Der Weg der Vollkommenheit - Theresia von Jesu - E-Book

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Theresia von Jesu

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Beschreibung

»Der Weg der Vollkommenheit« ist eine aszetische Schrift, in die die Heilige Theresia das ganze mystische Gebetsleben einfließen lässt, vom Gebet der Sammlung an bis zum Gebet der Vereinigung. Der apostolische Eifer, der die feurige Seele dieser großen Spanierin auf den Kampfplatz stellte, rief sie nicht nur zur Reform der im Laufe der Jahrhunderte etwas erschlafften Ordensdisziplin, er gab ihr auch die Feder in die Hand, um ihren zu einer neuen Gemeinschaft geeinten Töchtern die Wege zu weisen zu den Höhen der klösterlichen Vollkommenheit. Herangereift durch ausdauernden Kampf mit sich selbst, emporgestiegen zur erhabenen Tugendhöhe, erprobt in der Ertragung so vieler widriger Lebenserfahrungen und vertraut mit den mannigfachsten Äußerungen menschlicher Armseligkeit und Schwäche, vermochte sie mit kluger Umsicht alle ihr entgegentretenden Lebensverhältnisse zu meistern und ihren Töchtern den ganzen Werdegang ihres seelischen Aufstieges zu Gott klar und vertrauensvoll nahezubringen. Auch die »Satzungen«, die sie kraft apostolischer Vollmacht verfasste, sowie das »Visitationsverfahren« in den Klöstern atmen den Geist kluger Maßhaltung und abgeklärter Ruhe, so dass sie mit Recht als die von Gott erleuchtete Gesetzgeberin für das erste Klösterlein St. Joseph in Ávila und aller nachfolgenden Gründungen angesprochen werden kann. Neben den genannten Schriften finden sich auch die »Gedichte und Lieder« in diesem Werk.

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Seitenzahl: 417

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Der Weg der Vollkommenheit

 

THERESIA VON JESU

 

 

 

 

 

 

 

Der Weg der Vollkommenheit, Theresia von Jesu

Jazzybee Verlag Jürgen Beck

86450 Altenmünster, Loschberg 9

Deutschland

 

Übersetzt von P. Aloysius Alkofer Oh. Carm. Disc.

 

ISBN: 9783988682017

 

www.jazzybee-verlag.de

[email protected]

 

 

INHALT:

Vorwort des Herausgebers. 1

Einführung in den Weg der Vollkommenheit3

Buch genannt Weg der Vollkommenheit verfasst von Theresia von Jesu Nonne des Ordens Unserer Lieben Frau vom Karmel7

Verwahrung der heiligen Verfasserin. 7

Vorrede. 8

Erstes Hauptstück. 10

Zweites Hauptstück. 13

Drittes Hauptstück. 18

Viertes Hauptstück. 23

Fünftes Hauptstück. 29

Sechstes Hauptstück. 32

Siebentes Hauptstück. 36

Achtes Hauptstück. 42

Neuntes Hauptstück. 44

Zehntes Hauptstück. 47

Elftes Hauptstück. 51

Zwölftes Hauptstück. 54

Dreizehntes Hauptstück. 59

Vierzehntes Hauptstück. 62

Fünfzehntes Hauptstück. 64

Sechzehntes Hauptstück. 68

Siebzehntes Hauptstück. 73

Achtzehntes Hauptstück. 77

Neunzehntes Hauptstück. 82

Zwanzigstes Hauptstück. 91

Einundzwanzigstes Hauptstück. 95

Zweiundzwanzigstes Hauptstück. 100

Dreiundzwanzigstes Hauptstück. 104

Vierundzwanzigstes Hauptstück. 108

Fünfundzwanzigstes Hauptstück. 111

Sechsundzwanzigstes Hauptstück. 113

Siebenundzwanzigstes Hauptstück. 118

Achtundzwanzigstes Hauptstück. 122

Neunundzwanzigstes Hauptstück. 128

Dreißigstes Hauptstück. 132

Einunddreißigstes Hauptstück. 136

Zweiunddreißigstes Hauptstück. 143

Dreiunddreißigstes Hauptstück. 150

Vierunddreißigstes Hauptstück. 154

Fünfunddreißigstes Hauptstück. 160

Sechsunddreißigstes Hauptstück. 163

Siebenunddreißigstes Hauptstück. 169

Achtunddreißigstes Hauptstück. 171

Neununddreißigstes Hauptstück. 176

Vierzigstes Hauptstück. 180

Einundvierzigstes Hauptstück. 184

Zweiundvierzigstes Hauptstück. 189

Satzungen. 192

Vorwort des Herausgebers. 192

Einführung in die Satzungen. 194

Satzungen für die unbeschuhten Karmelitinnen. 196

Visitationsverfahren. 217

Einführung in die Visitationsverfahren in den Klöstern der unbeschuhten Karmelitinnen217

Visitationsverfahren in den Klöstern der unbeschuhten Karmelitinnen. 219

Gedichte der Heiligen. 240

Vorwort des Herausgebers

Als Abschluss der Gesamtausgabe der Werke der heiligen Theresia erscheint nunmehr »Der Weg der Vollkommenheit« in Verbindung mit einigen kleineren Schriften. Wie schon in der Einführung in die Schriften dieses Bandes gesagt wird, ist »Der Weg der Vollkommenheit« eine aszetische Schrift, wenn die Heilige auch, besonders in der Erklärung des Vaterunsers, das ganze mystische Gebetsleben einfließen lässt, vom Gebet der Sammlung an bis zum Gebet der Vereinigung. Der apostolische Eifer, der die feurige Seele dieser großen Spanierin auf den Kampfplatz stellte, rief sie nicht nur zur Reform der im Laufe der Jahrhunderte etwas erschlafften Ordensdisziplin, er gab ihr auch die Feder in die Hand, um ihren zu einer neuen Gemeinschaft geeinten Töchtern die Wege zu weisen zu den Höhen der klösterlichen Vollkommenheit. Herangereift durch ausdauernden Kampf mit sich selbst, emporgestiegen zur erhabenen Tugendhöhe, erprobt in der Ertragung so vieler widriger Lebenserfahrungen und vertraut mit den mannigfachsten Äußerungen menschlicher Armseligkeit und Schwäche, vermochte sie mit kluger Umsicht alle ihr entgegentretenden Lebensverhältnisse zu meistern und ihren Töchtern den ganzen Werdegang ihres seelischen Aufstieges zu Gott klar und vertrauensvoll nahezubringen.

Auch die »Satzungen«, die sie kraft apostolischer Vollmacht verfasste, sowie das »Visitationsverfahren« in den Klöstern atmen den Geist kluger Maßhaltung und abgeklärter Ruhe, so dass sie mit Recht als die von Gott erleuchtete Gesetzgeberin für das erste Klösterlein St. Joseph in Ávila und aller nachfolgenden Gründungen angesprochen werden kann.

Die »Gedichte und Lieder« der Heiligen, die auch in diesen Band aufgenommen wurden, suchte ich nach bestem Wissen und Können sinngemäß zu übertragen. Ich war mir meiner Ohnmacht, dieses Geistesgut der Heiligen so wiedergeben zu können, wie es aus ihrer gottliebenden Seele hervortrat, voll und ganz bewusst; ich stand vor einer Aufgabe, die nur relativ gelöst werden konnte. Zu meinem Troste schrieb mir Herr Professor Dr. Lambert Kunle, dem ich als meinem lieben Mitarbeiter bei der Korrektur der Druckbogen den Text der Übertragung der Gedichte der Heiligen vorlegte, folgende Worte: »Ich gehe mit Ihnen darin einig, dass es eine Übersetzung von Gedichten eigentlich nicht gibt. Das Verstandesgut eines Menschen lässt sich nachleben. Mathematische Lehrsätze lassen sich in alle Sprachen übertragen. Nicht so Gemütswerte. Sie sind einmalig, in jedem Menschen verschieden und unübertragbar. Was sich in der Glut der Andacht nach oben drängt, ist einmalig und eigentlich auch für den Beter selbst nicht ein zweites Mal erfassbar. Gibt es eine wirklichkeitstreue Übertragung der homerischen Gedichte? Keine einzige. Von Dantes Werken? Nirgends. Eine Übersetzung theresianischer Gedichte? Auch nicht. Reinhold Schneider in seinem Buch ›Philipp II.‹ verfügt über eine wundervolle und hinreißende Sprache und Sprachenformung. Auf Seite 161 zitiert er Theresias Gedicht: En las internas entrañas sentí un golpe repentino vollständig, lässt es aber unübersetzt. Warum wohl? Er hat die Unübersetzbarkeit herausgefühlt und war bescheiden genug, dies einzugestehen.« Dasselbe Gefühl beschlich auch mich, als ich die Gedichte der Heiligen übertrug; trotzdem übergebe ich sie der Öffentlichkeit, wenn sie auch ungleich ausgefallen sind und man dem Übersetzer das innere Ringen anmerkt. In Bezug auf die metrische Wiedergabe der Gedichte haben mir die beiden Armen Schulschwestern M. Roselina Jungkunst von Neumarkt und M. Gundolfa Weiß von Regensburg wertvolle Dienste geleistet, deren ich hier in Dankbarkeit gedenke.

Neumarkt (Oberpfalz),

Maria Hilfsberg, am Feste Maria Himmelfahrt 1940

P. Aloysius Alkofer

Einführung in den Weg der Vollkommenheit

Als die heilige Theresia im Auftrag ihrer Seelenführer ihre Selbstbiographie, das »Leben«, geschrieben hatte, worin sie auch vieles über das innere Leben eingeflochten, bekamen ihre geistlichen Töchter, die Karmelitinnen des ersten Reformklosters zum heiligen Joseph in Ávila, auf irgendwelchen Umwegen davon Kenntnis. Sie drangen darum in ihre heilige Mutter, sie möchte ihnen von jenen geistlichen Schätzen doch auch mitteilen. Da jedoch das »Leben« viele Nachrichten über noch lebende Personen enthielt, sowie aus verschiedenen anderen Gründen, schien es nicht geraten, es den Schwestern zum Lesen zu geben. Anderseits wollte aber die heilige Reformatorin der Bitte ihrer geistlichen Töchter doch nur zu gerne willfahren. Im Einverständnis bzw. im direkten Auftrag ihres Beichtvaters, P. Báñez Oh. Pr., machte sie sich denn daran, eigens für ihre geistlichen Töchter des Klosters von Ávila praktische Abhandlungen über das Gebet bzw. das innere Leben zu schreiben, die deren Verhältnissen und Fassungsvermögen angepasst wären. So entstand, wie die Heilige selbst in der Vorrede dieses Werkes andeutet, die Schrift, die die heilige Verfasserin selbst »Camino de perfección«, »Weg der Vollkommenheit«, überschrieb, manchmal aber auch nur das »Kleine Büchlein« (»el librito pequeño«) oder auch das »Paternoster« nannte.

Die Idee, dass das Gebet ein Weg (camino), und zwar der vorzüglichste, sei, auf dem man zum Gipfel der Vollkommenheit gelangen könne, hat die Heilige wohl aus dem damals sehr verbreiteten Werk des Franziskaners Osuna »El Tercer Abecedario« geschöpft, das sie ja nachweisbar fleißig als Lektüre benützte. Darin heißt es nämlich im vierten Kapitel: »Das Gebet ist ein sehr sicherer Weg, auf dem wir uns zum Gipfel der Liebe erheben können« Vielleicht hat sie auch noch jene andere Schrift eines unbekannten Franziskaners gekannt, die im Jahre 1532 unter dem Titel: »Camino de la perfección del alma« in Sevilla erschienen war. Doch wenn auch der Titel und vielleicht auch die erste Idee entlehnt sein mögen, der Inhalt der Schrift selbst ist von jenen beiden erwähnten ganz und gar verschieden.

Die beiden anderen Namen, welche die Heilige dieser ihrer Schrift noch gibt, wie »Paternoster« oder »Das kleine Büchlein«, sind nur metonymisch zu nehmen, d. h. sie finden nur auf den einen oder anderen Teil des ganzen Werkes ihre Anwendung. Wenn sie z. B. von diesem Werk als dem »librito pequeño« (das »kleine Büchlein«) spricht, meint sie damit hauptsächlich den ersten Teil des »Weges der Vollkommenheit«, der in den Kapiteln 1—25 eine Reihe aszetischer Ratschläge und Mahnungen über das Tugendleben und das innerliche Gebet (Betrachtung) enthält. Wenn sie dagegen vom »Paternoster« spricht, so versteht sie darunter wohl in erster Linie den zweiten Teil des gleichen Werkes, der in den Kapiteln 26—42 in Form eines Kommentars zum Vaterunser eine wundervolle Abhandlung über das mystische Gebet bringt.

Der Charakter des »Weges der Vollkommenheit« ist ein wesentlich praktischer, ich möchte fast sagen apostolischer; es ist ein feuriger Kampfruf zur Gegenreformation. In die stille Abgeschiedenheit des St. Josephs-Klosters von Ávila dringen traurige Nachrichten von jenseits der Pyrenäen, wie auch schon in Frankreich die Häresie wütet und sich immer weiter ausbreitet, wie vor allem das heiligste Altarssakrament profaniert wird. Das Herz der von der göttlichen Liebe entflammten Reformatorin möchte bei dieser traurigen Kunde zerspringen vor Schmerz. Darum ruft sie, voll des heiligen Eifers, ihre geistlichen Töchter auf zur Sühne und zum Gebet. »Meine Schwestern«, ruft sie aus, »jetzt ist wahrhaft keine Zeit mehr, in unseren Gebeten dem lieben Gott unsere kleinlichen egoistischen Anliegen vorzutragen; jetzt handelt es sich um größere Dinge! Die Häresie wütet, das Sakrament wird geschändet, ein ungeheurer Brand verzehrt die Christenheit, und Jesus sieht sich von neuem zum Tode verurteilt. An uns ist es, Sühne zu leisten und Christi Evangelium durch treue Gefolgschaft zu schützen. Helft mir, Schwestern, vom Herrn diese Gnade erbitten, dass das Unheil nicht noch weiter um sich greife und täglich immer mehr Seelen zugrunde gehen! Dazu hat euch der Herr hierhergeführt; das ist euer Beruf; das soll eure Beschäftigung sein; dafür sollen eure Tränen fließen; darauf sollen eure Gebete abzielen.«

Das hört sich an wie ein Schlachtruf, der, voll des übernatürlichen Heldentums, das Werk eröffnet und das ganze Werk durchströmt und der auch der Sprache seine Form gibt: kurze, scharf geprägte Sätze, die sich vielfach wie militärische Befehle ausnehmen. Überhaupt ist das ganze Buch ein Werk, das von jugendlicher Kraft durch und durch gesättigt ist. Theresia tritt uns darin entgegen in der Vollkraft der Begeisterungsfähigkeit ihrer Rasse. Sie, die Erbin des Blutes der Ahumada und Cepeda, will auch ihren geistlichen Töchtern etwas von ihrer Eroberungslust, freilich auf geistlichem Gebiet, mitteilen. Und dieser Geist des Heidentums, der sie seit vielen Jahren beseelt und treibt, findet in der Gründung des St. Josephs-Klosters und den darauffolgenden Gründungen von geistlichen Stoßtrupps, bestehend aus heroischen Seelen, die sich für die Rettung der unsterblichen Seelen im stillen Beten und Büßen opfern und den Himmel bestürmen, ihre entsprechende Krönung und Erklärung.

Dem entspricht denn auch der Inhalt des Werkes, der ein vorwiegend praktischaszetischer ist: Erziehung der Schwestern zu vollkommenem, übernatürlichem Heldentum. Darum im ersten Teil (Kap. 4—15) weise Mahnungen der heiligen Verfasserin zur Übung der wahren schwesterlichen Liebe, zur Loslösung von allem Geschöpflichen, zur wahren Demut des Herzens; ferner Ratschläge über das innerliche Gebet (Kap. 16—25), denen dann im zweiten Teil (Kap. 26—42) Erwägungen über das Vaterunser folgen mit herrlichen Ausführungen über die Stufen des Gebetes der Sammlung, der Ruhe, der Vereinigung sowie über die Gefahren für geistliche Seelen.

Die Abfassungszeit dieses kostbaren Werkes fällt in das Jahr 1565, wie aus einer gelegentlichen Bemerkung der Heiligen zu entnehmen ist (Vorrede zum »Weg der Vollkommenheit«); und zwar schrieb sie es im St. Josephs-Kloster zu Ávila. Das Original dieser Handschrift befindet bzw. befand sich bis zum Ausbruch der spanischen Revolution (1936) in der Bibliothek des Escorial, des alten Schlosses der spanischen Könige, wohin es 1592 durch König Philipp II. nebst verschiedenen anderen Handschriften der heiligen Theresia gebracht wurde.

Doch schrieb die Heilige selbst dieses Werk noch ein zweites Mal, und zwar in Toledo, wahrscheinlich im Jahre 1570, nachdem sie schon mehrfache Erfahrungen in der Leitung dieses ihres ersten Reformklosters sowie anderer Gründungen gemacht hatte. Und in dieser neuen Fassung hat die Heilige selbst verschiedentlich Verbesserungen angebracht, manche Sätze der alten Fassung weggelassen, neue hinzugefügt, überhaupt vieles in einer besseren Form und in einem ernsteren Ton gebracht als in jener, die ausschließlich für ihre Töchter des St. Josephs-Klosters bestimmt war, in der ein mehr herzlicher, intimer Ton vorherrscht. Das Original dieser zweiten Fassung befindet sich im Karmelitinnenkloster zu Valladolid, und nach dieser Handschrift wurden die späteren Drucke des Werkes hergestellt.

Außer diesen beiden Originalhandschriften existieren noch einige Abschriften des Werkes von zweiter Hand, die schon zu Lebzeiten der Heiligen, zumeist von ihren geistlichen Töchtern, nach dem Original von Valladolid, mit mehr oder minderer Genauigkeit gemacht worden waren, nämlich in Salamanca, Toledo und Madrid.

Da im Laufe der Jahre immer weitere Abschriften vom Original gemacht wurden, und das oft mit nicht unerheblichen Abweichungen vom Urtext, fürchtete die Heilige, der wegen der Erziehung ihrer Töchter zu dem ihr vorschwebenden Ideal der Vollkommenheit dieses Werk sehr am Herzen lag, es möchte diese ihre ursprüngliche Idee zu sehr verwischt und in verstümmelter Form den späteren Geschlechtern überliefert werden. Darum dachte sie selbst ernstlich daran, es dem Druck zu übergeben. Zu diesem Zweck verhandelte sie denn im Jahre 1579 mit einem großen Freunde und Förderer der karmelitanischen Reform, Don Teutonio de Braganza, Erzbischof von Ebora, zwecks Drucklegung. Doch sollte die heilige Verfasserin diese nicht mehr erleben, da es erst ein Jahr nach ihrem Tode, 1583, in Ebora, durch Bemühung des obengenannten Don Teutonio de Braganza im Druck erschien.

Eine zweite Ausgabe des Werkes erschien schon zwei Jahre darauf, 1585, in Salamanca durch P. Hieronymus Gracián Oh. C. D., und eine weitere 1586 in Valencia. Einen nicht unbedeutenden Fortschritt gegenüber diesen drei Erstlingsausgaben stellt die neue Ausgabe des »Weges der Vollkommenheit« dar, die im Jahre 1588 durch Pater Ludw. de León Oh. S. A. in Salamanca zusammen mit dem »Leben« hergestellt wurde, da dieser sich genauer an das Original hielt und auch Verbesserungen, welche die Heilige selbst noch in manchen Abschriften angebracht hatte, berücksichtigte. Eine Ausgabe der Originalhandschrift vom Escorial erfolgte zum ersten Mal 1861 durch D. Vicente de la Fuente in seiner Biblioteca de Autores Españoles in Madrid. Die neueste Originalausgabe des »Weges der Vollkommenheit« durch P. Silverio de S. Teresa C. D., die als III. Band der Gesamtwerke der heiligen Theresia 1916 in Burgos erschien und die auch unserer deutschen Übertragung zugrunde liegt, ist genau nach der Originalhandschrift von Valladolid hergestellt; doch sind in den Anmerkungen die verschiedenen Abweichungen im Texte von der Escorialhandschrift und anderen authentischen Abschriften wiedergegeben, wie auch in einem eigenen Anhang der Gesamttext der Escorialhandschrift sowie der Abschrift von Toledo beigegeben ist, so dass Kenner und Freunde der Schriften der heiligen Theresia den Text dieses Werkes in seinen einzelnen Abweichungen miteinander vergleichen können.

P. Ambrosius a S. Teresia Oh. C. D. (Rom)

Buch genannt Weg der Vollkommenheit verfasst von Theresia von Jesu Nonne des Ordens Unserer Lieben Frau vom Karmel

Gewidmet den unbeschuhten Nonnen Unserer Lieben Frau vom Karmel

nach der ersten Regel

Jhs

Dieses Buch enthält Anweisungen und Ratschläge, die Theresia von Jesu ihren geistlichen Schwestern und Töchtern in den Klöstern erteilt, die sie mit der Hilfe unseres Herrn und der glorreichen Jungfrau und Mutter Gottes, unserer Herrin, nach der ersten Regel Unserer Lieben Frau vom Karmel gegründet hat. Sie widmet dieses Buch insbesondere den Schwestern des Klosters zum heiligen Joseph in Ávila, das zuerst gegründet wurde; dort war sie Priorin, als sie dies schrieb.

Verwahrung der heiligen Verfasserin

In allem, was ich in diesem Buche sagen werde, unterwerfe ich mich der Lehre unserer Mutter, der heiligen römischen Kirche. Sollte etwas dieser Lehre entgegen sein, so kommt dies von meinem mangelhaften Verständnis. Daher bitte ich die Gelehrten, die von diesem Buche Einsicht nehmen werden, um der Liebe unseres Herrn willen, sie möchten diesem Punkte eine ganz besondere Aufmerksamkeit zuwenden und verbessern, was sowohl hierin als auch in anderen Stücken, wie es nicht selten der Fall sein wird, Irriges vorkommen sollte. Findet sich aber etwas Gutes in diesem Buche, so sei es zur Ehre und Verherrlichung Gottes, zum Dienst seiner heiligsten Mutter, unserer Patronin und Herrin, deren Habit ich trotz meiner großen Unwürdigkeit trage.

Vorrede

Jhs

1. Mein gegenwärtiger Beichtvater, Pater Magister Dominikus Báñez aus dem Orden des glorwürdigen heiligen Dominikus, hatte mir erlaubt, einiges über das Gebet zu schreiben, weil er meinte, ich könnte infolge meines Verkehres mit vielen im geistlichen Leben erfahrenen und heiligen Männern die rechte Belehrung darüber geben. Als dies die Schwestern dieses Klosters zum heiligen Joseph erfuhren, baten sie mich recht inständig, ihnen etwas über den erwähnten Gegenstand zu sagen, so dass ich mich entschloss, ihnen zu willfahren. In Anbetracht der großen Liebe, die diese Schwestern zu mir tragen, glaube ich, dass ihnen das, was ich ihnen Unvollkommenes und in schlechtem Stil sagen werde, vielleicht angenehmer sei als manche sehr gut geschriebene Bücher, die von Männern verfasst sind, die den von mir behandelten Gegenstand verstanden. Auch setze ich, mein Vertrauen auf ihre Gebete; um dieser willen wird mir der Herr vielleicht die Gnade verleihen, etwas Geeignetes sagen zu können, was der Lebensweise förderlich ist, die man in diesem Hause beobachtet. Sollte ich aber das Rechte nicht treffen, so wird der Pater Magister, der zuerst von diesem Buche Einsicht nehmen wird, es verbessern oder verbrennen. Ich habe dann dadurch, dass ich diesen Dienerinnen Gottes gehorchte, nichts verloren; sie aber werden sehen, was ich aus mir selbst habe, wenn Seine Majestät mir die Hilfe versagt.

2. Ich möchte einige Mittel gegen gewisse kleine Versuchungen angeben, die der böse Feind erregt und die man, eben weil sie so unbedeutend sind, vielleicht nicht beachtet. Auch über andere Punkte werde ich sprechen, je nachdem mich der Herr erleuchten wird und wie sie mir einfallen werden; denn da ich selbst nicht weiß, was ich sagen werde, so kann ich keine bestimmte Ordnung im Voraus angeben. Ich halte es auch für das Beste, mich gar nicht danach zu richten, da es ohnehin schon gegen alle Ordnung ist, dass ich so etwas unternehme. Der Herr lege seine Hand an alles, was ich vollbringe, damit es nach seinem heiligen Willen geschehe! Denn dies ist allzeit mein Verlangen, wenn auch meine Werke so fehlerhaft sind wie ich selbst.

3. Ich weiß, dass es mir weder an Liebe noch an Verlangen fehlt, mein möglichstes dazu beizutragen, dass die Seelen meiner Schwestern im Dienst des Herrn recht große Fortschritte machen. Diese Liebe sowie mein Alter und die Erfahrung, die ich bezüglich einiger Klöster habe, können dazu beitragen, dass ich in kleinen Sachen das Rechte besser treffe als die Gelehrten, die wegen anderer, wichtigerer Geschäfte und als starke Männer auf Dinge kein so großes Gewicht legen, die an sich als unbedeutend erscheinen. Aber so schwachen Wesen, wie wir Frauenspersonen sind, kann alles schädlich sein; denn vielfach sind die Kunstgriffe, deren sich der böse Feind gegen jene bedient, die in strenger Klausur leben; er sieht, dass er neuer Waffen bedarf, um hier Schaden anzurichten. Ich meinerseits habe mich, weil ich so schlimm bin, schlecht zu verteidigen gewusst, und darum wünschte ich, dass meine Schwestern durch den Schaden, den ich erlitt, klug würden. Ich werde nichts sagen, was ich nicht durch eigene Beobachtung an mir oder an anderen erfahren habe.

4. Vor nicht langer Zeit wurde mir befohlen, einen gewissen Bericht über mein Leben zu schreiben, worin ich auch einige Bemerkungen über das Gebet niedergelegt habe. Mein Beichtvater wird vielleicht nicht wollen, dass ihr diesen Bericht leset; deshalb werde ich einiges von dem, was ich dort sagte, hier erwähnen. Was mir sonst noch notwendig erscheinen wird, werde ich beifügen. Der Herr verleihe mir dazu seine Hilfe, wie ich ihn gebeten, und lasse es zu seiner größeren Ehre gereichen! Amen.

Erstes Hauptstück

Über die Gründe, die mich bestimmten, in diesem Kloster eine so zurückgezogene Lebensweise einzuführen.

1.

In dem von mir erwähnten Buche habe ich nebst den Gründen, die mich von Anfang an veranlassten, dieses Kloster zu stiften, auch einige hohe Gnadenerweisungen des Herrn mitgeteilt, durch die er mir offenbarte, dass ihm darin sehr eifrig werde gedient werden. Es war jedoch nicht meine Absicht, dass hier äußerlich eine so strenge Lebensweise beobachtet und kein bestimmtes Einkommen zugelassen werden sollte; vielmehr wünschte ich, das Kloster möchte das nötige Einkommen erhalten, damit man an nichts Mangel leide. So schwach und armselig war ich damals, obwohl mich bei diesem Wunsche nicht so fast meine Bequemlichkeit als andere gute Absichten leiteten.

2.

In jener Zeit erhielt ich Kunde von dem durch die Lutheraner verursachten Schaden und der Verwüstung in Frankreich sowie von der immer stärkeren Ausbreitung dieser unheilvollen Sekte. Dies betrübte mich sehr; und wie wenn ich etwas vermöchte oder etwas wäre, weinte ich vor dem Herrn und bat ihn, er möchte doch einem so großen Übel abhelfen. Ich würde, wie mir schien, tausend Leben zur Rettung einer einzigen von den vielen Seelen hingegeben haben, die dort zugrunde gingen. Doch das Bewusstsein, dass ich ein Weib und elend und nicht imstande sei, das zu tun, was ich zum Dienst des Herrn tun zu können wünschte, erfüllte mich und erfüllt mich noch jetzt mit dem sehnsüchtigen Verlangen, es möchten bei der großen Anzahl der Feinde Gottes wenigstens seine wenigen Freunde wahrhaft gut sein. Ich entschloss mich daher, das Wenige zu tun, was an mir lag, nämlich die evangelischen Räte mit aller mir möglichen Vollkommenheit zu befolgen und die wenigen Nonnen, die hier sind, zum gleichen Streben anzuleiten. Dabei vertraute ich auf die große Güte Gottes, der es nie unterlässt, jenen beizustehen, die sich entschließen, um seinetwillen alles zu verlassen. Wenn diese Nonnen, dachte ich, so wären, wie ich sie mir meinem Verlangen gemäß vorgestellt hatte, so würden unter ihren Tugenden meine Fehler wirkungslos bleiben, und ich könnte so den Herrn in etwa zufriedenstellen. Wenn dann wir alle uns damit beschäftigten, für die Verteidiger der Kirche, für die Prediger und Gelehrten, die für sie streiten, zu beten, so würden wir dadurch nach unserem Vermögen diesem meinem Herrn helfen; denn er wird von jenen, denen er so viel Gutes erwiesen, so sehr verfolgt. Scheint es ja, als wollten ihn diese Verräter aufs Neue kreuzigen und ihm kein Plätzchen gönnen, wo er sein Haupt hinlegen könnte.

3.

Oh, mein Erlöser, daran kann mein Herz nicht denken ohne große Betrübnis. Wie weit ist es jetzt mit den Christen gekommen! Müssen dich denn gerade jene betrüben, die dir am meisten schulden, denen du die größten Wohltaten erwiesen, die du zu deinen Freunden erwählt hast, in deren Mitte du weilst und denen du dich mitteilst in den Sakramenten? Sind ihnen die Martern nicht genug, die du für sie erduldet hast?

4.

Wahrhaftig, mein Herr, wer sich jetzt von der Welt zurückzieht, der tut nicht viel; denn wenn die Menschen so treulos sind gegen dich, was sollen dann wir von ihnen erwarten? Verdienen wir etwa, dass sie uns treuer bleiben? Haben wir ihnen vielleicht größere Wohltaten erwiesen, dass sie uns ihre Freundschaft bewahren sollten? Was können wir, die wir durch die Güte des Herrn mit jener pestartigen Seuche nicht behaftet sind, noch von denen erwarten, die schon dem Teufel angehören? Sie haben sich selbst eine schwere Strafe bereitet und durch ihre Lüste mit Recht ein ewiges Feuer verdient; so mögen sie es dort auch finden, obwohl mir beim Anblick des Unterganges so vieler Seelen das Herz zerspringt. Aber das Übel soll nicht weitergreifen, und ich möchte nicht täglich mehr Seelen zugrunde gehen sehen.

5.

Oh, meine Schwestern in Christo, helft mir doch vom Herrn diese Gnade erflehen! Dazu hat er euch an diesem Orte vereinigt; dies ist euer Beruf, das soll euer Geschäft und euer Verlangen sein; dafür sollen euere Tränen fließen, dahin euere Gebete zielen. Nicht weltliche Angelegenheiten sind es, meine Schwestern, um die wir vor dem Herrn besorgt sein müssen. Ich muss lachen, aber mich auch betrüben, wenn ich sehe, mit welchen Anliegen man zu uns kommt, damit wir sie im Gebete Gott empfehlen möchten; sogar um Einkünfte und Geld sollen wir Seine Majestät bitten, und zwar für Personen, von denen ich wünschte, sie würden Gott um die Gnade bitten, dies alles mit Füßen treten zu können. Solche meinen es zwar gut, und schließlich willfahren wir ihnen auch, weil wir das Zutrauen sehen, das sie zu uns haben; aber ich für meinen Teil glaube, dass Gott mich in solchen Angelegenheiten nie erhören werde. Die Welt steht in Flammen; man will Christus sozusagen aufs Neue verurteilen: Und wir sollten die Zeit mit Bitten um Dinge verbringen, wodurch wir vielleicht, wenn Gott sie gewährte, Ursache wären, dass eine Seele weniger in den Himmel käme? Nein, meine Schwestern, jetzt ist keine Zeit, mit Gott über geringfügige Dinge zu verhandeln.

6.

Wenn ich nicht der menschlichen Schwachheit Zugeständnisse machte, die sich in jeder Drangsal mit der Hilfe anderer vertröstet — und wenn wir etwas bedeuteten, wäre das ja in Ordnung —, würde ich mich gewiss freuen, wenn die Welt verstünde, dass das nicht Gaben sind, um die man mit so viel Eifer und Inbrunst Gott bitten soll.

Zweites Hauptstück

Über die Sorglosigkeit in Hinsicht auf leibliche Bedürfnisse und über das Gut, das in der Armut liegt.

1.

Denket ja nicht, meine Schwestern, dass es euch an Nahrung fehlen werde, weil ihr nicht beflissen seid, den Weltleuten zu gefallen! So trachtet denn auch nie danach, durch menschliche Kunstgriffe eueren Unterhalt zu verdienen, sonst werdet ihr, ich versichere euch, vor Hunger sterben, und das mit Recht. Richtet vielmehr die Augen auf eueren Bräutigam! Dieser ist’s, der euch ernähren wird. Ist er mit euch zufrieden, so werden euch selbst jene, die euch am wenigsten geneigt sind, wenn auch wider ihren Willen, Nahrung verschaffen, wie ihr dies aus Erfahrung wisst. Und solltet ihr auch bei solchem Verhalten Hungers sterben, dann selig die Nonnen von St. Joseph! Vergesst dies um der Liebe des Herrn willen nie! Da ihr einmal auf Einkünfte verzichtet habt, so entschlaget euch auch der Sorge um die Nahrung, sonst ist alles verloren. Jene, die nach dem Willen des Herrn Einkünfte haben, mögen meinetwegen solche Sorge tragen. Dies ist ganz recht, weil es ihrem Beruf entspricht: bei uns aber, meine Schwestern, wäre es Torheit.

2.

Mir käme es vor wie Sorge um fremdes Eigentum, wollten wir an das denken, was andere besitzen. Wegen euerer Sorgen ändert ein anderer ja doch seine Gedanken nicht, und deswegen erwacht in ihm kein Verlangen, euch Almosen zu geben. Überlasst diese Sorge dem, der Herr über die Einkünfte und deren Besitzer ist und die Herzen aller bewegen kann! Auf sein Geheiß sind wir hierhergekommen. Seine Worte sind wahr und können nicht täuschen; eher werden Himmel und Erde vergehen. Wenn wir es nur ihm gegenüber an nichts fehlen lassen, dann habt ihr nicht zu fürchten, dass euch der notwendige Unterhalt mangeln werde. Solltet ihr aber auch bisweilen Mangel leiden, so werdet ihr dadurch ein größeres Gut gewinnen; auch die Heiligen verloren ihr Leben, da sie um des Herrn willen getötet wurden; aber durch den Martertod erlangten sie eine um so größere Glorie. Ein guter Tausch würde es sein, wenn es schnell mit allem zu Ende wäre und wir uns dann der beständigen Sättigung erfreuten.

3.

Beachtet, meine Schwestern, nach meinem Tode das, was ich euch hier gesagt habe, da viel daran gelegen ist! Zu diesem Zwecke hinterlasse ich es euch schriftlich. Solange ich noch am Leben bin, werde ich nicht unterlassen, euch daran zu erinnern; denn ich kenne den großen Gewinn aus Erfahrung, den die Befolgung des Gesagten mit sich bringt. Je weniger wir haben, desto unbekümmerter bin ich. Der Herr weiß es, dass ich nach meinem Dafürhalten in größerer Sorge bin, wenn wir viel über das Notwendige haben, als wenn wir Mangel leiden. Vielleicht kommt dies daher, weil ich immer gesehen habe, dass der Herr uns allzeit gleich das Mangelnde gibt. Würden wir anders gesinnt sein, so täuschten wir die Welt, da wir uns für arm ausgäben, es aber nicht im Geist, sondern nur äußerlich wären. Ich würde mir sozusagen ein Gewissen daraus machen, und es käme mir vor, als bettelten die Reichen. Davor bewahre uns Gott! Denn wo man so übermäßig um Almosenspenden besorgt ist, da könnte man mitunter aus Gewohnheit betteln oder auch um etwas bitten, was man nicht notwendig hat, und dies vielleicht sogar bei Leuten, die in größerer Not sind. Diese würden zwar durch ihr Almosen nichts Verlieren, sie könnten nur gewinnen; wir aber hätten den Verlust. Das wolle Gott verhüten, meine Töchter! Sollte es aber geschehen, so wollte ich lieber, ihr hättet Einkünfte.

4.

Möchten sich also euere Gedanken in keiner Weise mit dergleichen Sorgen beschäftigen! Dies erbitte ich von euch um der Liebe Gottes willen als Almosen. Wenn je in diesem Hause so etwas vorkommen sollte, so flehe auch die Geringste unter euch zur göttlichen Majestät! Sie mache in Demut die Oberin darauf aufmerksam und sage ihr, dass sie irre! Ja, so sehr irrt diese, dass dadurch allmählich die wahre Armut zugrunde geht. Ich hoffe zum Herrn, dass dies nicht geschehen und er seine Dienerinnen nicht verlassen werde. Möge darum das, was ihr mir zu schreiben aufgetragen habt, euere Aufmerksamkeit stets rege erhalten, sollte es auch zu sonst nichts nützen!

5.

Glaubt es, meine Töchter, dass mir der Herr zu euerem Nutzen ein wenig Einsicht in die Vorteile verliehen hat, die in der wahren Armut liegen! Die es erproben, werden es einsehen, vielleicht aber nicht so gut wie ich; denn obwohl ich Armut gelobt hatte, so war ich doch nicht nur nicht arm im Geiste, sondern sogar töricht im Geiste. Die Armut im Geiste ist ein Gut, das alle Güter der Welt in sich begreift. Sie ist eine große Herrschaft, und nochmal sage ich: Der ist Herr über alle Güter der Welt, der sie verachtet. Was kümmere ich mich um die Könige und Herren, wenn ich weder nach ihren Einkünften verlange, noch ihnen zu gefallen begehre, sobald nur das Geringste vorkommt, wodurch ich ihretwegen Gott missfallen würde? Was liegt mir an ihren Ehren, wenn ich einmal erkannt habe, worin die höchste Ehre eines Armen besteht, nämlich darin, dass er in Wahrheit arm ist?

6.

Ich halte dafür, dass Ehre und Geld fast immer sich zusammenfinden; wer die Ehre liebt, verabscheut auch das Geld nicht; wer aber dieses verachtet, macht sich auch wenig aus der Ehre. Verstehet dies wohl! Mir scheint nämlich das Streben nach Ehre immer von einigem Interesse an Einkünften und Geld begleitet zu sein, weil der Mensch, wenn er arm ist, in der Welt wunderselten geehrt wird; vielmehr achtet man ihn gering, wie ehrenwert er an sich auch sein mag. Die wahre Armut, das ist jene, die man einzig um Gottes willen erwählt hat, bringt eine überschwängliche Ehre mit sich, so dass es wohl niemand gibt, der sie nicht auf sich nehmen würde. Da braucht man niemand zu gefallen als Gott allein; und es ist ganz gewiss, dass man viele Freunde hat, wenn man keines Menschen bedarf. Dies habe ich durch die Erfahrung gut erkannt.

7.

Über diese Tugend ist schon so viel geschrieben worden, dass ich es nicht einmal verstehe, geschweige denn aussprechen könnte. Aus diesem Grunde und um sie nicht durch meine Lobsprüche herabzusetzen, will ich nichts weiter davon sagen. Ich habe nur angeführt, was ich aus Erfahrung weiß. Dabei aber war ich, wie ich bekenne, so vertieft, dass ich es bis jetzt gar nicht merkte; weil es jedoch einmal gesagt ist, so möge man es, wenn es richtig ist, um der Liebe des Herrn willen stehenlassen. Die heilige Armut ist ja unser Wappen; sie ist am Anfange der Gründung unseres Ordens von unseren heiligen Vätern so hochgeschätzt und so vollkommen beobachtet worden, (dass sie nie etwas von einem Tage für den anderen aufbewahrten; mir wurde dies von solchen mitgeteilt, die es wissen). Darum lasst uns danach trachten, diese Tugend wenigstens im Innern zu bewahren, wenn sie auch im Äußeren nicht mit so großer Vollkommenheit von uns geübt wird! Unser Leben währt ja doch nur ein paar Stunden, der Lohn aber ist überaus groß. Und gäbe es auch keinen anderen als die Erfüllung dessen, was der Herr uns als Rat gegeben, so wäre es schon großer Lohn, Seiner Majestät in etwa nachzufolgen.

8.

Dieses Wappen müssen unsere Fahnen tragen; wir wollen die Armut in jeder Weise üben: in der Wohnung, in der Kleidung, in Worten und noch viel mehr in unseren Gedanken. Solange die Schwestern dies tun, haben sie nichts zu fürchten; und wenn Gott seine Gnade gibt, wird in diesem Hause die klösterliche Zucht nicht in Verfall geraten; denn starke Mauern sind, wie die heilige Klara sagt, die Mauern der Armut. Mit diesen und mit den Mauern der Demut wünschte sie, wie sie selbst sagte, ihre Klöster zu umgeben. Und gewiss, wenn die Armut in Wahrheit gepflegt wird, ist die Ehrbarkeit und alles Übrige weit besser geschützt als durch die prachtvollsten Gebäude. Vor solchen mögen sich die Schwestern hüten! Um der Liebe Gottes und um seines Blutes willen bitte ich sie darum. Anderenfalls wollte ich, wenn ich es mit gutem Gewissen sagen kann, dass ein solches Gebäude an dem Tage einstürzte, an dem es vollendet würde.

9.

Es nimmt sich, meine Schwestern, sehr schlecht aus, von dem Gute der Armen große Häuser auszuführen. Gott verhüte dies! Vielmehr sollen unsere Häuser in allem arm und klein sein. Lasst uns doch in etwa unserem König ähnlich sein, der keine andere Wohnung hatte als den Stall zu Bethlehem, worin er geboren wurde, und das Kreuz, an dem er starb! Das waren Wohnstätten, die wenig Bequemlichkeit bieten konnten. Jene, die große Gebäude ausführen, werden wissen, warum; sie haben gewiss heilige Absichten dabei. Aber für dreizehn arme Nönnchen reicht jeder Winkel hin. Es ist mir recht, wenn sie einen freien Raum mit einigen Einsiedeleien haben, um sich dahin zum Gebet zurückzuziehen; denn die strenge Klausur macht dies notwendig, und zugleich erfährt dadurch das Gebet und die Andacht eine Förderung; aber vor großen und prächtigen Gebäuden behüte uns Gott! Denkt immer, dass dies alles am Tage des Gerichtes zusammenstürzen wird! Und wissen wir, wie bald dieser Tag kommen kann? Dass aber dann ein von dreizehn Nönnchen bewohntes Haus mit großem Getöse einstürze, das geziemt sich nicht; denn wahre Arme sollen kein Aufsehen machen, sondern sich still verhalten, damit man Mitleid mit ihnen habe.

10.

Welche Freude wird es einmal für euch sein, wenn ihr seht, dass jemand durch das Almosen, das er euch gegeben, von der Hölle errettet worden ist! Dies ist gar wohl möglich; denn ihr seid verpflichtet, für euere Wohltäter recht anhaltend zu beten, weil sie euch die Nahrung geben. Zwar kommt diese vom Herrn; aber er will doch, dass wir uns auch gegen jene dankbar erzeigen, durch die er sie uns gibt. Mögen wir hierin nicht nachlässig sein!

11.

Nun weiß ich nicht mehr, was ich zu sagen begonnen habe, so weit bin ich davon abgekommen. Ich glaube, der Herr hat es so gewollt; denn ich hatte nie im Sinne, das zu schreiben, was ich hier gesagt habe. Seine Majestät halte uns allzeit an ihrer Hand, dass wir vom Gesagten nicht abweichen! Amen.

Drittes Hauptstück

Fortsetzung des im ersten Hauptstück Begonnenen. Ermahnung an die Schwestern, unablässig für jene zu beten, die für die Kirche arbeiten, dass Gott ihnen beistehe. Zum Schluss ein Klageruf.

1.

Ich komme jetzt wieder auf den Hauptzweck zu sprechen, zu dem uns der Herr in diesem Hause vereint hat. Aus diesem Grunde wünschte ich innigst, wir vermöchten etwas, um Seiner Majestät zu gefallen. Ich sah so große Übel und merkte, dass menschliche Kräfte nicht ausreichen, das Feuer jener Irrlehre zu löschen, das immer weiter um sich greift, obwohl man ein Heer zu werben sucht, um einem so großen Übel, womöglich durch Waffengewalt, zu steuern. Es schien mir darum nötig, dass hier geschehe, was zur Zeit des Krieges geschieht, wenn die Feinde in das ganze Land eingedrungen sind. Da zieht sich nämlich der Fürst des Landes, wenn er sich bedrängt sieht, in eine Stadt zurück, die er sehr stark befestigen lässt. Von hier aus macht er zuweilen auf die Gegner einen Ausfall. Wenn nun die Besatzung der Stadt aus auserlesenen Streitern besteht, so richten diese für sich allein mehr aus, als wenn sie sich unter vielen feigen Soldaten befänden; auf diese Weise wird oftmals der Sieg errungen. Und siegen jene auch nicht, so werden sie doch wenigstens nicht besiegt. Denn da unter ihnen kein Verräter ist, so könnten sie nur durch Hunger bezwungen werden. Es kann aber hier keinen solchen Hunger geben, der sie zwänge, sich zu ergeben; sterben können sie, aber nicht überwunden werden.

2.

Aber wozu habe ich das gesagt? Damit ihr, meine Schwestern, daraus ersehen möget, um was wir Gott bitten sollen. (Wir sollen beten,) dass von den noch guten Christen, die in der Festung sind, keiner zu den Gegnern übergehe; dass der Herr die Befehlshaber der Festung oder der Stadt, nämlich die Prediger und Gottesgelehrten, recht sehr fördern möge in ihrem Stande und ihnen seine Gnade verleihe, in der Vollkommenheit und in ihrem Berufe Fortschritte zu machen, da die meisten aus ihnen Ordensleute sind. Dies ist sehr notwendig, weil, wie ich schon gesagt habe, der kirchliche Arm, nicht der weltliche, uns beschützen muss. Und da wir weder in der einen noch in der anderen Weise etwas vermögen, um unserem König zu helfen, so wollen wir wenigstens so zu sein uns bemühen, dass unsere Gebete zur Unterstützung dieser Diener Gottes gereichen, die mit so großer Mühe und Anstrengung sich in der Wissenschaft und Frömmigkeit gefestigt haben, um jetzt die Sache des Herrn zu verteidigen.

3.

Ihr werdet vielleicht fragen, warum ich euch dies so dringend empfehle und warum ich sage, dass wir jene unterstützen müssen, die doch besser sind als wir. Ich will euch Antwort geben; denn ich glaube, ihr erkennt noch nicht genug, wie sehr ihr dem Herrn verbunden seid dafür, dass er euch an einen Ort geführt hat, wo ihr von Geschäften, von (gefährlichen) Gelegenheiten und vom Verkehr (mit der Welt) ganz abgesondert seid. Das ist eine überaus große Gnade, deren sich jene, von denen ich rede, nicht erfreuen. Es wäre dies auch zu diesen Zeiten weniger gut als zu anderen; denn ihr Beruf ist es, die Schwachen zu stärken und die Kleinen zu ermutigen. Wie stünde es wohl um die Soldaten, wenn sie ohne Führer wären? Sie müssen unter den Menschen leben und mit ihnen verkehren, sich in die Paläste begeben und sich mitunter den Menschen äußerlich sogar anbequemen. Und meint ihr, meine Töchter, es gehöre wenig dazu, mit der Welt zu verkehren, in der Welt zu leben, sich mit weltlichen Geschäften zu befassen, sich, wie gesagt, der Weltsitte anzubequemen und dabei doch, im Inneren der Welt fremd, ein Feind der Welt zu bleiben, in ihr wie in der Verbannung zu leben, kurz, nicht wie ein Mensch, sondern wie ein Engel zu sein? Denn wären sie nicht so, dann verdienten sie den Namen »Führer« nicht, dann verhüte Gott, dass sie aus ihren Zellen heraustreten, weil sie mehr schaden als nützen würden. Zu jetziger Zeit darf man keine Unvollkommenheiten an jenen wahrnehmen, die als Lehrer auftreten müssen.

4.

Sind sie innerlich nicht gefestigt in der Erkenntnis, wie wichtig es ist, alles Irdische mit Füßen zu treten, losgeschält zu sein von allem Vergänglichen und nur dem Ewigen zuzustreben, so werden sie diesen Mangel, mögen sie ihn auch noch so sehr zu verbergen sich bemühen, doch in ihrem Äußeren offenbaren. Denn mit wem haben sie es zu tun als mit der Welt? Diese aber, dessen dürfen sie überzeugt sein, wird keine Unvollkommenheiten an ihnen unbeachtet lassen und ihnen nichts verzeihen. Von ihren guten Eigenschaften wird man vieles übersehen, ja diese vielleicht nicht einmal für etwas Gutes halten; aber dass man ihnen etwas Fehlerhaftes oder Unvollkommenes nachsehe, das dürfen sie nicht hoffen. Ich wundere mich, wie gut jetzt die Weltleute in der Vollkommenheit unterrichtet sind, nicht um sie zu üben — denn dazu halten sie sich nicht für verpflichtet, da sie schon viel zu tun meinen, wenn sie nur die Gebote vorschriftsmäßig beobachten —, sondern um andere zu tadeln; und manchmal halten sie wohl gar das, was Tugend ist, für sinnliches Vergnügen. Ihr dürft also nicht glauben, es sei zu dem schweren Kampfe, in den jene treten, nur eine geringe Hilfe Gottes notwendig; vielmehr bedürfen sie einer sehr großen.

5.

Bemüht euch darum, ich bitte euch, so zu sein, dass ihr für würdig befunden werdet, von Gott folgende zwei Dinge zu erlangen: Erstens, dass unter der großen Anzahl der Gelehrten und Ordensmänner recht viele sein mögen, die im Besitze der eben besprochenen notwendigen Gaben sind, und dass der Herr jene, die noch nicht ganz tauglich sind, tauglich mache; denn ein vollkommener Mann wirkt mehr als viele unvollkommene. Zweitens, dass der Herr diese Männer, wenn sie einmal in diesen, wie gesagt, keineswegs leichten Kampf getreten sind, an seiner Hand halte, damit sie sich aus den vielen Gefahren der Welt retten und auf diesem gefahrvollen Meer dem Gesange der Sirenen ihr Ohr verschließen. Können wir hierin mit Gottes Gnade etwas erwirken, so kämpfen wir, obgleich in Klausur lebend, für ihn; ich will dann die Mühseligkeiten für sehr gut angewendet halten, die ich bei Errichtung dieses Winkels ausgestanden habe, wo ich zugleich die Beobachtung der Regel Unserer Lieben Frau und Gebieterin in ihrer ursprünglichen Vollkommenheit wieder einzuführen suchte.

6.

Betrachtet es nicht als etwas Vergebliches, ohne Unterlass so zu flehen! Es gibt Menschen, denen es hart scheint, nicht viel für ihre eigene Seele zu beten. Welches Gebet aber wäre besser als das genannte? Wenn ihr in Sorge seid, es werde dadurch für euch die Pein des Fegfeuers nicht gemindert, so wisset, dass durch dieses Gebet euere Strafe gemildert wird! Was dann noch abgeht, möge abgehen! Und sollte ich auch bis zum Tage des Gerichtes im Fegfeuer bleiben, was liegt daran, wenn durch mein Gebet nicht nur eine einzige Seele gerettet, sondern vielmehr das Heil vieler Seelen und die Ehre des Herrn gefördert wird? Macht euch doch nichts aus vergänglichen Peine, wenn es sich um etwas handelt, wodurch ihr dem, der für uns so viel gelitten, einen größeren Dienst erweiset! Fraget immer, was vollkommener sei! Ich bitte euch also um der Liebe des Herrn willen, flehet zu Seiner Majestät, dass sie unser Gebet für den erwähnten Zweck erhöre! Obwohl armselig, bitte ich doch den Herrn darum; denn es handelt sich hier um seine Ehre und um das Wohl seiner Kirche, und dahin zielen meine Wünsche.

7.

Es scheint Vermessenheit zu sein, zu denken, ich werde in dieser Hinsicht etwas erreichen. Ich setze aber, oh mein Herr, mein Vertrauen auf diese deine Dienerinnen hier, von denen ich weiß, dass sie nichts anderes wollen und anstreben, als dir zu gefallen. Deinetwegen haben sie das Wenige, das sie besessen, verlassen, und sie hätten noch mehr zu haben gewünscht, um dir damit zu dienen. Du, oh mein Schöpfer, bist nicht unerkenntlich; wie sollte ich denken, du werdest nicht erfüllen, um was sie dich bitten? Hast du ja auch, oh Herr, als du noch auf Erden wandeltest, die Frauenspersonen nicht verachtet, sondern immer mit großem Erbarmen ihnen deine Huld erwiesen. Verlangen wir von dir Ehren oder Einkünfte oder Geld oder sonst etwas, woran die Welt Gefallen hat, so erhöre uns nicht! Wenn wir aber zur Ehre deines Sohnes bitten, wie wolltest du, ewiger Vater, uns nicht erhören, die wir tausend Ehren und tausend Leben für dich verlieren würden? So erhöre uns denn, oh Herr, nicht um unseretwillen; denn wir verdienen es nicht, sondern um des Blutes und der Verdienste deines Sohnes willen!

8.

Oh, ewiger Vater, sieh an die vielen Geißelstreiche, die großen Unbilden und grausamen Martern! Sie können von dir nicht vergessen werden. Wie kann also, oh mein Schöpfer, dein so liebreiches Herz es dulden, dass das so geringgeachtet wird, was von deinem Sohne mit so glühender Liebe zu uns und deinem Wohlgefallen vollzogen wurde, da du ihm geboten hast, uns zu lieben! Wie gehen doch heutzutage die Irrlehrer mit dem Allerheiligsten Sakramente um, indem sie durch Zerstörung der Kirchen dessen Wohnstätten vernichten! Ja, wenn noch dein Sohn durch sein Handeln nach deinem Wohlgefallen etwas unterlassen hätte! Aber so hat er alles vollbracht. War es denn, ewiger Vater, nicht genug, dass er während seines Lebens nicht hatte, wohin er sein Haupt legen konnte, dass er stets so viele Mühseligkeiten ertrug? Sollten ihm jetzt auch noch die Wohnungen genommen werden, in die er seine Freunde zu Tische ladet, weil er ihre Schwachheit kennt und weiß, dass jene, die Beschwerden zu ertragen haben, einer solchen Speise bedürfen? Hat er für die Sünde Adams nicht schon überflüssig genug getan? Muss dieses liebreichste Lamm es immer wieder entgelten, wenn wir sündigen? Gestatte es nicht, mein Gebieter! Deine Majestät besänftige sich jetzt! Sieh nicht unsere Sünden an, sondern unsere Erlösung durch deinen heiligsten Sohn! Sieh auf seine Verdienste und auf die Verdienste seiner glorreichen Mutter und so vieler Heiligen und Märtyrer, die um deinetwillen den Tod erlitten!

9.

Aber ach, oh mein Herr, wie habe ich es gewagt, diese Bitte im Namen aller vorzutragen? Oh, meine Töchter, welch eine schlechte Vermittlerin, die für euch das Wort führt, habt ihr zur Erhärtung euerer Bitte! Muss nicht der höchste Richter noch mehr erzürnt werden, da er mich so dreist sieht? Ja, billig wäre es und recht; aber siehe, oh Herr, noch bist du ein Gott der Barmherzigkeit! So erzeige sie denn dieser armen Sünderin, diesem verächtlichen Wurm, der sich so sehr vor dir erkühnt! Sieh, oh mein Gott, mein Verlangen und die Tränen, womit ich diese Bitte an dich richte! Vergiss meine Werke um deines Namens willen und hab’ Erbarmen mit so vielen Seelen, die dem Verderben entgegengehen! Stehe deiner Kirche bei! Verhüte weiteren Schaden in der Christenheit, oh Herr! Sende Licht in diese Finsternisse!

10.

Um der Liebe des Herrn willen bitte ich euch, meine Schwestern, empfehlet Seiner Majestät dieses armselige Geschöpf und bittet sie, dass sie ihm Demut verleihe! Dazu seid ihr verpflichtet. Für die Könige und Vorsteher der Kirche, insbesondere für unseren Bischof, zu beten, trage ich euch nicht eigens auf; denn ich sehe, dass die gegenwärtigen Schwestern ohnehin so eifrig sind, dass mir eine Ermahnung dazu nicht notwendig erscheint. Die Nachkommenden aber mögen bedenken, dass auch die Untergebenen heilig sein werden, wenn der Obere es ist; und weil dies eine sehr wichtige Sache ist, so empfehlet sie beständig dem Herrn! Überdies sage ich euch noch: Wenn euere Gebete, euere Wünsche, euere Geißelungen und euere Fasten nicht das zum Ziele haben, wovon ich gesprochen, so glaubet ja nicht den Zweck zu erfüllen, zu dem euch der Herr an diesem Ort vereinigt hat!

Viertes Hauptstück

Ermahnung zur Befolgung der Regel. Drei Punkte, die für das geistliche Leben von Wichtigkeit sind. Erläuterung des ersten dieser drei Punkte, der Nächstenliebe und des Schadens der Privatfreundschaften.

1.

Ihr kennt nun, meine Töchter, die große Aufgabe, die wir uns gestellt haben. Wie müssen wir aber sein, damit wir weder in den Augen Gottes noch in den Augen der Welt als sehr vermessen erscheinen? Offenbar liegt es uns ob, große Mühe anzuwenden; und da leisten uns großherzige Gedanken gute Dienste, damit wir uns ermutigen, erhabene Werke zu vollbringen. Bemühen wir uns also mit großem Eifer, unsere Regel und Satzungen zu halten! Dann hoffe ich, dass der Herr unsere Bitten erhören werde. Nichts Neues verlange ich von euch, meine Töchter, sondern nur, dass wir unsere Gelübde beobachten; denn dies ist unser Beruf, und dazu sind wir verpflichtet. Allein, zwischen Halten und Halten besteht ein großer Unterschied.

2.

Es heißt in unserer ersten Regel: Wir sollen beten ohne Unterlass. Wollen wir aber dies als das Wichtigste mit aller uns möglichen Sorgfalt erfüllen, so dürfen wir die vom Orden vorgeschriebenen Fasten und Geißelungen nicht unterlassen und müssen auch das gleichfalls vom Orden gebotene Stillschweigen beobachten; denn ihr wisst ja, dass das Gebet, soll es ein wahres sein, solcher Unterstützung bedarf, da ein weichliches Leben und Gebet sich nicht miteinander vertragen.

3.

Ihr habt mich gebeten, euch etwas über das Gebet zu sagen; zum Lohne für das, was ich euch darüber vortragen werde, bitte ich euch, das bisher Gesagte zu tun und es oft und gerne zu lesen. Bevor ich über das innerliche Leben, d. h. über das Gebet, spreche, will ich einiges anführen, was jene beachten müssen, die den Weg des Gebetes wandeln wollen. Die Erfüllung dieser Forderung ist ihnen so notwendig, dass sie unter Zuhilfenahme des Gebetes große Fortschritte im Dienste des Herrn machen können, sollten sie auch nicht zu hoher Beschauung gelangen; beachten sie jedoch diese nicht, dann werden sie unmöglich die Beschauung erreichen. Sollten sie dies aber dennoch meinen, so würden sie sich sehr täuschen. Der Herr verleihe mir zu meinem Vorhaben seine Gnade und lehre mich, was ich sagen soll, damit es zu seiner Ehre gereiche! Amen.

4.

Denket nicht, meine Freundinnen und Schwestern, dass ich euch viele Dinge aufladen werde! Nein, der Herr gebe nur, dass wir das tun, was unsere heiligen Väter verordnet und beobachtet haben! Denn auf diesem Wege haben sie sich diesen Namen (»heilige« Väter) erworben. Es wäre gefehlt, einen anderen Weg zu suchen oder von jemand sich zeigen zu lassen. Nur von drei Punkten werde ich ausführlich handeln, die in den Satzungen selbst enthalten sind; denn es ist sehr wichtig, dass wir einsehen, wieviel an deren Beobachtung gelegen ist, um sowohl innerlich als äußerlich den Frieden zu bewahren, den der Herr uns so sehr empfohlen hat. Der erste Punkt ist die gegenseitige Liebe, der zweite die Losschälung von allem Geschaffenen, der dritte die wahre Demut, der, obwohl zuletzt genannt, doch der hauptsächlichste ist und die übrigen in sich begreift!

5.

Was den ersten Punkt, die gegenseitige herzliche Liebe, betrifft, so ist daran so viel gelegen; denn es gibt nichts so Verdrießliches, das von denen nicht leicht ertragen würde, die einander lieben. Es müsste schon etwas Schweres sein, was sie verdrossen machen könnte. Würde dieses Gebot in der Welt in der von Gott gewollten Weise beobachtet werden, so müsste dies meines Erachtens viel dazu beitragen, dass auch die übrigen Gebote gehalten würden; aber weil hierin bald zu viel, bald zu wenig geschieht, so erfüllen wir dieses Gebot nie ganz vollkommen. Man könnte zwar meinen, ein Übermaß in der gegenseitigen Liebe unter uns könnte nicht schaden; und doch bringt es so viel Unheil und so viele Unvollkommenheiten mit sich, dass meines Erachtens niemand es glauben kann, wenn er nicht durch Augenschein sich davon überzeugt hat. Hier legt der böse Feind viele Fallstricke, die von dem Gewissen derer, die Gott nur obenhin zu gefallen sich bemühen, wenig beachtet und von ihnen gar noch als Tugend angesehen werden. Die aber nach Vollkommenheit streben, bemerken es wohl; denn es schwindet allmählich dem Willen die Kraft, um sich ganz der Liebe Gottes hinzugeben.

6.

Meines Erachtens dürfte diese Unordnung bei Frauenspersonen häufiger vorkommen als bei Männern; und die Nachteile, die für eine geistliche Gemeinde daraus entstehen, sind ganz offenbar. Daher kommt es, dass nicht alle gleichmäßig einander lieben, dass man empfindlich ist, wenn der Freundin eine Unbill angetan wird, dass man etwas zu haben wünscht, um es ihr zu verehren, dass man Zeit sucht, um mit ihr zu reden, und oft noch mehr, um ihr zu sagen, wie sehr man sie liebt, statt wie sehr man Gott liebt, und andere ungebührliche Dinge. Denn so große Freundschaften zielen selten auf die gegenseitige Förderung in der Liebe Gottes hin; vielmehr glaube ich, dass der böse Feind sie anstiftet, um in den Klöstern Spaltungen hervorzurufen. Hat eine Freundschaft den Dienst der göttlichen Majestät zum Ziele, so zeigt sich dies bald; dann geht der Wille nicht leidenschaftlich zu Werke, sondern sucht Vielmehr in der Freundschaft eine Hilfe, um andere Leidenschaften zu überwinden.

7.

Ich wünschte, dass es in einem großen Kloster viele solche Freundschaften gäbe; aber in diesem Hause, wo nicht mehr als dreizehn sind und auch nicht mehr sein dürfen, sollen alle Freundinnen sein, alle einander lieben, einander wohlwollend unterstützen, ohne besondere Freundschaften zu unterhalten. Vor diesen, wie heilig sie auch sein mögen, sollen sich die Schwestern um der Liebe des Herrn willen hüten; denn sie sind gewöhnlich, auch unter Geschwistern, ein Gift, und ich sehe darin gar keinen Nutzen. Sind aber die Freundinnen noch dazu Verwandte, dann sind solche Freundschaften eine noch viel schlimmere Pest. Dies mag euch vielleicht übertrieben scheinen; aber glaubt mir, meine Schwestern, dass in der Befolgung des Gesagten eine hohe Vollkommenheit und ein großer Friede liegt, dass damit denen, die noch zu wenig stark sind, viele (böse) Gelegenheiten abgeschnitten werden. Die Liebe neigt zwar der einen mehr zu als der anderen, ohne dass wir es verhindern können; es ist dies ein Zug der Natur, die uns oftmals antreibt, die Bösen zu lieben, wenn sie durch natürliche Gaben mehr ausgezeichnet sind; aber da müssen wir uns sehr zurückhalten, um uns von einer solchen Neigung nicht beherrschen zu lassen. Lieben wir die Tugenden und das innerlich Gute, und hüten wir uns mit aller Sorgfalt, auf äußere Vorzüge einen Wert zu legen! Gestatten wir nicht, meine Schwestern, dass unsere Liebe die Sklavin eines anderen sei, sondern nur dem zustrebe, der sie mit seinem Blut erkauft hat! Nehmt euch hierin wohl in Acht, sonst werdet ihr euch unvermerkt so gebunden finden, dass ihr euch nicht mehr losmachen könnt! Ach, mein Gott, welch unzählbare Kindereien entstehen daraus, wenn man das Gesagte nicht beachtet! Weil diese aber so geringfügig sind, dass nur jene, die sie sehen, es begreifen und glauben werden, so will ich hier nichts weiter davon sagen. Ich bemerke nur, dass solche Dinge bei jeder (Schwester) vom Übel, bei der Oberin aber eine Pest wären.

8.

Um dergleichen Sonderheiten zu beseitigen, muss man gleich anfangs beim Entstehen der Freundschaft große Sorgfalt anwenden, jedoch mehr mit Geschick und Liebe als mit Strenge vorgehen. Ein gutes Schutzmittel dagegen besteht darin, dass die Schwestern nur zu bestimmten Stunden zusammenkommen und miteinander reden, wie es jetzt bei uns in Übung ist; wir sind (die ganze übrige Zeit) nicht beisammen, sondern jede bleibt nach der Vorschrift der Regel für sich allein in ihrer Zelle. Die Nonnen von St. Joseph sollen darum auch kein gemeinsames Arbeitszimmer haben; ist dies auch sonst eine löbliche Einrichtung, so wird doch Stillschweigen leichter beobachtet, wenn jede für sich allein ist. Zudem ist es für das Gebet sehr nützlich, sich an die Einsamkeit zu gewöhnen; und weil die Hauptbeschäftigung in diesem Hause das Gebetsleben ist, darum müssen wir uns bemühen, das liebzugewinnen, was uns mehr dazu verhilft.

9.

Um nun wieder auf die gegenseitige Liebe zu kommen, so scheint es mir unbescheiden zu sein, sie euch zu empfehlen. Denn wo gibt es so rohe Menschen, die einander nicht liebten, wenn sie immer miteinander umgehen, beisammen leben, keinen anderen Verkehr und Umgang, keine Unterhaltungen mit Auswärtigen haben und des Glaubens sind, dass Gott sie liebe und sie Gott lieben, da sie alles um Seiner Majestät willen verlassen haben? Denn die Tugend ladet ja immer in besonderer Weise zur Liebe ein; ich hoffe zu Seiner Majestät, dass diese mit der Hilfe Gottes allezeit in diesem Hause Wohnung haben wird. Ich glaube darum keine Ursache zu haben, euch zur Liebe besonders zu ermahnen. Soweit es meine Ungeschicklichkeit zulässt, möchte ich setzt nur etwas Weniges darüber sagen, wie ihr einander lieben sollt, wie die tugendhafte Liebe, die ich in diesem Hause heimisch wünsche, beschaffen ist, und woraus wir abnehmen können, ob wir diese Tugend besitzen. Sie muss wohl eine große sein, da unser Herr sie uns so sehr empfohlen und seinen Aposteln so nachdrücklich ans Herz gelegt hat. Solltet ihr diese Darlegung in anderen Büchern ebenso ausführlich finden, so braucht ihr von dem Meinigen nichts anzunehmen; denn vielleicht verstehe ich selbst nicht, was ich sage.

10.