Der Weg des Heilers Buch 2: Eine Portal Progression-Fantasy Serie - Oleg Sapphire - E-Book

Der Weg des Heilers Buch 2: Eine Portal Progression-Fantasy Serie E-Book

Oleg Sapphire

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Beschreibung

Was könnte einfacher sein? An meinem allerersten Tag in dieser Welt bin ich zum Grafen aufgestiegen, mit allem Pipapo: einem Schloss, einem Namen, Ländereien und Macht. Man könnte meinen, ich hätte es geschafft, aber nein... Mein Schloss wurde erobert, meine Ländereien wurden mir genommen, und jetzt bin ich von Feinden umgeben. Außerdem machen mir die Behörden ununterbrochen Kopfschmerzen. Und auch wenn ich mein Schloss zurückerobert habe – da sind immer noch die Nachbarn, die nichts anderes im Sinn zu haben scheinen, als Teile meines Landes abzuspalten und mich, das neue Oberhaupt der Familie, zu beseitigen. Dabei verstehe ich nur Eines nicht: Wieso glauben sie, ich als Heiler könnte nicht einfach ihr Haus dem Erdboden gleichmachen? Ernsthaft, sehen sie nicht den feinen Feuerschein am Horizont? Da brennt doch was! Na, ich werde es ihnen schon zeigen...

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Inhaltsverzeichnis

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Über die Autoren

Oleg Sapphire

Alexey Kovtunov

Der Weg des Heilers

Buch 2

Eine Portal Progression-Fantasy Serie

Magic Dome Books

Der Weg des Heilers

Buch 2

Originaltitel: The Healer’s Way (Book 2)

Copyright © Oleg Sapphire, Alexey Kovtunov 2024

Covergestaltung © Linni, 2024

Designer: Vladimir Manyukhin

Deutsche Übersetzung © Eva Leitner, 2024

Erschienen 2024 bei Magic Dome Books

Anschrift: Podkovářská 933/3, Vysočany, 190 00

Praha 9 Czech Republic IC: 28203127

Alle Rechte vorbehalten

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Kapitel 1

DIESES LEBEN WAR INTERESSANT. Ehrlich. Es gab Zeiten, da plante man Großes, durchdachte es in allen Einzelheiten, berücksichtigte, was schiefgehen und wie man Fehler vermeiden könnte, und dann, wenn man so weit war, den großen Schritt zu tun, stellte sich heraus, dass es in Wahrheit keine große Sache war, denn was wie ein großartiges Unterfangen ausgesehen hatte, war gar nicht schwierig.

So wie das Schloss zu erobern. Ich hatte schon mehrere 100 Jahre auf dem Buckel und hatte trotzdem nicht erkannt, dass es ein Kinderspiel werden würde.

Ich hatte gedacht, ich würde an meine Grenzen stoßen, wenn es dazu käme, das Schloss von meinem Feind zurückzuerobern, und ich würde mich vielleicht sogar zurückziehen und neu formieren müssen. Aber da saß ich nun im Sessel des ehemaligen Grafen und beobachtete das knisternde Feuer.

Hatte ich die Söldner überschätzt? Oder waren die Feinde der Familie gar nicht so mächtig? So war es wahrscheinlich. In meiner früheren Welt hatte ich gegen einige wahrhaft eindrucksvolle Feinde gekämpft, und doch hatten sich manche von ihnen, als es darauf ankam, als wenig überzeugend erwiesen. Die Ausnahme hatte mein Bruder dargestellt.

Wie auch immer, nun saß ich vor dem Kamin, der wie immer eine beruhigende Wirkung auf mich hatte. Früher hatte ich zwar noch tieferen Frieden finden können, wenn ich ein paar Heilkräuter ins Feuer geworfen hatte, hier gab es allerdings keine. Nur ein paar Wollmäuse und den allgegenwärtigen Schmutz im Haus. Den hatten die Söldner hereingeschleppt, als sie das Schloss besetzt hatten. Aber gut, jetzt war ich hier.

Ich saß gedankenversunken da, konnte mich aber nicht entspannen. Ich wurde den Gedanken nicht los, dass ich mir möglicherweise alles wesentlich leichter gemacht hätte, wenn ich nur früher aufgetaucht wäre.

Die Einnahme des Schlosses war spannend verlaufen, zumal meine Truppen nicht in Bestform waren, und die Hälfte von ihnen hätte sterben können. Ein Glück für uns, dass sie nur ein paar Wunden davongetragen hatten, aber das verdankten sie nicht mir.

Als ich den Verlauf unseres Angriffs Revue passieren ließ, fielen mir vor allem zwei Dinge auf. Erstens die erschreckende Sorglosigkeit, die die Söldner bei der Erfüllung ihrer Aufgaben an den Tag gelegt hatten, und zweitens den leidenschaftlichen Einsatz, den meine Männer gezeigt hatten. Sie hatten den Feind attackiert, als wäre es die letzte Schlacht ihres Lebens gewesen. Sie hatten sich nicht geschont und waren bereit gewesen, jeden, der sich ihnen entgegenstellte, mit bloßen Händen in Stücke zu reißen. Ich war beeindruckt — ihr Handeln hatte ihnen meinen Respekt eingebracht. Ich musste jeden achten, der loyal war und zudem wusste, wie man Rache übte.

Wäre ich nicht da gewesen, wäre es nicht so glatt gelaufen. Ich war vorausgegangen und hatte mich so gut getarnt genähert, dass ich direkt an die beiden Wachen hatte herantreten können, die mit gepanzerten Fahrzeugen am Tor gestanden hatten, um ungebetene Gäste abzuwehren. Mit einer Berührung hatte ich die Wachen in den Schlaf geschickt, war ins Schloss gegangen, hatte drinnen noch mehrere Söldner erledigt und mir dann andere im Nahkampf vorgeknöpft. So hatte ich für den Lärm gesorgt, der meinen Truppen als Signal gedient hatte, sich in den Kampf zu stürzen.

„Sir!“ Valery, der Hauptmann meiner Wache, kam herein. „Die kaiserlichen Vernehmungsbeamten sind eingetroffen.“

„Gute Neuigkeiten“, sagte ich. „Sie sind früher aufgetaucht, als ich erwartet hatte.“

„Wenn es um solche Angelegenheiten geht, handeln sie immer blitzschnell.“ Der Kommandant kicherte. „Soll ich sie hereinführen?“

„Tu das.“

Kaum, dass ich die letzten Söldner erledigt hatte, hatte ich an die kaiserlichen Beamten gedacht und eigens für dieses Gespräch einen Tisch und Stühle hereinbringen lassen. Ich wollte das Kaiserreich so schnell wie möglich darüber informieren, dass ich, das Oberhaupt der Familie Bulatow, mich darangemacht hatte, meinen Besitz zurückzuholen. Andernfalls hätte der Eindruck entstehen können, ich könnte ein verachtenswerter Hochstapler sein, der sich aus reiner Willkür Snegirews Söldner vorgeknöpft hatte.

Bislang existierte ich für das Reich noch nicht, denn der ehemalige Graf hatte den Familienbesitz nicht offiziell auf mich übertragen lassen können. Das war aber kein Problem, denn ich hatte den Ring, der unmöglich zu fälschen war.

„Dem Kaiser zum Gruß!“ Drei Männer mittleren Alters betraten die Haupthalle. Trotz der späten Stunde wirkten sie allesamt heiter und waren adrett gekleidet.

„Also dann“, sagte der Chef des Trios, der den beiden anderen vorausgegangen war. „Sie sind Michail Bulatow, das neue Familienoberhaupt der Bulatows?“

„So ist es!“, antwortete ich und zeigte ihm den Ring.

„Nur fürs Protokoll, ich muss Sie fragen, was mit Gregory Bulatow passiert ist. Wie es aussieht, wird er vermisst.“

„Er ist tot!“ Ich hob bedauernd die Schultern.

„Verstehe“, sagte er und machte Notizen auf seinem Tablet. „Wenn Sie nichts dagegen haben, fangen wir sofort mit der Überprüfung an.“

„Tun Sie das.“

Ich deutete auf die leeren Stühle. Alle drei setzten sich an den Tisch, zogen Papiere, ein Tablet und Dokumente hervor und stellten mir ein paar einfache Fragen. Zum Beispiel, wie, wann und unter welchen Umständen mir die Familie übertragen worden war. Außerdem überprüfte einer von ihnen die Echtheit des Rings, nickte und gab mir ein Papier zum Unterschreiben. Ein Kinderspiel. Das war erledigt. Die ganze Sache hatte nur eine halbe Stunde gedauert.

Nun war ich offiziell als Oberhaupt dieser Familie eingetragen. Ich hatte eine Menge Zeit damit verbracht, zu recherchieren, wie das zu bewerkstelligen war, denn in dieser Welt war nicht alles unkompliziert. Der alte Graf hatte mir die Macht rechtmäßig übertragen, das Problem war allerdings, dass die Gesetzesgrundlage sehr alt war und heutzutage nur noch selten auf reale Ereignisse Anwendung fand. Bevor die Welt mit all dieser Technologie verkabelt worden war, hatte man solche Gesetze häufiger angewendet, aber jetzt waren diese Familiensiegel so etwas wie lebende Artefakte, die von der Macht des Besitzers zehrten und ein fester Bestandteil seiner Existenz waren. Solange ich den Ring nicht freiwillig weggab, konnte nichts und niemand in ihn von meinem Finger nehmen. Von Zeit zu Zeit tauchten jedoch Gauner im Reich auf, die versuchten, die Behörden zu täuschen.

So hatte es vor etwa einem Jahrhundert einen Fall gegeben, in dem bei einer Fehde zweier Familien der Sieger alle Mitglieder der anderen Familie abgeschlachtet, ihren Ring gefälscht und verkündet hatte, das Familienoberhaupt hätte ihm seine Besitztümer vermacht. Daraufhin hatte er das Vermögen veräußern und alle Ländereien der Familie verkaufen können. Erst 30 Jahre nach den Ereignissen war der Betrug ans Licht gekommen, doch bis dahin war so viel Zeit vergangen, dass nichts mehr unternommen werden hatte können.

Das System erlaubte, dass eine Familie mehrere andere Familien auf einmal buchstäblich besitzen konnte, aber nicht wie Feudalherren, sondern eher wie Verwalter ihrer Ländereien. Es war nichts Ungewöhnliches, mehrere patriarchalische Ringe an den Fingern eines Mannes zu sehen.

Jedenfalls waren meine Papiere jetzt in Ordnung, sodass mich niemand reinlegen, hinterrücks umbringen oder behaupten konnte, ich sei ein Betrüger. Ich hatte das Spielchen auf eine neue Ebene gehoben.

Nachdem die kaiserlichen Agenten gegangen waren, atmete ich erleichtert auf und machte mich daran, die Verwundeten zu untersuchen. Allen ging es gut. Sie würden in ein paar Tagen auf dem Weg der Besserung sein. Vielleicht sogar schon früher. Solange wir nicht angegriffen wurden, wollte ich sie heilen, wie es sich gehörte.

Interessanterweise erhielt ich nun, da ich beim Kaiserlichen Dienst für Adelsangelegenheiten registriert war, über mein Telefon Zugriff auf das E-Mail-Konto der Familie, ebenso wie Zugang zum Büro, in dem sämtliche Unterlagen aufbewahrt wurden.

Erst da begriff ich, wie tief wir in der Scheiße steckten. Ja... ich meinte, nicht nur ich, sondern ‚wir‘! Denn die Hälfte dieser Schulden hatte Viktoria. Ein wunderschöner Name, übrigens. Oft beeindruckten, ja, erstaunten mich die Namen in dieser Welt. Möglicherweise nur deswegen, weil das alles neu für mich war?

Aber die Schulden... Beschlagnahmte Ländereien, die bereits verkauft worden waren, Arbeiter und andere, die verschwunden waren, und das war erst der Anfang. Ich sah, dass vor Kurzem eine Einladung zu einem Ball verschickt worden war. Er sollte in einem Haus stattfinden, das einer gewissen Familie Wlassow gehörte, und anscheinend hatte Viktoria vor, dort zu erscheinen. Keine große Sache, außer dass der Vizegraf die Nachricht mit der Einladung über dieses offizielle E-Mail-Konto verschickt hatte. Ich konnte ihre gesamte Korrespondenz lesen und stellte fest, dass er ein abscheuliches Exemplar von einem Mann war. So viel Bösartigkeit... War er wirklich so stark, dass er sich so weit aus dem Fenster lehnen konnte? Was mich wirklich zornig machte, war, dass er ihr in jeder E-Mail drohte, sie zur Heirat zu zwingen, obwohl sie eindeutig dagegen war. Natürlich wusste er nicht, dass er, selbst wenn er sie zur Frau nähme, keinen Anspruch mehr auf den Titel und die Familiengüter hätte. Da ich nun das Oberhaupt der Familie war, stand mir das alleinige Recht zu, eine Verbindung zu erlauben oder nicht.

Das war eine weitere faszinierende Sache, wie diese Familien funktionierten. Heiratete, sagen wir mal, meine Tochter, so konnte ich ihren Mann in den Stand eines Grafen erheben, sollte ich aber dann herausfinden, dass die Hochzeit fingiert war, hätten wir alle Probleme.

Der Ball war für den heutigen Abend angesetzt, und ich beschloss spontan, teilzunehmen. Aber zuerst musste ich noch ein paar Dinge erledigen. Zwar hatte ich noch genug Zeit, es fehlte mir aber an Geld und Ressourcen.

Das E-Mail-Konto war voll mit allen möglichen interessanten Neuigkeiten. Es war so viel, dass ich nicht alles auf einmal lesen konnte. Eine weitere Nachricht des Vizegrafen sprang mir allerdings ins Auge — die, in der er der Gräfin versprach, ihre verwundeten Soldaten freizulassen. Er deutete sogar an, wo er sie festhielt. Es war eine Art Krankenhaus, mit gewissen Ähnlichkeiten zu einem Gefängnis allerdings. Es fiel mir nicht schwer, es zu finden, da es in einem Dorf lag, das einst der (also meiner) Familie gehört hatte, was bedeutete, dass es nicht sehr weit entfernt war.

Es war einer dieser Fälle, in denen sich das Schicksal einmischte, als riefe es mir zu: „Befreie mein Volk!“, oder etwas in der Art. Darüber hinaus widerte mich Snegirews höhnischer Ton an. Im Ernst, jemand musste ihm eine Lektion erteilen, daran bestand kein Zweifel. Er hatte diese verwundeten Soldaten nur am Leben gelassen, um die Gräfin unter Druck zu setzen, weil er wusste, wie sehr ihr ihre Leute am Herzen lagen.

Ich rief den Kommandanten der Wache an: „Valery, komm bitte zu mir.“

Binnen fünf Minuten betrat er den Saal.

„Wie geht es den Verwundeten?“, erkundigte ich mich.

„Fast alle sind auf dem Weg der Besserung, ich würde es sogar als Wunder bezeichnen, wenn ich Ihre Fähigkeiten nicht kennen würde...“ Er zögerte.

„Fast?“, fragte ich erstaunt. Ich hatte sie doch alle behandelt...

„Ja. Einem geht es nicht gut.“

Offenbar musste ich weitere Energie aufwenden. Auf dem Weg zu dem Raum, in dem unsere Verwundeten lagen, erzählte ich Valery von meinem Plan, die gefangenen Gardisten zu befreien.

Ich ging davon aus, dass wir dazu noch Zeit hätten, bevor ich zum Ball aufbrach. Das war ein obligatorischer Termin. Ich würde endlich Viktoria kennenlernen, und außerdem war es an der Zeit, den Vizegrafen von meiner Existenz in Kenntnis zu setzen. Ich wollte ihn persönlich begutachten und dachte schon an die Angst in seinen Augen, wenn er mich erblickte. Okay, das war vielleicht etwas zu viel verlangt, aber auf jeden Fall war es Zeit für mich, aus dem Schatten zu treten. Es widerstrebte mir, wie eine Ratte zu leben, ständig in dunklen Gassen herumschleichend.

Valery war von meinem Plan begeistert. Nachdem er mich zu dem Soldaten gebracht hatte, dem es weiterhin nicht gut ging, machte er sich an die Vorbereitung unseres Angriffs. Ich sagte ihm, er solle sieben der stärksten Kämpfer und ein Transportmittel aussuchen. „Und wähle Kämpfer aus, die fahren können.“

Wie sich herausstellte, konnten das alle. Wunderbar. Ich schätzte, ich würde auch Autofahren lernen müssen.

Zunächst einmal erfreute ich mich daran, dass mich das Heilen der Soldaten stärker gemacht hatte. Je öfter ich das in Zukunft tun würde, desto mehr Macht würde ich erlangen. Das war das Schöne an der Gabe der Heilung.

Bei jeder anderen Gabe konnte man nur stärker werden, indem man an tödlichen Kämpfen teilnahm und bis an seine Grenzen ging. Ich konnte von so etwas auch profitieren, aber es war viel einfacher, andere zu heilen, die es brauchten. Ich musste nicht mehr anderen das Leben auszusaugen, um zu wachsen. Meine Quelle hatte sich inzwischen auf ein akzeptables Niveau entwickelt, sodass ich selbst eine ausreichende Menge an Energie produzieren konnte. Je weiter ich meine Quelle entwickelte, desto mehr würde mir die geraubte Lebensenergie anderer Menschen schaden.

Das war der Grund, weshalb Heiler ihre Fähigkeiten nicht oft einsetzten, um Menschen im Kampf auszusaugen. Nur in Notfällen, wenn ich mich dringend regenerieren musste, würde ich weiterhin zu solchen Maßnahmen greifen. Ja, deshalb hatte ich der Hälfte der Halunken im Hafenviertel das Leben ausgesaugt. Hätte ich meine Quelle nicht so schnell verbessern müssen, hätte ich stattdessen sechs Monate lang meditieren können, aber dann hätte ich eine erbärmlich schwache Quelle gehabt, die Kraft absorbierte, anstatt welche zu produzieren.

Aber genug philosophiert. Gerade als ich dachte, dass ich es nicht mehr nötig hätte, die Energie anderer Leute zu absorbieren, stieß ich auf diesen interessanten Fall. Der verwundete Nahkämpfer besaß eine interessante Gabe. Im Moment pumpte seine Quelle schwer, und die überschüssige Energie, die sie produzierte, ließ die Kanäle in seinem Körper durchbrennen.

Dafür gab es sogar einen Begriff: magische Allergie. Durch meine Studien in dieser Welt wusste ich, dass bei so etwas der Tod in 100 von 100 Fällen gewiss war. Derartige Statistiken amüsierten mich, denn bevor ich hierhergekommen war, hatte ich nie gehört, dass jemand daran gestorben war. In meiner alten Welt konnte jeder Arzt, selbst jeder Medizinstudent, mit überschüssiger Energie umgehen. Aber es würde viel Zeit kosten — die ich im Moment nicht hatte. Also musste ich einen kreativen Ansatz wählen.

In ein paar Minuten hatte ich seine Quelle stabilisiert und dann seine magischen Kanäle angezapft, damit die überschüssige Energie abgeleitet werden konnte. Was war die Gabe dieses Kämpfers?

Das fand ich bald heraus. Aufgrund der Energie, die von seinem Körper ausging, begann sich um uns herum Schimmel zu bilden. ‚Natur‘ ist eine sehr seltene Gabe. Und mir schien, dass dieser Kämpfer noch keinen Zugang zu ihr gefunden hatte, oder dass sie bisher nur schwach ausgeprägt war. Aber jetzt, nach meinen Korrekturen, würde er sie entwickeln können.

Einstweilen musste ich allerdings die überschüssige Energie absorbieren und dann in ein lebenswichtiges Element umwandeln. Glücklicherweise konnte ich sie verwenden, da mein Organismus etwas Ähnliches nutzte. Wäre der Kerl ein Nekromant, sähe die Sache anders aus... Selbst dann hätte ich zwar noch helfen können, doch wäre es zwar produktiv, aber schmerzhaft gewesen. Schließlich waren Leben und Tod immer um uns herum, und sie waren viel enger miteinander verbunden, als den meisten Menschen bewusst ist.

Die gesamte Behandlung dauerte etwa 40 Minuten. Ich bat den Kommandanten, mich daran zu erinnern, später nach dem Mann zu sehen. Seine gesamte Energie würde abfließen, und dann würde ich seine Kanäle wieder neu füllen müssen, bevor er wieder auf die Beine kommen konnte.

In der Zwischenzeit stellte Valery eine Gruppe aus sieben Wachen zusammen. Einer von ihnen war ‚Opa‘, der tatsächlich Timo hieß, und mitkommen wollte. Er wusste, dass die kleine Marina in der Obhut der anderen Soldaten sicher wäre. Sie strickte bereits bunte Mützen für sie.

Ich war angenehm überrascht, als ich die gepanzerten Fahrzeuge draußen sah. Ich hatte ganz vergessen, dass wir sie erbeutet hatten. Sie waren einer der Gründe, weshalb Timo unbedingt mit uns hatte gehen wollen. Er hatte Sehnsucht danach gehabt, wieder einmal so ein Vehikel zu fahren.

„Echte Schrotthaufen, zumindest im Vergleich zu dem, was wir früher benutzt haben!“, konstatierte der alte Mann, als er sich hinter dem Steuer des ersten Panzerwagens niederließ, konnte sich allerdings ein Lächeln nicht verkneifen, als er ihn anließ.

Ich widersprach nicht. Ich setzte mich einfach nach hinten, und nachdem ich gewartet hatte, bis alle Platz genommen hatten, gab ich den Befehl zum Aufbruch.

Während wir uns auf den Weg ins Dorf machten, planten wir unsere Strategie, die im Wesentlichen darin bestand, das Krankenhaus zu stürmen. Wir würden wie üblich vorgehen. Als Erster würde ich hineingehen, und dann, wenn es sich nach viel Spaß anhörte, würden die anderen dazustoßen.

Jetzt hatten wir jede Menge Technik zur Verfügung, was alles viel bequemer machte. Der Wagen hatte sogar eine Kanone auf dem Dach, Valery sagte allerdings, ihre Feuerkraft sei nicht umwerfend. Nicht, dass ich sie gebraucht hätte. Ich konnte mit meinen bloßen Händen genug Schaden anrichten.

Die Fahrt dauerte nur etwa 30 Minuten, und während dieser Zeit beschloss ich, dass ich beim nächsten Mal lieber meinen Geländewagen nehmen sollte. Das Ding hier wackelte wie eine Klapperkiste, und mir gefiel es nicht, ständig gegen die Metallverkleidung im Inneren der Kabine geworfen zu werden. Das Fahrzeug mochte großartig und was weiß-´ich noch alles sein, aber wozu sollte man unnötig leiden?

Etwa zweieinhalb Kilometer vor dem Dorf hielten wir an, und Timo manövrierte das Fahrzeug in einen Graben hinter einem Gebüsch.

Ich machte mich auf ins Dorf. Niemand rechnete mit uns, weshalb fast keine Sicherheitsleute dort waren. Dafür entdeckte aber ich sofort mehrere Lastwagen, die man leicht stehlen konnte. Zwei von ihnen waren zudem voll beladen, hoffentlich mit wertvoller Fracht.

Das sogenannte Krankenhaus nahm sich in der Tat eher wie ein Gefängnis aus. Es sah aus wie ein Hangar, oder gar eine große Scheune mit kleinen vergitterten Fenstern. In einem großen Raum im Erdgeschoss spürte ich viele Herzschläge. Sie drängten sich um die gusseisernen Öfen, was kein Wunder war — die Innentemperatur war praktisch gleich mit der Außentemperatur.

Ohne Eile überprüfte ich die Umgebung des Hangars und entdeckte einige Wachen. Vier an der Zahl, alle bewaffnet, wobei zwei von ihnen während ihrer Schicht schliefen. Drinnen entdeckte ich 22 Verwundete, wahrscheinlich alles meine Leute. Ein echter Glückstreffer, denn es waren auch einige Schwerverletzte darunter, und indem ich sie heilen würde, konnte ich meine Quelle weiter ausbauen.

Ich sah, dass es in diesem sogenannten Krankenhaus ein Dachgeschoss gab, das als eine Art Kaserne für die gegnerischen Kämpfer diente. Neun schwach begabte Typen hatten sich dort in einem warmen Raum zusammengekauert. Einige schliefen, während andere sich auszuruhen schienen und sich unterhielten, um ihre Auszeit zu genießen. Wirklich schade, aber ich würde sie ihnen verderben müssen. Denn sie hielten meine Leute gefangen, und soweit ich es beurteilen konnte, behandelten sie sie nicht gut.

Als Nächstes ging ich durch das Dorf, konnte aber nicht auf Anhieb unterscheiden, wer der Feind war und wer nur normales Volk. Mir fielen drei durchschnittlich Begabte auf, die im Falle eines Kampfes sicher nicht untätig bleiben würden — mit denen würden wir uns sofort befassen müssen. Auf jeden Fall würden sich meine Männer um das Dorf kümmern. Ich wollte keine zivilen Opfer, wie man so schön sagte. Vielleicht würde ich sie später als Arbeitskräfte anheuern wollen. Das traf allerdings nicht auf die Söldner des Vizegrafen zu.

„Valery“, sagte ich, nachdem ich ihn angerufen hatte. „Ich bin mit der Aufklärung fertig. Hier ist also der Plan...“

* * *

15 Minuten später

Hangar mit den Gefangenen

„Syoma-a...“, keuchte der auf schmutzigen Lumpen liegende Mann. Er bestand nur noch aus Haut und Knochen, war blass, und sein ganzer Körper zitterte, entweder vor Kälte oder vor Schmerz. „Syom...!“

„Was?!“, antwortete ein Mann, dem ein Bein fehlte. Anhand des blutigen Stumpfes konnte man erkennen, dass es erst vor Kurzem abgehackt worden war.

„Syoma...“, brachte der blasse Mann mit schmerzverzerrter Stimme hervor. „Ich werde diese Nacht nicht überleben... Sag es meinem Sohn...“

„Jadda-jadda-jah!“, brabbelte ein anderer Mann, der in vor Dreck starrende Verbände gewickelt war. Er hatte Verbrennungen am ganzen Körper erlitten, aber dank seiner Gabe überlebt. Jetzt war er mit Draht an das Bett gefesselt, was das Einzige war, das ihn dort hielt. „Seit zwei Wochen liegst du nun schon im Sterben! Für mich siehst du gut aus!“

„Mir geht es von Tag zu Tag schlechter!“, jammerte der ‚Sterbende‘. „Mein ganzer Körper zittert, und mir ist verdammt kalt! Das bedeutet, dass das Ende naht...“

„Das bedeutet, dass es hier drin verdammt kalt ist, du Depp!“, kläffte der Mann mit den Verbrennungen.

„Das ist unfair! Die Bandagen halten dich warm“, scherzte der ohne Bein, und rund um den Ofen erklang leises Gekicher.

In diesem Moment hörten sie, wie in einiger Entfernung Türen knarrend geöffnet wurden. Dort hielten sich normalerweise die diensthabenden Sicherheitsleute auf. Allerdings hörten sie nur, wie die Türen geöffnet wurden, nicht aber, wie sie wieder geschlossen wurden. In der Dunkelheit erklangen leise Schritte.

„Verdammt, macht die Tür zu!“, raunte der Mann mit den Verbänden. Er hatte keine Angst vor ihren ‚Aufsehern‘. Er hatte in den letzten Monaten so oft versucht zu fliehen, dass sie es inzwischen leid waren, ihn zu schlagen. Deshalb hatten sie ihn beim letzten Mal verbrannt.

Zur allseitigen Überraschung wurde die Tür geschlossen. Dann hörten sie die Schritte näher kommen. Bald zeichnete sich im Schein des Feuers eine in einen Mantel gehüllte Gestalt ab. Der Fremde trug eine Maske, die ihnen einen Schauder über den Rücken jagte. Allerdings nicht allen.

Der verbrannte Mann versuchte, sich aufzusetzen. Den Schmerz ignorierend mühte er sich auf die Beine.

„Wer sind Sie? Ich habe Sie hier noch nie gesehen“, sagte er ruhig und sah den Fremden an. „Ein neuer Doktor, was? Hah!“

„Das könnte man so sagen“, antwortete der Maskierte, während er den Blick kurz über sie schweifen ließ und dem Schlafenden eine Hand auf die Stirn legte.

„Na, der jetzige ist ein Sadist. Demnach kannst du nicht schlimmer sein“, knurrte der Mann mit zusammengebissenen Zähnen.

„Doktor, helfen Sie mir, ich sterbe!“, heulte der bleiche Mann erneut, doch der Fremde schüttelte nur den Kopf.

„Du stirbst nicht. Der hier steht dagegen schon mit einem Bein im Grab.“ Er zeigte auf den friedlich schnarchenden Mann.

Die ganze Zeit über betrachtete der in Verbände gehüllte Wachmann den Gast aufmerksam, kam aber nicht recht dahinter, was ihn an dem Kerl störte. Dann fiel sein Blick auf seine Hand und...

„Du... Sie...“ Er starrte auf den Ring und zögerte. „Herr Graf? Nein... Du bist nicht er... Ich kenne die Aura meines Herrn... Wer bist du?“

„Michail“, raunte der Fremde. „Das neue Oberhaupt der Familie Bulatow. Ich bin euretwegen gekommen.“

„Neu? Mist... Er ist tot...“ Der Einbeinige ballte die Faust und schlug gegen die Betonsäule. Für eine Sekunde hatte er vergessen, dass er im Sterben lag.

„Ja, das ist er“, sagte der als Pestarzt verkleidete Michail. „Aber die Familie lebt weiter! Seine Tochter ist am Leben! Werdet ihr der Familie weiterhin dienen?“

„Was, wir?“ Der Mann mit den Verbrennungen lachte freudlos auf und bedachte den Fremden mit einem skeptischen Blick. „Wir konnten sie nicht einmal aufhalten...“

Es stimmte, was er sagte. Der Feind hatte vielen von ihnen Arbeit angeboten. Er hatte gewollt, dass sie die Bulatows verrieten und ihm alles sagten, was sie wussten. Im Gegenzug hätten sie angeblich eine ordentliche medizinische Behandlung, Essen und die Freiheit erhalten. Einige hatten den Köder geschluckt und waren fortgebracht worden.

„Wir sind die, die geblieben sind“, sagte der mit den Verbrennungen. „Wir sind die, für die Treue kein leeres Wort ist. Wir sind die, die bereit sind, für unsere Überzeugungen zu sterben. Das sind wir!“

„Ich verstehe!“ Der Fremde nickte. „Deshalb bin ich gekommen, um euch zu holen“, sagte er todernst. „Wir haben nicht mehr als eine Stunde, um von hier zu verschwinden.“

„Verschwinden? Daraus wird wohl nichts“, sagte Wassili — so hieß der Mann mit den Verbrennungen — mit reumütigem Lächeln. „Wir sind Wracks. Nur zwei von uns können sich schneller bewegen als eine tote Schildkröte. Nein, wir können hier nicht weg. Neuer Graf, wenn Ihnen wirklich etwas an dieser Familie liegt, dann lassen Sie uns hier und gehen. Es sind mindestens 20 Männer in der Nähe. Und im Dorf gibt es eine Station mit etwa 40 weiteren. Sobald der Alarm ausgelöst wird, werden sie alle die Verfolgung aufnehmen.“

„Das ist alles?“ Michael kicherte. „Hast du wirklich Angst vor ihnen, Wassili, der Verbrannte, Anführer der Feuerheuschrecken? Was, nein? Na, dann hör zu und befolge meine Anweisungen.“ Er erhob die Stimme und sprach mit großem Nachdruck: „Hör auf zu jammern und mache dich bereit, auszubrechen!“

Er sprach in einem herrischen Tonfall und packte Wassili dabei mit einer grün leuchtenden Hand am Hals. Nein, nicht nur seine Hand, sondern auch seine Augen leuchteten grün.

Nach dieser Eilbehandlung brach Wassili keuchend auf dem Boden zusammen.

Michail ging zu jedem Verwundeten im Raum und behandelte sie kurzerhand alle nach und nach. Einige versuchten, sich zu wehren. Sie verstanden nicht, was er tat, aber am Ende setzte er sich durch.

„Und jetzt gehe mich ein wenig amüsieren! Ich warte draußen auf euch“, sagte Michail. Kurz bevor er zur Tür hinausging, schaute er über die Schulter zurück und sagte: „Bewaffnet euch. Es liegen genug Waffen herum.“

Und weg war er. Bald hörten die Soldaten von draußen Schüsse aus Schnellfeuer- sowie aus Maschinengewehren, und Rufe und Schreie ertönten.

„Ihr wisst, dass das unsere Chance ist, oder?“, fragte Wassili.

„Ja, Sir!“, riefen die anderen im Chor.

* * *

„Wie ist dein Status?“, fragte ich und schaute in den Lkw zu einem meiner Männer am Steuer. Er antwortete, indem er mir einen erhobenen Daumen zeigte.

Es war also alles gut. Unser Angriff war schnell und kühn vonstattengegangen, wir hatten den Feind überrumpelt. Es war, wie schlafende Kätzchen zu verprügeln. Ich hatte ein bisschen Spaß in der Kaserne gehabt, als ich die Wachen überrascht hatte, aber selbst dort hatte ich sie alle in wenigen Minuten erledigt.

Während ich mich um den Hangar mit den Gefangenen gekümmert hatte, hatten meine Männer das Dorf geräumt. Wie vereinbart hatte niemand die Zivilisten verletzt. Aber jeder, der eine Waffe trug, war kurzerhand von der Kanone auf dem Panzerwagen erschossen worden.

Nachdem wir den Feind vernichtet hatten, beschlagnahmten wir drei Lastwagen, luden die Verwundeten hinein und fuhren zurück zu meinem Schloss. Es gab keinen Grund für uns, länger im Dorf zu bleiben — wir hatten dem Vizegraf bereits alles abgenommen, was wir brauchten. Damit meinte ich die Lastwagen. Sonst hatte es dort nichts von Wert gegeben. Zweifellos bewahrte er andere Wertsachen, einschließlich Geld, anderswo auf. Was die Fahrzeuge betraf, so hatte der Vizegraf sie ironischerweise selbst von meiner Familie gestohlen, also holte ich mir nur das zurück, was mir gehörte. Leider war einer unserer Panzerwagen schwer beschädigt. Er lief noch, doch eine Ladung blauen Plasmas hatte ihn getroffen, und nun lag der Motor frei.

Wir befanden uns alle in unseren Fahrzeugen, während ich mich um die Verwundeten kümmerte. Keiner von ihnen schwebte mehr in Lebensgefahr, und ich konzentrierte mich auf einen Mann, der sofortige Hilfe brauchte. Die anderen brauchten nur Zeit, um sich zu erholen. Die Rückfahrt würde eine Weile dauern, daran war nichts zu ändern. Also nutzte ich die Gelegenheit, um bei allen eine umfassende Diagnose zu stellen. Bei einigen leitete ich sogar den Regenerationsprozess ein. Später würde ich eine genauere Untersuchung durchführen, jetzt konnte ich mir nicht mehr viel Zeit dafür nehmen. Ein neuer Tag brach an, und ich musste mich auf meinen großen Auftritt in der Gesellschaft vorbereiten.

Ich hatte den Ball nicht vergessen und rief Georgy, meinen Taxifahrer, von unterwegs an. Ich bat ihn, mir passende Kleidung für die Veranstaltung zu besorgen. Als er mich jedoch nach meinen Maßen fragte, war ich ratlos. Er würde sie schätzen müssen.

Ich war so mit den Behandlungen und all den anderen Dingen beschäftigt, dass ich gar nicht merkte, wie wir zurückkamen. Als die anderen die Verwundeten ausluden, sprang ich heraus und sah mir an, was die anderen Lastwagen geladen hatten.

„Lebensmittel“, sagte Valery mit Blick auf die Ladung. „In dem hier auch.“

„Wirklich schade“, sagte ich. „Aber, na ja, essen müssen wir ja auch.“

Ehrlich, nicht, dass ich Berge von Gold oder Artefakten von diesem Raubzug erwartet hätte. Ich hatte die Lastwagen mitgenommen, weil sie mir gehörten. Hätte ich sie diesem Abschaum überlassen, der für den Vizegrafen arbeitete, hätte ich meine Achtung vor mir selbst verloren.

Jedenfalls war Nahrung gut. Jetzt hatte ich etwas, womit ich die Armee der arbeitsunfähigen Soldaten ernähren konnte, die ich für meine Sache rekrutiert hatte. Natürlich würden sie nicht lange arbeitsunfähig bleiben. Ich hatte daher zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen. Erstens hatte ich Männer in meine Herde zurückgeholt, die der Familie treu ergeben waren. Meiner Familie. Die meisten von ihnen waren jedenfalls treu. Wobei unter den Gefangenen auch zwei Söldner waren. Wenn diese Jungs nicht bleiben wollten, würde ich sie nach der Behandlung einfach gehen lassen. Zweitens konnte ich jetzt meine Quelle durch die Behandlung anderer stärken, und so waren diese Verwundeten ein Segen für diesen Prozess. Das war wirklich wichtig, zumindest für mich.

Bei all den neuen Akteuren im Spiel brauchte ich Männer, die das Schloss bewachten. Wassili, der wie eine Mumie bandagiert gewesen war, hatte seine durchschnittliche Gabe ziemlich stark entwickelt, und es würde nicht mehr allzu lange dauern, bis er einsatzbereit war. Den Großteil der Verbrennungen hatte er bereits selbst geheilt, weshalb ich gar nicht viel meiner eigenen Energie aufwenden musste, um den Prozess zu beschleunigen. Jetzt brauchte er einfach nur Ruhe und Nahrung, den Rest würde die Zeit bringen.

Während ich meine Patienten untersuchte, mich um dies und das kümmerte und Anweisungen erteilte, kam Georgy.

„Hier, bitte. Das hier habe ich für das Geld gefunden, das Sie mir gegeben haben.“ Er reichte mir ein Paket. „Ich bin sicher, dass es für einen Ball hier in der Provinz ausreichend ist.“

Es stellte sich heraus, dass er recherchiert hatte, was die örtlichen Aristokraten heutzutage so trugen. Gut gemacht. Ich selbst wäre ratlos gewesen, was die angemessene Garderobe betraf. Und Äußerlichkeiten spielten in dieser Welt definitiv eine Rolle, das hatte ich traurigerweise feststellen müssen. Was man anhatte, war wichtig. War man unangemessen gekleidet, fand man nie eine gemeinsame Basis mit anderen Aristokraten. All das erschien mir unglaublich rückständig, aber dennoch war es Tatsache, dass in dieser Welt Wert auf teure und modische Kleidung gelegt wurde.

So waren eben die Spielregeln hier. Wenigstens war die neueste Mode bequem. Meine Bewegungsfreiheit war in keiner Weise eingeschränkt. Zweifellos war der Preis deshalb so hoch gewesen. Die Materialzusammensetzung erlaubte den Aristokraten, wenn nötig, sofort in Aktion zu treten. Sie mussten allzeit bereit sein, nicht nur zu Duellen und anderen Gefechten untereinander, sondern auch im Falle zufällig auftauchender Interfaces, wie damals auf dem Markt am Hafen. Wenn sich ein Interface öffnete, war jeder Adlige, der etwas auf sich hielt, verpflichtet, sich in die Schlacht mit den Fremdweltlern zu stürzen. Und warum auch immer, aber ich hatte das Gefühl, ich sollte bei diesem Ball lieber zu körperlicher Aktion bereit sein — und damit meinte ich nicht nur tanzen.

Ich hatte noch eine Stunde bis zum Ball und lud Georgy ein, im Schloss zu bleiben, da er mir nicht mehr als Fahrer dienen würde. Das war jetzt die Aufgabe von Timo. Natürlich hatte der nicht mehr viel Ähnlichkeit mit ‚Opa‘, sah jetzt jünger und gesünder aus.

„Timo!“, rief ich ihn, während er unter der Motorhaube des gepanzerten Wagens herumfummelte.

Er zuckte ruckartig hoch und stieß sich den Kopf an der Motorhaube.

„Mist“, fluchte er und rieb sich den Hinterkopf. „Wer hat sich diesen Schrotthaufen ausgedacht? So eine Schande! Zu meiner Zeit hatten wir bessere Kampffahrzeuge.“

„Mach dich nicht schmutzig, wir fahren auf einen Ball.“ Dann sah ich jedoch, dass er picobello sauber war. In einem Film, den ich kürzlich gesehen hatte, waren die Mechaniker alle über und über mit schwarzer Schmiere bedeckt gewesen.

„Ich bin fast fertig, Chef! Ich hole den Wagen. Bin in einer Sekunde zurück!“, rief Timo und eilte davon.

Er brauchte mehr als eine Sekunde, wenn auch nicht sehr viel länger. In der Zwischenzeit sah ich mir die Jungs an, die sich im Hof tummelten.

Die verwundeten Kämpfer, die ich den Klauen des Todes entrissen hatte, um die Söldner aus dem Schloss zu vertreiben, sahen schon prima aus. Einige waren noch auf dem Weg der Besserung, aber die meisten waren eifrig dabei, das Schloss wieder in Ordnung zu bringen und das Chaos zu beseitigen. Ich würde erfahrenes Hauspersonal einstellen müssen, um diese Leute alle zur Bewachung des Schlosses einsetzen zu können.

In diesem Moment zischte der Geländewagen wie ein Geschoss aus der Garage und blieb vor mir stehen. Ich brauchte nicht einmal einen Schritt zu machen. Bald saß ich auf dem Rücksitz, und das röhrende Ungetüm fuhr reifenquietschend davon. Ich machte mir keine Sorgen mehr, dass ich zu spät kommen könnte.

Tatsächlich fuhren wir pünktlich vor. Wir gerieten sogar in einen kleinen Stau am Eingang zum Anwesen der Familie Wlassow. Ich konnte andere Aristokraten beobachten und sehen, wie sie Konversation miteinander betrieben. Sie sozusagen ungesehen studieren.

Der Gastgeber war das Oberhaupt der Familie, Vladislav. Ich war mir jedoch sicher, dass jemand, der weit über dem Vizegrafen stand, die Einladung in die Wege geleitet hatte. Denn in den letzten sechs Monaten hatte meine Familie nicht eine einzige Einladung erhalten, das hatte ich geprüft.

Für mich war offensichtlich, dass diese Einladung dazu diente, die Gräfin aus der Deckung zu locken. Was sie nicht ahnten, war, dass sie jetzt noch andere Familienmitglieder hatte. Ja, solche Einladungen galten für die ganze Familie. Sie mussten mich also einlassen. Es gab nur eines, was ich nicht verstand: Warum wurde eine Veranstaltung, die zum Geburtstag der Tochter gegeben wurde, dazu genutzt, um die Gräfin in eine Falle zu dirigieren?

Die Schlange der edlen Wagen erstreckte sich über gut 100 Meter. Einige Aristokraten fuhren selbst, andere hatten Leibwächter dabei, die man allerdings nicht hineinließ. Alle persönlichen Leibwächter wurden in einen speziellen Hof geführt, da das Betreten des Anwesens mit Schusswaffen verboten war.

Spitze Waffen waren erlaubt, also Schwerter und Rapiere. Messer, Dolche, Äxte oder Derartiges, was sich leicht verstecken ließ, war hingegen verboten.

Wirklich seltsam. Wenn ich jemanden töten wollte, konnte ich es doch mit bloßen Händen tun. Wer brauchte dazu eine Waffe?

Elegante Damen in Abendkleidern, stattliche Herren in formellen Anzügen und sogar Menschen in kompletter Militäruniform tummelten sich auf dem Vorplatz. Sie stiegen aus ihren Fahrzeugen und strömten zu den geöffneten Türen der Villa, aus der Musik und Stimmengewirr drang.

Am Eingang wurden alle vom Hauptportier begrüßt, der auch heimlich die Gästeliste abglich. Kein Grund, die Gäste zu beleidigen, indem man das auffällig tat. Auf jeden Fall würde niemand, der nicht eingeladen war, versuchen, auf diese Weise hineinzukommen. Vorsichtshalber besah er sich die Ringe der Gäste und machte eine Notiz auf seinem Tablet.

Endlich waren wir an der Reihe. Timo stieg aus, um mir die Tür zu öffnen. Es war offensichtlich, dass er früher bei einer Familie gedient hatte. Er wusste, wie man fuhr und was zu tun war. Ich brauchte ihm nichts zu sagen. Und das war gut so, denn ich hätte gar nicht gewusst, was ich sagen sollte.

„Es wird nicht lange dauern“, sagte ich zu ihm. „Bleib in der Nähe.“

„Ich werde nicht mal den Motor abstellen“, erwiderte er. „Wenn etwas passiert, darf ich dann mitkämpfen?“

Gute Frage. Würde ich ihn brauchen? Mal angenommen, die Männer des Vizegrafen griffen mich an, und Timo eröffnete das Feuer auf sie, würde das einen Krieg mit der Familie Wlassow auslösen? Da die Veranstaltung auf seinem Anwesen stattfand, sollte es theoretisch genügen, wenn ich mich auf seine Sicherheitsleute verließ. Was konnte Timo allein schon ausrichten?

„Nein, du konzentrierst dich ausschließlich darauf, die Gräfin und mich zu evakuieren. Das heißt, falls es nötig ist. Hoffentlich wird es nicht dazu kommen.“

Timo nickte, setzte sich wieder hinters Steuer und fuhr zum Parkplatz, während ich auf den Eingang zusteuerte.

„Verzeihung“, sagte der Portier hinter mir. „Aber...“

„Gibt es ein Problem?“, sagte ich und hielt inne, während sich andere Gäste hinter mir anstauten.

Der Portier blickte auf meinen Ring, dann auf sein Tablet, schien aber verwirrt. Ich zuckte nur die Schultern und ging weiter. Klar stand ich nicht auf der Liste, aber die Familie Bulatow war eingeladen. Also überließ ich es ihm, sich das zusammenzureimen. Es war nicht mein Problem, dass ich erst nach der Einladung ein Bulatow geworden war.

Ich hatte Lust, mich unter die Leute zu mischen, mir die örtliche Elite genau zu anzusehen, ihre Kräfte einzuschätzen, aber ich hatte nicht lange Gelegenheit dazu.

Gerade einmal 20 Minuten waren nach meinem Eintritt vergangen, als ich eine unangenehme Szene wahrnahm. Zwei Personen hoben sich von allen anderen ab: ein kleiner, dicker, kahlköpfiger Mann und ein stattliches, schönes Mädchen mit rabenschwarzem Haar. Ich wusste sofort, dass es Viktoria war.

Im Internet gab nicht viele Informationen über die Bulatows, aber im Schloss hingen mehrere Porträts von ihr an den Wänden. Eines war sicher: Der schöne Name ‚Viktoria‘ passte zu ihr. Sie war liebreizend, auch wenn ihr Gesicht Narben aufwies. Aber wenn alles nach Plan verlief, würde ich mich um diese kümmern. Ohne Probleme. Das hieß, vorausgesetzt, sie wollte sie loswerden. Wer weiß? Vielleicht trug sie sie mit Stolz, wie eine Kriegerin ihre Kampfnarben. Ich hatte manche getroffen, die eine große Schwäche für so etwas hatten.

Wenig später wurde die Unterhaltung zwischen den beiden hitziger, der Dicke brauste auf, erhob die Hand und schickte sich tatsächlich an, die Gräfin zu schlagen.

In dem Moment war ich nicht weit weg, hatte es aber nicht eilig, mich einzumischen. Denn ich hatte das Gefühl, ich sollte sie beobachten und abwarten, was sich entwickelte. Aber es war mir nicht vergönnt, lange im Hintergrund zu bleiben. Der fette Narr stand mit erhobener Hand da und erfüllte sie mithilfe seiner Gabe mit Kraft. Ja, ich merkte, dass mehr hinter der Szene steckte. Viktoria musste eine scharfe Zunge haben, in Anbetracht dessen, wie gekränkt er war. Und ein Feigling war sie auch nicht... Von dort, wo ich stand, konnte ich sehen, dass sie nicht in bester Verfassung war, und doch hatte sie ihn provoziert.

Ich musste handeln. Ich machte einen Schritt vor und fing die Hand des Vizegrafen ab. Dreckskerl! Er hatte sie mit Energie getränkt! Ich konnte nur kleine Veränderungen an seinem Körper vornehmen. Ich schwächte die Nervenleitungen ein wenig, was ihn nicht allzu sehr beeinträchtigen würde. Er war in der Tat stärker als ich, so traurig es mich stimmt, das zugeben zu müssen, und so konnte ich ihn nicht viel beeinflussen.

„Ich darf doch sehr bitten, die Hände von meiner Verlobten zu lassen!“, sagte ich und aktivierte meine Aura.

Der Vizegraf war verblüfft, um es vorsichtig auszudrücken. Wie konnte jemand es wagen, ihn so zu behandeln?

Viktoria war ebenfalls schockiert, wahrscheinlich weil sie den Ring ihres Vaters an meiner Hand bemerkte.

„Wer zum Teufel bist DU?“, fragte der Vizegraf, Wut und Verachtung auf seinem Gesicht.

Er versuchte, seine Hand zu befreien, aber vergeblich. Ich hatte eine Menge Energie hineinfließen lassen, genauso viel, wie ich dafür aufgewendet hatte, seinen Griff zu schwächen. Und mit jeder Sekunde durchdrang meine Energie seine Abwehr mehr. Doch mir fehlte die Kraft, ihm nennenswerten Schaden zuzufügen.

„Ich? Wie kommst du darauf, dass ich mich deinesgleichen vorstellen müsste?“ Ich genoss es, seinen Gesichtsausdruck zu beobachten.

Er wandelte sich in raschem Tempo. Jetzt waren die Adern an seiner Stirn geschwollen, sein Gesicht rot, und er sah aus wie kurz vor dem Platzen.

Indessen war das Haus voll mit Aristokraten, die alle mit ihren Dingen beschäftigt waren. Niemand beachtete uns jemand großartig. Anscheinend waren solche Scharmützel hier nicht ungewöhnlich. Und obwohl ich davon ausging, dass Aristokraten alle gebildete Leute waren, kam mir dieser Vizegraf wie ein hundsgemeiner Prolet vor, sowohl was das Aussehen als auch die Manieren betraf.

So wie zum Beispiel jetzt. Er gab seine wahre Natur preis, indem er alle im Raum anschrie. Es war so einfach, ihn auf die Palme zu bringen. Es war genug gewesen, mich nicht vorzustellen. Viktoria hatte ich zwar noch mehr überrascht, aber mein Ziel hatte ich erreicht. Vizegraf Snegirew forderte mich zum Duell heraus.

Mittlerweile scharten sich bereits alle um uns, sodass jedermann seine Worte hörte. Und allen war klar, dass er mich nur deshalb zum Duell herausgefordert hatte, weil ich ein Heiler war. Wie gut, dass hier alle dachten, Heiler seien schwach. Sie wussten nicht, dass Heilen ein zweischneidiges Schwert war.

Kapitel 2

MIT SO ETWAS HATTE Andrej Snegirew nicht gerechnet. Er wurde überrumpelt. Noch vor einer Sekunde hatte er gefühlt, dass der Sieg nahe sei und er bald ‚Graf Snegirew‘ wäre, doch dann war wie aus dem Nichts dieser Fremde mit den leuchtend grünen Augen aufgetaucht. Noch dazu trug er den Ring der Familie Bulatow, und das bedeutete, dass Snegirew es nicht mit irgendeinem zufälligen Verrückten zu tun hatte.

Doch als der Vizegraf erkannte, dass der Fremde ein Heiler war, atmete er erleichtert auf. Tatsächlich musste er fast über die Dummheit des alten Grafen lachen. Wie verzweifelt musste er gewesen sein, den Ring der Familie der erstbesten Person zu geben, die ihm begegnet war! Obwohl es, zugegeben, enttäuschend war, dass es ihm überhaupt gelungen war. Man hatte Snegirew erzählt, die Familie Bulatow würde für immer verschwinden.

Wie dem auch sei, es war kurzsichtig von dem alten Bulatow gewesen, seine Familie einem Heiler anzuvertrauen. Kein Heiler konnte sie retten. Jeder wusste, dass Heiler von Natur aus schwach waren. Auf der ganzen Welt gab es nur wenige, die sich einen Namen gemacht hatten, und das auch nur als Heiler und nicht durch irgendeine Art von Macht. Und jetzt, da ein Krieg zwischen den Familien im Gange war, war Stärke gefragt. ‚Wer die Macht hat, schafft das Recht.‘ Basta.

„Das ist also dein Verteidiger, Viktoria?“ Snegirew sah die erstaunte junge Frau spöttisch an. „Mir scheint, er ist auf der schwachen Seite. Lass es mich dir demonstrieren“, fuhr er fort, konzentrierte sich, schickte einen kleinen Energieball in seine offene Handfläche und warf ihn dem frischgebackenen Kopf der Familie Bulatow ins Gesicht.

Der Fremde sah ihn unverwandt an. Er war beunruhigend gelassen. Und das, obwohl er gerade zu einem Duell auf Leben und Tod herausgefordert worden war. Der Vizegraf war überrascht, denn er war sicher gewesen, dass der junge Mann zumindest erschrocken wäre, und dass er sogar versuchen würde, sich aus der Affaire zu ziehen. Doch anstatt sich zu fürchten, blickte der Fremde den Vizegraf weiterhin nur verächtlich an.

Dann fletschte er die Zähne und sagte: „Ich nehme deine Herausforderung an.“

Eine Menschenmenge begann sich um sie herum zu sammeln, und alle begannen über das Geschehen zu reden. Solche Spektakel fanden nur noch selten statt, und die Aristokraten fanden es toll.

Andrej Snegirew stand da und lächelte, im Vorgeschmack seines leichten Sieges. Was für ein Idiot musste man sein, um Ja zum sicheren Tod zu sagen? Aber das war nicht die Hauptsache. Sobald dieser erbärmliche Heiler tot war, wären Snegirews Probleme gelöst. Dass er hier aufgetaucht war, bewies, dass das neue Oberhaupt der Bulatow-Familie ein Vollidiot war. Der Kerl war dem Untergang geweiht!

* * *

Gut, dass ich das Buch über aristokratische Etikette gelesen hatte. Es war langweilig gewesen, und es kam selten vor, dass mich ein Buch langweilte — ich denke, das machte es wohl zu einem seltenen Buch –, aber ich hatte gewusst, dass es nützliches Wissen beinhaltete. Also hatte ich es von vorne bis hinten durchgelesen. Daher wusste ich nun, was es zu bedeuten hatte, als Snegirew mir diese pure konzentrierte Energie ins Gesicht geschleudert hatte. Sie richtete zwar keinen Schaden an, war aber unangenehm. So forderten sich diese Aristokraten gegenseitig zu Duellen heraus. Mir war aufgefallen, dass solche Duelle in der Regel auf Leben und Tod ausgetragen wurden, es gab allerdings Fälle, in denen sie abgebrochen werden konnten. Der Sieger musste den Besiegten nicht töten.

Wäre die Herausforderung laut ausgesprochen worden, hätte es kein Duell auf Leben und Tod bedeutet. Aber mit Energie ins Gesicht geschlagen zu werden, war ein Mittel, um jemanden zu demütigen, als wollte man sagen: „Sieh dir all die Energie an, die ich habe, du Penner! Ich kann einfach damit um mich werfen, also kann ich dich genauso einfach zerquetschen!“

Es war lustig, den Vizegrafen und dessen Stimmungswechsel zu beobachten. Er wollte mich so gern demütigen, mir Angst machen, aber es gelang ihm nicht. Ich hatte mit ausdrucksloser Miene zugestimmt, was ihn verunsicherte. Ich hätte nie gedacht, dass es so einfach sein würde. Ich war gekommen, um Viktoria zu holen, doch nun konnte ich zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen. Ich liebte es, wenn alles sich so einfach fügte.

Nun, vielleicht nicht alles. Soweit ich es beurteilen konnte, ließ die Art, wie unsere Familie in letzter Zeit behandelt worden war, zu wünschen übrig, doch dieses Duell war meine Chance, alles zu ändern. Mir war klar, dass man uns niemals lieben würde. Aber ich hoffte, man würde es sich zweimal überlegen, bevor man uns in die Quere kam. Wirklich, das war perfekt.

Der lokale Adel tummelte sich um uns herum, unterhielt sich darüber, was geschah, und freute sich auf ein Spektakel.

„Ist das das neue Oberhaupt der Familie Bulatow?“, fragte ein hübsches Mädchen mit einem Glas Wein in der Hand sichtlich überrascht.

„Ja“, sagte ihre Freundin und fügte hinzu: „Er ist niedlich! Wo kommt er denn her? Ich dachte, sie hätten keinen Erben.“

„Ich habe gehört, dass der ehemalige Graf in seiner Notlage seinen Ring einem Bürgerlichen geschenkt hat“, war eine andere Stimme zu hören, und die Menge griff das Gerücht schnell auf:

„Ganz genau. Es ist eindeutig, dass er ein Bürgerlicher ist. Und jetzt hält er sich für einen Grafen.“ Ein etwa achtzehnjähriger Junge zeigte mit dem Finger auf mich, bevor sein Vater ihm einen Klaps auf den Kopf gab.

„Lernt ihr denn gar nichts mehr in der Schule?“, fragte ein älterer Herr in Militäruniform. „Wenn man den Ring einem Bürgerlichen gibt, stirbt er sofort an der freigesetzten Energie.“ Er schüttelte den Kopf.

Ich schenkte dem Geschwätz keine Beachtung. Einige waren empört, dass der Vizegraf einen vermeintlich wehrlosen Heiler zum Duell herausgefordert hatte. Andere spekulierten, dass ich nicht einmal zehn Sekunden überleben würde. Sollten sie ihren Spaß haben. Was kümmerte es mich?

„Zeit und Ort?“, fragte Snegirew mit boshaftem Grinsen, „Wie ich verstehe, willst du es nicht hier und jetzt?“

Wollte er das Duell etwa hinauszögern?

„Aber warum denn nicht? Bringen wir es hier und jetzt hinter uns.“ Ich zuckte die Schultern, und sein Grinsen verrutschte. „Man muss den Müll gleich entsorgen, sonst fängt es noch an zu stinken. Ja, ich denke, es ist am besten, wenn wir es gleich hinter uns bringen. Dir muss klar sein, dass deine Beleidigungen Anlass zum Krieg wären, aber da wir uns schon im Krieg befinden, kommen wir doch einfach zur Sache.“

„Wie kannst du es wagen...“, stotterte er. Dann sagte er stirnrunzelnd: „Du hast nicht einmal eine Waffe.“

Genau. Die Söldner hatten die meisten wertvollen Dinge gestohlen, und außerdem hatte ich nicht das Gefühl, dass ich als Graf mit einem Schwert herumlaufen musste. Zudem war ich ohne Schwert besser dran als mit. Ich hatte nicht vor, mich mit einer billigen Klinge zu blamieren.

„Ich sehe aber, dass du eine hast“, sagte ich und zeigte auf sein offensichtlich teures Schwert. „Ich werde sie zu meiner machen, sobald wir mit dem Duell beginnen.“

Ich merkte, dass ich ihn zur Weißglut treiben konnte. Mit jedem Wort von mir schwollen die Adern an seinen Schläfen mehr an. Vielleicht brauchte ich nicht einmal das Duell, um ihn auszuschalten? Vielleicht konnte ich einen Schlaganfall bei ihm provozieren, indem ich einfach weiterredete, und dann zögern, ihn zu behandeln. Das wäre ein würdiger Schlusspunkt für die Fehde unserer Familien.

Aber nein — er besaß eine recht starke Gabe und würde nicht so leicht sterben. Seinen Körper heimlich zu manipulieren, wäre auch schwierig für mich geworden, also musste ich offen und ehrlich gegen ihn kämpfen.

„Ist es in Archangelsk üblich, die Schwächeren zum Duell herauszufordern?“, hörte ich eine autoritäre Stimme hinter mir und drehte mich nach ihr um. Die Menge teilte sich, und ich sah eine junge Frau in augenscheinlich teurer Kleidung. Das Gesicht kam mir bekannt vor. Richtig, es war die Prinzessin Rjasantsewa. Ich fragte mich, wie sie hier gelandet war.

Sie bedachte den Vizegrafen mit einem geringschätzigen Blick und fuhr fort: „So verschaffen Sie sich also Genugtuung? In Moskau würde man Sie dafür verachten.“

Das war wieder ein Punkt für mich. In meiner Zeit in der Taverne sämtliche Prinzen und ihre Familien zu studieren, war keine Zeitverschwendung gewesen. Man musste die Mächtigen dort, wo man sich niederließ, immer gut kennen, und zwar in- und auswendig.

„Liebe Prinzessin, was sagen Sie da?“ Snegirews Gesichtsausdruck wandelte sich prompt. „Wie können Sie nur so schlecht von mir denken? Ich wünsche, das Stellvertreterrecht auszuüben.“

Er verbeugte sich fast bis zum Boden, während ich schweigend dastand. Er war so kriecherisch, dass mir übel wurde.

„Ich werde Pavel Petrunin, meinen Diener, statt meiner einsetzen! Er hat nur den achten Rang, es wird also Kräftegleichgewicht herrschen“, fuhr Snegirew kriecherisch fort.

Die Fürstin schüttelte jedoch nur seufzend den Kopf.

Augenblicklich ging ein Raunen durch die Menge — ein Diener gegen einen Grafen! Von der Hand eines Bürgerlichen zu sterben, noch dazu in einem Duell, war so ziemlich die größte vorstellbare Schande für jede Familie.

Der Vizegraf hingegen strahlte.

---ENDE DER LESEPROBE---