war jung, beruflich erfolgreich, hatte ihre Familie und einen netten Freundeskreis. Sie schluckte. Nun ja, sie beide hatten eine tolle Clique. Wahrscheinlich würde die sich aber aufteilen. Team Nila und Team Niklas … Bevor sie den Gedanken vertiefen konnte, erschien Tony mit einem Tablett an ihrem Tisch.

„Karamell-Macchiato und ein Croissant, meine Süße.“ Tonys dunkle Augen blitzten fröhlich, während sie Tasse und Teller vor Nila hinstellte. „Lass es dir schmecken.“

„Danke.“ Nila versuchte sich an einem Lächeln.

„Was ist los, Schatz?“ Eine senkrechte Falte erschien zwischen Tonys Augenbrauen. Ihre schokoladenbraunen Augen musterten Nila besorgt.

„Dir entgeht auch nichts.“ Ihr Lächeln hatte den Zweck offenbar nicht erfüllt. Tonys sechster Sinn ließ sich weder durch Sonnenbrille noch durch misslungenes Lächeln täuschen.

„Ärger im Job?“

„Nein.“ Nila schüttelte den Kopf. Obwohl … ihr fiel der Brief ein. „Jedenfalls nicht, dass ich wüsste.“ Sie überlegte einen Moment. Irgendwann müsste sie Tony sowieso in die Änderung einweihen, denn es würde nicht lange dauern, bis ihrer Lieblingswirtin auffiele, dass sie nicht mehr zusammen auftauchten. Am besten, sie brachte es gleich hinter. „Niklas und ich haben uns getrennt.“ Der leise Satz ging beinahe unter in dem Stimmengemurmel und den Verkehrsgeräuschen um sie herum.

„Wie bitte?“ Tony riss die Augen auf. „Sag, dass das nicht wahr ist!“ Sie presste das Tablett in ihrer Hand vor die Brust und starrte Nila an. Ihr Entsetzen verwandelte Nilas Magen in einen schweren Klumpen. Sie hatte es ja geahnt. Niemand würde verstehen, warum sich das Traumpaar getrennt hatte. Die meiste Zeit verstand sie es ja nicht mal selbst.

„Wir sind im Guten auseinandergegangen, werden weiter Freunde bleiben.“ Nila verstummte, ihre Worte klangen in den eigenen Ohren wie sinnloses Geplapper. Sie starrte auf ihre Fingernägel, an denen der Nagellack zur Hälfte abgeplatzt war. In den letzten Tagen war ihr das nicht mal aufgefallen. Eigentlich hasste sie ungepflegte Fingernägel, aber jetzt hatte es jede Bedeutung verloren.

„Es tut mir so leid.“ Tony drückte ihren Arm. „Ich weiß gar nicht, was ich sagen soll.“ Sie hob hilflos die Schultern.

Nila schluckte an dem Kloß in ihrem Hals vorbei und presste die Lippen zusammen. Tonys rührende Anteilnahme machte ihr wieder bewusst, wie weh es tat.

„Ich würde mich gerne zu dir setzen, aber …“ Die Cafébesitzerin deutete entschuldigend auf die neuen Gäste, die gerade an zwei Nebentischen Platz nahmen.

Nila winkte ab. „Schon gut, ich komme klar! Ein Frühstück bei dir und die Welt ist wieder in Ordnung.“ Sie deutete ein Nicken an und griff zu ihrem Macchiato-Glas.

Tony runzelte die Stirn und nickte zögernd. „Okay, wenn du etwas brauchst, sag Bescheid. Ich bin in der Nähe.“

Als Nila wieder alleine war, nippte sie an dem Glas. Der süße Karamell-Geschmack milderte das Bittere in ihrem Mund und der Macchiato floss warm ihre Kehle hinab. Der Klumpen in ihrem Magen wurde kleiner.

Seufzend zog sie den Teller mit dem Croissant zu sich heran. Appetit hatte sie kaum, aber ihre Finger zerteilten pflichtschuldig das Gebäck. Langsam begann sie zu kauen.

Wie oft hatte sie hier schon mit Niklas gefrühstückt? Unzählige Male … Tonys Café war schon lange vor ihrem Umzug nach Eppendorf eine beliebte Anlaufstelle für sie gewesen. In Altona, wo sie vorher acht Jahre lang in einer winzigen Zweizimmer-Wohnung gewohnt hatten, gab es zwar ebenfalls eine vielfältige Gastronomieauswahl, aber es hatte sie beide immer schon nach Eppendorf gezogen. Sie liebten diesen Stadtteil, der hipp und teuer war, aber gleichzeitig etwas Bodenständiges und Lässiges ausstrahlte. Viele Jahre war es nur ein Traum gewesen, hier zu leben. Dann war er wahr geworden. Und dennoch läutete er das Ende ihrer Beziehung ein. Nila schluckte den pappigen Rest ihres Croissants runter, trank einen weiteren Schluck Macchiato und schob den Teller weg. Der Klumpen in ihrem Magen kehrte zurück. Ihr wurde klar, dass weder Essen noch Trinken daran Schuld hatte, sondern schlicht die Tatsache, dass Niklas aus ihrem Leben verschwunden war. Ihr bester Freund, Seelenverwandter, Mann an ihrer Seite. Aber schon lange nicht mehr ihr Geliebter, seit einem Jahr hatten sie keinen Sex mehr gehabt. Auf Dauer konnten sie es beide nicht verdrängen, dass sie keine wirkliche Beziehung mehr führten. Sie waren eindeutig zu jung, um so zu leben. Außerdem wollten sowohl Nila als auch Niklas auf jeden Fall irgendwann Kinder haben. Wie sollten sie entstehen? Nila spürte das Verlangen, gleichzeitig zu lachen und zu weinen. Stattdessen legte sie die Hände um das abgekühlte Glas. Ihr Blick schweifte über die Passanten, die vorbeischlenderten. Die wenigsten hatten es eilig. Das Tempo hier war anders als in vielen anderen Hamburger Stadtteilen. Ein weiterer Grund, warum Nila sich in Eppendorf so wohl fühlte. Sie seufzte leise. Ihr fiel der Brief wieder ein, der in ihrer Handtasche darauf wartete, dass sie endlich den Mut fand, ihn zu öffnen. Etwas Kaltes schloss sich um ihr Herz. Vielleicht war sein Inhalt vollkommen belanglos. Vielleicht aber auch nicht. Schön, dachte Nila, langsam wird es zur Gewohnheit, mich in unnützen Gedankenschleifen zu verlieren. Schluss damit! Sie zog die Handtasche mit einem Ruck von der Stuhllehne, öffnete sie und fischte den Brief heraus. Für einen Moment hielt sie das Papier unschlüssig in der Hand. Tony rauschte mit einem vollbeladenen Tablett vorbei, schenkte ihr im Vorbeigehen ein aufmunterndes Lächeln. Nila erwiderte es flüchtig. Dann holte sie tief Luft und riss den Umschlag auf.

Sehr geehrte Frau Roonstein,

da wir unsere Hamburger Dependance schließen, sehen wir uns leider gezwungen, Ihnen fristgerecht zum ersten August zu kündigen. Wir danken für die vertrauensvolle Zusammenarbeit und wünschen Ihnen alles Gute für die Zukunft. Aufgrund der bereits begonnen Firmenabwicklung stellen wir Sie mit sofortiger Wirkung unter Zahlung voller Gehaltsbezüge von der Arbeit frei. Das Arbeitszeugnis wird Ihnen in den nächsten Tagen zugehen.

Mit besten Grüßen,

Kai Winterfeldt

Geschäftsführer Villa & more, Immobilienagentur

Die Geräusche um sie herum klangen plötzlich, als seien sie durch Watte gedämpft. Das Blut rauschte in Nilas Ohren, während ihr Herzschlag raste. Ihre Hand, die den Brief hielt, zitterte unkontrolliert. Irgendwann legte sie das Schreiben auf den Bistrotisch vor sich, konnte aber den Blick nicht davon abwenden. Die Erkenntnis sickerte tröpfchenweise in ihr Bewusstsein. Sie war nicht nur frisch getrennt, nun war sie auch noch arbeitslos. Mit einem kürzlich unterschriebenen Hypothekenvertrag, dessen Höhe nicht nur ihrem eigenen ansehnlichen Gehalt entsprach, sondern mit dem Wissen abgeschlossen worden war, dass auch Niklas auf der ärztlichen Karriereleiter am Hamburger Universitätsklinikum stetig nach oben klettern würde.

Nila war auf sich alleine gestellt. Trotz der Wärme des Frühsommertages fühlte sie eine eisige Kälte in sich aufsteigen.

3.

Der Fahrtwind wirbelte ihre Locken in alle Richtungen. Nila fuhr mit offenem Verdeck in ihrem kirschroten Fiat 500 und gab mehr Gas, als die Ampel Ecke Hoheluftchaussee vor ihr auf Gelb umsprang. Ihre Hände hatten sich ums Lenkrad gekrallt und ihr Blick war starr auf die Straße gerichtet. Ob es eine gute Idee war, in dem Zustand, in dem sie sich befand, Auto zu fahren, wusste sie nicht. Normalerweise lief sie die zwei Kilometer zu ihrer Arbeitsstelle fast immer zu Fuß, aber das schien ihr mit Beinen, die sich weich wie Gelee anfühlten, unmöglich. Also hatte sie sich kurzerhand entschlossen, ausnahmsweise das Auto zu nehmen. Inzwischen bebte sie zwar nur noch innerlich, aber das Gefühl, keinen Boden mehr unter den Füßen zu spüren, hielt sich ebenso hartnäckig wie das innere Zittern. Vor Wut, aber auch vor Angst. Mit dem Kündigungsschreiben war soeben die zweite Säule ihres Lebens weggebrochen. Die Gedanken rasten durch ihren Kopf. Kai Winterfeldt, Geschäftsführer bei Villa & more und somit ihr Chef, musste es letzte Woche bereits gewusst haben, dass Nila in ihrem Urlaub die Kündigung bekommen würde. Er hatte nicht mal den Mumm gehabt, sie persönlich davon in Kenntnis zu setzen. Sie sah sein stark gebräuntes Gesicht und die nach hinten gegelten Haare vor sich. Sah das Lächeln, das wie üblich die Augen nicht erreichte, als er ihr schöne freie Tage wünschte. Sein Lächeln wirkte nie freundlich, aber im Nachhinein bekam der Augenblick an ihrem letzten Arbeitstag eine ganz andere Bedeutung. Du verdammter Mistkerl!, dachte Nila und schlug mit der Hand aufs Armaturenbrett. Sie ahnte, was hinter dieser letzten Machtdemonstration steckte. Winterfeldt hatte vor einem Jahr den Geschäftsführerposten angetreten, und es hatte nicht lange gedauert, bis er anfing Nila anzubaggern. Erst noch verhalten, bald aber immer offensiver. Sie hatte klar und souverän reagiert, immer wieder eingestreut, dass sie verlobt sei und demnächst heiraten werde. Ihren Chef hatte das allerdings nicht dazu gebracht, seine Avancen bleiben zu lassen. Im Gegenteil, sein Verhalten wurde immer aufdringlicher, die Bemerkungen gingen beim besten Willen nicht mehr als harmlose Flirtversuche durch. Bis Nila schließlich der Kragen geplatzt war und sie sehr deutlich darauf hingewiesen hatte, dass sein Verhalten an sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz grenze. Sie forderte ihn unmissverständlich auf, sein Verhalten sofort zu ändern. Andernfalls sehe sie sich gezwungen, einen Anwalt einzuschalten. Danach hatte er sich tatsächlich zurückgehalten. Mit den gelegentlichen abwertenden Kommentaren, die er sich bei passenden Gelegenheiten nicht verkniff, konnte Nila umgehen. Sie sah ihn ohnehin nur selten, und ihre Abschlüsse hielten jeder Kritik stand. Ihr Verhältnis zu den beiden Senior-Chefs und Gesellschaftern war von Beginn an herzlich, nicht zuletzt deshalb fühlte sie sich sicher in der Agentur. Aber die Brüder Max und Georg Zander hatten sich mehr und mehr aus den Geschäften zurückgezogen. Nun sogar so weit, dass die Hamburger Dependance aufgelöst wurde. Zum denkbar schlechtesten Zeitpunkt. Nila holte tief Luft, als sie den Blinker setzte und ins Jungfrauenthal einbog, wo Villa & more stilvoll residierte. Direkt vor der schmiedeeisernen Pforte der mehrstöckigen Jugendstilvilla war ein Parkplatz unter einer riesigen, alten Kastanie frei. Nila scherte ein und schaltete den Motor aus. Wut und Angst hatten sie hergetrieben. Jetzt spürte sie, dass die Wut Oberhand bekam. So einfach sollte Winterfeldt nicht davonkommen. Zumindest wollte sie ihm ein einziges Mal sagen, was sie von ihm hielt. Sie sprang aus dem Wagen und stürmte durch die Pforte. Vor der drei Meter hohen Eingangstür fiel ihr ein, dass sie ihren Schlüssel nicht dabei hatte. Ihr Zeigefinger bohrte sich in den Klingelknopf. Gleich darauf erklang nach einem kurzen Rauschen die Stimme von Elly, der Kollegin am Empfang. „Ja, bitte?“

„Ich bin es, Nila!“ Sie straffte die Schultern.

„Oh, hey.“ Der Summer ertönte prompt.

Nila drückte die Tür auf und marschierte ins Treppenhaus, das ihr anfangs nicht nur Respekt, sondern fast schon Angst eingeflößt hatte mit seinem Marmorboden und der kunstvoll verzierten Treppe mit den dunklen, gebohnerten Holzstufen. Inzwischen schüchterte sie der offensichtliche Luxus längst nicht mehr ein. Sie hatte in den letzten fünf Jahren so viele Villen und Luxus-Appartements gesehen und verkauft, dass es für sie zum Alltag gehörte. Zwei Stufen auf einmal nehmend – den Sneakers sei Dank – erreichte sie den ersten Stock. Vor der Eingangstür der Immobilienagentur zögerte sie für einen Moment. Vielleicht sollte sie doch noch mal in Ruhe nachdenken, was sie Winterfeldt genau sagen wollte. Oder mit Mona sprechen. Ihr wurde bewusst, dass gerade Angst und Unsicherheit dabei waren, die Wut abzulösen. Nein! Sie musste jetzt dort rein. Und sei es nur, um ihre persönlichen Sachen abzuholen. Mit einem Ruck stieß sie die Tür auf und betrat den großzügigen Vorraum von Villa & more.

4.

„Hallo Elly.“ Nila blieb vor dem Empfangstresen stehen und musterte ihre platinblonde Kollegin prüfend. Ein Blick in deren schiefergraue Augen, die wirkungsvoll mit dunklem Lidschatten geschminkt waren, genügte. Elly wusste über die Auflösung der Dependance Bescheid.

„Du hast deine Kündigung bekommen“, stellte die Kollegin mit einem traurigen Lächeln fest. Sie klemmte sich eine Strähne ihres kinnlangen Bobs hinters Ohr, lehnte sich auf ihrem Stuhl zurück und seufzte.

„Seit wann weißt du es?“

„Heute Morgen. Winterfeldt hat es in einer kurzen Besprechung offiziell bekanntgegeben.“

„Wurde dir angeboten, nach München zu wechseln?“ Nila hielt für einen Moment den Atem an. Sie ahnte die Antwort.

Elly spielte mit einem Kugelschreiber in ihrer Hand und sah nicht auf, als sie zögernd nickte.

Nila atmete hörbar aus, ein kurzer Schwindel erfasste sie. Natürlich. Elly hatte sich auch nicht Winterfeldts persönlichen Zorn zugelegt. „Das freut mich für dich“, brachte Nila schließlich hervor. Das war die Wahrheit. Trotzdem fühlte sich ihr Magen wie ein Stein an. Sie war diejenige, die vor dem Nichts stand. Privat und jetzt auch beruflich. Sie blinzelte die aufsteigenden Tränen zurück.

„Du gehst nicht mit, richtig?“ Elly klang bedrückt.

„Nein.“ Nila zuckte die Schultern, winkte betont munter ab. „Das hat wohl auch niemand erwartet, dass Winterfeldt Wert darauf legt, ausgerechnet mich weiter an Bord zu haben. Ist er eigentlich hier?“

Die Kollegin schüttelte den Kopf und sah Nila bedauernd an. „Er kommt frühestens morgen wieder rein.“

Nilas Wunsch, Winterfeldt zumindest ein einziges Mal ihre Meinung ungefiltert kundzutun, verpuffte und ließ ihre Wut im selben Moment erlöschen. Zurück blieben Angst und Unsicherheit. Wie sollte ihre Zukunft aussehen? Sie schluckte mühsam und musste sich für einen Moment sammeln. „Wirst du das Angebot annehmen?“, fragte sie nach einer Weile mit brüchiger Stimme.

Elly ließ den Kugelschreiber sinken. „Ich habe eine Woche Bedenkzeit.“ Sie hob die Schultern. „Im Gegensatz zu dir hält mich ohnehin wenig in Hamburg. Also ja, wahrscheinlich werde ich mitgehen.“ Ihr Lächeln wirkte entschuldigend.

Nila holte tief Luft, wollte gerade ansetzen zu erklären, dass es bei ihr nicht viel anders aussah. Doch bevor sie dazu kam, die Kollegin in die Änderung ihrer Lebenspläne einzuweihen – wobei sie nicht sicher war, ob sie das wirklich wollte, Elly war eine nette Kollegin, aber privat hatten sie bislang wenig ausgetauscht – ertönte die Türklingel.

Elly betätigte die Sprechanlage. Während sie konzentriert auf die Antwort lauschte, wandte Nila sich ab. Sie war bereits auf dem Weg in ihr Büro, als die Stimme, die durch den Lautsprecher klang, sie innehalten ließ. Es dauerte nicht lange, bis sie den rauchigen Tonfall einer bestimmten Person zuordnen konnte. Das Bild einer schillernden älteren Dame vor Augen, fiel ihr schließlich auch der Name ein: Renée Durand. Eine Kundin, der sie vor einigen Jahren eine Altbauwohnung in Alsternähe vermittelt hatte. Die Französin hatte bleibenden Eindruck bei ihr hinterlassen.

Elly sah sie hilfesuchend an, während sie den Türöffner drückte. „Sagst du ihr, dass wir am hiesigen Standort keine weiteren Geschäfte abwickeln?“

Seufzend nickte Nila. „Schick sie rein, wenn sie angekommen ist. Ich gehe schon mal vor.“ Sie durchquerte den Eingangsbereich und öffnete – ein letztes Mal – die Tür zur ihrem geschäftlichen Reich.

Der Anblick ihres Nussbaum-Schreibtischs versetzte ihr einen Stich. Zu bewusst war ihr, dass sie dort die längste Zeit gesessen und gearbeitet hatte. Fünf Jahre war es her, dass sie hier zum ersten Mal Platz genommen hatte, den Bachelor für Immobilienwirtschaft druckfrisch in der Tasche. Aufgeregt und voller Tatendrang, stolz, aber mit einer gehörigen Portion Unsicherheit hatte ihr erster Arbeitstag begonnen. Endlich war sie selbständig. Mit dreiundzwanzig fand sie es mehr als an der Zeit. Das Gefühl, nicht mehr auf den monatlichen Scheck von ihren Eltern angewiesen zu sein, war so befreiend, dass sie den ganzen Tag mit einem seligen Lächeln im Gesicht herumgelaufen war. Obwohl ihre Eltern ihr nie das Gefühl gegeben hatten, sie damit zu belasten, bedeutete es dennoch eine riesige Erleichterung. Hannah, ihre ältere Schwester, hatte es immerhin schon mit zwanzig geschafft, ohne elterliche Hilfe ihren Weg zu gehen.

Beim Gedanken an ihre Schwester verzog Nila das Gesicht. An sie wollte sie gerade lieber nicht denken. Jetzt, da sich in ihrem eigenen Leben alle Sicherheiten in Luft auflösten. Hannah war inzwischen verheiratet, hatte zwei entzückende Kinder und ein Eigenheim im Grünen. Und sie selbst? Nila presste die Lippen zusammen und strich über das dunkle Holz des Schreibtischs, bevor sie mit einem Seufzen auf dem Bürostuhl dahinter Platz nahm. Langsam ließ sie den Blick durch den großen Raum mit der stuckverzierten Decke gleiten. Die helle Sitzgruppe vor einem der bodentiefen Fenster gehörte wie die Regale an der Wand zur Firmenausstattung. Lediglich einige Dekostücke auf ihrem Schreibtisch wie der Briefbeschwerer in Herzform und die blau-weiße Muschel, gesammelt auf ihrem letzten Nordseetrip, musste sie gleich einpacken. Beide Dinge waren wieder untrennbar verwoben mit Niklas. Müde wischte Nila sich über die Augen. In dem Moment ertönte ein kurzes, kräftiges Klopfen an der Tür. Nila setzte sich aufrechter hin. „Herein.“ Ihre Stimme klang überraschend freundlich und professionell. Sie hoffte, auch in den kommenden Minuten so zu wirken. Lange konnte es nicht dauern, bis sie Renée Durand die Tatsachen erläutert und sie wieder verabschiedet hatte. Sie hatte gerade erfolgreich ein Lächeln auf ihre Lippen gezwungen, als die Tür sich mit Schwung öffnete.

Madame Durand sah beinahe noch umwerfender aus als Nila sie in Erinnerung hatte.

5.

Es musste gut drei Jahre her sein, dass Nila Renée Durand eine unverschämt teure Wohnung an der Außenalster vermittelt hatte. Zu Beginn der Zusammenarbeit hatte sich Nila damals etwas eingeschüchtert gefühlt von der dynamischen Siebzigjährigen, die schillernd und charismatisch genau wusste, was sie wollte.

Von dieser Ausstrahlung hatte die Französin in der Zwischenzeit nicht das Geringste eingebüßt, wie Nila auf den ersten Blick feststellte. Die tiefschwarzen Haare, die nur von wenigen grauen Strähnen durchzogen wurden, waren wie gewohnt zu einer aufwändigen Hochsteckfrisur aufgetürmt. Das Make-up – für die meisten Frauen ihres Alters viel zu stark – stand ihr bestens. Schon damals hatte Nila sich gefragt, ob das fast faltenfreie Gesicht der Französin auf besonders guten Genen beruhte oder dem Können eines Chirurgen geschuldet war. Sollte Letzteres der Fall sein, dann verstand der Arzt sein Handwerk. Die tief liegenden dunklen Augen wurden von langen, kräftig getuschten Wimpern umrahmt und der Ausdruck darin zeigte manchmal gutmütigen Spott, aber immer war Stärke und Entschlossenheit darin zu finden. Nila erhob sich und ging der älteren Dame, die ein schlichtes schwarzes Kleid mit raffiniertem Ausschnitt trug, lächelnd entgegen.

„Guten Tag, Madame Durand.“ Sie streckte die Hand aus.

„Hallo, meine Liebe! Wie schön, Sie zu sehen!“ Renée Durands Hand legte sich warm um ihre. „Ich bin so froh, Sie hier noch anzutreffen. Heutzutage werden die Arbeitsplätze ja oft schneller gewechselt als die Unterwäsche.“ Sie ließ Nila los und wedelte mit ihrer Hand, die von Altersflecken geprägt und deren Finger goldberingt waren. „Ich brauche dringend Ihre Hilfe!“

Nila räusperte sich und wies auf die Sitzgruppe vor dem Fenster. „Setzen Sie sich doch. Möchten Sie etwas trinken? Wasser? Kaffee?“ Fieberhaft überlegte sie währenddessen, wie sie die Abfuhr am besten verpackte. Schon jetzt war ihr unbehaglich zumute bei dem Gedanken, sich Madames Wünschen zu widersetzen. Lächerlich, schalt sie sich in Gedanken. Als ob die Welt davon abhinge, dass ausgerechnet sie sich um die Immobilienangelegenheiten dieser Kundin kümmerte.

Madame Durand lehnte die angebotenen Getränke mit einer Geste ab, was Nila mit Dankbarkeit erfüllte. Umso schneller würde das Gespräch beendet sein. Sie ging zu den hellen Sofas, machte eine einladende Handbewegung und setzte sich.

Renée Durand nahm ihr gegenüber Platz. Sie hielt sich sehr gerade, während sie die Beine übereinanderschlug und Nila mit einer Mischung aus Ungeduld und Interesse ansah.

„Madame Durand.“ Nila räusperte sich. „Es tut mir sehr leid, aber ich muss Ihnen sagen, dass Villa & more ihren Standort in Hamburg aufgibt.“ Sie hielt dem überraschten Blick ihres Gegenübers stand. In den dunklen Augen zeichnete sich zunächst Überraschung ab, die allerdings schnell von Entschlossenheit abgewechselt wurde.

„Das heißt, die Agentur existiert weiter?“ Renée Durand hob eine ihrer perfekt gezeichneten Augenbrauen und blickte Nila dabei forschend an.

„Nun ja.“ Nila holte tief Luft. „Der Firmensitz in München bleibt bestehen. Wenn Ihr Anliegen auch von dort bearbeitet werden kann, müssten Sie sich an die dortigen Kollegen wenden. Ich kann Ihnen gerne die Kontaktdaten geben.“

„Sie gehen nicht mit?“

„Nein.“ Nila schüttelte den Kopf und bemühte sich, weiter freundlich zu lächeln. Sie ahnte, dass ihr das nur bedingt gelang.

„Warum nicht?“, fragte Madame Durand unverblümt.

„Nun, ich habe meinen Lebensmittelpunkt in Hamburg.“ Nila zuckte die Achseln und ließ die Hand wieder sinken, die auf dem Weg war, mit ihren roten Locken zu spielen und damit ihre Nervosität verraten hätte.

Madame Durand durchschaute sie trotzdem. „Man hat Sie nicht gefragt“, stellte sie trocken fest.

Nila wich ihrem Blick aus. „Nein, aber das hatte ich auch nicht erwartet.“

Die Französin nickte und hakte nicht weiter nach. „Dann möchte ich, dass Sie für mich exklusiv tätig werden. Ich bin nicht hierhergekommen, weil ich mit der Agentur damals so zufrieden war, sondern mit Ihnen.“ Ein leichtes Lächeln umspielte ihre dunkelrot geschminkten Lippen.

Überrascht sah Nila sie an. „Aber …“ Ihre Gedanken überschlugen sich. Sollte sie eine Selbstständigkeit anmelden? Eine Möglichkeit, die ihr bislang nicht mal im Ansatz in den Sinn gekommen war. Und diese gleich mit einer Kundin beginnen, die sie ihrem alten Arbeitgeber abgeworben hätte? Ein No-Go in der Branche. Und so etwas sprach sich immer herum, da konnte selbst eine Weltstadt wie Hamburg im Handumdrehen zum Dorf mutieren. Nein, das war keine gute Option. Sie schüttelte den Kopf.

„Ich möchte, dass Sie mich nach Frankreich begleiten“, sagte Madame Durand unbeirrt und mit fester Stimme. „Es wird langsam Zeit, dass ich dort die Dinge regele und unser Familienanwesen abwickele. Dafür brauche ich Ihre Hilfe.“ Sie sah Nila bittend an.

„Ich soll mit Ihnen nach Frankreich gehen?“ Verblüfft starrte Nila die Kundin an.

„Um genau zu sein, in die Provence. Dort steht die Immobilie, von der ich mich trennen muss, damit ich die Vergangenheit endlich abschließen kann.“ Ihre Miene versteinerte, für einen Moment verließ sie die gewohnte Souveränität. Sie blickte zum Fenster, durch das Sonnenstrahlen ins Zimmer fielen, die Staubpartikel in der Luft tanzen ließen.

Nila fehlten erstmal die Worte, das Angebot kam zu überraschend, um sofort darüber zu entscheiden. Die Provence war untrennbar mit Niklas verbunden, was sie prompt wehmütig werden ließ. Andererseits könnte es einen Ausweg aus ihrem finanziellen Dilemma bedeuten, falls sie annahm. Sie schluckte mühsam, ihr Mund war staubtrocken. Mit unsicheren Beinen stand sie auf und ging zum Schrank an der gegenüberliegenden Wand. Hinter einer der Türen war eine Kiste Mineralwasser deponiert. Automatisch nahm sie neben der Flasche noch zwei Gläser mit zurück zum Tisch. Ohne zu fragen, füllte sie beide mit Wasser und stellte eins vor Renée Durand.

„Danke.“ Die Französin griff danach und trank einen kleinen Schluck. Nila tat es ihr gleich.

„Was sagen Sie?“ Madame Durand hatte zu ihrer alten Form zurückgefunden, nun ruhte ihr Blick erwartungsvoll auf Nila.

„Ihr Angebot kommt sehr überraschend.“ Sie brach ab, strich abwesend mit den Fingerspitzen über ihr Glas.

„Das Leben ist voller Überraschungen“, sagte Renée Durand mit leisem Spott. „Manche sind gut, andere weniger. Eine Reise in die Provence könnte zu den guten gehören. Zumindest für Sie. Und falls Sie sich Sorgen machen sollten, dass Ihr ehemaliger Chef davon erfährt …“ Sie machte eine unbestimmte Handbewegung. „Frankreich ist weit weg, und wo kein Kläger, da kein Beklagter.“ Sie lächelte und etwas Freches blitzte in ihren dunklen Augen auf.

Nila nickte stumm. So vieles ging ihr durch den Kopf. Was sollte sie tun? Offenbarte sich gerade die Chance, die Vergangenheit hinter sich zu lassen, sowohl privat als auch beruflich? Oder war das vollkommener Blödsinn? Sie war momentan zu keinem klaren Gedanken fähig, wie sollte sie da solch eine Entscheidung treffen?

„Also abgemacht?“ Die ältere Dame stand auf. Nilas Blick fiel auf die schwarzen Pumps, deren Absatzhöhe beachtlich war und auf denen Madame Durand trotzdem sicher stand. Sie selbst verspürte diese Sicherheit im Moment nicht mal in ihren praktischen Sneakers. Vielleicht konnte eine ganz neue Erfahrung tatsächlich dabei helfen, dass sich das wieder änderte.

„Wann soll es losgehen?“, hörte sie sich fragen.

„Übermorgen.“

6.

Nila fühlte sich noch immer ganz benommen, als sie langsam die Stufen zu ihrer Wohnung hinaufstieg.

In ihrem Leben war nun gar nichts mehr am gewohnten Platz. Selbst ihren sicher geglaubten Job gab es nicht mehr. Sie musste sich und ihr Leben neu sortieren. Daran führte kein Weg vorbei, aber sollte sie sich dieser Herausforderung ausgerechnet in der Provence stellen? Würden inmitten berauschender Lavendeldüfte und sommerlicher Leichtigkeit die Erinnerungen an wunderbare Zeiten in der Vergangenheit nicht eher dazu führen, dass sie noch tiefer in Wehmut versank? Oder war das genau der Schritt in die Zukunft, den es brauchte?

Seufzend steckte sie den Schlüssel in Türschloss. Sie hatte schlicht keine Ahnung. Allerdings war die Überlegung inzwischen auch müßig, denn sie hatte Madame Durand ja bereits zugesagt. Welcher Teufel sie bei der Entscheidung auch immer geritten haben mochte …

Als Nila in die Wohnung trat, wurde ihr wieder bewusst, wie leer und unpersönlich sie auf sie wirkte, seitdem Niklas gegangen war. Dabei hatte sich an der Einrichtung bisher kaum etwas geändert. Wie sollte das erst werden, wenn er alle Sachen abgeholt hätte? Eine Gänsehaut überzog ihre Arme. Plötzlich schien ihr Frankreich wie ein rettender Hafen. Sie nahm ihr Handy aus der Handtasche, ließ die Tasche zu Boden gleiten und ging in die Küche. Nachdenklich legte sie das Telefon auf den Küchentisch, nahm eine Mineralwasserflasche von der Arbeitsplatte, schraubte sie auf und trank einen großen Schluck. Sie hatte die Flasche gerade abgesetzt, als ein leises ,Pling‘ eine eingehende Whatsapp-Nachricht anzeigte.

Nila zuckte zusammen. Niklas? Sofort schalt sie sich eine dumme Kuh. Selbst wenn er sich melden sollte, änderte das nichts daran, dass sie jetzt aus guten Gründen getrennte Wege gingen. Vielleicht fehlte sie ihm auch, so wie er ihr. Trotzdem war ihr gemeinsamer Lebensweg beendet.

Sie sah aufs Display. Die Meldung war von Mona. Genauer gesagt hatte ihre Freundin ein Foto geschickt von dem kleinen italienischen Restaurant an der Ecke, der vorzügliche Pizzen zum Mitnehmen anbot. Der Text der Nachricht bestand nur aus einem Satz:

Passt es gerade?

Nila antwortete mit zwei Emojis und einem Daumen hoch. Ein spätes Mittagessen mit Mona kam ihr gerade recht. Zum einen verspürte sie tatsächlich etwas wie Hunger, zum anderen war die Aussicht wundervoll, Mona gleich von der geplanten Reise und dem Auftrag zu erzählen. Die Unsicherheit, ob sie im Begriff war, das Richtige zu tun oder eine vollkommene Dummheit zu begehen, fühlte sich mit einem Schlag viel kleiner an.

Es vergingen nur wenige Minuten, bis die Türklingel ertönte.

Nila eilte in den Flur, um ihre beste Freundin hereinzulassen.

Motorradhelm und Lederjacke baumelten über Monas linkem Arm und in der rechten Hand balancierte sie zwei Pizza-Schachteln, während sie lachend die Treppe hinauf stapfte. Nila lief ihr entgegen und nahm ihr die Schachteln ab. In der Wohnung begrüßte Nila die Freundin mit einer Umarmung und brachte dann das Essen in die Küche.

„Alkoholfreies Alster?“, rief sie über die Schulter in den Flur, wo Mona dabei war, ihre schweren Motorradstiefel auszuziehen.

„Sehr gerne!“ Mit geröteten Wangen erschien Mona schließlich im Türrahmen, während Nila noch die Pizzen auf Teller verteilte. Mona marschierte zum Kühlschrank und nahm zwei Flaschen Alsterwasser heraus, die sie zum Tisch trug.

„Mittagspause?“, fragte Nila und stellte die Teller zu den Bierflaschen.

Mona nickte. „Ich habe erst um sechzehn Uhr den nächsten Patienten.“ Sie fuhr sich durch ihre blonden, halblangen Locken und ließ sich auf einen der Küchenstühle fallen. Im Gegensatz zu Nila hatte Mona schon während ihrer gemeinsamen Schulzeit gewusst, was sie danach machen wollte: Physiotherapeutin werden und eine eigene Praxis gründen. Nach drei Jahren im Angestelltenverhältnis war es schließlich so weit gewesen, Mona hatte sich den Traum der Selbstständigkeit erfüllt und eine Praxis in Eimsbüttel eröffnet. Inzwischen hatte sie drei Angestellte und liebte ihren Beruf nach wie vor. Diesen ohne die Weisungen eines Chefs ausüben zu dürfen, war für einen Freigeist wie Mona das i-Tüpfelchen ihres beruflichen Glücks.

Nila setzte sich der Freundin gegenüber und zog den Teller zu sich heran. Ihre Pizza hatte den üblichen Lieblings-Belag mit Spinat und Schafskäse. Der Duft stieg ihr in die Nase und sie merkte einmal mehr, wie hungrig sie trotz der weiteren Hiobsbotschaft inzwischen war.

„Guten Appetit!“ Nila konnte nicht länger warten und biss herzhaft in ein portioniertes Stück.

„Gleichfalls.“ Mona trank zunächst einen großen Schluck aus ihrer Flasche, bevor auch sie zu essen anfing.

„Wie war dein Tag bis jetzt?“, fragte sie zwischen bei Bissen. Aus klaren, ungeschminkten Augen sah sie Nila prüfend an.

Nila schluckte den köstlichen Pizzarest in ihrem Mund herunter, zuckte die Achseln und sagte: „Nun bin ich auch noch arbeitslos. Winterfeldt hat mich gefeuert.“ Sie war selbst überrascht, wie ruhig sie klang. Oder stand sie einfach noch unter Schock?

„Was?“ Mona starrte sie an. Ihre Hand, die gerade ein weiteres Stück Pizza Funghi in den Mund befördern wollte, verharrte in der Luft.

„Der Hamburger Standort wird aufgelöst. Und – Überraschung – mir wurde nicht angeboten, nach München zu wechseln. Na ja, konnte ich wohl auch nicht erwarten, dass Winterfeldt mir das Angebot macht mitzugehen.“ Ein bitterer Zug verdunkelte ihre Augen und strafte das leichte Lächeln Lügen.

„Dieser Arsch!“, entfuhr es Mona. „Und was machst du jetzt?“ Ihr Blick schweifte durch die frisch renovierte Altbauküche. Sie wusste um Nilas finanziellen Engpass, den Niklas’ Auszug zweifellos bald hervorrufen würde. Die Finanzierung hatten beide abgeschlossen, sich aber nun darauf geeinigt, dass Nila in der Wohnung blieb und die Hypothekenzinsen alleine bediente. Eine Umschreibung auf ihren Namen sollte demnächst erfolgen.

Monas Stirn kräuselte sich sorgenvoll, während sie ihr Pizzastück zurück auf den Teller legte.

„Nun ja.“ Nila holte tief Luft. „Ich fahre übermorgen in die Provence.“

„Du machst was?“ Mona riss überrascht die Augen auf. Sie schien sprachlos, was bei ihr sehr selten vorkam.

Nila musste schmunzeln. „Ich habe direkt ein neues Jobangebot bekommen. Also um genau zu sein, einen einzelnen Auftrag, aber immerhin. Eine Französin, Renée Durand, der ich vor Jahren eine Wohnung an der Alster vermittelt habe, möchte ihr Anwesen in der Provence verkaufen. Und sie will, dass ich mich darum kümmere.“ Unsicher sah Nila zu ihrer Freundin. Deren Gesichtsausdruck zeigte flüchtig Verwirrung, bevor sich ein Strahlen auf ihrem Gesicht ausbreitete.

„Aber das ist ja wundervoll! Schließt sich eine Tür, öffnen sich drei neue. Wie du weißt, mein Lebensmotto. Aber so schnell … wow … toll! Wann geht es los?“

„Übermorgen.“ Monas begeisterte Reaktion schmälerte Nilas Zweifel prompt, ohne sie allerdings ganz auszuräumen. „Ich bin noch immer nicht sicher, ob das gerade das Richtige ist. Aber Madame Durand tritt sehr überzeugend auf, und ehe mich versehen hatte, hatte ich auch schon zugesagt.“

„Da gibt es doch nichts zu überlegen! Das Angebot ist ein Geschenk des Himmels!“ Mona griff erneut zu ihrer Pizza und kaute kurz darauf genussvoll.

„Na ja, streng genommen darf ich keinen Kunden aus der Agentur übernehmen, und ich muss mich noch darum kümmern, eine Selbstständigkeit anzumelden. Und zu guter Letzt ist die Provence für mich bislang untrennbar mit Niklas verbunden gewesen.“ Nila senkte den Blick. Der letzte Punkt war tatsächlich der wichtigste, wie ihr klar wurde.

Mona machte ein unwilliges Geräusch. „Du wirst dieses Mal ganz neue Eindrücke in der Provence sammeln, da bin ich sicher! Was die Linientreue zu Winterfeldt angeht … pffft … no risk, no fun. Wie soll er rausfinden, dass du in Frankreich für eine alte Kundin tätig wirst? Apropos Klage, zahlt er dir wenigstens freiwillig eine anständige Abfindung?“

„Tja, ich hatte nicht das Vergnügen, ihn vorhin im Büro anzutreffen. Ich wollte ihm eigentlich zum Abschluss wenigstens einmal gründlich die Meinung geigen, aber er wurde heute leider nicht in der Agentur erwartet. In der Kündigung ist keine Rede von Abfindung, und vermutlich hätte ich sogar vergessen, ihn darauf anzusprechen. Aber natürlich hast du recht, fünf Jahre treue Betriebszugehörigkeit werden ihn schon ein bisschen was kosten.“ Nila verzog das Gesicht. Die Vorstellung, sich dafür einzusetzen, bereitete ihr schon im Vorfeld Magenschmerzen. Nachdem sie ihrem Ärger vorhin keine Luft machen konnte, war sie inzwischen schon froh gewesen, mit Winterfeldt nie wieder Kontakt haben zu müssen. Ihn als unschöne Erfahrung schlicht abzuhaken, der Gedanke fühlte sich alles andere als schlecht an.

„Übergib die Sache doch Lena. Wozu haben wir eine Juristen-Freundin, die auf Arbeitsrecht spezialisiert ist?“

„Meinst du nicht, ich sollte es erstmal selbst versuchen?“ Nilas blaue Augen spiegelten Zweifel. Direkt eine Rechtsanwältin einzuschalten, ohne es vorher gütlich versucht zu haben, widerstrebte ihr. Selbst bei ihrem ehemaligen Chef …

„Warum? Um nett zu Winterfeldt zu sein?“ Mona machte eine wegwerfende Handbewegung und rollte mit den Augen. „Blödsinn, lass Lena sich mit dem Wicht rumärgern. Wir trinken stattdessen darauf, dass sich in deinem Leben ab jetzt ganz neue Wege auftun!“ Sie hob ihre Bierflasche und lächelte breit.

Nila zögerte nur kurz. Vermutlich hatte ihre Freundin recht. Und sie verspürte tatsächlich wenig Lust dazu, sich wegen einer angemessenen Abfindung mit Winterfeldt zu streiten. Wie sie ihn kannte, würde er um jeden Cent kämpfen. Sie brauchte ihre Kraft für andere Dinge.

„Okay, trinken wir auf die Zukunft!“ Nila hob ebenfalls ihre Flasche. Sie ignorierte das flaue Gefühl in ihrem Magen, als die Flaschen dumpf aneinander schlugen.

„Und nun erzähl, wie ist denn Madame Durand so? Immerhin wirst du einige Zeit mit ihr verbringen!“ Mona lehnte sich zurück und sah Nila auffordernd an.

„Exzentrisch“, war das erste Adjektiv, das Nila einfiel. „Charmant, vornehm, durchsetzungsstark. Sie brauchte nur einen Augenblick, bis sie meine Einwilligung zur Reise hatte. Dabei war und bin ich gar nicht sicher, ob ich das wirklich machen möchte. Vielleicht war ich doch zu voreilig.“ Sie drehte nervös ihre Bierflasche in der Hand, die Unsicherheit war zurück. Mit einem Mal fühlte sie das überwältigende Verlangen, dass alles in ihrem Leben wieder so sein sollte wie es noch vor wenigen Tagen ganz selbstverständlich gewesen war. Niklas würde wieder ihr Leben teilen, und sie würde jeden Tag zu Villa & more fahren, um Luxusimmobilien an den Mann oder die Frau zu bringen. Vielleicht nicht unbedingt ihr absoluter Traumjob, aber sie hatte ihn immer gerne gemacht. Nicht zuletzt war er ihre Garantie für ein sicheres Leben gewesen.

„Ich glaube, ich möchte einfach mein altes Leben behalten.“ Die herausgeplatzten Worte verrieten ihren Schmerz und ihre Angst.

Mona beugte sich vor und legte ihr die Hand auf den Arm. „Ach, Süße, manchmal werden wir halt nicht gefragt und in ein neues Leben einfach hineingeworfen, aber meistens wird es dann irgendwann viel besser als es vorher jemals gewesen war.“ Mona lächelte aufmunternd.

Nila nickte, obwohl ihre Miene tiefe Zweifel ausdrückte. Vielleicht hatte Mona recht, wie so oft. Aber garantieren konnte sie es ihr nicht. Das konnte niemand. Seufzend biss sie sich auf die Lippen.

„Auf jeden Fall klingt es, als sei Madame Durand eine sehr interessante Frau. Ich bin sicher, dass es eine tolle Reise werden wird.“ Mona nahm das letzte Stückchen Pizza in die Hand und sah Nila liebevoll an. „Und selbstverständlich ist es richtig, dass du fährst!“

7.

Müde rollte Nila sich auf dem Sofa zusammen, erst jetzt spürte sie, wie anstrengend der Tag gewesen war. Sie hatte Urlaub, war aber erschöpfter als nach jedem normalen Arbeitstag. Die überraschende Kündigung zusammen mit der Bewältigung des Trennungsschmerzes kostete mehr Kraft als sie gedacht hatte. Und als sie in Reserve zu haben schien … Die Aussicht, in zwei Tagen Richtung Provence loszufahren, erfüllte sie trotz Monas positiver Reaktion noch immer mit Zweifeln. Auch wenn es müßig war, darüber nachzudenken. Sie hatte ihre Zusage gegeben und die Provision brauchte sie dringend zur Überbrückung, bevor sie sich im Klaren darüber war, wie es beruflich weitergehen sollte.

Es ging inzwischen auf zweiundzwanzig Uhr zu, die Sonne war untergegangen und von draußen fiel kaum noch Licht durch die geöffneten Vorhänge ins Wohnzimmer. Trotz der Erschöpfung war Nila hellwach, vermutlich machte es wenig Sinn, jetzt schon ins Bett zu gehen. Einem Impuls folgend, stand sie auf und ging ins Arbeitszimmer. Ein Raum, der ursprünglich für Niklas und sie gedacht war, wobei seine Fachbücher in den Regalen im Moment noch den meisten Platz beanspruchten. Nila brauchte eigentlich kein Arbeitszimmer, sie arbeitete selten zu Hause. Die Dinge, die sie am PC erledigen musste, hatte sie fast immer in der Agentur gemacht. Und nun gab es für sie außer dem Frankreich-Projekt ohnehin nichts zu tun. Kurz erfasste sie Panik, die sie aber halbwegs mit dem Gedanken unter Kontrolle bringen konnte, dass der Verkauf des Anwesens von Renée Durand vermutlich eine satte Provision einbringen würde. Obwohl sie es versäumt hatte, über einen möglichen Marktwert zu sprechen, ging Nila davon aus, dass die Französin kein winziges Holzhaus verkaufen wollte, sondern einen stattlichen Besitz mit entsprechendem Wert zu verkaufen hatte.

Sie wollten sich morgen noch einmal zum Kaffee treffen, um die Einzelheiten der Reise zu besprechen. Vermutlich war es ratsam, diesen Teil des Geschäfts anzusprechen.