Der Vertrauensbruch - Heidi Oehlmann - E-Book

Der Vertrauensbruch E-Book

Heidi Oehlmann

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Beschreibung

Vor Jahren wurde dem damaligen Polizisten Edgar Wolf eine Falle gestellt. Ihm wurde vorgeworfen, seinen Partner kaltblütig erschossen zu haben. Als niemand an seine Unschuld glaubte, trat er aus dem Polizeidienst aus und machte sich als Privatdetektiv selbstständig. Seitdem hält er sich mit kleineren Aufträgen über Wasser. Eines Tages erhält Wolf den spannendsten Fall seiner bisherigen Detektivkarriere. Es beginnt ganz harmlos mit der Beschattung einer untreuen Ehefrau. Doch dann soll er eine verschwundene Frau finden. Auf der Suche nach der Vermissten kommen Wahrheiten ans Tageslicht, mit denen weder er noch seine Auftraggeberin rechneten.

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Seitenzahl: 158

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Heidi Oehlmann

Der Vertrauensbruch

 

 

 

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Inhaltsverzeichnis

Titel

1. Kapitel

2. Kapitel

3. Kapitel

4. Kapitel

5. Kapitel

6. Kapitel

7. Kapitel

8. Kapitel

9. Kapitel

10. Kapitel

11. Kapitel

12. Kapitel

13. Kapitel

14. Kapitel

15. Kapitel

16. Kapitel

17. Kapitel

18. Kapitel

19. Kapitel

20. Kapitel

21. Kapitel

22. Kapitel

23. Kapitel

24. Kapitel

25. Kapitel

26. Kapitel

27. Kapitel

Impressum neobooks

1. Kapitel

Es gab einen lauten Knall, als Edgar Wolf zusammen mit der Leiter umkippte. Er knallte genau auf das Autodach seiner Zielperson. Dabei rutschte ihm seine Kamera aus der Hand und fiel auf den Asphalt. Sie zersprang in mehrere Einzelteile, die sich überall in der Einfahrt verstreuten. Edgar sprang vom Auto runter, sammelte hastig alle Kamerateile ein und rannte wie vom Blitz getroffen zu seinem Wagen zurück. Er wollte um keinen Preis entdeckt werden. So langsam war er zu alt für solche Aktionen. Auch wenn ihm das niemand ansah und er immer für jünger gehalten wurde, war er mittlerweile schon sechsundvierzig Jahre alt. Seine Haare bekamen die ersten grauen Strähnchen. Noch fielen sie zwischen seinen kurzen dunkelblonden Haaren kaum auf. Vielleicht lag dies an dem Haargel, was er sich jeden Tag großzügig ins Haar schmierte. Dadurch wirkte seine Haarfarbe dunkler. Es war aber nur eine Frage der Zeit, bis die Leute ihn für einen alten Mann hielten. Wolf war nun wirklich nicht eitel. Doch wie ein Großteil der Bevölkerung hatte er genauso viel Angst vor dem Altern. Das war ihm schon allein an seiner Kleidung anzusehen. Er versuchte sich immer so zu kleiden, dass er um Jahre jünger wirkte als er war. Selbst am heutigen Abend im Dunkeln, wo ihn hoffentlich niemand sah, war er in seinen Augen modisch gekleidet. Edgar trug eine dunkelblaue Jeans, die er in seine braunen Cowboystiefel steckte, ein schwarzes T-Shirt mit weißer Aufschrift »I`m A Young Boy« und darüber eine schwarze Lederjacke.

Inzwischen hatte er seinen Wagen erreicht, schloss ihn auf und setzte sich hinein. Seinen Kopf lehnte er gegen die Kopfstütze und atmete tief durch. Wolf spürte Schmerzen in seiner rechten Schulter, auf die er eben gefallen war. Nach einer kurzen Berührung der Stelle wurde der Schmerz noch größer. Die Wucht des Aufpralls musste riesig gewesen sein. Immerhin hatte das Dach des Autos eine spürbare Beule davon getragen. Beim Aufstehen fühlte er die Delle deutlich. Im Tageslicht würde man das Ausmaß des kleinen Unfalls richtig sehen können. Was seine Besitzerin wohl dazu sagte? Wahrscheinlich würde sie es erst am nächsten Tag bemerken, wenn es hell war. Gut, dass der Schnüffler diese Reaktion nicht mehr miterleben musste.

2. Kapitel

BUM. »Was war das?«, fragte Elena den Mann, der sie in den Armen hielt. Die zierliche blonde Frau erschrak so sehr, dass sie ihrem Gegenüber beinahe in die Lippe gebissen hätte.

»Ich weiß nicht. Ist das vielleicht dein Mann?« Noch bevor er diese Worte ausgesprochen hatte, sprang er hoch und zog sich seine Unterhose an. Anschließend schlüpfte er in seine hellblaue Jeans. Nach kurzer Suche fand er seinen weißen Pullover, den er sich überstreifte. Elena tat es ihm gleich. Sie verzichtete dabei auf die Unterwäsche und zog sich schnell ihr rot-weiß geblümtes Kleid über. Sie konnte nicht glauben, dass ihr Mann schon da sein sollte. Florian hatte ihr mehrfach seine späte Heimkehr an diesem Abend angekündigt. Er sagte etwas von einem langen Geschäftsessen. Wie das Leben so spielte, konnten Pläne sich jederzeit ändern. Also war die hübsche Blondine auf alles gefasst.

»Ich kann mir nicht vorstellen, dass Florian schon da ist. Er wollte heute später nach Hause kommen. Außerdem habe ich kein Auto gehört«, sagte sie, um sich selber zu beruhigen.

Sie hatte wirklich nichts gehört. Aber war das ein Wunder, so beschäftigt, wie das Paar in den letzten Minuten gewesen war? Fast wäre es zur Sache gegangen. In Gedanken ohrfeigte sie sich selbst. Wie konnte sie nur einen Mann in bestimmten Absichten mit nach Hause nehmen und dann auch noch ihren Physiotherapeuten. Bei ihm war sie seit über einem Jahr in Behandlung, weil sie hin und wieder von Rückenschmerzen geplagt wurde. Seit ein paar Wochen ließ Elena sich aber nicht mehr nur wegen ihres Rückens von ihm behandeln.

Bereits zum zweiten Mal nahm sie Michael mit zu sich nach Hause. Die Vorstellung, Florian könnte sie mit ihrem Physiotherapeuten in ihrem Ehebett erwischen, ließ ihr einen eiskalten Schauer über den Rücken laufen. Bisher hatte sie nicht einen Gedanken daran verschwendet, von ihrem pflichtbewussten Ehemann erwischt zu werden. Elena dachte nie an seine frühzeitige Rückkehr. Scheinbar legte sie es darauf an, ihm ihr kleines Geheimnis auf die Nase zu binden.

Das Paar verließ das Schlafzimmer, ging die Treppe hinunter in Richtung Haustür. Sie schob ihn zur Seite und öffnete leise die Tür. Die Blondine schaute nach links und rechts, konnte aber niemanden sehen. Das Auto ihres Gatten war weit und breit nicht in Sicht. Das war ein gutes Zeichen. Doch sie wussten immer noch nicht, woher dieser Knall kam. Dann entdeckte sie die Leiter auf ihrem Autodach. Sie konnte nicht glauben, was sie da sah.

Ihr Physiotherapeut Michael Binder war ebenfalls erstaunt. Er konnte sich seinen Kommentar nicht verkneifen: »Schau dir das an! Welcher Idiot hat denn hier die Leiter stehen gelassen?«

Die erstarrte Frau neben ihm hatte keine Erklärung dafür. Normalerweise lag die Leiter immer hinter dem Haus. Hatte Florian sie vielleicht in den letzten Tagen benutzt und vergessen, sie wieder weg zu räumen? Oder noch schlimmer: Hatte er sie etwa beobachtet? Die Antwort auf diese Frage würde Elena erst am Abend erhalten. Wenn ihr Mann nichts damit zu tun hatte, musste sie sich eine Erklärung dafür einfallen lassen, warum ihr Wagen eine riesige Beule hatte. Denn eigentlich gehörte der Wagen ihrem Mann. Sie durfte ihn nur fahren. Beide Autos waren auf Florian angemeldet und versichert. Er hatte sie gekauft und kümmerte sich um alles, was die Fahrzeuge betraf. Elena konnte ihm schlecht erzählen, die Leiter wäre einfach so auf das Dach gefallen. Dann würde Florian fragen, warum die Leiter dort gestanden hatte. Diese Frage konnte Elena sich im Moment noch nicht mal selbst beantworten. Sie wollte sich nun den Kopf nicht länger darüber zerbrechen. Vielleicht würde es am Abend eine schlüssige Erklärung dafür geben.

3. Kapitel

Wolf saß in seinem Auto und suchte seit einer gefühlten Ewigkeit nach der Speicherkarte. Er konnte sie nirgendwo finden und wurde allmählich unruhig. Sie schien verschwunden zu sein. Womöglich lag sie noch irgendwo dort am Haus in der Einfahrt. Er musste auf jeden Fall wieder zurück, um sie zu finden. Andernfalls wären seine bisherigen Bemühungen umsonst gewesen. Wie sollte sein Auftraggeber ihm ohne Beweise glauben, dass er dessen Gattin, nach fast zwei Wochen Observation, endlich in flagranti erwischt hatte?

Edgar mochte sich nicht ausmalen, was passierte, wenn die Speicherkarte in die falschen Hände geriet. Das würde nicht nur den Ruf des Mittvierzigers ruinieren und ihm weniger Aufträge bescheren. Nein, dann wären die letzten beiden Wochen Arbeit reine Zeitverschwendung gewesen. Sein Auftraggeber würde ihn sicherlich nicht bezahlen, wenn er nichts vorzuweisen hatte. Erzählen konnte der Detektiv schließlich viel.

Er öffnete das Handschuhfach und suchte nach seiner Taschenlampe. Nachdem er sie unter einem Haufen zerknüllter Verpackungen endlich gefunden hatte, stieg er aus seinem Wagen. Dabei bläute er sich ein, sein Auto sauber zu machen. Es wurde allmählich wieder Zeit. Bei jeder Observation aß er haufenweise Schokoriegel. Das beruhigte seine Nerven und der viele Zucker hielt ihn wach. Mit dem Wegräumen der unzähligen Verpackungen hingegen hatte er es nicht so.

Lautlos schlich er sich zurück zu dem Haus, an dem er vor wenigen Minuten noch auf der Leiter gestanden und Fotos gemacht hatte. Von Weitem sah er zwei Personen vor dem Haus stehen, die sich die Leiter und den Wagen mit dem verbeulten Dach ansahen. Als Edgar sich noch ein Stück näherte, sah er, es waren die Personen, die er vor seinem kleinen Unfall beschattet hatte. Er konnte deutlich die treulose Gattin und ihren Liebhaber erkennen. Scheinbar hatten sie den Schaden noch nicht bemerkt oder unterschätzten, wie groß er wirklich war. Zumindest hörte er das Paar nicht darüber reden. Wolf konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen, als er sie dort so stehen sah. Plötzlich fand er es nicht mehr so schlimm, was geschehen war. Wenn da nicht die verschwundene Speicherkarte und die Schmerzen in seiner Schulter gewesen wären, hätte er laut loslachen können. Er hoffte, die beiden hatten die Karte nicht gefunden und würden sie auch nicht finden. Im besten Fall dachten sie, die Leiter sei von allein durch den Wind umgekippt. Nur war es an diesem Abend alles andere als stürmisch. Sie mussten wirklich naiv sein, wenn sie so etwas glaubten. Zumal die Leiter vor dem Sturz des Detektivs nicht am Haus stand, sondern dahinter lag. Durch einen Zufall hatte er sie entdeckt, während er sich nach einer guten Möglichkeit umsah, Bilder zu machen. Zuerst wollte er am Balkongeländer hochklettern und versuchen von dort zum Schlafzimmerfenster zu gelangen. Mit der Leiter blieb ihm dieses sportliche Manöver glücklicherweise erspart. Er hatte sie einfach genommen und sie so angelegt, um einen guten Blick ins Schlafzimmer auf das Paar zu haben.

Edgar schlich sich immer weiter heran. Er versteckte sich hinter einem Auto auf der anderen Straßenseite und beobachtete die beiden Personen, die einfach nur dort standen. Ihm kam dieses Warten vor wie eine Ewigkeit. Es blieb ihm nur nichts anderes übrig, als in seiner Position auszuharren, bis die Luft rein war. In Gedanken sagte er immer wieder: Geht endlich rein!

Nach einigen Minuten war es so weit. Das Paar ging zurück ins Haus. Der Detektiv stellte sich die Frage, ob sie da weitermachen würden, wo sie nach seinem Sturz aufgehört hatten. Diesen Gedanken musste er schnell verdrängen, damit er sich auf die Suche nach der Speicherkarte konzentrieren konnte. Er musste sich beeilen, bevor sie vielleicht wieder zurückkämen oder schlimmer noch, die Polizei riefen. Das fehlte ihm in dieser verkorksten Situation. Was sollte er seinen Ex-Kollegen erzählen? Vielleicht, dass er soeben Hausfriedensbruch begangen hatte und es ganz nebenbei zu einer kleinen Sachbeschädigung kam? Dafür würde er mit Sicherheit jede Menge Spott ernten und im schlimmsten Fall bekäme er zur Belohnung eine Nacht auf dem Revier spendiert. Einige seiner ehemaligen Kollegen warteten doch nur auf so eine Gelegenheit, ihn vorführen zu können. Wenn es einer von ihnen wusste, war es nur eine Frage der Zeit, bis alle von seinem kleinen Malheur erfuhren. So viel Peinlichkeit konnte auch der härteste Schnüffler nicht ertragen. Er rannte auf die andere Straßenseite, knipste die Taschenlampe an und leuchtete die Stelle großflächig ab, auf der die Kamera aufgeprallt war. Die Speicherkarte schien wie vom Erdboden verschluckt zu sein. Wolf wollte schon fast aufgeben, weil er dachte, die untreue Auftragsgebergattin und ihr Liebhaber mussten sie gefunden haben. Das konnte aber nicht sein, da er sie keine Sekunde aus den Augen gelassen und sich keiner von ihnen gebückt hatte. Sollte es ihm doch entgangen sein, war Wolf eindeutig kurzsichtig. Edgar leuchtete weiter. Dabei beschlich ihn allerdings ein komisches Gefühl. Irgendetwas stimmte hier nicht. Er fühlte sich beobachtet. Normalerweise konnte er sich auf sein Gefühl verlassen. Diese Tatsache beunruhigte ihn erst recht. Dann kam endlich die Erlösung. Er erspähte die Speicherkarte. Sie lag etwas versteckt unter dem Auto, auf dem er vor wenigen Minuten noch gelegen hatte. Es war sein Glück, dass die Karte dort gelandet war. Sonst hätte das Paar sie längst entdeckt. Er bückte sich und griff nach der Speicherkarte. Als er sich in der Hocke befand, schaute er sich um, ob ihn vielleicht irgendjemand beobachtete. Als niemand zu sehen war, erhob er sich und rannte zu seinem Auto. Edgar öffnete es hastig, stieg ein und fuhr zurück in sein Büro. Zumindest das, was er Büro nannte. Eigentlich war es eine Zweizimmerwohnung im dritten Stock eines Altbaus am Stadtrand. Kurz nach seinem Einzug vor gut zwei Jahren hatte er einfach einen Schreibtisch in sein Wohnzimmer gestellt. Mehr konnte er sich nicht leisten, seit ihn seine Frau mit seiner Tochter verlassen hatte. Sie war von heute auf Morgen abgehauen, ohne ein Wort zu sagen. Auf Dauer war es ihr zu viel geworden, dass Edgar kaum zu Hause und immer mit seiner Arbeit beschäftigt war. Anfangs hatte sie sich noch regelmäßig darüber beschwert. Mit der Zeit gab sie es auf und zog eben ihre Konsequenzen. Seitdem lebte Edgar allein. Er hatte hier und da mal ein paar kurze Affären, aber es reichte nie für eine ernsthafte Beziehung. Es lag weniger an den Frauen, als an ihm. Er wollte sich einfach nicht mehr binden, um dann irgendwann doch wieder allein zu sein. Außerdem hing er noch an seiner Ex-Frau. Obwohl ihr Auszug inzwischen über drei Jahre her war. Damals lebten sie zu dritt in einer riesigen Vierraumwohnung.

Nachdem seine beiden Frauen weg waren, wohnte er noch ein paar Monate dort. Am Anfang hatte er die Hoffnung, seine Frau könnte mit ihrer gemeinsamen Tochter wiederkehren. Das war allerdings nur Wunschdenken. Er ahnte, es sollte ein Ende für immer sein. Als er es nicht mehr allein in der Wohnung aushielt und es ihm immer schwerer fiel die Miete aufzubringen, machte er sich auf Wohnungssuche. Dabei fand er diese kleine gemütliche Zweiraumwohnung am Rand von Wernigerode. Hier erinnerte ihn nichts mehr an sein früheres Leben und die Miete war bezahlbar.

Edgar hatte seine Frau wirklich geliebt und er liebte sie wahrscheinlich immer noch. Doch er zeigte es ihr offenbar zu wenig und nahm sich viel zu selten Zeit für seine Familie. Seine Tochter Lena hatte er inzwischen seit zwei Jahren nicht mehr gesehen. Zwei Mal im Jahr, zu ihrem Geburtstag und zu Weihnachten, schrieb er ihr eine Karte. Er wusste, es war nicht genug, aber er unternahm nicht einen Versuch, um diesen Zustand zu ändern. Wie gern würde er seine kleine Lena wieder sehen. So klein, wie in seinen Erinnerungen war sie gewiss nicht mehr. Inzwischen war sie zwölf Jahre alt und hatte sich mit Sicherheit sehr verändert. Wahrscheinlich könnte Edgar sie heute nicht mal auf der Straße erkennen, wenn sie an ihm vorbeilaufen würde.

Seine Sehnsucht nach ihr wurde mit jedem Tag stärker. Dennoch schämte er sich, dass er sich die letzten Jahre nicht um sie gekümmert hatte. Das Schlimmste war, Lena lebte wie ihr Vater ebenfalls noch in Wernigerode. Es wäre also ein Leichtes gewesen, den Kontakt zu halten. Edgar spielte immer wieder mit dem Gedanken, sie zu besuchen. Aber, was sollte er ihr sagen? Seine Angst vor ihrer Reaktion war einfach zu groß. Er wusste nicht, ob sie ihn überhaupt sehen wollte. Wenn seine Lena ihn wegschicken würde, wäre es für den sonst so hartgesottenen Detektiv noch um Einiges schlimmer, als die jetzige Situation ertragen zu müssen.

Früher hatte Edgar zwar auch nicht viel Zeit für seine Tochter gehabt, aber er konnte sie wenigstens täglich sehen und in den Arm nehmen. Das geschah zugegebenermaßen nicht allzu oft. Meist schlief sie schon, wenn er nach Hause kam. Dennoch ging er jeden Abend in ihr Zimmer, um sie zu sehen.

Zu dieser Zeit war Edgar Polizist, sogar ein recht Passabler. Bis ihm kurz, nachdem seine Frau ihn verlassen hatte, eine Falle gestellt wurde und niemand an seine Unschuld glaubte. Noch nicht mal seine Kollegen. Als er daraufhin vom Dienst freigestellt wurde, kündigte er seinen Job, und machte sich kurze Zeit später als Privatdetektiv selbstständig. Zwar wurde der Fall damals aufgeklärt und Wolfs Unschuld bewiesen, aber für Edgar hatte sich der Polizeidienst trotz der Aufklärung erledigt. Er wollte keinesfalls mehr mit Leuten zusammenarbeiten, die ihm einen Mord zutrauten. Alle glaubten, er habe seinen Partner eiskalt abgeknallt. Es stand außer Frage, dass sein Kollege mit Wolfs Dienstwaffe erschossen wurde. Allerdings dachten seine Kollegen anfangs, es sei Wolf gewesen. Niemand glaubte ihm seine Version der Geschichte. Er wurde bewusstlos geschlagen, bevor der tödliche Schuss fiel. Damals waren Edgar und sein Kollege Max an einer riesigen Drogengeschichte dran. Sie erhielten einen anonymen Tipp, ein großer Drogendeal sollte in einer Lagerhalle mitten in Wernigerode stattfinden. Also fuhren sie hin und schlichen sich hinein. An einen Hinterhalt hatten sie beide nicht gedacht. Die Halle war mit Kartons vollgestellt, also teilten sie sich auf. Jeder wählte einen anderen Gang, um die Dealer möglichst einzukreisen. Dann nahm das Unheil seinen Lauf. Zuerst bekam Wolf eine über den Schädel gezogen und anschließend wurde Max mit Edgars Dienstwaffe erschossen. Als Edgar wieder zu sich kam, fand er seinen toten Kollegen wenige Meter neben sich liegen und rief Verstärkung. Max musste sofort tot gewesen sein. Ihn traf eine Kugel in den Kopf.

Zwei Monate nach diesem Vorfall wurde der Täter geschnappt. Er gab zu, dass es eiskalt geplant war. Sein Auftraggeber, dessen Namen er bis zum heutigen Tag nicht preisgegeben hatte, erklärte ihm, es genau so zu machen. Max sollte sterben und Edgar aus dem Verkehr gezogen werden, indem ihm der Mord in die Schuhe geschoben werden sollte. Ziel des Ganzen war es beide Polizisten aus dem Weg zu räumen, damit sie aufhörten, herumzuschnüffeln. Laut Aussage des Täters sollte er einen der beiden umbringen und den anderen am Leben lassen. So sollte Zeit geschaffen werden. Es war reine Glückssache, dass Edgar noch lebte und Max sterben musste. Der Täter hätte es genau so gut anders herum machen können.

Noch heute machte Edgar sich Vorwürfe, damals so blauäugig dem Informanten vertraut und seine übrigen Kollegen nicht eingeweiht zu haben, bevor sie zur Lagerhalle fuhren. Max war nicht nur sein Partner, sondern gleichzeitig sein bester Freund gewesen und der Einzige, mit dem er gern zusammengearbeitet hatte. Bevor er Max kennenlernte, war Edgar meist allein unterwegs. Jedem Partner, den er im Laufe seines Berufslebens zugeteilt bekam, machte er ziemlich schnell klar, dass eine Zusammenarbeit zwischen ihnen nicht funktionieren würde. Mit Max war das anders. Die beiden Männer waren von Anfang an auf derselben Wellenlänge. Schon bei ihrer ersten Begegnung vor mehr als zehn Jahren war ihnen das auf Anhieb klar. Sie wussten, sie würden gut miteinander auskommen. Max war damals wegen der Liebe von Magdeburg nach Wernigerode gezogen. Er hatte seine Frau Anne bei einem Konzert in Wernigerode kennengelernt. Es funkte sofort zwischen den beiden. Es dauerte nicht lange, bis Max sich entschied, nach Wernigerode zu ihr zu ziehen.

An Max seinem ersten Arbeitstag wurde ihm und Edgar mitgeteilt, dass sie von nun an zusammenarbeiten werden. Wolfs vorheriger Partner, mit dem er sich nur notgedrungen abgegeben hatte, ging eine Woche zuvor in den Ruhestand. Also war es Zeit für einen neuen Kollegen. Und dieses Mal funktionierte es. Die beiden verstanden sich blind.

Mit den anderen Kollegen konnte Wolf nicht viel anfangen. Die meisten waren ihm viel zu humorlos und echte Paragrafenreiter. Von diesem strikten Dienst nach Vorschrift hielt Edgar noch nie etwas. Ungewöhnliche Ereignisse erforderten eben hin und wieder ungewöhnliche Maßnahmen, die nicht immer mit dem langen Dienstweg zu vereinbaren waren. Deshalb konnte er sich auch nach der Zeit mit Max nicht mehr vorstellen mit jemand anderen zusammenzuarbeiten und womöglich so zu tun, als wäre nie etwas gewesen. Und diese falsche Freundlichkeit, die ihm seine Ex-Kollegen nach diesem Ereignis entgegengebracht hatten, machte für ihn, die ohnehin schon mühsame Polizeiarbeit, immer unerträglicher.

4. Kapitel