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Rock 'n' Roll als Lebensprinzip »Ich bin mit der Rocky Horror Show aufgewachsen. In einer Gartenhütte aus der Vorkriegszeit, im Modergeruch eines alten Holzverschlags, bei einer milde verpeilten Mutter, die sagte: Du bist mit der Rocky Horror Show auf die Welt gekommen, dir kann nichts passieren.« Als Georg Ringsgwandl seinen alten Laptop verschrotten will, stößt er auf Textfiles, die offenbar seine langjährige Tourbegleiterin verfasst hat. Die Geschichte einer Frau, die mit elf als Babysitterin in Ringsgwandls Familie kam, mit zwölf Platten bei seinen Konzerten verkaufte und später sein Tourmanagement übernahm. Sie lernt Bett und Hirn von Toningenieuren, heroinsüchtigen Bassisten und Fernsehredakteuren kennen, den Glanz und Grusel des Showgeschäfts von der Absturzkneipe bis zum Hofstaat der Stones. Ihr Blick ist schärfer als alle, die mit ihr unterwegs waren, ahnen konnten. Mit 36 vernimmt sie das Ticken der Uhr und setzt sich mit einem Mechaniker und reichlich Schwarzgeld ins Ausland ab. »Ich bin ein gesamtgesellschaftlicher Seismometer, mein Hirn ist ein Radiowellenempfänger und mein Maul der Lautsprecher.« Georg Ringsgwandl »Ein Punk-Qualtinger, ein Valentin des Rock 'n' Roll, ein bayerisches Genie.« DIE ZEIT
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Seitenzahl: 503
Veröffentlichungsjahr: 2023
ROCK ’N’ ROLL ALS LEBENSPRINZIP
Als Georg Ringsgwandl seinen alten Laptop verschrotten will, stößt er auf Textfiles, die offenbar seine langjährige Tourbegleiterin verfasst hat. Die Geschichte einer Frau, die mit elf als Babysitterin in Ringsgwandls Familie kam, mit zwölf Platten bei seinen Konzerten verkaufte und später sein Tourmanagement übernahm. Sie lernt Bett und Hirn von Toningenieuren, heroinsüchtigen Bassisten und Fernsehredakteuren kennen, den Glanz und Grusel des Showgeschäfts von der Absturzkneipe bis zum Hofstaat der Stones. Ihr Blick ist schärfer als alle, die mit ihr unterwegs waren, ahnen konnten. Mit 36 vernimmt sie das Ticken der Uhr und setzt sich mit einem Mechaniker und reichlich Schwarzgeld ins Ausland ab.
Georg Ringsgwandl
Ich bin mit der Rocky Horror Show aufgewachsen. In einer Gartenhütte aus der Vorkriegszeit, im Modergeruch eines alten Holzverschlags, bei einer milde verpeilten Mutter, die sagte: Du bist mit der Rocky Horror Show auf die Welt gekommen, dir kann nichts passieren.
Es gab auch andere LPs, aber meistens lief die Rocky Horror Show. Ich habe die Texte auswendig mitgesungen, lange bevor ich sie verstand. Später hörte ich diese Songs oft kristallklar von einem CD-Spieler und noch später gestreamt, aber eigentlich wollte ich sie nie anders hören als mit dem feinen Knistern, das entsteht, wenn ein leicht eiernder Thorens-Plattenspieler mit seinem abgenutzten Diamanten über eine Vinylscheibe kratzt, sein Gezitter dem Wandler weitergibt, der Spannungsimpulse durch verstaubte Kupferlitzen an der Rückseite und durch Röhren und Widerstände in die Magnetspule des Lautsprechers hinter der goldbraunen Textilabdeckung des riesigen Telefunkenradios schickt, das meine Großeltern nach dem Krieg im führenden Radiogeschäft von Freilassing gekauft hatten. So low fi möchte ich Time Warp, Frankensteins Place und Touch-A, Touch-A, Touch-Me immer hören.
Nachts war es ruhig im Häuschen. Kein Kühlschrank, der gesurrt hätte. Manchmal raschelte es im Dach. Leises Trippeln waren Siebenschläfer, wildes Fauchen und Gelaufe hieß, dass sich Marder eingenistet hatten. Keine Angst, sagte Rosa, meine Mutter, alles friedliche Nager. Die Tiere sind unsere Verbündeten. Siebenschläfer mochte ich, Marder waren mir nicht so geheuer. Ich hätte lieber Haustiere gehabt, die sich öfter sehen lassen.
Wenn es nach heißen Tagen abkühlte, knarzten die Dachbalken. Von Weitem war hin und wieder ein Auto oder ein Motorrad zu hören oder lauter Streit aus dem Wohnblock vorn an der Straße. Brüllen, Kreischen, Türenschlagen, Klirren von Töpfen, Splittern von Glas und Geschirr, Weinen und unheimliche Stille. Dann drückte ich mich an meine Mutter. Keine Angst, dir passiert nichts, ist alles weit weg, und ihre Stimme war weich und warm wie eine Decke, die mich einhüllte und in Schlaf sinken ließ. Wenn sie bei Kälte und Regen dagegen über kein Geld und die saukalte Bude und wie soll es denn weitergehen jammerte, tat ihre Stimme so weh, als hätte ich mir einen Finger in der Tür eingeklemmt.
An warmen Sommertagen im Gebirge war unser Holzhäuschen eine Gartenlaube im Paradies. Wenn es tagelang durchregnete, leichter oder stärker, Niesel oder Prassel, dann sagte meine Mutter, hör doch, wie der Wind durch die Bäume rauscht und der Regen aufs Dach tropft, wir leben in einem Cottage in abgeschiedener Wildnis.
Mama, der Regen tropft nicht aufs Dach, sondern durchs Dach, und wir leben nicht in einer abgeschiedenen Wildnis, wir hausen in einer reichen Ortschaft hinter einem schäbigen Wohnblock in einem zugigen Holzverschlag.
Die Leute nannten unser Gartenhaus: Holzschupfn, Scheißhüttn, Bretterverschlag, Hühnerstall, Drecks- oder Bruchbude, Barackn. Am schönsten fand ich Salettl. Wenn jemand Salettl sagte, war es ein freundlicher Mensch.
Im Frühling erwachten wir vom Gezwitscher der Vögel oder dem Hämmern eines Spechts an einem morschen Windladen unserer Behausung. Beim leisen Zischen der Gasflamme durfte ich noch im Bett bleiben, wenn der Wasserkessel pfiff, musste ich aufstehen.
Unser Klo war ein Verschlag hinten an der Hütte. Wenn man an dem Porzellangriff zog, der an einer Messingkette vom Spülkasten hing, setzte ein bedrohliches Gurgeln ein, das in donnerndes Gerumpel überging, wenn die Ladung Wasser durch das Metallrohr herabstürzte.
Geräusche auf dem Schulweg: das Rattern und Quietschen von Baggern und Planierraupen auf einer Baustelle, und immer irgendwo eine Kreissäge. Aber auch angenehme Geräusche wie das ruhige Mahlen eines elektrischen Betonmischers, das sonore Surren eines Baukrans oder das Brummen eines Flugzeugs über dem Tal.
Im Winter, wenn der Schnee die Geräusche dämpfte, war es still in der Hütte. Nur das Knistern, Knacken und Zischen des Holzfeuers im Herd. Ich saß am Tisch bei den Hausaufgaben. Nur das Schaben meines Bleistifts auf dem Papier und ein leises Rascheln aus dem Schlafzimmer, wenn meine Mutter in einem Buch oder einer Illustrierten blätterte. Keine Musik. Erst wenn ich fertig war und meine Hefte einpackte, durfte meine Mutter Kaffeewasser aufstellen und den Plattenspieler wieder in Gang setzen. Hatte ich eingeführt. Früher lief nämlich ständig etwas, Plattenspieler, Radio oder Kassettenrekorder. Mit guter Musik, sagte meine Mutter gern, ist die ganze Scheiße leichter auszuhalten. Ich konnte mich bei Musik aber noch nie konzentrieren. Höre ich etwas Schönes, bin ich so plemplem, dass es nicht mal fürs Einmaleins reicht, und bei schlechter Musik werde ich missmutig. Schließlich wurde meine Mutter in die Sprechstunde der Klassleiterin bestellt.
Doris macht seit Wochen keine Hausaufgaben mehr.
Na also.
Seitdem hatte ich Ruhe am Schreibtisch.
Oft war das Geld so knapp, dass wir am Brennholz sparen mussten. Ich saß dick angezogen in der Wohnküche, versuchte, mich mit heißem Tee aufzuwärmen, und hatte trotzdem kalte Finger.
In meinem Schulranzen befand sich immer eine faltbare Einkaufstasche, die ich auf dem Heimweg mit Fichtenzapfen und Holzstücken füllte. Leere Obstkisten hinter dem Supermarkt, die man zu kleinen Stücken zusammentreten konnte, oder Schnittholz an einer Baustelle. Meistens stiefelte ich allein nach Haus, weil aus meiner Klasse niemand zu wissen brauchte, wie arm wir waren.
Es kam vor, dass wir vor dem Schlafengehen noch einmal rausgingen, um Brennholz zu sammeln. Am praktischsten waren die Holzstöße vor den Häusern. Das Holz war trocken, auf die richtige Länge zugeschnitten und sauber aufgeschichtet. Ich achtete darauf, dass uns niemand sah, und meine Mutter zog vorsichtig ein Scheit aus dem Stapel. Und wehe, die Besitzer hatten einen Hund. Kaum dass meine Mutter den Holzstapel berührt hatte, schlug im Haus der Hund an, die Tür flog auf und ein Riesenvieh stürmte heraus, die empörte Bäuerin hinterher. Kläff, der Hund, und keif, die Frau.
Was taats es denn da, es Krattler? Finger weg! Ja so ein Gschwerl! Was sich bei uns heutzutag alles rumtreibt, seit wann gibts denn so was, schleichts eich, Gsindl, varkemmenes, schleichts eich und lassts eich bloß nicht mehr blicken.
Meine Mutter versuchte, den nächtlichen Holzklau als Abenteuerspiel aufzuziehen. Brennholzsammeln sei ebenso wenig ein Vergehen wie Mundraub. Jeder Mensch habe das Recht auf ausreichend Nahrung und eine geheizte Wohnung. Gott lässt die Bäume wachsen und damit gehört das Holz allen. Erde, Wasser, Luft und Sonne seien Allmende, sagte sie. So war das schon im Mittelalter.
Seit das gemeinschaftliche Eigentum mehr und mehr verschwindet, seien Gut und Schlecht ungerecht verteilt. Kälte und trockenes Brennholz zum Beispiel.
Unsere Religionslehrerin sagte aber, niemand darf einem anderen etwas wegnehmen, Diebstahl ist Sünde.
Die redet sich leicht, sagte meine Mutter.
Normal heißt es: Frühling, Sommer, Herbst und Winter. In unserer Behausung war es anders: Frühling, Sommer, Herbst und was danach kam, wollten wir nicht wissen. Die Winter unserer Salettl-Jahre hatten jeder einen eigenen Namen:
der Kalte
der Nasskalte
der Sibirische
der Bodenlose (als die verfaulten Dielen durchbrachen)
der Verkackte (als das Klo einfror)
der Finstere (siebzehn Tage kein Strom)
Jeder anders, aber alle furchtbar.
Anfangs hatte ich eine schöne Kindheit. Wir lebten in einem Häuschen mit Garten, mein Vater hatte sein Ingenieurbüro im Souterrain, meine Mutter kümmerte sich um Küche und Garten, Leute kamen auf Besuch.
Dann fingen meine Eltern an zu streiten, und als es nicht mehr auszuhalten war, sagte meine Mutter, wir ziehen nach Garmisch. Ich dachte, alles ist besser als endloser Streit und eisiges Schweigen.
Am ersten Ferientag nach der dritten Klasse stand ein Lieferwagen vor dem Haus, ein Mann, der unsere Sprache nicht verstand, packte unsere Habseligkeiten in den Laderaum und fuhr mit uns nach Süden ins Gebirge.
Mama sagte, Jens hat für uns ein wunderschönes, verwunschenes Gartenhäuschen klargemacht. Er zieht in Garmisch eine Firma für moderne Holzarchitektur hoch. Ich mache ihm das Büro und du gehst zur Schule. Sie kannte Jens von früher. Er hatte in derselben Firma gearbeitet wie mein Vater.
In einer von Bergen umgebenen Stadt bog der Lieferwagen an einem Wohnblock ab, fuhr durch einen Park mit Bäumen und Sträuchern und hielt an einem Gartenhaus, von dem die Farbe abblätterte.
Unser Chauffeur warf einen Blick in das Häuschen und zuckte mit den Schultern. Erst ausräumen! Die Hütte war voller Gerümpel.
Kein Jens, kein Vermieter, nur eine Drittklässlerin und ihre Mutter. Die sagte, ganz einfach, was drin ist, kommt raus und was draußen steht, kommt rein. Wenigstens schien die Sonne. Wir machten uns an die Arbeit. Irgendwann kam der Hausbesitzer und sagte, recht habts, machts es eich no schee.
Als die Sonne hinter den Bäumen verschwand und es schattig wurde ums Haus, erschien Jens auf einem Liegefahrrad. Die nächsten Tage durften wir bei ihm übernachten, tags arbeiteten wir im Gartenhaus. Einiges von dem Gerümpel konnten wir noch verwenden, etliche Möbel hatten wir selbst, den Rest holten wir mit einem geliehenen Auto vom Trödel oder vom Sperrmüll.
Warum können wir nicht bei Jens wohnen, er hat doch genügend Platz?
Das meinst du, aber einmal ist es Jens’ Haus und dann braucht er Ruhe für seine Arbeit.
Aber ich geb doch Ruhe.
Nein, wenn Leute herumwuseln, kann er nicht arbeiten.
Jens hatte aber kein Architekturbüro, und meine Mutter keinen Job. Mangels Aufträgen lebte er von Renovierungsarbeiten an den Mietshäusern unseres Vermieters. Jens musste sich darum kümmern, dass die Handwerker leer werdende Mietwohnungen möglichst schnell und billig reparierten.
Der Vermieter, der Edfellner, kassierte die Miete pünktlich und in bar.
Das gibts doch nicht, jammerte meine Mutter, ist der Monat schon wieder vorbei? Händeringen und Wehklagen. Lieferte sie die Miete nicht am Monatsersten in seinem Büro ab, erschien der Vermieter bei uns in der Hütte, ohne Gruß und ohne anzuklopfen. Die Tür ging auf und ein derber Brocken Mann stand in der Wohnküche, breitbeinig, barsch und laut.
Damitst dich auskennst, in Zukunft bringst mir das Geld jeden Monat am ersten Werktag im Büro vorbei, jedes Wort eine Wolke üblen Mundgeruchs. Und wennst kein Geld nicht hast, kommst trotzdem vorbei. Da fallt uns schon was ein.
Im Herbst wurde das Dach undicht. Ein Kübel stand im Schlafzimmer und einer in der Küche. Über dem Bett hatte meine Mutter einen Regenmantel so geschickt an die Decke genagelt, dass das Wasser genau in den Eimer neben dem Bett tropfte. In der Küche hatte sie an der undichten Stelle mit Draht einen Plastiktrichter am Plafond fixiert.
Ich sehnte mich nach dem gemütlichen Hexenhaus, in dem wir zusammen gewohnt hatten, und nach dem Vater, der auf mich aufpasste. Ich wäre gern wieder mal zu meinen Großeltern gefahren und zum Ballett gegangen, ich hätte gerne Klavierunterricht gehabt, aber ich wollte es meiner Mutter nicht noch schwerer machen.
An einem dunklen Nachmittag, der so kalt war, dass der Himmel nicht wusste, ob er seine Nässe als Regen oder Schnee ins Tal schütten sollte, klagte meine Mutter wieder einmal über alles, was ihr zusetzte: meinen Vater, der keinen Unterhalt zahlte, Jens, der ihr einen Job versprochen hatte, aber nichts auf die Reihe kriegte, die Plattenfirma, die ihre Songs nicht wollte, Freundinnen, die sich nicht mehr meldeten und die Gemeindewerke, die ständig Geld von ihr wollten.
Das war ungefähr die Situation, als es an die Tür klopfte.
Geh du hin, ich schaffs jetzt nicht.
Ich machte auf und draußen stand ein dicker, großer Bär.
Ich möcht nicht wissen, wie lang die zwei Weiber schon mit den Wassereimern in der Bude gehaust haben. Es hat nämlich nicht so ausgeschaut, als wenn sie die Kübel grad hingestellt hätten. Die Dachschindeln waren dick mit Moos zugewachsen, an ein paar Stellen sind schon kleine Bäumerl rausgwachsen, da kraxelst lieber nicht nauf, hab ich mir denkt. Am End ist der Dachstuhl schon so durchgfault, dass ich durchbrech und bei dene mitten im Zimmer steh.
Ich hab ihnen öfter paar Kisten Holzschnitt von der Werkstatt vorbeibracht, damit sie es warm haben in der Hüttn, ein gescheites Schloss an die Tür montiert und einen alten Gasherd reingestellt, damit sie nicht wegen jeder Tass’ Kaffee den Herd einheizen müssen.
Später hab ich noch das Klohäusl isoliert, damit ihnen, wenns kalt wird, nicht dauernd der Spülkasten einfriert. Bis dahin ist nämlich die ganze Zeit der Heizlüfter gelaufen, kostet ja auch was.
Die Doris war irgendwie eigenartig. Von Weiten hat man denkt, sie ist eher still und schüchtern, aber sie hat auch andere Seiten gehabt.
Weil es ihnen wirklich nass eingegangen ist, hab ich die Doris und ihre Mutter gleich im ersten Winter nach Garmisch zum Ringsgwandl nübergfahrn. Das muss 84/85 gewesen sein. Der Heini, mein Chef in der Behindertenwerkstatt, hat gesagt, in der Griesgartenstraß wohnt ein Doktor vom Krankenhaus, die brauchen wen im Haushalt, vielleicht ist das was für die Rosa. Ich fahr also mit dem Behindertenmobil nach Partenkirchen nüber und hol die zwei ab. Ich hab mir denkt, die Rosa steigt mit der Doris bei mir vorn ein, passen ja drei Leut auf die Vordersitz. Die Kleine wollt aber partout hinten einsteigen. Gut, hab ich gesagt, dann gehst halt auf die Rückbank. Sie wollt aber ganz hinten einsteigen, durch die Hecktür. Der Behindertentransporter hat nämlich hinten eine Ladefläche gehabt mit Schienen für den Rollstuhl. In den wollte sie sich reinsetzen.
Ist mir schon komisch vorkommen. Normalerweise setzt sich ja kein Mensch freiwillig in einen Rollstuhl.
Ich mach also die Hecktür auf und die Kleine kraxelt auf den Rollstuhl. An der ersten Ampel schau ich in den Rückspiegel und seh, wie sich die Doris in dem Rollstuhl hin und her schmeißt, den Kopf nach hinten reißt und das Gesicht verzerrt, die Zung hat sie rausgstreckt und ruckartig mit die Arm’ gfuchtelt. Die wird doch keinen epileptischen Anfall kriegen, hab ich mir denkt, und in dem Augenblick klopft schon ein älterer Herr ans Seitenfenster und deutet aufgeregt nach hinten.
Die Rosa hat sofort das Fenster runterkurbelt und sagt ganz freundlich Danke zu ihm, ganz herzlichen Dank, sehr nett von Ihnen, wir sind schon auf dem Weg zum Arzt, fahrt das Fenster wieder hoch und faucht nach hinten: Doris, hör sofort auf mit dem Quatsch. Über Behinderte macht man sich nicht lustig, und schon gar nicht im Behindertenmobil.
Ich hab bloß gesagt: Ganz schön raffiniert für eine Elfjährige.
Ist sie ja noch nicht mal, hat die Rosa darauf gesagt, sie ist ja erst zehn. Ich weiß auch nicht, wo sie das aufgeschnappt hat.
Ich schau in den Rückspiegel und seh, wie sie sich zusammenfallen lässt und starr in die Gegend glotzt, der Speiberling [Speichel] ist ihr aus dem Mund gelaufen, echt gruselig. Ich hab die zwei dann in der Griesgartenstraße abgesetzt, an einem von den schönen Häusern im alten Garmischer Ortskern. Und dann, das war witzig, haben sich die Rosa und dem Ringsgwandl seine Frau begrüßt wie zwei alte Freundinnen. An das kann ich mich noch gut erinnern, weil ich mir denkt hab, warum muss ich die extra von Partenkirchen nach Garmisch nüber fahren, wenn sie sich eh schon kennen. Aber es gibt ja die verrücktesten Zufälle.
Anderl, du hast mir Dinge aus meinen ersten Jahren bei den Ringsgwandls erzählt, die ich längst vergessen hatte. Vielleicht ist dein Gedächtnis so gut, weil du mehr zuhörst und weniger redest. Als ich mit dem Babysitten in der Griesgartenstraße anfing, war ich zehn. Seitdem sind mehr als zwanzig Jahre vergangen. Sei mir nicht böse, wenn dir das, was ich von deinen Erzählungen aufschreibe, fremd vorkommt. Die bayerische Grammatik und erst recht die Aussprache sind auf Papier kaum wiederzugeben. Ich schreibe deine Worte auf, so gut es geht. Trotzdem wird das nicht annähernd so lebendig, eigen und fein abgetönt klingen, wie ich es von dir gehört habe.
Wie ich lebe, was ich treibe, wie mein Tag so geht.
Wenn ich im Kinderzimmer der Ringsgwandls aufwache, ist es ein guter Tag. Ich habe die Nacht zwischen dem Bett und dem Hund unter meiner Wuscheldecke auf dem weichen Schaffell verbracht, stehe als Erste auf und wasche mich. Das Kinderzimmer ist eine gemütliche kleine Höhle unter dem Dach. Durch das halb offene Fenster hört man leise irgendwo ein Auto fahren oder im Garten fauchend eine Katze mit einem Marder streiten. Der Hund ist als Wachhund angeschafft worden, bellt aber erst, wenn jemand klingelt oder an die Tür klopft. Herr Ringsgwandl sagt, der Hund ist eine Mischung aus Collie, Labrador und anderem. Keine anerkannte Züchtung, aber wenn wir Glück haben, ist er der Erste einer neuen Rasse. Seine Frau lacht darüber, ich weiß aber nicht, warum.
Wenn ich die Kleine angezogen habe, frühstücken wir zusammen in der Küche, kurz nach halb acht nehme ich meinen Schulranzen und gehe mit Herrn Ringsgwandl zu seinem Auto. Auf dem Weg zu seinem Krankenhaus setzt er mich an der Rathauskreuzung ab. Es sieht aus wie bei den anderen in meiner Klasse, die jeden Tag von ihrem Vater im Mercedes zur Schule gebracht werden. In der Pause verdrücke ich das Brot, das mir Frau Ringsgwandl gemacht hat, und trinke Apfelschorle aus meiner Bergsteigerflasche.
Nach der Schule gehe ich wieder heim zum Mittagessen mit Frau Ringsgwandl und der Kleinen, außer Gidi Soyka hat zur gleichen Zeit aus. Dann treffen wir uns am Bahnhofsplatz und gehen zu ihm, weil seine Mutter a) sehr gut kocht und es b) bei den Soykas immer eine Nachspeise gibt. Dann machen wir Hausaufgaben, er seine und ich meine. Danach korrigiere ich, was er geschrieben hat, und wenn er etwas nicht verstanden hat, erkläre ich es ihm. Nachhilfeunterricht gegen Verpflegung. So machen wir es, seit Gidi mit seinem Vater und Anderl das Dach unserer Gartenhütte geflickt hat. Weil die Männer den dünnen, alten Sparren nicht recht trauten, schickten sie den leichten, wendigen Buben aufs Dach. Er hatte von seinem Vater schon ein paar Zimmererhandgriffe gelernt. Als es ans Bezahlen ging, meinte Anderl zum Soyka Peter: Du hast doch vorhin gesagt, dein Bub tut sich in der Schule grad schwer. Vielleicht hilft ihm die Doris mal zwischendurch. So haben wir uns kennengelernt.
Gidi ist fast genauso alt wie ich, aber ein bisschen kleiner. Wenn wir mit den Schulsachen fertig sind, gehen wir auf den Balkon und spielen mit dem Reh. Gidis Vater kennt viele Bauern und Jäger in der Gegend, und wenn ein Tier verletzt wird, bringen sie es oft zu dem alten Forsthaus. Die Soykas wissen nämlich, wie man mit wilden Tieren umgeht, und haben einen Balkon mit genügend Auslauf.
Eine Weile hatten sie ein Rehkitz mit drei Beinen und einmal einen kleinen Fuchs, dessen Mutter überfahren worden war. Wir füttern die Tiere und wenn sie uns besser kennen, lassen sie sich sogar streicheln.
An ganz guten Tagen, wenn meine Mutter unterwegs ist und ich bei den Ringsgwandls nicht babysitten muss, darf ich bei Gidi übernachten.
Nicht so gute Tage sind, wenn ich in der kalten Jahreszeit nach der Schule heimmuss und einer der folgenden Punkte zutrifft:
meine Mutter ist nicht da
meine Mutter ist da, hat aber nichts gekocht
meine Mutter ist da und hat etwas gekocht, das ich nicht mag
meine Mutter ist nicht da und der Ofen ist ausgegangen
meine Mutter ist ausgegangen, der Ofen warm, aber nichts zum Essen im Haus
meine Mutter ist fort, der Ofen aus und das Essen kalt
SAF = der schlimmstanzunehmende Fall: Meine Mutter ist da, Jens aber auch, sie unterhalten sich, das Feuer geht aus, kein Brennholz und nichts zu essen da, außer Zwiebeln und altem Brot.
In meinem Schulranzen befinden sich immer Zahnbürste, Unterhose, Unterhemd und ein paar Socken. Wenn bei den Ringsgwandls Waschtag ist, stecke ich mein Zeug mit in die Maschine, und wenn es trocken ist, kommt es in meinen Koffer in der Rumpelkammer.
Herumduschen, herumwohnen, herumessen.
Rumduschen ist ein Wort, das Herr Ringsgwandl erfunden hat. Er sagte einmal: Doris, die Rumduscherin vom Garmischer Talkessel. Es klang komisch, aber es stimmte. Bei uns im Gartenhäuschen konnte man nämlich nur baden, wenn man einen Riesentopf Wasser auf den Herd stellte, kräftig einheizte, das Zinkwännchen von draußen reinholte, vorsichtig heißes und kaltes Wasser hineingab, mit dem Zeigefinger die Temperatur prüfte und sich schnell hineinsetzte, ehe die Brühe zu kalt wurde.
Im Sommer, wenn das Wetter warm genug war, stellten wir uns unter die Gartendusche, aber nur, wenn der Edfellner nicht draußen herumstreifte.
Manchmal badete ich bei fremden Leuten. Bei Geburtstagseinladungen von Freundinnen aus meiner Klasse oder wenn ich Frau Ringsgwandl mit der Kleinen zum Kaffee bei Bekannten begleitete.
Die besten Duschen gab es im Hallenbad. Leider nur gegen Eintritt. Ich verdiente zwar Geld beim Babysitten, musste damit aber sparsam umgehen. Meine Mutter sagte, du machst es genau richtig, durchschlängeln und bloß nicht auffallen.
Von den Ringsgwandls wurde ich anderen Familien empfohlen. Eine Zeitlang habe ich in mehreren Haushalten babygesittet, aber bald wurde es so viel, dass ich hauptberuflich als Babysitterin hätte arbeiten können. Ich versuchte, meine Jobs gegen eine kleine Gebühr an andere in der Klasse zu vermitteln, klappte aber nicht. Entweder bekamen sie von zu Hause zu viel Taschengeld oder die Auftraggeber waren unzufrieden.
Manchmal war das Babysitten schön, es gab aber auch Kinder, bei denen ich dachte: nie wieder. Manche Familien sind die Pest:
kleinliche Bräuche
klamme Stimmung
übel riechende Hunde
keine Manieren, weder bei den Kindern noch beim Hund
speckige Küchen mit klebrigen Griffen und
zu viele Arbeiten, die Sache der Putzfrau sind.
mit laaangem i, weil es von Ägidius kommt. Aegidius, betont auf der zweiten Silbe, nicht auf dem Ä von Ägid, wie es im Bayerischen heißt.
Gidi mit langem ersten i, nicht Giddy mit kurzem i wie bei Bo Diddley.
Gidi mit langem i, weil er nett und ruhig ist und sanft und unvorstellbar knuddelig, wie ein gut riechender Welpe, knochig, weiches Fell und weiche Schnauze. Und wenn er an dir herumschnuppert, wirst du am ganzen Körper kitzelig.
Er war ein Einzelkind wie ich, und zusammen wären wir eine Familie gewesen, wenn sich die Erwachsenen nicht so angestellt hätten. Kein Vorwurf, nur eine leise Klage. Ich war zwar ein Einzelkind, hatte aber eine größere Familie als die meisten anderen in meinem Alter. Die Ringsgwandl-Tochter war meine kleine Schwester, Gidi mein Bruder, Frau Ringsgwandl meine Tante, Freundin und große Schwester, Herr Ringsgwandl mein Schutzonkel, Chauffeur und Hausarzt, und Anderl war mein guter Geist.
Ich war nicht so unerschrocken wie Pippi Langstrumpf, aber ich habe mit zehn Jahren an einem fremden Ort gelebt, ohne Freunde oder Verwandte, ohne Vater oder Geld, mit einer verpeilten Mutter in einem Holzhäuschen, trotzdem die Schule geschafft und nebenbei mein Taschengeld verdient. Der Spott der Giftprinzessinnen aber traf mich wie ein Schlag aus heiterem Himmel. Ich hatte in der Klasse von dem dreibeinigen Reh auf dem Balkon der Soykas erzählt. Ich dachte, das sei etwas, worüber man sich freut. Ich dachte, alle, die sich auch nur ein bisschen vorstellen können, wie der Mähbalken eines riesigen Traktors einem jungen Reh ein Bein abschneidet, freuen sich, dass das Rehkitz überlebt und von netten Leuten aufgezogen wird.
Von den niederträchtigen Weibern kam aber nur Spott und Verachtung.
Och, wie süß, humpelt ganz drollig auf drei Beinen. Hallo, hat jemand von euch mein Bein gesehen?
Ich war weder auf die eiskalte Schadenfreude gefasst noch darauf, dass auch die anderen in der Klasse darüber lachten.
Miese, fiese, dumme Hühner. Ihr habt mich aus meiner Kindheit verjagt. Sie fielen über mich her wie eine Meute böser Hunde, alle außer einer.
Agnes hatte vom Rand des Pausenhofs aus zugesehen, und als ich weinend Richtung Toiletten fliehen wollte, legte sie mir den Arm um die Schultern und sagte, komm, wir gehen eine Runde spazieren. Seitdem gehört sie zu meinen Penaten.
Die heilige Agnes vom Königreichssaal. Die tapfere Agnes aus dem Graswangtal.
An manchen Abenden kommt ein Notfallanruf und Herr Dr. Ringsgwandl fährt im Dunkeln zum Krankenhaus. Er sagt, ich bin Tag- und Nachtoberarzt, nachts für die akuten Fälle, tagsüber für die chronischen. Seine Frau arbeitet auch schwer, aber zu Hause. Sie schreibt an ihrer Doktorarbeit, aber nicht notfallmäßig, sondern eher chronisch. Sie hat mir erklärt, dass man statt Doktorarbeit schreiben auch promovieren sagen kann. Wenn Frau Ringsgwandl nach der Tagesschau noch promoviert, bringe ich die Kleine ins Bett. Anfangs hatte ich Angst, dass Frau R nur selten einen Babysitter braucht. Mit ihrer Doktorarbeit hat sie aber so viel Arbeit, dass ich oft mehr in der Griesgartenstraße bin als daheim. Wenn die Kleine eingeschlafen ist und Frau Ringsgwandl die Nase voll hat von der Doktorarbeit, setzen wir uns aufs Sofa und schauen Farbfernsehen. Sie trinkt Rotwein und ich bekomme so viel Limo, wie ich will. Inzwischen sage ich Christiane und du zu ihr. Vielleicht würden meine Mutter und mein Vater auch noch zusammenleben, wenn er nicht zu Hause gearbeitet hätte, sondern wie Herr Dr. Ringsgwandl zum Arbeiten woanders hingefahren wäre. Christiane sagt, für die Ehe ist es das einzig Wahre, wenn der Mann woanders arbeitet. Wenn er sein Büro daheim hat, sieht er immer gleich alles, was nicht stimmt, und das nervt.
Inzwischen bin ich auch mit Herrn Ringsgwandl per Du. Du, Georg und du, Doris. Bei meiner Gastfamilie ist alles ziemlich normal bis auf den Verstärker und den hellbraunen Gitarrenkoffer im Wohnzimmer, auf dem Gibson steht. Am Wochenende kriegt Georg manchmal Besuch von zwei Männern aus München. Der eine sagt Girgl zu ihm und der andere Gääorg. Georg sagt zu dem, der Girgl zu ihm sagt, Georgie oder George. Ich finde das eine gute Lösung, weil, wie soll man sonst wissen, wer von den Georgs gemeint ist? Vor Kurzem rief Georgs Schwester an und fragte, ob sie den Schorschi sprechen kann. Georg, Girgl, Schorschi, Schorsch: verwirrend.
Georgie ist ein großer, kräftiger Typ mit Rocknrollfrisur und Cowboystiefeln, die er sich vom besten Schuster Mexikos aus Rinds- und Schweinsleder auf Maß hat anfertigen lassen. Nur die Verzierung vorne am Schaft ist aus Pythonleder. Eigentlich hätten noch Sporen an die Fersen gehört, aber die wollte Georgie nicht, weil sie beim Autofahren stören. Pferd oder Auto, hatte der Schuster in San Miguel de Allende zu ihm gesagt, deine Entscheidung, Gringo. Wenn ich mit George rede, muss ich seinen Namen immer englisch aussprechen, Dschoadsch. Wenn er Rocknroll sagt, klingt es wie Racknroul. Den amerikanischen Akzent habe ich, sagt er, weil ich in Ami-Clubs schon Racknroul gespielt hab, da bist du noch mit die Engerl rumgeflogen. George spielt E-Gitarre, die Abkürzung für Elektrogitarre. Der andere Musiker heißt Balint und spielt Saxofon, Klarinette und Keyboard. Er ist höflich und hat feine Manieren. Wenn beim Üben Uneinigkeit aufkommt, sagt Balint, ich habe in Ungarn auf Universität von Musik studiert, ich habe staatlichen Jazzdiplom und Diplom von klassische Musik. Er ist ausgewandert, hat er uns beim Kaffee im Garten erklärt, weil in klassische Orchester von Ungarn zu wenig Saxofon gespielt wird. Nachher haben sie im Wohnzimmer ein schwieriges Lied probiert, bei dem George und Girgl nicht wussten, welche Akkorde sie auf der Gitarre greifen müssen. Balint hörte sich das Lied einmal an und schrieb den Georgs die Akkorde auf. Ziemlich viele, sowohl Dur als auch Moll. Sogar ein B4-Akkord kam vor. Weder Girgl noch George hatte je davon gehört. Balint musste ihnen erst zeigen, wie man B4 auf der Gitarre greift.
Die Art von Musik, die die drei Männer spielen, haben wir in der Schule noch nicht durchgenommen. Sie klingt ganz anders als die Musik im Radio. Manchmal stellt sich die Kleine in die Wohnzimmertür und beobachtet die drei Männer. Anfangs guckt sie ganz ehrfürchtig, dann kichert sie und sagt: Musiiich! Musiiich! Vielleicht ist das der Stil, den sie spielen, Musiiich.
Nachdem sie einige Male im Wohnzimmer geprobt hatten, traten Girgl, George und Balint mit ihren Liedern öffentlich auf, aber immer weit weg. Allgäu oder Innviertel. Im Krankenhaus sollte nämlich niemand erfahren, dass einer der Oberärzte öffentlich als Dr. Muschnik auftritt. So stand es nämlich auf den Plakaten, die er selber entworfen hatte: Luxuriöse Unterhaltung mit Dr. Muschnik. Die Ortschaften, in denen das Trio spielen durfte, waren so weit weg, dass Dr. Muschnik erst spätnachts zurückkam. Manchmal fuhr Anderl mit zu den Konzerten, und wenn er auf einen Tee in der Hütte vorbeikam, erzählte er die unglaublichsten Geschichten.
Ich bleibe beim Babysitten gern über Nacht in der Griesgartenstraße. Ich achte darauf, dass die Kleine ihr Essen kriegt, und setze sie rechtzeitig auf den Topf. Ich spiele mit ihr im Garten, nehme sie an der Hand und bringe Briefe mit ihr zur Post. Sie bewundert mich. Sie ist stolz auf ihre große Freundin und läuft neben mir her wie ein Hündchen. Das Haus in der Griesgartenstraße ist meine warm geheizte Ausweichheimat, wo ich mit allem versorgt werde, was sich meine Mutter nicht leisten kann.
Seit ich babysitte, muss ich nicht mehr verlegen abseits stehn, wenn sich die Mitschülerinnen am Kiosk eine Fanta oder was zum Essen kaufen. Kann ich jetzt auch. Und ich verdiene mein Taschengeld selbst. Niemand sagt zu mir, wenn du das oder jenes nicht tust, kriegst du kein Taschengeld mehr. Vielleicht verdiene ich einmal so viel, dass ich mich alleine ernähren kann und meine Mutter noch dazu. Sage ich aber nicht, sonst empört sie sich.
Bist du verrückt? Du musst in die Schule und danach hast du noch Hausaufgaben.
Die kriege ich immer hin, außerdem hilft mir Christiane. Für sie bin ich nämlich wie eine große Tochter. Das sage ich aber nicht.
Meine Mutter arbeitet jetzt auch manchmal bei den Ringsgwandls. In einem Haushalt mit drei Personen gibt es zum Beispiel immer etwas zu flicken. Meine Mutter hat vor meiner Geburt Modedesign studiert, dadurch kann sie Hosen rauslassen oder Bettbezüge reparieren. Gerade hat sie von Christiane einen Großauftrag bekommen, die Vorhänge im Schlafzimmer und im Kinderzimmer. Das hat sich im Bekanntenkreis der Ringsgwandls rumgesprochen und nun kriegt Rosa Anfragen von anderen Arztfamilien, aber auch von normalen Leuten. Überall gibt es zerrissene Hosen und Blusen oder Röcke, die abgeschnitten, enger oder weiter gemacht werden müssen. Sie sagt: Langsam komme ich mir vor wie eine Störnäherin in der alten Zeit. Damals gab es Frauen, die von Haushalt zu Haushalt zogen und Flick- und Änderungsarbeiten erledigten. Nichts zum Reichwerden, sagt Rosa, aber das habe ich ja auch nicht vor. Mein Plan ist ein ganz anderer.
Jens, ihr Freund, sagte kürzlich zu ihr, dadurch, dass ich Architekt bin, bekommst du jetzt zunehmend innenarchitektonische Aufträge. Und wenn sich die Bereiche Modedesign und Innenarchitektur bei dir so weiterentwickeln, kannst du auch den einen oder anderen Bauauftrag für mich an Land ziehen.
Und Jens bringt, wenn er für jemanden ein Haus baut, dann seinerseits Rosa für die Innenausstattung ins Spiel. Das ist der Vorteil einer ganzheitlichen Beziehung, sagt meine Mutter, dass privat und Beruf Hand in Hand gehen. Bis das Ganze richtig anläuft, hilft sie noch in der Griesgartenstraße aus. Ihr neuester Entwurf ist ein Schwangerschaftskleid für Christiane. Hoffentlich klappt es. Sonst war der ganze Aufwand nämlich für die Katz.
Am liebsten mag ich den Deutsch-, Sozial- und Erdkundelehrer. Er sagt, die wenigsten von uns leben in einer Familie, wo der Vater morgens zur Arbeit geht, während die Mutter daheim mit den Kindern spielt und in der Küche klappert. Die traditionelle Familie, sagt er, ist mittlerweile selbst bei uns hinter den sieben Bergen die Ausnahme. Trotzdem wählen 80 Prozent noch immer CSU. Warum? Weil sie wollen, dass es so bleibt, wie es nie gewesen ist, und alle lachen, weil keine zugeben will, dass sie nicht verstanden hat, was daran witzig sein soll.
Ich wünsche mir trotzdem, dass meine Eltern wieder so wie früher zusammenleben.
Manchmal durfte ich zu Auftritten mitfahren. Manchmal wenn ich mitfuhr, fand der Auftritt gar nicht statt. Mitte Mai sollte Dr. Muschnik in einem Kleinkunstkeller in München spielen. Um acht hätte die Vorstellung anfangen sollen. Als um halb neun immer noch niemand gekommen war, packten wir die Instrumente wieder ein und gingen in den nächsten Biergarten.
Einmal, an einem schönen Sonntagnachmittag, fuhren wir nach München, weil Dr. Muschnik bei einem Stadtfest auftrat. Die Straße war voller Leute, aber ich weiß nicht, ob überhaupt jemand der grell geschminkten Figur mit den eigenartigen Verrenkungen zuhörte.
Meistens fuhr Anderl mit zu den Auftritten. Im Mai 85 war ich selbst erst elf geworden und musste auf ein Kind aufpassen, ab Sommer 1985 dann sogar auf zwei. Anderl kam, wenn nötig, auch ohne Alkohol aus und konnte Georg, der sich nur nach ein paar Bieren auf die Bühne traute, nach den Vorstellungen wieder heimfahren. Im gemächlichen Gang der Behindertenwerkstatt fiel es nicht auf, wenn Anderl es am nächsten Tag etwas ruhiger angehen ließ.
Nicht das alte MUH in der Innenstadt, sondern ein ungemütlicher Saal im zweiten Stock von einem öden Riesenwirtshaus in der Vorstadt, wo unter der Woche nichts los ist. Der Wirt hat ein Pappschild an die Tür hingehängt und MUH draufgeschrieben. Irgendwer, wird er sich gedacht haben, wird schon kommen. Da haben sie an einem verregneten Dienstagabend spielen dürfen.
Ich bin mit dem Kombi hinten in den Hof hineingefahren, und die drei haben ihr Glump die Treppen hinaufgeschleppt. Allein dem Georg sein Fender Twin langt schon für einen Hexenschuss. Dafür haben sie dann eine halbe Stunde in einem grausigen, kalten Saal spielen dürfen, in dem verstreut paar Leut rumgehockt sind. Ein Licht wie in einer Aussegnungshalle, eine windige Verstärkeranlage und ein Tonmann, der nicht gewuppt hat, wie sie funktioniert, einfach trostlos. Bei Kleinkunstabenden treten immer vier oder fünf Leut auf, das heißt, am Schluss hats für jeden dreißig Mark geben. Beim Dr. Muschnik war das ein Zehner für jeden. Das hat nicht mal fürs Benzin glangt. Nachher das Glump wieder die Treppen runterschleppen und wie sie sich beim Regen im Dunklen auf dem Hof verabschieden, sagt der Saxofonist: Gäorg, bei mir ist Nase voll, ich habe Diplom von Musikuniversität in Budapest, mit Amateurkombo trete ich nicht mehr auf. Ein Zehner Gage, abzüglich Benzinkosten, abzüglich je ein Hunderter für seine zwei Musiker, weil sie sonst gar nicht mit ihm gespielt hätten, ich hab mir denkt, warum tut er sich so was an?
Am wenigsten hat er noch draufgezahlt, wenn er allein aufgetreten ist. Im Januar 85 hab ich ihn einmal kurz nach fünfe vom Krankenhaus abgeholt und zu einem Auftritt vom Polt und die Biermöslblosn gefahren. Er hat damals noch nicht offiziell auftreten dürfen, weil er noch in der Probezeit war. Wenn im Krankenhaus jemand erfahren hätt, dass der neue Oberarzt in seiner Freizeit als gscheckert maskierter Dr. Muschnik auf der Bühne rumkasperlt, wär er die Stelle gleich wieder los gewesen.
Die ganze Fahrt bis nach Ainring hats in einem durch gschniebn [geschneit]. Über drei Stund haben wir für die 150 Kilometer braucht. Der Wirtshaussaal gesteckt voll, aber natürlich nicht wegen dem Dr. Muschnik. Die Leut haben auf den Polt gewartet. Der war aber noch auf der Autobahn. Zuerst hat der Wirt die Leut eine geschlagene Stunde warten lassen, und wie der Polt immer noch nicht da war, hat er gesagt, fangma halt mit dem Dr. Muschnik an. Der hat inzwischen paar Halbe Bier dringhabt, weil er sich nüchtern nicht auf die Bühne traut hat. Die Leut haben aber überhaupt nix damit anfangen können, dass einer in graublaue Popeline-Shorts und neonfarbene Leggins wie gestört über die Bühne geistert, mit dem E-Bass rumfuchtelt und irgendwas von die Mopedrocker von Neuperlach singt. Gott sei Dank ist der Polt dann kommen, sonst wär der Saal bald leer gewesen. Wie der auf die Bühne ist, hat im Nu eine ganz andere Stimmung geherrscht. Gut, hab ich mir denkt, dann kann sich der Dr. Muschnik abschauen, wie man das richtig macht auf der Bühne. Ohne den Polt und die Biermöslblosn hätte er in so einem Saal nämlich gar nicht auftreten dürfen. Am Schluss sind alle gemeinsam auf die Bühne, aber da war er dann schon so dicht, dass er bei der Verbeugung beinah umgefallen wär. Im Auto ist er nach der zweiten Kurve eingeschlafen. Inzwischen ist der Schnee noch einen halben Meter höher gelegen, und ich hab den Dr. Muschnik mit seinem bunt verschmierten Gesicht wieder drei Stunden heimkutschieren dürfen.
Anderl, ich schreibe jetzt normal weiter. Ich habe mich bemüht, deine Erzählungen in Buchstaben zu fassen, aber am Ende liest es sich doch sperrig und klingt eben nie so warm und schön, wie wenn du sprichst.
Wie gesagt, es war schwierig mit den Auftritten. Nachdem Georg zigmal angerufen hatte, ohne jemand zu erreichen, fuhr er eines Nachmittags nach München ins Fraunhofer und fragte einen Typen im Büro, ob er bei ihnen auftreten könne.
Wer bistn du?
Ich bin der Doktor Muschnik.
Echt? Gibts von dir ein Video?
Nein.
Irgendwas brauch ich von dir, ich kann ja nicht jeden bei uns auf die Bühne lassen. Wenn dich keiner kennt, kommt keine Sau, und einen leeren Saal kann ich mir nicht leisten.
Georg wusste nicht einmal, ob er mit dem Wirt oder mit einem Helfer gesprochen hatte. Die nächsten Wochen klopfte er bei allen Kleinkunstbühnen Münchens an, um ein paar Tage für die Videoaufnahme spielen zu können. Aber keiner hatte Termine für Dr. Muschnik.
Schließlich erbarmte sich der Wirt der Drehleier und gab Dr. Muschnik fünf Tage im Oktober. Inzwischen hatte die Band einen neuen Keyboarder. Ein gutmütiger Typ namens Bernd, den Georg wegen seinen kräftigen Armen und dem kahlen Schädel Rambo nannte.
Obwohl wir einige Wochen vorher in der Umgebung der Drehleier Plakate aufgehängt hatten und die Auftritte in der Zeitung angekündigt waren, kamen an den ersten zwei Tagen nur zehn, zwanzig Leute, und die auch nur, weil Georgs alte Freundin Helga ihren Bekanntenkreis mobilisiert hatte. Ohne sie wären fünf oder sechs in dem Saal gesessen, der gut zweihundert fasste. Helga war es auch, die für Stimmung sorgte, indem sie bei jeder einigermaßen witzigen Stelle auf den Fingern pfiff wie ein Handwerker, gellend lachte und wie verrückt klatschte.
Am dritten Tag standen zwei gute Kritiken in der Zeitung, und ab da war der Saal rappelvoll.
Damals sagte meine Mutter zum ersten Mal, jetzt hat er es geschafft. Wer eine Superkritik in der Süddeutschen kriegt und dreimal die Drehleier ausverkauft, der hat es geschafft.
Der Wirt sagte: Georg, für den Anfang nicht schlecht, aber wenn du weiterkommen willst, brauchst du eine Platte. Er hatte recht. Weder die Zeitungskritiken noch die ausverkauften Vorstellungen in München führten dazu, dass die Bühnen auf dem Land Dr. Muschnik engagiert hätten. Herbst, Winter und Frühling gingen ins Land, und die Band mühte sich immer noch durch Jugendheime und Kleinkunstschuppen, vor mehr oder weniger Publikum, teils be-, oft aber auch entgeistert.
Eines Abends im Sommer 1986 sagte meine Mutter: Doris, ich fahre im August mit zu den Plattenaufnahmen nach Niederbayern. Jens ist bei seinen Eltern in Bad Oeynhausen und ich hocke mich nicht in die Gartenhütte und warte, bis der Edfellner anklopft.
Und ich?
Du machst mit deinem Vater Ferien am Gardasee.
Ich bin zwölf, und mein Vater fährt mit mir in die Ferien.
Sein Geschenk zu meinem zwölften Geburtstag: einzigartige Ferien.
Als ich zwölf war, durfte ich das erste Mal mit meinem Vater allein in Ferien fahren.
Ich war erst zwölf und musste mit meinem Vater allein in die Ferien fahren.
Mit zwölf verbrachte ich zum ersten Mal die Ferien mit meinem Vater.
Auf dem Beifahrersitz von Garmisch über Mittenwald und Scharnitz hinunter ins Inntal, vorbei an Innsbruck, hinauf zum Brennerpass und wieder runter ins Etschtal. Hier ist es noch der Eisack, verbesserte mich mein Papa, Etsch heißt das Fließgewässer erst ab Bozen.
Wir blieben zehn Tage auf einem Campingplatz am Gardasee. Mein Vater zerrte zwei Packsäcke aus dem Kofferraum und legte sie auf unserer Parzelle aus.
Das ist mein Zelt und das ist deines.
Ich hatte gedacht, wir schlafen in einem Zelt. Ein kleines Mädchen und sein Vater. Rotkäppchen und der gute Wolf. Die verlorene Gretl und ein schützender Riese. Abends schickte er mich in den Schlafsack, morgens frühstückten wir vor unseren Zelten, immer in Eile, weil er zu seinem Surfkurs musste. Ich schaute ihm hinterher, und als sein Wagen außer Sichtweite war, trottete ich zu der Ferienfreizeit, die er für mich gebucht hatte. Blödsinnige Spiele mit kleinen Kindern. Nach ein paar Stunden merkte der Animateur, dass ich schon etwas selbständiger war, und beförderte mich zur Tutorin. Eines von den Kleinen musste noch gewickelt werden. Warum bin ich nicht gleich in der Griesgartenstraße geblieben?
Mein Vater war absolut korrekt zu mir. Nicht böse, immer höflich, kein persönliches Wort. Kein Streit, kein Zorn, keine Freude, nichts Lustiges, kein Lachen, nicht mal ein Lächeln. Vielleicht, dachte ich, ist Humor bei Statikern verboten. Wenn es darum geht, Häuser oder Brücken so stabil zu bauen, dass sie nicht zusammenbrechen, ist kein Platz für Spaß. Dafür Zurechtweisungen und Fragen. Ob ich mir schon die Zähne geputzt hätte, ob ich auch nicht vergessen hätte, unsere Wäsche zu waschen und aufzuhängen. Und jeden Tag einen Einkaufszettel mit dem, was ich in dem Supermarkt am Zeltplatzeingang besorgen sollte. Spaghetti, Hackfleisch, Tomatenmark und Bier.
Wenn du willst, kannst du dir ne Limo mitnehmen.
Mein Aufsatz über die Ferien wäre kurz gewesen: Fahrt zum Ferienort. Zehn Tage mit einem Kühlschrank. Rückfahrt.
Ich fand es unmöglich von meiner Mutter, mich mit so einem Vater wegzuschicken, aber sie meinte, er hätte ein Recht darauf. Die Hälfte der Ferien des gemeinsamen Kindes stünden dem Vater zu.
Sogar Schule wäre lustiger gewesen.
Warum zwei Zelte?
Eine Vorsichtsmaßnahme.
Eine was?
Damit kein Gerede aufkommt.
Er wollte sichergehen, dass man ihm nichts anhängen kann. Er ist ja Statiker. Immer auf Nummer sicher und stets korrekt. So tot wie abgebundener Beton.
Die Leute von den anderen Zelten saßen abends am Grillfeuer zusammen.
Ein Feuer? Bist du verrückt? Nicht mit mir, auf gar keinen Fall.
Ein paar Zelte weiter spielte jemand Gitarre, es wurde gesungen, durcheinandergeredet und gelacht, wir hatten nicht mal ein Kofferradio.
Er lief öfter zum Münztelefon, sprach aber nie davon, wen er anrief und warum. Keine riskante Äußerung. Nichts, was gegen ihn hätte verwendet werden können.
Nach ein paar Tagen, als wir morgens stumm beim Frühstück saßen, konnte ich nicht mehr und fing zu weinen an. Ist dir nicht gut? Tut dir etwas weh?
Nein.
Was hast du denn? Hast du etwa Heimweh?
Ich sehnte mich nach dem Vater, der mich auf die Knie genommen und geknuddelt hatte, der mir Farbstifte und Papier gab, mich auf einen Hocker neben sich setzte und mich bei ihm am Tisch malen ließ, während er an seinen Plänen arbeitete. Ich sehnte mich nach meiner Mutter, nach dem Haus in der Griesgartenstraße und nach den Kindern. Ich hätte lieber die ganzen Ferien umsonst auf Kinder aufgepasst, als die Zeit mit einem kalten Vater, der tat, als hätte er die schönen Zeiten miteinander vergessen, auf einem Campingplatz abzusitzen. Ich kam mir vor wie ein Sträfling im offenen Vollzug. Jeden Tag die gleichen Verrichtungen, aufstehen, Guten Morgen Papa sagen, mit dem Waschbeutel zur Wasch- und Kackbaracke latschen, dreimal täglich Nahrung zu sich nehmen, Geschirr spülen und das Zelt sauber halten. Vater- und Kindzombie am Gardasee. Äußerlich nicht von Menschen zu unterscheiden, in Wahrheit jedoch blutleere Gestalten, die sich in einem Zelt- und Wohnwagenlager zwischen normalen Menschen bewegen.
Nach meinem Weinanfall sagte er, ich schau mal, ob du deine Mutter anrufen kannst. Als ob ich ein Findelkind wäre, das an einer Autobahnraststätte vergessen worden ist. Bei dem nur noch geklärt werden muss, ob es lebende Verwandte hat, bevor man es der Polizei übergibt. Rosa hatte mir die Telefonnummer von dem Bauernhof aufgeschrieben, wo sie sich wegen der Plattenaufnahmen aufhielt, aber dort hob fast nie jemand ab, und wenn ich jemanden erreichte, wusste er oder sie nicht Bescheid.
Deine Mutter hat dir doch sicher Taschengeld mitgegeben? Dann geh doch mal zur Telefonzelle und ruf sie an.
Er hätte mir auch Geld geben können, aber ich glaube, es war ihm zu teuer, dass seine Tochter jeden Tag ihre Mutter im Ausland anruft. Es klang immer, als hätte er mich vom Kinderhilfswerk zur vorübergehenden Verwahrung übernommen. Er fragte nie, was ich zu Hause mache, ob ich Freunde habe, wie es mir in der Schule geht oder was mir Spaß macht. So ähnlich, dachte ich, muss es Waisenkindern gehen. Das wurde mein Überlebenstrick. Ich stellte mir vor, ich wäre ein Waisenkind auf der Flucht. Meine Eltern sind im Krieg umgekommen oder in fremdes Gebiet versprengt worden, ein verwundeter Soldat hat mich mit letzter Kraft gerettet und dem Roten Kreuz übergeben. So war es erträglich. Die zehn Tage auf dem Campingplatz waren immer noch besser als Krieg und Bombenangriffe. Nur wenn ich daran dachte, dass es Ferien sind, die ein Vater mit seinem Kind verbringt, fühlte ich mich so jämmerlich und verloren, dass ich mich dafür schämte, wie ein Bettler an der Straßenecke oder ein Obdachloser im Winter auf dem Gitterrost der U-Bahn-Lüftung.
Das Persönlichste, was er zu mir gesagt hatte, war: Hast du Sachen zum Wechseln dabei? Einmal nahm ich meinen Mut zusammen und fragte ihn: Kann ich mal zum Surfen mitkommen?
Er reagierte, als hätte ich etwas Unanständiges gesagt.
Was willst du denn da?
Ich würde gern zusehen, was du da machst.
Das ist für jemanden, der den Sport nicht selbst betreibt, sicherlich völlig uninteressant.
Ich könnte es ja mal versuchen.
Einen Tag lang durfte ich mit. Vormittags war er die ganze Zeit auf dem Wasser, beim Essen während der Mittagsflaute unterhielt er sich mit den anderen, und dann war er wieder weg, bis der Wind einschlief.
Ich stand am Ende des Piers und winkte, wenn er aufs Ufer zukam. Er muss mich gesehen haben, oft war er so nah, dass er beinahe die Poller rammte, aber keine Reaktion. Die Windsurfausgabe von Darth Vader. Vielleicht ist Krieg der Sterne so beliebt, weil viele Kinder Väter haben, die sich eckig bewegen und mit Computerstimme sprechen.
In den zehn Tagen am Gardasee ist ein Teil meiner Seele gestorben. Früher keimte ein Pflänzchen in mir, das auf einen fürsorglichen, beschützenden Vater hoffte, der es gegen üble Gestalten verteidigt, von dem ich Bubendinge lernen könnte, auf eine Familie wie ein Hundekorb, wo weiche, tollpatschige Welpen in der Nestwärme durcheinanderpurzeln.
Geplant waren vierzehn Tage, aber die vier letzten schenkten wir uns. Er setzte mich am Bahnhof in München ab, ich fuhr mit dem Zug nach Mühldorf, wo mich meine Mutter abholte und zu dem Bauernhofstudio brachte. So erlebte ich noch die letzten Tage der Plattenaufnahmen und war dabei, als sich Georg in dem gebrauchten weißen Daimler-Benz Kombi, den er einem Metzgermeister im Unterallgäu abgekauft hatte, mit den fertigen Bändern absetzte.
Larry, der Produzent, hatte Georg angeboten, in seinem Studio eine Platte aufzunehmen.
Wir machen fifty-fifty, ich stelle das Studio mit einem super Tontechniker und super Equipment, und du bringst die Songs mit und die Band.
Rosa kannte Larry schon. Er hatte ihr vor Jahren einen Gebrauchtwagen verkauft, der nach zwei Kilometern zusammenbrach.
Der Bauernhof war ein heruntergekommenes Gebäude in den Hügeln bei Eggenfelden, in dem eine Land-WG hauste. In der Wohnküche stapelte sich das dreckige Geschirr von Monaten.
Das Tonstudio bestand aus einem niedrigen, fensterlosen Aufnahmeraum im ehemaligen Kuhstall, der mit Pressspanplatten und schalldämmenden Eierkartons ausgekleidet war. Durch die Ritzen kroch der Muff von feuchtem, altem Gemäuer. Die Regie befand sich im ehemaligen Saustall, an den unverputzten Bruchsteinwänden klebte noch eingetrockneter Schweinekot. Auf dem krummen Boden aus gestampfter Erde stand ein Tisch mit Mischpult, Bandmaschine und ein verschlissener Bürosessel.
Am ersten Studiotag sagte Robbie, der Toningenieur, er könne nichts aufnehmen, weil keine 8-Spur-Bänder vorhanden seien. Zweitens brauche er Geld, weil die Alimente für sein Kind fällig seien. Dinge, um die sich der Produzent hätte kümmern müssen, der sich aber nur selten blicken ließ, weil er ständig mit einer Dame, die in der Gegend zwischen Mühldorf und Altötting ein berühmtes Trachten- und Dessous-Model war, durch die Gegend fahren musste. Die Plattenproduktion war offenbar nur sein Alibi, um sich von seiner Familie abseilen zu können.
Als Robbie sein Geld bekommen hatte, arbeitete er oft bis spät in die Nacht hinein, kam am nächsten Tag dann aber erst spät aus dem Bett und war den restlichen Tag für nichts mehr zu gebrauchen. Georgie sagte, ganz klar, der ist auf Koks. Als die Songs fertig aufgenommen waren, baute Robbie im ehemaligen Kuhstall eine nagelneue Yamaha Aktivbox auf und spielte uns die fertig gemischten Titel vor. Zum Vergleich ließ er Phil Collins und Lionel Richie laufen.
Und, was meint ihr? Geil, oder? Das heißt, wir klingen besser als Phil Collins und Lionel Richie. Damit brauchen wir uns vor keinem zu verstecken.
Nachdem die Aufnahmen fertig gemischt waren, warteten meine Mutter und ich im gepackten Auto, Georg ließ sich von Robbie die 8-Spur-Bänder geben, sprang in den Wagen und fuhr los. Auf dem Weg zur Landstraße sahen wir, dass Larry uns folgte. Den weißen Metzger-Benz holte er aber nicht mehr ein. Als wir in Garmisch ankamen, war Larry schon auf dem Anrufbeantworter. Er meinte, die Produktion gehöre ihm. Georg sagte, sie gehöre ihm, er habe schließlich alles bezahlt. Ich verstand noch nicht, um was es ging, nur, dass die Stimmung nicht gut war.
Das waren meine Sommerferien 1986 und Georgs Urlaub. Am nächsten Tag rief ein Herr von der Raiffeisenbank an und fragte, Herr Dr. Ringsgwandl, bleibt Ihr Konto noch länger im Minus?
Zum Erscheinen der ersten Platte war ein Konzert in einem großen Münchener Rockclub geplant. An einem nasskalten Novembernachmittag standen wir vor einem hässlichen Betonkasten in einem Vorort von München. Ein paar Metalltüren in der Rohbetonfassade, weder ein Schild, das darauf hingewiesen hätte, dass es sich bei dem Bunker um einen Rockclub handelt, noch ein Eingang zu erkennen. Wir schlichen zweimal um das hässliche Bauwerk und zweifelten schon daran, dass es überhaupt einen gibt. Keine der Türen war zu öffnen. Es regnete in Strömen. Georg lief ein paarmal zur nächsten Telefonzelle, um den Veranstalter zu erreichen. Als er ihn endlich am Telefon hatte, tat der ganz überrascht.
Was, ihr kommts nicht rein, wo seids ihr denn?
Vorm Arena.
Was wollts ihr denn im Arena?
Wir spielen da heut Abend.
Ach so, ja gut, wenn wir das so ausgemacht haben, dann macht ihr euer Konzert, das passt dann schon.
Aber es hängen ja überhaupt keine Plakate.
Was für Plakate?
Du hast doch gesagt, ihr braucht Plakate für die Werbung.
Natürlich brauchen wir die, sonst kommt ja keiner. Und wo sind die?
Die liegen bei euch im Büro, seit zwei Monaten.
Du, Gabi, sag mal, hast du irgendwo Plakate gesehen vom – wie heißts ihr?
Ringsgwandl.
Ringsgwandl.
Darauf Gabi: Was bin ich.
Also, bei uns hat keiner was gsehn von deine Plakate.
Wir warteten eine Stunde im Auto, bis ein verschlumpfter Typ auftauchte und eine der Stahltüren aufsperrte. Übrigens, ich bin der Ali, euer Stagemanager. In dem kahlen Betonkasten hingen ein paar funzelige Glühbirnen von der Decke, auf dem Boden lagen noch Schalungsbretter und Bauschutt. Ein Stapel Bierkästen an der Wand, den die Bauarbeiter stehen gelassen hatten, aber kein Tresen, keine Bestuhlung, nichts. Ali zeigte auf ein Baugerüst mitten im Raum, das ist eure Bühne.
Wir stellten ein paar Biertischbänke vor die Bühne, kehrten den Schutt vom Baugerüst, und die Musiker bauten ihre Instrumente auf. Die Gesangsanlage, sagte der Stagemanager, kommt noch.
Kurz vor acht strömte das Publikum herein: Helga mit drei Freunden, Christiane, Rosa und ein Bekannter von Georg mit seinem Freund. Sie erkundigten sich, von welcher Seite der Bühne mit der Vorstellung zu rechnen sei, und rückten sich die Bierbänke zurecht.
Georg meinte, es sei lächerlich, vor sieben Bekannten auf der Bühne zu stehen, und schlug vor, ins nächste Lokal zu gehen. Davon wollten die Besucher aber nichts wissen.
Wenn wir schon extra hierherkommen, wollen wir auch was sehen. Also, wann gehts los?
Helga fand ein paar ungeöffnete Flaschen in den Bierkästen, das Trio stimmte seine Instrumente und die Vorstellung begann.
Drei Musiker auf einem Baugerüst und sieben Zuschauer auf zwei Biertischbänken in einem ungeheizten Rohbau. Das Trio spielte die Songs von der neuen Platte, das Publikum klatschte und johlte, und dann machten wir uns alle auf zur nächsten Pizzeria. Während ich den Musikern beim Zusammenpacken half, ging die Tür auf und drei durchnässte Gestalten schauten herein.
Spielt hier heute der Sun Ra?
Wer?
Der Sun Ra. Hier spielt heute doch das Sun Ra Arkestra.
Nein, hier spielt heute Ringsgwandl.
So ne Scheiße, sagte der Anführer, wir fahren bei dem Pisswetter fünf Stunden von Aschaffenburg nach München, um Sun Ra zu sehen, und dann spielt hier irgendein verkackter Liedermacher.
Das war der erste Auftritt mit der neuen Platte. Keine Besucher, nur drei Aschaffenburger, die sich im Datum geirrt hatten.
Georg bemühte sich weiter um Auftritte, telefonierte mit Veranstaltern, wir verschickten Infomaterial wie früher, nur professioneller. Es gab jetzt bessere Fotos und ein gedrucktes Faltblatt von der Plattenfirma mit positiven Stellen aus den Pressekritiken. Veranstaltern, die noch nichts von Ringsgwandl gehört hatten, legte ich auch eine Musikkassette bei. Keine selbst gemachte, sondern eine fabrikmäßig hergestellte mit dem Plattencover in klein. Trotzdem war es immer noch zäh. Vielleicht lag es daran, dass die LP unter Ringsgwandl erschien und nicht unter Dr. Muschnik. Aber jetzt gab es eine Platte, und damit sollte es, wie der Wirt von der Drehleier gesagt hatte, bergauf gehen.
Wenn wir abends im Arbeitszimmer saßen und die Briefumschläge für die Post fertig machten, sprach Georg oft über alle möglichen Dinge, die mit Musikern, Veranstaltern, Zeitungen oder der Plattenfirma zu tun hatten. Das meiste davon verstand ich nicht. Egal, sagte meine Mutter, du lernst etwas und er tut sich leichter, wenn ihm beim Nachdenken jemand zuhört.
Ich weiß noch genau, wann ich zum ersten Mal das Merchandising machte, weil Anderl mit den Behinderten dafür extra eine saubere Kiste aus massiven Brettern geschreinert hatte und das Wirtshaus in Reichertshofen eine selten verkommene Burg war. Im Inneren der Kiste gab es Fächer aus dickem Sperrholz für jeweils zehn Langspielplatten. Ohne die Fächer hätte es die LPs in der Kiste nämlich unterwegs hin und her geschlagen.
Anderl stellte den Wagen direkt vors Haus, weil der Parkplatz schon voller Autos stand. Wir gingen die Treppe mit den ausgetretenen, alten Fichtendielen hinauf in den rappelvollen Saal. Ein unglaublicher Lärm vom Durcheinandergerede der Leute, und die ganze Bude so zugeraucht, dass man die rückwärtige Wand nicht mehr sah. Bedienungen rannten hin und her wie beim Oktoberfest, kein Mensch, der sich auskannte oder für irgendwas zuständig war, bis wir endlich den Wirt fanden.
Seids ihr von der Musik?
Ja. Wo ist denn bei euch die Garderobe?
Gardarobe? Für was brauchtsn ihr a Gardarobe?
Wir müssen uns ja irgendwo umziehen.
Umziehen? Ihr seids gut. Könnts ihr net so auftreten wies seids?
Nein, wir brauchen was, wo man sich umziehen kann.
Ja gut, meinetwegen, wennst meinst, dann gehts einmal mit.
Er zeigte mit der Hand in den Flur, aus dem die Bedienungen mit den Essenstabletts kamen. Da könnts euch umziehen. Der Korridor zwischen Wirtshaussaal und Küche war schmal und auf einer Seite bis unter die Decke mit Getränkekisten zugestellt. So eng, dass eine Person gerade noch durchpasste. Kein Platz, um irgendetwas abzulegen. Wenn man sich beim Umziehen nur bückte, wurde man schon von einer Bedienung angerempelt.
Du stehst aber bsonders praktisch da.
Aber auch:
Ja kruzifix, kannst du nicht aufd Seitn geh?
Was habtsn ihr da zum Suchen?
Stellts euch woanders hin!
Könnts ihr euch noch blöder hinstellen?
Schleich dich, sonst schütt ich dir eine Maß drüber!
Ich dachte, die Gäste sind doch wegen der Musik da, könnt ihr nicht bisschen netter sein? Aber ich hatte ja noch keine Ahnung vom Geschäft.
Beim Wirt in Reichertshofen habe ich zum ersten Mal Platten verkauft. Ende November 1986, da war ich zwölf. Beim Heimfahren schlief ich auf der Rückbank ein. Als Anderl einmal scharf bremste, wurde ich wach und hörte, wie sich die Männer vorne unterhielten.
Anderl: Hast es gemerkt, die macht das total anders wie ihre Mutter. Die Rosa fragt immer lang rum, ob sie einen Tisch haben kann, wo sie ihr Zeug aufbauen darf und ob das passt, dass sie Platten verkauft und so weiter. Die Kleine hat sich von zwei Zuschauern die Kiste nauftragen lassen und das Merch auf dem Tisch neben dem Ausgang aufbaut. Die ersten Platten hat sie schon verkauft, bevors überhaupt losgangen ist, und in der Pause ist das Zeug weggangen wie die warmen Semmeln.
Georg: Die Leut kaufen halt lieber bei einem kleinen Mädel als bei einer Erwachsenen.
Anderl: Genau, die haben die Platten wegen ihr gekauft und nicht wegen dem, was drauf ist.
Georg: Danke.
Anfang März 1987 kroch eine schlimme Kälte in den Talkessel. In den Nächten hatte es fünfundzwanzig Grad minus, und am Tag wurde es nicht wärmer als fünf Grad unter null. Das Wasser im Spülkasten unserer Toilette gefror, und in der Wohnküche der Gartenhütte lief ständig der Heizlüfter. Zum Glück fuhren die Ringsgwandls in Skiurlaub und brauchten jemand zum Haushüten. Auf den Hund musste auch jemand aufpassen, und so zog ich mit meiner Mutter in das warm geheizte Haus in der Griesgartenstraße. Zwei brave Hexen im Lebkuchenhaus.
Morgens stapfte die kleine Hexe zwischen hohen Schneehaufen zur Schule, mittags kochte die Mutter ihr Lieblingsgericht, nachmittags war es gemütlich und abends verbrachten sie erholsame Stunden im Spa des Anwesens, das man über die dunkle Treppe in den Kohlenkeller erreichte, vorbei an der Stahltür, hinter der die Ölheizung wummerte, ums Eck in den Obst-Marmeladen-Wein-Bier- und Limonaden-Keller und von da in die Waschküche. Das war unser Spa. Ein Palast. Grüngesprenkelte Fliesen an der Wand, graugesprenkelte auf dem Boden und eine große Badewanne. Heißes Wasser einlassen, Schaumbad dazu und ganz lange drinbleiben. Rosa stellte Kerzen auf, ein Glas Kinderpunsch auf den Hocker neben der Wanne und etwas zum Lesen. Aus dem Kassettenrekorder klang angenehme Musik, wir schwebten. Wenn wir bei den Ringsgwandls wohnten, kam Gidi mit seinen Hausaufgaben zu mir. Er hätte sogar über Nacht bleiben können, aber das wollte seine Mutter nicht.
Anderl dichtete in der Zeit die zugigen Stellen unseres Gartenhauses ab und stapelte Brennholz unter das Vordach. Ohne ihn wäre die Hütte schon lange unbewohnbar gewesen. Ohne ihn hätten wir die Ringsgwandls nicht kennengelernt, ohne Anderl wären wir längst in einem Obdachlosenasyl gelandet, in einem Auffanglager für sozial Schwache, in einem Schlafsaal für drei Dutzend Leute, in Stockbetten mit kratzigen Bundeswehrdecken, wo um sechs Uhr früh die Neonröhren anspringen und eine strenge Aufseherin in den Raum bellt, alle runter von den Pritschen und raus zum Waschen. Frühstück im Speisesaal und hinaus in die freundliche Welt.
Eines Nachmittags klingelte das Telefon. Ich nahm den Hörer ab und eine Dame vom Fernsehen fragte mich, ob sie richtig sei bei Herrn Dr. Ringsgwandl. Ich bejahte.
Sind Sie seine Tochter?
Ja.
Darauf stellte sie mich zum Redakteur der Sendung durch. Ich sagte, Papa sei gerade beim Skifahren, aber ich könne ihm etwas ausrichten. Der Redakteur sagte, wir hätten Ringsgwandl gerne im nächsten Live aus dem Alabama. Das Haus wankte, die Wände wackelten, aber ich nahm mich zusammen und sagte, kein Problem, bis dahin ist er zurück. Er gibt Ihnen heute Abend oder morgen früh Bescheid.
Als die Sendung aufgenommen wurde, fuhr ich mit nach München. Ohne mich hätte es diesen Fernsehauftritt schließlich gar nicht gegeben.
Als Georg auf den Hof vor der Alabamahalle einbog, sahen wir schon einen riesigen Lastzug mit der Aufschrift Cutting Crew Rock Trucking. Daneben standen Ü-Wagen vom Fernsehen. Georg fuhr an die Laderampe und schon schrie ein kräftiger Mann im Overall: Hey, was willstn da, stell dich woanders hin, das ist ein Runway. Georg stellte sich neben den blauen Mazda von Chuck und dann fragten wir uns zum Saal durch. Es summte wie in einem Bienenstock. Leute in Arbeitsklamotten rannten hin und her, krächzende Funkgeräte in den Brusttaschen. Jeder wusste, was zu tun ist, nur wir standen ratlos herum in dem Gewusel. Gott sei Dank hatte Chuck uns gesehen. Nur die Ruhe, ich hab alles schon gecheckt, gehts einfach hinter mir nach. Wahnsinn, Alter, was da heut abläuft, das ist top Profi-Business. Er führte uns durch eine Riesenhalle mit Hunderten von Scheinwerfern, Kameras auf Rollstativen, und überall Kabel auf dem Boden. Dann eine Treppe hoch ins Backstage und den Flur entlang zu einer Tür, an der ein großer Zettel mit RINGSGWANDL & BAND klebte, unsere Garderobe.
Ich tät sagen, sagte Chuck, die Kleine bleibt da und wir checken derweil den Sound.