Der Vergewaltiger - Les Edgerton - E-Book

Der Vergewaltiger E-Book

Les Edgerton

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Beschreibung

Wegen Vergewaltigung und Mord an einer jungen Frau aus seinem Heimatdorf sitzt Truman Ferris Pinter im Todestrakt eines Gefängnisses und wartet darauf, gehängt zu werden. Die Vergewaltigung gesteht er, nicht aber den Mord. Pinter schwört, das Opfer sei später am Ufer eines Flusses ausgeglitten und dann ertrunken. In den wenigen Stunden, die ihm noch bleiben, doziert der intellektuelle Misanthrop geistreich über sein Leben und die Tat und stellt provozierende Thesen auf. US-Noir-Autor Les Edgerton führt uns auf irreführenden Schleichwegen in das Bewusstsein seines Protagonisten wie einst Camus oder Nabokov und lässt uns unbemerkt Teil seines düsteren literarischen Experimentes werden.

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Les Edgerton
Der Vergewaltiger
»Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft existieren gleichzeitig, wie unsere Träume beweisen.«
John William Dunne - Recurring Theme

Inhalte

Kapitel eins

Kapitel zwei

Kapitel drei

Please Allow Me To Introduce Myself

Kapitel eins
Die Gegenwart
Ich sag Ihnen, wer in dieser Zelle lebt: Jemand Perfides – sein Name ist Heimtücke. Sein Name ist Lügner; Frevler; Wahrheitsschänder; Heuchler. Er wohnt allen Mitgliedern der Gemeinde gleichermaßen bei, erklärt reih­um jedem, er sei ihm das Liebste, während er in seinem nicht enden wollenden Stelldichein mit dem Verzehr von Seelen bereits mit der nächsten Verabredung liebäugelt.
Er wird Sie einsaugen, verschlingen, das Mark Ihrer Seele essen und die Hülle ausspucken. In seinen Augen steht nur das Flackern ungeweihter Kerzen. Er ist schwar­ze Magie ohne Erlösung, ist frei selbst von dem geringsten Vorzug, den man noch als menschlich bezeichnen könnte, und ist wiederum nichts von alledem; er ist all das, von dem man annimmt, dass es menschlich sei, die Summe jener Eigenschaften, die die Farbe hervorbringt, die jedwedes Licht absorbiert: Schwarz. Er verfügt über kein Zentrum – jeder Einzelne von Ihnen ist sein Zentrum – und er hat das Innere eines jeden ausgelutscht, den er heimgesucht hat. Nehmen Sie sich vor dem Sohn des Molochs in Acht, der in dieser vergitterten Zelle auf und ab schreitet.
Diese gottlose Kreatur ist niemand anderes als der Verfasser der vorliegenden Erzählung, Truman Ferris Pinter – der Name, mit dem meine Eltern mich bedachten und den der Staat mit einem Zusatz versehen hat: Häftling 49028. Und die zuvor zitierten Worte sind nichts als die infamen Schmähungen des Mannes, der mich ungerechterweise angeklagt und dafür gesorgt hat, dass an mir ein Todesurteil vollstreckt wird, im Rahmen einer Exekution meiner Wahl – durch den Strang oder durch ein Erschießungskommando? In wie vielen Stunden, von jetzt an gerechnet? Der Ablauf der mir noch zur Verfügung stehenden Zeit ist nicht Gegenstand meiner Aufmerksamkeit. Es trifft nicht zu, dass der Verurteilte jede verstreichende Minute der ihm verbleibenden Zeit auskostet und zählt.
Vielleicht werden Sie nach der Lektüre dieses Berichtes zu einem anderen Schluss darüber gelangen, wer ich bin. Vielleicht nicht ...
Ich werde meine Geschichte der Reihe nach erzählen, spüre ich doch, ungeachtet der zeitlichen und räumlichen Distanz, dass Sie wesentlich jünger sind als ich und ohne jeden Zweifel mit fader Fernsehkost aufgezogen wurden.
Ihre Aufmerksamkeitsspanne dürfte knapp über null liegen und Ihr Verständnis für alles Geschriebene noch darunter, also werde ich es nicht zu kompliziert machen. Und immer eins nach dem anderen. Um Sie nicht zu verwirren.
Ich sah sie am Abend vor der Vergewaltigung.
Ich radelte an unserer örtlichen Gaststätte vorbei. Seinerzeit übte ich keinen Beruf aus, habe ich nie, nicht zuvor und nicht danach, da mein Vater, ein weitsichtiger Mann, fleißig in eine Lebensversicherung in Höhe von fast einer Million Dollar eingezahlt und meine Mutter die Güte besessen hatte, im Verlaufe meines zwanzigsten Lebensjahres zu verscheiden und den Großteil des Vermögens mir, ihrem einzigen Nachkommen, zu hinterlassen. Andererseits meine ich, sehr wohl eine Art Beruf auszuüben: den sparsamen Umgang mit meinem Erbe und dessen Vermehrung; allerdings ist das eine Tätigkeit, die nur einen kleinen Teil meiner Zeit beansprucht. Hauptsächlich dreht es sich darum, mit gutem Gespür einen Fachmann auszuwählen, zur Seite zu treten und ihn seine Arbeit machen zu lassen.
Ich beschäftige beziehungsweise beschäftigte mich mit verschiedenen Dingen, um mir tagsüber die Zeit zu vertreiben, viel Lektüre, ein wenig Schreiben, hin und wieder zum Angeln, ein Bier in der Gaststätte und so weiter. Das Leben eines Gentlemans ist es, was ich vor dem Hintergrund meiner Veranlagung und Situation anstrebe und was mir liegt. Ich genieße eine gepflegte Unterhaltung und wenn dies auch streckenweise ein eher rares Gut ist, so verirrt sich doch ab und an irgendein Professor oder belesener Schulabsolvent, landet in der Gaststätte und man trinkt ein Bier zusammen. Ich kann durchaus eloquent sein, sofern die Zuhörerschaft aufnahmefähig ist, und weiß so manches über Homer und andere Geistesgrößen und bin schmallippig nur gegenüber Einfaltspinseln und Schlaubergern, von denen die Welt tragischerweise derzeit voll bis zum Überlauf zu sein scheint. Wür­de der Styx heute fließen, benötigte Charon einen Dreischichtenbetrieb, diverse Besatzungen und außerdem eine Brücke mit sechs Bögen.
Um auf den fraglichen Abend zurückzukommen – ich war auf dem Nachhauseweg von meinem wöchentlichen Marktbesuch und beschloss, an der Gaststätte vorbeizuradeln, statt hineinzugehen. Ich bin beileibe kein Stammgast mit meinen – wenn es hochkommt – drei Besuchen im Monat, also war es nichts Außergewöhnliches, Joe’s Tavern (origineller Name!) links liegen zu lassen, so, wie ich es an diesem Abend tat.
Es war kurz nach neun und da, wie Sie sicher wissen, unsere Umkreisungen der Sonne exakt verlaufen, da es im Übrigen diesem Breitengrad eigen ist, zu diesem Zeitpunkt kurz nach der Sommersonnenwende, im Juli, dür­f­te Ihnen sofort klar sein, dass ein Vollmond den Himmel zierte und genügend Licht bereitstellte, um einem das Lesen einer auf Armeslänge gehaltenen Tages­zeitung zu ermöglichen. So war es, als ich mit meinem Drahtesel an rohem, dröhnendem Gelächter vorbeistrampelte, das ziemlich sicher einer der beiden drallen Bedienungen im Joe’s galt und das, sofern sich die Gepflogenheiten in der Kneipe nicht geändert hatten, wahrscheinlich eine Reaktion auf eine ungehobelte Einlassung zu Fragen der Anatomie, insbesondere zu Brüsten, darstellte. Ich verzog mein Gesicht bei diesen Lauten und Ekel überkam mich. Mehr als einmal hatte ich mich um eine Unterhaltung mit diesen beiden Kellnerinnen bemüht, die Jo und Beth hießen (ich vermute eine sich nicht ausgezahlt habende Zuversicht seitens der Mütter bei der Vergabe derart sanft klingender Namen an die jeweilige Frucht ihres Leibes, eine trotzige, unangemessene Hoffnung, sie mögen sich als so kultiviert und sanftmütig entpuppen wie die Ge­schöpfe Miss Alcotts), und war dahintergekommen, dass Dekorum nicht der Pfad zu beider Herzen bedeutete, war jede von ihnen doch mit der Vorliebe für die grobschlächtigen Vorstöße dessen ausgestattet, was Sie und ich als »ungeschliffene Umgangsformen« bezeichnen würden.
Ich schweife ab. So bin ich nun mal. Zu dieser Schwäche stehe ich. Hier schwirrt ein Gedanke vorbei, dort ein nächster und ich muss ihm folgen. Das ist der Fluch der geistigen Beweglichkeit. Wenn ich auch die ganze Zeit ungestüm in die Pedale trete, verliere ich doch nie die Hauptstraße aus dem Blick und weiß, dass der von mir eingeschlagene Weg am Ende dorthin zurückführt. Vertrauen Sie mir, wenn Sie mich auf meiner Tour begleiten. Früher oder später werde ich Sie wieder auf die breite Hauptstraße leiten. Sind es nicht die schmaleren Pfade, auf denen wir uns an die Wahrheit heranpirschen? Ich zumindest habe diese Erfahrung gemacht. Womöglich kommt man schneller ans Ziel, wenn man blind drauflosfährt, aber weiß man dann, wie man dorthin gelangt ist oder gar weshalb? Ich denke, nicht. Der Eremit, nach dem der Uneingeweihte Ausschau hält, sitzt nicht am Straßenrand, wie der Dichter uns weismachen möchte, sondern am Rande des schwer zu entdeckenden Pfades, versteckt hinter Seidenpflanzen und Goldruten, und man macht sich etwas vor, wenn man meint, er warte auf einen; er wartet auf niemanden und ist nicht ohne Grund kaum aufzuspüren.
Ich hatte das Gasthaus hinter mir gelassen und radelte hinein in das kleine Waldstück, das sich direkt daneben ausbreitete und das zwischen dem Gasthaus und meinem bescheidenen Haus lag, demselben Haus, in dem ich geboren und aufgewachsen bin. Habe ich es schon er­wähnt? Dort gibt es einen Trampelpfad, passierbar nur zu Fuß oder mit dem Rad, der eine Abkürzung zu meinem Haus darstellt. In der Mitte des Hains, also nach nicht einmal fünfzehn in diesem Wäldchen zurückgelegten Metern, vernahm ich Stimmen und Gelächter. Meine Neu­gierde erwachte, ich legte mein Fahrrad behutsam auf den Boden am Rande des Pfades und stahl mich durch die Bäume zurück, um zu sehen, was da vor sich ging. Natürlich bewegte ich mich unauffällig, wünschte ich doch, nicht das zu stören, von dem ich wirklich an­nahm, es handele sich um unschuldiges, harmloses Tun mir unbekannter Personen.
Ich hatte mich geirrt ... oh, und wie ich mich geirrt hatte! Zwar waren dort mehrere Personen, aber als un­schuldig war ihr Treiben keineswegs zu bezeichnen. Man war im Begriff, sich dem Geschlechtsverkehr hinzugeben, einer nach dem anderen, drei Männer mit einem Mädchen. Es schien gerade erst angefangen zu haben; das Mädchen war dabei, sich ihrer Kleidung zu entledigen, die Männer hatten respektvoll einen Kreis gebildet und beobachteten sie dabei. Aber ich greife vor ...
Der Anstand hätte verlangt, dass ich mich umgehend zurückziehe, aber wie ich bereits zuvor erklärt habe, bin auch ich nur ein Mensch, folglich gab ich dem Korrumpierbaren in mir nach, beschloss, dort zu verweilen, wo man mich nicht entdecken konnte, und zuzuschauen. Zugegeben, es erfüllt mich mit Scham, aber hätten Sie anders gehandelt? Ich denke, nicht. Es gibt gewisse Din­ge, die uns alle miteinander verbinden, unabhängig von Klasse und Position, und das ist eines davon. Ich glaube, bestimmte Schwächen werden uns immer eigen sein, gleichgültig, zu welcher Höhe wir uns auch aufschwingen.
Ich erinnere mich nicht, wie lange ich dort stand, im Schutze einer abgestorbenen Eiche von überwältigendem Umfang.
Anfänglich war mir nicht bewusst, was sich abspielte. Es waren einfach nur drei Männer und ein Mädchen. Zwei Männer identifizierte ich als Stammgäste von Joe’s Tavern – die üblichen Trinker eben. Der dritte kam mir bekannt vor, aber im Dunkeln, außerstande, sein Gesicht klar zu erkennen, konnte ich ihn nirgendwohin stecken. Die Frau lief beständig von einem Mann zum anderen, kicherte, nachdem sie erst den einen flüchtig auf die Wan­ge geküsst hatte und dann einen anderen, wobei sie sich nach jedem Kuss mit der Hand durchs Haar fuhr. Ich konnte ihr albernes Gekicher hören und ihre spitzen Schreie, wenn einer der Männer hinlangte, um sie an der Hüfte zu packen, woraufhin sie sich ihm entzog, um zum nächsten zu hüpfen, sich auch diesem zu entwinden und sich dem übernächsten zuzuwenden; so ging es in einem fort. Eine dieser leichtfertigen Frauen, die ich schon oft bei Joe’s gesehen hatte, wie sie sich beim Flattern von Tisch zu Tisch von hündischen Männern hatte Drinks spendieren lassen. Ihr Name wollte mir nicht einfallen.
Die Männer begannen, einen Kreis zu bilden, und sie war der Mittelpunkt dieses Kreises, kicherte noch immer, nur klang ihr Gekicher jetzt irgendwie überdreht. Die Männer blieben stehen und sahen wie gebannt zu, als sie nach hinten griff, das Bandeautop aufhakte, das sie trug, und ihre Brüste präsentierte.
Sie warf das Top mit Schwung weg, einer der Männer fuhr seine Hand aus und pflückte es aus der Luft, führte es an sein Gesicht und vergrub die Nase in dem Stoff. Ich konnte einen der Männer tief einatmen hören und er­tappte mich dabei, dass auch ich den Atem anhielt.
Ihre schweißfeuchten Brüste schimmerten im Mondlicht. Ich unterdrückte ein Stöhnen und spürte mein Glied in dem Gefängnis meiner Hose schmerzhaft an­schwellen. Einer der Männer ging zu ihr und kniete sich hin. Er reckte die Arme nach oben, legte seine Hände an die Seiten ihrer Shorts und zog die Shorts herunter. Das Mädchen half ihm mit kräftigen Bewegungen ihrer Hüften, stieg aus den Shorts, nachdem sie zu Boden gefallen waren, hob sie mit einem Fuß hoch und schleuderte sie einem anderen Mann ins Gesicht. Die Männer lachten rau, sie stieß wieder einen spitzen Schrei aus und kicher­te, als der Mann, der ihr die Shorts ausgezogen hatte, aufstand und sich vorbeugte, um eine ihrer Brüste zu küssen und daran zu saugen.
Und dann gaben sie sich der Sinnenfreude mit ihr hin. Ich beobachtete, dass nacheinander jeder der drei sein Glied in sie einführte und sie fickte. Zweimal. Interessant zu verfolgen war die jeweils andere Ausführung des Ak­tes bei jedem von ihnen und ich war verblüfft angesichts der Unterschiede, was die Formate der Ge­schlechts­­teile dieser Männer betraf. Eines war geradezu lachhaft klein, weshalb das Mädchen dann auch lachte und dem Mann – selbst im Dunkeln zu erkennen – mit ihrem höhnischen Losprusten die Röte ins Gesicht trieb, ihn zittern ließ, nur dass ihre Häme ihn nicht nachhaltig zu beeindrucken schien, so, wie er mit kurzen, heftigen Stößen in sie hineinstieß. Die Zeitspanne, die er ihr zugestand, war so kurz wie sein Gerät und das Mädchen sah leicht enttäuscht aus, als er es wieder entfernte, aber eben nur leicht, da sie, dessen bin ich mir sicher, längst erkannt hatte, dass seitens der anderen erfüllendere Momente zu erwarten waren.
Hin und wieder stöhnte sie, von ganz tief unten aus ihrem Bauch, tiefe, nahezu wilde, animalische Laute, die, ich gestehe, meine Erregung fast bis zum Abgang steigerten, immer und immer wieder.
Beim letzten Mann schließlich war sie offenbar er­schöpft. Sie drehte sich auf den Bauch und hob, mit großer Anstrengung, wie es schien, das feucht schimmernde Hinterteil und gestattete dem Mann, von hinten in sie einzudringen.
Das vermochte wohl ihre Energiespeicher aufzufüllen und ihre Lust anzufachen, so, wie sie sich aufs Knurren verlegte, auf Laute, die an einen Bären erinnerten oder an ein anderes ungebändigtes Tier, und dabei den Stößen des Mannes begegnete. Ich sah ganz deutlich den Ausdruck auf seinem Gesicht – eine Mischung aus Er­schrecken und Leidenschaft –, als er verzweifelt versuch­te, mit ihr mitzuhalten, doch ganz offensichtlich hatte sie beides unter Kontrolle, den Mann und die Situ­ation, und mir wurde klar, dass sie von Anfang an alles unter Kontrolle gehabt hatte. Sich. Die Männer.
Und mich.
Um die Geschichte abzuschließen, ein Weilchen später präsentierte einer der Männer eine Flasche Wein oder Whiskey – angesichts der Entfernung schwer zu sagen, was genau –, dann saßen alle im Gras und unterhielten sich lauthals. Schließlich sprang die Schlampe auf, die ich jetzt als Greta Carlisle erkannte und die das Erlebnis scheinbar unbeschadet überstanden hatte, und ging zu­rück zu Joe’s. Die anderen blieben sitzen, bis sie verschwunden war, erhoben sich dann, ihre Stimmen jetzt leiser als zu dem Zeitpunkt, als sie noch dagewesen war, und zwei der Männer schlugen die Richtung ein, die auch Greta eingeschlagen hatte, der dritte drehte sich um und ging links durch das Wäldchen. Ich hörte, wie er sich – Gott weiß wohin – durch das Gestrüpp davonmachte.
Später, als ich zu Hause im Bett lag und den Vorfall Revue passieren ließ, konnte ich mich doch noch er­leichtern und Druck ablassen.
So weit der Abend, bevor ich sie vergewaltigte. Entscheiden Sie selbst, ob meine Tat an diesem Tag begründet war oder zu rechtfertigen. Oder ob es sich überhaupt um eine Vergewaltigung handelte.
... ein Exkurs. Ein wenig Hintergrund.
Meine frühere Geschichte ist belanglos. Ich kam ohne Einsatz einer Zange zur Welt, in dem Bett, das für meine Zeugung benutzt worden war – was für unterschiedliche Bilder meine Mutter beim jeweiligen Wechseln der Bettwäsche vor dem geistigen Auge erschienen sein müssen – und als Weg aus der schützenden Dunkelheit und den sanft wogenden Gewässern des Leibes hinein in das harte, grelle Licht und das weiße Rauschen war meine Geburt eine natürliche, begleitet allein nur vom Geburtstrauma. Aufgezogen wurde ich von einer liebenden Mutter, deren Gesichtszüge mir, offen gestanden, bereits seit geraumer Zeit und so auch jetzt entwischen.
Ich scheine klebrige Dinge mit ihr zu assoziieren, wie den klaren Maissirup und diese Sorte Kleister, mit dem wir in der Grundschule hantierten und wovon wir manch­­mal naschten, dessen Geschmack fade war wie der von industriell hergestelltem Brot. Ich weiß, dass sie stumpfsinnige körperliche Aufmerksamkeit an mich verschwendete, denn ich erinnere mich in Technicolor und Panavision endloser Stunden erzwungenen Auf-dem-Schoß-Sitzens, während sie mich vor und zurück schaukelte, in einem zerkratzten Schaukelstuhl, dessen brauner Farbton den Gedanken an Kuhfladen aufkommen ließ. Namentlich einer Situation kann ich mich entsinnen, wo ich bis zur Übelkeit geschaukelt wurde und dachte, wie gern würde ich die Positionen tauschen und sie damit konfrontieren, diese idiotische Quälerei vierundzwanzig Stunden ohne Unterlass ertragen zu müssen, doch zum Zeitpunkt dieser Überlegung sechs Jahre alt und physisch nicht in der Lage, diesen Wunsch in die Tat umzusetzen, blieb mir nur, es ihr für den Rest meines Lebens nachzutragen. Ich bin zu streng in meiner Rückschau, bin ich mir doch sicher, dass sie das war, was Menschen, die nicht die Erfahrungen mit ihrem Schaukelfetisch gemacht haben, unter dem Begriff »gute Mutter« einordnen würden, aber sie war nichts, was ich erworben hätte, hätte Gott mich in eine vernünftigere Welt platziert, in eine, wo man sich aussuchen kann, wer einen bemuttert, bis man imstande ist, die eigenen Dinge selbst in die Hand zu nehmen.
Zu meinem Vater: Ihn kannte ich kaum. Er war so etwas wie ein Schlagzeuger und ständig unterwegs, und deswegen, wegen seines gesunden Menschenverstandes, vergötterte ich ihn. Er starb bei irgendeinem Unfall, als ich neun Jahre alt war, und seine Beerdigung war wun­der­schön. Ich erinnere mich an ein Gefühl ausgesprochener Vergnügtheit, über die gesamte Feier hinweg. Mich verbinden nichts als zärtliche Erinnerungen mit ihm und ich hoffe, dass wir uns irgendwann wiedersehen, und zwar unter angenehmeren Umständen als die, denen ich gegenwärtig ausgesetzt bin. Vielleicht geben wir uns am morgigen Tag die Hand, von Mann zu Mann, glaubt man unseren überzeugten Christen und ihrer rührseligen Überlieferung, was dem irdischen Tod nachfolgt. Ich für meinen Teil gebe nicht vor zu wissen, was kommen wird. Ich verfüge nicht über die verbohrte Gewissheit, die dem Lamm Gottes eigen ist.
Vielleicht kehren wir alle in Gestalt von Mücken ins Leben zurück, was sehr wohl erklären würde, warum es so viele gibt. Wenn ja, dann hoffe ich auf ein anderes Geschlecht im nächsten Leben, da ich versessen darauf bin, jemanden zu stechen.
In meiner Kindheit führte ich weder Tagebuch, noch machte ich Aufzeichnungen, noch stehe ich sonderlich auf Statistik, aber mit einem groben Überschlag kommt man, was die Anzahl der Male betrifft, an denen ich masturbierte, auf eine Summe von etwa neuntausend zwischen meinem achten und achtzehnten Lebensjahr – plus/minus einigen Hundert Tropfen Sperma – und ob­wohl ich bis auf die letzten Monate seitdem einen Gang runtergeschaltet habe, sind es mindestens noch einmal so viele Momente, wo ich, allein in meinem Zimmer, bis zum Punkt der Befriedigung an mir rumfummelte.
Ich sehe Ihr Lächeln vor meinem geistigen Auge. Sie denken, »wäre er nur dieses eine Mal unkeusch gewesen, er säße jetzt nicht hier«, aber so sollten Sie nicht denken. Ich war es nicht und bin hier, und das Wie und Warum zählt nicht, was zählt, sind Fakten, und Fakt ist, dass ich mich an diesem gewissen Tag nicht selbst befriedigte und im Endergebnis hier sitze und mich darauf vorbereite zu sterben. Betrachten Sie es einmal von der Warte:
Hätte ich meinen Samen auf dem Boden verspritzt, statt eine asoziale Handlung zu vollziehen, nämlich eine Vergewaltigung zu begehen, wäre keiner von uns hier, und was hätten Sie mit der Zeit angefangen? Eine Fernsehshow gesehen? Einen Schmöker gelesen? Schwerlich das, was man als erhebend bezeichnen wür­de, nicht wahr? Seien Sie also froh, dass es Täter gibt auf der Welt (in Ihrer wie in meiner) und dass nicht jeder ein so einfältig lächelndes, passives Geschöpf ist wie Sie.
Am Morgen nach den Ereignissen im Wäldchen, zu deren Zeugen ich geworden war, hatte ich das Ganze nahezu vergessen; von einem Erinnerungssplitter bei meiner ersten Schale Café au Lait einmal abgesehen, den ich jedoch umgehend beiseiteschob. Letzte Nacht war letzte Nacht gewesen und heute war heute. Die Launen des Gedächtnisses zu erdulden ist die hilflose, dürftige Antwort unbedeutender Menschen: der Unglücklichen, die mit der Bürde eines zu keinem gewichtigen Gedanken befähigten Verstandes geschlagen sind.
Beim Trainieren meiner Gedächtnisfunktion zog ich mehr Nutzen aus dem Memorieren eines Sonetts von Andrew Marvell oder einer Szene von Aischylos, zwei Beispiele, weit erhabener als die schmuddelige, verachtenswerte Verderbtheit von Proleten ohne Relevanz, die in bemitleidenswerter Weise ihren Unfug auf dem urzeitlichen Boden des dunklen Waldes trieben.
Es war der Moment, als ich eine dieser Entscheidungen traf, von denen stets gebetsmühlenartig behauptet wird, sie veränderten den Kurs des Lebens dauerhaft. Ich sollte an besagtem Vormittag die Haare geschnitten bekommen, beschloss jedoch, den Termin nicht wahrzunehmen und stattdessen am Fluss zu angeln, an jenem Fluss, dessen Ufer sich träge und S-förmig eine Viertelmeile von meinem Domizil entfernt entlangschlängeln.
Keine Frage, ich verhielt mich korrekt und rief Harry, den Friseur, an (bei seinem Namen habe ich immer feixen müssen), sagte den Termin rechtzeitig ab, damit Harry die Zeit anderweitig füllen konnte.
Am besten, man behandelt Menschen so, wie man selbst behandelt werden möchte, und auch wenn Harry nur ein Geschäftsmann ist, sage ich mir doch, im Zweifel für den Angeklagten, und erachte seine Zeit als kostbar, zumindest von seinem Standpunkt aus gesehen.
Ich erinnere mich, an jenem Morgen eher gedämpfter Stimmung gewesen zu sein, als ich mein Angelzeug vorbereitete. Ich entschied mich gegen lebende Köder und für Blinker. Angeln versetzt mich unweigerlich in gute Laune. Mit der Gesellschaft anderer komme ich klar, aber an Einsamkeit erfreue ich mich mehr, und Angeln ist die ultimative Variante dieses angenehmen Zustandes. Ich kann es nur wärmstens empfehlen und würde es als Palliativum beim gescheitesten aller Geisteszustände verordnen, der Misanthropie, oder im Falle ihrer ganz besonderen Spielart, der Misogynie. Ein Fisch ist ein vor­züglicher Ersatz für, sagen wir, eine Ehefrau. Die Spezies der Pisces nehmen Anweisungen gutmütig hin und sind ausgesprochene Stoiker, zwei vorteilhafte Ei­gen­schaften, die meinerseits, wenn überhaupt, nur bei den seltensten Exemplaren der Spezies Frau ausgemacht wurden. Ich weiß, dass Angeln bei vielen Gelegenheiten hilfreich für mich war und meine Annäherung an das Leben begünstigte. Die Stunden, die ich dergestalt verbrachte, waren gleichermaßen erfreulich und nützlich, eine Tätigkeit, die es mir gestattete, friedlich in mich zu gehen und zur selben Zeit das Stadium ausgesprochener Entspannung zu erreichen. Hierbei handelt es sich um eine Seite meines Wesens, die zu verstehen Ihnen zweifelsfrei Mühe bereitet, auch in Anbetracht der kurzen Dauer unserer Bekanntschaft; aber sie existiert, dessen kann ich Sie versichern.
Angeln spielt sich in der einzigen Arena ab, wo ich mir erlaube, in Wettstreit zu treten. Es gibt nur dich und deinen Verstand gegen das Unbekannte, das unter dir in den trüben braunen Tiefen lauert. Da ist etwas Geheimnisvolles mit einem Hauch Gefahr im Schlepptau, das einen zugleich mit Frieden umgibt wie ein wohliger Ko­kon.
Wie gesagt, ich war mittlerweile gehobener Stimmung, als ich das Haus verließ, meine South Bend samt Rolle geschultert wie ein Gewehr, den Angelkasten fest im Griff, mit federndem Schritt, die Schultern gestrafft, um meine jungfräulich reinen Lungen mit frischer, kühler, sauerstoffgesättigter Luft zu füllen, und der Blick klar und fokussiert.
Der Marsch zum Ufer des Flusses und zu meinem bevorzugten Angelplatz verlief ohne besondere Vor­komm­nisse. Es war elf Uhr vormittags, als ich an meinem Ziel anlangte, und die Julisonne verwandelte das Unterholz unter meinen Füßen bereits zu knackendem Dörrgut. Mein Platz zum Angeln lag im Schatten mächtiger Eichen und Ulmen samt ihren Armen voller dunkel schimmernder Blätter, und so hatte ich es recht komfortabel. In meinem Angelkasten lagerte eine Thermosflasche mit eisgekühlter Limonade und gleich daneben eine Flasche bernsteinfarbenen irischen Whiskeys.
Ich angelte um die zwei Stunden, ohne dass irgend­etwas geschah. Nicht einmal ein verhaltendes Knabbern, die Form des Angelns eben, wie ich sie bevorzuge. Wenn man nichts fängt, fängt man sich auch keine Arbeit ein, das gesamte Tun ist reines Theater und es gibt keine menschliche Unternehmung, die ihrem Programmheft mehr entspräche.