Der Wald der Zukunft - Martin Janner - E-Book

Der Wald der Zukunft E-Book

Martin Janner

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Beschreibung

Den Wald verstehen und schützenFörster Martin Janner beobachtet seit 25 Jahren, wie unsere Bäume Opfer des Klimawandels werden. Durch abgestorbene Fichtenwälder entstandene Freiflächen machen klar: Es müssen jetzt Entscheidungen getroffen werden. In seinem Buch erzählt er, wie sich die Klimaveränderung auswirkt und mit welchen Maßnahmen wir den Wald widerstandsfähig machen. Denn ohne den Wald fehlt uns nicht nur ein bedeutender CO₂-Speicher und Erholungsort, gerade als Rohstofflieferant ist er in der heutigen Zeit keineswegs zu unterschätzen. Die Zeichen stehen auf Dunkelrot, aber das Bemühen um unsere Bäume lohnt sich!  Gewinner des Deutschen Waldpreises in der Kategorie »Förster des Jahres«

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www.piper.de

© Piper Verlag GmbH, München 2023

Covergestaltung: Birgit Kohlhaas, kohlhaas-buchgestaltung.de

Covermotiv: Gaby Gerster

Unter Mitarbeit von Margret Trebbe-Plath

Konvertierung auf Grundlage eines CSS-Layouts von digital publishing competence, München mit abavo vlow, Buchloe

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Text bei Büchern mit inhaltsrelevanten Abbildungen ohne Alternativtexte:

Inhalt

Inhaltsübersicht

Cover & Impressum

Warum dieses Buch?

Kapitel 1 Der Wald in schwierigen Zeiten

Dürrejahre und ihre Folgen

Alarmsignale: Waldbrände und Versteppung

Wo kein Wald mehr wächst

Klimaprojektionen: Welchem Pfad folgen wir?

Kapitel 2 Spurensuche

Abgesang auf eine Baumart

Wälder auf der Reise

Wie die Fichte zu uns kam

Wenn der Wald zum Acker wird

Vom Normschwein Fichte

Das Problem mit dem Kahlschlag

Den Wald rückwärtslesen

Von »schwarzem Gold« und brutaler Ausbeutung

Kapitel 3 Unsere Bäume

Die Pioniere: Birke, Eberesche und Co.

Spezialkräfte der Natur

Unverzichtbar: die Eiche

Eine Königin unter den Bäumen: die Kirsche

Das Klimahüllenmodell

Vergessene Baumarten als Chance: die Hainbuche

Eine waldbauliche Alternative: der Ahorn

Pilze, Käfer und der Verlust von Ulme und Esche

Von Baumvermehrung und Begleitschein: die Rotbuche

Exilanten und Verfolger: Weißtanne und Zerreiche

Ein Baum mit Zukunft: die Esskastanie

Vom anderen Kontinent: Douglasie und Weymouthkiefer

Seltene Arten: Elsbeere und Speierling

Kapitel 4 Der Wald der verzahnten Generationen

Von der Fläche zum Einzelbaum

Den Boden bereiten für neue Arten

Ein Mosaik aus fließenden Übergängen

Das Zusammenspiel verschiedener Baumarten

Von der kahlen Fläche zum vielfältigen Wald

Eine alte Idee

Bedrohung durch Wild

Jagen für den Wald

Handwerk und Verantwortung

Zerstörung und Seuchen: Wildschweine

Ausgang offen: Wolf und Luchs

Zum Schutz und Wohl des Waldes

Kapitel 5 Multitalent Wald

Tief durchatmen!

Wasser speichern und den Boden bewahren

Unser bester Klimaschützer

Waldarbeit

Erhöhtes Risiko

Von Maschinen und Pferden

Holz: unser wertvoller Rohstoff

Heimische Hölzer neu entdecken

Kapitel 6 Der ökologische Wald

Die kleinen Erfolge

Erholung geglückt: Rotmilan, Wanderfalke und Uhu

Rückkehr nicht möglich: wenn Quellen versiegen

Naturschutz im eigenen Revier

Alles Nationalpark, oder?

Unser Wald, unser Leben

Mein Dank

Bildteil

Buchnavigation

Inhaltsübersicht

Cover

Textanfang

Impressum

Warum dieses Buch?

Rekorde üben einen gewissen Reiz auf mich aus. Mit Faszination schaue ich mir Tabellen an, auf denen die Bestwerte einer bestimmten Disziplin aufgeführt sind: das größte Schiff, das schnellste Flugzeug, der höchste Sprung, den ein Athlet nach jahrelangem Training absolviert hat.

Aber jetzt?

Ich sitze im August des Jahres 2022 in meinem Büro und beobachte, wie die Bäume und Sträucher im Garten vor meinem Fenster schon heute damit beginnen, ihr Laub zu verlieren. Das magere Gras unter den Bäumen ist längst verdorrt, und die Singvögel nehmen das bereitgestellte Wasser in der Vogeltränke dankbarer an als das Futter, das es bei mir ganzjährig gibt.

Auf dem Bildschirm meines Mobiltelefons erläutern mir die Meteorologen, die mich mindestens zweimal am Tag über die Wetterentwicklungen informieren, dass der August 2022 sich anschickt, der wärmste je gemessene August seit 1881 zu werden. Gleichzeitig reden wir vom geringsten Niederschlag in den Sommermonaten im gleichen Zeitraum und dem niedrigsten je gemessenen Pegelstand des Rheins seit ewigen Zeiten.

Das Jahr 2022 ist auf Rekordjagd! Doch die Faszination, die Höchstwerten innewohnt, ist dem Grauen gewichen: Im August wurden die bislang meisten Temperaturhöchstwerte und zugleich die meisten Niederschlagstiefstwerte in den gesamten 2000er-Jahren registriert. Hier gibt es nichts zu feiern, hier werden all meine Befürchtungen bestätigt, all die Sorgen holen mich ein. Immer mehr beschleicht mich das Gefühl, von den Ereignissen geradezu überrollt zu werden. Die Veränderung des weltweiten Klimas macht die Erde zu einer »Sauna ohne Ausgangstür«, so jedenfalls hat es Eckart von Hirschhausen vor Kurzem beschrieben.

Wir befinden uns im Strudel der Klimakatastrophe, der sich hier in Mitteleuropa mal etwas schneller und katastrophaler dreht, mal etwas unauffälliger vonstattengeht und uns für einige Zeit in dem trügerischen Glauben lässt, es komme womöglich doch alles nicht so schlimm wie befürchtet. Bis wir dann wenig später daran erinnert werden, dass es auch noch viel dramatischer kommen kann, als wir es uns in unseren ärgsten Befürchtungen ausgemalt haben. Wer hätte gedacht, dass die Schifffahrt auf dem Rhein eines Tages wegen Niedrigwasser eingestellt werden muss und deshalb die Versorgung Süddeutschlands mit verschiedensten Rohstoffen infrage gestellt ist?

Ich denke darüber nach, welche Katastrophe schlimmer ist: eine, die man über einen langen Zeitraum hinweg kommen sieht, ohne etwas dagegen zu unternehmen, oder eine, die wie der Blitz aus heiterem Himmel zuschlägt. Für mich ist es die langsame und stetig anschwellende Gewissheit, auf ein Unheil zuzusteuern, die mich stark verunsichert. Der Schrecken, den eine Katastrophe auslöst, mischt sich dann nämlich mit dem schlechten Gewissen und dem Zorn auf die eigene Untätigkeit.

Es gehört zum Handwerkszeug eines Försters und einer Försterin, lange Zeiträume zu überschauen, denn die Entwicklungen im Wald gehen langsam vonstatten. Und so versetzt mich der Blick einige Jahrzehnte nach vorn in Schrecken, habe ich doch die Erinnerung an die Wälder, die in den letzten fünf Jahren in meinem Revier abgestorben sind, noch immer gut vor Augen. Ein Fünftel der von mir betreuten Waldfläche ist seit 2018 infolge Trockenheit und Hitze zerstört, und da sich die Klimakatastrophe in Deutschland vermutlich manifestiert, muss ich mir nun auch Sorgen um die noch halbwegs intakten Buchenwälder in meinem Revier machen.

Vor mittlerweile drei Jahren dachte ich erstmals darüber nach, in einem Buch zusammenzufassen, was mich als Revierförster in unmittelbarer Nähe zum Mittelrheintal in Zeiten der Klimakatastrophe und absterbender Wälder umtreibt. Ich wollte schildern, wie wir in den Wäldern im Herzen Europas auf diese folgenschweren Veränderungen reagieren müssen, und welche Maßnahmen wir Forstleute bereits seit Jahren dagegen ergreifen. Damals durchaus motiviert durch viele teils unsachliche Vorwürfe gegen unsere Arbeit in den Wäldern, wollte ich mein und unser Handwerk schildern und Verständnis wecken.

Doch nach den dramatischen Entwicklungen in der Ukraine seit dem Februar 2022 und den unmittelbaren Auswirkungen auf unseren Alltag drängen sich plötzlich ganz andere Fragen dazwischen. Unversehens finden wir uns in der Lage wieder, Menschen mit Heizmaterial für den Winter versorgen zu müssen, da bei der Bevölkerung – in der Stadt wie auch hier auf dem Land – zunehmend die Furcht um sich greift, die Gasrechnung nicht mehr begleichen zu können. Da rücken die Sorge um den Wald, den weltweiten Handel mit Rohstoffen und auch den fatalen Glauben an eine stetig wachsende Weltwirtschaft, die mich seit Jahrzehnten wie eine dunkle Ahnung begleiten, auf einmal ganz nah.

Meine Gedanken, die Sie mit diesem Buch in Händen halten, sollen keine Richtung vorgeben. Das Erteilen von Ratschlägen an Waldbesitzende oder Kollegen und Kolleginnen liegt mir sehr fern, denn ich weiß, dass jeder Wald, jede Örtlichkeit ganz eigene Rahmenbedingungen und Zielsetzungen hat. Ich möchte Sie schlicht einladen, mich bei meinen Überlegungen für die weitere Waldentwicklung zu begleiten. Auch möchte ich Ihnen die eine oder andere Erklärung geben, die Ihnen womöglich hilft, besser zu verstehen, was Sie bei Ihren Waldspaziergängen sehen und beobachten können. Und diese Erklärungen sind nötig. Denn neben der Verpflichtung dazu, langfristige Strategien für den Wald aufzustellen, müssen wir Forstleute auch in komplexen Zusammenhängen Entscheidungen treffen, auf die viele Einflussgrößen einwirken. Diese sind oft genug für den Moment schwer nachvollziehbar und ergeben doch Sinn, wenn man den Gesamtzusammenhang betrachtet.

Der pflegende und steuernde Eingriff in den Jungwald von heute hat den klimastabilen Wald von morgen zum Ziel, und das erklärt, warum heute auch mal junge, gesunde Bäume gefällt werden müssen. Bei der Ernte einer abgestorbenen Fichte denke ich weniger an den Ertrag, den ich durch den Verkauf des anfallenden Holzes erzielen kann, als vielmehr an die Sicherheit meiner Mitarbeiter, die genau auf dieser Waldfläche in Zukunft arbeiten müssen, um klimastabile Eichen in ihrem Wuchs zu begünstigen. Die abgestorbene Fichte darf für meine Mitarbeiter nicht zur lebensbedrohenden Klappfalle werden. Deswegen wird der Baum gefällt – abgeschnitten, wie wir Forstleute auch sagen. Die Pflanzung einer Elsbeere, das Begünstigen einer jungen Eiche oder die Wertastung eines Kirschbaums – wobei am stehenden jungen Baum bis auf 6 Meter Höhe nach und nach die Äste entfernt werden, sodass in den Folgejahren »astreines« Wertholz heranwächst – werden sich zu meiner Dienstzeit finanziell nicht mehr positiv auswirken. Auf lange Sicht aber können diese Bäume zu wichtigen Pfeilern eines klimastabilen Waldes werden und damit dem Wald eine Zukunft bescheren.

Und solche Eingriffe sind dringend nötig, denn wir müssen uns beeilen. Wir können nicht verharren. Wir können es uns aufgrund des rasant voranschreitenden Klimawandels nicht leisten, den Wald einfach sich selbst zu überlassen und den natürlichen Prozess der Wiederbewaldung in aller epischen Breite auszukosten.

Die Wälder nach der letzten Eiszeit hatten Tausende von Jahren Zeit, sich auf die Veränderung des Klimas einzustellen. Aufgrund des rücksichtslosen Verhaltens der Menschen verändert sich das Klima mittlerweile aber in einem solchen Tempo, dass die Wälder heute einfach nicht mehr hinterherkommen. Wollen wir Wald also so erhalten, dass auch unsere Enkel und Urenkel damit noch etwas anfangen können, müssen wir ihm gewissermaßen auf die Sprünge helfen.

Dabei geht es zum einen um die Schutzfunktion des Waldes für den Wasserhaushalt, eine Tierartenvielfalt und das Regionalklima und zum anderen um einen wachsenden Bedarf am Rohstoff Holz – auch dabei sollten wir uns nichts vormachen. Die bisher geübte Praxis, im Zweifel Holz irgendwo auf dem Globus zu kaufen und dann nach Deutschland zu verschiffen, ist nach den Bränden in Sibirien, Kanada oder im Amazonasgebiet keine moralisch vertretbare Lösung mehr, von dem klimaschädlichen Transport einmal ganz abgesehen. Und an weltpolitische Auseinandersetzungen rund um die Rohstoffe habe ich dabei noch nicht einmal gedacht. Wir kommen nicht darum herum: Wir müssen uns Gedanken machen, wie wir in unseren Wäldern möglichst bald auch solche Baumarten etablieren können, die lange wachsen, auf weitere klimatische Veränderungen vorbereitet sind und trotzdem dick werden.

Wir Förster und Försterinnen denken wie gesagt in langen Zeiträumen, und der Generationenvertrag, dessen Bestand in der Sozialpolitik immer wieder für Diskussionen sorgt, wird in unserer Branche gelebt. Auch deshalb ist das großflächige Absterben der ausgedehnten Fichtenwälder für heute aktive Forstleute belastend. Fichtenreinbestände, wie sie jahrzehntelang in unseren Wäldern auf großen Flächen bestimmend waren, haben im Wald der Zukunft keinen Platz. Dennoch führen die Hintergründe, Gedanken und die Arbeit, die in all den Waldflächen steckt, die wir Forstleute heute betreuen, zu großem Respekt gegenüber unseren Vorgängern, und es stimmt uns bisweilen traurig, wenn wir ihre Arbeit in gewissem Sinne auslöschen, um ganz von vorn anzufangen. Jeden von uns beschleicht dann die Frage: Wie wird man später einmal mit unserer Arbeit umgehen, wie wird man sie bewerten?

Die Dimension dieser Langfristigkeit, die dem vom Wald vorgegebenen Takt folgt, wird ganz anschaulich, wenn man sich die Mühe macht und die Jahresringe eines Baumes zählt, den man im Wald nach reiflicher Überlegung hat fällen lassen. Im Jahr 2013 ernteten meine Mitarbeiter auf meine Anweisung eine Eiche, deren Alter ich auf diese Weise gut bestimmen konnte: Der Baum war genau 200 Jahre alt. Mehrere Förstergenerationen hatten den Waldbereich gepflegt, und für alle war das Ziel klar gewesen: Hier sollen dicke, gerade und gesunde Eichen heranwachsen. Und dann sollte die eine oder andere geerntet werden. Das habe ich getan und dabei genügend Bäume zurückgelassen, damit mein Nachfolger oder meine Nachfolgerin später eine 250 Jahre alte Eiche ernten kann. Das ist die Abmachung, die zwischen den Förstergenerationen heute noch genauso gilt wie schon vor Jahrzehnten und Jahrhunderten.

Sicher haben Sie schon einmal Baumscheiben gesehen, auf denen anhand der Jahrringe besondere historische Ereignisse kenntlich gemacht wurden, um die zeitliche Dimension zu verdeutlichen. Als »meine« Eiche in ihrem ersten Jahr wuchs, hatte Feldmarschall Blücher gerade den Rhein überschritten, um Napoleon in Richtung Frankreich zu verfolgen. Einige Monate zuvor war mit der Völkerschlacht bei Leipzig der Beginn des Untergangs der Grande Armée eingeläutet worden, Beethoven hatte Wellingtons Sieg komponiert und damit einen grandiosen Erfolg erzielt – derweil im Wald der Gemeinde Niederwallmenach unweit der Loreley eine kleine Eiche die ersten beiden Blätter entwickelte.

Voller Bewunderung schauen wir heute auf die Standhaftigkeit, die der Baum bewiesen hat, ist doch viel geschehen in der Zeit zwischen 1813 und heute. Doch nicht nur der Baum war standhaft und beständig, sondern auch das Klima, in dem die Eiche aufwuchs, gab ihr einen vergleichsweise sicheren Rahmen. Jahresdurchschnittstemperatur und Niederschlag blieben bis ins Jahr 1990 nahezu unverändert. Die Eiche konnte sich aufs Wetter verlassen.

Heute kann das kein Baum mehr, und es ist schon erschreckend, wie wenig wir als Gesellschaft dagegen unternommen haben, wenn man bedenkt, wie lange sich die Klimakatastrophe bereits angekündigt hat.

So kann ich mich noch lebhaft an einen denkwürdigen Abend erinnern, den ich in Gesellschaft meines Vaters Mitte der 1980er-Jahre verbracht habe. Es war dunkel, als wir aus dem großen Saal eines Hotels namens Erholung an die frische Luft traten. Schweigend gingen wir durch die Straßen unserer Heimatstadt Alsfeld, und erst kurz bevor wir zu Hause ankamen, tauschten wir ein paar Worte über dies und das, in erster Linie wohl, um die Stille zu beenden. Der Vortrag, den wir gerade gehört hatten, hatte uns schlichtweg die Sprache verschlagen.

Ein weltweiter Anstieg der Temperaturen, so war uns anschaulich erklärt worden, würde die Lebensbedingungen für Mensch, Tier und Vegetation so dramatisch verändern, dass sich gerade auch Gesellschaften in südlicheren Gefilden womöglich nicht mehr ausreichend mit Lebensmitteln aus eigener Produktion würden versorgen können, sich gar neue Völkerwanderungen entwickelten. Jedes einzelne grüne Blatt, so sagte es der damals weithin bekannte Wetterfrosch des ZDF, Dieter Walch, würde dann ungemein wichtig sein, um die Temperaturen in den Städten auch nur annähernd im erträglichen Bereich halten zu können.

Solche Aussagen ließen uns alle schweigend zurück – bis auf ein paar wenige Besucher, die ihrem Erschrecken in heftiger Gegenrede Luft verschafften. Dieter Walch antwortete ruhig und stets freundlich, genau so, wie wir ihn aus dem Fernsehen kannten. Lächelnd erörterte er uns seine Prognosen, die sich in den 40 Jahren, die seitdem vergangen sind, nur zu deutlich bewahrheitet haben.

Er behielt recht – das können wir heute nüchtern festhalten –, ebenso wie zum Beispiel Hoimar von Ditfurth, ein früher Harald Lesch, der bereits Ende der 1970er-Jahre wissenschaftliche Berechnungen aus der Meteorologie vortrug, die sehr exakt den zu erwartenden Anstieg der Durchschnittstemperaturen beschrieben. Fast aufs Grad genau hatte man damals Szenarien entwickelt, die heute absolut zuverlässig eingetreten sind.

Genau in dieser Zeit der bunt gemusterten Krawatten, also Ende der 70er-Jahre, fiel mein Entschluss, Revierförster zu werden. Und so begleitet mich das Sterben der Wälder im Herzen Europas schon sehr lange. Heute müssen wir erkennen, dass eine fehlgeleitete forstliche Bewirtschaftung, befeuert durch den Klimawandel, zu genau den Bildern geführt hat, die uns prognostiziert wurden. Ja, auch ich habe noch gelernt, wie man Fichtenkulturen von allem sonstigen Bewuchs befreit, und auch ich habe noch Douglasien auf Kahlschlagsflächen gepflanzt und dabei im Lichte meines heutigen Wissens alles verkehrt gemacht, was man nur verkehrt machen kann.

Doch wenn sich heute die Blätter von immer mehr Bäumen mitten im Sommer braun verfärben, weil es seit Monaten schon nicht mehr ausreichend geregnet hat, müssen wir festhalten: Unsere Einsicht kommt sehr spät! Das Klima verändert sich derart schnell, dass Anpassungsprozesse bei unserer Lebensweise ebenso dringend nötig sind wie Anpassungsprozesse in unseren Wäldern. Allein auf die Selbstheilungskräfte der Waldökosysteme zu hoffen reicht schon lange nicht mehr aus. Wir müssen dem Wald dabei helfen, sich an die Veränderungen anzupassen, die unsere Gesellschaft zu verantworten hat. Und das müssen wir heute mindestens so verantwortungsvoll betreiben, wie wir der Klimakatastrophe in den letzten Jahrzehnten verantwortungslos zugesehen haben.

Eine Bemerkung ist mir an dieser Stelle noch sehr wichtig: Ich habe mich darum bemüht, in diesem Buch geschlechterneutral zu schreiben. Ich bitte aber um Verständnis dafür, dass ich darauf verzichtet habe, wenn es mir aus Gründen der Lesbarkeit nicht möglich schien. Wo also nicht alle genannt sind, sind dennoch alle gemeint.

Kapitel 1 Der Wald in schwierigen Zeiten

Sagt Ihnen das Wort crunchy etwas? Viele denken jetzt wahrscheinlich sofort an Kartoffelchips oder Frühstückscerealien, dabei bedeutet der Begriff eigentlich »knackig«. Aber bei crunchy kann man sich direkt ein Geräusch vorstellen. Das nämlich, das entsteht, wenn man in eine Scheibe Knäckebrot beißt oder wenn man versehentlich auf ein paar heruntergefallene Kartoffelchips tritt.

So ähnlich hört es sich mittlerweile an, wenn ich durch den Wald gehe, den ich nun seit über 20 Jahren betreuen darf. Crunchy! Bei jedem Schritt knackt und knistert es unter meinen Füßen, und selbst mein uralter Hund wirbelt mit seinen langsamen Schritten Staub auf den ausgedörrten Forstwegen auf. Im nunmehr fünften Sommer in Folge hört sich das Rauschen der Blätter im Wind nicht mehr an wie das Rauschen von Blättern im Wind, sondern wie das Rascheln von Pergamentpapier. Denn auch wenn das Jahr 2021 uns leidlich mit Niederschlägen beschenkt hat, so sehen wir uns doch seit 2018 einer andauernden Dürre ausgesetzt. Seit ebendiesen fünf Jahren begrüßen sich Bauern, Förster und Gärtner nach einem Gewitterregen mit der Frage, wie viel Millimeter denn gefallen seien. Gemeint ist der Regen.

Brunnen und Bäche versiegen hier im Westen Deutschlands genauso wie in der märkischen Sandbüchse Brandenburgs oder anderen Teilen Nordostdeutschlands. Das Futter für das Vieh der Bauern wird langsam knapp, und das Wild in den Wäldern muss teils weite Wege zu einer Wasserstelle in Kauf nehmen. Viele, über Jahre gepflegte Feuchtbiotope sind vertrocknet, und der Ruf der Gelbbauchunke an einer Stelle meines Reviers hat mich in diesem Jahr noch deutlich mehr erfreut als sonst. Werde ich sie im nächsten Jahr wieder hören?

Dürrejahre und ihre Folgen

Ich betreue einen Wald, der jedes Jahr bis zu 30 Prozent weniger Wasser bekommt, als es im langjährigen Mittel der Jahre 1961 bis 1990 der Fall war, und dabei haben die Bäume permanent mit einem deutlichen Anstieg der Durchschnittstemperatur zu kämpfen. Das hat sichtbare Konsequenzen. Schon in den ersten Jahren meiner Arbeit als Förster hier hat eine Reihe von Veränderungen in den Wäldern meines Reviers schleichend begonnen, die sich jetzt, 20 Jahre später, womöglich in galoppierender Geschwindigkeit fortsetzt.

Ende der 90er-Jahre war es für mich als jungen Forstingenieur ein Traum, ein Revier übernehmen zu können. Nachdem ich die Gestaltungsmöglichkeiten in einem rheinland-pfälzischen Kommunalwald kennengelernt hatte, war der ursprüngliche Plan, Leiter eines staatlichen Reviers mit Forsthaus in der Einsamkeit der abgelegenen Wälder im Hunsrück mit Staatsjagd und Hirschbrunft vor der Haustür, schnell zu den Akten gelegt. Nein, die waldbaulichen Möglichkeiten in einem Revier in Sichtweite des Loreleyfelsens boten weitaus großartigere Aussichten.

Mein Revier war nach einer Umorganisation auf rund 1500 Hektar angewachsen und von einer Vielfalt, die mich bis heute begeistert. Und damit meine ich nicht nur die zahlreichen Baumarten in den Wäldern, sondern auch das bewegte Landschaftsbild. Wälder wechseln sich mit Feldern oder Wiesenabschnitten ab. Auf der nach Nordosten weisenden Revierseite leiten sanfte Täler das Wasser mit einem Umweg über die Lahn in den Rhein, und auf der anderen Seite der bis zu 480 Meter hoch gelegenen Wasserscheide geht es in tief eingeschnittenen Bachtälern direkt zum Strom, der sich hier im Mittelrheintal rund um den Loreleyfelsen geradezu spektakulär präsentiert. Der breite Fluss, den wir aus seinen Ober- und Unterläufen kennen, rauscht zumeist mit hohem Tempo durch eine ganz besondere Felslandschaft und hat die Gegend weltbekannt gemacht.

Über die Jahrtausende hat sich eine Landschaft gebildet, die an manchen Stellen regelrechte Trockenwälder auf felsigem Untergrund trägt und manchmal nur wenige Hundert Meter entfernt Täler mit besten Böden und dicken Eschen- oder Ahornwäldern aufweist. Hier im Bundesland Rheinland-Pfalz hat der Wald, der 42 Prozent der Landesfläche bedeckt, eine ganz besondere Bedeutung. Noch dazu liegt er an einem der ältesten unserer Weinanbaugebiete. War die Wärme, die die Felsen des Rheintals speichern, für die Römer noch ein Argument dafür, an den Hängen Wein anzubauen, so bekommen wir die Temperaturen heute auch oberhalb des Rheingrabens in meinem Revier zu spüren. Eine Wärme, die für die Wälder zunehmend beängstigend wird.

Im Jahr 1990 waren die Wälder in meinem Revier an der einen oder anderen Stelle durch die Stürme Vivian und Wiebke leicht ramponiert, dann aber in weiten Teilen recht vielgestaltig wiederaufgeforstet worden. Die Stürme hatten vor allem etwas anderes durcheinandergewirbelt: Mein Vorgänger, der 38 Jahre lang das Gesicht der Wälder geprägt hatte, beschloss, alle Pläne für die damals durchaus noch üblichen Kahlschläge fallen zu lassen. Damit war er seiner Zeit weit voraus, denn erst im Jahr 2000 wurde diese zerstörerische Praxis in Rheinland-Pfalz gesetzlich nahezu untersagt. In jenem Jahr wurde das Landesforstgesetz zum Landeswaldgesetz – eine Änderung der Begrifflichkeit, die weit mehr als eine Kleinigkeit darstellte, denn mit dem Begriff Forst ist der Nutzungsaspekt viel stärker verknüpft als mit dem Begriff Wald. Durch die Änderung wollte das Parlament deutlich machen, dass man den Wald umfassender betrachten sollte. Gegen teils heftige Widerstände innerhalb der Verwaltung wurde per Gesetz die Kahlschlagsnutzung selbst dort verboten, wo sie bereits beschlossene Sache gewesen war. Es durften grundsätzlich keine Kahlflächen mehr geschlagen werden.

Gerade die Buchenwälder, die gut die Hälfte der Fläche meines Reviers ausmachten, entwickelten sich nun durch die mäßigen, pflegenden Baumentnahmen auf großer Fläche vorzüglich, und auch die Fichten waren vom Team meines Vorgängers gegen zukünftige Stürme klug gewappnet worden. Eine stabile Bestandsstruktur begann sich zu etablieren.

Neben den beiden wichtigsten Baumarten Buche und Fichte gibt es in meinen Wäldern zum Glück große Flächen mit Eichen und Douglasien unterschiedlichen Alters. Aber über die Jahrzehnte hatte mein Vorgänger auch die Etablierung und Pflege von Bergahorn, Esche, verschiedenen Tannenarten oder Kiefern nicht vernachlässigt. Selbst der Birke hatte er zumindest auf kleineren Flächen Entwicklungsmöglichkeiten eingeräumt, was für einen Forstmann dieser Generation bemerkenswert ist, denn die Birke galt lange Zeit als Unkraut. Auch seltenere Baumarten wie Esskastanie, Hemlocktanne oder Weymouthskiefer sind vertreten, und so fand ich eine Baumartenvielfalt vor, von der ich lernen konnte. Schließlich sind es fast 40 Baumarten, die in den von mir betreuten Wäldern wachsen! Ich hatte also ein gut aufgestelltes Revier übernommen, in dem viele Gestaltungsmöglichkeiten auf mich warteten, und die für mich so wichtigen Schlagworte »Vielfalt im Wald«, »Kein Kahlschlag« und »Bestandsstruktur durch Nutzung« waren weder für die Waldbesitzenden noch für die Mitarbeiter Neuland.

 

In den ersten Jahren nach meinem Amtsantritt folgten die Arbeiten wie in jedem Forstrevier zwischen Rhein, Lahn und Main einem ziemlich gleichmäßigen Jahresverlauf: Im Spätherbst, wenn die Forstwirtschaftspläne mit den Gemeinderäten besprochen waren, begann man mit der Durchforstung in stärkeren Laubwäldern. Als Durchforstung bezeichnet man Maßnahmen zur Pflege des Waldes, bei denen man gezielt eine gewisse Anzahl an Bäumen aus einem Bestand herausnimmt, um anderen mehr Entwicklungsraum zu verschaffen und natürlich auch um Holz zu ernten. Buchen und Eichen als Stammholz für verschiedene Kunden im In- und Ausland wurden in diesen Monaten vorbereitet und verkauft, das anfallende Holz aus den Kronen der Bäume rollte nach und nach in heimische Zellstoff- und Papierwerke, und der eine oder andere Dorfbewohner bereitete sein Brennholz für den übernächsten Winter vor. Damals lag zeitweise noch so viel Schnee, dass die Arbeiten eingestellt werden mussten!

Im zeitigen Frühjahr, nachdem die Laubholzsaison abgeschlossen und das Holz verkauft war, sammelte man all die einzelnen Fichten ein, die infolge der Schneelast oder nach einem Sturm über den Winter umgestürzt waren. Dieser Sammelhieb – ja, so nennen wir das noch heute – hatte vor allem das Ziel, Fichtenstämme zu verkaufen, bevor sich die Borkenkäfer darin ausbreiten konnten und womöglich ein Befallsherd entstand, von dem aus weitere Bäume angegriffen werden könnten.

In meinem Revier wurde in der damaligen Zeit recht wenig gepflanzt, denn es stand schon überall ein Baum. Ich wusste kaum, wo ich hätte pflanzen können, und so widmeten wir uns im fortschreitenden Frühjahr der Ernte von Douglasienstämmen, und im Laufe des Sommers ging es an die Ernte von Fichtenholz. Mal für die Sägewerke der Region, die daraus Bauholz schnitten, mal schwächere Stämmchen für die Produktion verschiedener Papiersorten. Vom Raufaserrohpapier bis zum Bierdeckel!

So beschaulich, wie sich diese knappe Schilderung jetzt liest, nahm ich es womöglich nicht wahr, aber aus der heutigen Perspektive war die Zeit kurz vor der Jahrtausendwende noch ein Stück heile Welt. Damit meine ich, dass unsere Arbeit berechenbar war, geprägt von regelmäßigen Abläufen und einer langfristigen Perspektive. Hatte man im Oktober oder November mit den Waldbesitzenden das Vorgehen des nächsten, aber auch der darauffolgenden Jahre besprochen, konnten diese Pläne abgearbeitet werden. Man legte beispielsweise fest, wie viel Stammholz verkauft werden sollte, und schlug dann die entsprechende Holzmenge – wo und welches Holz, die Entscheidung darüber fällte man gemäß den Bedingungen und Erfordernissen des Bestandes. Da die Entwicklungen im Wald im Großen und Ganzen absehbar waren, konnten wir die geplanten Vorhaben in Ruhe abarbeiten.

Trotz gewisser Unwägbarkeiten war ich als Förster in der Lage zu handeln, und zwar immer auf mein Ziel ausgerichtet: einen gesunden, geschlossenen Waldbestand zu erhalten, der sich selbst mit verschiedenen Baumarten reproduziert und so eine regelmäßige Holznutzung ebenso ermöglicht wie einen konstanten Finanzertrag. Und auch die ökologische Sichtweise, den Wald als Lebensraum für eine Artenvielfalt, als Sauerstofflieferant und Erholungsraum zu erhalten, war fester Bestandteil der Überlegungen.

Selbst die Folgen der Stürme der Jahre 1999 (Lothar) und 2007 (Kyrill) waren in meinem Revier noch beherrschbar gewesen. Sie hatten in anderen Regionen Deutschlands katastrophale Auswirkungen auf die Wälder und auch bei uns bereits einiges mächtig durcheinandergewirbelt. Dennoch konnten wir nach jedem dieser Ereignisse sagen: Wir sind mit einem blauen Auge davongekommen, unsere Wälder hat es kaum betroffen. Wir fühlten uns gut vorbereitet auf kommende Veränderungen, die Wälder waren stabil. Ja, besser noch: Unsere Durchforstung und die Einrichtung dauerhafter Rückegassen, neue Arbeitsmethoden und andere Maßnahmen zeigten Wirkung! Junge Pflänzchen der meisten unserer Baumarten fanden sich auf dem Waldboden – neue Baumgenerationen wuchsen heran. Diese sogenannte natürliche Verjüngung entwickelte sich vielerorts so erfreulich, dass ich mich traute, mir die wunderbaren Plenterwälder des Schwarzwalds zum Vorbild zu nehmen: naturnah bewirtschaftete, stabile Wälder.

Auch zog insbesondere unsere Art der kahlschlagsfreien Arbeit positive Auswirkungen beim Artenschutz nach sich: Der Schwarzstorch kehrte zurück in unsere Region, der Kolkrabe und die Wildkatze folgten. Ich beschäftigte mich mit der Freihaltung von kleinen Waldquellen, um auch dort im eher mikroskopischen Bereich Artenschutz möglich zu machen, und vielem mehr. Immer wieder einmal vorkommende Trockenperioden waren von kurzer Dauer, und unsere Wälder litten kaum Schaden.

Wenn, ja wenn nicht über allem die Angst vor den Auswirkungen des Klimawandels geschwebt hätte. Als ob er hinter dem Vorhang stünde, jederzeit bereit, hervorzutreten. Es war wie ein Luftanhalten. Wenn sich die Veränderungen so entfalten würden, wie Prognosen immer deutlicher herausstellten – das war vielen Kollegen und Kolleginnen klar –, wären die Folgen für unsere Wälder gravierend.

Und dann holte er uns ein: Innerhalb der Jahre 2018 bis 2020 erlebte nicht nur die Region rechts des Mittelrheins eine dramatische Trockenheit, die sich nach einer kurzen Unterbrechung 2021 im Jahr 2022 direkt fortsetzte. Nein, diese Trockenheit in Verbindung mit den üblichen Sekundärschädlingen wie Borken-, Bock- und Prachtkäfern sowie verschiedenen Pilzen machte sich in vielen unserer Reviere bemerkbar. Sie breitete sich bis in die tiefen Bodenschichten aus und führte zu einer Dürre, die nur durch überdurchschnittliche Niederschläge in den nächsten Jahren ausgeglichen werden kann und den Wäldern überall in Deutschland bis heute zu schaffen macht.

 

Auch in dem kleinen Waldbereich, den ich betreue, erkennt man die Veränderungen von Jahr zu Jahr stärker: Es sind die Quellen, die in den letzten Jahren versiegten, und die vielen abgebrochenen Äste aus den Kronen vormals kerngesunder Altbuchen. Es ist die abnehmende Vitalität gerade der Buchen- und Eichenwälder, vor allem, wenn die Bäume älter als 170 Jahre sind.

Innerhalb kurzer Zeit sind nicht nur die großen Fichtenkomplexe hektarweise abgestorben – leuchtend rot stehen sie wie Mahnmale in der Landschaft –, sondern die traurigen Reaktionen der Wälder auf die Trockenheit verlaufen auch in meinem Revier schleichend: Zuerst sterben die Bäume ab, die auf den felsigen Flächen häufig in schon immer extremer Umgebung über Jahrzehnte ausgehalten haben. Oft nicht höher gewachsen als ein paar Meter und fast malerisch knorrig, sind die Kiefern und vor allem Eichen unter schwierigen Bedingungen doch in jedem Frühjahr wieder grün geworden, bis es ihnen in den Jahren 2019 und 2020 oder etwas später 2022 schlichtweg zu viel wurde. Dies sind beileibe keine wirtschaftlich spürbaren Verluste, jedoch stirbt auch mit diesen Bäumen Wald ab, der Kohlenstoff speichert, Boden und Wasser schützt, das Landschaftsbild prägt.

Ähnlich erschüttert beobachte ich in trockenen Jahren, dass die Laubbäume immer früher ihre Blätter verlieren. Das ist keine normale Herbstfärbung, sondern ein langsames Verdorren. Ja, selbst grüne Blätter werfen die Bäume ab und verlieren damit auch wertvolle Nährstoffe, die in einem normalen Jahr in den Organismus zurückfließen würden. Doch dieser schleichende Prozess wird für die Waldbesuchenden immer erst dann greifbar, wenn einzelne, die Landschaft prägende Bäume darunter leiden. Leider haben wir schon viele dieser Bäume aus Sicherheitsgründen fällen müssen, und kurz darauf erinnert sich keiner mehr daran, dass dieser Baum im Grunde infolge des Klimawandels entfernt werden musste. Es gilt das Motto: »Aus den Augen, aus dem Sinn.«

So beobachte ich zum Beispiel das Siechtum einer Buche, die sich gut 140 Jahre hat entwickeln können, jetzt im vierten Jahr. 2019 waren erste Anzeichen dafür erkennbar, dass sie vom Kleinen Buchenborkenkäfer angegriffen wurde. Sie hatte bereits viel Laub verloren, wirkte aber noch vital, ein rasches Absterben war keineswegs ausgemachte Sache. Im nächsten Jahr entwickelte der Baum erneut Laub, und womöglich wäre die Sache gut für ihn ausgegangen, wenn das Jahr 2020 schön feucht gewesen wäre. War es aber nicht. So hatte der Borkenkäfer leichtes Spiel. Nachdem mittlerweile aus den vielen, durch Befall ausgelösten Wunden die übliche schwarze Soße ausgetreten war – wir nennen das Schleimfluss –, sich ganze Rindenpartien abgelöst hatten und einzelne starke Äste abgestorben waren, werden wir den Baum, der in der Nähe eines Waldweges steht, bei Gelegenheit abschneiden, bevor noch ein Spaziergänger zu Schaden kommt. Dieser Baum hat nach 140 Jahren den Kampf verloren.

Alarmsignale: Waldbrände und Versteppung

Seit fünf Jahren also wird der klimatische Wandel unübersehbar deutlich. Das wunderbar leuchtende Abendrot im Sommer 2020 sei auch deshalb so beeindruckend gewesen, heißt es, weil Rußpartikel aus den Waldbränden Kaliforniens den Weg bis nach Mitteleuropa gefunden hätten. Ob es auch in diesem Jahr in Sibirien brennt wie 2019, ist keine Meldung mehr wert. In Grönland brechen gewaltige Eismassen ab, und ich fühle mich an einen ebenso massiven Eisberg erinnert, dem wir uns mit großer Geschwindigkeit nähern.

Die Welt ist voller kurz aufleuchtender Alarmsignale, die uns schrill vor Augen führen, dass wir handeln müssen. Doch wo Quartalszahlen oder längstens Legislaturperioden der zeitliche Horizont sind, an dem sich Entscheidungen ausrichten, fühlt man sich als Förster oft fremd mit seinen Gedanken, die in die eine wie in die andere Richtung Jahrzehnte, ja selbst Jahrhunderte überfliegen. Und so wohltuend dieser weite Blick einmal war und so hilfreich er heute sein könnte, so beängstigend ist das Szenario, das sich jetzt zeigt. Immer häufiger geht es darum, kurzfristig Schäden im Wald zu beheben und Katastrophen einzudämmen. Konnte man bis 2018 im Wald noch weitgehend planmäßig arbeiten und agieren, müssen wir heute oft vor allem reagieren, um die Folgen der rasanten Klimaveränderungen aufzufangen.

 

Den Anfang machten die verheerenden Waldbrände der letzten Jahre. Sowohl 2018 als auch 2019 sind in Deutschland infolge der sommerlichen Trockenheit rund 2500 Hektar Wald schlichtweg abgebrannt! Und für das Jahr 2022 gibt das European Forest Fire Information System (EFFIS) schon Anfang September eine Fläche von 750 000 Hektar abgebrannten Waldes in ganz Westeuropa bekannt.

Zu den verheerenden Waldbränden im Sommer 2022 gehörte auch ein Großfeuer im Süden von Berlin, das die Menschen deshalb besonders aufhorchen ließ, weil es hier schon einmal zu einer Katastrophe gekommen war: Mitte August 2018 entzündete sich in den Wäldern im Raum Treuenbrietzen, einer Kleinstadt im brandenburgischen Landkreis Potsdam-Mittelmark, ein Feuer. In den gleichförmigen Kiefernwäldern der Region entwickelte es sich rasch zu einem Waldbrand mit einer Ausdehnung von 400 Hektar. Über 600 Feuerwehrkräften gelang es erst nach Tagen, den Brand einzudämmen. Mit im Einsatz: die Bundeswehr und einige Hubschrauber, die aus der Luft gerade die Brände bekämpften, in denen man mit alter Munition im Boden rechnen musste.

Einen solch großen Waldbrand hatte es in Deutschland seit Jahren nicht gegeben, entsprechend riesig war die mediale Aufmerksamkeit, und wahrscheinlich können auch Sie sich noch an die Bilder der Zerstörung und die Berichterstattung darüber erinnern. Sicher ging es Ihnen wie mir, denn sofort hatte ich bei dem Waldbrand in Brandenburg die Brände in Kalifornien, Portugal oder Australien vor Augen. 2017 haben in Portugal Waldbrände innerhalb eines Jahres über 90 000 Hektar Baumbestand vernichtet. 2012 verbrannten im Nationalpark Garajonay auf La Gomera urtümliche Wälder ebenso wie hochproblematische Forste aus Eukalyptus und Kiefern-Monokulturen auf dem spanischen Festland.

Und tatsächlich hat es auch bei uns schon Brände dieser Größenordnung gegeben. Auch in Deutschland wurden schon einmal Tausende Hektar Wald durch Flammen pulverisiert, und ich kann mich gut daran erinnern, dass mein Bruder im August 1975 aus dem oberhessischen Alsfeld aufbrach, um die Feuerwehr im niedersächsischen Eschede bei der Brandbekämpfung zu unterstützen. Als kleiner Bub war ich von dem für mich riesigen Tanklöschfahrzeug – einem Magirus Saturn mit immerhin 200 PS – mächtig beeindruckt, das die Feuerwehr nach Norden schickte. Die Bilanz des damaligen Flammenmeers weist eine verbrannte Fläche von 8000 Hektar Nadelwald und 5000 Hektar Heideflächen aus. Und auch die Erinnerung daran, dass fünf Feuerwehrmänner im Wald von den Flammen eingeschlossen wurden und dort ihr Leben lassen mussten, darf ruhig noch einmal geweckt werden. Insgesamt waren bei der Bekämpfung dieser Brände in den Landkreisen Gifhorn, Celle und Lüchow-Dannenberg rund 15 000 Feuerwehrleute und mehr als 11 000 Soldaten sowie Bundeswehrhubschrauber und Löschflugzeuge aus Frankreich im Einsatz.

Großwaldbrände sind also in Deutschland möglich und – man muss es leider sagen – angesichts der klimatischen Entwicklungen zunehmend wahrscheinlich, wie es die vielen Brände des Jahres 2022 eindrucksvoll belegen. Seien es ein Waldbrand am Brocken im Harz oder ein Großfeuer im Berliner Grunewald. In den Sommermonaten brennt es immer wieder in deutschen Wäldern. Der Brand in Treuenbrietzen 2018 jedenfalls war groß und gefährlich, keine Frage. Und es ist den Feuerwehrleuten zu verdanken, dass daraus keine noch größere Katastrophe entstanden ist. Aber im historischen Vergleich innerhalb Deutschlands oder im aktuellen internationalen Vergleich war das Brandgeschehen kaum bemerkenswert. Dennoch muss jeder Brand zum Anlass genommen werden, die Ursachen zu erforschen und Strategien zu entwickeln, wie er verhindert werden kann.

Denn jeder Brand zerstört nicht nur Holz und große Mengen Biomasse, sondern auch Humus, der sich auf teils katastrophal nährstoffarmen Böden angesammelt hat. Das erschwert die Anpflanzung neuer Bäume, zerstört Mikroorganismen und entzieht zahlreichen Tierarten die Lebensgrundlage. Und nicht zuletzt gehen mit den verbrannten Baumbeständen Wasser- und Kohlenstoffspeicher, Luftfilter, Sauerstoffproduzenten verloren – und für viele Menschen ein Stück Heimat.

Der Begriff Heimat erscheint uns manchmal antiquiert, für einige hat er gar einen reaktionären Klang. Aber im Zusammenhang mit dem Wald tauchen wir ihn doch zumeist in ein mildes grünes Licht. Laut einer Studie des Johann Heinrich von Thünen-Instituts aus dem Jahr 2021 leben etwa 57 Prozent der deutschen Bevölkerung im sogenannten ländlichen Raum. Wer dort aufwächst, hat Kontakt und Verbindung zum Wald. Mal mehr, mal weniger, mal intensiv, mal eher beiläufig, aber bei einem Anteil von 32 Prozent Wald an der Gesamtfläche Deutschlands kann man dem Wald im Grunde kaum aus dem Weg gehen, zumal allen Wäldern per Bundes- und den jeweiligen Landeswaldgesetzen eine besondere Bedeutung im Hinblick auf die Erholungswirkung zugewiesen ist.

Gern wird, um das besondere Verhältnis der deutschen Bevölkerung zum Wald zu beschreiben, auf die Literatur des 19. Jahrhunderts verwiesen. Eichendorff, Storm, Droste-Hülshoff oder Stifter werden angeführt, die dem Wald literarische Denkmäler gesetzt und eine ganze Zeit geprägt haben. Auch fehlt meist der Verweis darauf nicht, dass die Nationalsozialisten die deutsche Waldbegeisterung für ihr krudes Weltbild instrumentalisiert haben. Das und auch das 19. Jahrhundert liegen lange zurück, die Sprache von damals wirkt befremdlich, und mit vielen alten Texten wissen vor allem jüngere Menschen nichts mehr anzufangen.

Und dennoch erlebe ich gerade bei der jüngeren Generation diese große Sorge um den Wald und damit auch um das Gefühl der Heimat. Es sind die Erinnerungen, nicht nur an beschauliche Wanderungen mit Oma und Opa, sondern auch an eine Verabredung, von der nicht jeder etwas wissen sollte, an ein in den Baum geritztes Herz. Der geklaute Weihnachtsbaum gehört ebenso wie das Suchen der Ostereier als kleines Kind in diese Kiste voller Erinnerungen, die viele Menschen wie Schwarz-Weiß-Fotos aus der Vergangenheit mit sich herumtragen. Beim Betrachten dieser Bilder verändert sich ihre Mimik. Es sind genau diese Erinnerungen, die ihren Bezugspunkt verlieren, wenn Wälder absterben oder schlimmer noch: verbrennen. Dann sind sie dahin und mit ihnen ein Stück der eigenen Geschichte.

 

Aber nicht nur Brände sind verantwortlich für die Zerstörung riesiger Waldgebiete. Es gibt weitere Alarmsignale, die uns ebenfalls aufrütteln sollten. In den Wäldern mitten in Deutschland werden bereits Bereiche erkennbar, in denen schon mittelfristig keine geregelte Forstwirtschaft mehr möglich sein wird, da flächige Absterbeprozesse eingesetzt haben. In Sichtweite der Bankentürme Frankfurts und innerhalb der Geräuschglocke des größten deutschen Flughafens verschwindet die grüne Lunge des Ballungszentrums Rhein-Main. Zu Tode gestresst durch Trockenheit, Zersiedlung, Zerschneidung und ganz unmittelbar vergiftet von jahrzehntelanger massiver Umweltverschmutzung, sterben ganze Wälder ab. Selbst ehemals trockenresistente Eichen und Kiefern geben in unmittelbarer Nähe zu verschiedenen Autobahnen schlichtweg auf.

So fällt heute in Deutschland immer wieder der Begriff der Versteppung. Auch das Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung warnt für Bereiche Brandenburgs vor derartigen Prozessen. Fallende Wasserstände verschiedener Seen und sinkende Grundwasserspiegel können schließlich in Verbindung mit den zurückgehenden Niederschlägen nicht folgenlos bleiben. Und selbst wenn der Begriff der Versteppung unwissenschaftlich ist, so ruft er uns doch dramatische Bilder vor Augen, die trockenliegende Boote am Aralsee zeigen oder durch heiße Winde über den staubigen Boden getriebene, vertrocknete Reisigbälle irgendwo sonst auf der Welt. Fest steht: Zieht man den Zeitrahmen heran, den ein Verantwortlicher im Wald zu überblicken hat, sind derartige Bilder auch bei uns in Zukunft nicht mehr auszuschließen.

Wo kein Wald mehr wächst

Im Norden Bayerns, in den Wäldern Frankens und in weiten Teilen Nordostdeutschlands – in vielen Regionen sind Zweifel berechtigt, ob hier bereits mittelfristig noch etwas wachsen wird, was man in Deutschland mit dem Begriff Wald verbindet. Und damit meine ich noch nicht einmal die weiten Flächen abgestorbener Fichtenwälder, die sich vom Rhein im Westen über den Westerwald, das Sauerland bis zum Harz hin erstrecken. Denn hier könnten Wiederbewaldungsmaßnahmen bald Erfolge nach sich ziehen. Nein, es gibt Gebiete, in denen ehemals standortangepasste Eichen und Kiefern viel zu jung absterben.

Seit Beginn der 1980er-Jahre wird der Zustand unserer Wälder mit deutscher Gründlichkeit erhoben und vermessen, und gerade die Jahre 2018 bis 2020 lassen eine deutliche Zunahme an Schädigungen erkennen, zunächst sind das teils massive Nadel- und Blattverluste, die langsam vertrocknende Bäume nun einmal aufweisen. Um eine langfristige Vergleichbarkeit zu erreichen, werden seit Beginn der Erfassung in regelmäßigen Abständen die gleichen Punkte in einem Wald aufgesucht. Dabei hat man sich auf ein Raster von 8 mal 8 Kilometer geeinigt, und in jedem der Felder wird der Zustand von 24 Baumkronen beurteilt. Dafür bemisst man die Belaubung der Krone in 5-Prozent-Stufen: zwischen 0 Prozent Blatt- bzw. Nadelverlust bei einem kerngesunden Baum und 100 Prozent Verlust bei einem Baum, der abgestorben ist. Parallel zu dieser sogenannten Terrestrischen Waldschadenserhebung, bei der man mit Karte und GPS-Empfänger durch die Wälder zieht, werden an den Punkten in größeren zeitlichen Abständen Bodenuntersuchungen vorgenommen und die gewonnenen Daten mit den Ergebnissen aus Untersuchungen speziell ausgewiesener Versuchsflächen abgeglichen.[1]

Doch bei aller Präzision enthalten die amtlichen Statistiken durchaus Möglichkeiten zur Fehlinterpretation, und erst der nähere Blick in die Untersuchungen der einzelnen Bundesländer kann helfen, den wahren Zustand der Wälder zu erfassen. Hier sind Aufbereitung und Darstellung häufig klarer und mit mehr Informationen unterlegt. Ganz besonders tragisch sind die Fehlinterpretationen, die aufgrund des Sterbens eines Baumes entstehen können. Denn beispielsweise wird eine Fichte so lange mitgezählt, wie sie noch Feinreisig in der Krone enthält – mit oder ohne Nadeln. Ist sie ohne Nadeln und damit abgestorben und hat sich womöglich eine jüngere Fichte in direkter Nachbarschaft entwickelt, die in der Statistik bisher noch nicht aufgetaucht ist, kann es leicht passieren, dass nun diese anstelle der vorherigen erfasst wird. Da junge Bäume deutlich gesünder sind als ihre älteren Artgenossen, entsteht nun der Eindruck, die Fichte habe sich sprunghaft von allen Gebrechen erholt. Das Gegenteil ist der Fall. Auf weiten Flächen hat sich der Bestand an Fichten auf diese Weise einfach statistisch verjüngt und wirkt daher gesünder, als er in Wirklichkeit ist.

Eine ähnliche Fehlerquelle ist den unregelmäßig auftretenden Mastjahren der Buchen und Eichen zuzuschreiben. So führen diese Jahre, in denen gerade die Laubbäume kräftig blühen und Samen – man spricht dabei von Mast – produzieren, regelmäßig zu falsch negativen Ergebnissen, da die Bäume ihre Kraft in die Produktion von Samen investieren und die Belaubung dadurch schon mal lichter als normal wirkt. Das Entlaubungsprozent steigt also in einem Mastjahr. Im darauffolgenden Jahr, wenn sich die Belaubung wieder erholt hat, dürfen Politiker eine wundersame Erholung der Wälder feiern. Allerdings ganz ohne menschliches Zutun.

Gut messbar hingegen ist das flächenbezogene Ausmaß des Waldverlustes: Die Satelliten Sentinel-2 und Landsat-8 haben die deutschen Wälder genau vermessen, und im Jahr 2021 vermeldete das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR), dass im Zeitraum zwischen Januar 2018 und April 2021 501 000 Hektar Wald geschädigt wurden. Ganze 5 Prozent der gesamten Waldfläche Deutschlands müssen für diesen Zeitraum als verloren angesehen werden.

Die Daten für das Jahr 2022 liegen noch nicht vor, aber rasch wird eine Fläche von der Größe des Saarlandes wieder aufzuforsten sein. Das kleinste Flächenbundesland wäre dann abgestorben und muss wiederbewaldet werden. So kann man sich die Dimensionen gut vor Augen führen.

Und auch die Ursachen sind in Zahlen zu erfassen. Da sind vor allem die Hitze und Trockenheit dieser Jahre: Das wärmste Jahr seit Aufzeichnung der Daten ab 1881 war bisher das Jahr 2014 gewesen. Doch 2018 stellte mit einer Mitteltemperatur von 10,5 Grad Celsius einen neuen Rekord auf. Sechs Monate dieses Jahres überstiegen ihre bisherigen Mittelwerte um 3 Grad, und das bei nur 71,6 Prozent des mittleren Niederschlagswertes.[2] Und wie zum Ende eines jeden Jahres hofft man zum Jahreswechsel, dass doch bitte das nächste irgendwie besser werden würde. Doch obwohl das Jahr 2022 noch nicht vorüber ist, so lässt sich vermuten, dass auch dieses Jahr wieder einen Platz in der Spitzengruppe der Statistik einnehmen wird.

Sowohl wir Forstleute als auch die Landwirtinnen und Landwirte wurden 2019, 2020 und 2022 Jahr um Jahr aufs Neue enttäuscht – für die Wälder waren sie eine Katastrophe. Besserung stellte sich nicht ein, im Gegenteil: Das Jahr 2020 erzielte den zweiten Platz unter den wärmsten Jahren, gleich hinter 2018! Der bisherige Rekord von 2014 war innerhalb kurzer Zeit auf Platz 3 abgerutscht, und mit dem Jahr 2022 wird sich die Hitliste erneut erschreckend verändern. Auch die Niederschläge konnten die Defizite der Trockenjahre nicht ausgleichen, da die Werte ebenfalls unterdurchschnittlich ausfielen.

Die Folge waren neben den großflächigen Absterbeprozessen vor allem eine Massenvermehrung verschiedener Käfer, die den geschwächten Bäumen den Garaus machten. Denn neben der abgestorbenen Waldfläche als Gradmesser für die Waldschäden kann man eine weitere Zahl gut erfassen: In den Jahren 2019 und 2020 sind in Deutschland 171 Millionen Kubikmeter Holz aufgrund Krankheiten und Insektenbefalls infolge der Trockenheit, aber auch durch die Trockenheit selbst eingeschlagen worden, wie das BMEL erfasst hat. Das ist eine größere Holzmenge, als wir in einem ganzen Jahr verbrauchen. Das hört sich harmlos an, ist es aber nicht. Der Jahresverbrauch liegt in etwa bei 127 Millionen Kubikmetern über alle Arten und Holzsorten hinweg. Und das in ganz Deutschland. Die Menge an abgestorbenem Holz entspringt im Wesentlichen einem zentralen Bereich zwischen Rhein und Harz. Und überwiegend handelt es sich dabei um Fichtenholz.

Aber es geht noch weiter: Meine Mitarbeiter und ich beobachten auch eine Veränderung im Verhalten gerade von Insekten, die wir schon lange kennen. Die Borkenkäferarten, die bislang nur von der Fichte lebten, halten Ausschau nach Nahrung in noch ungefährdeten Baumarten wie der Douglasie und der Lärche. Weitere Käfer wie der Kleine Buchenborkenkäfer befallen gemeinsam mit einer ganz anderen Art, dem Buchenprachtkäfer, stehende Buchen, die durch die Trockenheit geschwächt sind. Diese Arten lebten bislang überwiegend in abgebrochenen Ästen und umgestürzten Bäumen. Einen – wir nennen es primären – Befall kannten wir durch diese Insekten nicht. Und im Grunde ist der Befall auch nicht primär, sondern er erfolgt im zweiten Schritt. Der erste waren Hitze und Trockenheit.

Klimaprojektionen: Welchem Pfad folgen wir?

Es ist für uns Forstleute nichts Ungewöhnliches, den Blick 200 Jahre zurück zu werfen, wenn wir es mit einer starken Eiche oder Weißtanne zu tun haben. Folglich ist es nur konsequent und logisch, den gleichen Zeitraum in der Zukunft in den Blick zu nehmen, wenn wir über langfristige Nachhaltigkeit sprechen. Sie sehen: Es bleibt uns gar nichts anderes übrig, als die Erkenntnisse der Klimaforschung ernst zu nehmen.