Der Traumpfad – Uraltes Wissen der Aborigines - Paul Callaghan - E-Book

Der Traumpfad – Uraltes Wissen der Aborigines E-Book

Paul Callaghan

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Beschreibung

Die Traumzeit steht im Zentrum der seit Jahrtausenden überlieferten Aborigine-Mythologie. Sie erklärt, wie alles entstanden ist und begründet die Regeln, nach denen die Völker zusammenleben. Paul Callaghan zeigt gemeinsam mit dem Ngemba-Ältesten Onkel Paul Gordon, was wir aus dem uralten Wissen einer der ältesten Kulturen der Welt für unser modernes Leben lernen können. Zahlreiche Übungen und Reflexionsfragen zu Themen wie erfüllenden Beziehungen, Resilienz und Zufriedenheit liefern wertvolle Impulse für die eigene persönliche Entwicklung sowie für ein wertschätzendes Miteinander, in dem Vielfalt anerkannt, akzeptiert und respektiert wird.

Entdecken Sie die Kraft des Geschichtenerzählens, begeben Sie sich auf die Reise zu Ihrem wahren Selbst – und machen Sie die Welt zu einem besseren Ort.

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Seitenzahl: 437

Veröffentlichungsjahr: 2023

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Buch

Die Traumzeit steht im Zentrum der seit Jahrtausenden überlieferten Aborigine-Mythologie. Sie erklärt, wie alles entstanden ist, und begründet die Regeln, nach denen die Völker zusammenleben. Paul Callaghan zeigt gemeinsam mit dem Ngemba-Ältesten Onkel Paul Gordon, was wir aus dem uralten Wissen einer der ältesten Kulturen der Welt für unser modernes Leben lernen können. Zahlreiche Übungen und Reflexionsfragen zu Themen wie erfüllenden Beziehungen, Resilienz und Zufriedenheit liefern wertvolle Impulse für die eigene persönliche Entwicklung sowie für ein wertschätzendes Miteinander, in dem Vielfalt anerkannt, akzeptiert und respektiert wird. Entdecken Sie die Kraft des Geschichtenerzählens, begeben Sie sich auf die Reise zu Ihrem wahren Selbst – und machen Sie die Welt zu einem besseren Ort.

Autoren

Paul Callaghan ist ein Aborigine, der zum Land des Worimi-Volkes an der Küste von New South Wales nördlich von Newcastle gehört.

Viele Jahre lang hatte er führende Positionen inne, bei denen es um Dienstleistungen für Aborigines und Nicht-Aborigines ging. Doch schließlich wurde sein Wunsch, etwas für das Wohlergehen der Gemeinschaft und jedes einzelnen Menschen zu tun, so übermächtig, dass er ein eigenes Unternehmen gründete. Neben seiner Beratungstätigkeit ist Paul als Motivationsredner, Geschichtenerzähler, Tänzer und Autor tätig. Pauls große Leidenschaft ist sein Glaube daran, dass Geschichten eine große Macht haben und dass man damit eine bessere Welt schaffen kann.

Uncle Paul Gordon gehört zum Ngemba-Stamm und widmet sich der Lehre und der Weitergabe des traditionellen Wissens und der Überlieferungen der australischen Ureinwohner.

Paul Callaghan

mit Uncle Paul Gordon

Der Traumpfad –

Uraltes Wissen der Aborigines

Eine neue Art, die Welt zu sehen und unser Leben zum Besseren zu verändern

Aus dem Englischen von Marion Zerbst

Die englische Originalausgabe erschien 2022 unter dem Titel The Dreaming Path: Indigenous Thinking to Change Your Life bei Pantera Press Pty Limited, Sydney, Australia.

Alle Ratschläge in diesem Buch wurden vom Autor und vom Verlag sorgfältig erwogen und geprüft. Eine Garantie kann dennoch nicht übernommen werden. Eine Haftung des Autors beziehungsweise des Verlags und seiner Beauftragten für Personen-, Sach- und Vermögensschäden ist daher ausgeschlossen.

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.

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Deutsche Erstausgabe Februar 2023 

Copyright © 2022 der Originalausgabe: © Pantera Press Pty Limited

Copyright © 2023 der deutschsprachigen Ausgabe: Wilhelm Goldmann Verlag, München, in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH, Neumarkter Str. 28, 81673 München

Text copyright © Paul Callaghan, 2022 

Text copyright in der Schrift Corbel © Uncle Paul Gordon, 2022 

Illustrationen: Sabine Timmann

Umschlag: Uno Werbeagentur, München

Umschlagmotiv: FinePic®, München

Redaktion: Ralf Lay

Satz: Buch-Werkstatt GmbH, Bad Aibling,

SC ∙ CB

ISBN 978-3-641-29540-0V001

An diejenigen, die bereit sind, ihren grauen Mantel abzulegen und in Farbe zu tanzen.

An meine Frau Alison, die mir so vieles beigebracht hat.

An die, die vor mir gekommen sind. Ich hoffe, ich bin in eure Fußstapfen getreten.

Die Geister unserer Vorfahren sind überall um uns herum. Sie erwachen aus ihrem Schlummer, wenn jemand bereit ist, ihnen zuzuhören. Und sie haben viele Botschaften für uns. Um sie zu hören, müssen Geist, Körper und Seele des Schülers ganz still werden, denn tiefe Wahrheiten braucht man nicht laut herumzuschreien. Im heiligen Raum der leisen Flüstertöne kann man in Ruhe nachdenken – dann fällt der Erde das Atmen leichter.

Paul Callaghan

Aborigine zu sein bedeutet nicht, dass man eine bestimmte Hautfarbe hat, sondern dass man mit dem Land und der ganzen Natur verbunden ist und Verantwortung dafür trägt. Dabei geht es um deine Verbindung zu Bäumen, Fischen, Vögeln, Flüssen, Felsen und Sternen. Es geht nicht darum, wie du aussiehst. Es geht nicht einmal um deine Abstammung, sondern um etwas Unsichtbares tief in deinem Inneren.

Uncle Paul Gordon

Inhalt

Die Botschaft

Vorwort

Einführung

Kapitel 1 • Wie wir für unser Land sorgen sollten (und warum Geschichten so wichtig sind)

Kapitel 2 • Beziehungen aufbauen, alles miteinander teilen und uns miteinander vereinen

Kapitel 3 • Liebe, Dankbarkeit und Bescheidenheit

Kapitel 4 • Lernen und Wahrheit

Kapitel 5 • Inspiration und Resilienz

Kapitel 6 • Präsent sein und Verletzungen aus der Vergangenheit heilen

Kapitel 7 • Zufriedenheit

Kapitel 8 • Führen

Epilog

Dank

Verzeichnis der Übungen

Register

Die Botschaft

Der Himmel schlummerte in seiner Unermesslichkeit. Die Sterne blickten mit unendlich weit zurückreichenden Erinnerungen an das, was gewesen war, auf das uralte, von Sand bedeckte Land herab. Im Dunkeln zuckte das Orange kleiner Flammen auf; und im Schein des Feuers saß ich, hypnotisiert von der tiefen Stille. Das Knistern und Zischen der Glut ließ die Stille noch tiefer erscheinen. Langsam verdichteten sich die Rauchschwaden vor meinen Augen zu einer Gestalt. Der Alte Geist musterte mich mit Augen voller Weisheit, Liebe und Traurigkeit.

Warum seid ihr alle so beschäftigt und tut doch so wenig? Warum bemüht ihr euch so sehr um Dinge, die ihr eigentlich gar nicht braucht? Warum haltet ihr das Glück für so schwer erreichbar? Warum könnt ihr nicht damit zufrieden sein, was euch gegeben wurde? Was ihr wirklich braucht, ist überall um euch herum – aber ihr seht es nicht.

Ihr seid alle von eurem Weg abgekommen. Ihr habt vergessen, wer ihr seid. Ihr lebt eure Wahrheit nicht.

Ihr habt noch Zeit, euch zu erinnern. Ihr müsst euch erinnern. Und ihr müsst euch auch wieder miteinander vereinen. Wenn ihr euch nicht erinnert, wenn ihr euch nicht miteinander vereint, habt ihr uns im Stich gelassen. Dann werden sehr wichtige Dinge von der Welt verschwinden … wir werden verschwinden … alles wird verschwinden … und verloren sein … für immer.

Vorwort

Wir, die Autoren dieses Buches, zollen allen indigenen Völkern dieser Welt – Völkern der Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft – unseren Respekt und unsere Anerkennung.

Als Aborigines aus dem Land, das heute Australien heißt, ehren wir die vielen traditionellen Aborigine-Völker, die hier leben. Wir erweisen unseren Aborigine-Ältesten in ganz Australien Respekt und erkennen ihre Weisheit und Führung an. Wir würdigen auch unsere Ahnentiere, die lange vor uns in dieses Land gekommen sind und Flüsse, Berge und andere Landschaften geschaffen haben, um sich dann dort anzusiedeln. In ganz Australien gibt es heilige Orte des Gedenkens, denen unser besonderer Respekt gebührt und die uns alle miteinander verbinden.

Wir haben dieses Buch mit Liebe und in dem Wunsch geschrieben, unser Wissen mit allen Menschen zu teilen, die uns zuhören wollen. Wir tun das in der Überzeugung, dass die Kultur der Aborigines die Macht besitzt, eine große Heilung auf der Welt zu bewirken.

Dabei haben wir ganz besonderen Wert auf die Meinung der Ältesten unseres Volkes gelegt: ob sie es für angemessen halten, dass wir dieses Wissen an die Allgemeinheit weitergeben. Wir respektieren die Besonderheit des kulturellen und spirituellen Wissens der Aborigines, und deshalb wollten wir ganz sichergehen, keine Informationen preiszugeben, die andere Personen als unangemessen betrachten könnten.

Uns ist bewusst, dass wir nur aus unserer Perspektive sprechen können und nicht im Namen anderer Aborigine-Völker oder -Gruppen. Etwaige Ähnlichkeiten der in diesem Buch enthaltenen Informationen mit dem Wissen anderer Aborigine-Völker oder -Gemeinschaften liegen nicht in unserer Absicht; doch in Anbetracht der Beziehungen, die wir in diesem riesigen Land schon immer zueinander gepflegt, und der Geschichten, die wir einander schon immer erzählt haben, sind solche Parallelen wohl unvermeidlich.

Mit unserem Wissen, unseren Gedanken und Erfahrungen möchten wir den Leser dazu inspirieren, bei den Ältesten und Wissenshütern der vielen Aborigine-Völker, die sich schon seit Menschengedenken um dieses uralte Land gekümmert haben, nachzuforschen und nach kulturellen Informationen, Erkenntnissen und Zusammenhängen zu suchen. Die Geschichten, die wir euch in diesem Buch erzählen wollen, wurden erfunden, um auf die Schönheit und Weisheit unserer Kultur hinzuweisen. Die meisten dieser Erzählungen sind neueren Datums. Doch bei einigen handelt es sich um unsere Interpretationen alter Geschichten, die uns überliefert worden sind. Wir erzählen euch diese Geschichten als Zeichen des Respekts vor denjenigen, die sie mit uns geteilt haben.

Paul Callaghan und Uncle Paul Gordon

Einführung

Aus der spirituellen Perspektive der Aborigines wird alles gezeugt. Alle Dinge und Geschöpfe – Bäume, Pflanzen, Insekten, Vögel, Fische, Reptilien, Säugetiere, Felsen – werden schwanger und bringen schließlich etwas zur Welt.

Die Geburt dieses Buches ist das Ergebnis einer 60 000 Jahre langen Schwangerschaft. Es enthält Wissen und Geschichten, die seit über 1800 Generationen immer wieder von Eltern an ihre Kinder weitergegeben werden.

»Na und?«, werden manche von euch jetzt vielleicht denken. »Was nützt mir ein Buch, das auf einer anderen Kultur aus einer anderen Welt beruht, wenn ich immer wieder so viele verschiedene Dinge in meinem Leben unter einen Hut bringen muss? Wenn ich den Anforderungen meiner Arbeit gerecht werden und eine Hypothek abzahlen muss, aber gleichzeitig auch mein Bestes tun möchte, um ein guter Mensch zu sein?«

Um diese Frage zu beantworten, vergiss bitte ein paar Sekunden lang die Gegenwart und stell dir eine Welt ohne Krieg … ohne Verbrechen … ohne Obdachlosigkeit … ohne Hunger … und ohne Armut vor. Eine Welt, in der alle Menschen alles haben, was sie brauchen, um ein langes, erfülltes Leben zu führen und sich dabei wohlzufühlen. Eine Welt mit vielen verschiedenen Sprachen, in der es aber kein Wort für »Hass« gibt, weil »Hass« nicht existiert.

So, jetzt kannst du wieder mit dem Fantasieren aufhören und in die Gegenwart zurückkehren. Glaubst du, dass es so eine Welt wirklich geben kann? Die meisten von euch würden diese Frage wohl verneinen. »Die Geschichte zeigt doch, dass die Menschen einander unmenschlich behandeln; das liegt nun mal in ihrer Natur«, würdet ihr sagen. »Wir beweisen doch schon seit Jahrtausenden immer wieder, dass wir nicht in der Lage sind, warmherzig und liebevoll miteinander umzugehen.«

Ich bin da anderer Meinung. Denn die Aborigines haben sehr, sehr lange in der oben beschriebenen utopischen Welt zusammengelebt. Natürlich gab es auch damals Meinungsverschiedenheiten und Zorn; doch dieses Buch will dir ein Verständnis für die Systeme, Regeln und Verpflichtungen vermitteln, die in der traditionellen Gesellschaft der Aborigines eine wichtige Rolle spielten, und durch die eine Lebensweise entstanden ist, die der analytische Verstand nur schwer akzeptieren kann. Diese traditionelle Welt der Aborigines funktionierte in einer anderen Zeit; doch in diesem Buch werde ich dir zeigen, dass man sich auch in unserer heutigen Welt an traditionellen Werten, Denk- und Vorgehensweisen orientieren kann. Heute vielleicht sogar noch mehr als früher.

In der heutigen Welt gibt es vieles, was uns Freude macht und uns inspiriert. Sonnenauf- oder -untergänge, Regenbögen, schneebedeckte Berge, das Lachen eines Kindes, heißes Wasser, Schokolade und der Duft von Kaffee – all das sind Dinge, die mich ein oder zwei Sekunden lang innerlich aufbauen und beglücken. Und die Möglichkeit, mit einem geliebten Menschen, der weit weg wohnt, per Telefon oder Video in Kontakt zu treten oder sich ins Flugzeug oder Auto zu setzen und ihn zu besuchen, ist ein erstaunlicher Beweis für die Vorteile unseres wissenschaftlichen und technologischen Fortschritts.

Aber wenn ich die Welt um mich herum betrachte, sehe ich zu viele Gesichter, in die Angst und Stress ihre Spuren gegraben haben – obwohl ich weiß, dass jeder sein Bestes zu geben versucht. Ich sehe zu wenige Gesichter, die innere Ruhe oder Zufriedenheit ausstrahlen. Ich sehe zu viele Menschen, die sich immer nur im Kreis zu drehen scheinen.

Für mich ist die Welt ein magischer Ort, an dem man unendlich viele Kostbarkeiten sehen, hören, berühren, schmecken und riechen kann – selbst an einem dieser vertrackten Tage, an denen nichts richtig zu funktionieren scheint.

Diese Einstellung hatte ich nicht immer. Ich gehörte früher auch einmal zu diesen Gesichtern, aus denen felsenfeste Entschlossenheit sprach, die aber keinen inneren Glanz ausstrahlten.

In den sechzig Jahren, in denen ich das Privileg hatte, auf dieser Erde zu leben, habe ich viele Höhen und Tiefen durchgemacht, so wie sie niemandem erspart bleiben. Wie die meisten Menschen meines Alters habe ich mich durch Krankheiten und familiäre Kümmernisse hindurchgekämpft. Ich habe Rechnungen bezahlt und mir eine berufliche Karriere aufgebaut, eine Familie und schließlich sogar ein eigenes Unternehmen gegründet; und gleichzeitig habe ich mir natürlich auch Mühe gegeben, ein guter Sohn, Bruder, Ehemann, Vater, Freund und Kollege zu sein.

Vor meiner Einweihung in die Kultur der Aborigines war dieser Navigationsprozess für mich viel schwieriger als danach. Denn diese Kultur hat mir ungeheuer viel gegeben; dadurch konnte ich einen Zustand geistigen, körperlichen und seelischen Wohlbefindens erreichen, den ich vorher nie für möglich gehalten hätte. Dieses Buch enthält viele Botschaften und Erkenntnisse, mit deren Hilfe du das auch schaffen kannst.

Ich hatte das große Glück, dieses Buch zusammen mit Paul Gordon (Uncle Paul) schreiben zu dürfen, einem sehr einfühlsamen, großzügigen Menschen von ungeheurer Geduld (die er bei einem Schützling wie mir auch dringend brauchte). Als ich vor vielen Jahren in den Spiegel schaute, hätte ich mir eine solche Zusammenarbeit beim besten Willen noch nicht vorstellen können.

Durch dieses Buch wird dir wieder klar werden, welche Macht Geschichten innewohnt. Das Geschichtenerzählen ist ein wichtiges Fundament der Aborigine-Kultur. Geschichten geben uns Zeit zum Entschleunigen. Geschichten verbinden uns miteinander. Aus Geschichten können wir etwas lernen.

Doch … bevor Uncle Paul und ich dich in die Weisheit unserer Vorfahren einweihen, möchte ich zuerst einmal erzählen, wie ich das Wissen der ältesten noch lebenden Kultur der Welt kennengelernt habe. War es Zufall oder Schicksal? Das kannst du selbst entscheiden, wenn du weiterliest. Ich weiß nur, dass diese Weisheit mein Leben verändert oder vielleicht sogar gerettet hat. Dieses Wissen ist so einfach zu verstehen und doch so tiefgründig, wenn man es auf sein eigenes Leben anwendet. Und es ist für uns alle da: Jeder Mensch kann darüber nachdenken, es in sich aufnehmen und danach leben, wenn er bereit ist, die damit einhergehende Verantwortung zu übernehmen.

Im Alter von 34 Jahren war ich die große australische Erfolgsstory. Ich hatte drei verschiedene Berufsausbildungen, zwei Jobs, zwei Kinder, zwei Autos, ein Haus und war mit der großen Liebe meines Lebens verheiratet. Mein Leben war ein Traum. Trotzdem saß ich an meinem 35. Geburtstag auf einer Treppe meines Büros und weinte. Meine Tränen flossen monatelang. Eine dunkle Wolke aus Angst und Sorgen hatte sich über meine Seele gelegt. Die sorglose, stets geschäftige, unverwüstliche Maske des Draufgängertums, die ich so lange vor mir hergetragen hatte, bekam Risse und fiel schließlich ganz von mir ab. Ich fühlte mich nackt, verletzlich und ausgeliefert.

Der Psychiater diagnostizierte bei mir eine schwere Depression und eine Angstneurose. Ich stellte Nachforschungen über diese unheilverkündenden Fachbegriffe an … und die Dunkelheit, die mich umfing, verdüsterte sich noch um ein paar Nuancen mehr. Meine Recherchen zum Thema »Depressionen« machten mich noch depressiver. Man erklärte mir, dass es keine Heilung dafür gebe und dass meine psychische Erkrankung ein Dauerzustand sei; bestenfalls könnte ich mit der Zeit vielleicht lernen, damit umzugehen.

Eines Tages saß ich am Ufer und dachte: »Das ist der richtige Augenblick, um meinem Leben ein Ende zu machen.« Dieser Gedanke war für mich sehr verlockend. So konnte ich meine Familie am einfachsten von der Last befreien, für jemanden mit einer unheilbaren psychischen Erkrankung sorgen zu müssen. Doch dann kam mir zufällig ein Gedanke, der meinen Selbstmordplänen einen Strich durch die Rechnung machte: »Vielleicht brauche ich ja gar nicht an diese Diagnosen, die die Ärzte mir überzustülpen versuchen, zu glauben. Vielleicht kann ich aus dieser Erfahrung etwas lernen und die Experten Lügen strafen.«

Und so begann mein Heilungsprozess. Als ich tief in mich hineinzuschauen begann, stellte ich fest, dass dort irgendetwas fehlte … etwas Unbestimmtes, nicht Greifbares … schwarze Flecken auf dem Kontinent meiner Seele, die sich vor mir versteckten, wenn ich versuchte, meinen Blick auf sie zu richten. Ich war auf der Suche nach einem persönlichen Sinn für mein Leben: Es musste doch irgendetwas geben, was diese Leere ausfüllte, gegen die bis dahin offenbar kein beruflicher, finanzieller oder sonstiger äußerlicher Erfolg angekommen war.

Ich begann, Bücher zu lesen. Sehr viele Bücher. Bücher über die verschiedenen spirituellen Überzeugungen, die es auf der Welt gibt. Ratgeber. Bücher über psychische Gesundheit. Bücher über die Physiologie unseres Gehirns. Bücher über Glück. Bücher über Depressionen.

Ich suchte Rat bei anderen Menschen – Männergruppen, Meditationsgruppen, Heilern, Psychologen und Psychiatern. Ich praktizierte Yoga, trieb viel Sport, betätigte mich kreativ, spielte auf meiner Gitarre und erlernte die verschiedensten Atemtechniken.

Allmählich wurde mir immer klarer, was in meinem Inneren fehlte. Da flatterte mir zufällig eine Einladung ins Haus, in den australischen Busch zu gehen und etwas über meine Kultur zu lernen.

Diese Einladung war eine große Überraschung für mich. Ich war zwar immer stolz auf mein Aborigine-Erbe gewesen; aber man hatte mir eingeredet, dass diese traditionelle Kultur längst untergegangen sei. Und nun befand ich mich hier im australischen Busch und sollte einen ersten Einblick in unsere uralten Bräuche erhalten.

Als Erstes zeigte man mir die Rauchzeremonie, und ich erfuhr, wie wichtig es ist, sich dieser Zeremonie zu unterziehen, bevor man eine heilige Stätte betritt. Während ich zuhörte, überkam mich ein Gefühl der Ruhe und inneren Freude, das ich noch nie zuvor erlebt hatte. Den Geruch von Rauch und Eukalyptusblättern immer noch in der Nase, wurde ich durch das nach Sonnenuntergang herrschende Dämmerlicht zu einem kahlen Felsbett geführt. Ich folgte meinem Lehrer in ernstem, respektvollem Gänsemarsch, um meine Dankbarkeit für das Wissen zum Ausdruck zu bringen, das mich dort erwartete.

Mein Lehrer deutete auf einen Platz, an den ich mich stellen sollte, und tauchte den vor mir liegenden Felsen in Licht. Vor mir stand eine Figur, die vor Zehntausenden von Jahren dort in Stein gehauen worden war.

Als man mir die Geschichte dieser Figur erzählte, staunte der analytische Teil meines Gehirns darüber, wie viele Generationen von Aborigines schon an diesem Ort gewesen waren und genau dort gestanden hatten, wo ich jetzt stand. Der kreative Teil meines Gehirns bewunderte die Schönheit der Geschichte, die ich zu hören bekam, und der philosophische Teil meines Gehirns war voller Ehrfurcht angesichts der Erkenntnisse, die sie enthielt. Mein Herz fühlte sich an, als würde es zerspringen, als mein lebenslanger Durst nach dem Wissen meiner Kultur endlich gestillt wurde.

In einer Welt, die weit über die Beschränkungen unseres menschlichen Gehirns hinausging, erwachte mein Geist und begann zu tanzen, als ich mit einem Ort jenseits des Vorstellbaren in Kontakt trat. Es war ein Ort der Sicherheit und Geborgenheit und ein Ort des Friedens. Ich wurde von einer tiefen Weisheit erfüllt und spürte eine unendliche, bedingungslose Liebe. Mir gefiel es an diesem Ort.

In den nächsten zwölf Monaten ging ich jede Woche in den Busch, manchmal sogar zweimal pro Woche. In dieser Zeit lernte ich etwas über unsere Schöpfung und unseren Schöpfer. Und ich erfuhr auch etwas über Mutter Erde und unsere Beziehung zu allem, was auf der Erde und im Himmel existiert. Ich lernte, wie wichtig es ist, sich bei allem, was man tut, liebevoll, respektvoll und bescheiden zu verhalten. Vor allem aber habe ich dabei etwas über mich selbst erfahren. Nach all den Jahren, die ich in Depressionen versunken gewesen war, konnte ich meine Welt der Dunkelheit und Negativität dank der Heilung und der Erkenntnisse, die unsere Kultur mir vermittelte, allmählich durch eine Welt der Farben, des Lichts und der Hoffnung ersetzen.

In dieser Burray-Lernphase, die ich damals durchmachte (Burray ist ein Wort für »Kind« in der Gathang-Sprache), erfuhr ich von einem Mann namens Uncle Paul Gordon. Sein Name wurde stets mit äußerster Ehrfurcht erwähnt – eine große Herausforderung für mein Ego. Ich war ein bisschen skeptisch gegenüber dem guruähnlichen Nimbus, der diesen Mann zu umgeben schien.

Doch als ich Uncle Paul zum ersten Mal begegnete, wich der distanzierte Zynismus, den ich so lange Zeit zur Schau getragen hatte, in dem Augenblick von mir, in dem ich seine Gegenwart spürte. Obwohl dieser Mann in jeder Hinsicht ruhig und bescheiden war, hatte er etwas an sich, das mir Respekt einflößte. Ich bedauerte meine Arroganz und mein vorschnelles Urteil sofort, als ich in ihm einen Menschen erkannte, der seiner Wahrheit gerecht wurde und sie lebte.

Das ist jetzt über zwanzig Jahre her. Der Weg meiner Genesung war lang – gepflastert mit Enttäuschungen, Rückschlägen und einer ständigen unterschwelligen Angst, dass ich nie wieder zu meinem alten Ich zurückfinden würde. Rückblickend kann ich sagen, dass meine Befürchtung unbegründet war – und dafür bin ich sehr dankbar. Meine Reise der Kontemplation, der Heilung und des inneren Wachstums hat mich zu meinem wahren Ich werden lassen … einem besseren Ich. Und der Grundstein für diese tiefgreifende, lebensverändernde Veränderung war meine Begegnung mit Uncle Paul.

Im Lauf der langen Zeit, die ich Uncle Paul inzwischen schon kenne, hat er sich von einer Figur, die ich infrage stellte, zunächst zu einer Figur entwickelt, die ich fürchtete, und ist dann zu einem verehrten Lehrer, wichtigen Mentor, Vertrauten und schließlich zu einem unendlich geliebten besten Freund geworden. Und obwohl ich nur einen kleinen Happen von dem Bankett des Wissens unserer Kultur zu mir genommen habe, das er mir gezeigt hat, werde ich ihm für diese geistige Nahrung für immer und ewig dankbar sein.

Uncle Paul ist in diesem Lernprozess natürlich schon viel weiter fortgeschritten als ich; doch selbst er ist, wie er zugibt, noch lange nicht am Ende angelangt.

Sein profundes und lebensveränderndes Wissen möchte ich dir in diesem Buch vermitteln. Um die Authentizität des Sinns und Kontexts zu gewährleisten, setze ich die Gedanken, die von Uncle Paul selbst stammen, stets in eine andere Schriftart. Hier kommt das erste Zitat von ihm:

Ich bin ein Ngemba-Mann aus dem Nordwesten von New South Wales, geboren in Gurulgilu Country; das heißt, ich gehöre zu den Steinen. In unserer Geschichte werden Steine geboren, Steine bekommen Babys, Steine wachsen, Steine haben eine Seele, und Steine sterben – so wie alles andere auch. Mein Volk ist ein Steinvolk. Wir kommen von den Steinen.

Im Lauf meines Lebens habe ich viel mit Aborigine-Gemeinden zusammengearbeitet und Organisationen gegründet, die dazu beitragen sollen, dass es unserem Volk besser geht. Außerdem habe ich einen großen Teil meines Lebens damit zugebracht, unser Land zu bereisen, und überall in der freien Natur mit alten Aborigines zusammengesessen. Gemeinsam haben wir die uralten Sitten und Gebräuche unserer Kultur gepflegt, um besser füreinander und für unsere Mutter Erde sorgen zu können. Denn wenn wir uns um die Mutter kümmern, wird sie uns immer alles geben, was wir brauchen.

Am liebsten würden wir unsere Gedanken von Angesicht zu Angesicht mit dir teilen – gemeinsam mit dir durchs Land wandern und abends zusammen am Feuer sitzen. Und wer weiß? Eines Tages wird das vielleicht so sein. Doch einstweilen ist dieses Buch unsere Art, mit dir durch den Busch zu wandern. Es ist eine Chance für dich, zu hören, was wir dir sagen würden, wenn du persönlich mit uns am Feuer säßest, und dir Gedanken darüber zu machen.

Uncle Pauls Gedanken beruhen auf dem Wissen, das die Alten an ihn weitergegeben haben, und auf seinen Beobachtungen der Welt um ihn herum. Wenn ich ihm zuhöre, werde ich auch heute noch oft zum Kind – wie gebannt von dieser neu entdeckten Sicht der Welt und all den Möglichkeiten, enger mit ihr in Kontakt zu treten.

Mein Beitrag zu diesem Buch besteht darin, dass ich Uncle Pauls Bemerkungen und Gedankengänge nachvollziehe und ergänze, indem ich sie aus verschiedenen Blickwinkeln beleuchte, unter anderem:

meinem Wissen über unsere Kultur,meinem Wissen über die westliche Welt,meiner Lebenserfahrung,relevanten westlichen Forschungsergebnissen undrelevanten westlichen Theorien und Praktiken.

Als ich im Jahr 2017 auf einer internationalen Konferenz für indigene Heilmethoden in der Nähe von San Francisco einen Vortrag hielt, bezeichnete ein Kollege mich als »Wanderer zwischen den Welten«. Diese Beschreibung gefiel mir sehr gut.

In diesem Buch möchte ich dir Einblicke in die Kultur der Aborigines und Denkanstöße geben, mit deren Hilfe du

lernen kannst, Dinge zu tun, die dich zu innerem Wachstum, mehr Sinn und mehr Zufriedenheit in deinem täglichen Leben hinführen (innere Perspektive), unddie Straße, die Gemeinschaft, die Nation und die Welt, in der du lebst, für heutige und zukünftige Generationen zu einem besseren Ort machen kannst (äußere Perspektive).

Beide Perspektiven sind gleich wichtig.

Um dieses Ziel zu erreichen, werden wir uns sehr stark auf die Lore konzentrieren – das traditionelle Wissen, das (durch Lieder, Geschichten, heilige Stätten und Tänze) von Generation zu Generation weitergegeben wird und unser ganzes Leben bestimmt. Die traditionellen Formulierungen, in denen dieses Konzept der Lore wiedergegeben wird (und oft auch die Interpretationen seiner Bedeutung), unterscheiden sich von Kontinent zu Kontinent. Im Wesentlichen besagt die Lore jedoch, dass wir alle für den Ort, an dem wir leben, Verantwortung tragen und für alles sorgen sollten, was an diesem Ort existiert.

Die Aufgabe eines »Lore Man« besteht unter anderem darin, das Wissen der Lore an die Menschen weiterzugeben, die auf diesem Land leben (unabhängig davon, wo sie zur Welt gekommen sind) und lernen möchten, es genauso zu lieben und sich darum zu kümmern wie die Aborigines. Zwischen dem Wohlergehen des Landes und unserem eigenen Wohlbefinden herrscht eine symbiotische Beziehung. Wenn wir uns nicht um das Land kümmern, wird das Wohlergehen unserer Mutter Erde – und damit letztendlich auch unser eigenes Wohl – darunter leiden.

Unser Wohl hängt aber nicht nur vom Aufbau einer liebevollen Beziehung zum Land ab, sondern auch von unserer Fähigkeit, sinnvolle Beziehungen zueinander aufzubauen. Ein Blick in die Geschichtsbücher zeigt, dass es – gelinde gesagt – gar nicht so einfach war, dieses Ziel auf der ganzen Welt zu erreichen. Die neuesten Nachrichten, in denen es immer wieder um »Black-Lives-Matter«-Demonstrationen, Kriege, Terroranschläge und Meinungsverschiedenheiten zwischen Regierungen über globale Themen wie Klimawandel, Armut, Religion und Handelsbeziehungen geht, zeigen, dass wir auf diesem Weg noch viele Hindernisse zu überwinden haben.

In der traditionellen Gesellschaft der Aborigines war das ganz anders. Die überaus komplexen und hochentwickelten Regierungs-, Ausbildungs- und Verwandtschaftssysteme, die in den über fünfhundert Aborigine-Nationen herrschten, bildeten eine Plattform spiritueller und familiärer Einheit, dank der wir die Vielfalt und die Unterschiede zwischen verschiedenen Aborigine-Völkern verstehen, respektieren und akzeptieren konnten. Dank dieser Plattform standen wir ständig miteinander in Verbindung. Sie erklärt, warum es manchmal mehrere Traumzeitgeschichten über ein und dasselbe Ereignis gibt.

Auch wenn manche dieser Geschichten sich voneinander unterscheiden, behandeln sie doch ähnliche Themen. Einige dieser Geschichten werden in ganz Australien von Volk zu Volk weitergegeben und verbinden die Menschen miteinander. Dank dieser uralten Erzähltradition werden auch immer wieder neue Geschichten in unsere Überlieferung aufgenommen, solange sie die Bedeutung der alten Geschichten nicht schmälern. Alte und neue Geschichten können nebeneinander bestehen und sich gegenseitig ergänzen, solange die neuen Geschichten unser Land, die Natur und alles, was darin existiert, gebührend zu würdigen wissen. Die Geschichten, die du in diesem Buch lesen wirst, sind nur einige von vielen, die sich mit zahlreichen anderen Geschichten aus ganz Australien in Zusammenhang bringen lassen und gleichzeitig dazu beitragen, alle Menschen auf der Welt miteinander zu verbinden.

Ebenso wie die Geschichten in diesem Buch können auch die Erkenntnisse anderer spiritueller Lehren aus aller Welt uns miteinander verbinden. Dieses Buch will kein Ersatz für diese Anleitungen und Inspirationsquellen sein oder sich über sie erheben. Es möchte einfach nur ein Werkzeug der inneren Wandlung sein, das sich in diese anderen spirituellen Lehren einreiht.

Es gibt kein allgemeingültiges Rezept, das sich in ein paar einfachen Worten zusammenfassen lässt und uns ein Leben in Wohlbefinden und Zufriedenheit garantiert; und wir behaupten auch nicht, dass dieses Buch alle Fragen beantwortet. Es bietet jedoch Perspektiven und Denkweisen, die du auf einige Bereiche deines Lebens anwenden kannst.

Wenn jemand unsere Ansichten nicht teilt, akzeptieren wir diese Meinungsverschiedenheit in einer Haltung der Anmut und Bescheidenheit. Denn Meinungsvielfalt ist eine hervorragende Gelegenheit, einander besser kennenzulernen – eine Chance für Gespräche, Lernprozesse und inneres Wachstum. Auf der Welt gibt es viele Geschichten und viele Antworten. Wir sind der Meinung, dass es nicht nur eine Meinung, eine Wahrheit oder eine Vorgehensweise zu geben braucht.

Das Einzige, was du auf dieser Lebensreise wirklich besitzt, ist deine Geschichte. Als Verfasser deiner Geschichte solltest du über alles, was man dir erzählt, genau nachdenken, um entscheiden zu können, worauf es in deinem Leben ankommt und wie deine Geschichte aussehen soll. Nur allzu oft (und manchmal sogar ohne es zu wissen) treten wir die Urheberschaft unserer Geschichte an andere Menschen ab und wundern uns dann, warum wir uns auf der Welt so verloren vorkommen.

Wenn du dir deine Geschichte nicht aus den Händen nehmen lässt – wenn du genau analysierst, was zu ihr passt und was nicht, und dabei gleichzeitig auf deine Intuition vertraust –, wird es dir viel leichter fallen, die Reise, die wir Leben nennen, zielbewusst und voller Inspiration anzugehen und etwas Sinnvolles, Authentisches daraus zu machen.

Jeder von uns wurde zu einem ganz bestimmten Zweck gezeugt und geboren. Jeder von uns hat eine Reise, einen Weg vor sich, der für ihn bestimmt ist. Vielleicht gibt es auf diesem Weg viele Schlaglöcher, Hindernisse und Umleitungen; doch selbst sie können zu wunderbaren Erfahrungen und Chancen werden, wenn man die richtige Einstellung dazu hat. Einige dieser vermeintlichen Hürden mögen uns auf den ersten Blick unüberwindbar erscheinen; aber wenn wir mit Einsicht, Glauben und Überzeugung an diesen Weg herangehen und uns dabei stets Mühe geben, ist das Erstaunliche für uns alle erreichbar. In Wirklichkeit liegt das Erstaunliche sogar bereits in uns; wir brauchen nur damit in Kontakt zu treten.

In der spirituellen Weltsicht der Aborigines heißt es, dass wir auf dem Weg zur Zufriedenheit sind, wenn unser Lebensweg mit unserem Lebenszweck im Einklang steht. Unsere Spiritualität sagt uns, dass wir mit einem größeren Weg – dem Traumpfad – in Kontakt treten müssen, um diesen persönlichen Lebensweg zu finden.

Der Traumpfad war von Anfang an da, sodass jeder ihm folgen konnte. Dabei geht es darum, wie jeder Mensch seiner Verantwortung gerecht wird, für seinen Lebensraum und alles, was dort existiert (einschließlich seiner Mitmenschen), zu sorgen. Wie wir das tun, ist von Mensch zu Mensch verschieden, weil jeder eine andere Geschichte hat; aber wenn wir dem Traumpfad folgen, sind wir alle miteinander vereint und gehen in die gleiche Richtung. Davon sehe ich zurzeit nicht viel.

Ein Teil unserer persönlichen Geschichte besteht also darin, einen Beitrag zu einer größeren Geschichte zu leisten – dem Wohl der Gemeinschaft. Dieses Buch soll nicht nur das Wohlergehen jedes Einzelnen fördern, sondern auch zur Entstehung stärkerer, lebendiger Gemeinschaften beitragen, die das Wohlergehen von Körper, Geist und Seele fördern. Diese Vision gibt uns auch die Hoffnung, dass die Anführer dieser Welt – egal, ob auf lokaler, regionaler, nationaler oder globaler Ebene – ihre Verantwortung, sich vorrangig um ihren Lebensraum und das, was dort existiert, zu kümmern, besser erkennen und erfüllen werden. Denn dabei kann jeder etwas gewinnen.

Dieses Buch ist für alle Menschen gedacht. Um es zu lesen, braucht man nichts weiter als einen offenen Geist und die Bereitschaft, nachzudenken. Es geht darum, jedem Einzelnen und der ganzen Gesellschaft eine andere Denkweise zu vermitteln, die sie zu neuen Perspektiven und zum Engagement für eine bessere innere und äußere Welt anregen kann.

Oder um es noch ein bisschen genauer auszudrücken: Wenn du dich mit einer der folgenden Kategorien identifizieren kannst, wird dieses Buch dir garantiert etwas bringen:

Du bist ein Mensch, der seinem Leben mehr Sinn und Bedeutung verleihen und zufriedener werden möchte.Du machst dir Sorgen um einen Freund oder Familienangehörigen, der deiner Meinung nach vom rechten Weg abgekommen ist.Du bringst dich in einer gemeinnützigen Organisation ein.Du wirkst an der Entwicklung der staatlichen Sozialpolitik mit.Du bist Student und interessierst dich für das persönliche Wohlbefinden der Menschen und das Wohlergehen der Allgemeinheit.Du setzt dich mit leidenschaftlichem Engagement für die Erhaltung der Natur und unserer Umwelt ein.Du bist im Gesundheits- oder Wohlfahrtssektor tätig,arbeitest als Erzieher,als Führungskraft oderziehst Kinder groß.Du engagierst dich gegen Rassismus und soziale Ungerechtigkeit.

Uncle Paul und ich versuchen, dir in diesem Buch keine genau festgelegten Lösungen oder Garantien für dein Wohlergehen zu geben. Wir wollen dich mit unseren Worten nur zum Nachdenken anregen, als würdest du mit uns am Feuer zusammensitzen und das Blaue vom Himmel herunterfabulieren. Wie du nutzen möchtest, was wir dir mitteilen, bleibt dir überlassen.

In jedem Kapitel dieses Buches geht es um wichtige Themen, über die du den Weg zum Traumpfad finden und dadurch einen Zustand größeren Wohlergehens für dich und die Allgemeinheit schaffen und aufrechterhalten kannst. Dazu gehören zum Beispiel die folgende Themen:

die Bedeutung von Geschichten,zwischenmenschliche Beziehungen,warum es so wichtig ist, Dinge miteinander zu teilen,Einheit,Liebe,Dankbarkeit,Demut und Bescheidenheit,Lernen,Wahrheit,Inspiration,Resilienz,Präsenz,Verletzungen aus der Vergangenheit zu heilen,Zufriedenheit,Verantwortung undFührerschaft.

In den ersten beiden Kapiteln dieses Buches geben wir dir einen Überblick über die Spiritualität der Aborigines. Die übrigen Kapitel enthalten Gedanken und Erkenntnisse, die du in deinem täglichen Leben auf praktische Weise umsetzen kannst. Hin und wieder werden wir dich auch dazu anregen, darüber nachzudenken, wie du das Gelernte nutzen kannst, um etwas für das Wohlbefinden anderer Menschen zu tun.

Jedes Kapitel dieses Buches beginnt mit einer Traumzeitgeschichte. Auf die traditionellen Geschichten der Aborigines angewendet ist die Bezeichnung »Traum« vielleicht ein bisschen irreführend, da sie den Eindruck von etwas Mythischem, Märchenhaftem erweckt, das nichts mit der Realität zu tun hat und einen daher im täglichen Leben nicht sonderlich weiterbringt. Diese Traumzeitgeschichten (die oft durch Kunstwerke, Tänze und heilige Stätten der Aborigines, aber auch mündlich überliefert werden) machen auf den ersten Blick oft einen sehr einfachen Eindruck, haben aber in Wirklichkeit sehr vielschichtige Botschaften und lassen sich auf die verschiedensten Situationen anwenden. Auch ihre Zuhörer stammen aus den verschiedensten Altersgruppen und Gesellschaftsschichten. Jede Geschichte kann sinnvolle Gespräche und Lernprozesse in Gang setzen, egal, ob man sie einem Kind, Jugendlichen, Erwachsenen oder älteren Menschen erzählt.

Traumzeitgeschichten sind Gleichnisse der Aborigines. Sie wollen dir Botschaften und Handlungsempfehlungen vermitteln, auf denen unsere Lore basiert. Diese Geschichten sind Wegweiser für ein Leben, das durch ein tieferes Verständnis unserer persönlichen Wertvorstellungen und Verantwortlichkeiten mehr Sinn gewinnt.

Wir streuen in dieses Buch auch immer wieder Übungen ein, die du machen kannst, wenn du möchtest. Diese Übungen sollen dir helfen, wichtige Konzepte besser zu verstehen und über bestimmte Sichtweisen nachzudenken. Das ist aber keine Vorschrift, also hab bitte kein schlechtes Gewissen, wenn du irgendeine Übung nicht machen möchtest oder vielleicht überhaupt keine Lust zu Übungen hast. Dein Weg durch dieses Buch soll mühelos und fließend sein und nichts erzwingen. Unser Buch will dir dazu verhelfen, das Leben weniger als lästige Pflicht zu sehen – nichts liegt uns ferner, als dir noch weitere Pflichten aufzuerlegen.

Du wirst in diesem Buch auch immer wieder Fragen finden, über die du nachdenken kannst. Für diese Fragen gilt genau das Gleiche wie für die Übungen: Du brauchst dir nur dann Gedanken darüber zu machen, wenn du es möchtest.

Am Ende jedes Kapitels findest du ein paar Botschaften, die seine wichtigsten Punkte zusammenfassen. Sie bieten dir Anhaltspunkte, über die du noch lange nach der Lektüre dieses Buches nachdenken kannst. Einige dieser Anregungen werden dir vielleicht sogar so wichtig erscheinen, dass du sie dir notierst, um immer wieder an bestimmte Lebensbereiche erinnert zu werden, an denen du arbeiten möchtest.

Bei der Lektüre dieses Buches wirst du über Anmerkungen und Konzepte nachdenken, die dich innerlich ansprechen; aber zerbrich dir lieber nicht allzu sehr den Kopf darüber – denn das ist nicht die Art der Aborigines, etwas zu lernen. Wenn du mehr über unsere Kultur erfährst, wird dir hoffentlich klar werden, dass es bei unserer Lebensweise darum geht, mit allem um uns herum mitzufließen. Also lass dich beim Lesen einfach von unseren Worten und Gedanken mittragen, als würdest du dir einen Film anschauen. Genieße diese Reise, ohne dir allzu viele Gedanken über das Ziel zu machen: Vertraue einfach darauf, dass dir das, was du brauchst, genau zum richtigen Zeitpunkt gegeben wird.

Viele Konzepte in diesem Buch werden dir simpel und selbstverständlich erscheinen. Aber lass dich dadurch nicht täuschen! Was auf den ersten Blick wie eine einfache Bemerkung oder Einsicht wirkt, kann einen ganzen Welleneffekt neuer Erkenntnisse und Perspektiven auslösen und dich zu neuen Vorsätzen inspirieren; und dadurch kann sich dein ganzes Leben verändern. So ist es mir jedenfalls ergangen.

In dieser Zeit des Nachdenkens geht es um dich; es ist eine Zeit, in der du dich um dich selbst kümmern solltest. Reflexion und inneres Wachstum sind zwei der wichtigsten Dinge, die du für dich tun kannst; also brauchst du dich dabei nicht zu beeilen. Nimm dir Zeit dafür und blättere ruhig immer wieder zurück, um bestimmte Stellen dieses Buchs noch einmal zu lesen und weiter darüber nachzudenken. Du bist es wert!

Uncle Paul und ich hoffen, dass die Lektüre des Buchs Der Traumpfad dir etwas bringt, dich in vielem bestätigt, dich aber gleichzeitig auch zu neuen Betrachtungsweisen herausfordert. Wir hoffen, dass es in dir den Wunsch danach weckt, mehr über die Sichtweisen anderer Aborigines und anderer indigener und nichtindigener Völker zu erfahren.

Wir sind nur zwei Stimmen im Chor der Welt. Wir brauchen auch noch andere Stimmen, die sich mit uns zusammentun. Jede Stimme ist uns herzlich willkommen. Wir freuen uns darauf, dass du uns helfen willst, aus etwas Altem etwas Neues zu schaffen … Es gibt keine bessere Zeit als die Gegenwart, um damit zu beginnen!

In unseren Geschichten ist alles aus dem Land entstanden. Die Angehörigen unseres Volkes zogen in die ganze Welt hinaus, und mit der Zeit veränderte sich ihre Haut, ihre Sprache, und ihre Überlieferung geriet in Vergessenheit.

Im Jahr 1788 kehrten einige der vergessenen Kinder zurück.

Jetzt, Kinder, seid ihr zu Hause. Nun müsst ihr erwachen und auf eure Ältesten hören.

Es ist an der Zeit, dass ihr lernt, was euch verloren gegangen ist.

Uncle Paul Gordon

Kapitel 1

Wie wir für unser Land sorgen sollten (und warum Geschichten so wichtig sind)

Alle Dinge haben eine Seele. Wir sind alle eins.

Das Universum ist ein lebendiges Wesen. Wir sind alle ein Teil davon. Alles besitzt eine Seele, und alles ist miteinander verbunden.

Wenn jemand oder etwas vergeht, wohin geht es dann? Es geht dorthin zurück, wo es hergekommen ist, und macht einen neuen Anfang. Nichts geht jemals verloren: Wir missen es nur so lange, bis wir es irgendwann wiederfinden. Wir sind mit allem eins. Wir kommen alle vom selben Ursprung.

Als die Welt im Bauch des Universums gezeugt wurde, hat das Universum viele Dinge gegessen. Die Erde wurde gefüttert, um sie auf die Geburt vorzubereiten.

Früher war die ganze Erde von Wasser bedeckt; doch unter dem Wasser befand sich unsere Mutter Gunni. Die Regenbogenschlange Wawaii lag in Gunnis Bauch tief unter dem Wasser. Dann begann Wawaii, sich in Gunnis Leib zu bewegen. Davon erwachte Gunni, und das Land stieg aus dem Meer auf.

Wawaii hat das Wasser aus dem Meer ans Land gebracht; aber wie wir wissen, ist Salzwasser nicht gut für das Land. Also holte Wawaii das Salz aus dem Wasser heraus und versenkte es tief in der Erde, während sie das Süßwasser in Form von Quellen an die Erdoberfläche brachte. Wawaii wanderte durch das ganze Land und ließ an besonderen Stellen Süßwasser hervorsprudeln.

Als unser Himmelsvater Biamii von oben herunterschaute und unsere schöne Mutter aus dem Meer aufsteigen sah, kam er vom Himmel herab. Die beiden entbrannten in Liebe zueinander und vereinigten sich miteinander, und die ersten Kinder wurden geboren. Das waren große, uralte Tierahnen, die durch das Land zogen und all die Berge, Täler und anderen Landschaften schufen, die wir heute dort sehen. Das war ein langer Prozess, und es gibt viele Geschichten darüber, wie die Pflanzen entstanden sind, wie die Tiere entstanden sind, wie die Fische entstanden sind, wie die Vögel entstanden sind, wie die Insekten entstanden sind und so weiter. Die Schöpfung aller Dinge geht auf unsere Mutter, unseren Vater und die Regenbogenschlange Wawaii zurück.

Der Mensch wurde zuallerletzt erschaffen. Wir stammen von den tierischen Vorfahren ab, die vor uns da waren. Jedes Lebewesen und jedes Ding – egal, ob Tier, Vogel, Insekt oder Pflanze – hat eine Geschichte und eine Überlieferung, die uns alle miteinander verbindet. Auch Himmel, Sonne, Mond und Sterne haben eine Geschichte und eine Lore. Aus dieser Lore und den dazugehörigen Geschichten geht hervor, dass alles miteinander verbunden ist und eine Einheit bildet. Es gibt keine Trennung zwischen Spiritualität und Alltagsleben. Alles hängt miteinander zusammen. Alles, was wir in unserem täglichen Leben tun, steht mit der Lore in Zusammenhang.

Die Erde empfindet genau die gleichen Emotionen wie wir. Im Lauf ihres Lebens ist aus ihren Emotionen und Krankheiten und ihren Lieben die Welt entstanden, zu der wir jetzt gehören. Unsere Handlungen stehen nicht für sich allein. Alles, was wir tun, wirkt sich auf die Erde und auf alles aus, was dort existiert. Alles, was wir tun, hat Auswirkungen darauf, welches Erbe wir unseren Kindern hinterlassen.

Die Wissenschaft weiß nicht genau, wie lange die Aborigines diesen Kontinent schon bewohnen. Ihre Schätzungen variieren zwischen 50 000 und 120 000 Jahren, je nachdem, auf welche Forschungsergebnisse die jeweiligen Forscher sich dabei berufen. In der Kultur der Aborigines sieht man das anders: Unsere Ältesten sagen, dass wir schon von Anfang an da waren. Dieser Glaube spiegelt sich in unseren Schöpfungsgeschichten wider, die erklären, wie alle Lebewesen – einschließlich der Aborigines – in ihrer traditionellen Heimat entstanden sind.

Unsere Ältesten erzählen auch, dass die Aborigines vor der Invasion ein erfülltes, zufriedenes Leben geführt haben – körperlich ebenso wie geistig und spirituell.

Stell dir eine Welt vor, in der die Menschen alles haben, was sie brauchen, um zufrieden zu sein. In der sie glücklich alt werden – körperlich, geistig und seelisch. So hat unser Volk sehr, sehr lange gelebt. Das Leben war zwar manchmal hart; doch dank unserem Wissen über das Land hatten wir immer alles, was wir brauchten.

In ganz Australien ließen sich die Aborigines in sämtlichen Bereichen ihres traditionellen Lebens von der Lore leiten. Dabei handelt es sich (wie ich bereits erklärt habe) um ein englisches Wort für traditionelles Wissen, das von Generation zu Generation weitergegeben wird.

In Australien bezeichnet man die uralten Geschichten, die diese Lore veranschaulichen, manchmal als »Traumzeit« oder »Träumen«. Es gibt sogar Bücher, in deren Titeln diese Traumzeitgeschichten als Mythen, Legenden oder Fabeln bezeichnet werden; und das ist falsch. Unsere Geschichten sind keine Mythen oder Legenden oder Fabeln – und sie handeln auch nicht von Träumen. Für uns sind sie etwas sehr Reales.

In meiner Sprache verwenden wir dafür das Wort Ngurrampaa. Ngurrampaa ist eine viel bessere Bezeichnung für die Traumzeit. Im Grunde bedeutet dieses Wort »meine Beziehung zu meinem Land und allem, was dort existiert«. Bei der Lore geht es also darum, welche Beziehung ich zu allem habe, was sich in meinem Lebensraum und meinem Land befindet. Es geht darum, wie wir innerlich mit unserem Land und mit allem verbunden sind, was dort existiert.

In der traditionellen Welt der Aborigines hat alles – jede Art, jede Gesteinsform, jedes Tier, jedes Reptil und jeder Mensch – eine Geschichte. In dieser Geschichte geht es darum, wie das betreffende Ding oder Lebewesen entstanden ist. Wenn man eine Geschichte hat, hat man auch ein Lied, und wenn man ein Lied hat, hat man auch einen Tanz. Das gehört alles zusammen. Wenn wir uns diese Geschichten anhören und verstehen, was man daraus lernen kann, können wir besser für unser Land und alles, was dort existiert, sorgen und mit dem Traumpfad in Verbindung treten.

Geschichten waren im traditionellen Leben der Aborigines ein wichtiges Mittel zur Kommunikation und zum Austausch von Wissen. Ab dem Tag unserer Geburt lernten wir aus Geschichten, wie wichtig unsere Umwelt ist und dass man mit ihr in Verbindung treten und sie respektieren muss. Die Aborigines beschreiben das manchmal als Verbundenheit mit »ihrem Lebensraum« oder »ihrem Land«.

Aus der spirituellen und kulturellen Sicht der Aborigines ist »dein Land« oder »dein Lebensraum« von entscheidender Bedeutung für das, was du bist. Es ist der Mittelpunkt deiner Existenz. Das Land ist für einen Aborigine der Ort, wo seine Vorfahren geboren wurden, wo sie umhergewandert sind, wohin sie immer wieder zurückkehrten und wo sie jetzt als Geistwesen leben.

Das Land ist der Ort, mit dem du geistig und seelisch in Kontakt trittst, wenn du hier lebst, und der Ort, in den dein Körper gelegt wird, wenn du nicht mehr auf dieser Erde wandelst.

Aus unserer Sicht gehören wir dem Land: Es besitzt uns – wir besitzen es nicht. In unserer physischen Gestalt hält uns das Land für die kurze Zeit, die wir hier sind, am Leben. Also müssen wir es respektieren und dafür sorgen, dass die Fußspuren, die wir hinterlassen, ihm nicht schaden. Wir finden diese Mutter so schön, dass wir uns, wenn unser Leben in physischer Gestalt vorbei ist, dafür entscheiden können, als Geistwesen zu diesem Land zurückzukehren, um uns auch weiterhin um Mutter Erde und all ihre Kinder kümmern zu können.

Unsere Lore lehrt uns, dass alle Menschen, die auf diesem Land leben, dafür verantwortlich sind, das Land zu lieben und dafür zu sorgen … egal, wo sie zur Welt gekommen sind. Der erste Schritt dazu besteht darin, mit dem Land in Verbindung zu treten. Sobald du damit beginnst, wirst du vielleicht darüber staunen, wie viel wohler du dich in deiner Haut und deinem Leben fühlst.

Mit deinem Lebensraum in Verbindung treten (1)

Gibt es einen Ort in der Natur, an dem du dich einfach gern aufhältst? Die nun folgende Übung soll dir helfen, mit diesem Ort in Verbindung zu treten.

Vielleicht solltest du diesen Text aufnehmen und ihn dir dann mit geschlossenen Augen anhören. Du kannst aber auch jemanden bitten, ihn dir vorzulesen.

Lass das ständige Geplapper deiner Gedanken in den Hintergrund treten. Im Jetzt und Hier gibt es immer irgendetwas, worüber man nachdenken muss; doch für kurze Zeit kannst du all diese Gedanken aus deinem Kopf verbannen.

Sobald du anfängst, deine Gedanken loszulassen, stell dir einen Ort vor, den du liebst. Einen Ort, an dem du ganz entspannt bist und nicht das Gefühl hast, unbedingt etwas tun zu müssen. Einen Ort, an dem du einfach in einer Wolke des Friedens und der inneren Ruhe dahinschweben kannst … an dem niemand Anforderungen an dich stellt … an dem du für eine Weile allem entfliehen kannst. Dieser Ort kann von Felsen umgeben sein; es kann aber auch eine sandige oder grasbewachsene Fläche sein. Dein Ort kann im Gebirge, an der Küste oder in der Wüste liegen.

Du hast alle Zeit der Welt, dich dort umzuschauen. Was siehst du? Vielleicht fallen dir viele Einzelheiten auf; vielleicht nimmst du aber auch nur ein paar nebelhafte, verschwommene Bilder wahr.

Nimm dir Zeit, dieses lebendige Wandgemälde der Natur in dich aufzunehmen. Denn all das ist jetzt in diesem Augenblick für dich da, damit du es genießen kannst.

Schließe in aller Ruhe die Augen, und lass deinen Atem ganz ruhig und wie von selbst in deinen Körper hinein- und wieder herausfließen.

Sobald du bereit dazu bist, nimm – immer noch mit geschlossenen Augen – die Geräusche um dich herum wahr.

Nimm dir Zeit, diese Musik der Natur zu genießen. Denn all das ist jetzt in diesem Augenblick für dich da, damit du es genießen kannst.

Spüre die Ruhe und den Frieden, die dich dabei durchströmen, und achte weiterhin auf deinen Atem. Bleib eine Zeit lang bei diesem Gefühl. Aale dich darin wie in einem heißen Schaumbad an einem kalten Winternachmittag.

Sobald du bereit dazu bist, schau dich noch einmal an diesem Ort – deinem Lebensraum – um, und nimm seine Schönheit wahr.

Wenn es sich für dich richtig anfühlt, lass ein Lächeln des Staunens und der Dankbarkeit auf deine Lippen treten. Lächle mit deinem Gesicht. Lächle mit deinen Augen. Lächle aus deinem tiefsten Inneren heraus.

Und nun streckst du in Gedanken die Arme aus und trittst mit deiner Umgebung in Kontakt.

Öffne dein Herz für deine Umgebung.

Öffne deinen Geist für deine Umgebung.

Öffne deine Seele für deine Umgebung.

Tritt mit allem in Kontakt. Dafür gibt es keinen richtigen oder falschen Weg … mach es einfach so, wie es sich für dich richtig anfühlt … und spüre dabei all die Liebe und Akzeptanz um dich herum.

Dieser Ort ist für dich. Er wird dich liebevoll umsorgen. Er wird sich um dich kümmern. Er wird dich heilen.

Spüre die ruhige und doch ungeheuer tiefe Kraft dieses Ortes. Er wird dir immer alles geben, was er hat, ohne irgendetwas dafür von dir zu verlangen. Liebe, Wärme, Trost, Kraft, innere Ruhe, Schutz, Ruhe und Erholung – alles ist für dich da.

Und nun lass deinen Geist und deine Seele noch tiefer mit diesem Ort in Verbindung treten – nicht nur mit dem, was du siehst oder hörst. Tritt mit dem Geist des Baums, dem Geist des Steins, dem Geist des Wassers in Kontakt. Spüre, wie diese innere Verbindung und diese Liebe dein ganzes Wesen durchströmen.

Bleibe so lange bei diesem Gefühl, wie du möchtest. So etwas wie Zeit gibt es nicht: Nimm dir die Freiheit, einfach zu sein. Und sobald du bereit dazu bist … ganz behutsam und ohne besondere Eile … löst du dich nun wieder von dieser Verbindung und kehrst ins Jetzt und Hier zurück.

Wie fühlst du dich jetzt? Und wie hast du dich während dieser Übung gefühlt? Wenn du ein Gefühl des inneren Friedens, der Freude oder vielleicht sogar Liebe gespürt hast, dann bist du aus Sicht der Aborigines mit dem Land in Verbindung getreten.

Nach der spirituellen Lehre der Aborigines sind wir dafür verantwortlich, uns um unser Land und alles, was dort existiert, zu kümmern. Dieses spirituelle Gesetz hat auch eine ganz praktische Bedeutung.

Wenn ein Mensch an jedem Tag seines Lebens von einer Maschine abhängig wäre, ohne die er nicht überleben könnte – glaubst du nicht, dass er sich dann dafür interessieren würde, wie man diese Maschine richtig benutzt und wartet, damit sie nicht kaputtgeht? Würde er der Maschine so große Wertschätzung entgegenbringen, als hinge sein Leben von ihr ab?

Höchstwahrscheinlich ja. Jeder Mensch würde alles tun, was notwendig ist, um für seine Sicherheit zu sorgen.

Das Land schenkt uns allen unser Leben und erhält es – und das schon seit Anbeginn der Schöpfung. Wir müssen dafür sorgen, dass das auch so bleibt. Daher bestand ein Grundpfeiler des Lebens der Aborigines schon immer darin, etwas über die Natur um sie herum zu lernen, dieses Wissen weiterzugeben und stets darauf zu achten, dass das Land richtig versorgt wird.

Verletzungen des Landes – einschließlich des Meeres und des Himmels – widersprechen dem Gesetz der Lore. Wer dem Land Schaden zufügt, kommt nicht der Verpflichtung nach, sich um sein Lebensumfeld zu kümmern.

Wenn man sich die alten heidnischen Glaubensvorstellungen Englands, Irlands, Schottlands oder Frankreichs anschaut, wird man feststellen, dass es dort früher auch einmal eine Zeit gab, in der die Menschen das Land liebten, sich darum kümmerten und ihre Medizin und Nahrung daraus bezogen.

Es existierte einmal eine einzige große Lore, die überall auf der Welt Gültigkeit hatte. Doch irgendwann ist etwas passiert. In anderen Teilen der Welt ist etwas geschehen, was die Menschen davon abbrachte, weiter an ihre alten Sitten und Gebräuche zu glauben.

Sie respektierten das Land nicht mehr so wie früher. Das bedeutet aber nicht, dass man heutzutage keinen Respekt mehr vor dem Land zu haben braucht; denn wir Menschen haben nur diese eine Erde, um darauf zu leben. Wenn wir nicht lernen, sie zu lieben, zu respektieren und uns um sie zu kümmern wie früher, wird sie eines Tages sterben.

Die spirituellen Lehren der Aborigines sind für alle Menschen da, die mit ihrem Lebensumfeld und ihrer Mutter, dem Land, in Verbindung treten möchten.

Wenn Menschen zu uns kommen wollen, um mit dem Land in Kontakt zu treten, sind Aborigines wie ich immer bereit, ihnen das beizubringen. Wir können Menschen aus allen Teilen der Welt helfen, zu ihren alten Sitten und Gebräuchen zurückzufinden und mit ihren Ältesten in Kontakt zu treten. Die Erde gibt uns Leben. Wir dürfen nie vergessen, uns um sie zu kümmern.

Es ist wichtig, zu verstehen, dass die Lore dem Land gehört und nicht den Menschen. Das Gebot, sich um das Land zu kümmern, ist in den Wüstensand, ins Gebirge, in die Gewässer, die Wälder, die Erde und den Himmel eingewoben.

Die Leute sagen mir oft, wie traurig sie es finden, dass unsere Kultur verschwunden ist. Dabei ist sie gar nicht verschwunden. Wir sind immer noch da … und die Geschichten sind ein Teil des Landes … sie sind in demLand. Und sie werden auch dann noch dort sein, wenn es mich längst nicht mehr gibt. Jeder Mensch, der auf diesem Land lebt, ist dafür verantwortlich, auf das Land zu hören, es zu verstehen und im Einklang mit der Lore gut dafür zu sorgen.

In traditionellen Zeiten stand keine Handlung oder Aktivität über der Lore. Denn jeder, der gegen die Lore verstieß, konnte dem Land und/oder dem, was zum Land gehörte, dadurch Schaden und Leid zufügen. Daher hatte jede Übertretung der Lore ernste Konsequenzen.

Wenn wir die Nachrichten hören und uns anschauen, was auf der Welt so alles passiert, oder unsere Social-Media-Feeds lesen – glaubst du, dass die Menschen als globale Entität sich an die Grundsätze der Lore halten? Hast du den Eindruck, dass es ihnen wirklich am allerwichtigsten ist, »sich um ihr Land und alles, was dort existiert, zu kümmern«?