Der Weg. Ein Dialog - Kolja Mertz - E-Book

Der Weg. Ein Dialog E-Book

Kolja Mertz

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  • Herausgeber: epubli
  • Kategorie: Bildung
  • Sprache: Deutsch
  • Veröffentlichungsjahr: 2023
Beschreibung

Der Weg, ist die Bezeichnung der ersten Anhänger Christi für das, was sie noch nicht besser zu betiteln wussten. Sie wollten etwas Neues - etwas, das sich der Religion der Altvorderen widersetzte. Auch heute sehen sich die Menschen nach einem Weg, oder genauer: Nach einem Ausweg aus dem Jammertal der Ideologien der Gegenwart und Vergangenheit. In einem Dialog zwischen Alt und Jung greift dieser Roman die philosophischen und religiösen Kernfragen der Kultur und Gesellschaft auf und verbindet komplexe Philosophie mit der Einfachheit des Alltags, Profanes trifft auf Erhabenes, und es zeichnet sich ein Wertekanon ab, der tief geprägt ist von den christlichen biblischen Texten, jedoch nicht unkritisch gegenüber den unangenehmen Auswüchsen bleibt. Dabei bleibt es immer offen, dialogisch und frei – wobei es zuweilen auch radikal und hart sein kann. Nichts bleibt unausgesprochen und niemand, keine Partei, keine Gruppe kommt ungeschoren davon. Zwei Menschen reden miteinander, fair, hart und unerbittlich konsequent.

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Der Ältere begann: „Es handelt sich um eine Darstellung des heiligen Georg. Der Drache war in der Antike ein Herrschaftssymbol, man konnte ihn bei vielen Völkern als Feldzeichen finden. Ein Überbleibsel davon ist in der Heraldik des Mittelalters erhalten geblieben. Erst die Kirche hat dann den Drachen als die Verkörperung des Bösen identifiziert.“

Der Jüngere fragte nun: „Wo sie das gerade ansprechen. Was halten sie eigentlich von Exorzismus, Magie und solchen Dingen?“

„Das ist ein schwieriges Thema. Das Phänomen an sich gibt es in allen Religionen. Die eigentliche Frage lautet ja: Ist da wirklich jemand von einer bösen Macht besessen, oder handelt es sich mehr um eine Krankheit?

Meiner Ansicht nach bedingt sich das gegenseitig, es sind zwei verschiedene Zugänge und Sprechweisen, oder sagen wir, Sinnfelder. Es handelt sich um zwei verschiedene Begriffe, die beide auf ihre Weise wahr sind oder etwas Wahres ausdrücken.“

„Also glauben sie, dass es Besessenheit gibt und dass ein Exorzismus helfen kann?“

„Ich will es mal so formulieren: Eine Illusion kann manchmal realer sein als die Realität. Und manchmal ist die Realität die Illusion und die Illusion die Realität. Und manchmal kann eine Heilung nur innerhalb eines Gebäudes aus Illusionen stattfinden.

Wenn man die Welt vom Wahnsinn und Fundamentalismus befreien will, so muss man zunächst in ihn eindringen, ihn verstehen und von innen heraus aufbrechen."

„Ich glaube an ein Eigendasein des Bösen und nicht, dass es nur eine Illusion ist. Ich glaube sogar, es gibt nur das Böse, und dass der Teufel der wahre Herr der Welt ist.“

„Und wie denken sie über den Exorzismus in diesem Zusammenhang?“

„An sich verstehe ich den Gedanken. Ich frage mich nur, wie die innere Logik dahinter aussehen soll. Nehmen wir zum Beispiel mal das Rituale Romanum. Man schimpft nur wütend auf den Dämon ein und beleidigt ihn. Was soll das bringen? Das ist doch wie Musik in den Ohren des Teufels, oder nicht?“

„Das Ritual hat niemals aus sich selbst heraus irgendeine Macht. Denken sie an die Schlacht der Hebräer gegen die Philister. Nachdem sie den Kampf verloren hatten, ließen die Hebräer die Bundeslade in ihr Lager holen, weil sie dachten, sie brächte ihnen den Sieg. Und dennoch ließ der Herr der Heerscharen, Adonai Zebaoth, sie den Krieg verlieren.“

„Und?“

„Wenn die Bundeslade nicht einmal eine Armee von Menschen aufhalten kann, wie soll sie es dann erst mit einer Armee der Finsternis aufnehmen. Wenn sie nicht einmal einen Menschen vertreiben kann, wie kann sie dann einen Dämon vertreiben?“

„Aber was hat das mit dem Rituale Romanum zu tun?“

„Ganz einfach. Wenn schon die heilige Bundeslade nicht in der Lage ist, Dämonen auszutreiben, wie soll es dann ein derartiges Ritual können?“

„Wie können wir Gott denn dann auf unsere Seite holen?“

„Gott lässt sich nicht verdinglichen. Er ist nicht verfügbar. Man kann ihn nicht auf seine Seite holen, er holt uns an seine Seite und wir können folgen oder nicht.“

„Wie denn?“

„Wissen sie, was der Philosoph Immanuel Kant mit öffentlichem Vernunftgebrauch gemeint hat?“

„Keine Ahnung, aber ich denke mal irgendwas Politisches, oder so – wenn man halt zu vielen Leuten spricht und irgendwas verkündet.“

„Überhaupt nicht. Nein. Mit öffentlich meint Kant alle Gespräche, insbesondere die des Alltags, beim Friseur, oder mit Freunden, oder auf der Arbeit, die inhaltlich nicht um irgendwelche private Themen kreisen wie, was man im letzten Urlaub gemacht hat, oder wie man sich gerade fühlt, sondern Gespräche über die Wirtschaft, die EU, das Wesen des Geldes, die philosophische Widersprüchlichkeit der naturwissenschaftlichen Weltansicht, Psychologie und all solche abstrakten Dinge – kurzum: Genau das, was wir hier gerade tun, ist der Gebrauch der öffentlichen Vernunft – ein bestimmter Denkraum, der uns alle betrifft und nicht nur mich persönlich.“

„Schön. Hab ich verstanden. Und was soll das nun bringen? Was hat das mit Gott zu tun? Wie kann ich Gott auf meine Seite holen?“

„Gott offenbart sich in diesem Denkraum der öffentlichen Vernunft in Gestalt des Heiligen Geistes, der innerhalb dieses Denkraumes in Erscheinung tritt.

In der abstrakten Metaebene des Öffentlichen und Gesellschaftlichen findet das Neue statt, wenn es sich im Konkreten des Alltags manifestiert – Allgemeines und Konkretes, Heiliges und Profanes, fallen zusammen. Am Stammtisch, beim Friseur, im Büro, wird entschieden, was wichtig ist und was nicht. Auch jede Revolution muss von hier ausgehen oder sie wird scheitern. Hier findet der Kampf gegen die Dämonen und das Böse statt. Wenn sie sich hier behaupten und einen Weg finden, werden sie auch die Dämonen in ihren Träumen besiegen. Hier findet die wahre Schlacht statt. Jeden Tag.

Deshalb ist es typisch, dass gerade reaktionäre und engstirnige Menschen immer nur Smalltalk führen und nie über Religion, Liebe oder Politik reden wollen – und wenn es um politische Themen geht, dann wird aus Neid und Hass gesprochen, im Ton der Anklage, Missachtung und Abwehr.

Der Smalltalk ist die eigentliche Gefahr für die Demokratie und die Teilhabe an derselben. Die Demokratie aber ist ein Schimmer des Himmels, den zu verteidigen es gilt.

All diejenigen aber, die glauben, es könne in kleinen Schritten ablaufen, hier und da Veränderungen geben, die große Revolution indes als zu gefährlich ablehnen, oder sogar jede Veränderung per se für unmöglich und nicht durchführbar erklären, unter Berufung auf das Wesen des Menschen oder das Funktionieren des Systems, sind nicht nur zumeist die, die von diesem angeblich funktionierendem System profitieren – sie haben überdies einen fetischartigen Bezug zu der Gesellschaft in der sie leben und zu den Waren und Dienstleistungen, die sie erwerben, um sich damit einzukleiden und zu schmücken und ihren miefigen, privaten, bürgerlichen Tempel der Einsamkeit zu einem Mini-Paradies zu machen, das leider nur zugänglich ist für Clubmitglieder.

Der Preis, den man zahlt, um Clubmitglied zu werden, ist gering, hier ein wenig Plastik einsparen, da einen Öko-Stromanbieter bevorzugen, hin und wieder ins vegetarische Restaurant gehen. Eine kleine Performance, ein kleines Lippenbekenntnis genügt, und es kann weitergehen wie bisher.

Als Lohn für die Clubmitgliedschaft, kann ich mein privilegiertes Leben weiterführen, und mir ein gutes Gewissen und einen Platz im Himmel erkaufen.

Dieser Club in der Mitte unserer wunderbaren Gesellschaft ist der eigentliche Kern der Korruption, des Machtmissbrauchs und des schleichenden Todes.

Die Clubmitglieder kontrollieren Mieterschutzverbände, die Politik, das Schulwesen und die Universitäten. Sie beherrschen den Diskurs, den Rundfunk, die Zeitungen. Sie sind diejenigen, die etwas verändern könnten, doch sie leugnen es, um ihren Sonderstatus erhalten zu können. Sie sind die Bourgeoisie.

Sie bestimmen auch, was eine Gefahr für die Menschheit darstellt, beispielsweise eine Pandemie – handelt es sich dabei doch um eine der wenigen Dinge, die ihren Lebensstandard noch gefährden können. Armut, Hunger und Mietnotstand tun das nicht. Deswegen besteht da ebenauch kein sofortiger Handlungsbedarf.

Sie sprechen in unser aller Namen, sie bestimmen den Narrativ, im Namen Gottes, der Vernunft und der Menschlichkeit. Sie behaupten, sie täten es zu unserem besten und wir wüssten es nicht besser. Sie nennen es Verantwortung, doch in Wahrheit ist es Ausbeutung. Sie gebärden sich wie Engel, im Herzen aber sind es TeufelInnen.

Der oberste Priester und Leitwolf des Clubs nun ist das, was man den Satan nennen kann, so einem dieser Begriff passend erscheint. Diesen Satan gilt es auszutreiben aus der Gesellschaft. Beginnen tut dies in der eigenen Familie.“

„Das bedeutet im Umkehrschluss, dass durch Corona unsere westlichen Zivilisationen demokratischer geworden sind, da die Menschen vorher mit Nichtigkeiten beschäftigt waren, wohingegen sie nun beginnen Fragen zu stellen und zu diskutieren, und genau dieser Gruppe nicht mehr glauben. Der Club ist entlarvt.“

„Wir alle sind doch die Clubmitglieder und wir glauben uns selbst nicht mehr. Wir alle plappern die Lügen, die im Mitgliedschaftsvertrag stehen, jeden Tag nach.

Es ist der Mittelstand, der nach mehr strebt, der sich sehnt auch mal richtig reich zu sein und von den Nachbarn bewundert zu werden, der das System zementiert.

Hier träumt man davon, dass der Kronprinz das Mädchen aus dem Volke heiratet, anstatt zu fragen: Wozu brauchen wir einen verfickten Kronprinzen? Warum gibt es diese Zweiteilung von Volk und Adel und wieso orientiere ich mich daran?“

„Hat das wirklich etwas mit dem Mittelstand zu tun?“

„Niemals würde eine Fließbandarbeiterin, mit Tattoos und Piercings und einem 8-Stunden-Tag, die nicht gerade aussieht wie ein Topmodel, von etwas derartigem träumen – sie träumt von einer Gehaltserhöhung.

Erst wenn ich mich dem sinnlosen Gelaber morgens am Küchentisch widersetze und mich weigere über Stars und Sternchen zu reden, kann ich den Raum betreten in dem höheren Denken, zumindest potenziell, wenn auch etwas holperig, möglich ist.

Und die Entwicklung zu höherem Denken im Sinne von mehr Menschlichkeit, weniger Kontrolle, mehr Vertrauen, Annahme der eigenen Sterblichkeit, Solidarität mit den Schwachen und alle diese Dinge – das ist der Heilige Geist.

Mit dem Schwert des Heiligen Geistes – dem im öffentlichen Raum geführten Diskurs – ist es mir möglich die Macht des Bösen und die Denk- und Handlungsstrukturen des Bösen zu zerschneiden, will sagen, aufzudecken, zu entlarven, um nicht zu sagen, bloßzustellen. Natürlich nicht ohne dabei auf Widerstand zu stoßen von Seiten all derjenigen, die im Privaten verloren gegangen sind und deren Interesse allein darin besteht über sich selbst zu sprechen und darüber, wie großartig und erfolgreich sie sind, anstatt über ihre Brüche und Abgründe – was einen öffentlichen und für die Allgemeinheit wichtigen Bezugspunkt öffnen würde.

Man kann also den Grad der Reife eines Menschen am Grad seiner Bereitschaft sich auf den öffentlichen und manchmal schwierigen Diskurs einzulassen ablesen.

Insofern sind diese Gruppen von Widerständlern und Querdenkern für mich nichts anderes als ein Signal für das erste Erblühen eines sanften Schimmers dessen, was man als einen Reifeprozess begreifen kann, denn all jene, die sich dorthin verirren, kommen aus ihren Kokons gekrochen, in denen sie jahrelang gefangen waren und betreten einen Raum in dem plötzlich ganz viel gesagt und ganz viel getan wird, das ihrem bisherigen Weltbild gänzlich widerspricht – und das ist gut. Problematisch ist nur das Fehlen des Respektes und der Achtung der Perspektive des anderen.“

„Und was hat das mit der Bundeslade zu tun?“

„Nun. Die Liturgie, der Gottesdienst, ist ein Gedenken an die Öffnung des neuen Denkraumes hin zum heiligen Geist durch Jesus Christus, dessen geistiges Sein überlebt hat, während sein Körper gestorben ist.

In der Liturgie wird die lebendige Erinnerung an die Möglichkeit der Veränderung hin zu einem Reich Gottes, einer sozial gerechteren Welt, verdeutlicht – die heute kaum jemand mehr zu denken wagt, da er sonst als Utopist, Sozialromantiker oder Idealist abgetan wird.... Eher würde man ernstgenommen, so man behauptete der Mensch werde bis zum Jahre 2045 das Rätsel der Unsterblichkeit entschlüsselt haben und dereinst den Weltraum besiedeln, als zu hoffen, dass bis dahin eine sozial gerechte Welt entstanden sei, oder gar, dass Gott allein das ewige Leben geben könne.

Nimm als Beispiel für das soeben behauptete, etwa den Film Avatar – dieses Sci-Fi-Pocahontas-Märchen. Alles ist in dieser Welt von Morgen, möglich: Die Besiedelung des Weltraums, intergalaktischer Krieg, Lichtgeschwindigkeitsflüge, Kybernetik, Nanotechnik der nächsten Generation, genetische Wunder etc.

Doch die Marktlogik des Kapitalismus bleibt für die Ewigkeit bestehen. Egal was die Zukunft auch bringen mag, der Mensch bleibt Homo Oeconomicus und notorischer Ausbeuter – es sei denn, er kehrt zurück in den Urwald, transformiert seinen Geist in einen genetisch geschaffenen Alien-Avatar und wird Teil einer außerirdischen Zivilisation, dessen Mitglieder gemeinschaftliche, quasi-sexuelle Beziehungen mit einem gewaltigen Mammut-Baum haben, der als die große Mutter bezeichnet wird.

Solcher Blödsinn gilt heutzutage als denkbares, gar wünschenswertes Szenario, oder wenigstens als gelungene Gesellschaftskritik, aber wer an Jesus glaubt und die Bibel, der gilt als verkorkst.... Bin ich der Einzige, dem das seltsam vorkommt? Gerade wo doch alle immer betonen, wie realistisch und objektiv die heutigen Menschen seien.

Die christliche Lösung funktioniert gegenteilig: Im Christlichen Gottesdienst ist die soziale Hierarchie zeremoniell durchbrochen und nicht etwa technisch oder genetisch. Ferner setzt das Brechen der Hierarchie, versinnbildlicht im Brechen des Brotes, das geteilt wird, im Geist an.

Mit dem Brechen des Brotes und dem Teilen desselben und der Bekundung, dass es von Gott gegeben wird, wird auch der Mutterkult gebrochen. Nicht mehr das Brot und die Ähren und die Kornkammer sind das Heiligste, sondern die neue Gemeinschaft, die über den Clan, über das Familiäre hinausgeht.

Dies hat eine gesellschaftlich-revolutionäre Kraft. Im Abendmahl sitzen Arme und Reiche nebeneinander, sprechen über ihre Sorgen, hören einander zu, führen einen Diskurs und essen und trinken zusammen, und gerade durch dieses Sprechen bricht die Hierarchie ein. Das Reich Gottes tritt in Erscheinung, wenn zwei Menschen einander auf Augenhöhe begegnen und sich aufrichtig zuhören, ohne Vorwurf, ohne Abneigung, ohne Häme, ohne herablassendes Gehabe – kurzum, ohne Narzissmus.

Im Denken, oder genauer, im sicheren, geschützten, aus Wohlwollen gewachsenen Denk-Raum, findet die große Revolution statt!

Die Schicksalsgemeinschaft wird durchbrochen, ich bin nicht mehr an Mutter und Vater gebunden und an all die alten Kräfte der alten Gottheiten. Ich bin nicht mehr zum Gehorsam und zur kindlichen Pietät den Eltern und der heidnischen Tradition gegenüber verpflichtet. All diese alten Regeln und Gesetze der alten Muttergöttinnen, die im germanischen Raum den Nornen entsprechen, sind aufgelöst.

Das Element der Befreiung, der Auflösung der heidnischen Kulte durch Ausgang aus der Unmündigkeit einer alles totschweigenden Mutter- und Schicksals-Naturreligion, fehlt eben in Filmen wie Avatar.

Nicht irgendein körperliches Merkmal oder irgendein materieller Zustand muss geändert werden, sondern eine bestimmte Art der Wahrnehmung der Welt selbst.“

Siehe da, das ist meine Mutter und meine Brüder! Denn wer den Willen tut meines Vaters im Himmel, der ist mein Bruder, Schwester und Mutter.

Matthaeus 12, 49

„Das ändert sich in der christlichen Gemeinde ebenso wenig wie in einem linken, kommunistischem Studentenforum.“

„Diese modernen Märchen der Linken, die von der großen Toleranz schwärmen und alle Grenzen auflösen wollen, geschlechtlich, gesellschaftlich, sozial, persönlich und politisch, setzen, wie alle Ideologien, beim Ende an und erschaffen eine Utopie, eine fixe Gemeinschaftsvision, die eben nicht nach freier Selbstentfaltung, sondern dem kollektiven Funktionieren fragt und dieses mit einer weiblich-vorwurfvollen, sanft gebietenden Herdenmoral selbstgefällig als Harmonie deklariert, um so die eigene Agenda zu kaschieren und sich unter dem Mantel der Zivilcourage zu verstecken. 

Nur wer sich der blumigen, beharrlich insistierenden Schmusediktatur der angeblichen Toleranz und Zwangsinklusion im Namen des sozialen Friedens zu beugen bereit ist, darf auf Dauer seine Privilegien behalten. Nur wer bedingungslos nachplappert, was sich ein paar selbsternannte FeministInnen und SoziologInnen in Sprachlaboren und hinter verschlossenen Türen ausgedacht haben, wird akzeptiert. Der vermeintlich faule und verabscheute Rest wird ignoriert, gecancelt und in die Ecke gestellt.

Im Namen der Nachhaltigkeit, der Harmonie und gesellschaftlichen Mitte darf dann jede noch so vorsichtige Kritik erstickt und jedes noch so kleinlaute Widerwort als politisch inkorrekt oder abwertend und unangemessen diffamiert werden. Alles für die schöne, neue Welt, die endlich das langersehnte Heil bringen soll.“

„Reden wir jetzt noch über den Film Avatar?“

„Ja natürlich. Siehst du denn nicht, wie sich all dies gegenseitig bedingt und ineinander gedacht werden muss?

In dem Film wird nicht danach gefragt, ob es eine beidseitige Lösung geben könnte oder ein Einvernehmen zwischen Menschen und Außerirdischen, weil am Ende der Untergang der einen und der Aufstieg der neuen Welt steht – stehen muss. Das verlangt eben die Ideologie.

Es ist ideologisch gewollt und festgelegt. Die Zukunft der Na’vi, der Außerirdischen, ist nicht offen, sondern geschlossen. Sie sind wie Säuglinge, die ohne Geist leben und permanent unter Drogen stehen, in einer vorzivilisatorischen Einheit mit Mutter Natur.

Es gilt nur ein Gesetz: Das haben wir immer so gemacht! Und wer etwas anderes will, wird ermahnt und zurechtgestutzt im Namen der Harmonie. Doch es ist die Harmonie der Schicksalsgöttinnen, der Nornen und mächtigen SoziologInnen, die uns vorgeben wollen wie wir leben, denken, fühlen, ja sogar wie wir ficken sollen.

Jesus aber entwickelt ein gänzlich anderes Bild. Er denkt vom Anfang her, wenn er sagt, das Reich Gottes sei wie ein Samenkorn. Es beginnt klein, im Denken, im Mikrokosmos des Gesprächs zwischen zwei Individuen, die nebeneinander an einem Tisch sitzen und offen sprechen, vielleicht auch unterschiedlicher Meinung sind in mancherlei Punkten. Es gibt zwei verschiedene Zugänge, verschiedene Individuen mit verschiedenen Aufgaben und Zugängen zu einer gemeinsamen Welt, die einander ergänzen und dadurch neue Äste und Verzweigungen bilden, die aus Freude und Liebe am Anderen entstehen, wodurch dereinst der große, neue, geistige Baum des Lebens oder das neue, geistige Jerusalem entstehen.

Nicht: Das ist der Baum, so und so sind die Äste zu bilden und zu formen, da kommt dieses Blatt hin, in dieser Farbe und dieser Ast muss genau so lang sein, bis hier hin, damit auch alles schön symmetrisch ist, und eine Gruppe von Experten entscheidet wie das zu machen ist, und wer sich nicht daran ausrichtet, wird ausgegrenzt.

Nicht: Der fertige Baum soll so aussehen und dementsprechend müsst ihr euch jetzt alle hier anpassen und verhalten.

Sondern: Es darf und soll Verzweigungen und virtuose Blätter und Formen geben, ja, die aber vielleicht auch mal absterben oder sich neu bilden oder verweht werden. Aber nicht ein Einzelner entscheidet welches Blatt wertvoll und bunt ist und welches nicht. Man wird schon erkennen, wo es wächst und gedeiht.“

„Klingt ziemlich liberal.“

„Das ist einfach nur vernünftig und gerecht und vor allem, angemessen.“

„Wie soll das konkret, ohne Plan, vonstattengehen?“

„In jedem Akt der Liebe und der Aufwertung unseres Gesprächspartners, in jedem Achten einer anderen Perspektive, schlagen wir einen mächtigen Hieb in den harten und schuppigen Wanst des großen Drachen.“

„Der große Drache ist somit auch in gewisser Weise der Drache des Kommunismus.“

„Man kann das nicht auf einzelne Begriffe runterbrechen. Deswegen würde ich diese Position auch nicht direkt liberal nennen. Sie ist so liberal wie sie links ist. Das, was heute links genannt wird, hat doch mit Arbeiterkampf nichts mehr zu tun. Da geht es um die Umwandlung der Werte nach eigenem Gusto. Die Liberalen sind nicht besser.“

„Lassen wir’s mit der Politik. Wieder zurück zum Film Avatar. Wo ist da der Bezug?“

„Nichts von solcher Differenzierung und humanistischer Denkweise und Kritik findet sich bei Avatar oder anderen Filmen dieser Art.“

„Und was ist mit dem Abendmahl? Das hatten sie auch erwähnt.“

„Der Punkt ist: Wenn auch nicht im realen Leben, so stehen doch hier, beim Abendmahl, der Reiche und der Arme nebeneinander und keiner ist mehr wert als der andere. Am Tisch Christi hat keiner irgendwelche Privilegien, vielmehr sagt Jesus genau an jenem Tisch: Wer unter euch der höchste sein will, der soll der Diener aller sein.“

„Aber das ändert doch nichts an den realen Verhältnissen.“

„Das ist nicht korrekt. Denn durch den Gebrauch der öffentlichen Vernunft und die gemeinsame, liturgische Einübung derselben wird ein Denkprozess im Gehirn bewirkt, der neuronale Strukturen beeinflusst – zu behaupten das hätte keine Wirkung, wäre so als würde man sagen, dass täglicher Fernsehkonsum und TikTok keinen Einfluss auf Denkgewohnheiten hat, obwohl wir wissen, dass junge Menschen etwa viel plastischer und viel stärker in Kamera- und Filmperspektiven denken als ältere, die diese Schablonen der Wahrnehmung nicht seit frühester Kindheit in sich aufgebaut haben.... Also: Die Kategorien in denen wir denken werden geändert. Das Prinzip der Shifting Baselines wird dabei erkennbar.“

„Da hat sich die Kirche aber weit von ihren ursprünglichen Idealen entfernt.“

„Wenn unser Denken, wie im Falle des christlichen Abendmahls, in einem positiven Sinne hin zur Öffnung, zum Miteinander und zum Zuhören beeinflusst wird, so hat das unmittelbar Einfluss auf die Art wie wir uns bei Meinungsumfragen verhalten, oder wie wir Kaufentscheidungen treffen, oder wie wir politisch agieren und wählen, oder welches Fernsehprogramm wir schauen – und das verändert Quoten, Institutionen und Machtverhältnisse.

Das wiederum verändert Gesetze… Oder wenigstens bringt es diejenigen, die die Gesetze machen zum Nachdenken, wenn sie als Menschen wahrgenommen werden und ihre Kinder am Frühstückstisch mit ihnen über Jesus und das Reich Gottes sprechen wollen und welche politischen Konsequenzen das hat.

Man sieht also: All dieses Denken und liturgische Wiederholen und Einüben von Gemeinschaftskultur bewirkt etwas.

Es reicht also allein schon anders zu denken, um eine Veränderung in Gang zu setzen – bei sich selbst und eventuell auch bei anderen. 

Die Liturgie dient als Katalysator, um den Raum des öffentlichen Vernunftgebrauchs zu vergrößern. Das ist ihr Zweck. Erfüllt sie ihn nicht mehr, so verliert sie ihre Bedeutung.

Im Grunde liegt hier auch der Schlüssel zum Verständnis von Magie, denn Magie war nie etwas anderes als Alchemie und Technik und Manipulation der Masse mithilfe der Wissenschaft und fadenscheinigen Erklärungen der Priester und Forscher.

Magie ist Wissenschaft und Wissenschaft ist Magie – eine Magie, die das Gehirn, die Neuronen, die Magnetfelder, das Denken und Wollen und Streben des Menschen beeinflusst, um ihn zu beherrschen.

Gekoppelt wird diese Beeinflussung an niedere, tierische Impulse und Instinkte, die dem Menschen näher an das Reich Satans, des Antichristen bringen und weg vom öffentlichen, heiligen und offenen Raum der Vernunft und der liebevollen und wohlwollenden Solidarität, die auf Demut, statt überheblicher Selbsterhöhung und Selbstanbetung basiert.

Die Wissenschaft, oder besser die bösartige und falsche, um nicht zu sagen gottlose Wissenschaft, beziehungsweise Magie, zielt auf Unterdrückung, Übervorteilung und Lüge ab. Sie will den Menschen zum Tier machen und erklärt ihn deshalb mit allerlei Beweisen, magischen Formeln und geheimnisvollen, langen Zaubersprüchen und Theorien am Ende zur Bestie – sie verzaubert den Menschen nicht mehr in einen Frosch, sondern seit Darwin in einen Affen.“

„Ja. Lobbyismus ist schon schlimm. Das hat etwas dämonisches.“

„Mit einem riesigen Brimborium wird der Mensch auf diese Weise verwandelt, unter Hypnose gesetzt, solange bis er am Ende wirklich denkt, er sei bloß ein Tier – sein Wissen, das er sich dann geschaffen hat und an das er festhält mit eiserner Gewalt, nennt er dann Vernunft und braucht's allein nur tierischer als jedes Tier zu sein, sodass sich jedes Tier schämen muss mit ihm verglichen zu werden, gerade weil er jene abscheuliche Wissenschaft geschaffen hat, die unterm Strich bisher weitaus mehr Elend, Spaltung und Ungleichheit in die Welt gebracht hat als dass sie Gutes bewirkt hätte....“

„Und was ist mit der Lebenserwartung? Die ist doch gestiegen.“

„Ja. Im Westen. Bei den Weißen der Oberschicht, die sich gut ernähren und nicht in schimmligen Ghettos wohnen müssen und sich Tabletten leisten können, die ihr kümmerliches Leben um drei bis vier Jahre verlängern. Das haben Herzschrittmacher und transplantierte Organe geschafft! Aber was ist das für ein Leben, allein und abgeschlagen, nur um das letzte bisschen rauszukratzen, nur um des Lebens willen? Was hat ein solches Leben an Würde, Vorbildkraft und Selbstüberwindung und Liebe in sich? Wo sind da Hoffnung und Wärme und Freude? Und wie lange soll das halten? Bis zur nächsten Seuche? Bis zum nächsten Erdbeben?“

„Den größten Teil der erhöhten Lebenserwartung machen die Kontrolle der Landwirte durch staatliche Behörden, das Penicillin und moderne Wasserversorgung aus! Das hat weniger mit Wissenschaft als mit Umverteilung, gesamtgesellschaftlicher Gerechtigkeit und Menschenrechten zu tun!“

„Andererseits sind diese ganzen Punkte ebenfalls nur durch wissenschaftliches Arbeiten und Recherchieren möglich.“

„Eben. Deswegen kommt es darauf an, von wo aus ich Wissenschaft betreibe, vom Geist, aus der Liebe und von Gott aus, oder vom Körper.“

„Naja. Wenn ich an all das Leid und die Ungerechtigkeit in der Welt denke, dann weiß ich nicht, was ich von so etwas halten soll.

Diese typisch naive christliche Botschaft – lass alles los, du brauchst diesen weltlichen Tand nicht, im Jenseits wird alles besser – verkündet man gerne denen, die nichts haben. Die fühlen sich dann wohl und aufgewertet.

Man erzählt den Armen, sie seien selig, um sie ruhig zu stellen, damit sie auch etwas haben. So als würden die Reichen ihre Bittsteller abspeisen, indem sie sagen: Wir sind zwar reich, aber ihr solltet euch freuen, dass ihr arm seid, denn da ist ein besonderer Platz für euch im Himmel. Wartet's nur ab. Alles wird gut. Und den Reichen geht es weiter gut und sie leben sich rücksichtslos aus, ohne schlechtes Gewissen.“ 

„Bei näherer Betrachtung ist das gar nicht so. Glauben sie mir. Ich bin seit einer halben Ewigkeit in der Seelsorge. Ich weiß, wovon ich rede.“

„Es gibt keine halbe Ewigkeit.“

„Ja. Natürlich nicht. Das ist der Witz dabei.“

„Können sie ihren Standpunkt denn erläutern?“

„Bei mir waren Manager, Politiker, Professoren und sogar Stars. Klar hatten die von außen betrachtet alles, was man sich wünschen konnte. Aber wenn sie wüssten, was bei denen alles im Argen ist, was die für Leichen im Keller haben. Dass es den Reichen gut ginge, halte ich für eine Projektion der Armen.

Es gibt eine Anekdote über Katharina die Große, die Herrscherin Russlands, die etliche Schlösser und üppige Reichtümer besaß. Es heißt in einem ihrer Schlösser hätten sich ein paar Diener regelmäßig in der Speisekammer am Wein und am Gebäck vergriffen.

Als Katharina davon hörte, soll sie befohlen haben, die Diener nicht zu bestrafen und den Wachleuten befehlen lassen, sie sollen nicht ganz so streng hinsehen.“

„Warum hat sie das getan?“

„Katharina musste drei bis fünfmal am Tag ihr Kleid wechseln, das dauerte ein bis zwei Stunden, überdies musste sie ein Reich verwalten, jeder Mann, der ihr begegnete stand in dem Verdacht nur an die Macht zu wollen, kein Mensch stand ihr nahe und sie führte ein Leben im Dienst an ihrem Land und ihren Untertanen.

Einmal auf die Sache angesprochen, soll sie geantwortet haben: Diese Diener sind die glücklichsten Menschen in meinem Reich. Sie halten sich für Könige, wenn sie meinen Wein trinken, sie glauben, sie wären große Feldherren, wenn sie meine gebratenen Enten essen, und sie wähnen sich schlauer als der Hofstaat und alle meine Soldaten, wenn sie ihre Spuren zu verwischen versuchen. Sie wissen nicht, wie es ist zu herrschen, sie wissen nicht, wie bitter der Wein schmeckt, wie zäh die Entenbrust ist und wie durchtrieben und böse der Hofstaat. Ich beneide sie für ihre Unwissenheit und kindliche Freude und ich wünschte ich wäre eine von ihnen…. Wie sollte ich diesen Menschen etwas tun? Ich liebe doch mein Volk.“

„Das ist ganz eindeutig eine Anekdote, die sich der Adel ausgedacht hat – obwohl sie ihren Charme hat.

Aber es gibt auch noch eine andere Gruppe von weniger verantwortungsbewussten Anführern, die sich nicht im Geringsten dafür interessieren, was ihr Volk, ihre Community, ihre Zuschauerschaft über sie denkt – die wollen nur Geld.“

„Denken sie ja nicht der Vorwurf Betrüger zu sein, belaste einen Menschen nicht. Die sind nicht zufrieden oder glücklich. Sie behaupten es vielleicht – und doch sieht man sie sehr selten lachen und wenn, dann ist es eher ein zynisches als ein herzliches…“

„Aber was ist dann mit der breiten Masse, der sogenannten Mittelschicht? Also mit denen die weder Diener noch Fürsten sind?“

„Gehen wir in die Analyse: Die Arbeitswelt des modernen Menschen und mithin des typischen Vertreters der Mittelschicht, lässt sich in drei Ebenen aufteilen – nämlich meine Person, meine Rolle und meine Firma. Drei Kreise. Je weiter nun diese Ebenen oder Kreise auseinanderliegen, desto größer sind die Spannungen, die auszuhalten sind. Das nennt man dann Entfremdung der Arbeit.“

„Und wenn sie alle zusammenfallen, dann hat man das perfekte Zusammenspiel. Alle Kreise müssen verschmelzen!“

Plötzlich regte sich etwas im Anderen und er platzte heraus: „Um Himmels willen, nein. Das eigene Wertesystem und das persönliche Glück deckungsgleich mit der Bilanz der Firma zu setzen, wäre purer Totalitarismus, oder auch Google-Ismus. Eine völlige Überforderung an den Einzelnen. Der Weg in die Ideologie.

Das funktioniert nur in China, Korea und Indien, wo die Menschen ein starres Kastenbewusstsein haben und ihre Identität aus ihrer Funktion für den Staat ziehen.“

„…da bei ihnen, wie die Neurowissenschaft heute weiß, der linke temporoparietale Übergang beim Betrachten von Mitgliedern der eigenen Gruppe, die Schmerzen erleiden, auf Grund der Erziehung und Kultur stärker aktiv wird, was aber zugleich zu einer geringeren Empathie mit Mitgliedern einer anderen Gruppe und zu einer gesteigerten Begeisterung und Unterwerfungshaltung gegenüber Hierarchien führt.

Anders gesagt: Das bestehende System hinterlässt einen neuronalen Stempel. Nicht umgekehrt – wie man fälschlicherweise lange glaubte." 

„Die Frage lautet: Findet da im Gehirn, auf neuronaler Ebene, nicht vielleicht schon ein innerer Krieg statt? Das System mag machtvoll auf den Einzelnen einwirken, ihn bis in seine Hirnstruktur einzäunen, aber zu welchem Preis? Hinzu kommt auch: Das Gehirn erneuert sich ständig, ist plastisch und enorm veränderungsfähig.“

„Ja. Es kommt zu einer Wechselwirkung zwischen dem System und dem Einzelnen.“

„Das ist das schwierige, dass sich die inneren, angeboren und insofern vorbestimmten Faktoren und die Umweltfaktoren so sehr miteinander verzahnen.“

„Das versucht die Wissenschaft zu erklären und dafür Muster zu finden. Darum geht es bei der ganzen Computerisierung – dass man das genau beschreiben und dann genetisch beeinflussen kann. Dafür muss man halt forschen.“ 

„Bisher ist ja nicht so viel bei herausgekommen. Ich sage nur: Human Genome Project.

Am Ende ist der Glaube an die Technologie eine Religion wie jede andere auch. Man glaubt an irgendetwas, das einem Hoffnung verspricht, und wer daran zweifelt, an der Wissenschaft, an Impfungen beispielsweise und ihrer Wirksamkeit, wird zwar nicht mehr verbrannt, dafür aber gefeuert.“

„Man wird schon noch was finden und irgendwann wird man die Wechselwirkung von Geist und Materie bis ins Detail bestimmen können. In hundert Jahren werden wir über solche Diskussionen nur müde lachen und uns wichtigeren Dingen zuwenden. Dann werden den Pionieren unserer Tage Statuen errichtet werden. Ehre wem Ehre gebührt. Denken sie an Nanobots."

„Schauen sie: Aus dieser Wechselwirkung von Umwelt und Angeborenem erwächst eine gewaltige, auf mehreren Ebenen sich ständig entwickelnde, wachsende, beinahe organische Symbiose und Dynamik, die in ihrer Komplexität weder vom Einzelnen und noch weniger von einem Computerprogramm gesteuert oder erklärt werden kann, da die Anzahl der Variablen und Zufälle dieser gesellschaftlichen wie innerbiologisch verwobenen, individuell verzahnten Dynamik viel zu hoch ist, als dass sie mit mathematischen Mitteln erfasst werden könnte.

Selbst eine vom Menschen geschaffene künstliche Intelligenz könnte eine solche Erfassung nicht leisten, da sie eingestellt und programmiert werden müsste von Menschen bzw. mittels von Menschen programmierter Maschinen.

Solche Maschinen sind durch ihre Kapazität und ihr Vorstellungsvermögen genuin begrenzt und deren Modelle sind so provisorisch und fehlerhaft, dass sie bestenfalls ein paar praktische Formeln und ungefähre Richtungen entwerfen können, nie jedoch das Ganze erfassen, zumal ihnen das Denken in Unendlichkeiten und die intuitive Wahrnehmung der Zahlendimension fehlt, weshalb sie immerzu bloß ungenaue und stark reduzierende Simulationen abgeben werden, die auf zahllosen vergröbernden, unbeweisbaren oder gar falschen Annahmen basieren.

Dies ist notwendigerweise und unabänderbar der Fall. Bei den Computern verhält es sich nämlich ganz anders als bei den filigranen Strukturen, welche die Natur in ihrer virtuosen Detailverliebtheit hervorgebracht hat. Das kann man regelrecht sehen, wenn man den Bauplan eines Gehirns betrachtet, den wir nicht einmal ganz verstehen, und daneben den eines Rechners. Oder wenn man nur einen Transistor, das kleinste Bauelement der Maschine, mit einer Nervenzelle vergleicht.

Man könnte noch einiges dazu sagen und die wissenschaftlichen Beiträge überschlagen sich, die Forschung boomt, zurecht übrigens; generell jedenfalls lässt sich feststellen, dass die Spezialisierung der Nervenzellen und Hypervernetzung mit mehreren Ausgängen, sowie die spezielle Form der Informationsübertragung in der Synapse, die hohe Effektivität des Gehirns bewirkt. Die Dichte der vorhandenen Vernetzungen macht die hohe Rechengeschwindigkeit der modernen Rechner um ein Tausendfaches wieder wett. Mindestens. So weit, so grob.

Das ist absolutes Standardwissen und keine Sache der Meinung oder dergleichen.

Deshalb ist es such absurd anzunehmen, Menschen seien dereinst in der Lage eine wahrhaftig selbständige Intelligenz in maschineller oder organischer Gestalt zu erschaffen. Dies wird nie geschehen können. Unter keinen Umständen.“

„Aber die Genforschung schreitet doch in großen Schritten voran.“

„Das ist nicht der Fall. Man spricht inzwischen von einer sogenannten verschollenen Erbschaft, oder im Englischen, missing heritability.“

„Laut Wikipedia: Das Problem der verschollenen Erblichkeit bezeichnet die Tatsache, dass einzelne genetische Variationen nicht viel zur Erblichkeit von Krankheiten, Verhaltensweisen und anderen Phänotypen beitragen können…. Sagt mir nicht viel.“

„Es hängt alles mit dem Human Genome Project zusammen.“

„Inwiefern?“

„Wir dachten, dass wir durch das Human Genome Project und die Entschlüsselung der menschlichen DNA den Weg in eine neue Zeit geöffnet hätten, aber wir konnten mit den Daten wenig anfangen. Die Art und Weise wie Gene verschaltet werden ist hyperkomplex, und vermutlich auch die Reihenfolge. Es spielt sich in Clustern ab, die individuell variieren, eine Genveränderung beeinflusst viel mehr als wir ursprünglich angenommen hatten, und es wirkt nicht immer gleich. Auch wissen wir nicht wie sich, wie du ja richtigerweise angemerkt hast, Epigenetik auswirkt.

Auch mathematisch ergeben sich Konsequenzen. Beispielsweise was die Axiomatik der Mengenlehre angeht. Wir gehen etwa davon aus, dass die Reihenfolge in welcher bestimmte Mengen gebildet werden unerheblich ist. Würde man die Reihenfolgen miteinbeziehen wäre die notwendige Rechenleistung Mengenlehreoperationen durchzuführen unfassbar viel höher. Wenn es um genetische Codierung geht, spielen Reihenfolgen allerdings eine erhebliche Rolle.“

„Wenn die Rechenleistungen hoch genug wären, so könnte man das schon irgendwie simulieren.“

„Da bin ich aber nicht sicher. Ich fürchte, dass das Problem Unendlichkeiten zu denken, das menschlich intuitives Verstehen ausmacht, niemals simuliert werden kann, da die Architektur der Systeme selbst das nicht zulässt (auch bei Quantenrechnern nicht).

Ich denke aus vielen Gründen, die ich hier nicht alle darstellen will, dass es, wenn wir nur minimal in den Bereich höherer Intelligenz gehen (Bakterien zählen nicht in diesen Bereich), schon nicht mehr möglich sein wird das zu simulieren. Aber da müssten wir uns über Zellen, intelligente Zellwände und Reizübertragung unterhalten. Wo soll das hinführen?“

„Ich verstehe schon.“

„Der Punkt ist: Gehirnentwicklung, Selbstverständnis in der Welt, etc. ist alles an Körperlichkeit, an das Fühlen und Spüren gekoppelt. Man kann Bewusstsein nicht trennen von Körperlichkeit, von der Art wie Zellen entstehen und wie wir genetisch codiert sind.

Nun verstehen wir aber nicht einmal wie die einfachsten Mechanismen, auf Zellebene, funktionieren. Alles was wir wissen, ist enorm grob. Wir neigen dazu das zu unterschätzen. Was auch immer wir da messen und wie genau das auch wird, das ändert nichts an der Tatsache, dass wir, erstens nur rumfuschen, und zweitens nicht wissen, was das, was auf dem Bildschirm erscheint (wenn wir beispielsweise Träume darstellen) im Träumenden auslöst, wo er welchen Schwerpunkt legt, was er oder sie denkt, fühlt etc. Um es idiotensicher zu formulieren: Das wäre so als würde ich jemanden beim Fernsehschauen beobachten und genau haarklein berechnen wo einer hinsieht, worauf er sich fokussiert usw. und dann würde ich sagen: Jetzt weiß ich wie du tickst! Nein, natürlich nicht.“

„Oh. Das geht schneller als sie glauben. Es gibt so etwas wie exponentielles Wachstum in der Mathematik. Das mooresche Gesetz besagt, dass sich die Komplexität integrierter Schaltkreise mit minimalen Komponentenkosten regelmäßig verdoppelt; je nach Quelle werden 12, 18 oder 24 Monate als Zeitraum genannt.“

„Ich glaube nicht, dass die Entwicklung gemäß Moores Law unbegrenzt so weitergeht. Beispiel: Veränderung der Eigenschaften, wenn Moleküle (in einem Microchip zum Beispiel) unter eine bestimmte Größe fallen (von fest zu flüssig). Deswegen befürchte ich, dass wir nicht einmal die potenziell notwendige Rechenleistung erreichen werden – auch nicht mit besseren Kühlsystemen und Anordnungen der Transistoren etc. Ingenieure werden – doch da räume ich ein, dass ich mich vielleicht ein bisschen irren könnte - das nicht bewältigen. Doch selbst wenn sie es bewältigen, befürchte ich eben, wird das nichts nützen.“

„Was denken sie dann über solche Leute wie Ray Kurzweil oder Yuval Noah Harari? Die sind ja überzeugt, dass unser Universum vollständig berechenbar ist und dass die Maschinen uns eines Tages ersetzen und dass all diese hier angesprochenen Fragen durch Supercomputer gelöst werden, die in Kategorien und Schemata denken, die unser beschränkter Geist gar nicht erfassen kann.“

„Es handelt sich um eine lächerliche, kindliche Allmachtsfantasie. Nichts weiter. Wie bei einem Dreijährigen, der davon träumt, fliegen zu können und LKWs durch die Luft zu schleudern oder ein X-Man zu sein.“

„Aber was ist mit Nanobots? Ist das alles nur menschlicher Größenwahn?“

„Wenn man sich die Videos bei YouTube oder die Dokumentationen im Fernsehen zum Thema Nanobots ansieht, so hat man es strukturell mit Erzeugnissen des Marketings zu tun, also mit Werbevideos!

Erzählt werden da eine Reihe aufmunternder, inhaltsloser Geschichten, unterlegt mit sanfter, ansteigender Klaviermusik. Aber unterm Strich können diese Instrumente nichts anderes als bisherige Therapiemethoden. Sie machen es nur wesentlich sauberer, lokaler und schneller.“

„Immerhin.“

„Falls die Entwicklung der Technologie ähnlich abliefe wie bei Computern, will sagen, wenn Lernkurveneffekte und exponentielle Kostensenkungen eintreten, dann würden eventuell viel mehr Menschen besser und effizienter behandelt werden.

Das wäre großartig und diese Technologie könnte ein brauchbares medizinisches Tool werden.“

„Aber?“

„Aber eine Revolution der Medizin zeichnet sich da nicht ab. Das ist eine recht unrealistische Hoffnung. “

„Vielleicht ist es am Ende viel einfacher als wir glauben. Vielleicht sind es gar nicht so viele Variablen, die man kennen muss, um den größten Teil, der abgeht, zu verstehen.“ 

„Es ist eben nicht einfach! Das ist es gerade. Sokrates sagte bereits: Ich weiß, dass ich nichts weiß.

Was glauben sie zum Beispiel wie viel Prozent der wirksamen chemischen Inhaltsstoffe eines Apfels die Wissenschaft heute, nach hundert Jahren Apfelforschung, kennt und chemisch bestimmen kann?“  

„Keine Ahnung.... Neunzig Prozent?'

„Ein Drittel.“

„Woher haben sie diese Information? Ist das denn wirklich alles so gesichert?“

„Konkret? Kein Problem: Professor Bernhard Watzl vom Max-Rubner-Institut Karlsruhe hat diese Zahl im Rahmen eines Interviews über die Forschung über freie Radikale und ihre gesundheitsfördernde Wirkung genannt.“

„Oh. Na gut.“

„Das ist das, was ich meine: Wenn man in die konkrete Forschung geht und sich die konkreten Zahlen mal in aller Ruhe anschaut, an ein bis zwei Nachmittagen, dann merkt man wie viel an unserer so hochgelobten modernen Wissenschaft eigentlich nur Ideologie, Gelaber und Aufschneiderei ist.... Da ist ein Herr Watzl natürlich ein Gegenbeispiel als einer der wenigen redlichen und ehrlichen Wissenschaftler, die es noch gibt.... Und deshalb hat er auch so einen Erfolg – er belügt sich nicht selbst…“

„Was wollen sie jetzt mit alledem ausdrücken?“

„Ja, wenn das schon mit einem Apfel so kompliziert ist, wie steht es dann erst mit einem Menschen?

Und den will man dann auch noch so verändern, dass er unsterblich wird?

Sie sehen: Die Dimensionen sind einfach zu monströs und die Wissenschaft wird das über kurz oder lang einsehen müssen…“

Der Jüngere räusperte sich und fasste zusammen: „Kurzes Fazit an der Stelle. Wir sind von der Bundeslade, über schwarze Magie, dem Kapitalismus und der Hirnforschung auf einen Apfel gekommen.... Das ist wie in der Geschichte mit Adam und Eva. Alles beginnt und endet mit einem Apfel.“

„Und dabei war es eigentlich eine Feige!“

„Das auch noch!“

„Aber vergessen sie bei allem nicht, was die Wissenschaft beitragen kann. Wir haben es bereits gesagt: Das System hinterlässt einen neuronalen Stempel – der Apfel ist immer das, was ich über ihn gelernt habe. Manchmal ist er sogar eine Feige! Oder umgekehrt.“

„Und was hat das mit Entfremdung der Arbeit zu tun und mit Google und Totalitarismus und damit, dass das Privatleben, das Wertesystem und der Erfolg der Firma und überhaupt irgendwie alles langfristig ungünstig zusammenfällt? Und warum funktioniert dieser neue Totalitarismus nur in China?“

„In Asien gibt es keinen Mittelstand. Es gibt nur die Elite, also den Kader, und die anderen, die Angestellten.

Die Angestellten sind unterteilt in Manager und Lohnarbeiter. Das ist der moderne Kapitalismus in Reinform.

Anders gesagt: Der Kapitalismus funktioniert nur dann, wenn es keinen Mittelstand mehr gibt, der alteingesessen ist und nicht mehr kämpfen und konkurrieren und Angst um seine Privilegien haben muss, was ihn träge und unproduktiv macht.

Aber: Ohne Mittelstand und das Ethos, dass harte Arbeit Lohn und Erfolg und Aussicht auf ein kleines bisschen privates Glück verspricht, können auch die Balance und das harmonische Gleichgewicht nicht erhalten bleiben. Es geht auf Dauer nicht beides, Turbokapitalismus und zufriedene Bürger!

Langfristig geht eine so schnelle Veränderung und die damit verbundene Wandlung der Werte in einem Land nicht gut, denn die Hirnstruktur eines Menschen kann sich bekanntermaßen innerhalb von sieben Jahren komplett verändern, unabhängig von Alter oder Geschlecht.... Das heißt, dass der Arbeiter, der vor sieben Jahren noch an Pietät und Staatstreue geglaubt hat, in gewissenhaftem Untertanengeist dem Staat innerlich verbunden, überzeugt von den Werten seiner Kindheit, heute eine ganz und gar andere Ansicht vertreten kann und vielleicht viel mehr für sich beansprucht als vor sieben Jahren – obwohl es ihm inzwischen wirtschaftlich wesentlich besser geht als vorher. Das ist vielleicht paradox, aber eben genau so sind Menschen – auch die Chinesen! 

Und genau solche Phänomene ereignen sich in den eben genannten modernen asiatischen, kapitalistischen Ländern in immer stärkerem, politisch relevantem Maßstab, da sowohl die Oberschicht als auch die Unterschicht plötzlich nicht nur anders lebt, sondern zu allem Überfluss auch noch anders fühlt und denkt als vorher – so etwas passiert, wenn sich ein System nach Außen öffnet, was ebenfalls unvermeidbar ist.

Anders gesagt: In dem Moment, wo junge, chinesische Autoren über den Zerfall der romantischen Liebe schreiben, die sie gerade erst entdeckt haben und in dem Moment wo indische Unberührbare ihren Platz in jener Gesellschaft anzweifeln, die Jahrtausende lang von ihrer Ausbeutung gelebt hat, gerät das ungebremste Wirtschaftswachstum dieser Regionen ins Wanken – neurologisch könnte man es so ausdrücken, dass sich die Aktivitätsstruktur des linken temporoparietalen Übergangs ändert, auf Grund der veränderten Außensituation, wodurch sich ein neuartiger ethischer und gesellschaftlicher Diskurs entwickelt.“

„Wie jetzt?“ 

„Ich meine damit, dass die Menschen dort plötzlich merken, dass sie so etwas wie Individualität und Gefühle besitzen und dass nicht immer alles traditionsgemäß, frei von Widersprüchen und im Einklang mit dem Kosmos sein muss – weil der Kosmos in sich ein Widerspruch ist und weil Widersprüche erwünscht und sogar ein Wert für sich sein können, da sich in ihnen die Vielfalt und Weite der Welt und ihrer Bewohner spiegelt – was uns alle daran erinnert, dass wir weder allein, noch unsterblich sind, sondern einander bedürfen und uns in unserer Unterschiedlichkeit und Individualität gegenseitig inspirieren, sodass das Konzert des Lebens nicht verklingt, sondern nur seine Gestalt ändert und sich in einem ewigen Echo, in dem wir als Einzelne nur ein kleiner persönlicher Widerhall sind, selbst neu erfindet....“

„Klingt hegelianisch.“

„Wie auch immer: Diese Strömungen sind ganz und gar nicht gut für den radikalen Manchesterkapitalismus, der dort betrieben wird.

Im Moment mag das noch gut funktionieren, aber schon bald werden die sozialen Abgründe und Fragen so drängend sein, dass sich eine neue Ordnung einpendeln muss.... Fragt sich nur, was für eine. Ob es so abläuft wie in Europa, wissen wir nicht. Es gibt kein Gesetz dafür. Es ist frei.“

„Was können wir tun?“

„Aus all diesen Gründen müssen wir vorsichtiger, genauer, selbstreflektierter und mit aufwändigeren Beschreibungsmethoden die Probleme unserer Zeit einordnen und durchdenken, statt mit Pseudolösungen unser Gewissen zu beruhigen. Insbesondere müssen wir alle Wissenschaften miteinbeziehen, ganzheitlich und interdisziplinär denken, theologisch, psychoanalytisch, neurowissenschaftlich, biologisch und natürlich philosophisch-abstrakt, neutral und ohne Wertung oder Präferenz gegenüber irgendeiner Disziplin, Religion oder Forschung.... Wir müssen uns den Denkraum der öffentlichen Vernunft mittels Liebe, Solidarität und Logik zurückerstreiten! Das ist unser aller Aufgabe.“

„Da schließt sich der Kreis.“

AUFKLÄRUNG ist der Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit. Unmündigkeit ist das Unvermögen, sich seines Verstandes ohne Leitung eines anderen zu bedienen. Selbstverschuldet ist diese Unmündigkeit, wenn die Ursache derselben nicht am Mangel des Verstandes, sondern der Entschließung und des Mutes liegt, sich seiner ohne Leitung eines andern zu bedienen. Sapere aude! Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen! ist also der Wahlspruch der Aufklärung.

Faulheit und Feigheit sind die Ursachen, warum ein so großer Teil der Menschen, nachdem sie die Natur längst von fremder Leitung freigesprochen (naturaliter maiorennes), dennoch gerne zeitlebensunmündig bleiben; und warum es anderen so leicht wird, sich zu deren Vormündern aufzuwerfen. Es ist so bequem, unmündig zu sein.

Immanuel Kant

„Wir brauchen mehr Diskurs.... Und die Uni versagt dabei sträflich. Zumindest bisher.... Denken, denken, denken. Das ist die einzige Lösung. Das ist Pflicht. Wer das nicht tut und sagt, er wolle stattdessen sein Leben genießen, der hat nichts als Verachtung und Abscheu verdient, denn er oder sie ist eine egoistische, schmutzige, perverse Sau, die sich selbst zu Grunde richten wird. Dem müssen wir ins Auge schauen!“

„Aber was kommen da für Menschen bei heraus, wenn niemand mehr denkt und sich die Mühe macht genau zu überlegen, wie die Zusammenhänge wirklich sind? Was passiert, wenn alles miteinander verschmilzt und das Ich sich immer weiter auflöst zwischen Yogamatten, Weihrauch, Urlaub, Ikea, Star Wars und Umweltschutz?“

„Es entsteht im Innern des Menschen eine perverse, trinitarische Verschmelzung von Rolle, Person und Profession. Immer erreichbar, immer online, immer aktiv und progressiv. Ein Hoch auf uns!

So entwickelt sich eine Art Mega-Fantasie, die in einer totalitären, kitschigen Fiktion alles gleichzuschalten und jedem gerecht zu werden versucht – und sich dabei in unendliche Widersprüche verheddert.

Es ist zudem eine zutiefst weibliche Fiktion der Harmonie, des Ausgleichs, der Widerspruchsfreiheit und Reibungslosigkeit, die gewissermaßen sich selbst gerade dadurch weiter in ihrer Unentwirrbarkeit verstrickt, dass sie immer noch, bis zum Tode, vergeblich versucht ihre eigene Unsinnigkeit mit einem Inhalt und Wert zu füllen, der schon vor etlichen Jahren bis zum letzten Tropfen erbarmungslos ausgequetscht worden ist.

Diesen Wert oder Tropfen nennt man dann Toleranz – ein Konzept, das so lange funktioniert, bis einer fragt, was damit eigentlich gemeint sein soll.

Jene Frage nach den Konsequenzen und den Opfern der Toleranz ist ein Sakrileg – sie darf nicht gestellt werden, weder am Küchentisch noch im Parlament. Und während die Wirtschaftswelt sich immer schneller dreht und bald die Macht übernimmt, bleibt die Politik irgendwann einfach stehen und alle Abgeordneten auf ihren Plätzen sitzen, um den Managern, der neuen Bourgeoisie, das Feld zu überlassen und auf ihr Ende zu warten – die Pension.... Dann wird die Demokratie tot sein. Dann herrscht endlich Stillstand und Harmonie. Pax Feminina. Oder wie die Hausfrauen es ausdrücken: Das große Glück.... Fehlt nur noch ein Kranz mit der Aufschrift: Hier ruht die Freiheit! Aber niemand kann die Schrift lesen, denn es klebt ein dicker Smiley drüber.... 

Das ist grauenvoll. Eine Mischung aus Hollywood, Google, Buddha und Faschismus – der aber nicht so genannt wird, weil das ein böses Wort ist, das man lieber nicht in den Mund nimmt.

Das wird kommen. So wie es sich bereits in China entwickelt hat: Der Staat, die Familie, die Firma und der Einzelne als Unternehmer seiner eigenen hirnlosen Agenda, bilden die totale Einheit, in der man als reale Person, bei der Suche nach sich selbst, im Ozean der allgemeinen Haltlosigkeit ertrinkt. Und sogar die Haltlosigkeit wird am Ende noch vermarktet und gehört einem dann schließlich nicht mehr selbst, sondern als Datenansammlung über unser Bewegungsprofile dem Hersteller von Pokemon Go....

Es gibt kein Selbst mehr, außer das projizierte, digitale, retuschierte und überarbeitete, idealisierte Selbst – als das Selbst im Smartphone, oder besser I-Phone. Nicht Self, sondern Self-I. Ein widerspruchsfreies, harmonisches, sauberes I-Self. Nach dem Motto: Ich sende, also bin ich. Ich bin, was ich sende. Der Rest landet einfach im Papierkorb, der digitalen Kloake meiner Seele, dessen Inhalt aber keiner sieht, weil so viele Smileys darüber kleben – die sich allerdings schon in der Mitte braun färben und langsam durchweichen – was sowohl für den Einzelnen als auch für die Gesellschaft als Ganze gilt…“

„....“

„Wenn ich am Küchentisch zuhause nicht mehr schlecht über meine Firma reden darf und selbst in der Kneipe noch einen Anzug trage, dann gehe ich kaputt. Das hält kein Mensch aus. Das ist wie ein Leben in einem rosaroten Gefängnis aus billigen Blumen und schlechtem Parfüm.

Es sei denn, man erschafft sich einen intimen, fiktiven Raum, eine fantastische, abenteuerliche Traumwelt, in die man sich heimlich verkriecht und zu der nur man allein Zugang hat. Eine wilde und freie Oase der Seele. Einen Ort an dem alles voller Leben und Poesie ist.“

„In genau diesem Raum möchten die großen Konzerne gerne eine Kamera installieren und alle 2 Minuten Werbung schalten.“

„So eine abscheuliche Horrorwelt des totalen Kapitalismus, der totalen Überwachung und der totalen Befriedigung, wie wir sie uns selbst erschaffen, führt den Einzelnen in die schizoide Selbstspaltung – die Entfremdung der eigenen Person. Die Harmonie, das Paradies, wird in seiner Eindimensionalität und Unterwerfung unter die Gesetze des Marktes zur Folterkammer, zur Kammer des Schreckens, zur Kammer der Qualen. Zur Hölle auf Erden.

Stell dir vor du wanderst täglich, durstend und hungernd, ermüdet und schwach durch die auszehrende Wüste der Realität, und am Abend triffst du in deiner friedlichen kleinen Oase ein, willst dich gerade in ein weiches Blumenbeet fallen lassen, ein wenig Honignektar schlürfen und die Augen schließen, da gehen plötzlich links und rechts Lichter an, du bist umgeben von Karawanen und befindest dich mitten in einem Bazar, als einziger Kunde, und all die wild gestikulierenden Händler halten dir schreiend und spuckend ihre Teppiche, Schälchen, Leckereien, Schmuck und anderen Tand ins Gesicht, wobei sie sich noch gegenseitig in ihren Rabattangeboten zu übertreffen versuchen und lauter und lauter um deine Aufmerksamkeit buhlen.“

„Klingt wie die Werbeunterbrechung am Freitagabend im Abendprogramm.“

„Bloß, dass du nicht weglaufen kannst, und in der Mitte noch irgendein Politiker steht, der dir sein Wahlprogramm vorstellen möchte.“

„Naja. Das ist schon ein interessantes Bild. Was aber, wenn all das gar nicht nötig wäre, weil man eben liebt, was man tut?

Was, wenn der Arbeitsort selbst zum Paradies wird, wenn die Wüste sich in eine große Oase verwandelt, und wenn man die Arbeit gar nicht mehr als Arbeit wahrnimmt, dann ist das doch gut.

Und ist es nicht wunderbar, wenn wir Google-Häuser haben, die immer dafür sorgen, dass wir mit allem versorgt sind, was wir brauchen und Google-Brillen, die uns permanent mit Wissen füttern? Und Partner, die perfekt zu uns passen? Ist es nicht gut, wenn alles auf diese Weise in Harmonie und Gleichgewicht gebracht ist? Wäre das nicht eine friedlichere Welt?“

„Das ist der Horror. Wer auf diese Art eine totale Harmonie zu erzwingen versucht, der raubt dem Menschen das letzte, was er noch hat: Seine Illusion.

Denn, wenn alles so eintritt, erkennt der Mensch, dass das Paradies in Wahrheit eine Wüste ist in der nichts Spontanes, Zufälliges und Freies mehr einen Platz hat, weil alles normiert und gerade ist. Dann ist er auf sich selbst zurückgeworfen, reibt sich an nichts mehr und erkennt, wie leer und unglücklich er ist und dass nun, nachdem seine Träume wahr geworden sind, das Ergebnis der reinste Alptraum ist und dass er sogar seinen falschen Traum verloren hat. Ihm wird nicht nur alles weggenommen, bis er nichts mehr hat, sondern noch mehr – ihm wird auch das noch genommen von der er gar nicht wusste, dass er es hatte.... Das ist wahre Grausamkeit.“

„Wie in der ersten Folge Desperate Housewives. Die Hauptdarstellerin hat alles geschafft, was man so als Frau in den 80ern erreichen wollte – ein Haus, ein Swimming Pool, inklusive Pool Boy, eine Haushaltshilfe, zwei Kinder, 10 Kilo abgenommen, die Sonne scheint und man sitzt auf der Couch und kann sich ausruhen...“

„…und genau an diesem Punkt beginnt die erste Staffel der Serie. Genau da, wo alles gut sein müsste, fängt man an zu lästern, zu hetzen, sich zu langweilen, Affären mit dem Pool Boy zu beginnen oder eine Leiche im Keller zu verscharren.“

„Ja, da ist was dran.“

„Genau da, in dieser Leere, sucht der Mensch nach Abwechslung, nach etwas, das er nicht erwartet, nach etwas, das er nicht vorhersieht – denn darauf ist sein Gehirn ausgerichtet. Das Gehirn des Menschen war in seiner ganzen Entwicklung darauf getrimmt auf Unerwartetes und Zufälliges und Überraschendes zu reagieren und mit Freude und Erwartung auf den Horizont zu schauen, um dort das Ferne, das Abenteuer und das volle Leben und die Vielfalt der Welt zu entdecken.

Diese Hoffnung und dieser Blick aber machen ein gesundes, optimistisches Gehirn aus – das kann ihnen jeder Neurowissenschaftler bestätigen....

Was passiert indes, wenn der Horizont fotografiert wird und auf der Facebook-Seite landet? Genau! Er verliert seinen Zauber und seinen Reiz – er wird billig und dröge. So wie wir selbst immer billiger und dröger werden mit jedem Urlaubsfoto, das wir ins Netz stellen.

Und was geschieht dann emotional in dieser Situation mit dem Einzelnen? Der Mensch in seiner Qual schämt sich auch noch, weil er nicht glücklich ist und er weiß nicht, was ihm fehlt. Er weiß nur, dass er sich jeden Tag ein klein wenig leerer und verlassener fühlt, egal ob im Beruf oder in der Familie, und dass er sich wie ein Gefangener vorkommt. Er merkt plötzlich, dass nichts, was er noch konsumieren kann, ihn wirklich erfüllt. Er sucht und sucht und sucht, aber er findet nur fotografierte Erinnerungen und der Alltag erscheint ihm immer belangloser.“

„Wie die verfluchte Crew der Black Pearl. All das Piratengold hat sie Stück für Stück zu Zombies gemacht.“

„So wird er entweder einfach wegdriften und degenerieren, weil es ihm an Inspiration und Reibung fehlt, oder er beginnt zu philosophieren und alles zu hinterfragen – wenn er noch den Willen dazu hat – sodass er sich einen neuen, geistigen Horizont sucht.

Das Leben wird sinnlos ohne Kult und ohne Glauben an etwas Größeres – wenn man nicht mehr das Gefühl hat Opfer bringen zu müssen.“

„Wobei das auch schief gehen kann.“

„Eben. Da hatte man es im Kommunismus noch leichter – da ging es ja um das gemeinsame Ziel der Weltrevolution und alles hatte noch eine tiefe Bestimmung, ein Schicksal, ein historisches Ziel.“

„Oder als Kreuzritter, der Jerusalem aus den Händen der Heiden befreit.“

„Worin nun liegt die Bedeutung des Daseins, wenn es keine Revolution mehr gibt und der Kapitalismus gewonnen hat? Wofür lebt, kämpft und brennt man, wenn das Ziel erreicht und die Zukunft geplant ist und der Horizont nur noch als Bildschirmschoner auftaucht?

Für gar nichts! Denn dann wird alles sentimental, schmierig, gehässig und unendlich langatmig – ein endloses Schweigen in einer Gemeinschaft, die sich Familie, oder Club, oder Verein nennt und in der niemand mehr etwas zu sagen hat, weil niemand mehr Einspruch erhebt. Unterhaltungen sind dann politisch korrekt, normiert und jedes falsche oder disharmonische Wort gestrichen. Die Gespräche am Familienesstisch werden zu einem grauenvollen Ritus der Einfallslosigkeit, wo man es fertigbringt, 2 Stunden über nichts anderes als den Zuckergehalt der Torte oder die Bitterkeit des Kaffees zu plaudern.“

„Genau aus diesen Familien kommen die Bernd Höckes dieser Erde – weil Hass leichter zu ertragen ist als Langeweile.“

Wer nicht leiden will muss hassen

Horst-Eberhard Richter

„Im schlimmsten Fall ist das wohl so.“

„Da bekommt man fast ein bisschen Mitleid.“

„Aber nur fast, wenn man bedenkt wie viele Familien so sind.“

„Die Jungs sitzen vor ihren PCs und zocken WOW und die Mädchen schauen den ganzen Tag Beautyvideos auf YouTube.“

„Wenn dann auch noch die alten, über Jahrhunderte aufgebauten, aber deshalb nicht minder hohlen und verlogenen Muster und Familienbande reißen, so verändert sich zeitgleich jenes virtuose Koordinatensystem von Abhängigkeit, Nachkommenschaft, Rente und gegenseitiger Ausbeutung in finanzieller sowie emotionaler Hinsicht, dass unserer Kultur über einen so langen Zeitraum ihr ehrwürdiges und wärmendes Antlitz auf den leeren und hölzernen Schädel gepinselt hat.“

„Das erleben wir ja gerade.“

„Wenn es so weit ist – und es wird nicht mehr lange dauern bei all den Veränderungen der Arbeitswelt und des Privatlebens, die vom Einzelnen Flexibilität und Einsatz in immer höherem Maß einfordern – dann verändert sich der trübe, sabbernde Blick auf das alte, eherne und in großen Tönen gepriesene Familienideal.

Dann verändern sich die Gefühle und die Bilder, die in uns Geborgenheit und Freude wecken – die Hirnmuster und neuronalen Vernetzungen werden neu an das limbische System gekoppelt und es entstehen neue Bezugs- und Fantasieräume in denen andere Regeln herrschen mögen als wir sie heute für üblich halten, so wie heute andere Regeln herrschen als zu früheren Zeiten – bis hinein in unseren Umgang mit Sexualität, Gewalt oder dem Ausdruck und Zeigen von Emotionen…“

„Ob das nun gut oder schlecht ist, kann niemand beantworten. Ist es schlecht, dass die Menschen heute auf Farbfotos lächeln statt grimmig in schwarz-weiß?“

„Alles wandelt sich, ohne Frage, und doch bleibt eines immer gleich – die Achse in der Mitte bleibt starr und unbeweglich. Das Wesentliche hat sich nicht verändert, seit der erste Mensch das Licht der Welt erblickt hat. Haben wir nicht dieselben Knochen und denselben Kopf?“

„Inwiefern?“

„Es dreht sich und dreht sich und dreht sich das Rad um die eigene Achse im großen Karussell des Schicksals.

Wie unsere Ahnen in den weiten Urwäldern der Vorzeit rasen wir durch die Nacht auf der Jagd nach Leben – Leben in seinen tausenden von Facetten. Wir schlagen Hacken und machen Sprünge, drehen uns erst nach links, dann nach rechts, stolpern und brechen uns beinahe den Hals. Die Macht von Serotonin und Dopamin. Der Schatten des großen Hummers ist von der Sonne der Aufklärung nicht verscheucht worden.“

Leise murmelte der Adept: „Die die Lichter der Nachtclubs konnte man aus der Ferne unter dem Firmament zucken und funkeln sehen, wie die blitzenden, lautlosen Aale der Tiefsee, auf der Suche nach Opfern ihres niemals endenden Hungers.“

„Wir erfinden verrückte Geschichten von mächtigen Göttern in fernen Ländern, die in einem goldenen Tal leben, in dem Milch und Honig fließen und die auf der Suche nach Unsterblichkeit sind…“

„Silicon Valley.“

„Wir träumen sehnsüchtig von fernen Welten, fremden Kulturen und Völkern, von anderen, intelligenten Lebewesen, irgendwo da draußen, in entfernten Galaxien, von wunderschönen Engeln in weißen Gewändern, die durch allerlei Tränke, magische, okkulte Formeln und Zauberkünste die fantastischsten und atemberaubenden Wunder vollbringen, um uns ebenso wunderschön, feinsinnig, erhaben und intelligent zu machen, wie sie es sind.“

„Gentechnik.“

„Sie sehen: Das Rad bleibt immer das Gleiche – es wechselt nur die Richtung. Bloß Kleider und Namen haben unsere Götter getauscht. Das ist alles.“

„Doch die Speichen knacken.“

„Mag sein.“

„Was passiert, wenn es bricht?“

„Dann, wenn der letzte Schleier gefallen ist, wird alles diffus und uneindeutig sein, weil es wirklich gar nichts mehr zu idealisieren gibt – nicht einmal die Familie. Es wird sich die Frage stellen, ob die Menschheit in der Lage ist diesen endgültigen Abschied von der sogenannten Natur – also von Sippe, Familie und Sentimentalität – zu verarbeiten, oder ob sie stattdessen im Tribalismus zu Grunde geht und von den alten, bösen Mächten des Instinktes überwältigt.

Findet die Menschheit als Ganze eine neue, größere und weitere Welt als jene kleine kümmerliche Pseudogemeinschaft der Vergangenheit, die ihre Solidarität aus dem Mutterboden zieht und der großen Gebärmutter huldigt.

Schaffen wir es aus der Umklammerung der Mond- und Muttergöttin, oder kriechen wir zurück in den stinkenden Schoß der Engstirnigkeit und plumpen Abgrenzung nach Außen?

Zudem hat der Mensch, der in dieser modernen Totalität lebt, die immer deutlicher hervortritt und sich breitmacht, bald niemanden mehr, den er anklagen kann, wenn etwas schief geht – keinen, den man am Ende für seinen Misserfolg verantwortlich machen kann. Man lebt dann eben nur noch in seiner eigenen Mickrigkeit vor sich hin und weiß nicht, womit man sie füllen soll.

Das ist die totale Trostlosigkeit. Eine pagane, heidnische Welt ohne Probleme, ohne Reibung, ohne Konflikte, ohne Wandel, ohne Veränderung, im Dauerlächel-Modus, bei Dreiakkord-Schlagermusik aus dem Radio, zu einer ewigen Kindheit verdammt, in der man immerzu eine sprichwörtliche Heidenangst hat vor allem Ernsten, Politischen, Relevanten, kurzum, vor allem Erwachsenem…“

„Eine Welt ohne Gott.“

„Durch den GoogleIsmus öffnet man dem Menschen einen Raum, in dem er sich selbst überlassen wird.

Und ist die Tür erst einmal geöffnet, kann man sie nicht wieder schließen. Denn nicht jeder ist in der Lage diesen Raum kreativ zu gestalten und die Leere mit Produktivität zu füllen, wie es von ihm in der modernen Arbeitswelt erwartet wird. Und die, die es können, die vermeintlich Glücklichen, die dann in ihrem Beruf aufgehen, die Kreativen und Erfolgreichen, vergessen am Ende bloß sich selbst und merken nicht, dass sie nur auf der Flucht vor etwas sind, bis zu dem Tag, an dem alles zusammenbricht und sie erneut der dröhnenden, bleiernen Leere und der starren Langeweile gegenüberstehen, schlimmer, furchtbarer und totaler als zuvor. Und dann suchen sie erneut einen Weg hinaus aus dem Nichts.... Vergeblich…“

„....“

„Am Ende kommen sie alle zu mir mit all ihren innersten Fragen, die sie nie zu stellen gelernt haben und ich stelle dann die Fragen für sie. So stehen sie da und wissen nichts zu sagen – wissen nur, dass sie etwas suchen, aber nicht was es ist. Sie spüren bloß, dass sie wütend sind. Sie fühlen sich nicht einmal einsam – denn sie kennen nichts anderes als Einsamkeit....

Sie können nicht sagen, was sie fühlen, denn keiner hat das je von ihnen erwartet. Das System, die Mutter, der Bruder, der Vater, das Fernsehen, der große Führer und die Partei haben es ihnen ja immer vorgesagt und vorgebetet – doch die Zeit des Gebetes und der alten Gewissheit ist eben leider vorbei.... Niemand betet und niemand glaubt an nichts und niemanden. Woher sollen die Menschen also wissen, was sie wirklich fühlen und wollen, wenn keiner da ist, der es ihnen sagt und vormacht und zeigt, wie man liebt und fühlt und bei sich selbst ist?“

„Früher haben uns die großen Führer noch gesagt, was wir fühlen sollen: Wir sind stolz auf das, was wir erreicht haben. Oder: Wir sind glücklich, dass die Familien im Land intakt sind. Oder: Wir sind empört über die Ungerechtigkeit in Tukawukaland.... Tja.... Da war das Leben noch einfach.“

„Heute fragen wir Google, was wir fühlen sollen. Aber Google ist eben nur eine Maschine. Wenn man die fragt, was man fühlen und tun soll, dann erstellt sie einen Algorithmus aus den bekannten Informationen.