Der ungezähmte Messias - John Eldredge - E-Book

Der ungezähmte Messias E-Book

John Eldredge

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Beschreibung

Man warf ihm alles Mögliche vor - Gesetzesbruch, Umgang mit schlechter Gesellschaft, Trinkgelage. Manche hielten ihn sogar für das personifizierte Böse. Er war eine Bedrohung. Sie mussten ihn einfach aus dem Weg schaffen. Doch diejenigen, die ihn am besten kannten, liebten ihn innig. Er hatte einen feinen Humor. Seine Großzügigkeit war kaum zu fassen. Er sprach von den ungeheuerlichsten Dingen. Und wenn er zornig wurde, zitterten seine Widersacher. Jesus hat sich kein bisschen verändert. Mit offenen Armen nimmt er jeden an, der ihn sucht. Lernen Sie ihn besser kennen - den ungezähmten Messias.

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Über den Autor

John Eldredge ist Therapeut und Referent und Autor mehrerer Bestseller. Zwölf Jahre lang war er für „Focus on the Family“ tätig. Heute ist er Leiter von „Ransomed Heart Ministries“. Bei Gerth Medien bislang von ihm erschienen: „Das wilde Herz der Ehe“.

Inhalt

Einleitung

Der Erdrutsch

Kapitel 1

Ein Gott, der sich Scherze erlaubt, und das Gift der Religion

Kapitel 2

Das Wesentliche fehlt – seine Persönlichkeit

Kapitel 3

Ist Jesus wirklich verspielt?

Kapitel 4

Wild entschlossen

Kapitel 5

Das menschlichste Gesicht überhaupt

Kapitel 6

Verschwenderische Großzügigkeit

Kapitel 7

Verstörende Ehrlichkeit

Kapitel 8

Skandalöse Freiheit

Kapitel 9

Gerissen

Kapitel 10

Demut

Kapitel 11

Wahrhaftigkeit

Kapitel 12

Schön

Kapitel 13

Jesus lieben

Kapitel 14

Jesus ist ganz er selbst – und am liebsten mit Ihnen

Kapitel 15

Den religiösen Nebel vertreiben

Kapitel 16

Jesus Jesus sein lassen – Begegnungen

Kapitel 17

Lassen Sie Ihr Leben von seinem erfüllen

Epilog

Ein letzter Gedanke

Danksagung

Anmerkungen

„Das Wort, das zum Leben führt, war von Anfang an da. Wir haben es selbst gehört. Ja, wir haben es sogar mit unseren eigenen Augen gesehen und mit unseren Händen berührt. Dieses Leben hat sich uns gezeigt. Wir haben es gesehen und können es bezeugen. Deshalb verkünden wir die Botschaft vom ewigen Leben. Es ist von Gott, dem Vater, gekommen, und er hat es uns gezeigt. Was wir nun selbst gesehen und gehört haben, das geben wir euch weiter, damit ihr mit uns im Glauben verbunden seid. Gemeinsam gehören wir zu Gott, dem Vater, und zu seinem Sohn Jesus Christus. Wir schreiben euch das, damit wir uns von ganzem Herzen freuen können.“

1. Johannes 1,1–4

Einleitung

Der Erdrutsch

Sich auf dem Wasser spiegelndes Sonnenlicht.

Vogelgesang im Wald.

Wüstensand im Mondlicht.

Weinberge kurz vor der Lese.

Diese Szenen haben etwas gemeinsam – in ihnen spiegelt sich das Fühlen und Wirken eines bestimmten Künstlers wider. Es sind seine Meisterwerke, ein Ausdruck seiner Kunst und sein Geschenk an uns. Dieser Künstler heißt Jesus. Und noch etwas haben diese Kunstwerke und auch Jesus gemeinsam – Worte auf einem Blatt Papier lassen sich nicht mit einer persönlichen Erfahrung vergleichen. An einem sonnigen Morgen auf dem Meer zu segeln, den Wind im Gesicht; im Wald zu wandern, während das Sonnenlicht durch das Blätterdach dringt; auf einer warmen Düne unter dem Vollmond zu liegen und die Sterne zu beobachten; die üppige Schönheit eines Weinbergs im Frühherbst zu genießen – solche Erlebnisse sind viel näher als alles Reden an dem dran, was es bedeutet, Jesus zu erfahren.

Noch mehr Worte über Jesus sind nur dann hilfreich, wenn sie dazu führen, dass wir ihn erleben.

Wir brauchen darüber weder zu spekulieren noch zu diskutieren. Wir brauchen Jesus selbst. Und wir können ihn erfahren. Wirklich. Man kann Jesus ganz nahkommen und ihn erfahren. Das möchte er. Obwohl Religion und Welt versucht haben, Jesus Christus kaputt zu machen, ist er noch immer äußerst lebendig. Allerdings muss man sich heute anstrengen, um ihn so kennenzulernen, wie er wirklich ist. Ein einfaches Gebet kann aber einen Erdrutsch auslösen und Sie zu Begegnungen mit ihm führen:

Jesus, ich möchte dich kennenlernen. Und zwar so, wie du wirklich bist.

Denn Jesus zu haben, ihn wirklich zu haben, ist der größte Schatz, den man sich nur vorstellen kann.

Und Jesus zu lieben – das bedeutet, die wichtigste Frage der Welt ein für alle Mal zu beantworten. Die Frage nach Ihrer Existenz. Alles andere wird sich daraus ergeben.

Jesus zu lieben ist nicht schwer, wenn Sie ihn erst einmal kennenlernen, wie er wirklich ist. Hier liegt also unser Ausgangspunkt oder für manche von uns auch der Punkt, zu dem wir nach einer langen Wanderung wieder zurückkehren. Uns erwartet ein Abenteuer: Wir wollen den größten Schatz finden, den man überhaupt nur finden kann. Dabei ist es hilfreich, sich an dieses ganz einfache Gebet zu halten:

Jesus, ich möchte dich kennenlernen. Und zwar so, wie du wirklich bist.

Fangen wir mit einer Geschichte an.

Kapitel 1

Ein Gott, der sich Scherze erlaubt, und das Gift der Religion

Ein Gott, der sich Scherze erlaubt

Die folgende Begebenheit trug sich zu, etwa eine Woche nachdem Jesus aus dem Grab spaziert war, das er sich kurz ausgeliehen hatte. Der Apostel Johannes erzählt die Geschichte folgendermaßen:

Später erschien Jesus seinen Jüngern noch einmal am See von Tiberias. Das geschah so: Simon Petrus, Thomas, der Zwilling genannt wurde, Nathanael aus Kana in Galiläa, die beiden Söhne des Zebedäus und zwei andere Jünger waren dort zusammen.

Simon Petrus sagte: „Ich gehe jetzt fischen!“

„Wir kommen mit“, meinten die anderen.

Sie stiegen ins Boot und fuhren hinaus auf den See. Aber während der ganzen Nacht fingen sie keinen einzigen Fisch. Im Morgengrauen stand Jesus am Ufer. Doch die Jünger erkannten ihn nicht.

Jesus rief ihnen zu: „Kinder, habt ihr ein paar Fische zu essen?“

„Nein“, antworteten sie.

Da forderte er sie auf: „Werft das Netz auf der rechten Seite des Bootes aus, dann werdet ihr einen guten Fang machen!“

Sie folgten seinem Rat und fingen so viele Fische, dass sie das Netz nicht mehr einholen konnten. Jetzt sagte der Jünger, den Jesus liebte, zu Petrus: „Das ist der Herr!“

Kaum hatte Simon Petrus das gehört, zog er sein Obergewand an, das er während der Arbeit abgelegt hatte, sprang ins Wasser und schwamm an das Ufer. Die anderen Jünger waren noch etwa hundert Meter vom Ufer entfernt. Sie folgten Petrus mit dem Boot und zogen das gefüllte Netz hinter sich her. Als sie aus dem Boot stiegen, sahen sie ein Kohlenfeuer, auf dem Fische brieten. Auch Brot lag bereit.

Jesus bat die Jünger: „Bringt ein paar von den Fischen her, die ihr gerade gefangen habt!“ Simon Petrus ging zum Boot und zog das Netz an Land. Es war gefüllt mit hundertdreiundfünfzig großen Fischen. Und obwohl es so viele waren, zerriss das Netz nicht.

„Kommt her und esst!“, sagte Jesus.

(Johannes 21,1–12)

An dieser Geschichte gibt es so viel Schönes zu entdecken, dass man kaum weiß, wo man anfangen soll.

Zunächst einmal sind die Jungs fischen gegangen. Kann man ihnen das verdenken? Die Ereignisse der vergangenen beiden Wochen waren, gelinde gesagt, überwältigend und erdrückend. Die Hochstimmung beim Einzug in Jerusalem – alle schwenkten Palmzweige und riefen: „Hosianna“ –, dann der Absturz, tiefer als man es für möglich gehalten hätte. Ihr geliebter Jesus wurde gefoltert, hingerichtet, ins Grab gelegt. Doch dann, und das überstieg ihre Vorstellungskraft, wurde er wieder lebendig und erschien ihnen. Zweimal. In diesem Augenblick wissen sie jedoch nicht, wo er steckt. Sie sind unsicher, was sie als Nächstes tun sollen, und halten es einfach nicht aus, noch länger im Haus zu warten. Also tun sie das, was jeder Fischer mit ein wenig Selbstachtung tut, um den Kopf freizubekommen: Sie gehen fischen. Und zwar offenbar nackt oder jedenfalls fast nackt – Petrus muss sich nämlich wieder anziehen, als er Jesus am Strand erkennt.

Achten Sie einmal darauf, wie beiläufig Jesus in Erscheinung tritt. Nicht einmal seine besten Freunde erkennen ihn. Immerhin ist er der auferstandene Herr. Herrscher über Himmel und Erde. Denken Sie nur an die Verklärung. Jesus hätte in seiner ganzen strahlenden Herrlichkeit am Strand erscheinen können. Er weiß, dass seinen Freunden nichts auf der Welt mehr helfen würde, als ihn noch einmal zu sehen. Ganz sicher hätte er ihnen gebieterisch zurufen können: „Ich bin es, der Herr! Kommet alle zu mir!“ Doch das tut er nicht, ganz im Gegenteil. Er „versteckt“ sich noch ein wenig länger und treibt das Spiel weiter. Dort drüben steht er einfach am Ufer, die Hände in den Hosentaschen wie ein Tourist, und stellt die Frage, die man immer stellt, wenn man einen Angler sieht: „Und – irgendwas gefangen?“

Absolut faszinierend, wie lässig Jesus sich hier gibt. Was auch immer er vorhat, es liegt förmlich in der Luft, dass gleich noch etwas Entscheidendes passiert.

Noch zwei weitere Dinge müssen gesagt werden, um die Kulisse zu vervollständigen.

Zunächst einmal: Wie ist Jesus an diesem speziellen Morgen gelaunt? Er muss doch wohl glücklich sein. Dieser Mann hat den Tod besiegt und die Menschheit erlöst. Sein Vater, seine Freunde, ja, die Welt, die er erschaffen hat, haben ihn wieder. Für immer. Der Triumph darüber, die größte Schlacht in der Geschichte des Universums gewonnen zu haben, ist noch ganz frisch. Ich wage zu behaupten, dass er sehr glücklich ist. Für die Jünger gilt das nicht – sie waren die ganze Nacht auf und haben nichts vorzuweisen. Hundemüde und halbtot mühen sie sich an den Riemen ab, während das Boot hin und her schaukelt. Sie könnten etwas Aufmunterung gebrauchen.

Und schließlich: Wie sah die erste Begegnung der Jünger – seiner engsten Freunde und Brüder – mit Jesus aus? Sie fand hier am Seeufer statt, möglicherweise genau an diesem Fleckchen, denn man weiß, dass Fischer einen Liegeplatz haben, an dem sie ihr Boot am liebsten vertäuen. Und bei dieser ersten folgenreichen Begegnung waren die Jünger ebenfalls völlig fertig, weil sie die ganze Nacht ohne Erfolg gefischt hatten. Und auch hier erteilte Jesus eine vermeintlich willkürliche Anweisung:

„Fahrt jetzt weiter hinaus auf den See, und werft eure Netze aus!“ … Sie warfen ihre Netze aus und fingen so viele Fische, dass die Netze zu reißen anfingen. Deshalb winkten sie den Fischern im anderen Boot, ihnen zu helfen. Bald waren beide Boote bis zum Rand beladen, sodass sie beinahe sanken. … Sie brachten die Boote an Land, verließen alles und gingen mit Jesus.

(Lukas 5,4.6–7.11)

So etwas war also schon einmal geschehen.

Nach all dem, was seither passiert ist, muss dieser erste wunderbare Fischzug – die Netze bersten fast, das Boot geht beinahe unter – in ihren Augen schon eine Ewigkeit her sein. Jedenfalls ist es ihre Geschichte, so wurden sie in diese Revolution mit hineingezogen. Die meisten Christen können in allen Einzelheiten schildern, wie sie Jesus begegnet sind, besonders wenn diese Begegnung dramatisch verlief. Und über diesen ersten Fischzug redeten diese engsten Vertrauten Jesu sicherlich noch oft, so wie es Männer eben tun, vor allen Dingen Fischer. Wenn sie nachts um das Lagerfeuer saßen, brachte jemand mit einem Grinsen das Gespräch darauf: „Petrus, dein Gesichtsausdruck war einfach unbezahlbar.“ Dann ahmte er Petrus’ Reaktion süffisant nach: „‚Herr, geh weg von mir! Ich bin ein sündiger Mensch!‘“ Woraufhin alle in das Gelächter mit einfielen (Lukas 5,8).

Mit meinen Kumpels fuhr ich früher einmal im Jahr zum Angeln in den Osten der Sierra Nevada. Ich würde unsere Erfahrungen zwar nicht als wunderbaren Fischzug bezeichnen, aber wir fingen auf jeden Fall unverschämt viel. Es war ein klassisches Männerabenteuer – Lagerfeuer, Bohnen aus der Dose, keine Dusche. Außer in einem Jahr; da hatten wir Bill mitgenommen, der jeden Morgen eine Stunde für die Körperpflege brauchte und sogar Kölnisch Wasser auftrug. Wir saßen schon im Wagen und hupten, was das Zeug hielt, während Bill weiterhin seine Haare gelte. Noch Jahre später zogen wir ihn damit auf. Wenn einer nur damit anfing: „Wisst ihr noch, wie Bill …“, begann ein anderer zu lachen, dass ihm der Kaffee nur so aus der Nase lief, und bald schnappten wir alle nach Luft.

Und hier stehen die Jünger nun, drei Jahre später. Wieder haben sie die ganze Nacht durchgearbeitet. Am selben Ufer. Wieder sind sie völlig fertig. Und Jesus tut noch einmal das Gleiche.

„Werft das Netz auf der anderen Seite aus!“ Und wieder bersten die Netze. So gibt er sich ihnen zu erkennen. Es hat etwas von einem Insiderwitz unter guten Freunden an sich, wo nur einer die ersten Worte zum Besten geben muss und alle in das Gelächter einstimmen. „Werft das Netz auf der anderen Seite aus!“ Voll ins Schwarze getroffen, wie damals in der guten alten Zeit. Mehr muss Jesus nicht sagen – schon ist Petrus im Wasser und schwimmt ans Ufer.

Sehen Sie, welchen Scherz sich Jesus hier erlaubt?

Der richtige Zeitpunkt, Spannung liegt in der Luft, er gibt sich zunächst nicht zu erkennen, stellt ein Frage wie einer von diesen Touristen, ein lahmer Vorschlag von jemandem, der ihrer Meinung nach überhaupt keine Ahnung vom Fischen hat, und dann dieser große Fang. Und die Jungs sind wieder von ihm gefesselt. Eine wunderbare Geschichte, die dadurch noch viel schöner wird, dass Jesus sich hier einen Scherz erlaubt.

Und übrigens ist dieses kleine Detail, das Johannes hier einstreut – dass nämlich genau 153 Fische gefangen wurden –, ein besonders schöner Zug.

Im Netz waren nicht so viele Fische, „wie in ein Boot passen“, auch nicht „etwa hundertfünzig“ oder „zwölf Dutzend“, sondern ganz genau „einhundertdreiundfünfzig“. Für mich ist das die bemerkenswerteste Statistik, die jemals ein Mensch aufgestellt hat. Führen Sie sich einmal die Situation vor Augen: Diese Begebenheit ereignet sich nach Kreuzigung und Auferstehung; Jesus steht am Ufer, ist gerade von den Toten auferstanden; und seit diesem Albtraum auf Golgatha bekommen sie ihn erst zum dritten Mal zu Gesicht. Und trotzdem erfahren wir, dass sich einhundertdreiundfünfzig Fische im Netz befanden. Wie kam man nur auf diese exakte Zahlenangabe? Wahrscheinlich doch so: Nachdem die Jünger das Netz ans Ufer gezogen hatten, hockten sie sich neben diesen gewaltigen Haufen von Fischen, warfen sie auf einen zweiten Haufen und zählten genau mit: „Eins, zwei, drei, vier, fünf, sechs, sieben …“, bis sie beim einhundertdreiundfünfzigsten angekommen waren, während der auferstandene Herr der Schöpfung, der Erhalter ihres Lebens, er, der für sie gestorben war und für den sie bereitwillig ihr Leben hingeben würden, still danebenstand und von ihnen ignoriert wurde, bis sie die Fische genau durchgezählt hatte.1

Vielleicht spielte es sich aber auch folgendermaßen ab: Diese pensionierten Fischer freuen sich so darüber, Jesus zu sehen, dass sie den zappelnden Haufen links liegen lassen, sich aber ganz fest vornehmen, sich sofort nach dem Frühstück darum zu kümmern. Nach der Mahlzeit, bei der der auferstandene Jesus übrigens die Rolle des Grillmeisters übernommen hat, meint einer von ihnen: „So, jetzt sollten wir aber mal nachzählen, wie viele Fische wir gefangen haben“, ein zweiter stimmt ihm zu, und Jesus, der nach dem letzten Bissen gegrillten Barsch greift, sagt: „Es sind einhundertdreiundfünfzig.“

Die Jungs lächeln sich an und begreifen: Ach ja, stimmt – Jesus ist wieder bei uns.

Aus welchem Blickwinkel man diese Geschichte auch betrachtet, sie ist wunderschön. Neckisch, komisch, so menschlich, so voller Hoffnung, so unreligiös. Und genau deshalb wirkt diese Geschichte so wahr und zeigt uns Jesus, wie er wirklich ist. Dieser Mann ist nicht religiös. Wenn er das wäre, hätte sich die Geschichte vor einer anderen Kulisse abgespielt, vielleicht im Tempel oder wenigstens einer Synagoge, und Jesus hätte die Männer zu einer Bibelstunde oder einem Gebetstreffen zusammengerufen. Doch nach seiner Auferstehung zeigt sich Jesus nicht ein einziges Mal im Tempel. Er hält sich am Strand auf, füllt die Netze seiner Jünger und lädt sie zum Frühstück ein.

Warum fühlen wir uns erleichtert, wenn ich diesen Abschnitt so auslege, und warum bereitet uns das gleichzeitig Probleme?

Die Erleichterung überkommt uns wie eine frische Brise vom Meer an einem schwülen Sommertag, wenn der Geruch von Schlamm und totem Fisch in der Luft liegt. Weil wir hier die Antwort auf eine Frage bekommen, die wir nicht zu stellen wagten – dass Gott selbst weiß, wie und wann er sich verspielt geben und Scherze machen kann. Mit uns. Das ist wie eine frische Brise.

Doch vielen erscheint eine solche Auslegung auch problematisch, weil sie nicht besonders ehrfürchtig klingt. Und das bringt mich zum zweiten Punkt.

Das Gift der Religion

Jesus heilte am Sabbat einen Menschen. Damit war für seine Gegner eine Grenze überschritten. Sie beschlossen, ihn zu töten. Markus berichtet auf den ersten Seiten seines Evangeliums davon:

Als Jesus wie gewohnt zur Synagoge ging, war dort ein Mann mit einer verkrüppelten Hand.

Seine Gegner warteten gespannt darauf, wie Jesus sich verhalten würde. Sollte er es nämlich wagen, auch am Sabbat zu heilen, so könnten sie Anklage gegen ihn erheben.

Jesus rief den Mann mit der verkrüppelten Hand zu sich: „Steh auf und komm hierher, damit alle dich sehen können!“

Dann fragte er die Anwesenden: „Soll man am Sabbat Gutes tun oder Böses? Soll man das Leben eines Menschen retten, oder soll man ihn zugrunde gehen lassen?“ Doch er bekam keine Antwort.

Zornig sah Jesus einen nach dem anderen an, traurig über ihre Hartherzigkeit. Zu dem Mann aber sagte er: „Streck deine Hand aus!“ Er streckte sie aus, und die Hand war gesund.

Da verließen die Pharisäer die Synagoge und trafen sich mit den Freunden und Anhängern des Königs Herodes. Sie berieten miteinander, wie sie Jesus töten könnten.

(Markus 3,1–6)

Also wirklich. Weil er am Sabbat einen Menschen heilen wollte? Was ist denn hier los?

Wenn man sich den ganzen Unsinn über den sanften Friedensstifter Jesus angehört an, schockiert die Lektüre der Evangelien. Wir begegnen dort nämlich einem Jesus, der häufig in Konflikte verwickelt wird, und die meisten davon hat er selbst provoziert (wie zum Beispiel am Sabbat zu heilen). Und jedes Mal gerät er mit religiösen Menschen aneinander. Nicht an einer einzigen Auseinandersetzung ist ein „Heide“ beteiligt. Zumindest nicht bis zum Ende, als ihn die römischen Soldaten in die Hände bekommen – doch ihnen wurde er vom religiösen Establishment ausgeliefert.

Wenn man die Evangelien vorurteilslos und ohne Vorannahmen liest, kommt man ohne Weiteres zu dem Schluss, dass die Religion der Feind ist – oder zumindest ein Werkzeug in den Händen des Feindes. Die Gegner Jesu sind ausnahmslos Menschen, die sich sehr darum bemühen, in Sachen Religion alles richtig zu machen. Auf jeden Fall sehen sie sich selbst so.

Das müssen Sie im Hinterkopf behalten, wenn Sie Jesus wirklich kennenlernen wollen.

Denn Jesus wirklich gut kennenzulernen, so wie er kennengelernt werden möchte, bedeutet, einen Erdrutsch loszutreten, der zur Erlösung führt. Nichts kann dann noch das Gute aufhalten. Der wichtigste Sinn Ihres Daseins wird damit geklärt werden, und von diesem Ausgangspunkt aus können Sie alles andere angehen, was Gott mit Ihnen vorhat. Und glauben Sie etwa, dass der Feind Ihrer Seele, der Erzfeind Jesu Christi, das so einfach zulassen wird? Satan ist viel zu geschickt, um sich nur auf Verfolgung und Angst zu verlassen. Seine besten Ergebnisse erzielt er durch Täuschung (fragen Sie Adam und Eva danach, wenn Sie sie sehen). Er täuscht Menschen dadurch, dass er alles verzerrt und falsch darstellt, und am liebsten zeigt er uns ein verzerrtes Bild von Christus. Das fällt weniger auf als ein verdorbener Fisch, aber dafür macht er sich die respektablen Pfade der Religion zunutze.

Denken Sie einmal über diesen einen Punkt nach: Millionen von Menschen sind jahrelang zur Kirche gegangen und kennen Gott trotzdem nicht. Ihr Kopf ist voll von Informationen über Jesus, aber sie machen, im Gegensatz zu den Jüngern am Ufer, keine Erfahrungen mit ihm. Dann gibt es noch Millionen von Menschen, die Jesus Christus lieben, aber nur gelegentlich Erfahrungen mit ihm machen, häufiger jedoch vor sich hinstolpern und das Leben, das er uns versprochen hat, nicht so erleben wie der in seine Leichentücher gewickelte Lazarus.

Könnte irgendetwas noch teuflischer sein?

Wenn Sie jemanden, der Ihnen am Herzen liegt, zehn Jahre lang zur Schule schicken, und er am Ende immer noch Analphabet ist, was würden Sie dann über seine Ausbildung denken? Wenn Sie einen geliebten Menschen zum Arzt schicken und er nicht nur weiterhin an Krebs leidet, sondern sich darüber hinaus mit HIV und Hepatitis ansteckt und ein Gangrän mit nach Hause bringt, wie würden Sie dann die Behandlung beurteilen?

Ich möchte hier niemanden verurteilen, sondern stelle nur Tatsachen fest. Es gibt gute Gemeinden und Bewegungen, die uns Jesus nahebringen. Aber leider sind sie die Ausnahme und nicht die Regel.

Jesus heilte am Sabbat einen Menschen. Seine Gegner entschlossen sich, ihn umzubringen. Glauben Sie wirklich, dass es damit heute vorbei ist? Warum sollte das zur Zeit Jesu aufgehört haben? Mal ehrlich – es wäre doch ein wenig arrogant, wenn wir annähmen, unsere Sinne würden nicht von dieser Art Religion vernebelt.

So fragt auch George MacDonald, dieser alte schottische Prophet: „Wie haben wir etwas über Christus gelernt? Alle Alarmglocken sollten schrillen, wenn wir darüber nachdenken, dass wir etwas Falsches über ihn gelernt haben.“ Das ist wirklich ein unangenehmer Gedanke. „Es muss viel schlimmer sein, als überhaupt nichts über ihn zu wissen: Sein Platz wird von einem falschen Christus eingenommen, der nur schwer auszutreiben ist!“2

Schwer auszutreiben, denn Religion vermittelt uns den Eindruck, dass wir Christus kennen, während sie uns davon abhält, ihn wirklich zu erfahren. Sehr verhängnisvoll. Wenn man eine Volkswirtschaft zerstören will, überflutet man den Markt am besten mit Falschgeld.

Der Apostel Johannes spricht noch eine letzte Warnung aus:

Meine Lieben! Glaubt nicht jedem, der behauptet, dass er Gottes Geist hat. Prüft vielmehr genau, ob er wirklich von Gottes Geist erfüllt ist. Es hat in dieser Welt schon viele falsche Propheten gegeben. Den Geist Gottes erkennt ihr daran: Er bekennt, dass Jesus Christus als Mensch aus Fleisch und Blut zu uns gekommen ist. Ein Geist, der das leugnet, ist nicht der Geist Gottes, sondern der Geist des Antichristen. Dass dieser kommen wird, habt ihr schon gehört, ja er ist schon jetzt in der Welt. … Wir dagegen gehören zu Gott. Jeder, der Gott kennt, wird auf uns hören. Wer aber nicht zu Gott gehört, wird uns ablehnen. Daran erkennen wir den Geist der Wahrheit und den Geist der Täuschung.

(1. Johannes 4,1–3.6)

Eine überaus wichtige Warnung. Doch ich befürchte, dass wir ihr nicht mehr Aufmerksamkeit schenken als den Sicherheitshinweisen vor einem Flug: „Im Fall einer Notwasserung …“ Gehen wir diesen Abschnitt also einmal Stück für Stück durch. Johannes sagt, dass es einen Geist der Wahrheit gibt (nämlich den Geist Gottes) und einen Geist der Täuschung (den er den Geist des Antichristen nennt). Er beklagt, dass viele Betrüger unsere Welt, von diesem Geist der Täuschung getrieben, infiltriert haben. Ein ernüchterndes Bild. Er legt uns dringend nahe aufzupassen, weil dieser Geist verfälschte Jesusbilder in den Umlauf bringt.

Wenn Johannes geglaubt hätte, dass wir auf so etwas nicht hereinfallen würden, hätte er uns nicht davor gewarnt. Bevor die Tinte, mit der die Evangelien geschrieben wurden, trocken war, war die junge Gemeinde schon mit diesem Phänomen konfrontiert.

Ich will es ganz deutlich sagen: Der Geist der Täuschung gibt sich oft tief religiös. Wie sonst könnte er seine Täuschungen an den Mann bringen? Im Lauf der vergangenen zweitausend Jahre hat er die Kirche mit Falschgeld überflutet. Ich rede gar nicht von den augenfälligen Phänomenen wie Inquisition, Hexenprozessen oder Fernsehevangelisten. Solche inneren Widersprüche veranlassen die Menschen, sich voller Ekel davon abzuwenden. Eine höchst effektive Methode. Doch während wir diese Fälschungen heute selbstverständlich als solche erkennen, wirkten sie zu ihrer Zeit äußerst überzeugend.

Denn der religiöse Geist ist wie eine Grippe – er passt sich ständig an seine Umgebung an. Heute wäre es schwer, einen Hexenprozess durchzuführen. Wie könnte eine solche Täuschung also heutzutage aussehen? Vergangene Woche hörte ein Freund seinen Pastor sagen: „Man kann Jesus nicht so kennen, wie man seine Freunde kennt. Er ist ganz anders als wir.“ Blasphemie. Man kann Jesus so gut kennenlernen, wie es seine Jünger damals taten. Vielleicht sogar noch besser. Jesus kam eigens zu dem Zweck zu uns, damit wir ihn kennenlernen, er kam, um uns mit Gott bekannt zu machen:

Immer wieder hat Gott schon vor unserer Zeit auf vielfältige Art und Weise durch die Propheten zu unseren Vorfahren gesprochen. Doch jetzt, in dieser letzten Zeit, sprach Gott durch seinen Sohn zu uns. Durch ihn schuf Gott Himmel und Erde, und ihn hat er auch zum Erben über alles eingesetzt. In dem Sohn zeigt sich die göttliche Herrlichkeit seines Vaters, denn er ist ganz und gar Gottes Ebenbild. Sein Wort ist die Kraft, die das Weltall zusammenhält. Durch seinen Tod hat er uns von der Last unserer Schuld befreit und nun den Ehrenplatz im Himmel eingenommen, an der rechten Seite Gottes, dem alle Macht gehört.

(Hebräer 1,1–3)

Jesus kam, um uns Gott zu offenbaren. Man kann sich auf sein Wort verlassen, wenn er etwas über Gott sagt – wie sein Wesen ist, was er mit der Welt und was er mit uns vorhat. Nichts kann die menschliche Existenz mehr verändern als eine intensive Begegnung mit Jesus. Ihn so kennenzulernen, wie er wirklich ist, bedeutet, nach Hause zu kommen. Wenn wir sein Leben, seine Freude, seine Liebe erfahren, lässt sich das mit nichts vergleichen. Jesus wahrhaft zu kennen – das ist unser größtes Bedürfnis und unsere größte Freude. Ein Irrtum im Hinblick auf ihn ist der traurigste Irrtum, den man sich vorstellen kann.

Aber: Er kam doch nicht extra als Mensch auf unsere Erde, um sich dann die nächsten zweitausend Jahre zu verstecken.

In christlichen Kreisen sagt man gern: „Wir wollen doch einmal ganz ehrlich und authentisch sein“, weil uns das bei unseren inneren Kämpfen helfen soll. Damit wird es als ganz normal hingestellt, dass Gott uns heute nicht mehr nahe ist und wir mit einigen wenigen geflüsterten Worten von ihm auskommen müssen. Irgendwie tröstet uns das, aber bringt es Menschen wirklich dazu, Jesus regelmäßig zu erfahren? Denn genau dafür ist der christliche Glaube da.

Das Wort, das zum Leben führt, war von Anfang an da. Wir haben es selbst gehört. Ja, wir haben es sogar mit unseren eigenen Augen gesehen und mit unseren Händen berührt. Dieses Leben hat sich uns gezeigt. Wir haben es gesehen und können es bezeugen. Deshalb verkünden wir die Botschaft vom ewigen Leben. Es ist von Gott, dem Vater, gekommen, und er hat es uns gezeigt. Was wir nun selbst gesehen und gehört haben, das geben wir euch weiter, damit ihr mit uns im Glauben verbunden seid. Gemeinsam gehören wir zu Gott, dem Vater, und zu seinem Sohn Jesus Christus.

(1. Johannes 1,1–3)

Die Berichte über Jesus wurden niedergeschrieben, damit wir ihn heute so erfahren können, wie es damals möglich war. Sie wurden für die folgenden Generationen festgehalten, damit wir die enge Verbindung zwischen Vater und Sohn begreifen. Johannes sagt, dass man Jesus heute ebenso zum Freund haben kann wie er damals. Genau deshalb ist Jesus gekommen.

Wenn Sie Jesus also nicht persönlich kennengelernt haben, seine bemerkenswerte Persönlichkeit – spielerisch, gerissen, wild, ungeduldig gegenüber allem Religiösen, freundlich, kreativ, respektlos, lustig – nicht kennen, dann hat man Sie betrogen.

Wenn Sie keine Erfahrungen mit Jesus machen, täglich, so wie ich es gerade beschrieben habe, wenn Sie noch nie erlebt haben, dass seine Gegenwart Sie tröstet, Sie nicht hören, dass er persönlich zu Ihnen spricht – dann hat man Sie beraubt.

Wenn Sie niemals die Kraft Jesu erfahren haben, der in Ihnen wohnt, Ihre Persönlichkeit prägt, Ihre Zerbrochenheit heilt und Sie befähigt, so zu leben, wie er es tat – dann hat man Ihnen etwas Entscheidendes genommen.

Darum beten wir:

Jesus, zeig mir, wer du wirklich bist. Ich möchte dich erkennen, dein wahres und echtes Ich. Ich möchte dich haben. Heiliger Geist, befreie mich, damit ich Jesus so kennenlernen kann, wie er wirklich ist. Öffne mir die Augen, damit ich ihn erkennen kann. Erlöse mich von allen falschen Auffassungen über Jesus und zeige mir die Wahrheit.

Kapitel 2

Das Wesentliche fehlt – seine Persönlichkeit

E-Mails und SMS haben mich schon oft in Schwierigkeiten gebracht.

Der Grund ist ganz einfach – wer meine elektronischen Botschaften erhält, kann meinen Tonfall nicht hören und meinen Gesichtsausdruck nicht sehen, was ihm helfen würde, meine Worte zu interpretieren. Ein höchst gefährliches Vakuum. Diese körperlosen Worte können leicht missverstanden werden. Schon allzu oft habe ich eine scherzhaft gemeinte Nachricht verschickt, die der Empfänger ernst nahm und durch die er sich verletzt fühlte, weil er nicht sehen konnte, dass ich dabei mit den Augen gezwinkert und gelächelt habe. Und manchmal möchte ich durchaus jemanden kritisieren, aber weil ich beim Schreiben in Eile bin und wiederum das Lächeln und ein ermutigender Tonfall fehlen, die für das Verständnis so wesentlich sind, wirkt meine Botschaft barscher, als sie eigentlich gemeint ist.

Genau diesem Vakuum setzen wir uns auch oft aus, wenn wir die Evangelien lesen.

Wenn wir den Tonfall Jesu nicht hören, seinen Blick nicht wahrnehmen, nicht merken, wie er die Augenbrauen hebt, ein Lächeln unterdrückt, den Kopf neigt, einen Menschen eindringlich anblickt, werden wir vieles von dem, was wir dort finden, falsch interpretieren. Wenn man die Evangelien liest, ohne die Persönlichkeit Jesu zu berücksichtigen, ist das so, als würde man mit ausgeschaltetem Ton fernsehen. Man sieht eine zweidimensional angelegte, lebensferne Figur vor sich, die seltsame, unerklärliche Dinge tut. Nehmen wir doch einmal die folgende Geschichte:

Dort begegnete ihm eine kanaanitische Frau, die in der Nähe wohnte. Sie flehte ihn an: „Herr, du Sohn Davids, hab Erbarmen mit mir! Meine Tochter wird von einem bösen Geist furchtbar gequält.“

Aber Jesus beachtete sie nicht. Seine Jünger drängten ihn: „Erfüll doch ihre Bitte! Sie schreit sonst dauernd hinter uns her.“

Da sagte er zu der Frau: „Ich habe nur den Auftrag, den Israeliten zu helfen, die sich von Gott abgewandt haben und wie verlorene Schafe umherirren.“

Sie kam aber noch näher, warf sich vor ihm nieder und bettelte: „Herr, hilf mir!“

Aber Jesus antwortete wieder: „Es ist nicht richtig, wenn man den Kindern das Brot wegnimmt und es den Hunden vorwirft.“

„Ja, Herr“, erwiderte die Frau, „aber die kleinen Hunde bekommen doch auch die Krümel, die vom Tisch ihrer Herren herunterfallen.“

Jesus antwortete ihr: „Dein Glaube ist groß. Was du erwartest, soll geschehen.“ Im selben Augenblick wurde ihre Tochter gesund.

(Matthäus 15,22–28)

Du meine Güte. Was sollen wir denn damit anfangen? „Für euch Hunde bin ich nicht da?!“ Viele gute Menschen lesen diesen Abschnitt, zucken zusammen und kommen zu der Überzeugung, dass Jesus viel härter ist, als sie bisher angenommen haben: Und ich vermute, diese Härte hat irgendetwas Gutes an sich. Manch einer baut sogar eine ganze Theologie darauf auf. Aber wenn Jesus sich hier tatsächlich einen kleinen Scherz erlaubt hätte – das würde natürlich alles ändern.

Aber jetzt mal ernsthaft – was geht Ihnen durch den Kopf, wenn Sie an Jesus denken? Es wäre gut, einmal innezuhalten und eine Liste aufzustellen. Ist Jesus uns nah – oder weit weg? Ist er direkt an Ihrer Seite oder ist er weit entfernt und beschäftigt sich mit himmlischen Dingen? Hat er einen Sinn für Humor? Mit welchen Worten würden Sie ihn beschreiben? Wenn Sie einmal einen Stapel Bücher über Jesus zusammentragen und diese nach den Begriffen durchforsten würden, mit denen er am häufigsten charakterisiert wird, wissen Sie eigentlich schon im Voraus, wie das Ergebnis aussieht: liebevoll und mitfühlend.

Wunderbare Eigenschaften und ganz bestimmt treffen sie auf Jesus zu. Aber sie bleiben zweidimensional. Vor allen Dingen, wenn wir diese Tugenden in religiösen Farbtönen ausmalen. Liebe verkommt zu etwas Süßlichem, Mitgefühl wird schwach und schlaff. Wie ist es möglich, etwas so Zweidimensionales wirklich und konsequent zu lieben? Liebevoll und mitfühlend – das ist, als versuche man, eine Genesungskarte zu lieben.

Junge Schriftsteller ermuntert man, „ihre eigene Stimme zu finden“, denn es ist die Persönlichkeit, die einen guten Roman von einem Telefonbuch unterscheidet. In beiden stehen Wörter. Doch nur eines lohnt sich zu lesen. Persönlichkeit ist es, die richtige Musik von Fahrstuhlmusik unterscheidet. Beide bestehen aus Tönen, doch nur eine lohnt sich zu hören. Denken Sie einmal an die Menschen, die Sie am meisten geliebt und denen Sie am meisten vertraut haben – warum haben Sie sie geliebt und ihnen vertraut? Lag das an einer bestimmten Eigenschaft, oder war es das wunderbare Zusammenspiel aller ihrer Eigenschaften, die sie zusammengenommen zu dem machten, was sie waren?

Persönlichkeit macht den Menschen aus, er ist dann nicht nur irgendjemand.

Abraham Lincoln oder Karl den Großen kann man nicht lieben und mögen wie seinen besten Freund. Historische Gestalten mögen bewunderungswürdig sein, aber man kann sie nicht lieben, weil man sie nicht kennt. Sie sind viel zu weit von unserer persönlichen Erfahrung entfernt, um unsere wahre Liebe zu verdienen. Niemand kann sie und ihre Persönlichkeit mehr kennenlernen. Doch was Freunde, Angehörige oder Partner angeht, so lieben wir sie, weil sie so sind, wie sie sind – ihrer Persönlichkeit wegen. Wir lieben ja sogar unsere Haustiere ihrer Persönlichkeit wegen – weil sich die Katze zum Beispiel auf Ihren Kopf setzt und Ihnen das Ohr abschleckt, um Sie zu wecken, oder weil Ihr Hund eine Vorliebe für Butterkekse und Unterwäsche hat.

Im Mai vorigen Jahres hatte ich die Gelegenheit, bei einem Trip nach London die National Gallery zu besuchen. Ich liebe Kunst, und weil mich meine beiden Söhne begleiteten – von denen einer Kunst studiert –, freute ich mich auf die Aussicht, dort einige Stunden zu verbringen. Die vielen Gemälde von van Gogh, Monet und Rembrandt begeisterten mich. Doch in einer Hinsicht war ich ziemlich enttäuscht. Nein, es war mehr als Enttäuschung. Es war eine ausgewachsene Frustration. Unter all den berühmten Christusdarstellungen sah ich nicht eine, die Jesus annähernd so zeigte, wie er wirklich ist. Nicht eine einzige. Sie alle stellen einen bleichen, schmächtigen Jesus dar, eine ausgezehrte, geisterhafte Gestalt, die durch das Leben schwebt, seltsame Gesten macht und unverständliche Worte von sich gibt.

Vor allem die Geburtsszenen kommen mir lächerlich vor. Die klassischen Kunstwerke, die auf Weihnachtskarten, Krippenszenen in der Kirche und auf Kaffeetischchen in der Vorstadt zu sehen sind, präsentieren uns ein außerordentlich reifes Baby, strahlend weiß und so sauber, wie kein Baby jemals sauber ist. Es streckt die Arme aus, um die nervösen Erwachsenen um es herum zu beruhigen, ist intelligent, verspürt keine Bedürfnisse, hat einen strahlenden Heiligenschein und ein Selbst-Bewusstsein, wie es nur Erwachsene haben. Ein Superbaby. Dieses Kind hat augenscheinlich niemals seine Windeln vollgemacht. Es wirkt, als könnte es im nächsten Augenblick das Amt des Premierministers übernehmen.

Warum hat mich das geärgert?

Weil wir Jesus verlieren, wenn wir seine Persönlichkeit verlieren.

Es liegt schon eine gewisse Ironie darin, dass ein so aufgeklärtes und visuell geprägtes Zeitalter wie das unsere sich immer noch an einen zweidimensionalen Jesus klammert. Eine solche Kraft hat diese religiöse Vernebelung! Ich habe eine ganze Menge gelesen, um mich auf dieses Buch vorzubereiten, und was die Persönlichkeit Jesu betrifft, schallt es mir unisono entgegen: „Große Taten der Demut, des Glaubens und des Mitgefühls.“ Aber wie sieht es mit seiner ansteckenden Fröhlichkeit oder mit seiner Gerissenheit aus? Mit seiner Schlagfertigkeit, seinem Witz, seiner Respektlosigkeit, der skandalösen Freiheit, mit der er sein Leben gestaltete, seiner Verzweiflung und Ungeduld? Seine Menschlichkeit nicht zu vergessen, denn manchmal vergessen wir fast, dass auch er ein Mensch war.

Meine Güte – ein durchschnittlicher Hamster scheint mehr Persönlichkeit zu haben als die meisten Darstellungen von Jesus.

Darüber hinaus vereitelt dieser Persönlichkeitsverlust auch unseren Versuch, Jesus nachzufolgen und nachzuahmen. Es geschieht nämlich Folgendes: Unsere spezielle Spielart des Christentums stürzt sich auf zwei oder drei Tugenden und stellt sie als das Wesentliche an Christus hin, dem es nachzueifern gilt. Gerechtigkeit. Barmherzigkeit. Rechtschaffenheit. Was auch immer. Man kann jedoch sein Leben nicht auf eine einzige Eigenschaft gründen, ebenso wenig, wie man etwas Intelligentes sagen kann, wenn man nur ein Wort zur Verfügung hat. Währenddessen schwafeln wir weiter über die Liebe und das Mitgefühl Jesu, wie der Dorftrottel, der immer auf dieselbe Klaviertaste einhämmert. Nach einer Weile wenden sich die Menschen ab. Wer könnte es ihnen verdenken? Wenn die Nachfolger Jesu doch nur etwas von seiner Persönlichkeit an sich hätten! Allein diese Veränderung würde so vieles Lächerliche und Schreckliche korrigieren, das heute im allgemeinen Verständnis als Christentum durchgeht.

Wenn wir die Evangelien lesen und zu verstehen versuchen, was uns Jesus heute sagen und was er in unserem Leben tun möchte, vergessen wir häufig seine Persönlichkeit, von der der Schleier der Religion genommen wurde. Schauen wir einmal, ob wir ihr auf die Spur kommen können.

Kapitel 3

Ist Jesus wirklich verspielt?

Unser Golden Retriever hat ein Spiel erfunden, das er allein spielen kann. Im Garten sucht er sich den größten Stein, den er tragen kann, dann trägt er diesen vorsichtig den Hügel hinauf und lässt ihn oben fallen. Nun versetzt er ihm einen kleinen Stups mit seiner Nase, sodass der Stein hinunterpurzelt wie ein fliehendes Kaninchen, und setzt ihm nach. Schließlich stürzt er sich auf den Stein, was die Jagd natürlich beendet. Dann lässt er seinen Schatz los, gibt ihm noch einen Stups, jagt ihm wieder hinterher, rast damit durchs Gebüsch, stößt ihn immer wieder an, damit er weiterrollt, und stürzt sich zu guter Letzt erneut darauf. Triumphierend liegt er dann einen Moment japsend da, ein Löwe mit seiner Beute zwischen den Pranken, bis seine Augen wild aufleuchten und er das Spiel von Neuem beginnt.

Jedes Mal bringt uns das wieder zum Lachen. Niemand hat ihm das beigebracht. Er ist einfach so. Gott hat ihn so geschaffen.

Das ist auf den ersten Blick ein merkwürdiger Ausgangspunkt für die Suche nach Jesus, aber Johannes drückt es am Anfang seines Evangeliums ganz ähnlich aus: „Alles wurde durch das Wort geschaffen, und nichts ist ohne das Wort geworden“ (Johannes 1,3).

Wenn es darum geht, Jesus so kennenzulernen, wie er wirklich ist, müssen wir zunächst eine ganze Menge Schutt beiseiteräumen. Fangen wir also dort an, wo Johannes angefangen hat – bei der Schöpfung. Man kann viel über einen Künstler erfahren, wenn man sich die Werke anschaut, die er hinterlassen hat: Hemingways Hybris beispielsweise lässt sich kaum verbergen, auch wenn er sich alle Mühe gegeben hat, das zu tun; mit der quälenden Düsterkeit eines Edgar Allan Poe verhält es sich ähnlich. Chagalls Heiterkeit schimmert durch seine Gemälde hindurch, das strahlende Genie eines van Gogh ebenso. Die Persönlichkeit des Künstlers tritt in seinem Werk zutage. Und das ist bei Gott auch nicht anders. Er offenbart sich durch die Natur, worauf in der Bibel immer wieder hingewiesen wird.

Das wird Ihnen im Hinblick auf die Persönlichkeit Jesu die Augen öffnen – schauen Sie sich nur einmal seine Kunstwerke an.

Gestern saß ich im Garten hinter dem Haus und nippte an meinem Kaffee, während ich zusah, wie sich junge Streifenhörnchen mit halsbrecherischer Geschwindigkeit über die Terrasse jagten. Eines von ihnen war besonders clever und draufgängerisch, sprang auf das Geländer und setzte die Jagd von oben fort. Im letzten Augenblick sprang es wie ein Stuntman aus Hollywood auf sein Geschwisterchen. An diesem Morgen war eines der Hörnchen auf eine neue Strategie verfallen. Der kleine Frechdachs versteckte sich im Hinterhalt, dicht an die Hauswand geschmiegt, und wartete darauf, dass sein Spielkamerad nichts Böses ahnend vorbeikam. Dann stürzte er sich auf sein Opfer, und die beiden purzelten fiepend von der Terrasse auf den Rasen. Nur um davonzurennen und wieder von vorn anzufangen. Und noch einmal.

Was sagt uns das über die Persönlichkeit Jesu, der diese kleinen Energiebündel mit gestreiftem Fell und grenzenloser Begeisterung schuf? Was sagt uns das über sein Herz? Junge Eisbären schlittern kopfüber und verkehrt herum schneebedeckte Abhänge hinunter, nur so zum Spaß. Delfine im Ostpazifik lieben es, auf der Bugwelle von Booten zu reiten, hochzuspringen und sich dabei zu drehen. Otter spielen Fangen. Unsere Pferde spielen Tauziehen mit einem Stock – und das ist schon ziemlich komisch, wenn man bedenkt, wie erhaben sich ein Pferd normalerweise gibt.

Wer hat Hundewelpen so verschmitzt geschaffen, dass sie sich den Hausschuh schnappen und damit in der ganzen Wohnung herumlaufen, mit ihrem Herrchen im Schlepptau? Gott ist verspielter als wir selbst. Oder wir sind bei einer Sache besser als er – doch das würde wohl niemand zu behaupten wagen.

Meine Jungen sind bald dem Teenageralter entwachsen, und sie dazu zu bewegen, irgendeine Aufgabe zu übernehmen, ist deshalb ungefähr so schwer, wie den Ketchup aus der Flasche zu bekommen. Vor einigen Tagen hatten wir sie endlich dazu gebracht, die Fenster zu putzen. Beim Abendessen setzte sich die ganze Familie an den Tisch, und die beiden Brüder begannen – wie alle Brüder – von der beschwerlichen Arbeit zu erzählen, die sie an diesem Tag geleistet hatten. Sam und Luke hatten zusammen ein Sprossenfenster im Esszimmer geputzt; und Sam brüstete sich damit, wie viel sauberer doch seine Hälfte geworden sei, und untermauerte das wie ein Staatsanwalt vor Gericht mit Beweisen. Wir nahmen das fragliche Fenster in Augenschein – und genau in diesem Augenblick prallte eine Drossel gegen die von Luke geputzte Scheibe, fiel benommen zu Boden, schüttelte sich und flog wieder davon. Wir blickten uns mit offenem Mund und gerunzelter Stirn an und fingen an zu lachen.

Die Natur hatte entschieden. Gott hatte entschieden.

Das Timing hätte nicht besser sein können. „Wer hat seine Scheibe gut geputzt? Und wer hat ein bisschen geschlampt?“ Bumm. Brillant. Eine treffendere Antwort hätte man sich nicht wünschen können. Die ganze Episode war zum Brüllen komisch. Wenn man auch nur ein bisschen an die Souveränität Gottes glaubt, entdeckt man, dass er solche Augenblicke in Szene setzt. „Nicht ein einziger Sperling knallt gegen das Fenster, ohne dass euer Vater davon weiß“, oder so ähnlich.

Haben Sie schon einmal in der Natur etwas gesehen, das Sie zum Lachen gebracht hat? Vielleicht haben Sie nicht die gedankliche Verbindung hergestellt, dass Sie darüber lachen sollten. Dass es Gott war, der Sie zum Lachen gebracht hat. Dass er mit Ihnen gelacht hat. Jetzt wissen Sie etwas sehr Wichtiges über Jesus.

Elton Trueblood hat eine ganze Weile geforscht, um dann das Buch The Humour of Christ („Der Humor Christi“) zu schreiben, in dem er den verspielten und zu Scherzen aufgelegten Jesus aus biblischer Sicht verteidigt. Ein sehr gründliches, gelehrtes und trockenes Buch. Und das ist im Grunde ziemlich komisch – ein humorloses Buch über Gottes Sinn für Humor. Was sagt es über uns und über unsere Gemeindekultur aus, dass wir ein solches Buch überhaupt benötigen? Dass wir überhaupt erst auf den Gedanken verfallen müssen, uns zu fragen, ob Gott lacht? Wie weit haben wir uns von seinem Herzen, von seiner Persönlichkeit entfernt?

Hat Jesus einen Sinn für Humor? Na ja, er hat das Lachen überhaupt erst erschaffen.

Und denken Sie einmal an die Menschen, mit denen er zusammen gegessen hat. Diese Bagage brachte Jesus bald den Ruf ein, ein Fresser und Weinsäufer zu sein, und das lag bestimmt nicht daran, dass sie trockene Kekse und Mineralwasser serviert hätten. Das waren raue Kerle, und ganz bestimmt brachen sie von Zeit und Zeit in lautes Gelächter aus, wenn auch nur deshalb, weil sie sich so darüber freuten, mit Jesus zusammen zu sein. Der Schöpfer dieses bunten Völkchens saß nicht mit gerunzelter Stirn da und sah unglaublich fromm aus. Er war kein Spielverderber und kein Mister „Ich stehe da vollkommen drüber“. Stellen Sie sich vor, wie sehr er sich darüber freute, die verlorenen Schafe wieder neben sich zu wissen.