Der Untergang des Blauen Planeten - Klaus Jürgen Meyer - E-Book

Der Untergang des Blauen Planeten E-Book

Klaus Jürgen Meyer

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Beschreibung

Auf der völlig verseuchten Erde vegetieren Tommy und Tina und schwierigsten Bedingungen, ohne Eltern und unter der Gewalt eines diktatorischen Systems. Als ihr baldiger Tod abzusehen ist, fliehen sie in eine aussichtslos erscheinende Zukunft. Von völlig unerwarteter Seite erfahren sie Rettung. Sie erhalten die Chance, zusammen mit anderen Kindern völlig neu anzufangen ...

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Seitenzahl: 579

Veröffentlichungsjahr: 2020

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Der Untergang

des Blauen Planeten

von

Klaus Jürgen Meyer

Umschlaggestaltung: Michael Hesse

Für Alle, die für ihre Zukunft laut sind!

Bleibt laut und werdet lauter,

damit dieses Buch das bleibt, was es ist:

ein Roman!

Einführung

Wir schreiben das Jahr 2172.

Und wir sind auf der Erde.

Zumindest auf dem Reste, welcher von dem einst „Blauen Planeten“ noch übrig geblieben ist.

Korrupte, machtbesessene Politiker, verrückte, größenwahnsinnige Militärs, profitgierige Konzernherren und nicht zuletzt das tatenlose Zusehen der breiten Masse der zuletzt 13 Milliarden Menschen haben die Erde an den Rand des Untergangs gebracht.

Wovon man am Ende des 20. Jahrhunderts noch als Phänomen gesprochen hatte, war jetzt Realität geworden: Schnee am Äquator, tropische Hitze an den Polen, heiße, trockene Sommer und extrem kalte und lange Winter in fast allen Teilen der Erde.

Die Zeit, in welcher es regnete, war so kurz, dass es sich kaum lohnte darüber zu reden.

Und wenn es doch einmal regnete, dann war dieser Regen zu nichts mehr nutze, denn er war so sauer, dass er zu schweren Verätzungen geführt hätte, wenn man sein Wasser auf die Haut bekommen hätte.

Pflanzen gab es schon lange nicht mehr und das hatte zur Folge, dass die Atmosphäre soviel Schwefel und Kohlenmonoxyd enthielt, dass sie ohne Atemschutz nicht länger als eine halbe Stunde zu atmen war, ohne schwerste gesundheitliche Schäden davon zu tragen.

Und nach einer Stunde war man unter Garantie tot.

Immer wieder in der Vergangenheit hatten kleine Gruppen von engagierten Umweltschützern auf die Gefahren der Weltpolitik hingewiesen und mehr als einmal dabei ihr Leben riskiert und auch verloren.

Gebracht hatte es nichts! Immer größere Flächen des Planeten wurden zur Wüste, immer mehr Wälder starben und immer mehr Tiere mit ihnen.

Der Mangel an Wasser und frischen Lebensmitteln führte unter der Menschheit, vor allem bei den ärmeren Schichten, zu furchtbaren Epidemien und reduzierte sie auf knapp 9 Milliarden. Verheerende Naturkatastrophen forderten noch einmal rund 4 Milliarden Menschenleben.

Die noch übrig gebliebenen 5 Milliarden Menschen lebten in Amerika und Europa.

Der größte Teil von ihnen lebte in großen Städten, um die so genannte Schutzzonen in Form von riesigen Plexiglashüllen errichtet worden waren. In diesen Städten konnte man dank künstlich geschaffener Atmosphäre ohne Schutzanzüge oder Atemgeräte leben.

Starke Aufgebote von Sicherheits- und Geheimpolizei sorgten für einen ruhigen, geordneten Ablauf im Leben dieser Städte.

Überdachte Gänge führten zu ebenso überdachten chemischen Fabriken, von denen die Schlote durch die Überdachung ins Frei ragten und weiterhin ihre hochgiftigen Abgase in die Atmosphäre bliesen.

Allerdings waren Amerika und Europa extrem miteinander verfeindet, denn Beide beanspruchten die letzten verbliebenen Rohstoffe der Erde für sich.

Dass es zwischen den Beiden noch nicht zum Krieg gekommen war, war nur einer einzigen Tatsache geschuldet: Beide Regierungen lebten zusammen mit den Reichen und Mächtigen in einem durch enorme Strahlenschilde vor jeder Art von Luftverschmutzung geschützten Teil von Sibirien. Sie waren die wirklichen Herren dieser Erde.

Früher war gerade dieser Teil der Erde durch sein extremes Klima bekannt. Durch die Klimaverschiebung war es nun gerade dieser Teil, der ein traumhaftes Klima hatte. Es war wie ein ständiger Juni. Die Temperaturen lagen um die 25 Grad Celsius – und zwar das ganze Jahr über.

Da die Luftverschmutzung ferngehalten wurde und gigantische Wassergewinnungsanlagen die Grundwasserreservate anzapften und zusammen mit dem völlig verschmutzten Meerwasser filterten und regenerierten, gab es hier auch eine traumhafte Vegetation. Das galt aber nur für ein Gebiet von ungefähr 150 Quadratkilometern!

Und dann gab es noch eine andere Form, in welcher die Menschen auf der Erde lebten. Diese Form war jedoch nicht mehr mit dem Leben in unserem Verständnis zu sehen. Es handelte sich um so genannte Strafkolonien. In diesen Kolonien beuteten Sträflinge – politische und kriminelle – die letzten Bodenschätze aus. Sie arbeiteten unter extrem harten Bedingungen in Schutzanzügen und Atemschutz auf und unter der Erde sowie auf Plattformen auf dem Wasser und in Unterwasserstädten auf dem Boden der Meere, in denen schon seit Jahrzehnten jedes Leben ausgestorben war.

Und es gab noch ein paar Dörfer, in denen die Kinder dieser Sträflinge lebten. Auch diese Dörfer waren der Umwelt völlig frei ausgesetzt und nur die Häuser verfügten über Luftfiltersysteme. Auch hier war das Wasser chemisch aufbereitet und so zu Trinkwasser gemacht. Aber auf dem Weg zum gemeinsamen Speisesaal, der Schule oder dem Versorgungsgebäude brauchten die Kinder Schutzanzüge.

Es gab nur ein paar Lehrer und Erzieher in diesen Dörfern, denn kein Kind würde es schaffen, 180 Kilometer zu Fuß in die nächst gelegene Stadt zu Fuß zurück zu legen, denn in den zugeteilten Sauerstoffflaschen befand sich nur Luft für maximal fünf Stunden.

Eine neue gab es nur im Tausch gegen eine alte.

* * *

Endlich Schulschluss! Sieben Stunden waren vorbei und damit hatte er Zeit, für den Rest des Tages mit Tina zu spielen. Tommy sah sich suchend nach ihr um.

In Wahrheit hieß er Thomas Krause. Er war jetzt seit fast vier Jahren hier, genau wie seine Freundin Tina, die mit richtigem Namen Christine Paul hieß und elf Jahre alt war.

Im Jahr 2108 waren seine und ihre Eltern zum Tode verurteilt worden, weil sie Anführer einer geplanten Revolution waren. Ihr großes Ziel war es gewesen, die chemischen Fabriken Stück für Stück abzuschalten und irgendwie von den 150 Quadratkilometern fruchtbaren Landes aus, die es in Sibirien noch gab, die Erde zu regenerieren.

Damals war Tommy gerade acht Jahre alt gewesen und hatte von alledem noch nicht all zu viel verstanden. Genau erinnerte er sich jedoch noch daran, wie eines Nachts die Geheimpolizei in ihre Wohnung eindrang.

Er sah das Weinen der Mutter und das zur Maske erstarrte Gesicht seines Vaters. Er hörte das Klirren von Glas, welches bei der Durchsuchung der Wohnung aus den Schrankfächern und den Regalen gefegt wurde. Er hörte das elektronische Piepsen der Handschellen, die sich um die Handgelenke seiner Eltern schlossen. Er spürte wieder die harte Hand in seinem Genick, welche ihn vor sich her schob und in einen bereitstehenden Gleiter stieß. Und nie würde er die harten Gesichter mit den eiskalten Augen vergessen, die zu den Geheimpolizisten gehörten!

Sie waren zu einem großen Haus gebracht worden, und dort hatte man ihn von seinen Eltern getrennt. Er hatte sie nur noch einmal gesehen.

Ihn hatte man in ein Zimmer gesteckt, in dem schon zwei Kinder waren. Eins davon war Tina gewesen.

Tommy schluckte krampfhaft und versuchte, seine Erinnerungen zu verdrängen. Er hatte jetzt genug Probleme und konnte sich nicht auch noch mit Erinnerungen belasten. Täglich galt es dafür zu sorgen, dass er genug Luft für den nächsten Tag zugeteilt bekam und auch eine neue Hose musste er sich besorgen.

Er seufzte. Das Spielen würde also noch wenigstens eine halbe Stunde warten müssen. Aber er war mit Tina zusammen!

Und da kam sie auch. Er erkannte sie an ihrem hellroten Schutzanzug, an dem sie an dem Atemschlauch ein Schleifchen gebunden hatte, das sie Gott weiß woher aufgetrieben hatte.

Sonst wäre es auf die Entfernung auch schwer gewesen, sie zu erkennen. Die Anzüge waren alle gleich – die der Mädchen hellrot, die der Jungen dunkelblau. Nur die Namensschilder machten das jeweilige Kind erkennbar.

Er ging ihr einige Meter entgegen und konnte sie nun ziemlich deutlich erkennen. Irgendetwas stimmte mit ihr nicht! Sie wirkte irgendwie hektisch und als er sie nun ansprach, hörte er, dass sie weinte.

„Tina, was hast du?“

„Nicht hier! Ich brauche dringend neue Luft! Aber danach müssen wir raus. Ich muss dir was erzählen!“

„Gut! Erst essen oder erst Luft?“

„Erst Luft! Ich habe nur noch für fünfzehn Minuten!“

„Gut, dann Luft!“

Sie gingen zu dem Haus, in dem es neue Sauerstoffflaschen gab. Tommy hatte zwar noch für eine dreiviertel Stunde Luft, aber er tauschte sie doch schon um.

Vor etwa einem Jahr wäre das noch unmöglich gewesen, denn da war noch ein Erzieher vorhanden gewesen, der die Flaschen ausgab. Da hätte es dann ein Problem gegeben, denn Luft für 45 Minuten war einfach Luft für 30 Minuten zu viel und man konnte sie nicht so einfach ablassen.

Und genau das tat er jetzt. Das Ventil aufgedreht und nach einem Blick auf das Manometer konnte er die zwei Flaschen ohne Probleme an das Ventil zur Überprüfung anschließen.

Aus der roten Kontrolllampe wurde eine grüne und nach genau einer Minute rollten zwei neue in den Ausgabeschacht.

Das gleiche würde sich morgen wieder so abspielen und übermorgen und immer so weiter. Täglich 280 Mal, denn so viele Kinder waren in dem Dorf.

Und dann noch einmal 50 Mal für die Lehrer und Erzieher. Aber die bekamen soviel Luft, wie sie brauchten, oder besser gesagt, wollten.

Die Anlage lief über einen Computer, der den Fingerabdruck abnahm und so nur einmal am Tag pro Person Luft ausgab – außer bei den Erwachsenen.

Danach gingen sie zum Essen.

Wie alles, was sie bekamen, war es auch diesmal aus den chemischen Fabriken gelieferte und kurz vor dem Verfallsdatum stehende oder für die Städte mit den Arbeitern nicht zu verwendende Lebensmittel. Er hatte sich langsam daran gewöhnt.

Es war auch schon mal zu Vergiftungen gekommen, aber das war normal und es würde sich nie Jemand darum kümmern, denn sie waren ja nur Kinder von Sträflingen oder Toten. Also wen würde es interessieren?

Tina und Tommy aßen das ihnen Zugeteilte. Dann gingen sie auf einen Platz, der etwas außerhalb des Dorfes lag und von den Richtmikrofonen nicht erreicht werden konnte. Diese Richtmikrofone waren überall aufgebaut, und es war lebensgefährlich, wenn man bei den Stichproben, welche beim Abhören vorgenommen wurden, bei einem verbotenem Thema erwischt wurde.

Es war zwar genauso gefährlich, wenn man sie außerhalb des Dorfes erwischen würde, aber erstens konnte man sich dann noch rausreden und zweitens – Wer sollte sie erwischen? Die Erzieher hatten anderes zu tun oder waren größtenteils einfach zu faul, um Kontrollen durchzuführen.

„Kannst du dich noch daran erinnern, was mit unseren Eltern passiert ist? Was sie mit ihnen gemacht haben?“

Tommy sah Tina an. Natürlich konnte er sich noch an den Tag erinnern. Nie würde er die Bilder vergessen, als er mit ansehen musste, wie ihre Eltern ohne Schutzanzug und Sauerstoffgeräte in die Wildnis gejagt wurden. Die flehend erhobenen Arme seiner Mutter, als sie versuchte, die Begleitmannschaft umzustimmen und wieder in die saubere Luft des Transportgleiters aufgenommen zu werden. Nie die harten Augen der Männer, unter denen auch sein und Tinas Vater waren. Nie die vor Schmerz verzerrten Gesichter, als endlich alles vorüber war.

Und nie das plötzliche Schreien von Gerd. Er war der Dritte, der damals in dem Zimmer gewesen war. Er war etwa zwölf Jahre alt gewesen. Auch seine Eltern waren mit dort draußen umgekommen und das Urteil lautete, dass die Kinder beim Sterben ihrer Eltern zusehen mussten.

Das war zu viel für Gerd gewesen, und seine Schreie hörten nicht auf, bis die Wachmannschaft ihn erschlagen hatte. Sie hatten seine Leiche einfach aus dem Transporter geworfen und waren dann zu diesem Dorf hier geflogen.

Diese Bilder hatten sich in sein Hirn eingebrannt und würden niemals verblassen!

„Warum fragst du das? Natürlich kann ich mich noch daran erinnern!“

„Ich habe ein Gespräch belauscht, das zwei Lehrer heute geführt haben. General Müller hat jetzt die Macht übernommen, und sein Programm für die Familien der sogenannten Staatsverbrecher lässt keine Fragen offen. Tommy! Sie werden in den nächste vierzehn Tagen die drei Besten aus jedem Dorf zusammen mit den Erwachsenen abtransportieren und dann in den Dörfern den Strom abschalten! Auch hier bei uns!“

In Tommy verkrampfte sich etwas. Kein Strom bedeutete keine saubere Luft und damit unweigerlich den Tod durch Ersticken!

„Aber das können sie doch nicht machen!“ Seine Worte kamen stockend und klangen, als wären sie durch einen Wattefilter gesprochen worden. Er konnte das Unfassbare nicht glauben und wusste doch, dass es so unglaublich gar nicht war.

„Oh doch! Sie können!“ Tinas Stimme klang vor Hass und Angst verzerrt. „Vergiss nicht, was sie mit unseren Eltern gemacht haben! Vergiss nicht, wie sie Gerd umgebracht haben! Für die sind wir nicht mehr als Dreck! Weißt du noch, wie uns der Direktor gesagt hat, wir wären überflüssige Atmer? Und genau die will man jetzt beseitigen!“

Tommy sah sie von der Seite her an. Diese Stimme kannte er. Den gleichen Klang hatte die Stimme seiner Mutter gehabt, wenn sie von den Machthabern sprach. Und er hatte das Ende seiner Mutter erlebt! Aber was sollte er machen?

Er legte seine Hand auf Tinas Arm. „Lass uns zurück gehen. Es muss uns etwas einfallen, was wir tun können, aber ich muss erst einmal wieder denken können! Morgen nach dem Mittagessen treffen wir uns wieder hier.!

„Wenn es dann nicht schon zu spät ist!“

* * *

> Das war´s also! <

Tommy lag mit offenen Augen im Bett und dachte nach.

Beim Tod seiner Eltern hatte er es fast als ungerecht empfunden, weiterleben zu können, aber dieses Gefühl war nur schwach. Er war damals ja auch erst acht Jahre alt gewesen!

Nun betraf es ihn selbst! Ohne Strom würden sie in den Häusern nur noch ein paar tage überleben können. Dann war Schluss! Und er konnte nichts dagegen tun!

Und wenn sie den Strom abgeschaltete hatten, würde nicht nur er sterben. Auch Tina würde umkommen und das tat ihm mehr weh als der Gedanke an den eigenen Tod!

Die anderen Kinder waren ihm relativ egal. Entgegen dem logischen Schluss, dass sie in ihrem gemeinsamen Leid eigentlich zusammenhalten müssten, war hier einer dem anderen sein Teufel und die Großen ließen keine Gelegenheit aus, um die Kleinen zu quälen und zu schikanieren.

Warum sollte er sich also Gedanken um sie machen? Nur Tina tat ihm leid! Gut! Es gab noch ein paar Jungen und Mädchen, mit denen er sich verstand. Sie waren – bis auf René, der ebenfalls zwölf war – jünger als er, und die meisten waren nach ihm gekommen, aber er konnte sich nicht um sie alle kümmern. Jetzt ging es darum, dass Tina und er überlebten! So hart das auch war!

Er rechnete sich aus, wie lange sie mit zwei vollen Sauerstoffflaschen auskämen, wenn sie nur ab und zu daraus atmen würden, musste sich jedoch eingestehen, dass auch das Hirngespinste waren.

Selbst wenn es drei Tage wären! Wo sollten sie hin? Die nächste Stadt lag 180 Kilometer entfernt und selbst wenn sie diese erreichen würden – kein Mensch würde sie reinlassen.

Aber sie würden es versuchen müssen! Vielleicht würden sie Glück haben und doch irgendwie reinkommen.

Und wenn nicht? Dann würden sie sterben! Aber sie hatten es dann wenigstens versucht und das war besser, als gar nichts zu tun! Mit diesem Gedanken schlief er ein.

Als um sechs Uhr dreißig die Sirene zum Wecken heulte, stand es für ihn fest, dass sie noch an diesem Tag gehen mussten. Am nächsten konnte es schon zu spät sein!

Beim Frühstück aß er sehr wenig, versteckte den Rest aber in den Taschen. Es war zwar nicht sehr viel, aber besser als Nichts und beim Mittagessen würde wohl auch noch etwas übrig bleiben, was man beiseite tun konnte.

Er würde auch Tina noch Bescheid geben.

Der Schultag war wie immer. Bis auf eine Sache: Die Lehrer waren nicht bei der Sache und so gelang es Tommy, Tina im Flüsterton von seinem Plan zu erzählen.

Nach der Schule trafen sich die Beiden in der Ausgabestation der Sauerstoffflaschen. Es würde das letzte Mal sein, dass sie zur Identifizierung ihre Hand auf die Fotoplatte legten.

Nachdem sie ihre frischen Flaschen erhalten hatten, liefen sie zum Mittagessen und dann in ihre Zimmer. Dort versteckten sie die leichten Atemmasken, welche jedes Kind ganz am Anfang bekommen hatte, am Körper und verließen das Haus und das Dorf. Es war genau zwölf Uhr dreißig, als sie aufbrachen.

Außerhalb des Dorfes streiften sie die Sauerstoffmasken ab und setzten die leichten Atemmasken auf. Durch diese Masken konnten sie etwa zwanzig Minuten gefahrlos atmen, bevor sie wieder Sauerstoff brauchten. Außerdem waren dann die Atemfilter völlig verdreckt und mussten gewechselt werden.

Zu jeder Atemmaske gehörten zehn Ersatzfilter und sie hatte aus den Nachtschränken ihrer Bettnachbarn die Ersatzfilter gestohlen. So besaß jeder dreißig Ersatzfilter – genug für sechs Stunden Luft und damit sechs Stunden, ohne die Flasche mehr als ein paar Atemzüge lang benutzen zu müssen.

Dann wurde es jedoch kritisch! Tina hatte zwar von ihrem Vater gelernt, wie man auch aus Wäsche einen Ersatzfilter bauen konnte, aber außer einer Art Jogginganzug trugen die Beiden nichts unter ihren Schutzanzügen – und die würden sie brauchen, wenn sie in die Stadt kamen, denn in ihren Schutzanzügen würden sie genau so auffallen, als wenn sie nackt wäre.

Aber jetzt hatten sie den Weg gerade erst begonnen und über dieses Thema würden sie sich Gedanken machen, wenn es soweit war. Wichtig war zu diesem Zeitpunkt, erst einmal so weit wie möglich von dem Dorf weg zu kommen.

Tommy konnte sich noch so in etwa an die Richtung erinnern, aus der sie damals mit dem Gleiter zu dem Dorf geflogen worden waren, und welche sie jetzt also einzuschlagen hatten. Aber sicher war er sich eben doch nicht!

Das war jedoch sein Geheimnis. Nie würde er Tina etwas davon erzählen! Sie hatte schon genug Angst und es war gar nicht so sicher, ob sie weiterlaufen würde, wenn sie erfuhr, dass er die Richtung nicht genau kannte. Er konnte nur auf sein Erinnerungsvermögen hoffen. Später, in der Stadt, würden sie Hilfe finden. Da war er sich ganz sicher!

Er sah sich um. Der Himmel hatte eine leicht graue Farbe angenommen, welche immer kurz vor Regen zu sehen war. Ansonsten war er schwefelgelb oder fast blutrot, wenn die Sonne auf die Smogwolken schien. Der drohende Regen war jedoch keine Gefahr für sie, da sie ja ihre Schutzanzüge anhatten.

Das größere Problem würde wohl das Vorankommen werden, da der Boden ohne jeglichen Pflanzenwuchs sich schon beim geringsten Regen in einen Sumpf verwandelte. Sie würden also auf die alte Straße ausweichen müssen, auch wenn dort die Gefahr des Gefundenwerdens größer war.

Und da war seine zweite Sorge: Würde man nach ihnen suchen? Oder würde man – da die anderen Kinder im Dorf sowieso umkommen würden – ganz einfach einen Haken hinter ihre Namen machen und davon ausgehen, dass sie sterben würden?

Er hoffte auf das Letztere! - Aber was, wenn nicht? Aber auch das würde die Zeit finden und jetzt belasteten ihn diese Gedanken nur unnütz, so dass er sie zu verdrängen suchte.

Das Atmen wurde schwerer. Sie hatten ausgemacht, dass sie zuerst Tinas Flasche verbrauchen würden, und so sprach er sie jetzt an: „Ich brauche Luft und ich glaube, wir müssen auch unsere Filter wechseln. Also – zuerst du oder ich?“

„Mach du zuerst!“

Er zog sich die Maske vom Gesicht und setzte die Sauerstoffmaske von Tinas Flasche auf. Es war eine Wohltat, die saubere, ein wenig nach Gummi schmeckende Luft zu atmen.

Früher hatten sie auch noch einen leichten Beigeschmack von Eisen gehabt, der durch die Metallflaschen entstand, aber seitdem man diese durch Plastikflaschen ersetzt hatte, merkte man nur noch den Beigeschmack von Gummi, der durch den Atemschlauch entstand.

Es war eine Sache von drei Minuten, und er konnte seine Atemmaske wieder aufsetzen. Dann kam Tina an die Reihe.

Als er weitergehen wollte, hielt Tina ihn fest. „Sieh mal, Tommy! Was ist denn das?“

„Was? Wo?“

„Na dort, diese komische Wolke!“ Sie zeigte mit dem Finger auf eine Stelle am Himmel. Als Tommy mit seinem Blick ihrem Finger folgte, sah auch er das seltsame Gebilde am Himmel.

„Ich weiß es nicht, aber eine Wolke ist das auf gar keinen Fall! Vielleicht eine neue Art von Gleiter?“

„Dafür ist es zu hoch!“

„Stimmt! Aber was soll es denn sonst sein? Außerdem werde ich plötzlich so müde!“

„Ich auch! Was ist das? Tommy, es ...“

* * *

Sie wurden jedoch nicht vermisst. Ihre Sorge, dass nach ihnen gesucht wurde, war umsonst gewesen.

Genau achtzehn Uhr – eine Stunde vor dem Abendessen – setzte ein Gleiter in der Mitte des Dorfes auf.

Bereits um siebzehn Uhr dreißig – also genau fünf Stunden, nachdem Tina und Tommy ihre verzweifelte Reise in eine ungewisse Zukunft begonnen hatten – trafen sich die Erwachsenen in dem für sie vorgesehenem Gebäude. Anders als geplant wurden auch die drei Besten nicht mit genommen.

Man hatte den Tag normal begonnen, um eine Panik zu vermeiden. Genau achtzehn Uhr fünfzehn bewegten sich zwei Männer in den braunen Schutzanzügen der Geheimpolizei auf das Gebäude zu, in dem sowohl die Sauerstoffausgabe als auch die Verteilerstation für die elektrische Versorgung des Dorfes untergebracht war.

Sie betraten das Haus mit einem Aktenkoffer und kamen zehn Minuten später ohne diesen wieder heraus. In dieser Zeit hatten die Erwachsenen in dem Gleiter Platz genommen, der, nachdem die beiden Geheimpolizisten zugestiegen waren, sofort abhob und in Richtung der nächsten großen Stadt davon flog.

Genau fünf Minuten später detonierte in dem Gebäude eine Bombe, welche das gesamte Haus zerstörte. Das Sterben der 278 Kinder hatte begonnen. Das Gleiche wiederholte sich in 79 Dörfern.

* * *

Als Tina aufwachte, sah sie sich erstaunt um. Sie befand sich in einem Raum – aber sie hatte noch nie in ihrem Leben einen solchen Raum gesehen. Als sie den Kopf zur rechten Seite drehte, sah sie Tommy auf einer Art Pritsche liegen. Er schlief noch.

Erst jetzt wurde ihr bewusst, das auch sie lag. Die Erinnerung setzte wieder ein und sie sah sich wieder zusammen mit Tommy in der Wildnis. Sie erinnerte sich wieder an die Wolke – oder was immer es auch sonst gewesen sein mochte. An die plötzliche Müdigkeit und wie sie einfach umgefallen war.

Und was kam dann? Sie wusste es ebenso wenig, wie sie wusste, wo sie jetzt war.

Aber sie lebte – und das war wichtig!

Und auch Tommy lebte! Sie konnte es an seiner Atmung sehen.

Sie mochte Tommy sehr. Wie oft hatte er ihr in den letzten Jahren Mut gemacht!? Wie oft hatte er sie getröstet, wenn die Erinnerung sie überkam wie eine dunkle Wolke? Wie oft hatte er mit ihr gespielt und gelacht – auch wenn ihm manchmal gar nicht danach zumute war? Sie hatte es gefühlt und war doch froh, dass er den Starken für sie spielte. Ja! - Sie mochte ihn!

Tommy bewegte sich.

„Tommy!“ Langsam drehte er den Kopf in ihre Richtung. „Wo sind wir?“

„Ich weiß es nicht! Ich habe so einen Raum noch nie gesehen!“

„Sag mal, Tina, warum hast du denn nichts mehr an? Wo sind deine Sachen?“

Erst jetzt fiel ihr auf, dass sie völlig nackt auf dieser Pritsche lag und auch Tommy nichts an hatte. „Ich weiß es nicht! Aber deine Sachen sind auch weg. Was …?“

Eine Tür öffnete sich.

Ohne zu wissen, was sie tat, sprang Tina von der Pritsche und lief zu Tommy. Dieser fasste sie bei der Hand und so sahen sie gemeinsam nach dem Wesen, welches dort den Raum betrat.

Auf den ersten Blick war es ein Mensch, doch wenn man genauer hinsah, erkannte man, dass es eben doch keiner war.

Es dauerte einen Moment bis sie wussten, was es war: Die Augen! Anders als beim Menschen lagen diese Augen irgendwie höher über der Nasenwurzel – und sie waren grün. Das konnte man sogar über die Entfernung von fast vier Metern deutlich sehen.

Dazu kam, dass der Augapfel bei diesem Wesen – Oder doch Menschen? - anders als normal weiß, blau war.

Die Frau, denn darum handelte es sich, lächelte. „Ich heiße euch willkommen“ Mein Name ist Kara! Ich bin Ärztin und im Augenblick für euch verantwortlich!“

„Wo sind wir?“

„An Bord der >PHYLL<!“

„>PHYLL<? Was bedeutet das?“

„Ein Raumkreuzer.“

„Ein was?“

„Ein Raumkreuzer. Aber kommt mit! Die Geräte zeigen an, dass ihr nicht mehr verseucht seid, und der Kommandant möchte euch sehen. Er wird euch dann alles erklären.“

„Entschuldigung! Aber wir hätten gern unsere Sachen wieder!“

„Welche Sachen?“

„Zum Anziehen!“

„Ach so! Aber das geht nicht! Diese Sachen, wie ihr sie nennt, waren völlig verseucht. Aber ihr werdet neue Kleidung bekommen. Kommt erst einmal mit!“

„Aber wir können doch nicht nackt herumlaufen!“

„Wieso nicht? Ihr seid Kinder und es ist warm und ihr seid doch auch nackt geboren worden – oder?“

„Ja, schon, aber...“

„Schon gut! Ich vergaß, dass es auf der Erde andere Vorstellungen von gesellschaftlichen Regeln gibt. Wartet einen Augenblick hier!“ Die Frau drehte sich um und verließ den Raum.

Als sich Tür hinter ihr mit einem leisen Zischen geschlossen hatte, sahen sie sich an. Tommy fand als erster die Sprache wieder. „Das glaube ich nicht! Hast du gehört, was sie gesagt hat? Wir sind auf einem Raumkreuzer! Und sie macht den Mund nicht auf beim Sprechen! Und ihre Augen! Was soll das? Was ist los?“

„Ich weiß es auch nicht, Tommy! Aber ich glaube nicht, dass wir in Gefahr sind. Wenn sie uns etwas tun wollten, hätten sie es doch schon machen können! Aber du hast Recht! - Diese Frau war kein Mensch! Ich habe jedenfalls noch eine solche Frau gesehen!“

„Wenn sie kein Mensch ist, was ist sie dann?“

„Das weiß ich auch nicht! Aber erinnerst du dich noch an diese Wolke, die wir gesehen haben, bevor wir eingeschlafen sind?“

„Ja!“

„Das muss ein – ihr - Raumschiff gewesen sein. Tommy?“

„Ja?“

„Wir sind nicht mehr auf der Erde!“

„Aber wo sind wir dann?“

„Das weiß ich auch nicht! Aber ich glaube, dass wir es erfahren werden, wenn der Kommandant mit uns spricht.“

„Tina!“

„Ja?“

„Egal was kommt, wir lassen uns auf gar keinen Fall trennen!“

„Auf gar keinen Fall, Tommy!“

* * *

Wieder ertönte ein Zischen, und Kara betrat den Raum.

Sie hatte zwei Kleidungsstücke, die wie Overalls aussahen, über dem Arm liegen. Allerdings waren sie aus einem Stoff gefertigt, den Tina und Tommy noch nie gesehen hatten.

Sie zogen sich an und folgten der Ärztin. Diese ging mit ihnen einen langen Gang entlang und fuhr mit einem Lift nach oben. Als sich die Tür des Liftes öffnete, standen sie vor einem Raum, der ungefähr so groß wie eine Sporthalle war.

Überall waren Monitore und Kontrolllampen blinkten in den unterschiedlichste Farben. Trotzdem waren nur vier Personen zu sehen, von denen eine von einem Sitz, der wie ein Sessel aussah und in der Mitte des Raums stand, aufstand, und auf sie zukam. Es war ein Mann in einem dunkelblauen Overall mit einem handgroßen goldenen Stern auf der rechten Brust. Der Mann lächelte.

Auch er sprach, ohne dass er den Mund öffnete, und plötzlich wusste Tommy, wie das möglich war. Die Worte kamen aus einem kleinen Gerät, welches an dem Gürtel seines Overalls befestigt war.

„Willkommen an Bord der >PHYLL<! Ich bin der Kommandant. Mein Name ist Or. Bitte kommt mit mir, denn ich möchte mit euch sprechen. Habt ihr Hunger oder Durst?“

„Ich habe Beides! Du auch, Tina?“

„Ja!“

„Dann kommt bitte mit mir!“

Wieder fuhren sie mit einem Lift, aber diesmal nach unten. Als sie erneut einem Gang gefolgt waren, betraten sie einen Raum, der sich schon von der Einrichtung her von dem, in dem sie aufgewacht waren, unterschied.

Es waren vier Sessel um einen Tisch, welcher aussah, als wäre er ein auf den Boden gestellter Zylinder ohne Beine. An der Wand befanden sich ein kleiner Monitor und zwei Geräte, von denen sie nicht wussten, was sie darstellten.

Aber das war es nicht, was sie so sehr fesselte. Vielmehr war es eine Wand, die an vielen Stellen durch Glas unterbrochen war. Fasziniert sahen die Beiden, wie sich hinter dem Glas Tiere – oder was waren das? - bewegten.

Erst als Tommy näher an die Wand ging, sah er, dass diese Tiere sich in einer Flüssigkeit bewegten und dass es da auch noch Pflanzen gab. Pflanzen mussten es sein, denn sie waren grün und mit dem Boden verankert. Er hatte auch in einem Buch, welches seinem Vater gehörte und eigentlich verboten war, solche Bilder schon einmal gesehen. Aber er konnte sich nicht mehr daran erinnern, was unter den Bildern gestanden hatte.

„Gefällt euch das?“

Tommy und Tina schraken aus ihren Betrachtungen auf. Hinter ihnen stand Or.

„Ja! Aber was ist das?“

„Das sind Fische. Tiere, die im Wasser leben. Und die Pflanzen sind Wasserpflanzen. Ihr werdet alles verstehen, wenn ihr erst einmal eine Weile hier seid.“

Plötzlich flammte auf einem der Geräte eine rote Lampe auf und auf dem Monitor erschien das Gesicht eines Mannes. Gleichzeitig ertönte eine Art Zwitschern in dem Raum, welches eindeutig von dem Gerät ausging. Or antwortete ebenfalls in dieser Zwitschersprache, und dabei öffnete er den Mund.

Als er sich jedoch wieder an Tina und Tommy wandte – der Monitor und die rote Lampe waren wieder erloschen – war sein Mund wieder geschlossen und die Worte kamen wieder aus dem kleinen Gerät.

„Setzt euch! Ich glaube, ich muss euch einiges erklären.“

Nachdem sie sich gesetzt hatten, drückte Or einige Knöpfe auf einen auf der Tischplatte befindlichen Tastatur. Schweigend lehnte er sich zurück und sah die Beiden lächelnd an.

Auch die Beiden hatten jetzt Gelegenheit, ihn in Ruhe anzusehen. Er hatte die gleichen Augen wie Kara, aber er war älter. Man sah es an den Falten, die sich um seine Augen herum gebildet hatten und an den Haaren, die langsam begannen, grau zu werden.

Nach etwa zwei bis drei Minuten begann etwas in dem Tisch zu brummen und in der Mitte der Platte bewegte sich ein etwa ein Meter großes, kreisförmiges Stück einige Zentimeter nach unten und schob sich dann zu Seite.

Dafür kam ein anderes Stück nach oben und stoppte, als es genau in Tischhöhe war. Auf diesem Tisch standen Becher und Teller mit Speisen und Getränken, welche Tina und Tommy noch nie in ihrem Leben gesehen hatten.

„Nehmt, was ihr wollt! Ihr kennt nichts von diesen Dingen und es würde jetzt auch zu lange dauern, bis ich euch erklärt hätte, was es ist. Das werdet ihr im Laufe der Zeit lernen. Und nun lasst es euch schmecken!“

Nachdem der erste Hunger gestillt und der erste Durst gelöscht war – die Beiden hatten von dem Geschmack der Nahrung jedoch kaum etwas gemerkt, so aufgeregt waren sie! - begann Or seine Erklärung: „Unser Raumkreuzer, und somit auch wir, stammen vom Planeten Elmers. Er ist etwa elftausend Lichtjahre von der Erde entfernt.

Schon lange beobachten die Mitglieder des Großen Rates, welcher aus Ratsmitgliedern von 360 Planeten besteht, die Entwicklung der Erde mit großer Sorge. Wir mussten erleben, wie aus dem ehemals Blauen Planeten mit seinen unermesslichen Wasservorräten und der herrlichen Natur ein Planet wurde, der jetzt kurz vor dem ökologischem Kollaps steht. Die Satzungen des Rates verbieten jedoch, regulierend in die Entwicklung einer anderen Zivilisation einzugreifen.

Jetzt hat sich die Einstellung zu den Satzungen jedoch etwas geändert. Auf Beschluss des Großen Rates erging an unsere Regierung die Bitte, einen Plan zur Rettung und Wiederherstellung des ökologischen Gleichgewichtes der Erde zu erstellen.

Unsere Wissenschaftler sind zu der Erkenntnis gekommen, dass so etwas nur die aktive Mitarbeit von Bewohnern der Erde möglich ist. Sie kamen zu dem Entschluss, Bewohner der Erde für eine Ausbildung nach Elmers zu bringen. Dazu eignen sich natürlich am besten noch junge, lernfähige Menschen.

Unsere Regierung rüstete eine Expedition aus – unseren Raumkreuzer – und schickte uns mit dem Auftrag zur Erde, ein Mädchen und einen Jungen von dort mit nach Elmers zu bringen. Dank unserer Instrumente und der jahrelangen Beobachtung der Erde sind wir in der Lage, sowohl die Sprache als auch die Gedanken der Menschen zu verstehen.

Wir mussten Kinder finden, die auf Grund ihrer Familienverhältnisse keiner vermissen würde. So haben wir euch gefunden! Ihr könnt es Zufall nennen.

Aber bevor wir unsere Reise nach Elmers antreten können, muss ich euch fragen, ob ihr damit einverstanden seid. Wir wollen euch auf gar keinen Fall zu etwas zwingen, was ihr nicht wollt. Überlegt es euch also in Ruhe und beantwortet mir dann noch eine Frage:

Ihr seid aus einer Siedlung weggegangen. Einige Zeit, nachdem ihr hier an Bord gekommen seid, ist in diesem Ort ein Transportflugzeug – ihr nennt es Gleiter – angekommen, und ist dann mit, soweit wir feststellen konnten, allen erwachsenen Bewohnern dieser Siedlung abgeflogen. Wenige Minuten später ist ein Haus explodiert und völlig zerstört worden, ohne dass sich jemand darum gekümmert hätte. Das Gleiche hat sich auch in neunundsiebzig anderen Siedlungen abgespielt. Wisst ihr etwas darüber?“

Erschrocken sahen sich Tina und Tommy an. Dann sagte Tommy: „Ja, wir wissen, was dort passiert ist! Ich werde Ihnen alles erklären.“

„Damit wartet noch ein paar Minuten! Ich werde euch für eine Weile allein lassen, damit ihr in Ruhe über mein Angebot nachdenken könnt.

Und nun noch etwas anderes: Auf Elmers reden wir uns mit du und dem Namen an. Das gilt für alle – auch wenn Kinder mit Erwachsenen reden. Wenn ihr fertig seid mit überlegen, drückt auf diesen Knopf. Ich komme dann zurück.“

Er wartete nicht mehr auf eine Antwort, sondern erhob sich und verließ den Raum.

Tommy und Tina sahen sich an. „Das klingt vielleicht verrückt, was? Aber es scheint wahr zu sein!

„Ich glaube, was Or uns erzählt hat! Aber was können wir machen, um den anderen im Dorf zu helfen? Ich fliege mit! Aber wir müssen doch etwas für die anderen tun können!“

„Ich glaube auch, was Or erzählt hat. Aber wir können nicht alles helfen!“

„Vielleicht ein paar?“

„Ich habe eine Idee! Sie wollen uns doch auf ihren Planeten bringen, um uns auszubilden. Ich werde Or erklären, dass es für uns schöner wäre, wenn wir ein paar Kinder mehr wären. Und ich werde ihm erklären, was in den Dörfern geschehen ist.

Tina, wir hatten doch einige Freunde dort. Diese wollen wir retten und mitnehmen! Was denkst du darüber?“

„Das ist eine gute Idee!“

Plötzlich wurden Tommys Augen sehr ernst. „Christine!“

Tina sah ihn aufmerksam an. Wenn Tommy „Christine“ zu ihr sagte, war das, was er dann sagte, sehr ernst für sie.

„Christine, ich werde nicht mitfliegen, wenn wir unsere Freunde nicht mitnehmen können. Das meine ich ernst!“

„Ich weiß, Thomas! Und ich denke genau wie du! Als wir von dort ausgerissen sind, hatten wir keine andere Möglichkeit. Aber jetzt haben wir die Chance, ihnen zu helfen, und ich käme mir wie eine Verräterin vor, wenn ich jetzt mitfliegen und unsere Freunde sterben lassen würde. Meine Eltern haben immer gesagt, dass es besser ist zu sterben, als seine Freunde zu verraten oder im Stich zu lassen! Verstehst du, was ich meine?“

„Ja, Christine! Dann sind wir uns einig?“

„Ja, Thomas!“

Er ging zu dem Gerät und drückte auf den Knopf. Etwa fünf Minuten später öffnete sich die Tür und Or betrat den Raum.

„Habt ihr euch entschieden?“

„Ja! Aber ich glaube, ich muss dir etwas erklären.“

Tommy sah Or fest an. „Du hast uns erzählt, was in unserem Dorf, oder, wie du gesagt hast, Siedlung, passiert ist. Wir haben gewusst, dass das passieren würde. Der neue Präsident, General Müller, hat vor, die Kinder der politischen Gefangenen oder der wegen politischen Vergehen zum Tode Verurteilten, zu töten. Und genau das macht er jetzt, indem er die Versorgungsgebäude der Siedlungen zerstört und die Kinder ihrem Schicksal überlässt. Er weiß genau, dass, wenn es keine Energie mehr gibt, keines von den Kindern eine Chance hätte zu überleben.

Tina und ich haben beschlossen: Wir fliegen mit euch, aber nur dann, wenn wir wenigstens unsere Freunde mitnehmen können. Es sind nicht viele, aber es ist auch für uns besser, denn wir lernen besser, wenn Freunde dabei sind. Das ist unsere Entscheidung!“

Or sah sie nachdenklich aus seinen grünen Augen an. „Gut! Ich habe eure Gedanken erforscht und ich habe gesehen, das ihr es ernst meint! Wir haben nicht unbegrenzt Platz. Ihr könnt noch acht andere Kinder mitnehmen – vier Jungen und vier Mädchen! Überlegt euch, wer dafür in Frage käme und ich hole euch in dreißig Minuten hier ab, damit ich euch für die Expedition ausrüsten kann.“

„Was für eine Expedition?“

„Ihr müsst selbstverständlich mit zur Erde fliegen, denn wir kennen die Kinder ja nicht!“

„Gut“!

Or erhob sich und verließ den Raum.

Tina und Tommy sahen sich an. „Das ging ja besser, als ich es gedacht hatte!“

„Ja, Tommy! Aber jetzt kommt das Schwerste! Wen wollen wir mitnehmen?“

„Ich denke: Ralf, Peter, Micha und René von den Jungen. Und von den Mädchen? Du kennst sie besser!“

„Auf jeden Fall Carmen und Moni! Und dann noch Chris! Aber dann weiß ich nicht – Biene oder Gabi?

Was meinst du?“

„Sie sind beide in Ordnung, aber ich glaube, Gabi kennen wir noch zu wenig.“

„Also Biene!“

„Ja!“

„Dann ist ja alles klar! Weißt du, was schlimm ist?“

„Was?“

„Das die anderen sterben werden!“

„Ich weiß! Aber das können wir nicht ändern! So können wir wenigstens noch diese Acht retten. Wenn wir nur abgehauen wären, wären sie doch auch gestorben – und diese Acht ebenfalls.“

„Stimmt! Aber es ist trotzdem schlimm!“

„Ja!“

Dann schwiegen Beide. Sie sahen den Fischen in den Aquarien zu und hingen ihren Gedanken nach.

* * *

Wieder öffnete sich die Tür und Or und ein andere Mann betraten den Raum. „Das ist Ter! Er ist stellvertretender Kommandant und – wie würdet ihr dazu sagen? - Chefmechaniker. Er wir die Expedition leiten.

Wisst ihr, wen ihr mitnehmen wollt?“

„Ja!“

„Gut, dann folgt mir!“

Wieder gingen sie durch lange Gänge, fuhren mit dem Lift und betraten schließlich einen riesigen Raum, welcher wie ein Warenlager aussah.

Sie durchquerten diesen Raum und betraten einen weiteren, der direkt angrenzte. Dieser war etwa zwanzig Quadratmeter groß und hatte bis auf eine große Maschine keine Einrichtung. An diese Maschine war eine durchsichtige Kammer gekoppelt. „Das ist ein Materialisator. In ihm werden aus verschiedensten Rohstoffen, die wir aus gebrauchter Kleidung, alten Maschinenteilen und so weiter gewinnen, zum Beispiel neue Kleidung hergestellt.Ihr braucht Raumanzüge und ihr braucht andere Overalls.

Die Offiziere der >PHYLL< haben beschlossen, dass ihr für die Kinder, die wir mitnehmen, Kommandanten seid. Genauer gesagt ist Tommy – so werden wir dich jetzt immer nennen – Kommandant und du, Tina, seine Stellvertreterin.

Jedes Mitglied der Mannschaft kann sich die Farbe seines Overalls aussuchen. Ihren Dienstgrad, wenn sie einen solchen begleiten, erkennt man an dem Stern, den dann jeder auf der Brust trägt. Nur der Kommandant und seine Stellvertreter müssen dunkelblaue Overalls tragen. Das ist eine Vorschrift.

Und nun ziehe den Overall, welches du anhast, aus, und wirf ihn in diesen Schacht. Danach gehe bitte dort in die Kammer. Der Computer braucht deine genauen Maße. Wenn du in der Kammer stehst, wird eine rote Lampe aufleuchten. Solange diese rote Lampe leuchtet, bewege dich bitte nicht. Es wir schnell gehen!“

Tommy zog seinen Overall aus und ging in die Kammer. Als etwa drei Minuten später die rote Lampe wieder erlosch und er die Kammer verlassen hatte, bat ihn Or, seine Hand auf eine Fotoplatte zu legen.

Während Tommy dies tat, sah er lächelnd zu Tina. „Wie in unserer Sauerstoffausgabe. Nur dass ich hier einen neuen Anzug bekomme!“

In der Maschine begann etwas zu summen. Einige Augenblicke später leuchtete über der Kammer ein grünes Licht auf und die Kammer öffnete sich automatisch. „Du kannst dir deine Sachen nehmen. Tina, würdest du bitte dasselbe machen wie Tommy?“

„Ja, Or!“ Der gleiche Vorgang wiederholte sich nun auch bei Tina.

Tommy hatte inzwischen seinen neuen Overall angezogen und sah sich nun seinen Raumanzug an. Auch dieser war von dunkelblauer Farbe. Er erinnerte sehr entfernt an die Schutzanzüge, welche sie auf der Erde getragen hatten, nur dass er noch einige für Tommy unverständliche Anschlussbuchsen besaß, und dass der Helm eine völlig andere Form hatte.

Er erinnerte sich, dass er einmal Bilder von Autorennfahrern aus dem vorletzten Jahrhundert – etwa 1980 – gesehen hatte. Diese hatten ähnliche Helme getragen. Aber nur ähnliche.

Nach etwa zehn Minuten war auch Tina neu eingekleidet.

Nun nahm Ter seinen Stern ab und legte ihn in die Kammer. Etwa drei Minuten, nachdem er am Computer etwas eingegeben hatte, nahm er seinen und einen neuen aus der Kammer. Das gleiche tat dann auch Or. Während Ter und Or die ihren wieder an ihren Overalls befestigten, nahm Or die beiden anderen an sich.

Die Vier verließen den Raum und nach einigen Minuten Weg befanden sie sich wieder auf der Brücke, wie die Kommandozentrale auf Schiffen und Raumschiffen genannt wurde.

Dort waren bereits acht Personen versammelt. Tina erkannte auch Kara unter ihnen. „Das sind die Offiziere an Bord. Wenigstens die hohen Ränge. Selbstverständlich haben wir noch Mannschaftsoffiziere – wie zum Beispiel die Kommandanten der Kampfgeschwader – aber es ist jetzt aus Zeitgründen nicht der richtige Moment, um sie alle zu versammeln. Das werden wir zu einem späteren Zeitpunkt nachholen.

Doch nun will ich die hier Anwesenden erst einmal vorstellen: Das ist Tok. Er ist mein zweiter Stellvertreter und oberster Kommandant der Kampfeinheiten. Kara kennt ihr bereits. Hier steht Kol. Er ist unser Nachrichtenoffizier. Das ist Sola. Mit ihr müsst ihr euch besonders gut stellen, denn sie ist unser Verpflegungsoffizier.

Und das ist Kelin. Sie ist Chefgeologin. Das ist Fur, unser Chefbiologe, und hier sind Tolar und Sar. Sie sind unser erster Pilot und unser Chefnavigator.“

Er wandte sich an die Anwesenden: „Und das sind Tommy und Tina. Sie sind die beiden Kinder von der Erde.“ Die Begrüßung erfolgte durch Neigen des Kopfes.

„Die Führungsoffiziere der >PHYLL< haben beschlossen, die hier anwesenden Erdenbewohner Tommy und Tina in den Rang von Kommandanten im untergeordneten Rang zu erheben.“

Er wandte sich an die Beiden: „Tommy, hiermit ernenne ich dich zum Kommandant im untergeordneten Rang! Das bedeutet, dass du der Kommandant der an Bord kommenden Kinder bist, aber trotzdem meinem Kommando unterstehst.

Tina, hiermit ernenne ich dich zur stellvertretenden Kommandantin im untergeordnetem Rang! Du wirst die Pflichten von Tommy übernehmen, wenn dieser – aus welchen Gründen auch immer – daran gehindert ist, seine Aufgaben zu übernehmen.

Ich gratuliere euch zu eurer Ernennung!“ Wieder neigten die Anwesenden den Kopf.

Or befestigte einen goldenen Stern, an dem einer der sechs Zacken silbern war, an Tommys Brust. Danach befestigte er einen zur Hälfte goldenen und zur anderen Hälfte silbernen Stern – wie ihn auch Ter trug – an Tinas Overall.

Der einzige Unterschied von ihrem zu dem Stern von Ter war, dass ihr Stern vier und der von Ter drei silberne Zacken hatte.

Tommy sah die anwesenden Offiziere an. „Ich möchte mich, auch im Namen von Tina, für das Vertrauen bedanken, welches ihr uns entgegen bringt. Ich verspreche, dass wir euch nicht enttäuschen werden!“

Or sah sie lächelnd an. „So, und jetzt müssen wir uns beeilen! Wir können nicht zu lange auf dieser Umlaufbahn bleiben. Denn sonst könnten wir geortet werden. Und das ist etwas, was wir vermeiden wollen. Folgt mir und nehmt eure Raumanzüge mit!“

Dieses Mal waren sie fast fünfzehn Minuten unterwegs – und das, obwohl sie mit einer Art Elektroauto, welches sich auf einer Magnetschiene bewegte, benutzten, bis sie das untere Deck erreicht hatten.

Die Fahrt endete in einer fast riesig zu nennenden Halle. In ihr standen zehn Raumgleiter, die Tina und Tommy sehr an die Transportgleiter auf der Erde erinnerten, nur dass diese Raumgleiter hier fast doppelt so groß waren.

Ter war ihnen beim Anlegen der Raumanzüge behilflich und erklärte ihnen die einzelnen Funktionen der Anschlussbuchsen. Da gab es zum Beispiel einen ultra-leichten, wiederaufladbaren Akkumulator, welcher die Heizung des Anzuges betrieb, falls dies nötig sein würde, und gleichzeitig die Stromversorgung für den Helm lieferte, welcher noch extra erklärt wurde.

Trotz dieser Doppelfunktion war der Akkumulator nicht größer als eine Zigarettenschachtel, die Tommy ein paar Mal bei den Erwachsenen im Dorf gesehen hatte.

Für das Aufladen des Akkumulators und eines weiteren, welcher als Reserve mitgeführt werden musste, war der Besitzer des jeweiligen Raumanzuges selbst verantwortlich und Jeder, der sie nutzte, nahm diese Aufgabe sehr ernst, denn von der Leistung dieser Akkumulatoren konnte sein Leben abhängen.

Dann war da die Halterung für die Strahlenwaffe, welche sowohl zum Töten als auch zum Betäuben verwendet werden konnte. Diese Waffe wurde auf der rechten Seite getragen, während ein ultra-hartes Messer auf der linken Seite am Bein getragen wurde. Die Reichweite der Strahlenwaffe betrug 500 Meter.

Or sagte ihnen, dass diese Waffe zur Standartausrüstung beim Verlassen des Kreuzers oder bei Gefahreneinsätzen im All gehören würde. Es gäbe außerdem noch Handlaser, doch diese würden nur dann ausgegeben, wenn von vornherein Aggressionen zu erwarten wären.

Dann bekamen sie zwei Sauerstoffpatronen und Ter zeigte ihnen, wie sie in die dafür vorgesehene Halterung eingesetzt und funktionstüchtig gemacht wurden. Obwohl diese Patronen nicht länger als zwanzig Zentimeter waren und einen Durchmesser von nur fünf Zentimetern hatten, sollten sie dennoch einen Sauerstoffvorrat für dreißig Stunden beinhalten.

Tina und Tommy, die sich ja zur Genüge mit Sauerstoffflaschen auskannten, sahen sich an. „Das ist ja fantastisch! Kannst du dir vorstellen, wie einfach wir es auf der Erde mit solchen Patronen gehabt hätten? Und wie leicht die sind!“

„Ja, Tommy! Wir hätten uns viel Schlepperei ersparen können!“

Dann kamen die Funktionserklärungen des Helms. Er hatte ein Visier, welches durch einen kleinen Sensor an der Stirnseite geöffnet oder geschlossen werden konnte. In dem Augenblick, in dem das Visier geschlossen wurde, schaltete sich automatisch die Sauerstoffzufuhr ein.

Sie konnte jedoch durch einen weiteren Sensor wieder ausgeschaltet werden, wenn man zum Beispiel in einem Gleiter saß und das Visier als Hilfe in einem Gefecht herunter gelassen hatte, denn auch dafür hatte der Helm genügend Vorrichtungen. In diesem Fall atmete man dann durch einen Spezialfilter.

An der Unterkante des Gesichtsteils, also etwa in Kinnhöhe, befanden sich noch einmal ein paar Sensoren. Mit diesen konnte das Visier in ein Fernsichtgerät umgewandelt werden oder in ein Nachtsichtgerät, welches dass Licht sowohl im infrarotem als auch im ultraviolettem Bereich verarbeiten konnte.

Zusätzlich waren an den Rändern des Visiers Skalen, die zum Beispiel die Entfernung des gesichteten Objekts, die Außentemperatur und andere Angaben zur Beschaffenheit der Umwelt anzeigten. Auch ein Zielgerät für den Bordlaser konnte vorgeschaltet werden.

Nachdem ihnen die einzelnen Funktionen von Ter erklärt worden waren, erklärte er ihnen weiter, wie sie bei dem bevorstehenden Vorhaben vorgehen wollten.

Sie würden bis über das Dorf fliegen und die Kinder, die sich dort befanden, durch eine spezielle Strahlungsform, welche selbst Mauern durchdrang, zum Schlafen bringen. Dann würden sie neben dem Dorf landen und zusammen mit Tina und Tommy zu den Häusern gehen, in denen die ausgewählten Kinder untergebracht waren.

Diese würden sie mit Hilfe von Antigravitationstragen, einer Art Wanne, die durch ein Antigravitationsfeld über dem Boden schwebte und durch eine durchsichtige Haube hermetisch von der Umwelt abgeschlossen werden konnte und eine eigene Sauerstoffversorgung besaß, zum Gleiter transportieren und wieder abfliegen. Die Kinder würden sich während der Zeit des Fluges weiterhin im künstlichen Schlaf befinden.

Für das ganze Unternehmen waren etwa zweieinhalb Erdenstunden vorgesehen, wovon je eine davon für den Hin- und Rückflug gebraucht wurde.

Or wünschte ihnen Glück und sie bestiegen den Gleiter.

Die Beiden waren total nervös. Es war schließlich ihr erster Raumflug, den sie bewusst miterleben würden. Vor ein paar Stunden hatten sie noch nicht einmal zu träumen gewagt, jemals in den Weltraum zu fliegen – und nun würden sie fliegen! Und zwar in einem außerirdischem Raumgleiter zur Erde und zurück! Mit einer außerirdischen Mannschaft, zu der sie jetzt gehörten – und zwar im Rang von Kommandanten! Und da sollten sie nicht nervös sein?

Sie gingen mit Ter zusammen durch die Mannschaftskabine vor zur Brücke. Dort bekamen sie zwei Sitze zugewiesen und Ter bat sie, sich zu setzen und anzuschnallen.

Das taten sie, und als sie nach vorn zur Sichtscheibe blickten, sahen sie ein grünes Licht aufleuchten. Dann spürten sie plötzlich einen gewaltigen Andruck. Rasend schnell kam eine jetzt geöffnete Schleuse auf sie zu und dann befanden sie sich im freien Raum.

Noch etwas benommen durch den Andruck, der bei der Beschleunigung entstanden war, machten sie die Gurte los. Ter zeigte ihnen die einzelnen Instrumente und dann standen sie an der Sichtscheibe und sahen in die Sterne.

Beide sahen stumm in die Weite des Universums, das, anders als sie es sich vorgestellt hatten, nicht völlig dunkel war. Das Licht von Myriarden von Sternen lies die Dunkelheit nicht ganz so tief erscheinen.

Dann machte Ter sie auf die Erde aufmerksam, welche jetzt immer mehr auf sie zukam und immer größer wurde. „Wir werden in der Dunkelphase bei eurer Siedlung ankommen. Das erleichtert unser Vorhaben sehr, obwohl wir ein Strahlenschild um uns herum aufbauen können, durch welches wir auch am Tag von keiner uns bekannten Ortungsart geortet werden können. Aber so werden wir noch den Vorteil der Dunkelheit haben.

Ich war schon einmal in der Nähe der Erde. Es ist kein schöner Anblick, wenn man den Planeten sieht. Ich habe jedoch Filme von früheren Expeditionen gesehen. Da war es ein großes Erlebnis, wenn man auf den Planeten zu flog.

Er war zu fast zwei Dritteln blau, weswegen er „Der Blaue Planet“ genannt wurde. Dazwischen leuchteten in allen Schattierungen der grünen Farbe die Kontinente. Jetzt jedoch ist die Atmosphäre schwefelgelb. Die Menschen haben ihren Planeten vergiftet und es wird sehr lange dauern, bis er wieder einmal so wird, wie er einst war. Ihr werdet eine schwere Aufgabe vor euch haben!

Aber hier habe ich noch etwas sehr wichtiges für euch: Nicht alle unserer Mannschaftsmitglieder können euch verstehen, da sie keinen Übersetzer haben. Ich habe hier zwei dieser Apparate für euch. Sie werden euch übersetzen, was unsere Menschen euch zu sagen haben, und ihnen, was ihr ihnen sagen wollt. Schön wäre es natürlich, wenn ihr unsere Sprache lernen würdet, aber ich glaube, dass das zu schwer für euch werden würde und außerdem müsst ihr ja jede Menge Dinge lernen, die im Moment wichtiger sind.

Doch nun schnallt euch bitte wieder an! Wir werden jetzt abbremsen und in die Atmosphäre der Erde eintauchen.“ Die Beiden setzten sich und waren kaum angeschnallt, als auch schon der Druck wieder auf sie einwirkte. Allerdings war er diesmal bei weitem nicht so stark wie beim Start.

Um sie herum erklang plötzlich ein leises Zischen – das Zeichen dafür, dass sie in die Erdatmosphäre eingetaucht waren. Der Druck wurde schwächer und schließlich gab Ter das Zeichen zum Abschnallen.

Wieder liefen die Beiden zur Sichtscheibe. „Wir fliegen in etwa zweitausend Meter Höhe.“

„Aber Ter, dann sind wir ja auf jedem Radarschirm der Erde zu sehen! So groß, wie dieser Gleiter ist, kann den ja Keiner übersehen!“

„Keine Angst! Wir haben das vorhin erwähnte Strahlenschild aufgebaut, welches uns für die Kontrollen des Luftraums unsichtbar macht. Selbst für die Menschen, die jetzt zum Himmel sehen, sind wir nur in Gestalt einer Wolke sichtbar.“

„Siehst du, Tommy, ich hatte Recht! Die Wolke, die wir gesehen hatten, bevor wir eingeschlafen sind, war der Gleiter!“

„Stimmt, Tina! Aber schau, dort ist unser Dorf!“

„Bitte schließt jetzt die Übersetzungsgeräte an den Sprechfunk eurer Helme und setzt sie auf! Wenn wir den Gleiter verlassen, werden vier Mannschaftsmitglieder mit dir, Tina, und vier mit dir, Tommy, gehen. Ihr Beide werdet ihnen die Stelle am Haus zeigen, an welcher die Stromzufuhr ins Haus geht. Wir dürfen auf gar keinen Fall etwas an den Häusern beschädigen! Ich weiß nicht, was es ist, aber Or hat etwas vor.

Wenn ihr in den Häusern seid, zeigt ihr den Leuten die Kinder. Ach! Und stellt auf keinen Fall die Sauerstoffzufuhr zu den Helmen ab! Die leichten Filter sind nur dazu da, im geschlossenem Raum von Gleitern zu atmen. Es wäre nicht gut, wenn ihr durch sie die Luft der Erde atmen würdet!“

Eine Minute später setzte der Gleiter in der Mitte des Dorfes auf.

Es war nur eine Frage von Augenblicken, bis die Häuser mit Hilfe von zwei mitgebrachten Geräten wieder mit Strom versorgt waren und somit auch die Luftschleusen wieder funktionierten.

Tina und Tommy betraten jeweils mit den ihnen zugewiesenem Männern die Häuser, welche für einen langen und grausamen Zeitraum ihr „Zuhause“ gewesen waren, und in welchen sie hätten sterben sollen. Ein wenig unbehaglich war ihnen dabei schon zumute, wie sie sich später gegenseitig eingestanden.

Den Gruppen kam bei dieser Aktion zugute, dass die Erzieher den Kindern vor ihrem Abzug befohlen hatten, in ihre Häuser zu gehen. Und nachdem die Energiezufuhr unterbrochen war, konnten sie die Häuser nicht mehr verlassen. So fanden Tina und Tommy die von ihnen ausgesuchten Kinder schon nach relativ kurzem Suchen.

Bereits zwanzig Minuten später konnten die Tragen mit den Kindern in den Gleiter gebracht werden. Die Luftschleusen wurden wieder geschlossen und somit war die Atemluft nicht gefährdet, als sie die Energiezufuhr wieder unterbrachen.

Der Gleiter hob ab und nach kurzer Zeit waren sie wieder im freien Raum.

Nach erfolgter Beschleunigung standen Tina und Tommy auf und wollten wieder an die Sichtscheibe treten. Ter bat sie jedoch, ihm zu folgen.

„Wir müssen nach den Kindern sehen! Ihr habt euch doch gewundert, dass sie im Eingangsraum stehen gelassen wurden. Sie müssen von ihren Kleidern befreit und durch die Sterilisationsschleuse gebracht werden. Ich wollte euch bitten, dass ihr diese Aufgabe übernehmt, denn wir haben euren Gedanken entnommen, wie peinlich es euch war, dass ihr von Leuten, die ihr nicht kanntet – und die sogar noch von einem anderen Planeten kommen - ausgezogen worden seid. Das wollen wir ihnen nun ersparen!

Wir auf Elmers kennen das, was ihr Scham nennt, in dieser Beziehung nicht. Aber wir können es verstehen und wir akzeptieren es selbstverständlich! Ich bin mir sicher, dass sich eure Einstellung in dieser Beziehung auch noch ändern wird, aber zurzeit ist es eben noch nicht so.

Ich werde euch zeigen, was ihr tun müsst und wohin ihr dann die Tragen mit euren Freunden bringen könnt. Sie sollen ja nicht im Eingang stehen bleiben. Später wird sich dann Kara um sie kümmern, denn ihr müsst direkt nach unserer Ankunft zu einer Besprechung aller oberen Offiziere, also denen, die ihr schon kennengelernt habt. Nur Kara ist von dieser Besprechung befreit.“

Während dieser Erklärung waren sie am Einstieg angekommen. Sie schlossen die Visiere der Helme und passierten die Schleuse, welche den Einstiegsbereich von dem übrigen Teil des Gleiters trennte. Da sie aus der sauberen Luft des Gleiters kamen, konnten sie die Schleuse sehr rasch passieren und standen nun vor den Tragen.

„Da ihr die Helme geschlossen habt, seid ihr vor der Strahlung sicher, welche die Kinder im Schlaf hält. Ihr könnt also völlig ungefährdet die Tragen öffnen. Ihr zieht ihnen die Kleidung aus und schiebt diese dort in das Rohr. Wenn es voll ist, oder wenn alle Kleidung dort drin ist, schließt ihr diese Klappe und verriegelt sie. Danach drückt ihr bitte auf diesen Knopf. Die Kleidung wird dann im Rohr pulverisiert und in den Raum geblasen.“

„Warum kann man die Kleidung nicht zusammen mit den Kindern sterilisieren?“

„Weil die Kleidung so verseucht ist, dass es ehrlich gesagt einfacher ist, ihnen neue zu machen, als die alte zu sterilisieren. Es ist schon schwer genug mit ihren Körpern! Wir haben es bei euch gesehen. Es dauerte fast doppelt solange, um all die Schwermetallspuren von eurer Haut und aus euren Haaren zu bekommen, als es normalerweise dauert, um unsere Schutzanzüge nach einem Einsatz auf einem hochtoxischen Territorium zu sterilisieren. Und dann wird Kara noch eine ganze Weile brauchen, um die Schwermetallablagerungen und all die anderen Giftstoffe aus ihren Körpern zu entfernen.“

„Wie macht sie das?“

„Das würde zu lange dauern, wenn ich es euch jetzt erklären würde. Am besten wird es sein, wenn ihr Kara selbst danach fragt. Sie wird es euch sicher gern erklären.

So, aber nun zurück zu eurer Arbeit: In die Schleuse passen jeweils vier Tragen zusammen mit euch. Lasst beim Passieren der Schleuse die Hauben geöffnet!

Wenn in der Schleuse das grüne Licht aufleuchtet – das wir nach ungefähr fünfzehn Erdenminuten geschehen – bringt ihr die Tragen in den anschließenden Raum. Dort schiebt ihr sie an die Wand und verstärkt das Magnetfeld wieder, so dass sie fest stehen. Ich werde euch Decken zurecht legen, mit denen ihr eure Freunde zudecken könnt, bevor ihr die Haube wieder schließt. Ihr werdet den Weg also zweimal gehen müssen. Wenn ihr fertig seid, kommt bitte wieder vor auf die Brücke.“

„Ist gut! Wir werden uns beeilen!“

Ter lächelte und verschwand in der Schleuse.

„Ich hätte nie gedacht, dass sie sich so viele Gedanken um unsere Gefühle machen! Du, Tina?“

„Nein! Aber ich glaube immer fester daran, dass es gute Menschen sind.“

„Menschen? Aber du hast Recht! Sie sehen fast genau so aus wie wir und sie fühlen und denken und lächeln genau wie wir. Es sind Menschen!

Ziehst du die Mädchen aus? Dann mache ich die Jungen.“

„Na klar!“

Etwa fünfzig Minuten später standen die acht Tragen – durch ihre Magnetfelder fest verankert – an der Wand des Laderaums und die Beiden gingen zur Brücke. Dort empfing sie Ter. „Gut, dass ihr kommt! Habt ihr alles erledigt?“

„Ja!“

„Da ihr etwas länger gebraucht habt, als wir mit dem Weg zurück, sind wir einen Bogen geflogen und werden jetzt von vorn über unseren Raumkreuzer fliegen, um zur Einflugschleuse zu kommen. Ich glaube, dass es auch für euch interessant ist, den Raumkreuzer einmal von außen zu sehen. Schnallt euch aber erst einmal an, damit wir auf die nötige Geschwindigkeit abbremsen können.“

Nach dem Bremsmanöver waren die Beiden sofort wieder an der Sichtscheibe. Neben ihnen stand Ter. „Ich werde euch noch nichts erklären. Ich glaube, es ist besser, wenn ihr über den Kreuzer erst einmal mehr in der Theorie gelernt habt, bevor ihr versteht, was die einzelnen Module bedeuten. Seht euch einfach den Kreuzer an und ich verspreche euch, dass wir zu einem späteren Zeitpunkt wieder den Kreuzer umfliegen und dann werde ich euch alles erklären. Einverstanden?“

„Einverstanden!“

Und dann sahen sie vor sich den Kreuzer! Was da auf sie zuflog – oder besser, auf was sie da zuflogen – verschlug ihnen die Sprache. Es war einfach gigantisch, was unter ihnen hinglitt. Jetzt konnten sie verstehen, warum Ter ihnen gesagt hatte, dass er ihnen alles später erklären würde. Sie hätten jetzt ganz einfach keine Fragen stellen können.

Der Kreuzer hatte von der Spitze bis zu seinen Triebwerksenden eine Länge von rund zwei Kilometern und an seiner breitesten Stelle war er rund einen Kilometer breit. Seine Höhe betrug mindestens fünfhundert Meter, auf welche jedoch noch zahlreiche Antennen und andere Vorrichtungen gerechnet werden mussten.

Etwa fünfzig Meter vor seinem Ende machten sie einen Bogen.

Knapp hinter der Mitte der Kreuzers war dieser am breitesten. Diese Verbreiterung erinnerte entfernt an Tragflächen, war aber fast so dick, wie der Kreuzer hoch war.

Ein Tor ziemlich weit unten an dieser Verbreiterung ging vor ihnen auf, und plötzlich sahen sie, dass diese Verbreiterung aus Toren bestand, welche in drei Ebenen übereinander lagen. Auf jeder Ebene gab es zwei Tore. „Das sind Einflugschleusen. So können immer sechs Gleiter auf jeder Seite des Kreuzers starten oder landen.“, erklärte ihnen Ter.

„Nun setzt euch noch einmal hin, denn wir landen.“

Nachdem sich die Schleuse hinter ihnen geschlossen hatte und die Geräte anzeigten, dass wieder normale Atemluft in ausreichender Menge im Hangar vorhanden war, verließen sie den Gleiter. „Ihr braucht euch um eure Freunde nicht zu sorgen. Kara hat alles für ihren Empfang vorbereitet. Wir müssen uns umziehen und dann sofort zum Beratungsraum. Ihr seid ja schon dort gewesen.“

„Ja! Das ist der Raum mit den lebenden Fischen in der Wand! Stimmt´s?“

„Ja, Tina! Das sind sogenannte Aquarien, welche ihr da gesehen habt. In diesen Aquarien leben die Fische. Doch nun kommt!“

Sie zogen ihre Schutzanzüge aus und Ter zeigte ihnen, wo diese ihren Platz hatten. Danach gingen sie zur Schleuse. Auf dem Weg dorthin konnten sie sehen, wie von allen Seiten Leute zu dem Gleiter kamen, und unter ihnen konnten sie auch Kara erkennen.

Nachdem sie die Schleuse verlassen hatten, fuhren sie mit dem Magnetschienenfahrzeug einen ziemlich langen Gang entlang und stiegen dann um in einen Lift. Dieser brachte sie auf das Deck, auf dem auch der Beratungsraum lag, den sie zwei Minuten später betraten. Dort hatten sich bereits die Offiziere versammelt, die Tina und Tommy bei ihrer Ernennung zu Kommandanten kennen gelernt hatten.

Or sah die Beiden lächelnd an. „Na, wie war der Ausflug?“

„Einfach unbeschreiblich schön!“

„Und wir haben unseren Auftrag erfüllt!“

„Das freut mich, Tommy! Kommt, setzt euch zu uns. Das wird eure erste Lage– und Dienstbesprechung, an der ihr teilnehmt, und sie betrifft ein sehr wichtiges Thema. Nachdem ihr mir erzählt hattet, was in den Siedlungen geschehen war, hatte ich den Offizieren die Lage erklärt und ihnen eure Bitte übermittelt, wenigstens eure Freunde mitnehmen zu können.

Dieser Bitte wurde ja, wie ihr wisst, entsprochen. Wir haben uns jedoch auch überlegt, wie wir den anderen Kindern in den betreffenden Siedlungen helfen können.Es betrifft immerhin 1568 Kinder zwischen einem und siebzehn Jahren. Und ich glaube, wir haben eine Lösung gefunden. Dafür benötigen wir aber noch ein paar Informationen von euch.

Aber verzeiht mir! Ihr werdet Durst haben und ich vergaß, dass ihr euch an den Automaten noch nicht auskennt. Ter hat jedem von euch einen Übersetzer gegeben. Ist das richtig?“

„Ja!“

„Wenn ihr dieses Gerät in die Hand nehmt und es euch genau anseht, dann seht ihr auf der Unterseite eine Fotozelle.“

„Stimmt, hier ist sie!“