Der verkaufte Patient - Renate Hartwig - E-Book

Der verkaufte Patient E-Book

Renate Hartwig

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Beschreibung

Weil mit Gesundheit kein Staat mehr zu machen ist, liefern die Politiker unser Gesundheitssystem an den freien Markt aus. Der kranke Mensch gerät ins Visier von Kapitalgesellschaften, die nur ein Interesse haben: maximale Rendite. Was in Deutschland unter dem Etikett »Gesundheitsreform« läuft, ist Sprengstoff erster Ordnung. Es geht um 240 Milliarden Euro und um den größten jemals inszenierten Betrug am deutschen Bürger, um seine Ausplünderung als Patient. Noch haben die Bürger eine Chance, den Politikern die rote Karte zu zeigen. Renate Hartwig, die Mutter Courage unter den deutschen Sachbuchautoren, gibt der wachsenden Empörung eine Stimme und klagt an: Krankenschwestern arbeiten für einen Hungerlohn. Alte Menschen verkommen in ihrem Dreck. Aus Patienten werden Kunden, aus Ärzten werden Händler, aus Krankenhäusern werden Abfertigungsanlagen. Und die Hausärzte, die letzten freien Anwälte der Patienten, werden ruiniert und ihrer Existenzgrundlage beraubt, weil sie nicht gleichzuschalten sind. Der verkaufte Patient von Renate Hartwig: als eBook erhältlich!

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Seitenzahl: 378

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Renate Hartwig

Der verkaufte Patient

Wie Ärzte und Patienten von der Gesundheitspolitik betrogen werden

Knaur e-books

Inhaltsübersicht

EinleitungKapitel 1Ein denkwürdiger ArztbesuchWir sind alle keine Ärzte mehrDer Patient – die wichtigste PersonDer Arzt meines VertrauensDas Kapital der heilenden BeziehungDer Fehler im SystemKapitel 2Ärztehopping für BehinderteIch wäre liebend gerne HausärztinÄrztevernichtung, systematisch geplantBürokratie – oder: Der Wahnsinn hat MethodeAusbluten lassen!Budgetierung – oder: Warum die Feuerwehr nicht mehr löschen darfMit Regressen in den Ruin!Exzesse der GnadenlosigkeitWeh dem, der krank ist!Hassobjekt ArztLetzte Chance: Schulterschluss!Kapitel 3Abfertigen! Raushauen!Und weil der Mensch ein Mensch ist …Der Tötungsautomat ist einsatzbereitAuf dem Weg in ein anderes LandFall 1: Deshalb lebe ich nochFall 2: Do it yourself in der PflegeFall 3: Medikamentenhopping für LaborrattenFall 4: Ohne Hausarzt stirbt sich’s schnellerFall 5: Alt und krank – Mutter, was nun?Fall 6: Entwürdigende ProzedurKapitel 4Der Stempel auf der StirnBrigitte und das SystemNeusprech und GewaltDas Grauen im DetailEs ist ein wahres KesseltreibenQualitätssicherung bei Entleerung des EnddarmsKapitel 5Karl Lauterbach ist allgegenwärtigIn die Hände arbeitenSchlüsselstelleDas Rhön-ModellNeue Medizin-Ethik?Kapitel 6Was wollt ihr denn?Dann mach ich am nächsten Tag ein neues GesetzBerliner VerhältnisseVeräußerliches und UnveräußerlichesDie selbstlosen Helfer kommenEin Kapitel für TüftlerWir wissen nicht, wohin – das aber mit aller KraftKalte EnteignungDas Quaken der Frösche und die StaatsministerinUllas ZahlenverwirrspielChuzpe einer rheinischen Frohnatur?Freunde in der NotPillen und PlayboyKapitel 7Hassobjekt KVVon Lämmern und SchlachternHintersinniger Ausflug in die JuristereiEin leichter Touch von BraunDer unterbliebene AusstiegEin parastaatliches Exekutivorgan und viele Schäfchen, die ins Trockene wollenEin wilder Wirbler namens MunteVorzügliche VorzugsaktienNun wird es noch lustigerMuntes Monopoly?QuerbesetztStiftung zur MachtsicherungBruderkrieg im ÄrztekittelKapitel 8Die Black Box der DemokratieWozu ist eine Krankenkasse da?Der Krieg der VerteilerdosenPatienten gucken in die RöhreIn Frankreich zum Beispiel …Wo bleibt das Geld der Beitragszahler?Apropos BeraterverträgeWo das Geld hinwandertDer Griff in die KasseKleiner Ausflug zu Herrn ParkinsonBlühende Black BoxKapitel 9Wetten, dass …?Verwirrspiel mit ZahlenKlicker mit KrankenkassenExkurs für solche, die nicht mitspielen wollenDer Arzt als ErbsenzählerDie Weimarer Art, den Ärzten zu helfenÄrztebesuch zur UnzeitSpielregeln für FortgeschritteneGOÄ – von Ordnung keine Spur!Erkältung nach Pünktchen und EuroPraxis zu! Es wird abgerechnet!Leistung wird bestraftTrickreiche Ärztefrauen – oder was?Wo das Geld hingehtLutschbonbons für Herrn S.Wer hat was davon?Kapitel 10»Ausstieg« heißt …Staatliche KulissenschieberDie Gesundheit ist sicherKrampfadern und GoldadernWofür ich kämpfeWer die Vision versteht, versteht die Arroganz der MachtVorspiel: Neue Worte für die »Vision«Case Manager statt HausarztTante Ella und das SystemAnpassen oder ausschalten!Wie man die Ärzte in die Knie zwingen willWas der Schulterschluss zwischen Arzt und Patienten ist …Kapitel 11Der Deal mit den DatenÄrzte sind die Hüter unserer Daten!Ulla Schmidt gegen das GrundgesetzWeg damit!Datensicherheit? – Ein Witz!Die Karte ist ein großer BluffGesunde WirtschaftFeine FirmaEin Zug von Berlin nach MünchenWas können wir tun?The Ballad of Joe Kuhl (von Dr. Ewald Proll)Kapitel 12Der Fall VentarioDo it yourself!Merkwürdiger Job im AngebotMedizinische Betreuung am TelefonCallcenter im KommenWer hat was davon?Nicht für dumm verkaufen lassen!Die Allianz der GutfinderEine Spur der VerwüstungDas neue NetzwerkKapitel 13Haufenweise SchnäppchenpreiseKrank, alleingelassen, ruiniertWohin zum Lernen?Nach Frankreich oder in die USA?Was Ulla Schmidt in den USA lernteFrom Watergate to KaisergateAmerika, du hast es besser?Schön vernetztUlla, Edgar, Nixon und HillaryKapitel 14Wenn schlechter Rat teuer istBerater kommen aus allen LöchernWer hat sie gerufen?Klaus Esser ist auch schon daParalyse durch BeratungAlle Wege führen nach GüterslohWillkommen im Bertelsmann-Club!Bertelsmann und der Anti-Edison-EffektNeusprech sabotieren!Wie Bertelsmann auf den Schoß kamWie man alles ins Laufen bringtKapitel 15Solidarität ade!Von den Starken und den Schwachen im StaatIhr habt die Macht nur geliehen!Bittere FrüchteWelchen Staat wollen wir?Kapitel 16Lasst die jungen Ärzte nicht im Regen stehen!Bürgerpatienten kämpfen für junge Ärzte!Wohin die Reise gehtNachwort
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Einleitung

Wie viel Geld geben Sie für Gesundheit aus, Sie persönlich? Zählen Sie einmal zusammen, angefangen vom Krankenkassenbeitrag über Zuzahlungen in der Apotheke bis hin zu Vitamintabletten und der Rückenschule im Fitnessstudio. Sie werden schnell merken, was auch allgemeine Zahlen belegen: Das Gesundheitswesen beansprucht einen ordentlichen Brocken in Ihrem Budget. Gesamtwirtschaftlich betrachtet ist es ein beeindruckender Wirtschaftszweig, dessen Prognosen in einer alternden Gesellschaft prachtvoll sind. Für das Gesundheitswesen werden in den kommenden Jahren ordentliche Wachstumsraten erwartet – bis zu 3 Prozent pro Jahr. Im Jahr 2030 werden etwa 4,7 Millionen Menschen im Gesundheitsbereich tätig sein. In zwanzig Jahren, so wollen es die Hochrechnungen derer, die »Gesundheit« schon privatisiert sehen, werden wir pro Jahr nicht 240 Milliarden Euro in diesem Bereich ausgeben, sondern ca. 500 Milliarden Euro. Eine bemerkenswerte Zahl, die nachdenklich macht. Denn sie besagt: Gesundheit wird dann doppelt so teuer sein wie heute. Man könnte auch sagen: Nachdem wir unsere Ausgaben für Krankenkasse, Rezeptzuzahlungen, Vitamintabletten und Rückengymnastik zusammengezählt haben, bleibt nicht mehr viel für den Rest des Lebens.

Das Gesundheitswesen war lange Zeit eine Domäne des Staates. Inzwischen bindet der Staat aber immer mehr privatwirtschaftliche Unternehmen in diese Aufgabe ein. Von Privatisierung ist die Rede. Privatisierung ist das Herzstück immer neuer Gesundheitsreformen. Privatisierung soll Wettbewerb entfachen und die Kosten dämpfen, die Qualität steigern und die Versorgung der Patienten verbessern. Ich bekenne: Das Wort »Reform«, wenn es aus einem Politikermund kommt, kann ich nicht mehr hören. Jeder halbwegs wache Bürger weiß doch: Wenn ein Politiker »Reform« sagt, geschehen innerhalb kürzester Zeit zwei Dinge: 1. Es funktioniert gar nichts mehr. 2. Die Kosten laufen uns erst recht davon. Bahn, Post, Energie, Rente – wo gibt es ein einziges Beispiel für Spar- und Effizienzeffekte durch Privatisierung? Deshalb lautet meine ganz persönlich Formel für »Reform«: Alles wird doppelt so teuer, aber halb so effizient.

Meine These: Gesundheitsreform ist nur der Deckname für einen undemokratischen und unsozialen Umbau in unserer Gesellschaft, der alle Bürger mit höheren Kosten bestraft und ihnen geringere Leistungen beschert. Aber ist es nicht wahr, dass unser Gesundheitssystem nicht mehr finanzierbar ist? Wir alle wissen doch: Die Kosten laufen uns davon. Es gibt nachhaltige demographische Veränderungen. Wir haben einen Zuwachs an Zivilisationskrankheiten. Sinkende Wachstumsraten in der Wirtschaft und eine dauerhaft hohe Arbeitslosigkeit führen zu weniger Beitragszahlern. Wir müssen die Folgekosten der deutschen Einheit tragen. Und schließlich fordert der Fortschritt in der modernen Medizin seinen Tribut.

Ich halte dagegen (und werde darin von vielen Fachleuten unterstützt): Es ist mehr als genug Geld da für eine ordentliche gesundheitliche Grundversorgung. Es wird nur für die falschen Dinge ausgegeben. Nehmen wir ein kleines Beispiel: Im Speckgürtel der Stadt München gibt es mehr Computertomographen (CT) als in ganz Italien (!). Italien hatte am 31.12.2006 genau 59131287 Einwohner. München hatte am 31.3.2007, also drei Monate später, genau 1332650 Einwohner. Wahrscheinlich ist es das Olivenöl, oder die Münchner leiden an einer besonderen Form von Knochenerweichung, so dass sie derart viele Computertomographen brauchen. Ein einziges dieser Geräte kostet rund 2,5 Millionen Euro – und die müssen sich amortisieren. Also wird am Fließband und rund um die Uhr untersucht. Leerlauf darf es nicht geben. Notfalls wird das halbe Altersheim aus der Nachbarschaft durchleuchtet!

Fazit: Es ist offenkundig jede Menge Geld vorhanden für Geräte, die einen Rattenschwanz an Folgekosten hinter sich herziehen. Bezahlt wird das alles von Ihren Beiträgen!

*

Doch sehen wir uns zunächst die Ausgangslage an: Das deutsche Gesundheitssystem wird fast ausschließlich über Versichertenbeiträge finanziert. Gut 90% der Bevölkerung sind über eine gesetzliche Krankenversicherung (GKV) versichert, bis zu einer gewissen Einkommenshöhe sogar pflichtversichert. 9% der Bevölkerung sind privat krankenversichert. Nur etwa 0,1–0,3% der Bevölkerung sind ganz ohne Krankenversicherungsschutz. Immer mehr Gesundheitsleistungen werden in Deutschland allerdings nicht mehr über die gesetzliche Krankenversicherung abgedeckt, sondern aus Mitteln der Eigenbeteiligung erbracht (Zuzahlung). Neben dem System staatlicher Leistungen hat sich in den letzten Jahren ein regelrechter »Gesundheitsmarkt« etabliert, der von Wellness-Angeboten über Anti-Aging-Therapien und Fitnessprogrammen bis hin zu Schönheitsoperationen reicht, ein Markt, an dem auch Ärzte und Klinikeinrichtungen teilhaben. Die Rede ist von so genannten »IGeL-Leistungen«, sprich: individuellen Gesundheitsleistungen.

Mit 10,7% Anteil am Bruttoinlandsprodukt (BIP) besitzt Deutschland das viertteuerste Gesundheitssystem der Welt. Auf 1000 Einwohner kommen 3,4 niedergelassene Ärzte und 9,7 Krankenpfleger/Krankenschwestern. 2004 arbeiteten 4,2 Millionen Menschen in der Gesundheitswirtschaft, das waren 10,6% aller Beschäftigten. Die sogenannten Krankheitskosten beliefen sich im Jahr 2006 auf insgesamt 234 Milliarden Euro; pro Mann waren das 2240 Euro, pro Frau 3160 Euro. Die Ausgaben der gesetzlichen Krankenversicherung im Jahr 2006 verteilten sich wie folgt: 34,0% Krankenhausbehandlung, 17,5% Arzneimittel, 15,1% ärztliche Behandlung, 5,5% Verwaltungskosten, 5,2% zahnärztliche Behandlung, 3,9% Krankengeld, 3,1% Hilfsmittel, 2,5% Heilmittel, 2,0% Fahrtkosten, 1,6% Vorsorge und Reha-Maßnahmen, 1,4% häusliche Krankenpflege; der Rest, immerhin 8,2%, wurde für Sonstiges ausgegeben.

*

Warum sind mächtige Gruppen so heftig am Umbau unseres Gesundheitssystems interessiert, der unter dem Decknamen »Gesundheitsreform« vorangetrieben wird. Mehr noch: Warum möchten sie diesen Umbau steuern? Die Antwort ist eindeutig: Es ist die Aussicht auf hohe Gewinne, die private Investoren anlockt. Und dass im Gesundheitswesen künftig ordentlich verdient werden kann, dafür sprechen handfeste Gründe:

»Gesundheit« ist ein Produkt, das – greift man auf die Kategorien nice to have und must have zurück – eindeutig ein must have ist. Kaugummi muss niemand haben, er ist nice to have – aber Gesundheit braucht jeder, sie ist ein must have. Gesundheit ist nicht alles, heißt es, aber ohne Gesundheit ist alles nichts. In den Augen der meisten Menschen ist Gesundheit deshalb das höchste Gut. Manch einer opfert sein Vermögen, rennt von Arzt zu Arzt, testet jede nur denkbare und Hoffnung vermittelnde Therapie, um von seinen Leiden erlöst zu werden. Bei der Gesundheit geht es buchstäblich um Kopf und Kragen. Das wissen die Anbieter von Gesundheitsprodukten und Gesundheitsdienstleistungen, und sie spielen geschickt auf dieser Klaviatur. Sie wissen, dass viele Menschen für die Wiedererlangung ihrer Gesundheit jeden Preis bezahlen würden. Und weil es die natürliche Logik jedes Wirtschaftsunternehmens ist, werden die Anbieter von Gesundheitsdienstleistungen alles daransetzen, dass erstens auch jeder Preis gezahlt wird und zweitens sie an genau der Stelle sitzen, an der das must-have-Produkt, die must-have-Dienstleistung, nachgefragt wird. Marketing orientiert sich bei der Preisgestaltung übrigens keineswegs primär an den Gestehungskosten eines Produkts; es versucht den Preis zu bekommen, der beim Kunden gerade noch durchsetzbar ist.

Wir leben in einer Gesellschaft, in der unglaublich viel Geld gehortet wird. Menschen werden alt und haben bedeutende Vermögen angespart. Diese Reserven haben die Anbieter von Gesundheitsdienstleistungen im Blick. Der Zugriff erfolgt nicht mit vorgehaltener Maschinenpistole. Die Leute geben ihr Geld ja freiwillig her, weil Gesundheit in unserer wohlhabenden Gesellschaft einen extrem hohen Stellenwert hat. Je wohlhabender eine Gesellschaft ist, desto mehr lässt sie sich ihre Gesundheit kosten. Die Businesspläne der Gesundheitskonzerne von morgen rechnen heute schon mit der bekannten Einsicht des Philosophen Voltaire: »In der ersten Hälfte unseres Lebens opfern wir unsere Gesundheit, um Geld zu verdienen. In der zweiten Hälfte unseres Lebens opfern wir das Geld, um unsere Gesundheit wiederzuerlangen.«

Sollte je eine Gesundheitsindustrie ohne jegliche staatliche Kontrolle bei uns Wirklichkeit werden (und vieles spricht dafür), so dürfen wir eine Orwellsche Welt erwarten: Das »System« wird radikal alles in die Hand bekommen, was nur entfernt nach Gesundheit riecht; es wird alle Einrichtungen besitzen, alle Personen kontrollieren, alle Pflegekräfte, alle Ärzte. Freie Ärzte wird es nicht mehr geben. Man wird sie auf Linie bringen und zu Funktionären eines renditeorientierten Systems umschulen. Noch operieren die Investoren im Hintergrund, agieren als Partner von Krankenkassen und Kassenärztlichen Vereinigungen. Aber diese Verhältnisse sind in den USA längst an der Tagesordnung, und sie nahen mit atemberaubender Geschwindigkeit. Wann werden bei uns die Markennamen der Pharmariesen und Gesundheitsunternehmen auf den Kitteln der Ärzte und Pfleger prangen?

*

Ein kleiner Hinweis noch, bevor es losgeht: Für dieses Buch sollten Sie einen grünen und einen roten Stift bereitlegen. Bei allem, was Sie in Zukunft noch haben wollen, machen Sie einen grünen Punkt an den Rand, bei allem, was Sie ablehnen, einen roten.

Finden Sie es beispielsweise eine tolle Idee, dass Sie in Zukunft über ein Callcenter Ihrer Krankenkasse betreut werden statt von Ihrem Hausarzt, machen Sie einen grünen Punkt an die Seite. Wenn Sie das allerdings für Schwachsinn3(sprich: Schwachsinn hoch drei) halten, dann setzen Sie einen roten Punkt. Sie führen damit ein einfaches und überschaubares Punktesystem ein, um das Sie jeder Kassenarzt beneidet. Denn bei allem, was Ärzte an Patienten diagnostisch und therapeutisch tun, müssen sie »Punkte« notieren; das ist die Grundlage des Abrechnungsverfahrens mit den Krankenkassen. Mit Recht halten die Ärzte das für Schwachsinn3; sie zahlen bei diesem System, zu dem sie durch die Kassenärztlichen Vereinigungen gezwungen werden, Punkt für Punkt drauf.

Ihr Punktesystem allerdings lohnt sich. Denn aus der Addition der Dos and Don’ts ergeben sich klare politische Forderungen, an denen Sie Politiker und Parteien messen können. Dass ein Callcenter besser als ein Hausarzt ist – davon ist derzeit nämlich die Politik überzeugt, auch wenn 99% der Bevölkerung dies wahrscheinlich für Schwachsinn3 halten. Trotzdem wird es durchgesetzt – ohne jede Rücksicht auf Ihre Wünsche und Bedürfnisse. Ein Querdenker im Politikgeschäft, Friedrich Merz, hat von den »sog. Gesundheitsreformen« gesprochen, weshalb er auch wohl auch raus ist aus diesem Geschäft. Ich stimme ihm zu, zumindest in diesem Punkt. Warum, das werden Sie sehen, wenn Sie dieses Buch lesen.

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Kapitel 1

Warum wir wissen sollten, was ein »Patient« und was ein »Arzt« ist

Wenn das eintritt, was sich gerade am Horizont abzeichnet, wird es in zehn Jahren in Deutschland keine freien, niedergelassenen Ärzte und keine Patienten im herkömmlichen Sinn mehr geben. In zehn Jahren werden »Ärzte« ferngesteuerte Gesundheitstechniker im Dienst börsennotierten Kapitalgesellschaften sein, und Patienten werden die »Kunden« dieser Firmen sein. Was hat das für Konsequenzen? Vielleicht sagen Sie: Na, die Leute werden immer krank sein, ob man sie nun »Patienten« oder wie auch immer nennt. Und was kann es denn schaden, wenn ein bisschen mehr Service in deutsche Praxen und Kliniken einzieht? Welcher Patient hat nicht schon einmal erlebt, dass ihn ein Arzt arrogant abfertigte? Könnten sich nicht manche Halbgötter in Weiß einmal eine Scheibe abschneiden bei der Achtung und Wertschätzung, die Dienstleister ihren Kunden entgegenbringen? Und was soll schlimm daran sein, wenn Ärzte nicht mehr auf eigene Rechnung kurieren, sondern Angestellte eines Unternehmens sind? Ändert das etwas an den Heileffekten, ob der Therapeut nun ein freier Arzt ist oder einer mit einem Käppi, auf dem »Kaiser Permanente« oder »Pfizer« steht.

Wenn Sie so denken, muss ich Ihnen entschieden widersprechen: Es ist ein Unterschied wie Tag und Nacht. Um das zu verstehen, muss man einen klaren Begriff davon haben, was das ist – ein »Patient«, ein »Arzt« …

Ein denkwürdiger Arztbesuch

Es ist noch nicht lange her, dass ich über diese Frage nachdenke. Es begann an einem Abend im Januar 2007, an dem ich aufgrund einiger Beschwerden meinen Hausarzt aufsuchte. Heute sind wir gute Freunde. Damals war ich die »Patientin«, er der »Arzt«. Normalerweise bin ich für meine Fähigkeit bekannt, die Dinge auf den Punkt zu bringen. Aber das war dieses Mal nicht so einfach. Es ging um meine angegriffenen Stimmbänder nach einer Angina und diverse andere Beschwerden. Nach meinem laienhaften Verstand konnten die regelmäßig auftretenden Phänomene eigentlich nichts mit der Angina zu tun haben. Aber man soll einem Arzt ja alles sagen, damit er sich ein Bild machen kann. Vielleicht ist ja gerade ein bestimmtes Detail für den Arzt der Schlüssel zur Diagnose. Wozu gehe ich denn zu ihm hin? Wenn ich selbst wüsste, was mir fehlt, bräuchte ich ihn nicht.

Während meiner Schilderungen merkte ich nach und nach, dass der Mann zeitlich unter Druck stand. Klar, dachte ich, im Wartezimmer warten noch viele Patienten, daran wird es liegen. Dann rief ihn seine Sprechstundenhilfe auch noch wegen einer unaufschiebbaren Angelegenheit zu sich. Ich saß allein im Sprechzimmer und genoss erst einmal die zwangsweise verordnete Ruhe – Ruhe, von der ich viel zu wenig habe! Aber da war dieses Geräusch!

Ich schaute auf den PC, der sich offenkundig selbständig machte. Ein Laufband ließ mich wissen: »Die veranschlagte Zeit für diesen Patienten ist abgelaufen!« Na super, am liebsten hätte ich mich an die Tastatur gesetzt und dazu geantwortet: »Denkste!« Schließlich kam der Arzt zurück. Ich zeigte wortlos auf das Laufband, sollte ja meine Stimme schonen. »Oh«, meinte der Arzt, peinlich berührt, »das hat nichts mit Ihnen zu tun, das ist nur ein Hinweis, damit ich nur ja in der Zeit bleibe, die uns für jede Behandlung vorgegeben ist.« – »So«, konterte ich, »jetzt geht es schon beim Arzt zu wie am Fließband bei der Autoindustrie, Akkord nennt man es da!«

Mein Hausarzt begann sich sichtlich unwohl in seinem Kittel zu fühlen: »Sie sind mir absolut wichtig, aber leider läuft durch die Gesundheitsreform alles anders … Behandlungszeit ist ein Kostenfaktor.« Mir kochte die Galle über: »Ich will Ihnen mal was sagen: Meine Behandlungszeit ist nicht dann zu Ende, wenn Ihre Kiste piept, sondern wenn wir beide mein Gesundheitsproblem kapiert und auf eine Weise gelöst haben, dass ich weiß, was ich machen kann und soll.« Irgendwie verstand es Stephan (wir sind längst per Du und wie gesagt heute gute Freunde), mich von der Decke zu holen: »Schauen Sie, wir alle, meine Kollegen genauso, müssen uns an die Richtlinien halten, die uns vorgegeben sind. Wir haben ein enges Budget, jede Behandlung wird zeitlich berechnet, wir werden über ein Punktesystem bezahlt. Ist die Zeit für ein Patientengespräch abgelaufen, zahlt die Kasse nichts mehr. Alles, was Sie über dieses Zeitbudget hinaus in Anspruch nehmen, geht auf meine Rechnung.« Ich bekam den Mund nicht mehr zu. Jetzt war es an Stephan, sich in Rage zu reden: »Wissen Sie, was ich dafür bekomme, dass Sie hier sitzen?« Er nannte mir eine Summe, und ich verglich sie mit dem Honorar einer Putzhilfe. 1:0 für die Putzhilfe!

Jetzt flunkert er aber, schoss es mir durch den Kopf. Aber Stephan ließ sich nicht bremsen: »Wir alle sind keine ›Ärzte‹ mehr, sondern Sklaven eines perfiden Systems, das uns zu Dingen zwingt, die mit dem ärztlichen Ethos eigentlich völlig unvereinbar sind. Wissen Sie, was ich tun soll, damit ich meine Familie ernähren kann?« Ich hatte keine Ahnung. »Haben Sie schon mal was von IGeL-Leistungen gehört? Ich soll Ihnen zusätzlich Dienstleistungen und Produkte verkaufen. Irgendwelchen Gesundheitsklimbim, womit ich mein schmales Salär aufbessern kann.« Ich schaute skeptisch. Stephan ließ sich nicht bremsen: »Was wollen Sie? Ich habe eine ganze Menge davon! Hier ein Euro, da ein Euro. Wer will noch mal, wer hat noch nicht? Zusätzliche Stuhlprobe gefällig? Die von der Kasse ist natürlich Mist. Schnell doch noch mal wissen wollen, wie es mit den Pilzen im Körper steht? Könnte ja megagefährlich sein, wenn das nicht entdeckt wird! Ist ja auch gar nicht teuer. Ein bisschen mehr müssen Sie schon berappen für gewisse Impfungen – aber wollen Sie wirklich Ihr Leben riskieren?« Ich hatte genug. »Bleiben Sie mir mit Ihrem Bauchladen von der Pelle!«

Ich wusste in diesem Moment nicht, was mich an seinen Ausführungen so spontan und heftig empörte. Kein Mensch ist schließlich gezwungen, bestimmte ärztliche Dienstleistungen oder Produkte zu kaufen. Man kann nein dazu sagen. Dennoch hatte ich das unbestimmte Gefühl, hier sei eine Art Rubikon überschritten, hier tut ein Arzt – gezwungen oder freiwillig – etwas, das ihm in keiner Weise zukommt, wenn er denn den Namen »Arzt« verdient. Das Gespräch mit Stephan endete daher mit einer ungewöhnlichen Maßnahme. Ich lud meinen Hausarzt zu uns nach Hause ein. Ich wollte es genau wissen. An einem Abend derselben Woche noch kam Stephan tatsächlich. Wir diskutierten bis nach Mitternacht. Was ich an Details über den deutschen Gesundheitsdschungel erfuhr, entfachte in mir nur noch heftigeren Zorn.

Wir sind alle keine Ärzte mehr

Eine Woche nach diesem Erlebnis saßen bereits fünf Hausärzte aus der Umgebung in unserem Esszimmer. Sie ließen gehörig Dampf ab. »Es geht uns an den Kragen«, sagte der eine, »die Politik treibt uns gezielt in die Pleite.« – »Die Patienten werden beschissen und betrogen und ausgenommen wie eine Weihnachtsgans!«, meinte der andere. »Längst geht es nicht mehr um die Gesundheit des Patienten; es geht nur noch um die Rendite von Fondsgesellschaften!« Wieder ein anderer meinte: »Meine ganze Alterssicherung steckt in meiner Praxis. Keiner will so einen unrentablen Laden kaufen. Was soll ich tun? Hartz IV beantragen?« Und wieder ein anderer meinte: »Kaum noch einer studiert Allgemeinmedizin. Zu Tausenden fliehen unsere jungen Ärzte ins Ausland. Dieses System will uns Hausärzte nicht.« Ich schaute in die Runde: »Das ist doch unglaublich. Wo bleibt die Politik?« Die Ärzte jaulten auf. Das nun hätte ich nicht sagen dürfen! Was folgte, hätte man am besten auf Video aufgenommen und in die Parteizentralen aller deutschen Parteien geschickt. Es hagelte nur so an wütenden, sarkastischen Bemerkungen.

Es war dieser Abend, an dem mein zunächst unbestimmter Zorn vom ersten Abend in kühle Entschlossenheit überging. Ich überriss die Situation: Wenn auch nur ein Bruchteil der Berichte und Beobachtungen stimmte, standen wir am Kraterrand des vielleicht heimtückischsten und folgenreichsten Politikskandals der deutschen Nachkriegsgeschichte: der zur Ausplünderung freigegebenen Auslieferung des Patienten an den freien Markt. Für Leben und Gesundheit seiner Bürger Sorge zu tragen ist eine der fundamentalen Pflichten des Staates. Was tut die Politik? Sie schlägt sich in die Büsche. Und nicht nur das. Sie mischt nach Kräften mit, so dass wir in wenigen Jahren mit einer Krebserkrankung nicht mehr zum Arzt, sondern zur nächsten Dependance der Chemiefabrik gehen.

Eine Woche später war ich bereits auf einer Protestveranstaltung von Ärzten (von der ich später erzähle), wieder eine Woche später hatte ich mich entschieden, eine Initiative zu starten. Meine Webmasterin kennt meine Entschlussfreudigkeit und legte sofort los. Innerhalb von Tagen stand die Homepage www.patient-informiert-sich.de. Ich war in einer Stimmung wie vor einer großen Schlacht.

Meine Entschlossenheit blieb von da an bis heute bestehen. Meine Recherchen bestätigten nicht nur die Aussagen der Ärzte, sie verschärften sogar deren Erlebnisse, ließen den gewaltigen Hintergrund einer einzigartigen Politikintrige erahnen. Nach und nach kamen immer neue Informationen auf meinen Schreibtisch, die sich fast wie von selbst zu einem Puzzle politischer Infamie zusammensetzten.

Während ich Recherche betrieb, quälten mich bohrende Fragen. Ich ließ sie zu, ließ mich verunsichern: Warum nur soll all das so schlimm sein? Sind wir alle nur ein wenig traditionell in unserem Denken? Festgefahren in alten Gewohnheiten? Fordert eine neue Zeit nicht eine neue Art von Medizin? Ließ ich mich vor den falschen Karren spannen? Wurden da vielleicht nur alte Erbhöfe verteidigt? Was soll schon so schlimm daran sein, wenn sich unsere Strukturen ein bisschen verändern, wenn wir Patienten uns ein bisschen umstellen müssen, wenn mal etwas an den ärztlichen Pfründen gekratzt wird, ein bisschen privatwirtschaftliche Power in das marode System kommt? Die Fakten, die auf meinem Schreibtisch landeten, redeten eine andere Sprache. Nein, ich redete mir nichts ein. Es ging nicht um einen Modernitätsschub oder um eine strukturelle Anpassung, der ich mich aus restaurativen Gründen verweigern wollte – es ging um die gezielte Zerstörung von etwas sehr Grundsätzlichem. Mir blieb Stephans Wort im Ohr: »Wir sind alle keine ›Ärzte‹ mehr …«

Der Patient – die wichtigste Person

So beschaffte ich mir Literatur und fragte meine neuen Freunde aus der Ärzteschaft: Was ist denn das eigentlich im Idealfall – ein »Arzt«, ein »Patient«? Ein süddeutscher Hausarzt schickte mir gleich eine ganze Tafel, die er in seinem Wartezimmer aufgehängt hatte: »Liebe Frau Hartwig, was ein Arzt letztlich ist, darüber denke ich nach dreißig Berufsjahren noch immer ergebnislos nach – aber was ein Patient ist, das weiß ich. Hier schicke ich Ihnen den Text, den ich vor Jahren irgendwo aufgeschnappt habe. Ich habe nicht herausgefunden, wer ihn eigentlich verfasst hat. Aber er ist in meiner Praxis die Arbeitsgrundlage für alle Mitarbeiter. Wenn ich jemand einstelle, muss er diesen Text lernen. Ich frage danach – und ich werde sauer, wenn jemand gegen diesen Codex verstößt.« Mir hat der Text gefallen. Ich denke, Sie haben auch Freude daran:

Ein Patient ist die wichtigste Person in unserer Praxis, gleichgültig, ob er persönlich da ist oder telefoniert.

Ein Patient hängt nicht von uns ab, sondern wir von ihm.

Ein Patient ist keine Unterbrechung unserer Arbeit, sondern ihr Sinn und Zweck.

Ein Patient ist jemand, der uns seine Wünsche bringt. Unsere Aufgabe ist es, diese Wünsche in erster Linie gewinnbringend für ihn, aber auch gewinnbringend für uns zu erfüllen.

Ein Patient ist keine kalte Statistik, sondern ein Mensch aus Fleisch und Blut, mit Vorurteilen und Irrtümern behaftet.

Ein Patient ist kein Außenstehender, sondern ein lebendiger Teil unserer Praxis. Wir tun ihm keinen Gefallen, indem wir ihn bedienen, sondern er tut uns einen Gefallen, wenn er uns Gelegenheit gibt, es zu tun.

Ein Patient ist jemand mit eigenem Geschmack. Wir können nicht erwarten, dass er den gleichen Geschmack hat wie wir, sondern müssen versuchen, uns in ihn zu versetzen und ihn zu verstehen.

Mir gefiel der Text. In einer solchen Praxis, dachte ich mir, fühlst du dich wohl. Da bist du nicht die Nummer XY-88-Z oder die »Niere von Zimmer 7«. Da begegnen dir Menschen mit Liebe und Achtung, weil sie verstehen, dass du in einer besonderen Situation bist. Man geht schließlich nicht aus Jux und Tollerei zum Arzt, sondern aus Not – weil man von etwas gequält ist, weil einem der Kopf platzt vor Schmerzen, weil man kolikartige Schmerzen hat, weil das Herz nicht mehr in einem natürlichen Rhythmus schlägt – letztlich, weil man »Patient« ist.

Das Wort »Patient« stammt aus dem Lateinischen; es kommt von patiens, und es bedeutet: etwas erduldend.Ich glaube, es gehört zur normalen Kultur unter anständigen Menschen, dass man sensibel ist für Menschen, die etwas erdulden, sei es eine Krankheit, vielleicht sogar eine lebensbedrohliche, sei es ein körperliches oder seelisches Handicap, sei es ein Unfall, der einen Menschen von jetzt auf gleich aus der Bahn wirft und zu einem Angewiesenen, Abhängigen, Hilfsbedürftigen macht. Der mittelalterliche Gründer der Malteserritter verlangte von seinen Leuten, dass sie die Kranken, die in das Jerusalemer Hospital aufgenommen wurden, als die »Herren Kranken« ansehen und entsprechend behandeln sollten. Aber schon unser Herz sagt uns, dass wir ihnen mit größerer Liebe und Nachsicht begegnen müssen als den anderen, den Gesunden, Jungen, Unbelasteten. Oder haben wir es in unser nachchristlichen Gesellschaft nur noch irgendwie in den Genen, dass wir mitleidig sein sollen? Es gibt einen Satz von Heinrich Böll, der mich nachdenklich machte: »Selbst die allerschlechteste christliche Welt würde ich der besten heidnischen vorziehen, weil es in einer christlichen Welt Raum gibt für die, denen keine heidnische Welt je Raum gab: für Krüppel und Kranke, Alte und Schwache, und mehr noch als Raum gab für sie: Liebe für die, die der heidnischen wie der gottlosen Welt nutzlos erschienen und erscheinen.«

Ich bin mir ziemlich sicher, dass heute viele ganz anders denken. Sie halten Mitleid für Luxus. Sie schaffen die Alten aus den Augen, kasernieren sie in Gettos, genannt Altenheime. Sie verklagen Urlaubsveranstalter wegen der »störenden Behinderten« am Pool. Sie gehen gnadenlos mit anderen um – und sie gehen gnadenlos mit sich selbst um. Sie glauben von sich und ihrem Körper, sie seien eine Art Maschine, und wenn da etwas nicht funktioniert, geht man zum Klempner, sprich zum Arzt. Der richtet das dann. Mitleid stört beim Wechsel von Ersatzteilen. Ich verlange aber von einem Arzt, dass er sich nicht in die Maschine RH eindenkt, sondern in den Menschen Renate Hartwig einfühlt. Wenn ich patiens bin, also etwas erdulde, das ich nicht aktiv beheben kann, wenn ich streckenweise die Kontrolle über mich verliere, denn das heißt ja krank sein, wenn ich vielleicht sogar um mein Leben fürchte, dann soll jemand da sein, der mich versteht, der mich unterstützt, um eventuell Wege zu finden, die mir helfen, mich zu heilen.

Der Arzt meines Vertrauens

Darum ist das erste Wort, das mir einfällt, wenn ich an »Arzt« denke, das Wort Vertrauen. In einen Architekten sollte man ein gewisses Vertrauen haben, mehr noch in einen Steuerberater und noch mehr in einen Busfahrer im Oberengadin. Aber ich kenne keinen Beruf, in dem Vertrauen eine solch fundamentale Rolle spielt wie bei einem Arzt. Das hat einen einfachen Grund. Ich gebe dem Arzt ja nicht mein Haus, meinen Hund oder mein Vermögen in die Hand, sondern mein Leben. Ich kann mir ja selbst nicht helfen – das ist die fundamentale Situation. Was für eine Ungeheuerlichkeit: Ich komme zum Arzt und sage: »Ich gebe dir jetzt das Recht, mit mir etwas zu machen, das mich gesund macht. Du kannst mir ein Gift geben, das mich töten könnte, wenn du dich verrechnest. Ich gebe dir das Recht, dass du mir den Bauch, das Herz, den Kopf aufschneidest, wenn du meinst, es sei nötig.«

Wenn man es genau nimmt, gibt der Patient dem Arzt das Recht zur Körperverletzung. Analog gibt er einem Psychotherapeuten das Recht zur Seelenverletzung. Er tut das im sicheren Glauben, dass die Wunde, die der Arzt oder Psychotherapeut schlägt, letztlich zu seinem Besten ist. Der Patient ist der Ohnmächtige, der Arzt der Mächtige – ein unglaubliches, für die Heilung aber notwendiges Gefälle. Der Arzt braucht nämlich diese Rechte, er braucht diese Übertragung von Macht, damit er überhaupt etwas ausrichten kann. Warum übergibt sie ihm der Patient? Weil er zwei Dinge hat: erstens Angst und zweitens Vertrauen.

Die Angst besteht darin, dass er seine Gesundheit, ja sogar sein Leben verlieren könnte, wenn er allein an sich »herumdoktert«. Das Vertrauen besteht darin, dass der Patient einen echten »Arzt« findet, einen Menschen nämlich, dem er sich anvertrauen, dem er sich blind in die Hände geben kann. Der Arzt ist für den Patienten gewissermaßen letzte Instanz, und er verdient dieses Vertrauen. Generationen von Patienten haben in der Geschichte Vertrauen in den Stand der Ärzte gelernt. Bald muss man sagen: »Es gab« eine beeindruckende Kultur des Arztseins, in welcher Ärzte ihre Macht frei, dienend und verantwortungsvoll ausübten.

Der freie, nur seinem Gewissen verpflichtete Arzt, der nach bestem Wissen und Gewissen das Notwendige vornimmt oder verordnet, das ist das notwendige Gegenstück zum Patienten, der ein fast grenzenloses Vertrauen in seinen Arzt setzt. So war »Arztsein« immer mehr eine Berufung denn ein Beruf. Menschen mit einem hohen persönlichen Ethos fühlten sich davon angezogen. Wer Arzt wurde, musste nicht nur Menschenkenntnis und Einfühlungsvermögen besitzen sowie ein exzellenter Naturwissenschaftler sein – er musste sich durch eine hochentwickelte Kultur des Gewissens, durch die Fähigkeit zur Verantwortung und durch Rückgrat auszeichnen. »Ärztliche Verordnungen werde ich zum Nutzen der Kranken anwenden; vor Schaden und Unrecht werde ich sie bewahren«, schworen die jungen Ärzte einmal, als es noch angebracht schien, den Eid des Hippokrates von ihnen zu verlangen.

In einen Arzt Vertrauen setzen, das heißt sicher sein, dass der Arzt mein Bestes will. Er soll ganz und gar der Anwalt meiner Sache, meines Lebens sein; er soll so unbedingt zu meinem Besten handeln, als ginge es bei mir – diesem fremden Menschen – um sein eigenes Fleisch und Blut. Letztlich hat das ideale Verhältnis von Arzt und Patient sogar ein Moment von Liebe. Ein guter Arzt ist »liebevoll«: Er ist voll guter Wahrnehmung. Er ist total mit dem Herzen bei der Sache. Bei aller Distanz, die ein Arzt auch haben muss, weiß er um die Leiden seines Patienten. Der Patient muss das Gefühl haben: Der Arzt ist auf meiner Seite.

Das Kapital der heilenden Beziehung

So entsteht im Idealfall zwischen Arzt und Patient eine einzigartige Form der Intimität, die es in ähnlicher Intensität allenfalls zwischen einem Seelsorger und einem Gläubigen gibt. Der gute Arzt genießt in allen Kulturen das höchste Ansehen. Dubiose Ärzte hingegen, die »Beutelschneider« und »Quacksalber«, hasst man wie die Pest. Sie zerstören nämlich gerade das Kapital der heilenden Beziehung: das Vertrauen. Ein Arzt, der das Vertrauen seines Patienten ausnutzt, beispielsweise um ihn hinzuhalten, an ihm geldbringende Scheinheilungen vorzunehmen, ihn gar pekuniär auszunehmen oder ihn als Versuchskaninchen zu benutzen – ein solcher Arzt wird überall auf der Welt als verachtenswerter Lump betrachtet.

Nun wollen wir den Arztberuf nicht allzu sehr verklären. Natürlich wurde und wird immer auch Geld damit verdient, und manchmal gar nicht schlecht. Bleibt es im Rahmen, ist nichts dagegen einzuwenden. Dem dreschenden Ochsen, heißt es schon in der Bibel, soll man das Maul nicht verbinden. Sieht man einmal von gewissen Chefarztgehältern ab, die in meinen Augen ein ebensolches Ärgernis sind wie überzogene Managergehälter, so verdienen heute die meisten Ärzte mehr schlecht als recht. Junge Klinikärzte werden derzeit so schlecht honoriert, dass man damit kaum eine Familie gründen kann. Gegängelt von der Gesundheitsbürokratie, um die gerechte Honorierung ihrer Arbeit betrogen, haben viele Ärzte kaum mehr genug Erträge, um ihren laufenden Verpflichtungen nachzukommen. Hausärzte, deren einzige Alterssicherung oft in der Praxis steckt, stehen vielfach vor dem Nichts, weil kein junger Arzt ihnen ihre Praxis abkaufen will. Dazu der Arzt Wolfgang Bosch: »Der Arzt soll … nur für sein Helfersyndrom leben; er soll das Gesundheitswesen einschließlich der Bürokratie am Laufen halten und die Verwaltung der Krankenkassen unterstützen.«

Im deutschen Gesundheitswesen, einem der teuersten der Welt, ist ausgerechnet für die beiden Urfaktoren der heilenden Beziehung, für Patienten und Ärzte (nehmen wir Schwestern, Pfleger und Therapeuten gleich hinzu), kein Geld mehr da. In einem raffinierten System wird dem zahlenden Bürger, der sich als Patient im Wartezimmer wiederfindet, eine Eigenleistung nach der anderen aufgebrummt. Ärzte, Schwestern, Pfleger und Therapeuten sollen die Seiten wechseln. Nicht mehr auf Seiten des Patienten sollen sie stehen und als seine Helfer, Anwälte und Vertrauensleute agieren. Die medizinische Zukunft sieht sie als Agenten renditeorientierter Unternehmen vor; in ihrem Dienst sollen sie dem »Kunden« das Geld aus der Tasche ziehen.

Im Rahmen der heilenden Urbeziehung Arzt–Patient gab es schon immer eine Fülle nachgeordneter Instanzen und Institutionen, die für die Gesundheit da waren und von der Gesundheit lebten. Mittlerweile ist der Abstand zwischen Arzt und Patient größer geworden. In dieser Lücke hat sich im Laufe der Jahre ein gigantischer Kosmos an Dienstleistern, Vermittlern, Helfern und Produzenten breitgemacht, wofür wir die Namen »Gesundheitswesen« oder »Gesundheitssystem« erfunden haben: Megabürokratien von Kassen und Kassenärztlichen Vereinigungen, eine Fülle von Pflege-, Service- und Rehabilitationseinrichtungen, Labors und Instituten, Kliniken jeder Größe und Spezialisierung, Zulieferer und vor allem eine gewaltige Pharmaindustrie – ein Kosmos aus lauter hilfreichen und notwendigen Einrichtungen.

Letztlich lebt das alles vom Kapital der Patienten-Arzt-Beziehung, dem Vertrauen. Ganz am Ende soll der Patient sagen: »Ich habe das Vertrauen, dass es alle diese Dinge nur zu dem Zweck gibt, damit ich gesund werde. Ich bezahle das schließlich!« Ob 220 Krankenkassen mit 220 Krankenkassengeschäftsführern und 220 Apparate mit gewiss mehr als 220 Angestellten, die sich mit 220 teuren Werbestrategien gegenseitig auch noch die letzten 220 »Kunden« abspenstig machen, »gesund« sind, steht dahin. Aber es kostet genau das Geld, das wir für die Erhaltung unserer Gesundheit brauchen.

Der Fehler im System

Leider hat das Gesundheitssystem der Zukunft, das der zunehmenden Auslieferung des staatlichen Gesundheitsauftrags an den Markt, einen Systemfehler: Weil der Markt der Markt und nicht die Caritas ist, kann es dort nicht um Gesundheit als letztes Ziel gehen. Wirtschaftsunternehmen wollen »mit Gesundheit« Geld verdienen. Sie haben kein Mitleid und keinen sozialen Auftrag. Sie investieren in das System, um daran zu verdienen. Wenn anstelle der ärztlichen Hinwendung zum leidenden Menschen die Logik einer Kaufbeziehung zwischen einem Gesundheitsanbieter und einem Kunden tritt, wenn der Arzt nur noch der operative Agent eines Unternehmens ist, das verkaufen will, dann ist das ganze Kapital der heilenden Beziehung, das Vertrauen nämlich, zerstört. Schon lange sind Patienten misstrauisch gegenüber dem allgegenwärtigen »Maschinenpark« in den Praxen – da kommt man nämlich nicht mehr heraus, ohne seinen ganz persönlichen, zeitraubenden Beitrag zur Rundumauslastung des Maschinenparks geleistet zu haben. Wenn das nun Schule macht, wenn sich jeder beim Arztbesuch fragen muss: »Ist das nun wirklich indiziert, oder muss er nur die Steigerungsraten seines Unternehmens mit der Verordnung einiger zusätzlicher Medizinalspielchen erfüllen?« – dann stirbt das Vertrauen.

So begann mein intensives Nachdenken über die Logik der neuen »Gesundmacher«. Geht es ihnen um den kranken Menschen, oder geht es um die maximale Plünderung zahlungsfähiger Kranker, ja genau genommen sogar um die Plünderung zahlungsfähiger Gesunder. Bin ich vielleicht gar nicht krank? Redet der mich nur krank, weil ich Geld habe und beschwatzbar erscheine. Gesunde haben Geld. Wirkliche Kranke sind eher alt als jung, eher arm als reich – eine vernachlässigbare Größe.

Kranke stören im Gesundheitssystem. Weg damit. Fertigt sie ab! Aus Sicht der Maschine, die maximale Rendite für sich will und nicht maximale Gesundheit für wirklich Kranke, muss man an die Gesunden heran. Das schafft man, indem man ihnen auf jede nur denkbare Weise Angst macht, damit sie an den Tropf der Maschine kommen, Geld abliefern und mit immer neuen Tricks in der Abhängigkeit bleiben. Das dürfte nicht schwerfallen. Krebs lauert überall. Seuchen sind im Anmarsch, geheime Killer nagen in unserem Körper, wühlen schon in den Organen! Die Welt und das Leben im Besonderen ist voller Risiken. Man kann daran sterben, wenn man nicht aufpasst.

So tritt an die Stelle, an der in der herkömmlichen Patienten-Arzt-Beziehung das Vertrauen stand, das Misstrauen, die Angst vor Erpressung.

Die Maschine ist in Gang gesetzt. Der Staat will sich nicht mehr um die Gesundheit kümmern. Mit einer Skrupellosigkeit ohnegleichen wird die staatliche Aufgabe einer gerechten und sozialen Organisation von Gesundheit für alle dem freien Spiel der wirtschaftlichen Kräfte überlassen. Gesundheit wird mit Gewalt auf Markt getrimmt, ein Markt, bei dem es vorerst um 240 Milliarden, nach dem Willen der Konzerne bald aber um die doppelte Summe geht. Amerikanische, italienische, französische und russische Investoren stehen wie die Hyänen um den großen Kuchen. Sie kaufen auf, was nicht niet- und nagelfest ist. Alles, was nach Gesundheit riecht und staatlich gesponsert wird, ist for sale:Kliniken, Praxen, Geräte, Personal, zuletzt die Patienten. Längst sind der leidende Mensch und der helfende Arzt zu Randgrößen einer Irrsinnsmaschinerie geworden. Die Maschine interessiert sich nur für die Rendite.

Qualifiziertes Pflegepersonal zählt zu den Kostentreibern. Ärzte sind für die Maschine nur insofern interessant, als sie sich in billig bezahlte Agenten dieser Ausplünderungsaktion transformieren lassen. Ein Arzt, der frei und nur seinem Gewissen verpflichtet ist, ist Sand im Getriebe der industriell betriebenen Krankenplünderung. Er muss weg – er, der einzige Anwalt des Patienten, der Hüter seiner Daten. Der Kranke soll niemand an der Seite haben, der ihn vor unnützen Therapien bewahrt, seine Daten schützt und ehrlich an seiner Gesundheit interessiert ist. Der Patient soll allein sein, manipulierbar, zahlungsbereit. Wundert sich noch jemand, warum für den Berufsstand Hausarzt das Totenglöcklein läuten soll? Wundert sich noch jemand, warum im Moment die freien Fachärzte nichts so sehr beschäftigt wie die Angst, ebenfalls gleichgeschaltet zu werden? Ein Facharzt mailte mir im Juni 2008: »Ich kann Ihnen das Grundgefühl von uns Fachärzten präzise beschreiben: Wir fühlen uns als ›Kaufmasse‹. Wir warten nur darauf, was die Gesundheitsstrategen noch in der Trickkiste haben, um uns zum Verkauf unserer Kassensitze zu zwingen. Eines schönen Morgens wachen wir auf und sind fortan gekaufte Profitknechte der Medizinindustrie.« Wer hätte gedacht, dass sich Gesundheitspolitiker einmal als Helfershelfer solcher Machenschaften hergeben würden!

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Kapitel 2

Ärzte dürfen nicht mehr heilen – oder: Das Elend der Sklaven in Weiß

Ärzte fahren Mercedes. Ärzte wohnen in schicken Villen. Ärzte können nicht mehr laufen vor Geld. So denken immer noch viele Menschen, wenn sie an Mediziner denken. Vielleicht war das einmal so, dass Ärzte ein sehr gutes Einkommen hatten, und vielleicht gibt es auch heute noch ein paar Spezialisten und Medizinalunternehmer mit Doktortitel, die wissen, wie man den Geldhahn ordentlich aufdreht. Die Realität des normalen deutschen (Haus-)Arztes sieht anders aus. Er hat eine 60-Stunden-Woche. Er steht ökonomisch mit dem Rücken zur Wand. Er erstickt in Bürokratie. Die Patienten verlieren den Glauben an ihn, weil er nur noch auf der Billig-billig-billig-Schiene verordnen darf. Er weiß nicht, wie er im Alter überleben soll, denn seine ganze Alterssicherung steckt in einer Praxis, die er aber nicht verkaufen kann, weil niemand ein Pleiteunternehmen kaufen will. Sie halten das für übertrieben? Dann hören Sie ein paar Stimmen von Ärzten, die mir geschrieben haben.

Ärztehopping für Behinderte

Erschüttert hat mich der Fall eines Landarztes, der für seine behinderten Patienten kämpft. Hören Sie sich das an: »Ich kann Ihnen als Landarzt versichern, dass Sie in allen Punkten recht haben. Was hier in Westfalen-Lippe abläuft, ist an Perversität nicht zu überbieten. Da gibt es eine Elterninitiative, die gegründet wurde, weil Eltern von behinderten Kindern Ärztehopping betreiben müssen, da Ärzte aus Regressangst die notwendigen Verordnungen nicht mehr ausstellen. (…) Gegen mich laufen zurzeit sechs Wirtschaftlichkeitsprüfungen, davon sind drei existenzbedrohend, da die Überschreitungs- und mögliche Regresssumme bei über 118000 € liegt. Ich werde trotzdem weiter medizinisch Notwendiges verordnen, da ich nicht möchte, dass meine Patienten zu Schaden kommen.« (Dr. E.). Das sind für mich die Helden von heute: Ärzte, die für ihre behinderten oder chronisch kranken Patienten kämpfen und dafür sogar ihre berufliche Existenz riskieren!

Ein anderes Beispiel: Da ist diese sympathische Ärztin, die einen Vortrag von mir besucht hat und nun per E-mail ihr Herz bei mir ausschüttet. Sie ist in einer verzweifelten Situation. Lesen Sie selbst: »Liebe Frau Hartwig, Sie haben es fertiggebracht, dass mir klar wurde, wie würdelos wir behandelt werden und dass wir wirklich Würde haben und sie auch beanspruchen dürfen und stolz auf uns sein können, wie wir für unsere Patienten da sind. Ich bin Allgemeinärztin, wir haben vier Kinder; wir haben zwei Häuser gebaut – eine Praxis und ein Wohnhaus. Wir haben uns und unsere Kinder jahrelang vernachlässigt und uns selbst ausgebeutet. Wir sind immer noch hoch verschuldet. Wir versorgen unsere Patienten nach bestem Wissen und Gewissen. Klar, wir machen auch Fehler, die uns erheblich psychisch zusetzen, aber wir versuchen wirklich, für unsere Patienten da zu sein. Und wir haben es nicht verdient, zynisch von dieser Politik kaputt gemacht zu werden. Wir haben auch unsere Zulassung zurückgegeben, so wie außer einer Gemeinschaftspraxis alle unsere Kollegen aus unserer Notfalldienstgruppe. Nur unsere Bank wird es uns dann im Endeffekt nicht erlauben, denn unsere ganze Geldzahlungen sind an die Bank abgetreten, und so geht es den meisten Kollegen aus unserem Raum. Wir können keine ein oder zwei oder mehr Monate überbrücken.« (Dr. E.)

Diese Frau befindet sich wie Tausende andere Ärzte in Deutschland in einer Situation, die mich auf die Palme bringt. Hier hat ein unheiliges Kartell aus Politik, Kassenärztlicher Vereinigung und Kassen den Würgegriff angelegt. Wie viele andere Ärzte möchte sich diese mutige Frau dem staatlich verordneten Exitus der Hausärzte entziehen und die Zulassung zurückgeben. Das heißt im Klartext: Die Ärzte, die ihre Kassenzulassung zurückgeben, tun dies in einem verzweifelten Schritt, um weiterhin freie Ärzte unseres Vertrauens sein zu können.

Ich wäre liebend gerne Hausärztin

Eine bayerische Ärztin schreibt mir: »Was Politik, Kassenärztliche Vereinigungen (KV) und Kassen nicht wahrhaben wollen: Ihre Aktion »Hilfe-für-Hausärzte-in-Not« berührt mich tief. Genau diese Gründe, die Sie angeben, halten mich als Ärztin davon ab, endlich meinen Traum umzusetzen, eine Landarztpraxis zu eröffnen. Ich wäre liebend gern als Hausärztin tätig, kann es mir aber als Haupternährerin meiner Familie mit drei Kindern einfach nicht leisten. Mir wurden schon einige Praxen angeboten, die ich dankend ablehnen musste, da ich von meiner Arbeit a) leben und b) meine Familie ernähren muss, c) Zeit für meine Kinder haben und d) meine Patienten mit Zeit und Können ohne Regressangst behandeln möchte.« Was ist das für ein System, in dem Politiker sich auf die Schulter klopfen, wie toll ihre Gesetze und unser Gesundheitssystem sind – und eine Ärztin aus Leidenschaft trotz eklatantem Mangel an Landärzten mit ihren Kindern nicht anständig leben, ja nicht einmal mehr überleben kann.

»Als ich diesen Beruf ergriff«, schreibt mir der zornige Dr. B., »war ich ein Idealist, und – verdammt noch mal! – ich werde es bleiben!!! Ich werde mich nicht zum Fuzzi von Pharmaunternehmen machen lassen. Ich bin nicht die Nutte der Kassenärztlichen Vereinigung. Ich werde mich nicht prostituieren, um zu überleben. Die deutsche Gesundheitspolitik ist unmoralisch, unmenschlich, unanständig. Ich mache da nicht mit!«

Dieser Mann hat noch Kraft; andere Ärzte versinken in Lethargie und Frust, oder sie gehen in die innere Emigration. Dr. B.: »Viele von uns sind müde, gedemütigt trotz voller Praxen, desillusioniert ob der Dummheit und rücksichtslosen Machtversessenheit unserer politischen Klasse, und dazu gehört bei Gott auch die Blase der Körperschaften.« Mit Körperschaften meint er die Kassen und die Kassenärztlichen Vereinigungen.