Die ideale Welt für den Soziopathen (Buch 2): Ein apokalyptisches LitRPG-Abenteuer - Oleg Sapphire - E-Book

Die ideale Welt für den Soziopathen (Buch 2): Ein apokalyptisches LitRPG-Abenteuer E-Book

Oleg Sapphire

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Beschreibung

Manch einer wünscht sich die Chance, das eigene Leben zu verändern, aber man sollte vorsichtig sein, was man sich wünscht. Das System bietet diese Möglichkeit... Schade nur, dass die Überlebenschancen begrenzt sind. Varg hat die Chance auf ein neues Leben erhalten, aber kann er den Widrigkeiten dieses neuen Lebens standhalten? Neue Feinde, neue Freunde und neue Probleme lassen nicht lange auf sich warten. Die Frage ist nur, wen Varg mehr fürchten sollte – Feinde oder Freunde...

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Inhaltsverzeichnis

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Über den Autor

Oleg Sapphire

Die ideale Welt

für den Soziopathen

Buch 2

Magic Dome Books

Die ideale Welt für den Soziopathen

Buch 2

Copyright © Oleg Sapphire 2023

Covergestaltung © Sonya Vasilchenko 2023

Designer: Vladimir Manyukhin

Deutsche Übersetzung © Elisabeth Neumayr 2023

Herausgegeben von Magic Dome Books 2023

Anschrift: Podkovářská 933/3, Vysočany, 190 00

Praha 9 Czech Republic IC: 28203127

Alle Rechte vorbehalten

Dieses Buch ist nur für deine persönliche Unterhaltung lizensiert. Das Buch sollte nicht weiterverkauft oder an Dritte verschenkt werden. Wenn du dieses Buch mit anderen Personen teilen möchtest, erwirb bitte für jede Person ein zusätzliches Exemplar. Wenn du dieses Buch liest, ohne es gekauft zu haben, besuche bitte deinen Shop und kaufe dir dein eigenes Exemplar. Vielen Dank, dass du die harte Arbeit des Autors respektierst.

Die Personen und Handlung dieses Buches sind frei erfunden. Jede Übereinstimmung mit realen Personen oder Vorkommnissen wäre zufällig.

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Kapitel 1

KAUM WAR ICH DER GRUPPE beigetreten, schüttelte mir der Kommandant zufrieden lächelnd die Hand.

„Oh, wow... nicht übel“, platzte Fedja heraus, der die ganze Zeit über geschwiegen hatte, als er das neue Level der Gruppe sah.

An den überraschten Gesichtern der anderen war abzulesen, dass sie ebenfalls beeindruckt waren.

„Ich will dir nicht zu nahe treten mit aufdringlichen Fragen, aber kannst du mir verraten, welches Level du im Moment hast?“, fragte der Kommandant.

„Level 8, wieso?“

„Verfluchte Sch…“, krächzte der Kommandant. „Wann hast du das denn geschafft?“

„Dank dir wurde unser Gruppenlevel auf drei erhöht“, erklärte Fedja die allgemeine Verblüffung.

Aha, so war das also... Je stärker die Gruppenmitglieder, desto höher das Gruppenlevel.

„Da ich nun schon eurer Gruppe beigetreten bin, hätte ich auch eine Frage.“ Ich wandte mich direkte an den Kommandanten.

„Ich bin ganz Ohr“, antwortete dieser bereitwillig.

„Kannst du mir erklären, warum jedes Mal, wenn ich in dein Büro komme, mindestens zehn Leute hier sind, aber immer nur du oder Fedja mit mir sprechen?“

Diese Frage hatte ich mir schon öfter gestellt.

„Ach... Ach das meinst du. Das ist ganz einfach erklärt.“ Er nickte in Richtung der um den Tisch sitzenden Soldaten. „Ich habe ihnen verboten, mit dir zu reden.“ Der Kommandant und Fedja grinsten.

Genau wie ich vermutet hatte.

„Und aus welchem Grund?“

„Wie soll ich es ausdrücken.“ Er überlegte kurz. „Nehmen wir zum Beispiel Michail hier.“ Er wies mit dem Kopf auf einen älteren Mann. „Unser Fernmeldechef. Er ist das ranghöchste Mitglied der Fernmeldetruppe und für das Sammeln von Informationen zuständig. Er hat fünfundzwanzig Jahre in der Armee gedient und hat eine ruppige Art, besonders jungen Rekruten gegenüber. Er würde dich behandeln wie einen von ihnen, und dir würde das nicht gefallen. Es würde zu einem Konflikt kommen, Blut würde fließen. Wie du sicherlich bemerkt hast, respektiere ich dich und deine speziellen Fähigkeiten und halte mich nach Möglichkeit aus deinen Angelegenheiten raus.“

„Eine sehr vernünftige Einstellung“, nickte ich, nachdem ich mir die Sache kurz durch den Kopf gehen hatte lassen. „Dann halten wir es am besten weiter so, mir soll’s recht sein.“

„Alles klar“, meinte der Kommandant mit einem Gesichtsausdruck, der irgendwo zwischen Grinsen und Lächeln einzuordnen war.

Der weitere Verlauf der Besprechung interessierte mich nicht, also ging ich nach Hause, um mich genauer damit zu befassen, was diese Systemgruppe eigentlich darstellte. Als Erstes stellte ich fest, dass die Mädchen noch nicht beigetreten waren, was mich beruhigte. Es wäre unangenehm gewesen, wenn sie das hinter meinem Rücken getan hätten. Als Zweites bemerkte ich die neue Kategorie „Gruppe“ in meiner Statusanzeige, in der ich mir alle Mitglieder ansehen und ihnen sogar Nachrichten schicken konnte. Ein weiterer Vorteil war, dass man es hier sehen konnte, wenn ein Verbündeter getötet worden war. Wenn ein Mitglied der Gruppe starb, bekam der Anführer entweder den Namen oder den Nickname des Täters angezeigt. Fedot wusste also nun, wer seine Kameraden auf dem Gewissen hatte. Ich musste mich auf das nächste Zusammentreffen mit ihm und seiner Bande vorbereiten. Wenn er erfuhr, dass ich mit Polina zu tun hatte, könnte er auf dumme Gedanken kommen.

Der Gruppenstatus brachte aber nicht nur Vorteile, sondern auch Verpflichtungen mit sich. So war zum Beispiel von Gruppen-Challenges die Rede, was mich einerseits alarmierte, andererseits in einen Zustand freudiger Erregung versetzte. Die letzte Challenge hatte mir wertvolle Boni eingebracht.

Ach, zur Hölle mit den Verpflichtungen! Diese Gruppe würde definitiv für frischen Wind sorgen. Und sie würde mir in Sachen Fortschritt und zuverlässiger Unterstützung sehr von Nutzen sein. Dass ich verwundet worden war, war meine eigene Schuld gewesen. Ich hatte meine Fähigkeiten überschätzt und die Rechnung dafür präsentiert bekommen. Zum Glück hatten sie mir diesen Fehler verziehen, sie hätten auch anders reagieren können.

Und ich hätte mir eine ordentliche Rüstung kaufen und die Feinde aus der Ferne erschießen können, aber nein, ich hatte unbedingt den Helden spielen müssen. Es wäre besser gewesen, auf die Verstärkung zu warten und dann aus deren Deckung zu agieren. Egal, beim nächsten Mal würde ich schlauer sein und alle töten. Ich würde keine Gefangenen mehr nehmen.

„Was wollten sie denn von dir?“, fragte Polina, kaum dass ich durch die Tür getreten war.

Es dauerte eine Weile, bis ich den Mädchen alles erzählt hatte. Sie hörten sich alle Neuigkeiten schweigend und aufmerksam an. Nur die Sache mit Fedot verschwieg ich, es hätte nichts gebracht, ihnen davon zu erzählen. Den Typen würde ich mir später vorknöpfen.

„Sollen wir auch der Gruppe beitreten?“, fragte Polina im Namen aller Anwesenden, nachdem sie meinen Bericht zu Ende gehört hatten.

Damit hatte sie klar zum Ausdruck gebracht, wer hier das Sagen hatte und dass sie tun würden, was ich für richtig hielt. Diese Einstellung gefiel mir, sie löste ein seltsames Gefühl in meiner Brust aus.

„Ich denke, ihr solltet beitreten. Aber wenn sie dann kommen und euch irgendwelche übertriebenen Reche oder Pflichten aufbürden, die euch nicht gefallen, dann schickt sie ruhig zu mir oder zum Kommandanten.“ Eine solche Manipulation konnte ich nicht ausschließen. „Und wenn sie sich weigern, dann schickt mir eine Nachricht über das Gruppensystem. Dann komme ich sofort und kümmere mich darum.“

„Entschuldigung... Darf ich eine Frage stellen?“ Oho, die kleine Anja hatte sich zu Wort gemeldet und sah mich schüchtern an. Irgendwie erinnerte sie mich an mich selbst.

„Ich bin ganz Ohr. Nur nicht so schüchtern, ich fresse dich schon nicht auf.“ Ich setzte meine gutmütigste Miene auf.

„Pfft... Da redet der Richtige“, mischte Polina sich ein.

„Wie meinst du das?“, fragte ich verständnislos.

Polina seufzte tief. „Darf ich dich umarmen?“, fragte sie dann. Ich erstarrte auf der Stelle, während mein Blick unwillkürlich zur Tür huschte.

„Genau das meine ich.“ Sie grinste.

Alles klar, sie spielte darauf an, dass ich in solchen Dingen selbst nicht das beste Vorbild war. Immerhin machte ich Fortschritte. Meine Reaktionen ihnen gegenüber waren fast schon normal.

„Alles klar.“ Ich hob entwaffnet die Hände. „Das mit der Umarmung war nur ein Test.“

„Und wenn nicht? Würdest du mich wegstoßen?“ Sie ließ nicht locker. „Oder erstarrten wie ein Ölgötze?“

„Moment mal, Stopp! Hör sofort auf mit diesem Gerede, wenn du nicht willst, dass ich vor dir genauso viel Angst habe wir vor allen anderen.“ Ich spielte meinen Trumpf aus und versuchte zugleich, es scherzhaft klingen zu lassen.

„Erstaunlich.“ Polina schüttelte den Kopf. „Der Große Varg! Die halbe Unterkunft zittert vor ihm, und er weiß nicht, was er einer zarten Frau antworten soll.“

„Ja, das ist mir bewusst.“ Ich konnte nicht widersprechen. „In Ordnung, Anja, bitte entschuldige. Du wolltest mich etwas fragen?“

„Mhm.“ Sie knetete nervös den Saum ihres Sommerkleides.

„Keine Angst, frag ruhig.“

„Darf ich Papa zu dir sagen?“, brachte das Mädchen verlegen hervor.

„Na klar, du...“ Ich hatte den Satz begonnen, bevor mir klar wurde, was sie gerade gefragt hatte.

In meinem Kopf begann es zu summen, ich spürte einen plötzlichen Druck hinter den Schläfen, mein Blick wurde verschwommen, und das unschuldige Kind starrte mich besorgt an. Polina lächelte und Lisa, die grade an ihrem Tee genippt hatte, stellte die Tasse ab und runzelte die Stirn.

„Dann will ich aber auch Papa zu dir sagen.“ Sie warf sich stürmisch auf mich und zog an meiner Hand.

Gleichzeitig streckte sie ihrer Freundin die Zunge heraus, was diese wiederum zu ärgern schien. Anja ballte die kleinen Fäuste und schmiegte sich schüchtern an meine andere Seite.

„Papa, Papalein...“ Ich hörte ihre Stimmen dumpf, wie unter Wasser, während mein Bewusstsein versuchte, mich von dieser schockierenden Wendung abzuschirmen.

Die weitere Entwicklung nahm ich nur noch verschwommen, wie im Traum wahr. Ich wurde irgendwohin gezerrt, irgendetwas gefragt, während ich mit starrem Blick ins Leere schaute, immer noch im Schock über das Vorgefallene, und den Mund nicht aufbekam. Was für eine Ironie. Ich konnte ein noch so hohes Level haben, mühelos Essen beschaffen und alle ringsum in Angst und Schrecken versetzen, im Umgang mit Kindern war ich machtlos und wurde in einen Zustand versetzt, der irgendwo zwischen Ohnmacht und Schockstarre lag. Die meisten anderen Menschen lösten bei mir ein vages Unwohlsein aus. Warum hatten ausgerechnet diese beiden Mädchen einen so starken Einfluss auf mich? Fragen über Fragen, und keine Antworten in Sicht.

Mit der Zeit beruhigte ich mich ein wenig und begann wieder, normal zu denken, während mein Blick sich auf einen Punkt konzentrierte. Als ich zu mir kam, saß ich allein im Wohnzimmer, meinen mittlerweile kalten Tee immer noch vor mir.

Hm, sie hatten mir wohl Zeit geben wollen, um mich zu erholen. Das war gut. Ehrlich gesagt hatte ich noch nie einen Gedanken an Kinder verschwendet. Ich hatte ja noch nicht einmal eine normale Beziehung zu einem Mädchen gehabt. Mein früheres Leben war grau und eintönig gewesen. Doch nun... Von einem Leben wie diesem hätte ich früher nicht einmal zu träumen gewagt. Jeder Tag bot neue Erlebnisse und Erfahrungen, und ich konnte tun und lassen, was ich wollte, ohne von irgendjemandem verurteilt zu werden.

Da kam mir ein Gedanke: Vielleicht hatte das System eine Antwort darauf, was bei mir im Moment los war. Zeit, die blauen Kästchen zu öffnen.

Du hast eine Faktenkarte erhalten.

Du erhältst Fakt Nr. 122:

Die neue Welt birgt viele Gefahren. Sei wachsam!

Ach nee, darauf wäre ich nie gekommen. Verdammter Mist. Na schön, dann mal weiter.

Du hast eine Faktenkarte erhalten.

Du erhältst Fakt Nr. 179:

Systemgegenstände können verstärkt werden. Dazu benötigst du zwei identische Gegenstände desselben Levels.

Schon besser. Nun wusste ich, dass es Sinn machte, zwei gleiche Gegenstände zu kaufen. Nur schade, dass auf dem Marktplatz meist nur ein Exemplar angeboten wurde. Einige wenige Dinge hatte ich in zweifacher Ausführung gesehen, aber die meisten waren Einzelstücke. Ich trank einen Schluck kalten Tee und überlegte. Die Auskunft lieferte keine Informationen über die Eigenschaften von Gegenständen, was mir die Auswahl erschwerte. Ich musste eine identische Lederrüstung finden und sie verbessern, da sie sich im Kampf gut bewährt hatte und mir schon einmal das Leben gerettet hatte. Auch mein Bogen war gut, aber ab und zu fehlte es ihm an Kraft. Manchmal hatte ich sogar das Gefühl, ich könnte ihn zerbrechen, wenn ich ihn zu stark spannte. Immerhin wurde ich mit jedem Level stärker, mein Bogen jedoch nicht.

Ich betrat wieder den Marktplatz und begann, ihn zu durchstöbern. Ich fand meine Rüstung, und zwar sogar mehrfach. Sofort kaufte ich die Leichte Lederrüstung, Level 2 und öffnete die Karte. Hm, die Rüstung schien sich von meiner zu unterscheiden. Zum Vergleich holte ich meine alte Rüstung aus dem Badezimmer, die Polina ungeachtet des Risses auf der Brust gereinigt hatte. Ich legte beide nebeneinander und untersuchte sie sorgfältig. Auf den ersten Blick schienen sie identisch, aber es gab kleine Unterschiede in Farbe und Textur. Eine Rüstung auf Level 2 war offenbar robuster. Nun musste ich nur noch herausfinden, wie ich sie verbinden konnte. Doch das erwies sich als recht einfach, man konnte von selbst draufkommen. Man musste die beiden Rüstungen dazu nur nebeneinanderlegen und in Gedanken den Befehl zur Verstärkung geben.

„Leichte Lederrüstung, Level 1“ und „Leichte Lederrüstung, Level 2 können nicht miteinander kombiniert werden, da eine von beiden beschädigt ist.

Vielen Dank für diese Auskunft, liebes System.

Ich kaufte auf dem Marktplatz für fünf rote Kisten eine Reparaturset-Karte. Dann legte ich die Karte auf die kaputte Rüstung, wartete kurz und konnte zusehen, wie das Loch verschwand. Ich wiederholte meinen Versuch, ihr Level zu erhöhen, und musste erkennen, dass es immer noch sinnlos war. Einen Versuch war es wert gewesen.

„Leichte Lederrüstung, Level 1“ und „Leichte Lederrüstung, Level 2“ können nicht miteinander kombiniert werden, da sie nicht dasselbe Level haben.

Wieder öffnete ich den Markplatz, diesmal um ein Angebot zu veröffentlichen. Ich bot zwanzig graue Kisten für eine „Leichte Lederrüstung“. Das Level der gewünschten Rüstung gab ich absichtlich nicht an. Vielleicht hatte ich Glück und bekam eine Rüstung auf Level 10, man wusste ja nie. Ich hatte gut vier Stunden auf dem Marktplatz verbracht und war längst ins Schlafzimmer übersiedelt, um ungestört zu sein. Nun konnte ich den Nervenkitzel und die Spannung nachvollziehen, die Broker empfinden mussten, wenn sie an der Börse mit Aktien handelten.

Während ich wartete, durchstöberte ich den Marktplatz und vertiefte mich immer mehr in Angebot und Funktionsweise. Wenn man ein wenig Zeit investierte, konnte man hier ganz gute Geschäfte machen. So kaufte ich für einen Pappenstiel zwanzig Nahkampfwaffen in Kartenform. Jemand hatte sie für nur zwei graue Kisten angeboten. Diese Waffen könnte man natürlich in der echten Welt gewinnbringend weiterverkaufen, aber ich hatte keinen Bedarf an der lokalen Währung. Es gelang mir, mehrere Rüstungsteile zu annehmbaren Preisen und dazu noch ein paar Schilde zu ergattern. Außerdem kaufte ich alle Pfeile auf, die mir unterkamen. Für die nächsten paar Tage hatte ich damit einen ausreichenden Vorrat angelegt. Ich hatte nun nicht weniger als fünftausend Pfeile. Das reichte für die Jagd meiner Träume.

Ich hatte alles aus dem Marktplatz herausgeholt, was zu holen war. Unter anderem hatte ich eine Karte mit der Beschreibung „Leichte Lederstiefel, Level 1“ erworben und es mit etwas Glück geschafft, sie auf Level 3 zu verbessern. Das war zwar mühsam, aber es war die Sache wert.

Der Vorgang der Verstärkung war ganz interessant. Aus zwei Paar Stiefeln auf Level 1 machte ich ein Paar auf Level 2. Als Nächstes nahm ich wieder zwei Paar Stiefel auf Level 1 und verwandelte sie ebenfalls in ein Paar auf Level 2, und dann wurde aus zwei Paar Stiefeln auf Level 2 ein Paar auf Level 3. Die Vorstellung, wie viele Gegenstände man für diesen Vorgang zusammenkaufen musste, war erschreckend. Am Ende des Tages war ich vollkommen fertig, hatte dafür aber die folgenden Dinge in meinem Besitz:

Leichte Lederstiefel, Level 4

Leichte Lederrüstung, Level 3

Verstärkte Lederarmschienen, Level 4

Kurzbogen des Archawarischen Bogenschützen, Level 3

Dafür hatte ich stundenlang Unmengen von Gegenständen gekauft und miteinander kombiniert. Außerdem hatte ich einen ganzen Berg einfacher Pfeile, die ich quasi für ein Butterbrot gekauft hatte, und genug Waffen für zwanzig bis dreißig Leute, ebenfalls für eine lächerliche Summe erworben. Für die Soldaten kaufte ich außerdem ein paar Artefakte der Stromzufuhr sowie fünfundzwanzig Heiltränke. Mein Kistenvorrat war zwar praktisch auf null geschrumpft, aber ich war sehr zufrieden mit mir selbst. Man konnte es auch so sehen, dass ich sämtliche Kästchen und Kisten losgeworden war, für die ich keine Verwendung hatte.

Bevor ich schlafen ging, blieb noch eine letzte Sache, die ich auf später verschoben hatte. Ich musste alle roten Kästchen öffnen, von denen ich dreißig Stück hatte. Sie zu verkaufen, wäre ein Frevel gewesen, daher hatte ich sie für mich selbst behalten.

Mir war zwar klar, dass meine Hoffnungen wahrscheinlich nicht erfüllt werden würden, aber ich wollte dennoch mein Glück versuchen.

Das erste Kästchen enthielt einen „Pallasch der Hoffnung, Level 1“.

Das zweite ein „Anfängerstilett“.

Das dritte eine „Donnerklinge“, die unglaublich schlecht gemacht war und außer einem Blitzsymbol nichts mit einem Donner zu tun hatte.

Das zehnte schließlich enthielt eine Karte mit einfachen Pfeilen.

Im fünfzehnten fand ich einen „Kurzspeer aus Eisenbambus“. Da er kein Level hatte, war er für mich ebenfalls nutzlos.

Das dreißigste und letzte Kästchen enthielt die Karte „Berserkerschild, Level 1“.

Mit einem Wort ein Haufen Schrott. Da ich nichts anderes erwartet hatte, regte ich mich darüber gar nicht erst auf. Außerdem hatte meine erfolgreiche Einkaufstour auf dem Marktplatz meine Laune gehoben. Ein bisschen wurmte es mich aber doch, sodass mir die Lust aufs Schlafen vergangen war. Vielleicht lag das aber auch an dem Heiltrank, den ich mir einverleibt hatte. Oder daran, dass es erst sechs Uhr abends war und ich nichts zu tun hatte. Durch die Stadt zu streifen, würde Polina mir nicht erlauben, so lächerlich das auch klang. Ich war vom Handeln müde und sonst fiel mir nichts ein, womit ich die Zeit totschlagen könnte.

„Varg, wenn du einen Moment Zeit hast, komm bei mir vorbei. Quartiermeister“ Zum ersten Mal erlebte ich das Nachrichtensystem der Gruppe in Aktion.

Ganz schön praktisch, diese Gruppe, Mobiltelefone waren somit überflüssig. Was er wohl von mir wollte? Er war jedenfalls einer der wenigen Menschen, mit denen ich keine Probleme hatte und in deren Gegenwart ich zusammenhängende Sätze herausbrachte.

Na dann! Auf zum Quartiermeister...

Doch zuvor plünderte ich Polinas Alkoholvorrat aus den grauen Kisten, den sie hortete. Ich nahm zwei Literflaschen Whisky mit, dem Etikett nach zu urteilen nicht die billigsten, sowie zwei Flaschen französischen Cognac. Warum nicht? Ich konnte es mir leisten.

Das Problem mit den Lebensmittelkisten war, dass oft auch nutzlose Dinge dabei waren. Wenn man Pech hatte, erhielt man drei Flaschen Wasser, eine Packung Chips und eine Packung chinesische Instantnudeln.

Noch bevor ich das Lager erreichte, vergewisserte ich mich mit meinem Röntgenblick, dass der Quartiermeister an seinem Arbeitsplatz war. Er saß an seinem Tisch und las bei Kerzenlicht in einer alten Zeitung. Ich klopfte an und wartete auf die Erlaubnis, einzutreten.

„Hallo, Varg!“ Er legte die Zeitung weg und lächelte mir zu. „Ich hatte nicht erwartet, dass du so schnell hier aufkreuzt.

„Ich hatte gerade zufällig nichts zu tun, und da kam keine Nachricht.“

„Na wunderbar!“, meinte er zufrieden. „Ich habe etwas für dich.“

Der Quartiermeister ging zu einem Regal und nahm drei Karten. Ich gab vor, sehr erfreut zu sein, sonst hätte er sich womöglich gekränkt und mir nie wieder etwas gegeben. Der Quartiermeister gehörte, wie ich bereits wusste, zu den Menschen, die ihre Arbeit mit fast fanatischem Eifer erledigten. Da hatten wir etwas gemeinsam.

„Danke!“ Ich setzte ein glückliches Lächeln auf. „Pfeile kann ich immer brauchen.“

Zur Antwort grinste er wissend.

„Bemüh dich nicht, ich sehe doch, dass man dich damit nicht von den Socken hauen kann, aber was anderes haben wir im Moment nicht. Keine Sorge, ich weiß, wie viele Pfeile du bei jedem Spaziergang abschießt.“

„Freut mich, mit einem so verständnisvollen Menschen Geschäfte zu machen.“ Nun war mein Lächeln echt. „Wenn das so ist, dann habe ich auch etwas für dich.“

Ich holte die Waffen aus meinem Inventar und begann, sie auf dem Tisch abzulegen. Der Platz reichte nicht für alle, sodass ich einen ganzen Berg daneben aufstapeln musste.

„Ich dachte, eure Soldaten könnten etwas Hilfe gebrauchen, also habe ich beschlossen, meine Vorräte mit euch zu teilen.“ Ich wies mit dem Kopf auf die Waffen.

Der Quartiermeister wollte etwas erwidern, konnte vor Überraschung aber nur den Mund auf- und wieder zuklappen, was ziemlich lustig aussah.

Ich überließ ihm alle Waffen, die ich hatte. Nur den Speer und einen Dolch behielt ich. Das war längst überfällig, die Hälfte davon hatte nur nutzlos in der Abstellkammer herumgelegen, während die andere Hälfte Platz mein Inventar beansprucht hatte.

„Ich weiß nicht, was ich sagen soll. Oder wie ich dir das jemals zurückzahlen kann.“ Er wirkte für einen Moment verwirrt. „Aber ich lasse mir etwas einfallen, versprochen.“

„Nicht nötig, vergiss es. Du weißt doch, wie leicht ich an die Sachen herankomme.“ Ich griff nach meinem Bogen. „Mein Bogen ist perfekt für die Vernichtung von Zombies, ich brauche sonst nichts.“

Der Quartiermeister machte sich daran, die Waffen sorgfältig zu untersuchen, nachdem er eine Kerze geholt hatte. Mich schien er bereits vergessen zu haben. Er begann, alles in die Regale zu räumen und jeden Gegenstand fein säuberlich in seinem Heft zu notieren. Ein Bürokrat, wie er im Buche stand.

„He, Quartiermeister, die Waffen laufen dir nicht weg, die kannst du später sortieren“, rief ich ihm zu.

„Ach, du verstehst das nicht... Die materielle Basis beruht auf Ordnung“, murmelte er, ohne von seinen Notizen aufzublicken.

Na schön. Da er so beschäftigt war, ging ich zu dem Tisch, an dem er eben noch gesessen hatte, und begann, Lebensmittelkisten auszupacken. Mal sehen... Weg mit den Schokoriegeln, das Brot kann bleiben, der schwarze Kaviar auch... Hmm, mehr Butter wäre nicht schlecht... Während er seinen Waffenberg ordnete, deckte ich den Tisch und stellte den Whiskey und den Cognac dazu.

Als Tüpfelchen auf dem I montierte ich noch ein Artefakt der Stromzufuhr an der Wand, es war hier dunkel wie im Bärenarsch.

„Es werde Licht!“, rief ich. Dann lud ich den Energiekristall für eine Woche im Voraus auf.

Kapitel 2

„ICH WERD’ VERRÜCKT, was ist das denn?“, fragte der Quartiermeister und trat an den Tisch.

„Sag jetzt bloß nicht, dass du nicht trinkst.“ Zu spät war mir gedämmert, dass er vielleicht keinen Alkohol trank, das wäre unangenehm gewesen.

Er sah mich an, als wäre ich übergeschnappt.

„Natürlich trinke ich“, sagte er zu meiner Erleichterung. „Ich bin nur überrascht, dass dieses Angebot von dir kommt.“ Er überlegte kurz. „Wie soll ich dir das sagen. Na ja, es hat sich in der Unterkunft herumgesprochen, dass du nicht sehr gesellig bist und, sagen wir mal, einen schwierigen Charakter hast, und dann lädst du plötzlich mich, einen alten Mann, ein, mit dir zusammenzusitzen und einen zu trinken.“

„Es gibt für alles ein erstes Mal. Bei dem ganzen Chaos hat man keine Zeit, sich mal zu entspannen und ein Gläschen zu trinken.“

„Und das Licht?“ Er sah den Kristall an.

„Sollen wir etwa bei Kerzenlicht trinken? Das soll hier ja kein Date werden.“

„Auch wieder wahr.“ Der Quartiermeister lachte lauthals.

Er ließ sich nicht lange überreden, und wir leerten das erste Glas, und kurz darauf das zweite. Es hatte keinen Sinn, die Sache in die Länge zu ziehen, wie er sich ausdrückte.

„Sag mal, Varg, warum hast du eingewilligt, der Gruppe beizutreten? Wie ich das sehe, brauchst du uns nicht, wir dich hingegen sehr wohl.“ Seine Frage kam unerwartet.

Der Alkohol sorgte für ein angenehm warmes Gefühl in meiner Brust, und ich fühlte mich zum ersten Mal seit Langem so richtig entspannt.

„Ehrlich gesagt kann ich dir das auch nicht beantworten“, gestand ich. „Das Leben bei euch bringt mir auch Vorteile, wenn man bedenkt, wie viele Probleme ihr habt, die ich leicht lösen kann, um gleichzeitig mein Level zu erhöhen. Gut war auch, dass Polina gleich begonnen hat, mich zu bekochen. Ich weiß nicht, was ich machen würde, wenn ich jetzt plötzlich wieder nur Buchweizen und Dosenfleisch zu essen hätte.“

„Ich habe schon von Polinas Kochkünsten gehört.“ Der Quartiermeister nickte zustimmend. „Die anderen Frauen sagen, sie hätte ein Talent dafür, aus ein paar Abfällen ein Festmahl zuzubereiten.“

„Da haben sie recht, ihr Kochtalent ist wirklich einzigartig — oder vielleicht kommt mir das nur so vor. Ich habe mein ganzes Leben lang nur das billigste Zeug gegessen, viele Vergleichswerte habe ich also nicht.“

„Vielleicht ist das Wichtigste nicht das Essen selbst, sondern wer es kocht?“ Er kniff listig zu Augen zusammen, was mich verwirrte.

„Ich verstehe nicht ganz, worauf du hinauswillst, aber egal.“ Ich winkte ab. „Gieß ein, lass uns noch was trinken.“

Das war wahrscheinlich mein bester Tag seit Langem. Es machte mir Spaß, mit dem Quartiermeister zusammenzusitzen. Ich hörte mir seine Geschichten an, und er sich meine. Als die erste Flasche fast leer war, bekamen wir unerwartet Besuch vom Kommandanten.

„Was ist das für ein Gelage hier, mitten in der Apokalypse?“, brummte er.

„Kommandant, mach keinen Aufstand, nimm dir lieber ein Glas und setz dich zu uns.“ Der Quartiermeister ließ sich durch nichts aus der Ruhe bringen, nicht einmal durch den Mann, der hier das Kommando führte.

„Du immer mit deiner Insubordination“, beschwerte dieser sich, nahm aber ein Glas und setzte sich.

Die Zeit verging wie im Flug, während wir entspannt miteinander plauderten. Doch dann geschah etwas Unerwartetes.

Achtung, Überlebender! Du hast eine Einladung zu einer Challenge erhalten!

Es handelt sich um eine Gruppen-Challenge, die Teammitglieder werden nach dem Zufallsprinzip ausgewählt.

Eure Aufgabe ist es, den Vernunftbegabten zu retten.

Anmerkung: Es ist verboten, eigene Teammitglieder zu töten und der Gruppe dadurch Schaden zuzufügen! Jeder Verstoß gegen diese Regel wird bestraft. Ihr habt zwei Tage Zeit, um die Aufgabe abzuschließen! Du kannst die Teilnahme an der Challenge bestätigen oder ablehnen.

Ich stöhnte hilflos. Ich hatte mich schon so auf die nächste Challenge gefreut, und nun kam so etwas. Den Vernunftbegabten retten? Sicher irgendein hysterisches Weib, das mich zur Weißglut treiben würde. Und die Zuweisung der Teammitglieder per Zufall? Klar würde ich sie töten, wenn sie mir auf die Nerven gingen! Vielen Dank auch, liebes System.

Außerdem war ich immer noch verletzt, auch wenn ich mich ganz gut fühlte. So ein Trank konnte Wunder wirken.

Mit welchem Bedauern ich die Einladung ablehnte, war nicht in Worte zu fassen. Die Information verblasste, und ich beschloss, mich heute so richtig zu betrinken.

Wir vernichteten innerhalb kürzester Zeit den gesamten Alkohol, den ich mitgebracht hatte, als wäre er der schlimmste Feind eines jeden braven Soldaten. Aber natürlich hatten wir dann immer noch nicht genug, und so begab ich mich in meinen Kisten auf die Suche nach Nachschub. Offenbar fand ich ihn auch... Der Rest der Nacht verschwamm im Nebel.

* * *

Der nächste Morgen war grauenhaft. Gerade noch hatte ich bei den Männern gesessen, getrunken und gelacht, im nächsten Moment erwachte ich und wurde von den hellen Sonnenstrahlen geblendet, die durch die Ritzen des Fensters drangen. Ich konnte mich an nichts erinnern, am wenigsten daran, wie ich nach Hause gekommen war.

Verflucht... Mir war speiübel. Hatte mir jemand mit einem Hammer eins übergezogen, oder war ich buchstäblich auf den Kopf gefallen?

Im ersten Moment nach dem Erwachen war meine Sicht verschwommen, in meinem Kopf dröhnte es wie von zehn Helikoptern, und ich hatte Mühe, klar zu denken. Das Erste, was ich sah, als mein Blick sich endlich fokussierte, war die Decke des Schlafzimmers. Wenigstens etwas. Ich war erleichtert, dass ich nicht irgendwo eingeschlafen war, sondern die Kraft gehabt hatte, meine Wohnung zu erreichen. In meinem früheren Leben war es mehr als einmal passiert, dass ich weiß Gott wohin verschleppt worden war. Aber was ich dann sah, brachte meinen Kopf zum Explodieren. Auf meiner Brust lag Polinas Rotschopf.

Ich wagte nicht einmal, Luft zu holen, aus Angst, sie aufzuwecken.

Aaah... Warum... und vor allem wie... Was sollte ich tun, wohin sollte ich flüchten? War Flucht überhaupt eine Option? Vor mir selbst konnte ich nicht davonrennen, und was passiert war, war passiert. Aber was war überhaupt passiert? Was war bloß geschehen?

Ich fühlte mich so miserabel, dass ich nur stocksteif daliegen konnte. Ein schrecklicher Gedanke schlich sich in meinen Kopf. War es möglich, dass ich sie gezwungen hatte? Vor meinem inneren Auge erschienen Bilder, eines fürchterlicher als das andere.

Nein... sicher nicht... So ein Mensch war ich nicht.

Ich drehte langsam den Kopf so, dass ich Polina nicht weckte. Außer uns war niemand im Raum. Ich atmete erleichtert auf. Alles andere wäre noch unangenehmer gewesen. Ich konnte mir nicht erklären, wie es dazu gekommen sein konnte. Sie gefiel mir, klar, als Frau, aber meistens brachte ich in ihrer Gegenwart keinen geraden Satz heraus, und jetzt das. Der verfluchte Alkohol hatte offenbar alle Hemmungen ausgeschaltet.

„Bist du schon wach, Schatz?“ Plötzlich schlug sie die Augen auf und sah mich an.

Gleich würde ich erstarren... Moment, warum erstarrte ich nicht? Ich war ihr so nahe wie nie, aber ich spürte kein Unbehagen.

„Mhm...“ Das war das Einzige, was ich herausbrachte.

„Umso besser.“ Und dann geschah etwas, womit ich nicht gerechnet hatte. Ein unfassbar süßer, sinnlicher Kuss verschloss mir den Mund.

Als er vorbei war, zog sie sich zurück, streichelte meine Wange und sagte:

„Du erinnerst dich an nichts, stimmt’s?“ Sie lächelte. „Du brauchst nicht zu antworten, dein Gesicht sagt alles. Deine Trinkkumpanen haben dir gestern gesagt, dass ich Geburtstag habe, und du bist mitten in der Nacht gekommen, ziemlich beschwipst, um mir zu gratulieren. Ich frage mich immer noch, wo du die frischen Blumen aufgetrieben hast.“

Je länger sie sprach, desto verblüffter war ich. Ich fragte mich auch, woher ich die Blumen gehabt hatte. Ich erinnerte mich an nichts.

„Ich schätze, es wäre ein Fehler, zu fragen, was ich dir sonst noch geschenkt habe, oder?“ Ich versuchte, mich zu konzentrieren.

„Nuuun... ich schätze... ja.“ Sie lächelte verschmitzt. „Dann hast du verlangt, dass der Tisch festlich gedeckt wird, eine Flasche Cognac aus der Abstellkammer geholt, und dann sind wir noch eine Weile beisammengesessen. Du hast dich völlig anders benommen. Du hast gelacht, hattest Spaß und warst überhaupt nicht schüchtern. Und irgendwann waren wir dann allein.“

„Wie kam es, dass wir allein waren?“ Dieses Detail war mir nicht ganz klar.

„Es war schon sehr spät und Katja brachte beide Kinder in ihrem Zimmer zu Bett. Du hast ziemlich stark nach Alkohol gerochen, sie wollten nicht mit dir in einem Zimmer schlafen.“

„Aha, verstehe“, murmelte ich. Allerdings verstand ich gar nichts.

Dann kam mir ein anderer verstörender Gedanke.

„Aber sag bitte nicht, dass ich auch mit...“ Sie ließ mich nicht zu Ende sprechen, sondern lachte laut.

„Nein, mit Katja hast du nicht geschlafen“, beruhigte sie mich.

Das wäre wohl auch zu viel des Guten gewesen.

Eine Dummheit konnte man nur mit einer noch größeren Dummheit ausmerzen, wie man so schön sagte. Wahrscheinlich stimmte der Spruch. Polina gegenüber verhielt ich mich jetzt vollkommen normal, und das war für mich sehr ungewohnt.

Wieder brach mir der Schweiß aus. Mir fiel ein, dass ich Alkohol eigentlich hasste. Er hatte mich immer schon so enthemmt, dass ich in die unangenehmsten Situationen geriet. Andererseits, wenn es keinen Alkohol gäbe, wäre mein Sexleben wohl inexistent, um es milde auszudrücken. Verdammt, Alkohol war der einzige Antrieb zum Sex in meinem Leben.

Nun hatte es mich also „erwischt“, wie die Männer in solche Situationen zu sagen pflegten. Früher hatte ich den Sinn dieses Ausdrucks nicht verstanden, doch nun begriff ich langsam, wie sehr es mich „erwischt“ hatte. Der beste Beweis war die zufriedene Polina neben mir.

„Wir sollten wohl langsam aufstehen.“ Sie streckte sich und gähnte. „Ich mache uns was Leckeres zum Frühstück.“

Nackt wie sie war, erhob sie sich anmutig aus dem Bett und begann ungeniert, sich langsam anzukleiden, als wolle sie mich mit ihren ansprechenden Kurven absichtlich necken.

Die Kinder und Katja schliefen gemeinsam im zweiten Schlafzimmer, das ursprünglich Katja und ihrer Tochter zugeteilt worden war. Ach, System, was sie nun wohl von mir dachten...? Stopp!

Als Polina fertig war und den Raum verlassen hatte, begann ich ebenfalls, mich anzuziehen. Ich unterzog meinen Körper einer raschen Überprüfung und fand nicht einmal die Spur einer Narbe. Mein Bein war vollständig verheilt. Nun war ich wieder ein Kämpfer. Nach den jüngsten Ereignissen brauchte ich definitiv frische Luft und etwas Ruhe, um gründlich über alles nachzudenken.

Dieser Quartiermeister! Er hatte seinen Selbstgebrannten spendiert... Ein ganz hervorragendes Produkt, hatte er behauptet. Meine Erinnerungen waren allerdings mehr als lückenhaft.

Ich zog mich fertig an und nahm einen Heiltrank ein. Hoffentlich würde die Regeneration meine Kopfschmerzen vertreiben. Ich stand, gelinde gesagt, immer noch unter Schock.

Polina machte sich bereits in der Küche zu schaffen und klapperte mit den Tellern, während ich mich im Wohnzimmer an den Tisch setzte und überlegte, ob ich auf das Frühstück warten oder sofort auf die Jagd gehen sollte.

Klar, Igor, eine ausgezeichnete Idee, sich wie ein typischer Mann zu verhalten und sofort die Flucht zu ergreifen. Das bringt dir bei Polina sicher Pluspunkte ein.

Verflucht, mein Gehirn arbeitete immer noch nicht richtig. Ich zog noch einen Heiltrank heraus, schraubte den Deckel auf und goss ihn in mich hinein.

So sehr ich dieses Gespräch auch aufschieben wollte, es würde schneller stattfinden, als mir lieb war. Aus dem zweiten Schlafzimmer kamen die restlichen Mitglieder unserer Wohngemeinschaft.

Katja lächelte unergründlich. Lisa musterte mich mit einem wissenden Blick, nickte geschäftig und ging dann sofort zum Angriff über.

„Jetzt werde ich auf jeden Fall Papa zu dir sagen.“ Touché. „Oh, du bist nicht einmal erstarrt, gut gemacht.“ Der kleine Plagegeist zeigte mir ein Daumen-hoch.

Tatsächlich, ich war nicht erstarrt. Anscheinend hatte sich in mir drin etwas verändert.

Dann bekam ich von anderer Seite mein Fett weg.

„Sei nicht so frech zu Papa.“ Anja kniff sie in die Schulter.

Während Lisa ein kleiner Orkan war, war Anja das krasse Gegenteil — zurückhaltend und ruhig.

„Hmm...“ Katja betrachtete ihre Tochter erstaunt und brach dann in lautes Gelächter aus. „Was ist? Mir gefällt’s, gute Wahl, liebe Tochter.“ Sie umarmte das Mädchen von hinten.

Ich wünschte mir in diesem Moment nur, schnell den Umgang mit einer Schusswaffe zu erlernen, um mich zu erschießen. Um ganz sicher zu sein, dass ich ins Ziel traf. Das war der Nachteil an einem Bogen — man konnte sich damit nicht selbst erschießen.

„Besteht auch nur die geringste Chance, dass mein Leben von nun an nicht noch komplizierter wird?“ Die Hoffnung starb zuletzt.

Sie wechselten einen amüsierten Blick und schüttelten einhellig den Kopf.

Nun ja... Was hatte ich erwartet? Ich hatte mir ein unterhaltsames und abwechslungsreiches Leben gewünscht. Nun hatte ich es.

„Vielleicht funktioniert eine kleine Bestechung, hm?“ Ich spielte meinen letzten Trumpf aus.

„Ich glaube kaum.“ Katja sah mich grinsend an. „Anja hat ihre Wahl getroffen, und das bedeutet, dass du jetzt ihr Papa bist.“

„He!“ Der Aufschrei kam von Lisa.

„Was ist, bist du etwa eifersüchtig?“ Katja runzelte die Stirn. „Möchtest du nicht, dass Lisa deine Schwester wird?“

Lisa machte ein nachdenkliches Gesicht und ich begriff, dass alles längst beschlossene Sache war, ob ich nun wollte oder nicht.

„Doch, ich hätte gern eine Schwester“, meinte sie nach kurzem Überlegen zu meiner Verwunderung.

„Bitte erschießt mich...“, stöhnte ich erschöpft und ließ den Kopf auf den Tisch sinken.

* * *

Das Bauarbeiterviertel war zu Fuß zwei Stunden von der Unterkunft entfernt und wimmelte von Zombies. Mein Plan für heute lautete, dort mit Feuer und Schwert ordentlich aufzuräumen, und zwar, weil ich mich an die Schilderung des Quartiermeisters erinnerte, obwohl ich ziemlich betrunken gewesen war. Er hatte mir erzählt, er sei besorgt um seinen Sohn und seine Enkeltochter, die sich in der Stadt in dessen Haus aufhielten und keine Möglichkeit hätten, von dort zu entkommen. Gleich zu Beginn, als das Chaos losgebrochen war, hatten sie es nicht mehr geschafft, obwohl er seinen Sohn mehrmals gedrängt hatte, alles stehen und liegen zu lassen und zu ihm zu kommen. Nun war es nicht mehr so einfach, sich zur Unterkunft durchzuschlagen, schon gar nicht für einen Zivilisten mit einem Kind.

Der Quartiermeister tat mir leid, ich konnte mir vorstellen, wie er sich als Vater fühlte. Mit dem Gedanken zu leben, seine Familie vielleicht nie wieder zu sehen, war sicher schwer. Und während der Apokalypse war das der wahrscheinlichste Ausgang. In dieser Situation konnte er nur abwarten und hoffen, dass unsere Gruppe bald stark genug sein würde, um seine Familie zu retten.

Der Sohn des Quartiermeisters war vierzig Jahre alt und von Beruf Ingenieur bei der Armee. Er lebte mit seiner Tochter in einem kleinen Haus. Die ganze Zeit über hatte er, laut den Worten des Quartiermeisters, die Wohnungen im Umkreis nach Lebensmitteln durchkämmt und Zombies getötet. Er hatte das Glück gehabt, vom System die Fähigkeit „Steinmeister“ zu erhalten.

Mithilfe dieser Fähigkeit hatte er alle Eingänge und Fenster mit Steinen verbarrikadiert. Seine Fähigkeit war zwar stark, aber eher bei der Verteidigung als im Kampf nützlich. Der Quartiermeister hatte mich nicht um Hilfe gebeten, nicht einmal andeutungsweise. Der erschöpfte alte Mann hatte nur seine Sorgen mit mir geteilt und mir ein Foto seines Sohns und seiner Enkelin gezeigt. Ich hatte außerdem ihre Adresse erfahren, und nun war ich dorthin unterwegs. Er meinte, er habe wegen des Stromausfalls seit zwei Tagen nicht mehr mit seinem Sohn telefoniert und befürchte, dass er bereits tot sei.

Auf meinem Weg durch die Stadt sprang ich mithilfe meiner Blinzel-Fähigkeit von Balkon zu Balkon und von Dach zu Dach und erschoss nebenbei Zombies. Ab und zu traf ich auf Überlebende, nahm aber keinen Kontakt auf. Wozu auch. In der Ferne sah ich eine gewaltige Rauchsäule aufsteigen. Irgendwo war ein Brand ausgebrochen und niemand da, der ihn löschen konnte.

Auf meiner Route traf ich auf so viele Zombies, dass ich Zweifel bekam, ob ich die Verwandten des Quartiermeisters so einfach retten würde können. Versuchen musste ich es dennoch, vielleicht konnte ich ihnen zumindest ein paar Lebensmittelkisten geben, falls es zu schwierig wäre, sie rauszuholen. Oder ich konnte wenigstens das Mädchen wegbringen. Ich wusste nicht, wie meine Fähigkeit genau funktionierte, denn sie war ziemlich unberechenbar. Wenn ich das Mädchen berührte, würde es unsichtbar werden, aber wenn ich es bei einem Erwachsenen versuchte, würde ich womöglich ebenfalls sichtbar bleiben.

Mein aufgewerteter Bogen zeigte sich von seiner besten Seite und ließ sich straffer spannen, sodass ich mit den richtigen Pfeilen vielleicht bald sogar Mauern durchschlagen können würde. Im Grunde war es egal, womit ich die Zombies tötete, sogar Pfeile mit Knochenspitzen waren ausreichend. Auch meine Rüstung hatte einige Veränderungen erfahren. Sie war nur breiter und schützte sowohl die Schultern als auch die Hüften. Genau das hatte ich bisher schmerzlich vermisst. Die Armschienen und Stiefel sahen immer noch gleich aus, waren aber robuster geworden.

Als ich mich wieder auf einen Balkon blinzeln wollte, wäre ich um ein Haar in eine Falle getappt, bemerkte es aber wie durch ein Wunder gerade noch rechtzeitig. Was war das schon wieder für ein Mist?! Von einem Haus zum anderen waren, quer über die Straße hinweg, kaum wahrnehmbare, durchsichtige Fäden gespannt. Hm... Das erinnerte mich an etwas.

Ich zückte meinen Speer, um den nächstgelegenen Faden zu durchschlagen, an dem ich zuvor beinahe mit dem Kopf hängengeblieben wäre. Es gab ein metallenes Geräusch, wie beim Anschlagen einer Saite, doch der Faden blieb intakt. Da kam aus einem Fenster eine riesige, grausige Spinne mit roten Augen gekrabbelt. Was für eine gruselige Kreatur. Ihre Beine gruben sich in die Steinmauer des Gebäudes, als wäre sie aus Seife. Oha, war dieser verdammte Mutant etwa aus Eisen?

All das beobachtete ich bereits aus einer sicheren Position, während ich den Bogen spannte, nachdem ich mich sofort weggeblinzelt hatte.

Die Kreatur schwang den Kopf in alle Richtungen und gab ein grauenhaftes Schnalzen von sich, mit den Beinen oder Tentakeln, auf der Suche nach ihrem nächsten Opfer. Der erste Pfeil, den ich abschoss, traf das Monster ins Auge. Es krümmte sich vor Schmerz, krabbelte aber weiter. Was für ein Ungeheuer, verdammt... Ich opferte noch einen Pfeil, aber es wollte einfach nicht sterben, selbst den zweiten Pfeil steckte es mühelos weg.

Ich zog einen Kristallpfeil heraus und schoss ihm damit direkt in den Bauch. Er traf sein Ziel, und die Kreatur schrie so laut, dass es durch die ganze Straße hallte. Ihr Gebrüll lockte sofort aus allen Richtungen Zombies an. Die Spinne hing jedoch so hoch oben an ihren Fäden, dass die Zombies sie nicht erreichen konnten.

Ich änderte die Taktik und begann, auf die Stelle zu zielen, an der ein Bein aus der pelzigen Wampe wuchs. Das Bein brach mit einem Knirschen ab. Die Spinne verlor das Gleichgewicht und stürzte auf den Boden, wo die Zombies sich daranmachten, sie in Stücke zu reißen. Aber es war noch nicht vorbei. Die Kreatur lebte immer noch und kämpfte mit letzter Kraft gegen die Zombies, indem sie ihnen die Köpfe abbiss und mit ihren messerscharfen Beinen ihre Körper in zwei Teile schnitt. Schließlich siegten die Zombies, doch erst, nachdem sie in dem ungleichen Kampf etwa zwanzig „Mann“ verloren hatten. Diejenigen, die überlebt hatten, hatten dafür ordentlich was zu beißen.

Ich musste meinen Leuten von diesem Wahnsinn berichten, und ich selbst würde auch mehr auf der Hut sein müssen. Ich erreichte die gesuchte Adresse ohne weitere Zwischenfälle.

Das Gebäude war leicht zu finden, da es als einziges von einer Steinbarriere umgeben war. Ich begutachtete Peters Mauer, so hieß der Sohn des Quartiermeisters, und war beeindruckt. Die Steine wuchsen direkt aus dem Boden zwei Meter in die Höhe, sodass die Zombies sie nicht überwinden und nicht einmal einen Blick darüber werfen konnten. Höchstens ein Springer oder Kraftprotz konnte vielleicht hineingelangen, an die grausige Spinne wollte ich gar nicht denken.

Allem Anschein nach war hier gerade etwas im Gange. Mein Röntgenblick zeigte mir, dass der Sohn des Quartiermeisters große Probleme hatte. Oder er war ein Masochist, der sich selbst verprügelt und mit Handschellen an einen Heizkörper gefesselt hatte, und dann seine Freunde angerufen hatte, damit sie kamen und ihn auslachten. Außerdem sah ich ein Kind, das gekrümmt in einer Ecke hockte und, den Kopf auf den Knien, weinte. Die Mistkerle, die um ihre beiden Opfer herumstanden, hatten anscheinend einen Heidenspaß dabei, ihren Gefangenen zu verhören, dieser schwieg jedoch und starrte sie nur aus seinem einzigen nicht zugeschwollenen Auge finster an.

Ich hatte an diesem Morgen das Gefühl gehabt, meine Einstellung den Menschen gegenüber hätte sich zum Besseren verändert, doch nun... Nein. Nun war ich nur noch wütender. Jeder, der mir in die Quere kam, würde augenblicklich sterben.

War ich etwa umsonst den weiten Weg gekommen, nur um dabei zuzusehen, wie ein paar unbekannte Arschlöcher ihn umbrachten? Noch dazu vor den Augen seines Kindes?

Beim Anblick des weinenden Mädchens, das dabei zusehen musste, wie sein Vater misshandelt wurde, brach der letzte Damm in meinem ohnehin nicht ganz normalen Kopf. Ich fletschte die Zähne wie ein Raubtier, das loszog, um zu töten.

Kapitel 3

WIE JÄMMERLICH UND SCHWACH sie waren! Als ganze Gruppe über einen einzelnen Mann herzufallen und ihn zu traktieren, nur weil sie sicher waren, ungestraft davonzukommen. Zu sechst mit einer einzigen Waffe ausgestattet, aber dennoch so von sich selbst überzeugt. Sie wussten noch nicht, dass ich gekommen war, um sie zu holen, und wahrscheinlich würden sie es gar nicht mitbekommen.

Derjenige, der die Pistole in der Hand hielt, starb als Erster. Mein Pfeil durchbohrte sein Gehirn und nahm ihm zugleich den Verstand und das Leben. Er war gerade im Begriff gewesen, etwas zu Peter zu sagen und ihm einen Fußtritt zu verpassen.

Sinnlos brutale Arschlöcher, wie ich solche Typen hasste. Ihre grenzenlose Aggression und hemmungslose Gewalt fraßen sie von innen auf. Sie hätten ihre Opfer einfach töten können, um selbst stärker zu werden, oder sie gefangen nehmen. Aber das reichte ihnen nicht. Sie mussten ihre Überlegenheit auskosten, indem sie zwei schwächere Menschen quälten, von denen einer noch ein Kind war.

Der Zweite wurde ins Jenseits befördert, als er sich zu seinem Kameraden umdrehte und im selben Moment einen Pfeil in der Stirn stecken hatte. Die beiden anderen Männer saßen auf dem Boden und durchwühlten die persönlichen Besitztümer ihres Opfers. Sie konnten mich nicht sehen, aber das sollte sich gleich ändern. Von der Fensterbank aus konnte ich sie nicht mit Pfeil und Bogen erledigen, da ich bei dem Winkel, aus dem ich schießen hätte müssen, Gefahr lief, sie zu verfehlen. Ein Blinzeln später stand ich mitten im Zimmer. Mit dem Speer in der Hand und im Schutz der Unsichtbarkeit stürzte ich mich auf die Idioten, die immer noch nicht begriffen hatten, was hier vorging.

Ein kräftiger Hieb, und der Kopf des Rothaarigen flog von dessen Schultern. Eine schnelle Körperdrehung, und mein Speer durchbohrte die Brust des anderen Kerls. Er schrie vor Schmerz laut auf. Okay! Einmal am Speer gedreht, und schon stieg die Lautstärke. Leider verstummte der Schrei allzu schnell, schade. Es war faszinierend gewesen, in seine schreckgeweiteten Augen zu sehen, doch nun würde er nur noch die Luft verpesten. Schulterzuckend zog ich den Speer wieder heraus.

In Ordnung, wo waren die anderen? Ich sah, dass zwei den Eingang bewachten und zwei weitere in meine Richtung gerannt kamen. Der Erste würde gleich da sein, in drei, zwei, eins... Schuss. Mein Pfeil durchbohrte ihn exakt in dem Moment, als er die Tür öffnete und auf der Schwelle erschien. Ich gönnte mir einen Moment, um meine gute Arbeit zu bewundern.

Verdammt... Der zweite Mistkerl hatte die Richtung geändert, als er gesehen hatte, wie sein Kumpel mit durchbohrtem Kopf nach hinten geschleudert wurde. Ich suchte ihn mit meinem Röntgenblick und entdeckte ihn hinter einer Wand versteckt, von wo aus er den Typen am Eingang etwas zubrüllte, während er sich verzweifelt an seinen Schläger klammerte. Dieser Schläger war ein Unikat. Er hatte ihn mit Klebeband umwickelt, um Nägel daran zu befestigen, die wohl Löcher in Zombies reißen sollten. Auf diese Idee musste man erst mal kommen... Zombies zu durchlöchern! Was hatte er sich dabei gedacht? War er zu blöd, um zu kapieren, dass so etwas nur in Filmen funktionierte?

„Hey, wie wär’s, wenn du von selbst rauskommst? Oder muss ich dich holen kommen?“, rief ich dem Typen zu, der sich hinter die Wand presste.

Peter, der nicht begriff, was vorging, schien im Schock zu sein. Wie aus dem Nichts flogen ihm Pfeile um die Ohren, die seine Peiniger töteten. Und nun hörte er auch noch eine Stimme ganz in der Nähe, deren Ursprung er nicht erkennen konnte. Das Mädchen hatte die ganze Zeit über nicht einmal den Kopf gehoben und nur den Körper hin und her gewiegt, ohne auf die Außenwelt zu achten. Nicht gut... Ich hasste es, wenn Kinder durch die Schuld Erwachsener litten.

Nun gut, darum würde ich mich später kümmern, fürs Erste wandte ich meine Aufmerksamkeit wieder meinen letzten verbleibenden Gegnern zu. Die zwei am Eingang rannten nun auf den dritten zu. So viel Zeit gestand ich ihnen zu. Umso besser, wenn alle an einem Ort versammelt waren. Ich sah zu, wie sie, fest an die Wand gepresst, miteinander flüsterten. Einer von ihnen hatte eine Pistole aus seinem Inventar geholt, die er nun im Anschlag hielt.

„Peter, du Scheißkerl, komm raus!“, schrie er mit zitternder Stimme.

„Wir machen dich fertig, du Bastard, und dann wird deine kleine Göre um den Tod betteln.“ Sie versuchten, Peter zu provozieren. Diese Idioten dachten, er hätte ihre Freunde erledigt.

Peter schwieg und starrte konzentriert in die Richtung, in der er mich vermutete. Hm, er versuchte, etwas aus Stein zu erschaffen. Nicht jetzt, Peter... Er wollte einen Schlüssel für die Handstellen anfertigen.

Blöde Idee, Peter, lass das sein. Du wirst mir nur in die Quere kommen.

„Peter, ich sage es dir zum letzten Mal! Komm raus, solange du noch kannst!“ Die Mistkerle gaben nicht auf, aber ihre Mienen waren nicht mehr so selbstsicher, wie sie sich geben wollten.

Oha, und was sollte das jetzt werden? Einer von ihnen, der Mutigste, machte sich bereit, den Raum zu stürmen. Hm...

Er nahm Anlauf, verstärkte den Griff um sein Schwert und rannte los wie von Sinnen. Mein Röntgenblick offenbarte, dass seine Beine vor dem Loslaufen für einen Moment aufleuchteten, was auf eine ungewöhnliche Fähigkeit hinwies. Er konnte dreimal so schnell wie ein gewöhnlicher Mensch laufen. Cool! Allerdings war seine Reaktion nicht schnell genug. Sein Brustkorb traf bei voller Geschwindigkeit auf mein Bein und... wieder einer weniger. Das bewies, um wie viel stärker ich geworden war. Ich war nicht einmal geschwankt. Peter verharrte immer noch in seiner Schockstarre. Sein Gegner hatte gerade einen tödlichen Zusammenstoß mit einer unsichtbaren Wand erlitten.

Mist... Peter, wage es ja nicht, die Handschellen zu öffnen und zu türmen.

Ich legte die Unsichtbarkeit nur für einen Moment ab, legte meinen Finger an die Lippen, damit er leise war, und verschwand wieder.

Peter riss vor Staunen den Mund auf. Verdammt, nun war er Zeuge geworden, wie ein Mensch in Lederrüstung und mit einem Speer in der Hand wie aus dem Nichts erschien, ihn anwies, still zu sein, und sich wieder verdünnisiert hatte.

Der Schnellläufer hatte eine wertvolle Fähigkeit besessen, nur schade, dass sie nach seinem Tod nicht auf mich überging. Das passierte zwar, aber sehr selten. Eigentlich hatte ich nur einmal auf diese Weise eine Fähigkeit erhalten.

Was war überhaupt sein Plan gewesen? Wie der Wind hereinzusausen und Peter abzumurksen? Nun ja... Sie dachten sicher, er hätte nur einen Bogen und wäre damit im Nahkampf unterlegen, doch nun lag der Angreifer tot auf dem Boden, während seine Kameraden zu entkommen versuchten, aber nicht mit mir. Ganz sicher nicht.

Ich erledigte die beiden letzten Mistkerle anstandslos und mein Inventar vergrößerte sich um zwanzig Kilogramm. Ziemlich mickrig, ich war inzwischen an größere Summen gewöhnt.

„Nun, mein bemitleidenswerter Freund, erzählst du mir, wie du in diese beschissene Lage geraten bist?“, fragte ich Peter, nachdem ich meine Unsichtbarkeit deaktiviert hatte.

„Wer bist du?“ Er versuchte, den starken Mann zu markieren, behielt aber ständig seine Tochter im Auge, jederzeit bereit, die Handschellen abzuwerfen und sich auf mich zu stürzen.

„Kennst du einen gewissen Quartiermeister?“

„Mein Vater hat dich geschickt?“ Ihm schien ein Licht aufzugehen.

„Genau.“ Ich nickte und warf ihm einen Heiltrank zu. „Hier, trink das. Diese Mistkerle haben dich ganz schön in die Mangel genommen.“

Peter drehte die Flasche in der Hand und sah mich misstrauisch an.

„Was ist das?“

„Mach kein Theater, Mann. Trink und stell keine dummen Fragen. Glaubst du, du hättest im Moment eine Wahl?“

Er begriff, dass ich recht hatte, und leerte unter meinem strengen Blick den Trank.

„Na bitte, geht doch!“ Ich grinste. „Das war ein Heiltrank. Er wird deine Verletzungen in kürzester Zeit heilen. Wir haben einen harten Heimweg vor uns.“

„Danke.“ Er nickte zögernd, immer noch nicht davon überzeugt, dass er mir vertrauen konnte. Eigenartig, warum hatte er dann den Trank eingenommen?

„Mann, worauf wartest du noch? Los, kümmere dich um deine Tochter.“ Er schien nur auf meinen Befehl gewartet zu haben.

Das Mädchen hatte nicht auf unser Gespräch reagiert. Doch als er zu ihr lief und den Arm um sie legte, begann sie zu zittern. Er redete beruhigend auf sie ein und sie brach in Tränen aus. Nichts als Probleme mit diesen beiden. Und nun musste ich sie auch noch irgendwie zur Unterkunft schaffen.

„Peter.“ Ich zwang ihn, sich von seiner Tochter zu lösen. „Du hast eine halbe Stunde, um das Nötigste zusammenzupacken. Fragen kannst du später stellen. Alles klar?“

„Ja.“ Er erwiderte meinen Blick fest und nickte.

Er war ein Soldat, aber es war nicht zu übersehen, wie erschöpft er war. Im früheren Leben hätte er mich natürlich im Handumdrehen überwältigt, doch nun hätte er keine Chance. Und er war nicht der Kommandant, bei Weitem nicht, der konnte selbst mir Angst einjagen... manchmal.

Während Peter seine Sachen packte, sammelte ich meine Beute ein. Ich wollte den Nagelschläger mitnehmen und dem Quartiermeister zeigen, damit er auch etwas zu lachen hatte. Die beiden Pistolen und ein gewöhnliches Schwert steckte ich ebenfalls ein. Ansonsten hatten die Mistkerle nichts Wertvolles bei sich gehabt. Eine traurige Ausbeute...

Seltsam, dass sie nichts besessen hatten und sich dennoch mühelos unter den Zombies bewegt hatten. Vielleicht hatten sie auch zu dieser Dornen-Bande gehört und ihre Beute im Hauptquartier zurückgelassen. Ich sah mich in der Wohnung um. Sie war ziemlich groß. Fünf Zimmer, in einem Altbau mit vier Meter hohen Decken. Nicht einmal annähernd vergleichbar mit meiner früheren Bude.

Nach zehn Minuten hatte Peter es geschafft, seine Tochter zu beruhigen, und sie begannen, ihre Sachen zu packen. Wie der Vater, so der Sohn... Peter hortete Unmengen von Dingen, ich konnte nur hoffen, dass alles in mein Inventar passen würde.

Während er beschäftigt war, trat ich hinaus auf den Balkon. Um überhaupt das Haus verlassen zu können, musste die Masse der Zombies deutlich dezimiert werden. Das Bogenschießen hatte immer eine beruhigende Wirkung auf mich, umso mehr, wenn ich auf lebende Ziele schoss, weil es eine zusätzliche Portion Nervenkitzel brachte. Schuss... Schuss... Schuss... Sie drängten nach vorne, ich schoss — die Rechnung ging auf. Jeder Pfeil eine Leiche. Jedes Mal, wenn ich mit eigenen Augen sah, was aus den überlebenden Menschen geworden war, wurde mir klar, dass ich keinerlei Mitgefühl oder Skrupel empfand.

---ENDE DER LESEPROBE---