Der varreckte Hof/Der verreckte Hof - Georg Ringsgwandl - E-Book

Der varreckte Hof/Der verreckte Hof E-Book

Georg Ringsgwandl

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Beschreibung

Mutter Weichsenrieder wird wunderlich, oder vielleicht tut sie auch nur so. Aber eine Pflegerin muss her, denn ihre Kinder, die allzeit überforderte Halbtagshandarbeitslehrerin Gerlinde und Manager Rupert, können die Alte nicht betreuen. So kommt Svetlana aus Moldawien auf den Hof und mischt die Kräfteverhältnisse neu. Georg Ringsgwandl arbeitete bis zu seinem 44. Lebensjahr als Arzt und steht seit über 30 Jahren auf der Bühne. Er veröffentlichte zehn Studioalben, schreibt Musiktheaterstücke, Bücher und Beiträge für Magazine und Zeitungen.

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Seitenzahl: 130

Veröffentlichungsjahr: 2016

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Der varreckte Hof

Mutter Weichsenrieder spricht mit Menschen, die nicht mehr leben, und sieht Dinge, die es nicht gibt. Wird sie dement oder tut sie nur so? Eine Pflegerin muss her. Ihre Kinder, die Handarbeitslehrerin Gerlinde und der Industriemanager Rupert, haben keine Zeit für die alte Bäuerin. So kommt Svetlana aus Moldawien auf den Hof und bringt die eingelaufenen Verhältnisse ins Rutschen.

Dieses Buch veröffentlicht die ursprüngliche, bayerische Fassung der erfolgreichen »Stubenoper« Der varreckte Hof sowie die neuere hochdeutsche Fassung (Der verreckte Hof ‌). Mit enthalten das Notenmaterial und ein Essay des Autors zu den Hintergründen des Stücks und der Arbeitsweise seiner unterschiedlichen Sprachen.

Georg Ringsgwandl

Der varreckte Hof / Der verreckte HofEine Stubenoper

Gesänge in einer sterbenden SpracheTexte und Notenmaterial

eBook Suhrkamp Verlag Berlin 2016

© Suhrkamp Verlag Berlin 2016

Alle Rechte vorbehalten, insbesondere das der Übersetzung, des öffentlichen Vortrags sowie der Übertragung durch Rundfunk und Fernsehen, auch einzelner Teile.

Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotografie, Mikrofilm oder andere Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.

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Umschlaggestaltung: Katja Bohlmann

eISBN 978-3-518-74283-9

Zum Varreckten Hof. Vorwort von Georg Ringsgwandl

Der varreckte Hof

Der verreckte Hof

Werkverzeichnis, Biografisches

Zum »Varreckten Hof«

Vorwort von Georg Ringsgwandl

Im süddeutschen Sprachraum, angrenzendes Österreich und nördliche Schweiz inbegriffen, hat fast jedes Dorf eine Theatergruppe. Im Marktflecken Murnau gibt es zum Beispiel drei Gruppen, die mehr oder minder regelmäßig Theaterstücke aufführen; in Gemeinde- oder Wirtshaussälen, in Heustadeln oder auf Freilichtbühnen.

Die Stücke handeln oft von Erbstreitigkeiten, Nachbarschaftsfehden und Liebesverwicklungen, die in einer bäuerlichen Welt spielen, die es angeblich einmal gegeben hat.

Im Frühsommer 2011 hatte ich einige konzertfreie Monate. Ich suchte mir einen schönen Platz im Haus und begann zu schreiben.

Die Idee war ein zeitgenössisches Stück aus der ländlichen Welt, wie sie heute ist. Seit Jahrzehnten vor sich hinsterbend, verfallende Bauernhöfe, auf denen einschichtige Jungbauern oder alte Leute vor sich hinwerkeln, dem Niedergang der Landwirtschaft trotzend, fassungslos über die Schnelligkeit, mit der ihre Welt verschwindet.

Ich hatte keinen Plot, nur eine Situation. Eine alte Bäuerin merkt, wie ihre Kräfte nachlassen. Der Hof verkommt, der Mann seit Jahren tot, die Tochter Lehrerin, verheiratet mit einem Naturschutzbeamten, der Sohn Manager in der Industrie. Eines Tages kommt der Schwiegersohn auf dem Hof vorbei und hört die alte Frau wirres Zeug reden. Die Alte wird dement. Wer kümmert sich um sie? Hier beginnt das Stück.

Der Schwiegersohn ruft die Tochter, die Tochter den Bruder. Wem ist die Pflege der Mutter am ehesten zuzumuten? Der öffentliche Dienst streitet mit der Industrie und beide mit dem Umweltschutz. Natürlich hat niemand Zeit, und so kommt Svetlana auf den Hof. In mancher Hinsicht versteht sich die alte Bäuerin mit der Osteuropäerin besser als mit ihren Kindern. Nun kommt Bewegung auf, die eingefahrenen Verhältnisse geraten ins Schlingern.

Die Dialoge entwickelten sich mehr oder minder zwangsläufig. Ich mußte nur den Figuren folgen. An guten Tagen war es wie Schreiben unter Autopilot.

Weil ich als Konzertbesucher auf der Bühne am liebsten eine Mischung von Wort und Musik sehe, sind meine eigenen Auftritte eine Mischung von Wort und Musik, und deswegen glaube ich auch, daß Schauspieler am liebsten Stücke spielen, in denen es Dialoge und Songs gibt.

So entstand eine Folge von Dialogen, Rezitativen und Gesängen, die in einer schäbigen Wohnküche stattfinden: eine Stubenoper. »Gesänge in einer sterbenden Sprache«, wie der etwas selbstmitleidige Untertitel behauptet.

Abgesehen davon, daß die Dialekte im Süden eine zähe Überlebensfähigkeit zeigen, sprachen einige Gründe für die Abfassung in Mundart:

Bayerischer Dialekt ist die Sprache, die ich noch am ehesten beherrsche. Bauernhöfe sind auch keine Orte, an denen man Hochdeutsch parliert. Dialekte, Jargons oder Slangs beziehen zudem eine enorme Kraft aus ihrer Fähigkeit, sich an wechselnde Bedingungen anpassen zu können.

Während die Hochsprache nach klaren grammatischen und phonetischen Regeln gesprochen wird, weitgehend unabhängig von dem, was in der Welt draußen passiert, unterliegen die Dialekte allen möglichen Einflüssen: dem gesellschaftlichen oder beruflichen Umfeld, wechselnden Technologien, Krisen oder Zeiten des Wohlstands und weltanschaulichen Trends.

Noch zu Zeiten meiner Kindheit konnte man am Dialekt erkennen, aus welchem Winkel des Reichenhaller Talkessels jemand stammte. Einen Mitschüler aus Nonn, nur zwei Kilometer von Reichenhall entfernt, aber auf der anderen Seite der Saalach, erkannte man eindeutig an seiner Sprechweise. So kleinräumig unterscheiden sich die Dialekte heute nicht mehr. Aber immer noch spricht ein Deggendorfer anders als ein Tölzer.

Mit der Einwanderung fremdsprachiger Menschen ergibt sich eine fast unendliche Vielfalt von Sprachvarianten. Die Eingewöhnung beispielsweise einer Weißrussin in den Sprachgebrauch eines Augsburger Notarshaushaltes ergibt ungeahnte Klang- und Ausdrucksvarianten. Das Idiom, das ein Bosnier entwickelt, der bei BMW in München am Fließband steht, unterscheidet sich signifikant von dem seines Landsmannes, den es nach Regensburg verschlagen hat. Die reiche Welt der Sprachen.

Den Varreckten Hof habe ich im südostbayerischen Dialekt meiner Kindheit geschrieben. Mundartpuristen werden einwenden, daß mein Ton nicht mehr original Rupertigau ist.

Kein Wunder, ich habe keine Handwerkslehre gemacht, sondern Abitur, zuerst in Würzburg und später in Kiel (!) studiert, zwei Jahre in Berlin und acht in München gelebt und strandete schließlich im Landkreis Garmisch-Partenkirchen, wo sich das Bayrische bereits mit dem Schwäbischen vermengt.

Im August 2011 traf ich mich mit Leuten von den Tiroler Volksschauspielen in einem Wirtshaus, stellte meine Zither auf den Tisch, erzählte den ungefähren Hergang des Stückes und spielte einige der Lieder. So kam die Stubenoper nach Telfs.

Zuerst dachten wir an eine Fassung in Tiroler Dialekt. Als sich dann aber die Besetzung der Rollen abzeichnete, verwarf die Regisseurin diese Idee. Das Stück wurde in einem organischen Durcheinander von südgermanischen Dialekten gespielt. Wiener, Oberösterreicher, bayerischer und Tiroler Dialekt mischten sich so selbstverständlich, wie sich Leute unterschiedlicher Herkunft in einer Kneipe unterhalten. Keine Verständnisprobleme.

Inzwischen ist der Hof in Niederbayern, Linz und Wien inszeniert worden, jeweils in einem anderen Dialektgemisch, in Zürich gar auf Hochdeutsch.

Die erste Szene, in der die Weichsenriederin sieht, wie die Kühe auf dem Untersberg herumspringen, zeigt meine Großmutter, wie sie durch das Fenster ihres Souterrainzimmers zum gegenüberliegenden Berg hinaufschaut. Sie erklärt dem kleinen Schorschi, daß, wenn die Kühe auf der Alm so wild springen, das Wetter schlecht wird. Der Bub wundert sich, die Wiesen auf dem Untersberg sind gute acht Kilometer weit weg. Aber die Oma wird es schon wissen, sie hat ja fast ihr ganzes Leben in Reichenhall verbracht.

Ein paar Jahre später verwechselt sie ihren Enkel mit ihrem Sohn, die Enkelin mit ihrer Tochter. Gegen Ende zu ist sie selbst ein kleines Mädchen, das nach seinem Papa ruft. Sie läßt alles unter sich gehen, ihr Zimmer verwahrlost.

Kurz vor ihrem Tod diagnostizieren die Ärzte einen Hirntumor. 1969 war das mehr Verdacht als Gewißheit, aber galant, immerhin. Ein Hirntumor ist ein schlimmes Schicksal, aber sauber. Demenz dagegen eine peinliche, elende Katastrophe.

Die Persönlichkeit zerfällt. Der Mensch, den wir kannten, stirbt, während die körperliche Person noch am Leben ist.

Als sie Mitte Sechzig war, zeigten sich bei meiner Mutter erste Symptome von Morbus Alzheimer. Es folgten acht lange Jahre, bis ER sie endlich von diesem Fluch erlöste.

Die Schwester meiner Mutter hatte mehr Glück. Sie verbrachte sechs Monate demenzhalber im Altenheim, und dann verhalf ihr ein Pankreaskarzinom zu einem relativ eleganten Abschied. Ein besonders bösartiger Krebs als Helfer in der Not, der Tod als Freund. Keine ganz neue Metapher, in dem Fall aber gruselig wahr.

Die Bäuerin im Varreckten Hof scheint hin und wieder ins Delir abzudrehen, spricht mal normal und dann wieder in expressionistischen Bildern. Ist es der bei Demenzkranken häufige Wechsel zwischen Klarheit und Wahn, oder spielt sie mit den psychedelischen Anwandlungen, um ihre Umgebung zu manipulieren?

Ein gewitzter Psychologe könnte einwerfen, der Autor habe hier schlicht seine Angst vor dem Schicksal verarbeitet, das seine weiblichen Vorfahren heimgesucht hat. Daran mag etwas sein. Ich hätte mich in die Gruppe derer einreihen können, die die Katastrophe der Demenz beschreiben. Ich hielt es aber für künstlerisch interessanter und schauspielerisch ergiebiger, den Geisteszustand der Bäuerin im Ungefähren zu lassen.

Leute mit mehr literarischem Hintergrund mögen sagen, letztlich funktioniere die Bäuerin wie der weise Narr bei dem und dem.

Dazu kann ich nichts sagen. Ich war, bevor ich mein erstes Stück schrieb, erst siebenmal im Theater, fünfmal mit der Schulklasse und zweimal auf Einladung einer Pharmafirma.

Der varreckte Hof

Eine Stubenoper

Gesänge in einer sterbenden Sprache

Bayerische Fassung

Die Personen

Weichsenrieder Mutter*, lebt allein auf dem Hof, der Mann tot, die Kinder aus dem Haus

Tochter Gerlinde, Lehrerin

Schwiegersohn Günter, arbeitet im Landratsamt, Leiter der Unteren Naturschutzbehörde

Sohn Rupert, Manager in der Industrie

Svetlana, Migrantin aus Osteuropa

* Die Weichsenriederin, Weichsenrieder Bäurin, bürgerlich Cäcilie Kreszentia Schnapper, gerufen Schnapper Cilly oder Schnapper Zenz.

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