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Nachdem Ilorn die Indellyin in den Krieg geführt hatte (siehe erste AnWel Trilogie), musste er sein Amt als Oberster des Rates niederlegen. Gemeinsam mit Tom und Taldor, Rythall und Sörelan, sowie Akaya und Thynlar wandert er zurück zu dem Reich der Indellyin. Dort läd Ilorn die Freunde ein, ihn auf seinem Pferdegut zu besuchen. Allerdings entwickelten sich die Dinge nicht so friedlich wie erhofft -- ein Sray stifte Verwirrung, ein altes Elfenvolk, die Elhiloyin, taucht wieder auf und die Beziehung von Thynlar und seinem Ziehvater gestalte sich anders als erwartet. Nach vergleichsweise kurzer Zeit machen sich alle wieder auf den Weg. Thynlar und Akaya gehen in Begleitung von Lillina zurück nach Yellalyn. Taldor entscheidet entgegen jede Vernunft, dass es an ihm sei nachzusehen, ob Erena doch überlebt hatte und wieder zurückgekehrt war. Er begibt sich ins Hügelland. Sörelan wandert durch AnWel auf dem Weg nach Insirion, in der Hoffnung dort das zu finden, was er unter seiner Bestimmung versteht. Rythall, der alles für Sörelan tun würde, außer nach Insirion zurückzukehren, folgt Thynlar und Akaya nach Yellalyn, um dort seine Ausbildung zum Heiler abzuschließen. In Yellalyn werden die Freunde allerdings nicht freundlich empfangen. Fylath, der erklärter Gegner von Akaya und ihren Freunden war (siehe erste AnWel Trilogie), hat inzwischen das Amt als Oberster des Rates der Indellyin erhalten -- was Thynlar und Akaya dazu zwingt, sich mit magischer Hilfe zu tarnen. Thynlar, getarnt mittels eines magischen Trankes von Taldor und mit gefärbten Haaren, gibt sich als Reisender aus Belyn mit Namen Dagulareth aus. In seiner Begleitung ist Nyan, ein junger Indellyin -- der Gestaltenwandel von Akaya.
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Seitenzahl: 347
Veröffentlichungsjahr: 2022
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Für meine Familie! Für meine Eltern, die mir ganz früh schon viele magische Geschichten erzählt haben, für Noa und Jona, die zauberhafte Elfenkinder sind.
Für Erika, die wortgewandte, die wieder alles hinterfragt und geprüft hat.
Ihr seid toll!!!
:-)
Karte von Anwel
Grenzziehung vor der Besetzung von Valnoch
Vorwort
Rückblick erste Trilogie
Nara
Rückblick
Rat und Raten
Weg und Wagnis
Getrenntes und Gemeinsames
ALLES begann an einem regnerischen Tag in einem Studentenwohnheim in Hildesheim. Wir langweilten uns sichtlich und lauschten dem leisen Klopfen des Regens an die Scheiben. „Mir ist langweilig“, sagte mein Freund Dieter. „Komm, erzähl mir eine Geschichte. Du hast es neulich im Wald versprochen!“ Ich dachte nach und erinnerte mich.
In der Nähe lag unser berüchtigter Badesee, die Tonkuhle, an dem wir einige Zeit vorher gerade einen wunderbaren Rollenspielnachmittag mit unserer damaligen ’Gang’ verbracht hatten. Seltsame Dinge trugen sich damals zu. Durch die Anwesenheit einer Person, die offenbar und für wenige auch augenscheinlich dem Geschlecht der Elfen angehörte, geschah es, dass sich die Gruppe nach dem versehentlichen Durchqueren eines Kastanienportals in einem Wald wiederfand, den sie noch nie vorher gesehen hatten. Und wäre nicht besagte Elfe gewesen, dann hätten sie sich vermutlich fürchterlich und unrettbar verlaufen. Eben jenes Kastanienportal in der Nähe der Tonkuhle wurde zum Eingangstor einer Geschichte, die zwar mit einem Weltenwechsel beginnt, aber nicht mit einem solchen endet. Vermutlich nicht. Aber wer weiß schon, was in den parallelen Welten so alles geschieht, während man eifrig andere Pläne macht? Diese Geschichte nahm ihren Anfang mit der ersten AnWel Trilogie.
Die vorliegenden drei Bücher sind die zweite AnWel Trilogie, denn die Geschichte war nach den ersten Büchern leider noch nicht vorbei. Oder zum Glück?
Nach den Ausflügen in die Welt jenseits des Kastanienportals wurde die oben erwähnte Elfe vom Schicksal in den Süden des Landes gespült und konnte dort ausgiebig das Land in und hinter den Bergen erkunden. Nach kurzen Zwischenfällen die etwas mit Höhenkrankheit zu tun hatten, adaptierte sie und lange Wanderungen führten in völlig neue Gegenden, Begebenheiten und auch zu der unerwarteten Begegnung mit alten Freunden.
Ach ja, die besagte Elfe war damals der Meinung, unbedingt Informatik studieren zu müssen. Was soll ich sagen, sie schaffte es sogar, ihre Herkunft so lange zu verdrängen, dass sie bis zur Professorin aufstieg. Dann allerdings verschafften sich ihre elfenhaften Eigenschaften mit Gewalt Raum und ließen ihr keinen Ausweg mehr. Sie musste diesen Roman schreiben – ebenso wie den den folgenden und den folgenden und so weiter. Und wenn sie nicht gestorben ist, dann schreibt sie noch immer um ihr Leben. Und wenn sie gestorben ist? Nun, dann schreibt sie vermutlich einfach im nächsten Leben weiter. In AnWel oder in Etharell? Als Elfe oder als Mensch? Wer weiß das schon so genau?
Obacht, das zweite Kastanienportal befindet sich übrigens in Itzum. Wer weiß, wohin es führt? :-)
Die Geschichte beginnt mit der ersten AnWel Trilogie, die ebenfalls bei BoD erschienen ist. Für das Lesen dieser zweiten Trilogie ist die Kenntnis der ersten Trilogie zwar nicht unbedingt nötig, aber es erleichtert das Verständnis schon ungemein.
Liebe Leserin, lieber Leser,
das Buch, das du gerade in den Händen hältst, ist der erste Band der AnWel Trilogie 2–was schon darauf hinweist, dass es eine AnWel Trilogie 1 geben muss. Falls du die ersten drei Bände nicht gelesen hast kannst du diese zweite Trilogie trotzdem gerne genießen. Allerdings kann es sein, dass dir ein paar Sachen seltsam vorkommen. Ich empfehle dir, die ersten drei Bücher auch zu lesen. Glaube mir, sie machen Spaß. Falls du die ersten drei Bände gelesen hast und jetzt die zweite Trilogie beginnst: herrlich, ich freue mich!
Alle, die eine kurze Zusammenfassung der ersten Trilogie haben möchten: bitte schön! Alle anderen können die nächsten zwei bis drei Seiten gerne überblättern und direkt mit dem Buch starten! Viel Vergnügen!
Band 1: Nach AnWel
Thynlar, ein Elf aus dem Geschlecht der Indellyin, und Sörelan, ein Weltenwechsler, wurden ausgeschickt, um Kay, eine junge Frau, aus Etharell zurück nach AnWel zu holen. Seltsamer Weise wechselt Kay alleine nach AnWel und das Chaos beginnt. Thynlar, der Kay begleiten sollte, verliert sie in einem Kampf mit Yandrogs und Drogays. Er selbst wird auf das Schloss einer sagenumwobenen Zauberin namens Erena entführt, die allerdings nur ein Ziel zu haben scheint: den jungen Elfenmann zu verführen. Kay, die leider bei dem Weltenwechsel ihr Gedächtnis verloren hat, landet derweil in einem Menschendorf. Dort wird sie mit unterschiedlichen Gefühlen empfangen – Rowal der alte Druide erweist sich als ihr Freund und als Thorill auftaucht, scheint endlich alles gut zu werden. Doch Rowal vermag weiter zu sehen und erkennt, dass das Ende der Zeit der Druiden naht. Im Land der Menschen herrscht Krieg, Magie ist verboten und die Häscher des Königs machen Jagd auf die letzten Lebenden des Druidenordens. An Elfen glaubt niemand mehr – denn es gibt sie ja nicht. Oder vielleicht doch? Kay, deren wahrer Name Akaya ist, muss erkennen, dass sie offenbar selbst einem Elfengeschlecht entstammt. Immer wieder, vor allem bei Vollmond, wird sie von seltsamen Träumen heimgesucht, deren Botschaft sie nicht zu entschlüsseln vermag. Die vermeintlich heile Welt bricht zusammen. Nach dem Tod von Rowal und Thorill flieht sie verwirrt in den Wald.
Band 2: Zu den Indellyin
Akaya landet nach einigen Wirren im Salyillin, dem heiligen magischen Wald, und wird dort warm empfangen. Sie schafft es, Thynlar zu befreien und beide fliehen zu Okawis, der alte Magier und Lehrer von Thynlar. Allerdings scheint Thynlar krank zu sein. Akaya trifft Okawis schließlich, findet aber sein Verhalten sehr merkwürdig. Trotzdem hat sie keine Wahl und begibt sich mit ihm und Thynlar in den Wald. Dort betäubt Okawis Akaya systematisch, so dass sie schließlich das Gefühl hat, dass sie das Haus nicht mehr verlassen kann–Angst macht ihr jede Handlung unmöglich. In diesem Zustand findet Sörelan sie und beide schaffen es, von Okawis zu fliehen. Von Thynlar fehlt jede Spurt. Sörelan und Akaya erreichen die Indellyin und treffen dort auf Gastfreundschaft und Ablehnung gleichermaßen. In der Bibliothek schafft Akaya es mit Hilfe der Chronistin und Bibliothekarin Lillina, altes Wissen auszugraben. Die Freunde lernen, dass Erena und Okawis die selbe Person sind. Ein fürchterlicher Verdacht keimt in Akaya und nach einer Weile bestätigt sich ihre Vermutung: Thynlar ist wieder in Gewalt von Erena und muss als Gefangener in ihren Verliesen ausharren. Er erhält unerwartet Hilfe von Taldor, einem sehr alten Zwergenmagier, der jedoch auch nichts gegen Erena unternehmen kann. Dass Sörelan bei den Indellyin Rythall, die Liebe seines Lebens trifft, macht alles nicht einfacher.
Band 3: Reise nach Nara
Trotz aller Warnungen machen sich Akaya, Sörelan und Rythall auf den Weg nach Nara, wo sie hoffen, endlich zu erfahren, wer Akaya ist und wie man Erena beseitigen kann. Ihr Weg endet in der Sumpfstadt, wo sie von Soldaten des Königs gefangen und nach Insirion gebracht werden. Derweil beschließt die böse Zauberin, dass es an der Zeit ist, Thynlar ebenfalls nach Nara zu bringen. Auf dem Weg dahin geraten sie in einem Hinterhalt von Piraten, Thynlar wird befreit, steht jedoch unter dem Bann des Drazraal, der ihm den Zugriff auf sein magisches Potenzial verwehrt. Seltsamerweise willigen die Piraten ein, auf Insirion zwei Passagiere an Bord zunehmen und Thynlar hat den Eindruck, dass Zauberei im Spiel ist. Sörelan und Rythall harren in der Zwischenzeit im Kerker des Menschenkönigs Zyprius auf Insirion aus und warten auf ihre Hinrichtung. Doch wo ist Akaya?
Kurz bevor das Piratenschiff Nara erreicht, erkennt Thynlar, dass einer der beiden Passagiere Akaya ist, die verzaubert wurde und in der Traumwelt ihre Vergangenheit erfährt. Der andere Passagier ist Erena, die alles geplant hatte, um Akaya und Thynlar gleichzeitig in der Nähe von Nara zu haben.
Am Ende gelingt es Akaya und Thynlar mit Hilfe von Tom, die böse Zauberin zu besiegen – sie wird direkt vor den Gestaden von Nara von Bord gespült und verschwindet. Gemeinsam mit Taldor und den Indellyin, die sich endlich in den Krieg der Menschen einmischen, schaffen sie es auch, Sörelan und Rythall im letzten Moment zu retten. Endlich sind die Freunde vereint.
Doch ist Erena wirklich besiegt? Und warum konnte sie so stark werden?
Und was um aller Welt wollte sie überhaupt?
Hier endet die erste Trilogie und es ist ja klar, dass die Geschichte so noch nicht zuende sein kann. Mal schauen, wie es weitergeht ...
ER ist da’, sagte das Wesen, und es war nicht in der Lage, die Ungeduld aus seiner Stimme zu verbannen.
’Ich weiß’, erwiderte die Stimme gelangweilt. ’Ich habe ihn gesehen.’
’Du siehst?’, wunderte sich das Wesen und zuckte innerlich zurück, als es merkte, dass es unverschämt klingen könnte.
’Jederzeit und an jedem Ort würde ich den Zwerg erkennen’, murmelte die Stimme finster und es erschien ein flackerndes Licht im Nichts, das die Stimme umgab.
Das Wesen erlebte einen umfassenden kurzen Schmerz und stieß einen überraschten Laut aus. ’Verzeiht’, sagte es unterwürfig. Das Licht verschwand. ’Ich habe ihn durch die Augen der Drogays gesehen’, fühlte sich die Stimme dann bemüßigt zu erklären.
’Ich muss zurück’, fuhr das Wesen fort und flackerte.
ILORN, Fürst von Yellalyn und Oberster des Rates der Indellyin, hatte sein Volk in den Krieg geführt. Nur dem Eingreifen der Indellyin war es zu verdanken, dass Sörelan und Rythall gerettet werden konnten. Doch der Preis, den Ilorn entsprechend dem Kodex der Indellyin für seine Tat zu zahlen hatte, war hoch. Gemäß der alten, nie modifizierten Rechtsprechung der Indellyin war es Brauch, denjenigen aller Ämter zu entheben, der ein Heer geleitet hatte. Diese Regelung wurde als Friedensgebot bezeichnet. Sie stellte sicher, dass niemals ein Heerführer ein wichtiges Amt als Ratsmitglied haben oder behalten konnte. Die Indellyin, die in ihrer Geschichte viel Unheil durch Kriege zwischen den Völkern erlebt hatten, schützen sich so vor unbedachtem Eingreifen in die Dinge der Menschen, wie sie es nannten.
In voller Kenntnis der Konsequenzen hatte Ilorn beschlossen, dass es an der Zeit war, aktiv zu werden, um das Leben seines Schützlings Rythall und des fremden Mischlings Sörelan zu retten. Dank der Unterstützung des geheimnisvollen Zwerges Taldor konnten die Indellyin von der Sumpfstadt Valnoch aus nach Insirion übersetzen. In einer einzigen Schlacht in Vitalech gelang es den Kriegern der Indellyin, die geschwächten Truppen des Menschenkönigs Zyprius II zu besiegen. Der König, auf unbekanntem Wege vorgewarnt, war rechtzeitig mit einem Schiff in Richtung Girtingheim geflohen. Taldor gelang die Rettung von Rythall und Sörelan im allerletzten Moment. Nur mit Hilfe seiner magischen Fähigkeiten brachte er den bereits brennenden Scheiterhaufen, auf dem die beiden hingerichtet werden sollten, zum Verlöschen.
Auch wenn kaum ein Indellyin ernsthaft verwundet wurde, legte Ilorn nach Beendigung der Schlacht sein Amt als Oberster der Indellyin nieder. Weitsichtig und politisch erfahren, wie er nach vielen Jahren der Ratsmitgliedschaft war, hatte er sich frühzeitig Unterstützung geholt. Gemeinsam mit ihm reisten die Ratsmitglieder Odylla, Fürstin von Daleys, und Vythrin, Fürst von Quilys. Beide verband eine alte und innige Freundschaft mit Ilorn. Durch ihre Begleitung stellte Ilorn sicher, dass Entscheidungen nach Beendigung der Kämpfe im Sinne der Rechtsprechung der Indellyin als gültig anerkannt werden mussten.
Auf dem gemeinsamen Fest nach dem Ende der Kampfhandlungen wurde der Sieg über die Soldaten des Königs und die Befreiung von Sörelan und Rythall gefeiert, ebenso wie das Eintreffen von Akaya, Thynlar und Tom. Ilorn nutzte die Gelegenheit, den Ratsmitgliedern Thynlar als seinen verloren geglaubten Ziehsohn vorzustellen. In Absprache mit dem jungen Mann verschwieg er dabei dessen Abstammung von Syncjareth DaLethyn und Synyella von Yellalyn, dem Königspaar der Indellyin, das vor langer Zeit ermordet wurde.
Nach dem Fest baten die auf Insirion beheimateten Rebellen um ein Treffen mit den Anführern der Indellyin. Die Rebellen, vertreten durch ihren Sprecher Seebolt, erbaten inständig die weitere Unterstützung durch die Indellyin in der offiziell nicht beendeten Auseinandersetzung mit dem König Zyprius II. Sie erinnerten daran, dass Zyprius nicht nur die Besetzung von Insirion und die Einverleibung des Inselreiches in das Reich Girtion vorhabe, sondern auch die Vernichtung allen magischen Lebens und die Festigung und Verbreitung des Götterkultes. Der Götterkult um die Dreiheit Atanama, Gorroth und den Gott ohne Namen wurde im übrigen Land bereits gewaltsam durch die fest etablierte Priesterschaft durchgesetzt. Ilorns Meinung zu diesem Thema stand fest, doch er wollte keine Entscheidung vorwegnehmen und keine Hoffnungen wecken. Nachdem er das Friedensgebot übertreten hatte, durfte er nicht mehr länger als Mitglied des Rates agieren. Schweigend lauschte er dem Vortrag von Seebolt. Er erlebte den Anführer der Rebellen als reflektierten, gebildeten Mann, unter dessen rauem Äußeren sich ein außerordentlich weitblickender Politiker verbarg. Neugierig wartete Ilorn auf die Entscheidung von Odylla und Vythrin. Die beiden Ratsmitglieder erbaten sich ein Gespräch unter vier Augen und ließen Ilorn und Seebolt allein. Als sie nach einer Weile zurückkehrten, verkündeten sie ihren Beschluss. Zu Ilorns großer Erleichterung hatten sie entschieden, eine Truppe von Indellyin auf Insirion zu lassen und die Insel gemeinsam mit den Rebellen zu schützen. Gleichzeitig gaben sie allerdings auch bekannt, dass sie die Sumpfstadt, die sich durch Taldors Überredungskünste zu diesem Zeitpunkt in der Hand der Indellyin befand, frei gaben und der Verantwortung der Stadträte und der Rebellen überantworteten. Auf diese Weise hofften die Fürsten, die Einmischung auf ein geringes Maß zu reduzieren und aus weiterer Verantwortung entlassen zu sein. Einzige Bedingung, die sie an den Verbleib von Indellyin auf der Insel knüpften, war, dass sich diese freiwillig melden müssten.
Die Diskussion zwischen Odylla und Vythrin war durchaus nicht so harmonisch verlaufen, wie die Verkündung der Entscheidungen vermuten ließ. Odylla vertrat energisch die Position, dass man nach dem ersten Eingreifen nun keinen kompletten Rückzug machen konnte. Dies verwunderte Vythrin, doch Odylla verschloss das Geheimnis ihrer Gefühle tief in ihrem Herzen und bemühte sich um eine rein sachliche Argumentation. Tatsächlich reichten ihre Beweggründe tiefer. Als Ilorn sie bat, ihm nach Insirion zu folgen, hatte sie zunächst zögernd zugestimmt, denn sie war sich nicht sicher, ob sie das Inselreich betreten wollte. Hier in Insirion war ein Zweig ihrer Familie ausgerottet worden. Trotzdem war es genau diese bittere Erinnerung, die sie schließlich dazu brachte, den Fürsten zu begleiten. In den ersten ruhigen Tagen nach den Kämpfen nutzte sie die Zeit, um sich umzusehen. Widerwillig musste sie anerkennen, dass das Inselreich einen ganz eigenen Charme besaß, dem auch sie sich nicht entziehen konnte. Die windgezausten Wälder waren alt und voller Versprechungen auf den kommenden Frühling. In der Luft lag ein Hauch von Salz und der leichte Geruch von Algen und Meerestieren. Es wehte beständig ein sanfter Wind, ein Versprechen künftiger Stürme. Möwen schauten neugierig zu ihr auf und gingen dann ihren eigenen Beschäftigungen nach, ohne sich vertreiben zu lassen. Odylla wanderte am Strand entlang und Verstehen breitete sich in ihr aus. Der Zweig ihrer Familie, der hier geblieben war, musste die Inseln geliebt haben. Sie hatten sie als ihre Heimat verteidigt und waren bei dieser Verteidigung gestorben. Auch wenn sie selbst nicht daran dachte zu bleiben, so fiel ihr die Entscheidung, eine Abordnung zur Unterstützung der Rebellen vor Ort zu lassen, sehr leicht.
Vytrhin hingegen hatte keinerlei Bezug zum Inselreich. Für ihn stellte sich die Ansammlung von Inseln als verlorener Posten im weiten Meer dar. Seine Argumente waren entsprechend: warum etwas verteidigen, was man nicht besitzen wollte, warum das Leben von Indellyin für etwas verschwenden, was ein Problem anderer Leute – und noch dazu von Menschen – war. So viele Jahre hatte man zwar in Isolation aber auch in Frieden gelebt. Es sei nicht an der Zeit, diesen Frieden leichtfertig aufzugeben. Nach einigem Hin und Her war Vythrin jedoch müde ob der leidenschaftlichen Argumentation von Odylla, die er nicht nachvollziehen konnte. Er ließ sich von der Fürstin überreden, eine Abordnung von Kriegern auf der Insel zu lassen – sofern diese sich freiwillig dazu bereit erklären würden. Vythrin hatte diese Bedingung in der stillen Hoffnung eingeführt, dass es keine Freiwilligen geben würde. Daher war er sehr überrascht und etwas verstimmt darüber, dass eine ganze Reihe junger Kriegerinnen und Krieger begeistert waren, eine Weile auf Insirion zu bleiben – sofern es ihnen frei stünde, jederzeit in das Reich der Indellyin zurück zu kehren. Dies wurde von den Fürsten selbstverständlich gestattet. Tatsächlich stellte sich heraus, dass viele der Freiwilligen Nachfahren derjenigen Indellyin waren, die dereinst das Inselreich gemeinsam mit Menschen und Zwergen bevölkert hatten, und die erst nach Ausbruch der Verfolgungen in das Reich der Indellyin geflohen waren.
Man nutzte die nächsten, ansonsten ereignislosen Wochen, um die gefangenen Soldaten des Königs auf das Festland zu bringen und dort wieder in die Freiheit zu entlassen. Die auf der Insel verbleibenden Indellyin mussten mit allerlei Dingen ausgestattet werden und es nahm Zeit in Anspruch, ihnen Unterkünfte zu organisieren. Schließlich mussten auch noch Reisevorbereitungen getroffen werden, bis man endlich den Rückweg in das Reich der Indellyin antrat.
Akaya war damit beschäftigt, sich mit der Tatsache abzufinden, dass sie nun wohl für immer in dieser seltsamen, ihr fremden Welt bleiben musste. Ihre Stimmung schwankte wie das unstete Frühlingswetter auf den Inseln: im Laufe eines Tages konnte sich der strahlend blaue Himmel mit Regenwolken zuziehen und funkelndes Meer, dass die Sonnenstrahlen einfing, verwandelte sich in ein tobendes, windgepeitschtes Chaos. Doch der Wind, der die Wolken vor sich her schob, trug sie auch ebenso schnell mit sich fort, der Himmel klarte auf und das Meer beruhigte sich. So schwankte Akaya hin und her. Sie erlebte Momente tiefer Ratlosigkeit, lief lange am Meer entlang, als wolle sie ihrer gefühlten Einsamkeit den richtigen Rahmen verpassen, und war verzweifelt. Dann erlebte sie Momente, in denen sie Thynlar mit strahlenden Augen betrachtete, sich in seinem Lachen verlor oder gemeinsam mit ihm durch die Küstenwälder streifte. Angst und Einsamkeit wechseltenmit Verliebtheit und Nähe. Oft fühlte sie eine unsichtbare Mauer zwischen sich und Thynlar, die zu überwinden ihre Kraft zu überstieg, auch wenn ihr klar war, dass sie diese Mauer selbst gebaut hatte. Hinzu kam, dass sie nach wie vor an den Erinnerungen zu knabbern hatte, die aus ihrer Vergangenheit wieder aufgetaucht waren, doch redete sie ohnehin wenig und vermied dieses Thema ganz. Nara lauerte in ihren Gedanken wie eine beständig Mahnung, dass die Welt nicht in Ordnung war. Das Inselreich war nicht der richtige Ort, um über ihre Vergangenheit zu reden.
Thynlar erging es wenig anders als Akaya. Er versuchte, den Strudel der Ereignisse, in den er geraten war, zu verarbeiten. Es geschah immer wieder, dass er Nachts von brennenden Bäumen träumte, schweißgebadet aufwachte und erleichtert feststellte, dass er nicht gefesselt war. Erena verfolgte ihn nächtens, Yandrogs und Drogays suchten ihn in seinen Träumen heim. Oft kletterte er lautlos aus dem Zelt, das er mit Akaya teilte, und lief im Licht der Sterne durch den Wald, als habe er Angst, dass die tote Zauberin im Schlaf Gewalt über ihn bekommen könnte. Zudem plagte ihn die Geschichte seiner Abstammung. Thynlar haderte und fragte sich, ob er zum Handeln gezwungen sei, was passieren würde, wenn sie in Yellalyn ankommen würden, ob er es schaffen würde, unerkannt zu bleiben – und ob er überhaupt das Recht dazu hätte, das Geheimnis zu wahren. Ilorn war ihm dabei keine Hilfe. Dieser versuchte zwar, immer wieder Zeit mit Thynlar zu verbringen, doch gab es derartig viele Dinge, die des Fürsten Aufmerksamkeit in Anspruch nahmen, dass sich kaum Gelegenheit und Ruhe für Gespräche fand, die beiden dringend miteinander hätten führen müssen. Ähnlich wie mit Ilorn ging es Thynlar mit Akaya. Er suchte ihre Nähe und betrachtete sie, während sie schlief, so als wollte er sich ihr Gesicht einprägen. Er lief heimlich hinter ihr her, wenn sie zu einer ihrer endlosen Wanderungen am Strand aufbrach, um sie zu bewachen – fast als müsse er sicher gehen, dass sie nicht heimlich verschwand. Er hatte das Gefühl, sie nicht wirklich berühren zu können. Sie blieb ihm fremd. Es schmerzte ihn und doch war er nicht willens, darüber zu reden. Er suchte und fand die Schuld daran bei sich selbst. So lange hatte er jedes Gefühl in sich abgetötet, um überleben zu können. Die Gemeinschaft der vielen Indellyin ließ ihn spüren, was er viele Jahre vermisst hatte. Er haderte nicht seinem Schicksal, doch fühlte er, dass er durch die Art und Weise, wie sich die Dinge entwickelt hatten, von dieser Gemeinschaft ausgeschlossen worden war, und es grämte ihn. Odylla und Vythrin, die ihn freundlich behandelten, aber in seiner Gegenwart immer etwas verkrampft wirkten, verstärkten dieses Gefühl. Auch wenn sie zu den weniger konservativen adeligen Indellyin gehörten, so war er doch in ihren Augen ein Findelkind, ein Ziehsohn eines Fürsten, der keine anderen Kinder mehr hatte. Er war jemand mit unklarer Abstammung, der vielleicht eines Tages wohlhabend sein mochte, aber niemals das reine Blut würde aufweisen können. Keiner von ihnen also. Und das, obwohl er der letzte echte Nachfahre des Hauses Yellalyn war, und eigentlich der rechtmäßige König der Indellyin. In den ersten Tagen hatte er sich über die Absurdität dieser Situation amüsiert, doch war ihm im Laufe der Zeit das Lachen vergangen. Thynlar konnte sich inzwischen gut vorstellen, wie Sörelans Blick auf die Indellyin sei musste. In solchen Momenten schwor er sich trotzig, niemals seine Abstammung zu offenbaren.
Taldor wurde der erste Zwerg, der die Genehmigung erhielt, sich innerhalb der Grenzen des Indellyinreiches aufzuhalten. Auch hier war der Ratschluss von Odylla und Vythrin gefragt und Ilorn lobte sich heimlich selbst, dass er die Weitsicht besessen hatte, die beiden mitzunehmen. Ob dem Zwerg Zutritt zum Reich der Indellyin und ein Aufenthalt dort gestattet werden sollte, darüber waren Odylla und Vythrin beide zunächst unschlüssig, doch Taldor wickelte sie binnen kürzester Zeit um den Finger. Vythrin verbrachte einige Abende mit dem Zwergenzauberer und war fasziniert, auch wenn er dies sorgsam vor Odylla verbarg. Odylla tat offen Kund, dass sie von Zauberei überhaupt gar nichts halte. Doch räumte sie ein, dass sie bei dem Zwerg eine Ausnahme machen würde. Schließlich, so sagte sie, sei es eine Zeit des Umbruchs, und vermied geschickt eine Antwort, als Vythrin sie nach der Art des Umbruchs fragte. Taldor hatte den Freunden erklärt, dass er die Rückreise ins das Land der Indellyin bereits nutzen wolle, um die Ausbildung von Akaya und Thynlar zu beginnen. Doch sollte dies stets im Verborgenen geschehen, da er nicht unnötig Sorge und Ärger bei den Mitreisenden auslösen wollte.
Selbstverständlich konnte man, nachdem man Taldor gestattet hatte, einige Zeit im Reich der Indellyin zu verbringen, Tom dies nicht verwehren. Also wurde auch der alte Mann eingeladen, sich dem Zug anzuschließen. Tom, der der erste vollblütige Mensch im Reich der Indellyin sein würde, folgte Taldor wie im Traum. Seine größte Sorge war gewesen, dass er zurückgelassen werden würde, und seine Erleichterung vertrieb lange Zeit die Schatten, die auf seinem Gemüt lasteten.
Sörelan war verwirrt und fühlte sich von zwei gegensätzlichen, sich widersprechenden Wünschen zerrissen. Er verspürte ein starkes Bedürfnis, auf Insirion zu bleiben. Als er nach so langer Zeit in das Inselreich zurückgekehrt war, hatte er das Gefühl, die Inseln nicht sofort wieder verlassen zu wollen. Sie waren seine Heimat, erkannte er erstaunt, denn er hatte gedacht, dem Begriff der Heimat vor langer Zeit abgeschworen zu haben. So trafen ihn die Gefühle jetzt unvorbereitet und mit geballter Heftigkeit. Wie immer, wenn er mit seinen eigenen Gefühlen zu kämpfen hatte, wurde er mürrisch und verschlossen. Er verbrachte lange Abende mit Seebolt, forschte nach Druiden, die noch auf den Inseln leben sollten, fand aber keine und packte schließlich widerwillig seine Sachen, als es an der Zeit war, abzureisen. Dass er überhaupt packte lag an seinen Gefühlen für Rythall. Um nichts in der Welt würde er den Geliebten alleine ziehen lassen. Also wanderte Sörelan gemeinsam mit Rythall zu den Indellyin.
Rythall hatte sich zusehends von seinen Verletzungen erholt, doch auch er blieb in sich gekehrt und schweigsam. Er betrachtete Sörelan immer öfter nachdenklich von der Seite, wenn dieser sich in einem unbeobachteten Moment wähnte. Es schien, als habe sich die Leichtigkeit, die ihre Beziehung lange Zeit besessen hätte, der Realität ergeben. Doch zögerte Rythall davor, eine Entscheidung zu treffen. Eines Abends saß er alleine am Strand und fragte sich, ob er Sörelan würde vorschlagen können, auf Insirion zu bleiben. Nachdenklich betrachtete er die Narben auf seinen Armen, die nach einer magischen Behandlung von Taldor zu schmalen Streifen verheilt waren, doch waren sie nichts im Vergleich zu den Narben, die die Folter in seiner Seele hinterlassen hatte. Auch er hatte Alpträume und es geschah mehr als ein Mal, dass er Thynlar nachts im Wald traf. Sie gingen schweigend eine Weile gemeinsam, wechselten jedoch nie ein Wort. Es entwickelte sich zwischen ihnen auf diese Weise ein stummes Verständnis, dass keiner Erklärung bedurfte, und dass die Basis für eine tiefe Freundschaft wurde. Schließlich traf Rythall die Entscheidung, nach Hause zu gehen, egal, was Sörelan beschließen würde. Er gestand sich ein, dass er vielleicht irgendwann mit Sörelan zurück auf die Inseln würde gehen können, doch dieser Zeitpunkt lag in der Zukunft. Er musste gesunden – und dies konnte nur in Yellalyn geschehen.
So kam es, dass sie schließlich alle gemeinsam nach Yellalyn wanderten – mit sehr unterschiedlichen Gefühlen. Taldor schien stets in der Nähe von Akaya und Thynlar zu sein und piesackte sie mit allerlei Aufgaben, die sie heimlich zu erledigen hatten. Manchmal behauptete er, er habe etwas verloren und ließ beide danach suchen. Lange dozierte er über Kräuter. Akaya lauschte ihm aufmerksam, doch Thynlar gähnte gelangweilt. Taldor bewarf Thynlar mit Steinen, um seine Reaktionsgeschwindigkeit zu trainieren. Auch mit Akaya versuchte er dies und traf er sie unglücklich am Kopf, weil sie nicht schnell genug auswich. Während das Entzünden von Feuer ihr keine Probleme bereitete, hatte sie offenbar keinerlei Kenntnisse darüber, wie sie den Stein auf magischem Weg hätte erahnen oder aufhalten können. Genau dieser Stein hatte jedoch einen anderen willkommenen Effekt. Thynlars Wutausbruch, als er die Beule an Akayas Stirn sah, ließ den Zwerg schmunzelnd erkennen, wie stark das Potenzial des Indellyin war. Taldor verabschiedete sich in Gedanken von den Steinen – und Thynlar war zufrieden. Wenigstens so lange, bis er feststellte, dass Taldor ihn ohne Vorwarnung auf magischem Weg angriff, und er sich nur mit Mühe und Not verteidigen konnte. Der Zwerg amüsierte sich königlich, und es dauerte nicht lange, bis er auch das Steinspiel mit Akaya wieder aufnahm. Als sie sich Yellalyn näherten, war Akaya schließlich in der Lage, einen kleinen Stein mittels magischer Beschwörung eine Weile in der Luft zu halten. Sie verstand den Sinn dieser Aufgabe nicht, doch hatte sie es aufgegeben, mit Taldor darüber zu diskutieren. Es bereitete ihr Verdruss, dass sie die Worte noch immer laut aussprechen musste, während Thynlar eben diesen Stein mit einem wütenden Seitenblick auf Taldor mit einem Fingerschnippen wieder auf den Boden fallen lassen konnte.
Sörelan und Rythall bummelten gemeinsam mit Tom hinter dem Zug her und genossen die Wanderung durch den beginnenden Frühling. Die Fürsten Ilorn und Vythrin und die Fürstin Odylla beratschlagten weiteres Vorgehen und rätselten lange über die mögliche Nachfolge von Ilorn. Nach dem Eintreffen in Yellalyn kam Ilorn dem offiziellen Beschluss des Rates zuvor. Er verkündete seinen Rücktritt entsprechend des Kodex und begab sich zu seinem Hof, der außerhalb von Yellalyn lag. Er lud die Freunde ein, zu ihm zu ziehen, sobald sie die Begrüßung des Rates hinter sich gebracht hatten.
Der Rat tagte ohne ihn weiter in Yellalyn.
NACH der feierlichen Begrüßung durch den Rat blieben die Freunde noch einige Tage in Yellalyn. Der Rat hatte sie in dem gleichen Gästehaus untergebracht, in dem sie auch bei ihren letzten Aufenthalt gewohnt hatten. Das Haus war groß genug, so dass auch Taldor, Tom und Thynlar dort Platz fanden. Taldor und Tom wurden direkt vor den Rat gebeten und hatten sehr wenig Zeit, sich in Yellalyn umzuschauen. Thynlar und Akaya sowie Sörelan und Rythall nutzten hingegen die Zeit für lange Spaziergänge und erkundeten die Hauptstadt der Indellyin.
Thynlar, der die Stadt zum letzten Mal vor vielen Jahren besucht hatte, brannte darauf, durch ihre Straßen zu ziehen. Er konnte sich an den Gebäuden und den Gärten nicht satt sehen. Hier in der Nähe der Berge wich der Winter langsamer als am Meer. Es schien, als sei der Frühling mit ihnen durch das Land gezogen, und nun auch in Yellalyn angekommen. Die ersten Blumen waren zu sehen, Bäume und Büsche zeigten zartes Grün. Auch Akaya, die die Stadt noch nie im Frühling gesehen hatte, ließ sich von dem fremdartigen Zauber einfangen. Es sah so aus, als würden die Hauswände selbst sprießen und grünen. Die Farben der Stadt schienen sich zu ändern.
Akaya war seltsam berührt davon. Es kam ihr vor, als würde sie die Stadt zum ersten Mal wirklich wahrnehmen: „Ich kann mich gar nicht daran erinnern, dass die Stadt letztes Mal so bezaubernd aussah, als wir hier waren. Sie war zwar schön, aber dies hier...“, sagte sie verwundert und deutete auf einen Garten, in dem die Frühlingsblumen ein Muster auf der Wiese zu bilden schienen. Sie erntete ein strahlendes Lächeln von Thynlar, der seinen Arm um ihre Schultern gelegt hatte und mit ihr die Straße entlang schlenderte.
„Wir sind letztes Mal im Herbst angekommen, dann warst du lange krank und anschließend hast du deinen Kopf den gesamten Winter über in irgendwelche Bücher gesteckt“, erinnerte Sörelan sie, der Hand in Hand mit Rythall vor ihnen ging.
„Außerdem war es dieses Jahr kalt und schneereich“, ergänzte Rythall, und fuhr fort: „Yellalyn fällt im Winter in eine Starre wie ein Wald.
Es sieht dann aus, als seien dies alles gewöhnliche Häuser. Ist es dir schon mal aufgefallen, dass im Winter alles zu warten scheint, bis der Frühling kommt und bis der Schnee fort ist? Die Schneedecke schützt die Pflanzen vor dem eisigen Frost der Berge. Der Schnee geht erst dann, wenn die Sonne stark genug ist, die zarten Keime zu voller Pracht erwachsen zu lassen. Es ist fast, als schlafe alles unter einer weißen Decke“, er deutete auf einige Schneeglöckchen. „Aber diese Decke hat zwei Seiten. Zwar beschützt sie, wenn sie da ist, doch ist ihr Griff eisig und erfriert das, was nicht freiwillig bereits in den Schlaf gefallen ist.“
„Das klingt nach Tod“, sagte Akaya abwesend.
„Es ist einen Art Tod“, bestätigte Rythall und warf ihr einen Blick über die Schulter zu. „Es ist das Leben und Vergehen, das immer und überall passiert. Der Kreislauf der Natur.“
„So unterschiedlich sind unsere Vorstellungen gar nicht“, stellte Akaya lächelnd fest.
„Was meinst du?“, fragte Thynlar neugierig.
„Ich meine die Vorstellungen aus meiner“, sie korrigierte sich, „ich meine aus Etharell, der anderen Welt und die aus AnWel, dieser Welt.“
„Ah“, sagte Thynlar. Man konnte ihm anmerken, dass er wenig Interesse hatte, mehr darüber zu hören, und so schwieg Akaya.
„Nur, dass es mir so vorkam, als lebt ihr gegen die Natur“, sagte Sörelan nach einer Weile in das Schweigen hinein. Als Akaya ihn verwundert ansah, fuhr er fort: „Hier in Yellalyn ist alles Teil der Natur. Die Indellyin sind Teil der Natur und haben sich gemeinsam mit ihr diese Stadt erschaffen. Vögel nisten in den Hauswänden, die aus Büschen und Bäumen bestehen. Gärten blühen, wie sie es wollen und bilden von selbst harmonische Muster. Allein die Gegenwart der Indellyin, die Teil dieser Naturmagie sind, bewirkt diese Dinge. Mit ihr. Niemals gegen sie. Kein Baum wurde gefällt, alles wich freiwillig, um Platz für die Indellyin zu schaffen. Nach und nach. Im Kreislauf der Natur.“
Rythall sah ihn mit offenem Erstaunen an: „Woher weißt du das?“
„Ich beschäftige mich schon länger mit den Elfenvölkern“, gestand Sörelan ausweichend und zwinkerte dann dem Freund zu: „Und ich liebe einen Indellyin. Es ist schwierig, euer Verhältnis zur Natur zu leugnen.“
Rythall schüttelte lachend den Kopf.
„Keine Details, bitte“, unterbrach Akaya und stimmte in das Lachen mit ein.
„Aber in der anderen Welt war das anders, Kay. Ihr hört nicht mehr auf die Geister der Natur, ihr baut an Plätzen, an denen ihr nichts zu suchen habt. Ihr zerstört die Natur“, fuhr Sörelan fort. „Ihr tut gerade so, als wärt ihr nicht Teil des Ganzen.“
Akaya wurde ernst und runzelte die Stirn: „Jetzt würde ich gerne feststellen können, dass ich eine von euch bin und damit nichts zu tun habe.“ Sie seufzte und bestätigte dann Sörelans Aussage: „Leider hast du Recht. Es gibt in dieser anderen Welt nur sehr wenige Völker, die noch auf die Natur hören. Und ohnehin sehr wenige Menschen, die in der Lage sind, die Sprache der Natur zu vernehmen. Ich denke, die meisten verstehen sich nicht als Teil von irgendeinem Ganzen. Das Konzept ist für sie unverständlich.“
„Aber ist es nicht mit den Menschen hier das gleiche?“, fragte Rythall vorsichtig, denn er wollte Sörelan nicht beleidigen.
Sörelan fuhr sich kurz durch die Haare und sah dann Akaya an: „Das was du sagst, kann man tatsächlich auch auf viele Menschen hier anwenden“, gab er zu.
„Warum ist das so?“, wunderte sich Akaya.
„Weil sie ihre Verbindung zur Natur leugnen. Sie begreifen sich nicht mehr als Teil der Natur und ignorieren ihre Stimme“, mutmaßte Rythall. „Fühlen sie sich nicht sogar der Natur überlegen? Ich habe den Eindruck, sie versuchen alles zu messen, Gesetze zu entwickeln, Regeln zu erkennen. Als wenn man damit etwas über Natur aussagen könnte“, er hob in einer ratlosen Geste die Hände.
Sörelan nickte bestätigend. „Genau. Aber man muss ihnen zugestehen, dass sie es schwerer haben, als die Indellyin.“
Rythall zuckte mit den Schultern. „Wenn du meinst.“
„Sie haben kein magisches Potenzial“, bekräftigte Sörelan. „Sie haben keinen Zugriff auf Lebensenergie, wie Elfen. Auch ich habe noch nicht wirklich verstanden, was das mit der Lebensenergie auf sich hat.“
„Die Lebensenergie ist das, was alles wachsen lässt, was heilen hilft und was in allem Lebendigen steckt. Sie ist überall“, Rythall streckte die Arme aus und drehte sich halb um die eigene Achse. „Jedes Lebewesen hat darauf Zugriff! Egal, ob es ein magisches Potenzial hat, oder nicht.“
„Sie ist sogar in Steinen zu spüren“, murmelte Thynlar leise. Akaya schaute ihn verwundert an, doch er ignorierte ihren Blick. „Wenn man verlernt, mit Magie umzugehen, verliert man die Kenntnis über den Fluss der Lebensenergie und es kommt zu gefährlichen Machtverschiebungen. Insbesondere wenn Wesen mit natürlicher magischer Begabung dies tun ...“, fuhr Thynlar lauter fort.
Akaya bemerkte die Spannung in seiner Stimme und beobachtete interessiert Rythalls Reaktion. Die Indellyin hatten seit einiger Zeit, fast schon seit einer Generation die Ausbildung magischer und zauberischer Fähigkeiten und Fertigkeiten eingestellt. Das bewusste Ausüben von Magie galt derzeit bei den Indellyin als gefährlich und wurde gesellschaftlich geächtet. Rythall war, genauso wie Thynlar, in dieser Tradition aufgewachsen, doch anders als Thynlar war Rythall bis vor kurzer Zeit noch nie aus dem Reich der Indellyin heraus gekommen.
„Wenn man Magie zulässt und mit Lebensenergie spielt verschiebt man das Machtgefüge!“, argumentierte Rythall leise und hielt Thynlars Blick stand.
Thynlar schüttelte den Kopf. „Das ist so nicht wahr ...“, setzte er an zu erwidern.
„Passt bloß auf, dass eure Welt nicht so wird, wie diese andere“, unterbrach Akaya ihn.
Thynlar hielt dem Blick von Rythall stand. Einen Moment lang lag Spannung in der Luft, doch dann zuckte Thynlar mit den Achseln und wandte sich ab.
Sörelan nickte: „Eine der Aufgaben, die sich die Rebellen von Insirion zu Eigen gemacht haben, ist der Schutz der Welt in all ihren Facetten.
Gleichberechtigtes Existieren von Menschen und Elfen. Auch diejenigen unter den Indellyin, die der Magie nicht abschwören wollen. Denn auch Magie ist Natur und ...“
„Hei, Freund, das aus deinem Mund!“, fiel Thynlar ihm ins Wort.
„Ich habe nie behauptet, dass ich nicht lernfähig bin!“, verteidigte sich Sörelan.
Sie waren auf ihrem Weg an der Bibliothek angekommen und Thynlar zögerte.
Akaya sah ihn fragend von der Seite an. „Was ist?“
„Ich spüre, dass du Lillina sprechen willst“, sagte Thynlar ausweichend.
„Ja, das stimmt. Ist auch nicht so schwierig zu spüren, nicht wahr?“, gab sie lachend zurück und deutete auf das Bibliotheksgebäude. „Warum wäre ich sonst hier stehen geblieben?“
Thynlar sah mit zusammengekniffenen Augen die Straße hinab, hinter Sörelan und Rythall her, die weitergegangen waren. „Ich denke, es ist zu früh für mich“, sagte er so leise, dass Akaya es fast nicht hören konnte.
„Du meinst, Lillina zu begegnen?“, bohrte sie nach.
Thynlar nickte und wirkte traurig. „Es passiert zu viel auf einmal“, versuchte er sich zu entschuldigen.
Akaya betrachtete ihn nachdenklich. Dann vermutete sie: „Du willst ihr lieber alleine begegnen.“
Thynlar nickte wieder. „Ja“, bestätigte er.
„Thynlar, ich verstehe nicht“, sagte sie und berührte ihn am Arm.
Der Indellyin seufzte und fuhr sich durch die Haare. „Sie hat mich niemals bei Ilorn besucht. Nicht ein einziges Mal, während der vielen Jahre, die ich an Ilorns Hof aufwuchs. Nicht ein Mal während der Zeit, in der ich in Yellalyn in der Schule lebte. Fast vor ihrer Haustür.
Ich wusste nicht, dass sie noch lebt, Akaya! Meine eigene Tante. Die mit meiner Mutter verbunden war. Sie muss also gewusst haben, dass ich am Leben bin. Und dass ich bei Ilorn bin. Neben Ilorn ist sie das einzige richtige Familienmitglied, das ich noch habe. Ich wusste es nicht, verstehst du? Sie hat sich vor mir versteckt und das Wissen vor mir verborgen. Da kann ich doch nicht einfach so hier auftauchen und ihr guten Tag sagen. Sie hat so viele Jahre den Kontakt mit mir vermieden.“
„Sie hatte ihre Gründe ...“, begann Akaya, wurde aber von Thynlar unterbrochen.
„Genau, das meine ich ja. Ich will diese Gründe respektieren und es ihr überlassen, wann sie so weit ist, mir zu begegnen. Richte ihr dies aus.“
Er schloss sie kurz in die Arme, ließ sie dann los und lief hinter Sörelan und Rythall her. Es sah sehr nach Flucht aus. Unzufrieden schüttelte Akaya den Kopf.
Sie genoss es das große Bibliotheksgebäude von Außen zu betrachten. Auch dieses Haus schien ihr verändert. Eine Frühlingsbibliothek. Sie schmunzelte, trat schließlich ein und wurde von der Assistentin, die sie unter dem Namen Celi kennengelernt hatte, freudig begrüßt.
„Akaya! Ich habe gehört, dass ihr alle wieder hier seid. Wie schön. Ich hatte mich schon gefragt, wann du wohl bei uns vorbei kommen würdest.“ Celi erkundigte sich ob sie ihr Eintreffen Lillina mitteilen solle.
Akaya erwiderte die Begrüßung herzlich und sagte, sie wolle die Bibliothekarin gerne überraschen.
„Lillina ist in einem ihrer Arbeitszimmer, vermute ich“, erklärte Celi und konnte sich ein Lachen nicht verkneifen.
„Du lachst, weil du genau weißt, dass ich mich wieder verlaufe, nicht wahr?“ Akaya schmunzelte.
„Genau. Aber warte, ich begleite dich. Wir können uns ja anschleichen.“
Sie schob einen Stapel Bücher zur Seite, an dem sie gearbeitet hatte, stand auf und streckte sich.
Gemeinsam gingen die beiden Frauen durch den offiziellen Teil der Bibliothek.
„Seit du hier bei uns warst, ist unsere Chronistin verändert“, berichtete Celi.
Akaya sah sie verwundert an. Sie hatte nie eine derartig persönliche Äußerung über Lillina von ihrer Assistentin gehört. „Inwiefern?“, fragte sie und fürchtete Unheil.
Als Celi den besorgten Ton in ihrer Stimme hörte, beschwichtigte sie sofort: „Im guten Sinne! Sie ist viel offener geworden, nimmt wieder am gesellschaftlichen Leben teil. Sie hatte vorher so fern von allem gelebt, wie ein Igel im Winterschlaf. Jetzt scheint sie erwacht zu sein.“
„Wie Yellalyn“, murmelte Akaya.
Celi lächelte. „Ja, nur dass Lillina im Winter angefangen hat, aufzuwachen.“
Schweigend betraten sie den privaten Bereich und das Gewirr der Gänge, die Akaya nach wie vor nicht durchschaute.
„Sie hat mich zu ihrer Nachfolgerin bestimmt“, flüsterte Celi ihr zu, kurz bevor sie das Arbeitszimmer erreicht hatten.
„Das ist ja wunderbar!“, sagte Akaya lauter, als sie beabsichtigt hatte, und Celi legte warnend ihren Finger an die Lippen. „Ich freue mich sehr für dich“, sagte Akaya leiser. „Und ich freue mich für die Bibliothek“, ergänzte sie.
„Danke“, raunte ihr Celi ins Ohr, deutet mit dem Finger auf eine Tür, zwinkerte ihr zu und verschwand lautlos.
Akaya atmete einmal tief ein. Ihr Herz schlug freudig bis zum Hals. Sie klopfte leicht an die Holztür und vernahm von Innen die gemurmelte Aufforderung, einzutreten. Leise betrat sie das Zimmer. Lillina saß hinter einem schweren Schreibtisch und war halb hinter Bücherstapeln verschwunden.
„Was gibt es, Celi?“, fragte sie abwesend, ohne den Blick zu heben.
„Arbeit“, erwiderte Akaya.
Lillina fuhr überrascht auf, als sie die bekannte Stimme hörte, und riss einen kleineren Stapel Bücher um. „Akaya!“
Akaya kletterte über die Bücher, die dem Rollstuhl nun den Weg versperrten, und schloss Lillina in die Arme.
„Wie schön, dass du wieder hier bist. Ich hätte nicht gedacht, dass der Rat euch so schnell entlässt und hatte nicht damit gerechnet, dich in den nächsten Tagen sehen zu können! Du musst mir alles erzählen.“ Sie zögerte einen kleinen Augenblick und fragte dann besorgt: „Ich hoffe, du verlässt uns nicht gleich wieder. Hast du Zeit?“
„Ich habe Zeit“, bestätigte Akaya. „Ich sagte ja, ich bringe Arbeit.“
„Meinst du etwa, ich soll alles gleich aufschreiben, was du erzählst?“, fragte Lillina schmunzelnd.
Akaya schüttelte den Kopf. „Nein, keine Sorge. Aber ich fürchte, ich bringe mehr Fragen mit als Antworten.“
„Das sieht dir ähnlich!“, gab die Bibliothekarin fröhlich zurück. „Hilf mir, das hier wieder aufzuräumen. Dann können wir diesen Raum verlassen und einen gemütlicheren Ort aufsuchen. Wie ich Celi kenne, hat sie uns schon einen Tee bereitet.“
„Eine gute Wahl, sie als Nachfolgerin zu bestimmen“, bemerkte Akaya.
„Ja, nur das Plaudern muss ich ihr offenbar noch abgewöhnen“, stellte Lillina unzufrieden fest.
„Sieh es ihr nach. Wir kennen uns schließlich“, sagte Akaya.
Die Bibliothekarin erwiderte: „Du bist nicht die einzige, die sie kennt ...“ Ihr Gesicht zeigte einen ernsten Ausdruck. Sie bückte sich nach einigen Büchern. Nach einer Weile murmelte sie: „Ich hatte gedacht, du brächtest einen verlorenen König.“ Sie drehte das Buch, das sie gerade aufgehoben hatte, nachdenklich in der Hand, als würde sie es zum ersten Mal sehen. „Wenn ich ganz ehrlich bin, hatte ich es gefürchtet“, gab sie zu und wirkte ein wenig hilflos.
„Nein, Lillina. Wir standen gemeinsam vor der Bibliothek und er sagte, er wolle dir die Entscheidung überlassen, wann der Zeitpunkt gekommen sei, dass ihr euch wiederseht“, berichtete Akaya.