Der Weg des Künstlers - Julia Cameron - E-Book
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Der Weg des Künstlers E-Book

Julia Cameron

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Beschreibung

Der Welt-Bestseller zur Entfaltung der eigenen Kreativität – das funktionierende 12-Wochen-Programm. Julia Cameron bietet ein zwölf-wöchiges Trainingsprogramm zur Freisetzung der eigenen Kreativität. Dieses hat bereits Millionen Menschen geholfen, an Selbstvertrauen zu gewinnen und das eigene kreative Potenzial neu zu entdecken. Das 12-Wochen-Programm der international anerkannten Erfolgsautorin Julia Cameron fördert soziale, emotionale und intuitive Fähigkeiten. Es beseitigt Hindernisse wie Ängste und kreative Blockaden. Die Autorin und angesehene Seminarleiterin zeigt mit einfachen und effektiven Übungen einen Weg, wie man seine kreative Freiheit wieder entdeckt und das Leben reicher, lebendiger und erfüllter gestalten kann. Der Ratgeber mit Kreativitätstechniken begleitet den Leser mit wöchentlichen Aufgaben bei seiner kreativen Reise, indem er ihm dabei hilft, bestehende Ängste und Zweifel sowie ein negatives Selbstbild zu überwinden.

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Seitenzahl: 367

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Julia Cameron

Der Weg des Künstlers

Ein spiritueller Pfad zur Aktivierungunserer Kreativität

Aus dem Amerikanischen vonAnne Follmann und Ute Weber

Knaur e-books

Über dieses Buch

Die eigene Kreativität entdecken:Das 12-Wochen-Programm von Julia Cameron führt Sie auf eine Entdeckungsreise zur eigenen Kreativität. Lernen Sie alle Hindernisse wie Ängste und Abhängigkeiten beiseite zu räumen und befreien Sie so Ihr kreatives Potenzial. Gestalten Sie Ihr Leben reicher, lebendiger und erfüllter.Die Autorin besitzt die Weisheit und Authentizität derjenigen, die das, was sie lehren, selbst intensiv durchlebt haben.

Inhaltsübersicht

WidmungEinführungMein eigener WegDie GrundprinzipienDie Reise zur KreativitätWas Sie erwartetDie GrundtechnikenDie MorgenseitenDer KünstlertreffDer KreativitätsvertragWOCHE EINSDas Gefühl für Sicherheit wiedergewinnenSchattenkünstlerIhr innerer Feind: Negative GlaubenssätzeIhr innerer Verbündeter: Affirmationen als SelbstverteidigungWOCHE ZWEIDas Gefühl für Identität wiederfindenNormal werdenSchädliche SpielkameradenAufwieglerSkepsisAufmerksamkeitWOCHE DREIDas Gefühl von Macht wiedergewinnenWutSynchronizitätSchamMit Kritik umgehenWachstumWOCHE VIERDas Gefühl für Integrität wiedergewinnenAufrichtige VeränderungenLeseentzugWOCHE FÜNFDas Gefühl für die eigenen Möglichkeiten wiedergewinnenGrenzenDen Fluss findenDie TugendfalleWOCHE SECHSDas Gefühl von Reichtum wiedergewinnenDer Große SchöpferLuxusWOCHE SIEBENDas Gefühl von Verbundenheit wiedergewinnenZuhörenPerfektionismusRisikoEifersucht und NeidWOCHE ACHTDas Gefühl von Stärke wiedergewinnenÜberlebenDie Macht im ElfenbeinturmAls Verlust getarnter GewinnAlter und Zeit: Produkt und ProzessDie Form ausfüllenAffirmationenWOCHE NEUNDas Mitgefühl wiedergewinnenAngstBegeisterungRückschritteBlockaden durchbrechenWOCHE ZEHNDas Gefühl für Selbstschutz wiedergewinnenGefahren auf dem WegArbeitssuchtDürreRuhmKonkurrenzWOCHE ELFDas Gefühl von Autonomie wiedergewinnenAkzeptanzErfolgZen des SportsStellen Sie Ihren Künstleraltar aufWOCHE ZWÖLFDas Gefühl von Vertrauen wiedergewinnenVertrauenGeheimnisDie Fantasie im SpielVom rasenden Zug abspringenEpilogDer Weg des KünstlersWorte dafürAnhangEinen heiligen Kreis bildenDer heilige KreisGebet für KünstlerLiteraturDank
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Dieses Quellenwerk ist meinem Lebenspartner Mark Bryan gewidmet. Mark drängte mich, es zu schreiben, half mir, es in Form zu bringen und es abzufassen. Ohne ihn würde es nicht existieren.

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Einführung

Wenn mich die Leute nach meinem Beruf fragen, dann antworte ich: »Ich schreibe und leite Kreativitätsworkshops.«

»Wie kann man denn anderen Menschen Kreativität beibringen?«, möchten sie dann wissen. Auf ihren Gesichtern spiegeln sich Unglaube und Neugierde.

»Das kann man nicht«, sage ich ihnen. »Ich zeige meinen Kursteilnehmern, wie sie Zugang zu ihrer eigenen Kreativität finden.«

»Oh – Sie meinen also, dass wir alle kreativ sind?« Jetzt ringen Unglaube und Hoffnung miteinander.

»Ja.«

»Glauben Sie das wirklich?«

»Ja.«

»Was genau machen Sie denn in Ihren Kreativitätsworkshops?«

Genau das beschreibe ich in diesem Buch. Zehn Jahre lang habe ich Menschen gezeigt, wie sie die in ihnen schlummernde Kreativität freisetzen können. Ich habe Künstler und Laien, Maler und Filmemacher, Hausfrauen und Rechtsanwälte unterrichtet – all diejenigen, die sich dafür interessierten, durch künstlerische Betätigung kreativer zu leben; im weiteren Sinne sogar all jene Menschen, die sich der Kunst des kreativen Lebens widmen wollten. Weil ich die Hilfsmittel, die ich gefunden, erfunden, erahnt oder vermittelt bekommen habe, in meinem eigenen Leben anwende, sie lehre und mit anderen teile, konnte ich Veränderungen im Leben vieler Menschen miterleben. Durch die Einbeziehung des Großen Schöpfers bei der Entdeckung und Wiederentdeckung unserer kreativen Kraft kann man Blockaden auflösen.

»Der Große Schöpfer? Das klingt nach irgendeinem Indianergott. Das hört sich zu christlich an, zu sehr nach Esoterik, zu …« Dumm, einfältig, bedrohlich? … Ja, ich weiß. Betrachten Sie das Ganze als Übung in vorurteilslosem Denken, und lesen Sie weiter. Erlauben Sie es sich, mit der Vorstellung zu experimentieren, dass es einen Großen Schöpfer gibt. Vielleicht hilft es Ihnen, Zugang zu Ihrer Kreativität zu finden.

Weil Der Weg des Künstlers im Wesentlichen ein spiritueller Weg ist, der durch Kreativität initiiert und praktiziert wird, gebrauche ich in diesem Buch das Wort Gott. Einige von Ihnen könnten damit ein Problem haben, weil der Begriff in Ihnen vielleicht alte, unangenehme oder einfach unannehmbare Vorstellungen heraufbeschwört. Doch ich bitte Sie: Bleiben Sie aufgeschlossen.

Für diesen Kurs ist kein bestimmter Gottesbegriff notwendig, um erfolgreich zu sein. Herkömmliche Glaubensvorstellungen könnten Ihnen vielleicht sogar im Wege stehen. Lassen Sie es nicht zu, dass sich sprachliche Spitzfindigkeiten zu einer weiteren Blockade in Ihnen auswachsen.

Das Wort Gott ist in diesem Buch als Vorstellung von einer guten, richtunggebenden, ordnenden Kraft oder eines Energieflusses zu verstehen. Es geht um kreative Energie. Für viele Kursteilnehmer ist der Begriff Gott einfach nur ein nützliches Kürzel; gleichermaßen gültig sind Göttin, Geist, Universum, Quelle oder Höhere Macht … Auf die Bezeichnung kommt es nicht an, sondern darauf, dass Sie sich des Bezeichneten bedienen. Vielleicht hilft es Ihnen, Gott als eine Form spiritueller Elektrizität vorzustellen. Es ist leicht, durch Experimente und Beobachtungen eine funktionsfähige Verbindung zum Energiefluss der guten, richtunggebenden, ordnenden Kraft herzustellen. Ich habe hier nicht die Absicht, diesen Energiefluss zu erklären, ihn zu definieren oder darüber zu diskutieren. Man braucht Elektrizität nicht zu verstehen, um sich ihrer zu bedienen.

Bezeichnen Sie diese Energie nur dann als Gott, wenn es sich für Sie richtig anfühlt. Sie brauchen ihr keinen Namen zu geben, es sei denn, dieser Name stellt für Sie eine nützliche Zusammenfassung Ihrer Erfahrungen dar. Geben Sie nicht vor, gläubig zu sein, wenn Sie es nicht sind. Wenn Sie für immer Atheist oder Agnostiker bleiben möchten, dann tun Sie das. Sie werden trotzdem in der Lage sein, durch die Arbeit mit der besagten Kraft Ihr Leben zu verändern.

Ich habe mit Töpfern, Fotografen, Dichtern, Drehbuchautoren, Tänzern, Romanschriftstellern, Schauspielern und Regisseuren gearbeitet, mit Menschen, die von einem künstlerischen Beruf träumten oder sich einfach nur wünschten, irgendwie kreativer zu sein. Ich habe viele Male erlebt, wie Maler in eine neue Schaffensphase eintraten, Poeten zu ihrer Dichtung zurückfanden und verstummte Schriftsteller mit plötzlichem Elan ihr Manuskript zum Abschluss brachten. Meine Erfahrungen haben mich veranlasst, Folgendes nicht nur zu glauben, sondern zu wissen:

Egal, wie alt Sie sind oder welchen Lebensweg Sie gewählt haben, ob Kunst zu schaffen Ihr Beruf ist, Ihr Hobby oder Ihr Traum, es ist weder zu spät noch zu egoistisch, weder zu selbstsüchtig noch zu dumm, wenn Sie jetzt an Ihrer Kreativität arbeiten. Ein fünfzigjähriger Kursteilnehmer, der »schon immer schreiben wollte«, bediente sich meiner Hilfsmittel und wurde zu einem Dramatiker, der sogar Preise für seine Stücke erhielt. Ein Richter nutzte meine Techniken und erfüllte sich seinen lebenslangen Traum, Bildhauer zu sein. Nicht alle Kursteilnehmer werden durch den Kurs zu hauptberuflichen Künstlern. Viele hauptberufliche Künstler berichten jedoch, dass Sie sich zu kreativ ausgewogeneren Persönlichkeiten entwickelt haben.

Aufgrund eigener und fremder Erfahrung bin ich zu der Überzeugung gelangt, dass Kreativität unsere wahre Natur ist. Der kreative Prozess, der gleichzeitig so natürlich und so wunderbar ist wie das Aufblühen einer Blume, wird auf unnatürliche Weise durch Blockaden vereitelt. Ich habe festgestellt, dass Kreativität nichts anderes ist als ein einfacher und direkter Vorgang der spirituellen Kontaktaufnahme.

Wenn Ihre Kreativität blockiert ist – und ich glaube, das ist sie in gewissem Maß bei uns allen –, dann ist es möglich und sogar wahrscheinlich, dass Sie durch die Anwendung der Techniken in diesem Buch freier schöpferisch tätig sein können. So, wie im Hatha-Yoga das Bewusstsein bereits durch die Ausführung der Übungen verändert wird, so verändert sich Ihr Bewusstsein, indem Sie, den Vorschlägen dieses Buches folgend, einfach »nur« schreiben oder spielen. Tun Sie diese Dinge, und der Durchbruch ist Ihnen gewiss – ob Sie daran glauben oder nicht.

Mit einem Wort: Die Praxis ist ungleich wichtiger als die Theorie. Durch Ihr Tätigsein öffnen Sie Ihr Bewusstsein, und der kreative Strom kann fließen. Sobald Sie für Ihre Kreativität Platz schaffen, kommt sie zum Vorschein.

Mein eigener Weg

Meine ersten Kreativitätsworkshops gab ich in New York. Ich tat es aus einem inneren Bedürfnis. Eines Tages war ich im Licht der Nachmittagssonne im West Village spazieren gegangen. Auf einmal wusste ich, dass es meine Aufgabe war, anderen Menschen Zugang zu ihrer Kreativität zu ermöglichen. Vielleicht hatte ich zufällig gehört, wie ein anderer Spaziergänger über seine Kreativität nachdachte – schließlich verfügt Greenwich Village über eine größere Künstlerdichte als irgendein anderer Ort in Amerika.

»Ich muss meine Blockaden beseitigen«, könnte jener Spaziergänger gesagt haben.

»Ich weiß, wie man das macht«, habe ich vielleicht geantwortet. Mein ganzes Leben lang hat mir mein Inneres unmissverständliche Anweisungen – ich nenne sie Marschbefehle – gegeben.

Auf jeden Fall wusste ich mit einem Mal, dass ich mich mit der Beseitigung von Blockaden auskenne und dazu bestimmt war, anderen Menschen damit zu helfen. Meine Aufgabe war es, an Ort und Stelle mit den Lektionen zu beginnen, die ich selbst gelernt hatte.

Woher kamen diese Lektionen?

Im Januar 1978 gab ich den Alkohol auf. Ich hatte natürlich nicht geglaubt, dass Alkohol mich zur Schriftstellerin machte, aber nun war mir plötzlich der Gedanke gekommen, ob er mich nicht vielleicht davon abhielt, eine gute Schriftstellerin zu sein. In meinem Kopf waren Alkohol und Schreiben so unzertrennlich wie Scotch und Soda. Für mich war es immer eine besondere Herausforderung gewesen, die Angst vor dem leeren Blatt Papier zu überwinden und mit dem Schreiben zu beginnen. Ich setzte mich mit meinem Glas hin und versuchte etwas zu Papier zu bringen, bevor mich der Alkohol zu sehr benebelte und mir den Zugang zu meiner Kreativität verstellte. So befand ich mich in einem permanenten Wettkampf. Wer würde eher fertig sein, ich mit meinem Text oder der Alkohol mit mir?

Ich hatte ein Büro auf dem Gelände der Paramount und Karriere mit dieser Art Kreativität gemacht: Kreativität in krampfhaften Schüben, Kreativität als Willensakt, Kreativität auf Abruf für andere. Ja, ich war kreativ, aber nach einem Jahrzehnt der Schriftstellerei wusste ich es nicht besser, als mich Mal um Mal mit dem Kopf voraus und mit selbstmörderischer Energie gegen die Wand meiner inneren Widerstände zu werfen. Wenn Kreativität etwas Spirituelles war, dann tat ich jedenfalls alles, um mich dieser Einsicht nur ja nicht zu stellen.

Ich war dreißig Jahre alt, als ich den Alkohol von einem Tag auf den anderen aufgab.

Wenn ich mit dem Schreiben auf die gewohnte, quälende Weise hätte fortfahren können, würde ich es sicher bis heute tun. In der Woche, in der ich nüchtern wurde, hatte ich zwei Beiträge für eine überregionale Zeitschrift zu verfassen, ein Drehbuch für ein Feature umzuschreiben und ein fettes Alkoholproblem zu bewältigen.

Ich redete mir ein, dass ich den Verzicht auf Alkohol mit meiner Kreativität zu bezahlen hätte. Trotzdem war ich zu der Erkenntnis fähig, dass der Alkohol irgendwann mich und meine Kreativität umbringen würde. Ich musste lernen, in nüchternem Zustand zu schreiben, oder das Schreiben aufgeben. Not und nicht Tugend steht am Anfang meiner Spiritualität. Ich war gezwungen, einen neuen kreativen Weg zu finden. Und hier begannen meine Lektionen.

Ich lernte, meine Kreativität dem einzigen Gott zu überantworten, an den ich glauben konnte, an den Gott der Kreativität und Lebenskraft, den Dylan Thomas »die Kraft, die durch die grüne Sicherung die Blume wachsen lässt«, nannte. Ich lernte, aus dem Weg zu gehen und mich dieser kreativen Energie zu ergeben. Ich lernte, meine Gedanken auf das Papier fließen zu lassen und aufzuschreiben, was ich in mir hörte. Mein Schreiben hatte nun mehr mit dem Lauschen nach innen als mit dem Erfinden von Knalleffekten zu tun. Ich musste keine Tricks mehr anwenden, um Texte aus mir hervorzulocken, und das Schreiben kam auch nicht mehr über mich wie ein Sturzbach. Ich musste nicht mehr auf die richtige Stimmung und nicht mehr auf Inspiration warten. Ich schrieb einfach. Kein Geschacher mehr. War das Produkt gut oder schlecht? Das ging mich nichts an. Nicht ich schrieb. Als Autorin, die sich selbst im Wege steht, trat ich ab und konnte freiheraus schreiben.

Rückblickend bin ich erstaunt, dass ich aus der Rolle der Künstlerin, die sich selbst quält, so leicht aussteigen konnte. Nichts ist zäher und langlebiger als falsche Vorstellungen. Und kaum eine Vorstellung ist so unzutreffend wie die, die wir uns von der Kunst machen. Der Rolle der gequälten Künstlerin lässt sich ja so viel in die Schuhe schieben: Alkoholmissbrauch, Promiskuität, Steuerprobleme, Rücksichtslosigkeit oder die Selbstzerstörung in Herzensdingen. Wir alle wissen, wie pleite, verrückt, unzuverlässig und bindungsunfähig Künstler sind. Und wenn man als Künstler gar nicht so sein muss, wie kann ich dann mein Verhalten rechtfertigen?

Die Vorstellung, dass ich gesund, unabhängig vom Alkohol und zugleich kreativ sein könnte, erschreckte mich, denn sie verlangte von mir, Verantwortung für mich zu übernehmen. »Soll das etwa heißen, dass Begabung mit einer Verpflichtung einhergeht?« Ja, genau.

Die Vorsehung wollte es, dass mir ein anderer von einer Schreibhemmung gequälter Schriftsteller über den Weg lief, mit dem und an dem ich arbeiten sollte. Ich ließ ihn an meinen eben erworbenen Erkenntnissen teilhaben. (Geh aus dem Weg. Lass es durch dich arbeiten. Häufe Seiten an, keine Vorurteile.) Auch er überwand seine Blockaden. Damit waren wir zu zweit. Schon bald fand ich ein neues »Opfer«, diesmal einen Maler. Die Techniken funktionierten auch bei bildenden Künstlern.

Das war sehr aufregend für mich. In Augenblicken des Überschwangs stellte ich mir vor, dass ich, die Kartographin der Kreativität, für mich selbst und alle anderen Betroffenen einen Weg aus der Verwirrung fand. Ich hatte nie vorgehabt, Lehrerin zu werden. Aber mich trieb die Wut darüber an, dass ich selbst nie eine gute Lehrerin gehabt hatte. Warum musste ausgerechnet ich alles nach der Methode Versuch und Irrtum lernen und ständig mit dem Kopf durch die Wand? Ich fand, Künstlern etwas beizubringen, müsse ja wohl leichter sein. Abkürzungen und Gefahren auf dem Weg gehörten ausgeschildert.

Gedanken dieser Art wirbelten mir auf meinen Spaziergängen durch den Kopf, während ich die Lichter bewunderte, die sich im Hudson spiegelten, und ich überlegte, was ich als Nächstes schreiben würde. Nimm deinen Marschbefehl an: Du sollst unterrichten.

Noch in derselben Woche bot man mir eine Dozentenstelle und Räume in einem New Yorker Institut für feministische Kunst an, von dem ich nie zuvor gehört hatte. Mein erster Kurs – in ihrem Schaffen gehemmte Künstlerinnen, Romanschriftstellerinnen, Dichterinnen und Filmemacherinnen – versammelte sich. Ich brachte meinen Schülerinnen die Lektionen bei, aus denen sich jetzt dieses Buch zusammensetzt. Seit diesem ersten Kurs hat es viele weitere gegeben.

Der Weg des Künstlers begann mit informellen Kursaufzeichnungen, die mein Partner Mark Bryan von mir erbat. Als meine Arbeit bekannter wurde, forderten Interessierte immer öfter mein Unterrichtsmaterial an. Ein rastloser Jungianer namens John Giannini sprach, wo immer er auch lehrte – und das war scheinbar überall –, über meine Techniken. Menschen aus aller Herren Länder fragten bei mir an. »Ich arbeite im Schweizer Außenministerium. Bitte schicken Sie mir …« Und das tat ich.

Die Päckchen wurden dicker, und die Zahl der Schüler wuchs. Mark bat mich sehr eindringlich: »Schreib alles auf, du könntest mehr Menschen helfen, wenn du ein Buch daraus machst.« Also begann ich schließlich, meine Gedanken systematisch zu sammeln und zu ordnen. Ich schrieb, und Mark, der inzwischen mein Mitarbeiter und strenger Lehrmeister geworden war, sagte mir, was ich vergessen hatte. Ich schrieb weiter, und Mark wies mich darauf hin, was immer noch fehlte. Er erinnerte mich daran, dass ich viele Wunder erlebt hatte, die meine Theorien stützten, und drängte mich, sie nicht fortzulassen. Also schrieb ich schließlich auf, was ich ein Jahrzehnt lang praktiziert hatte.

Dieses Buch stellt einen spirituellen Werkzeugkasten der Selbstheilung dar. Es enthält Werkzeuge, die Sie bei der Überwindung Ihrer inneren Blockaden unterstützen, Ihnen das Tor zu Ihrer Kreativität öffnen und Sie aus Ihrer Verkrampfung befreien. Bitte nutzen Sie sie und geben Sie sie weiter.

Viele Male habe ich seither Aussagen wie die folgende gehört: »Bevor ich Ihren Kurs belegte, war ich vollkommen von meiner Kreativität abgeschnitten. Die Jahre der Bitterkeit und des Verlustes hatten ihren Tribut gefordert. Dann wurde allmählich das Wunder wahr. Ich ging wieder auf die Schauspielschule und machte meinen Abschluss. Zum ersten Mal seit Jahren nehme ich Termine zum Vorsprechen wahr. Ich schreibe regelmäßig – und was am wichtigsten ist, ich fühle mich endlich wohl dabei, wenn ich mich selbst als Künstlerin bezeichne.«

Wahrscheinlich werde ich Ihnen nicht vermitteln können, wie wunderbar es ist, als Lehrerin das Vorher und das Nachher bei den verschiedenen Kursteilnehmern zu sehen. Die rein physische Verwandlung während der Dauer des Kurses allein schon kann verblüffend sein und mir bewusst machen, dass der Begriff Erleuchtung wörtlich zu nehmen ist. Oft beginnen die Gesichter der Teilnehmer zu strahlen, sobald sie eine Verbindung zu ihrer kreativen Energie herstellen. Es entsteht dieselbe spirituell aufgeladene Atmosphäre, wie sie auch ein großes Kunstwerk erzeugt. Wir Menschen sind kreative Wesen, und das Wiedererwachen unserer Kreativität kann unser Leben zum Kunstwerk machen.

Die Grundprinzipien

Für die meisten Menschen ist die Vorstellung, dass der Schöpfer uns zu Kreativität ermutigt, ein radikaler Gedanke. Wir glauben lieber oder befürchten, dass das Ausleben unserer Kreativität etwas Egoistisches ist und Gott missfällt. Denn schließlich ist der Künstler in uns ein Kind, das kindlich denkt. Wenn Ihre Mutter oder Ihr Vater Zweifel an Ihren Träumen von einer Künstlerkarriere geäußert oder sie abgelehnt haben, dann könnte es sein, dass Sie Gott auf die gleiche Weise erleben. Von solchen Projektionen müssen Sie sich lösen.

Im Weg des Künstlers geht es um eine geführte spirituelle Erfahrung. Ich bezeichne diesen Prozess als spirituelle Chiropraktik, die »manuelle« Behandlung einer aus dem Gleichgewicht geratenen Spiritualität. Wir machen bestimmte Übungen, um uns mit der kreativen Energie des Universums in Einklang zu bringen.

Ich stelle mir das Universum als ein riesiges Meer der Kreativität vor, in das ich eingetaucht und von dem ich geformt bin. Indem ich mich öffne und mir meine Kreativität zu eigen mache, verwandle ich mich von einem Wesen, das absichtslos in diesem Meer schwimmt, in einen funktionstüchtigen, bewussten und kooperativen Teil dieses Ökosystems.

Als Lehrerin spüre ich oft die Gegenwart von etwas Transzendentem – eine Art spirituelle Energie, wenn Sie so wollen –, und ich beziehe es beim Überschreiten meiner persönlichen Grenzen mit ein. Wenn jemand mich als »inspirierte Lehrerin« bezeichnet, dann verstehe ich das als wörtliches Kompliment. Eine Kraft größer als meine eigene nimmt sich meiner und meines Schülers an. Christus sagte: »Wo zwei oder drei in meinem Namen versammelt sind, da bin ich mitten unter ihnen.« Der Gott der Kreativität scheint der gleichen Auffassung zu sein.

Im Zentrum der Kreativität steht die Erfahrung mystischer Vereinigung; im Zentrum der mystischen Vereinigung steht die Erfahrung von Kreativität. Spirituelle Menschen betrachten für gewöhnlich Gott als den Schöpfer, empfinden jedoch umgekehrt den Begriff Schöpfer nicht als Synonym für die Bezeichnung Künstler. Ich schlage Ihnen vor, über Ihren Schatten zu springen und es dennoch zu tun. Sie streben ein kreatives Bündnis von Künstler zu Künstler mit dem Großen Schöpfer an. Wenn Sie diese Vorstellung für sich annehmen, dann erweitern Sie Ihre kreativen Möglichkeiten ins Unermessliche.

Wenn Sie bei Ihren wöchentlichen Aufgaben mit den Techniken in diesem Buch arbeiten, werden Sie viele Veränderungen in Gang setzen. Die wichtigste Veränderung wird das Auslösen von Synchronizität sein: Wir verändern uns und das Universum unterstützt uns, indem es seinerseits Veränderungen zu unseren Gunsten bewirkt. An meinem Bildschirm klebt ein Zettel mit einem Satz, wie er kaum besser verdeutlichen könnte, was Synchronizität für den Künstler bedeutet: »Spring, und das Netz wird da sein, um dich zu fangen!«

Es ist meine Erfahrung sowohl als Künstlerin als auch als Lehrerin, dass uns das Universum fördert, wenn wir uns vertrauensvoll in den Schöpfungsakt hineinbegeben. Das ist etwa so wie das Öffnen eines Schleusentores am oberen Teil eines Feldbewässerungssystems. Sobald der Weg frei ist, kann das Wasser die Äcker überfluten.

Auch hier werde ich Sie nicht bitten zu glauben. Damit es zu diesem kreativen Erwachen kommen kann, müssen Sie jedoch nicht unbedingt an Gott glauben. Ich möchte lediglich, dass Sie diesem Prozess vertrauen, ihn bei seiner Entfaltung beobachten und ihm Ihre Aufmerksamkeit schenken. Tatsächlich sind Sie bei der Weiterentwicklung Ihrer eigenen Kreativität zugleich Zeuge und Geburtshelfer.

In meinen Augen ist Kreativität eine spirituelle Erfahrung. Es spielt keine Rolle, von welcher Seite Sie den Prozess betrachten, ob für Sie Kreativität zu Spiritualität führt oder umgekehrt. Ja, ich unterscheide gar nicht zwischen beiden. Die Frage nach dem Glauben geht am Kern der Erfahrung vorbei. C.G. Jung brachte diesen Umstand treffend zum Ausdruck, als er in seinen letzten Lebensjahren formulierte: »Ich glaube nicht; ich weiß.«

Die folgenden spirituellen Grundprinzipien sind das Fundament für die Aktivierung und Entdeckung Ihrer Kreativität. Beschäftigen Sie sich einmal pro Tag mit ihnen, und seien Sie offen und hellhörig für mögliche Veränderungen in Ihren Einstellungen oder Glaubenssätzen.

DIE GRUNDPRINZIPIEN

Kreativität stellt die natürliche Lebensordnung dar. Leben ist Energie: reine schöpferische Energie.

Alles Leben – auch die Menschheit – ist durchdrungen von einer zugrundeliegenden, innewohnenden kreativen Kraft.

Wenn wir uns unserer Kreativität öffnen, dann öffnen wir uns der uns und unserem Leben innewohnenden Kreativität des Schöpfers.

Wir selbst sind Schöpfungen und deshalb dazu bestimmt, das Schöpferische weiterzugeben, indem wir selbst schöpferisch sind.

Kreativität ist Gottes Geschenk an uns. Der Gebrauch unserer Kreativität ist das Geschenk, das wir an Gott zurückgeben.

Die Weigerung, kreativ zu sein, ist Eigenwille und widerspricht unserer wahren Natur.

Wenn wir uns der Erforschung unserer Kreativität öffnen, dann öffnen wir uns Gott, einer guten, richtunggebenden und ordnenden Kraft.

Sobald wir unseren kreativen Kanal zum Schöpfer hin öffnen, werden wir viele sanfte, aber dennoch kraftvolle Veränderungen erfahren.

Wir schaden weder uns noch anderen, wenn wir uns für eine immer größere und noch größere Kreativität öffnen.

Unsere kreativen Träume und Sehnsüchte entstammen einer göttlichen Quelle. Indem wir auf unsere Träume zugehen, nähern wir uns unserer Göttlichkeit.

Die Reise zur Kreativität

Es gibt verschiedene Möglichkeiten, um mit diesem Buch zu arbeiten, vor allem aber sollte es kreativ geschehen. Dieser Abschnitt ist eine Art Straßenkarte mit konkreten Vorschlägen, die Sie durch den Prozess leiten. Einige Schüler haben den Kurs alleine durchgeführt; andere haben Teams gebildet, um das Buch gemeinsam durchzuarbeiten. (Am Ende des Buches finden Sie Hinweise für die Gruppenarbeit.) Egal, welchen Weg Sie wählen, Der Weg des Künstlers wird Sie weiterbringen.

Vielleicht möchten Sie zunächst das Buch durchblättern, um ein Gefühl dafür zu bekommen, was es beinhaltet. (Es ist ein Unterschied, ob man ein Buch durchliest oder damit arbeitet.) Jedes Kapitel enthält Texte, Übungen, Aufgaben und ein wöchentliches Check-in. Lassen Sie sich nicht von der vermeintlichen Arbeitsmenge entmutigen. Ein Großteil der Arbeit ist in Wirklichkeit Spiel, und Sie müssen selten mehr als eine Stunde täglich aufwenden.

Den Teilnehmern meiner Kurse schlage ich in der Regel vor, sich einen Wochenplan zu machen. Wenn Sie zum Beispiel von Sonntag zu Sonntag arbeiten wollen, beginnen Sie damit, das Kapitel für die kommende Woche am Sonntagabend zu lesen. Danach machen Sie die Übungen im Schnellverfahren. Die wöchentlichen Übungen spielen eine entscheidende Rolle. Gleiches gilt für die Morgenseiten und den Künstlertreff. (Mehr darüber im nächsten Kapitel.) Sie werden wahrscheinlich nicht die Zeit haben, um alle für eine Woche vorgesehenen Aufgaben vollständig auszuführen. Versuchen Sie, ungefähr die Hälfte zu schaffen. Seien Sie sich dessen bewusst, dass die ausgelassenen Übungen darauf warten, von Ihnen erledigt zu werden, und kommen Sie, sobald es Ihnen möglich ist, auf sie zurück. Berücksichtigen Sie bei der Auswahl der Aufgaben zwei Kriterien: Geben Sie solchen Übungen Priorität, die Sie entweder interessieren oder bei denen Sie die größten Widerstände spüren. Heben Sie sich die neutraleren für später auf. Denken Sie bei der Wahl daran, dass wir den Dingen, die wir am meisten brauchen, oft den größten Widerstand entgegensetzen.

Halten Sie sich insgesamt sieben bis zehn Stunden pro Woche für Ihre Aufgaben frei, etwa eine Stunde pro Tag oder etwas mehr. Diese bescheidene Verpflichtung kann in der zwölfwöchigen Dauer des Kurses zu unglaublichen Ergebnissen führen. Wenn Sie dieselben Techniken über einen längeren Zeitraum anwenden, dann verändern Sie Ihre gesamte Lebensausrichtung.

Wenn Sie mit diesem Buch arbeiten, dann denken Sie daran, dass Der Weg des Künstlers die Form einer Spirale hat. Sie werden einige der Themen immer wieder umkreisen, jedes Mal auf einer anderen Stufe. Ein künstlerisches Leben ist nie fertig. Frustrationen und Belohnungen warten auf jeder Stufe des Weges auf Sie. Ihr Ziel ist es, Ihren Weg zu finden, Ihre Schritte sicher werden zu lassen und den Aufstieg in Angriff zu nehmen. Die kreativen Ausblicke, die sich eröffnen, werden Sie schnell begeistern.

Was Sie erwartet

Viele Menschen wünschen sich, kreativer zu sein. Viele spüren, dass sie eigentlich kreativer sind, aber es gelingt ihnen nicht, ihre Kreativität wirkungsvoll anzuzapfen. Unsere Träume entgleiten uns. Unser Leben fühlt sich irgendwie flach an. Oft haben wir großartige Ideen und wundervolle Träume, ohne dass wir sie je realisieren. Manchmal haben wir spezifische kreative Sehnsüchte, die wir uns gerne erfüllen würden – Klavierspielen lernen, malen, Schauspielunterricht nehmen oder Schreiben lernen. Manchmal sind unsere Ziele diffuser. Wir sehnen uns nach einem kreativeren Leben – einem umfassenderen Gefühl von Kreativität in unserem Berufsleben, im Umgang mit unseren Kindern, unserer Ehefrau oder unserem Ehemann, unseren Freunden.

Obwohl es kein Patentrezept für einen sofortigen und schmerzfreien Zugang zur eigenen Kreativität gibt, ist die Wiederentdeckung (oder Entdeckung) der Kreativität ein lehrbarer und nachvollziehbarer spiritueller Prozess. Wir Menschen sind komplex und individuell. Dennoch gibt es Gemeinsamkeiten, die die Aktivierung der Kreativität sichtbar machen.

In den ersten Wochen des Kurses löst dieser Prozess bei den Teilnehmern ein gewisses Maß an Trotz und Orientierungslosigkeit aus. Auf die Anfangsphase folgt bald in der Mitte des Kurses explosive Wut. Sie wird durch Trauer abgelöst, dann folgen abwechselnd Wellen von Euphorie und Verzweiflung. Es ist leicht erkennbar, dass diese Berg-und-Tal-Fahrt des Wachstums ein Geburtsprozess mit all seinen exemplarischen Expansionen und Kontraktionen ist.

Die persönliche Entwicklung meiner Kursteilnehmer wird begleitet von dem starken Drang, aus dem Prozess auszusteigen und zum gewohnten Leben zurückzukehren. Diese Phase des inneren Haderns veranlasst viele, gedanklich mit dem Abbruch des Kurses zu spielen. Ihrer kreativen Krise begegnen die Kursteilnehmer, indem sie sich neu dazu verpflichten, den Prozess auf jeden Fall bis zum Ende durchzuhalten, und lösen damit den für eine große Ego-Auflösung typischen freien Fall aus. Die Endphase des Kurses ist gekennzeichnet durch ein neues Gefühl von selbstbestimmter und erhöhter Autonomie, Spannkraft, freudiger Erwartung und Begeisterung. Es werden konkrete Pläne gemacht und verwirklicht.

Falls diese Beschreibung des Kursablaufs für Sie nach großem emotionalem Aufruhr klingt, dann haben Sie recht. Wer sich für die Aktivierung seiner Kreativität engagiert, der lässt sein gewohntes Leben hinter sich. Dieser Rückzug ist nichts anderes als das Losgelöstsein oder Nichtanhaften, das wir bereits aus der Meditation in all ihren unterschiedlichen Formen kennen.

In der Begrifflichkeit der Filmwelt ausgedrückt, könnte man sagen, wir rücken langsam etwas Neues ins Blickfeld, wir fahren die Kamera so lange hoch und weg, bis wir einen Überblick gewinnen. Dieser Überblick gibt uns die Kraft, tragfähige kreative Entscheidungen zu treffen. Stellen Sie sich das wie eine Reise auf schwierigem, wechselhaftem und faszinierendem Terrain vor. Sie bewegen sich auf eine höhere Ebene zu. Sie sollten Ihre Loslösung als positiven Prozess sehen, der gleichzeitig schmerzhaft und aufregend ist.

Viele Menschen müssen erkennen, dass sie ihre kreativen Energien verschwendet und zu viel in das Leben, die Hoffnungen, Träume und Pläne anderer investiert haben. Das Leben der anderen hat ihr eigenes in den Schatten gestellt und sie auf Abwege gebracht. Indem Sie nun durch Ihren Rückzugsprozess Ihren Kern festigen, können Sie Ihre eigenen Grenzen, Träume und authentischen Ziele artikulieren. Ihre persönliche Flexibilität erhöht sich, während Ihre Anfälligkeit für die Launen der anderen abnimmt. Sie erleben ein gesteigertes Gefühl von Autonomie und erkennen deutlicher die Möglichkeiten, die vor Ihnen liegen.

Sie beginnen, Ihre tief in Ihnen verschlossenen Träume auszugraben. Das ist ein schwieriger Prozess. Einige unserer Träume sind sehr flüchtig, und jede auch nur angedeutete Zurückweisung schickt eine riesige Welle von Energie durch unser Abwehrsystem. Welch eine Trauer! Welch ein Verlust! Welch ein Schmerz! Diesen Punkt im Aktivierungsprozess bezeichnet Robert Bly als den »Abstieg in die Asche«. Wir trauern um unser eigentliches Selbst, das wir im Stich gelassen haben. Wir begrüßen es so, wie wir einen geliebten Menschen begrüßen würden, der am Ende eines langen und verlustreichen Krieges heimkehrt.

Um unsere Kreativität wiederzuerlangen, müssen wir durch eine Zeit der Trauer hindurchgehen. Diese Trauer ist notwendig, damit wir uns von unserem »netten« aufgesetzten Selbst, das wir nicht sind, verabschieden können. Unsere Tränen bereiten den Boden für unser zukünftiges Wachstum. Der Schmerz der Trauer trifft uns wie ein Blitz, doch wenigstens wirkt er reinigend und bringt neue Erkenntnisse mit sich.

Woher wissen Sie nun, ob Ihre Kreativität blockiert ist? Ihre eigene Missbilligung gibt Ihnen einen hervorragenden Hinweis. Gibt es Künstler, die Sie missbilligen? Sagen Sie sich: »Das könnte ich auch, wenn bloß …« Sagen Sie sich: »Wenn ich doch nur endlich mein kreatives Potenzial ernst nähme, dann könnte ich aufhören:

Mir einzureden, dass es ›zu spät‹ ist.

Darauf zu warten, dass ich genug Geld verdiene, um das zu tun, was ich wirklich gerne tun möchte.

Mich immer dann als Egoist zu beschimpfen, wenn ich Sehnsucht nach einem kreativeren Leben habe.

Mir einzureden, dass Träume nicht wichtig sind, dass man sie nicht ernst nehmen muss und dass ich vernünftig sein soll.

Angst davor zu haben, dass mich meine Familie und meine Freunde für verrückt halten.

Mir einzureden, dass Kreativität Luxus ist und dass ich dafür dankbar sein muss, was ich habe.«

Wenn es Ihnen gelingt, Ihren inneren Künstler zu erkennen, zu nähren und zu schützen, werden Sie fähig sein, über Schmerz und kreative Beschränkung hinauszugehen. Sie werden lernen, Ängste zu erkennen und aufzulösen, emotionales Narbengewebe zu entfernen und Ihr Selbstvertrauen zu stärken. Sie werden alte, destruktive Vorstellungen über Kreativität erforschen und überwinden. Bei der Arbeit mit diesem Buch werden Sie eine intensive Begegnung mit Ihrer eigenen Kreativität erleben – mit Ihren persönlichen Bösewichten, Helden, Wünschen, Ängsten, Träumen, Hoffnungen und Triumphen. Diese Erfahrung wird Sie in Aufregung versetzen, depressiv, wütend, freudig, hoffnungslos und letzten Endes freier machen.

Die Grundtechniken

Zur Aktivierung von Kreativität gibt es zwei zentrale Techniken: die Morgenseiten und den Künstlertreff. Ein nachhaltiges Erwachen der Kreativität verlangt die konsequente Anwendung beider Techniken. Ich werde beide erläutern und damit die meisten Ihrer Fragen beantworten. In diesem Kapitel auf den folgenden Seiten wird genau erklärt, was unter Morgenseiten und Künstlertreff zu verstehen ist. Bitte lesen Sie es mit besonderer Aufmerksamkeit.

Die Morgenseiten

Damit Sie Ihre Kreativität fördern können, müssen Sie sie zunächst einmal finden. Um dieses Ziel zu erreichen, bitte ich Sie, ein auf den ersten Blick sinnloses Verfahren anzuwenden: das Schreiben der Morgenseiten. Während des zwölfwöchigen Kurses werden Sie sich dieser Technik jeden Tag bedienen, und ich wünsche Ihnen, dass Sie diese neue gute Angewohnheit auch danach weiter beibehalten. Ich schreibe jetzt seit zehn Jahren Morgenseiten. Für manche meiner Schüler ist die Technik unverzichtbar geworden.

Ginny, eine Schriftstellerin und Produzentin, führt die Inspiration für ihre letzten Drehbücher und die Klarheit bei der Planung ihrer Fernsehfeatures auf die Morgenseiten zurück. »Ich bin, was das Schreiben der Morgenseiten angeht, bereits abergläubisch geworden«, sagt sie. »Als ich mein letztes Feature machte, bin ich morgens um fünf Uhr aufgestanden, um schreiben zu können, noch bevor ich mit der Arbeit anfing.«

Was sind die Morgenseiten? Einfach ausgedrückt sind sie drei ohne Abkürzungen vollgeschriebene Blätter, die streng dem Bewusstseinsstrom folgen: »O Gott, schon wieder ein Morgen. Ich habe NICHTS zu sagen. Ich muss die Vorhänge waschen. Habe ich gestern meine Wäsche gewaschen? Bla, bla, bla …« Sie könnten also auch einfach Gehirnentleerung genannt werden, denn das ist eine ihrer Hauptfunktionen.

Man kann die Morgenseiten nicht auf die falsche Art schreiben. Diese täglichen verbalen Morgenspaziergänge sind nicht als Kunst gedacht. Nicht einmal im klassischen Sinn als Text. Ich betone diesen Punkt, um diejenigen zu beruhigen, die mit diesem Buch arbeiten und keine Schriftsteller sind. Schreiben ist nur eine von mehreren Techniken. Die Morgenseiten verlangen von Ihnen lediglich, Ihre Hand über die Seite zu bewegen und niederzuschreiben, was immer Ihnen in den Sinn kommt. Nichts ist zu unbedeutend, zu albern, zu dumm oder zu skurril, um aufgeschrieben zu werden.

Die Morgenseiten sollen nicht gescheit klingen – obwohl das auch vorkommen kann. Niemand außer Ihnen selbst wird sie je zu lesen bekommen. Und in den ersten acht Wochen sollten auch Sie selbst sie nicht lesen. Schreiben Sie einfach nur drei Seiten voll, und stecken Sie sie in einen Umschlag. Oder beschreiben Sie drei Seiten in einem Ringbuch und blättern nicht mehr zurück. Schreiben Sie drei Seiten … und am nächsten Tag weitere drei.

30. September 1991 … Am Wochenende gingen Domenica und ich für ihr Biologiepraktikum auf Wanzenjagd zum Rio Grande und zum Port Creek. Wir sammelten Wassertiere und Schmetterlinge. Ich hatte mir mein eigenes knallrotes Schmetterlingsnetz gemacht, das sich als recht nützlich erwies, obwohl uns die Libellen zu unserem Ärger entkommen sind. Die Tarantel, die den staubigen Weg in der Nähe unseres Hauses hinunterkrabbelte, fingen wir leider auch nicht. Wir freuten uns jedoch darüber, dass wir sie entdeckt hatten.

Obwohl die Morgenseiten manchmal farbenfroh ausfallen können, werden sie viel öfter negativ oder bruchstückhaft sein. Oft werden Sie sich selbst bemitleiden, sich wiederholen; Ihr Text wird gestelzt oder kindisch klingen, wütend oder sanft und manchmal sogar albern. Das ist gut so!

2. Oktober 1991 … Ich bin aufgestanden und hatte Kopfschmerzen und habe ein Aspirin genommen und fühle mich besser, aber immer noch ein bisschen wackelig. Es könnte doch diese Grippe sein. Ich bin jetzt mit dem Auspacken fast fertig und habe immer noch nicht Lauras Teekanne gefunden, die ich schmerzlich vermisse. Ich bin untröstlich …

All dieses wütende, weinerliche, unbedeutende Zeug, das Sie auf Ihren Morgenseiten festhalten, steht zwischen Ihnen und Ihrer Kreativität. Angst um den Job, die Wäsche, die Beule am Auto, der seltsame Blick in den Augen unseres Freundes oder unserer Freundin – all diese Dinge wirbeln durch unser Unterbewusstsein und überlagern unseren Tag. Bringen Sie sie zu Papier.

Die Morgenseiten sind die wichtigste Technik für die Aktivierung Ihrer Kreativität. Als in seinem Schaffen gehemmter Künstler kritisieren Sie sich wahrscheinlich erbarmungslos. Auch dann, wenn Sie in den Augen der Welt ein produktiver Künstler sind, haben Sie selbst vermutlich das Gefühl, weder genug noch das Richtige zu tun. Sie haben sich zum Opfer Ihres verinnerlichten Perfektionisten gemacht, der in Ihrer linken Gehirnhälfte sitzt und zu allem, aber auch allem, was Sie tun, seine Wahrheit beisteuert. Er sagt so wundervolle Dinge wie »Das nennst du schreiben? Das ist ja lachhaft. Du beherrschst nicht einmal Zeichensetzung und Rechtschreibung. Wenn du das bis jetzt nicht gelernt hast, dann wirst du es nie lernen. Wieso glaubst du, kreativ zu sein?« Und so weiter.

Denken Sie immer daran, dass die negativen Äußerungen Ihres inneren Zensors nicht die Wahrheit sind. Das erfordert Übung. Indem Sie seine abschlägigen Bemerkungen jeden Morgen nach dem Aufstehen hochkommen lassen und zu Papier bringen, lernen Sie, ihm auf die Schliche zu kommen. Da es unmöglich ist, die Morgenseiten auf falsche Art zu schreiben, spielt es keine Rolle, wie Ihr innerer Kritiker sie bewertet. Lassen Sie ihn ruhig weiterplappern. (Das wird er ohnehin tun.) Ihre Hand füllt trotzdem die drei Blätter. Schreiben Sie die Gedanken Ihres inneren Zensors auf, wenn Sie möchten. Beobachten Sie dabei, wie er Ihnen an Ihre kreative Gurgel geht. Machen Sie sich nichts vor: Ihr Zensor will Sie fertigmachen. Er ist ein listiger Gegner! Haben Sie schon einmal darüber nachgedacht, wer da in Ihnen alles kommentiert, was Sie tun? Jedes Mal, wenn Sie etwas dazulernen, tut er es auch. Sie haben also ein gutes Theaterstück geschrieben? Ihr innerer Kritiker sagt Ihnen, dass es Ihr letztes sein wird. Ihnen ist ein erster Entwurf für ein großes Bild gelungen? Ihr innerer Zensor mäkelt: »Ein Picasso ist das aber nicht.«

Stellen Sie sich Ihren Zensor als eine giftige Schlange vor, die durch Ihren Garten Eden der Kreativität schleicht und Ihnen Gemeinheiten zuzischelt, um Sie aus Ihrem kreativen Fahrwasser zu werfen. Wenn Ihnen das Bild von der Schlange nicht zusagt, dann finden Sie ein anderes für Ihren Zensor. Vielleicht ist er ja der mörderische Hai aus dem Film. Malen Sie ihn, und streichen Sie ihn mit einem dicken X aus. Hängen Sie das Bild da auf, wo Sie normalerweise schreiben, oder kleben Sie es auf den Innendeckel Ihres Notizbuches. Indem Sie den Zensor in Ihrer Fantasie auf einen widerlichen kleinen Zwerg reduzieren, verliert er etwas von der Macht, die er über Sie und Ihre Kreativität hat.

Der eine oder andere meiner Kursteilnehmer hat außerdem für sich eine Karikatur des Elternteils angefertigt, der für die Einnistung des Zensors in seiner Psyche verantwortlich war und ihn so weitgehend entmachtet. Ziel ist es, im inneren Kritiker nicht mehr länger die Stimme der Vernunft zu sehen und ihn stattdessen als den Miesmacher zu durchschauen, der er in Wirklichkeit ist. Die Morgenseiten werden Ihnen dabei helfen.

Die Morgenseiten sind nicht verhandelbar. Lassen Sie die Morgenseiten nie aus, und lassen Sie sich beim Schreiben nicht hetzen. Die Gemeinheiten, die Ihr Zensor verbreitet, sind nicht wichtig. Auch Ihre Stimmung ist nicht wichtig. Wir haben die Vorstellung, dass wir in der richtigen Stimmung sein müssen, um schreiben zu können. Das stimmt nicht.

Die Morgenseiten werden Ihnen zeigen, dass Ihre Stimmung in Wirklichkeit keine Rolle spielt. Einige der besten Arbeiten entstehen tatsächlich genau an den Tagen, an denen Sie überzeugt sind, nur Mist zu produzieren. Durch die Morgenseiten werden Sie lernen, mit dem Urteilen aufzuhören und sich einfach nur schreiben zu lassen. Sie sind müde, mürrisch, abgelenkt oder gestresst? Und wennschon. Ihr innerer Künstler ist ein Kind, das Nahrung braucht. Durch die Morgenseiten bekommt Ihr Künstlerkind Nahrung. Also schreiben Sie!

Drei Seiten über alles, was Ihnen in den Sinn kommt – das heißt all das, was gerade ansteht. Wenn Ihnen nichts einfällt, dann schreiben Sie: »Mir fällt nichts ein, worüber ich schreiben könnte …« Tun Sie das so lange, bis Sie drei Seiten gefüllt haben. Schreiben Sie, was immer Sie wollen, bis die drei Seiten voll sind.

Wenn Kursteilnehmer fragen: »Warum müssen wir Morgenseiten schreiben?«, dann antworte ich: »Damit ihr es auf die andere Seite schafft.« Sie glauben dann, ich mache Spaß, aber es ist mir ernst. Die Morgenseiten bringen uns wirklich auf die andere Seite: die andere Seite unserer Angst, unserer Negativität, unserer Launen. Und, was am wichtigsten ist, mit ihrer Hilfe lassen wir den inneren Zensor hinter uns. Dort, wo uns kein Zensor mehr dazwischenquatscht, finden wir unsere eigene Mitte, den Ort, an dem wir die kleine, feine Stimme hören, die sowohl unserem Schöpfer als auch uns selbst eigen ist.

An dieser Stelle muss nun etwas über das logische Gehirn und das Künstlergehirn gesagt werden. Das logische Gehirn wird in der westlichen Welt bevorzugt. Es ist das kategorische Gehirn. Es denkt klar und linear. Es begreift die Welt gemäß bekannten Kategorien. Ein Pferd ist eine bestimmte Zusammensetzung von Körperteilen, die ein Pferd ergeben. Ein herbstlich gefärbter Wald wird als eine Kombination von Farben betrachtet, die wir zusammen als »Herbstwald« empfinden. Das logische Gehirn schaut sich einen Herbstwald an und stellt fest: rot, orange, gelb, grün, golden.

Das logische Gehirn war und ist zuständig für unser Überleben. Es funktioniert auf der Basis einmal erkannter Prinzipien. Alles Unbekannte wird als falsch und möglicherweise gefährlich aussortiert. Das logische Gehirn mag es, wenn die Dinge wie die Soldaten in einer ordentlichen Reihe hintereinanderweg marschieren. Das logische Gehirn ist der Verstand, auf den wir hören, besonders dann, wenn wir uns selbst befehlen, vernünftig zu sein.

Das logische Gehirn ist unser innerer Zensor. Wenn unser Zensor einen ihm unbekannten Satz, eine neue Phrase hört oder eine ungewöhnliche Farbkombination sieht, dann sagt er: »Was in aller Welt soll das sein? Das gibt es nicht!«

Das Künstlergehirn ist unser innerer Erfinder, unser inneres Kind, unser ureigener zerstreuter innerer Professor. Das Künstlergehirn sagt: »Super! Das ist so genial!« Es setzt seltsame Dinge zueinander in Beziehung (ein Boot ist Welle und Spaziergänger zugleich). Es gefällt ihm, einen Rennwagen als wildes Tier zu bezeichnen: »Der schwarze heulende Wolf fuhr in die Auffahrt …«

Das Künstlergehirn ist unser kreatives, holistisches Gehirn. Es denkt in Bildern und Farbschattierungen. Es sieht einen Herbstwald und denkt: Wow! Ein Blätterbouquet! Hübsch! Ein goldglanzglitzriger Erdhautkönigsteppich! Das Künstlergehirn ist assoziativ und hat einen freien Willen. Es schafft neue Verbindungen und verknüpft Bilder, um sie mit neuem Sinn zu füllen. In den nordischen Mythen zum Beispiel wird ein Boot »Wellenpferd« genannt. Der Name Skywalker (Himmelsläufer) im Film Krieg der Sterne ist einem wunderbaren Künstlergehirngeistesblitz des Produzenten George Lucas zu verdanken.

Was soll all das Gerede vom logischen und vom Künstlergehirn? Es soll uns bewusst machen, dass die Morgenseiten dem Verstand beibringen, zurückzutreten und das Künstlergehirn spielen zu lassen.

Der innere Zensor ist Bestandteil unseres aus Vorzeiten verbliebenen Überlebensgehirns. Die Entscheidung darüber, ob es sicher war, aus dem Wald und auf die Wiese hinauszutreten, fiel in seinen Zuständigkeitsbereich. Unser Zensor überprüft die Wiese unserer Kreativität auf mögliche gefährliche Tiere. Für ihn kann bereits ein neuer, ungewöhnlicher Gedanke gefährlich aussehen.

Er mag nur solche Sätze/​Gemälde/​Skulpturen/​Fotografien, die er schon viele Male gesehen hat. Sichere Sätze. Sichere Gemälde. Keine experimentellen Ergüsse, keine krummen Linien oder Gedankensplitter. Hören Sie Ihrem inneren Zensor zu, und er wird Ihnen sagen, dass alles Originelle falsch/​gefährlich/​schlecht ist.

Jedes Mal, wenn Sie sich auf Zehenspitzen nach draußen wagen, macht sich jemand (Ihr Zensor) über Sie lustig. Wer wäre da nicht blockiert? Die Morgenseiten werden Ihnen zeigen, wie Sie diese Verspottungen in Zukunft an sich abperlen lassen können. Sie werden es Ihnen ermöglichen, sich von Ihrem inneren Miesmacher zu distanzieren.

Vielleicht hilft es Ihnen, das Schreiben der Morgenseiten als Meditation zu begreifen. Möglicherweise ist es nicht die Art von Meditation, an die Sie gewöhnt sind. Oder Sie haben noch keine Meditationserfahrung. Zwar sind die Morgenseiten nicht spirituell und noch nicht einmal meditativ – sie sind eigentlich eher negativ und materialistisch –, dennoch sind sie eine gültige Form der Meditation, durch die uns Einsichten vermittelt werden. Und sie helfen uns, Änderungen in unserem Leben herbeizuführen.

Schauen wir uns an, was wir durch Meditation erreichen können. Es gibt viele verschiedene Ansätze, um über Meditation nachzudenken. Wissenschaftler interessieren sich für sie im Zusammenhang mit den Gehirnhemisphären. Managementberater betrachten Meditation hauptsächlich als eine Technik der Stressreduktion, mit der sie die körperliche Gesundheit ihrer Mitarbeiter erhalten können. Spirituell Suchende empfinden das Meditieren als Tor zu Gott. Für Künstler und Kreativitätsexperten ist Meditation ein Kanal für höhere kreative Einsichten.

Alle diese Vorstellungen sind zutreffend, aber nicht umfassend genug. Es stimmt, wir nehmen Einfluss auf unser Gehirn, reduzieren Stress, stellen Kontakt zu einer kreativen Quelle her und profitieren von den resultierenden kreativen Einsichten. All das sind Gründe genug, um sofort mit der Meditation zu beginnen. Doch selbst dann, wenn man all diese Vorstellungen zusammen betrachtet, sind sie lediglich das intellektuelle Konstrukt für etwas, das in erster Linie eine Erfahrung von Ganzheit, Gültigkeit und Macht ist.

Wir meditieren, um unsere Identität zu entdecken und um unseren Platz in der Ordnung des Universums zu finden. Durch Meditation erkennen und anerkennen wir unsere Verbindung zu einer inneren Kraftquelle, die unsere äußere Welt transformieren kann. Mit anderen Worten: Meditation verhilft uns nicht nur zum Licht der Einsicht, sondern gibt uns auch die Kraft für weitreichende Veränderungen.

Einsicht ist ein intellektueller Trost. Macht hingegen stellt eine blinde Kraft dar, die genauso leicht zerstören wie aufbauen kann. Nur wenn wir bewusst lernen, Macht und Einsicht zu verbinden, dann beginnen wir, unsere rechtmäßige Identität als kreative Wesen zu spüren. Durch das Schreiben der Morgenseiten kann uns diese Verbindung gelingen. Es gestattet uns die Kontaktaufnahme mit dem inneren Schöpfer. Diese Tatsache macht die Morgenseiten zu einer spirituellen Übung.

Es kann sein, dass man über längere Zeit Morgenseiten schreibt, und der Zugang zum inneren Schöpfer lässt sich scheinbar nicht herstellen. Ich habe sie viele Jahre lang geschrieben, bevor ich begriff, dass die Seiten vor allem ein Tor zu einem starken und klaren Gefühl für das eigene Selbst sind. Sie sind ein Pfad, dem wir in unser eigenes Inneres folgen, wo wir sowohl unserer Kreativität als auch unserem Schöpfer begegnen. Doch der Prozess hat nichts Spektakuläres und ist leicht zu übersehen.