Der Weg hinter die Spiegel - Clara Fink - E-Book
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Der Weg hinter die Spiegel E-Book

Clara Fink

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Beschreibung

Erzählstrang über eine Klatschkolumnistin. Immer deutlicher wird, dass die beiden Frauen mehr miteinander zu tun haben, als es auf den ersten Blick scheint.

  • Auf der Suche nach der Wahrheit: Findet Sophia den Weg zurück?
  • Spiritueller Roman, der Lesende unterstützt, zu sich selbst zu finden
  • Seelenreise-Buch, das Sie beim Erkunden Ihrer eigenen Seelenaufgabe beglei-tet
  • Die Seele heilen und über den Tod hinaus bei der Familie blei-ben

    Das Tochter-Mutter-Autorinnen-Duo Clara und Cornelia Fink hat gemeinsam die Seelenreise von Sophia nachgezeichnet. Dabei schien es ihnen oft, als erlebten sie die Geschichte über Selbstfindung und ein Leben nach dem Tod beim Schreiben selbst. Herausgekommen ist ein Roman über Zeitreisen, Wiedergeburt und darüber, dass manche Dinge leichter zu fühlen als zu verstehen sind. Eine große Inspiration für alle, die ihre eigene Spiritualität erforschen und ihren ganz persönlichen Sinn des Le-bens finden wollen!

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    MOBI

    Seitenzahl: 457

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    Für unsere geliebte Tochter und Enkelin

    Wichtiger Hinweis

    Die im Buch enthaltenen Informationen sind nach bestem Wissen und Gewissen geprüft. Dennoch übernehmen die Autoren und der Verlag keinerlei Haftung für Schäden jedweder Art, die sich direkt oder indirekt aus den hier beschriebenen Ereignissen, Übungen, Ritualen oder Anwendungen ergeben. Ebenso ist die Haftung der Autoren bzw. des Verlages und seiner Beauftragten für Personen-, Sach- oder Vermögensschäden ausgeschlossen.

    1. Auflage 2021

    Druck: Eberl & Koesel, Altusried-Krugzell

    Lektorat: Nils Klinke

    Coveridee: Amelie Willdauer

    Satz und Gestaltung: Miriam Hase

    Bildnachweis: Portrait Clara Fink: Sarah-Debora Schmidt,

    Portrait Cornelia Fink: Andrea Kneitz

    Alle weiteren Bilder von Adobe Stock:

    # 72317758 Sasanka7, # 202113395 kore kei, # 109518022 artemisia1508,

    # 108056835 yummytime, # 295037403 alekseyvanin

    ISBN 978-3-948885-09-0

    www.lebensgut-verlag.de

    INHALT

    Wie dieses Buch entstand

    Prolog

    Teil 1 DIE REISE

    Teil 2 DAS KLOSTER

    Teil 3 DIE SCHATTEN

    Teil 4 DIE LIEBE

    Teil 5 DAS LICHT

    Epilog

    Quellenangaben

    Sophia

    Schlusswort

    WIE DIESES BUCH ENTSTAND

    Es war Weihnachten in jenem so besonderen Jahr 2012. Da lag unter dem Baum ein „Buch“ meiner Tochter Clara. Sie nannte es „Sophias Seelenteile“ und es berührte mich vom ersten Moment an zutiefst. In ihrer Geschichte, entstanden aus einer Vision, war die komplette Handlung der ersten Sophia-Teile bereits angedeutet und ich spürte, dass darin etwas verborgen lag, das viele Menschen erfahren sollten. Wir entschlossen uns also, in Romanform „Sophias Weg“ so zu erzählen, dass jeder beim Lesen seine eigene Geschichte erleben würde und seine eigene „Welt hinter den Spiegeln“ betritt, wenn er unser Buch in die Hand nimmt.

    Zu dem Zeitpunkt wussten wir allerdings noch nicht, welche Reise mit dieser Idee vor uns selbst liegen würde. Es war, als würden wir das Buch „lesen“, während wir es gleichzeitig schrieben. Alles durchlebten wir selbst. Teilweise bevor wir es zu Papier brachten, teilweise währenddessen, manchmal erst nachdem es sich in die Geschichte hineingeschrieben hatte. Einiges erschloss sich nicht gleich, sondern viele Seiten später auf einen zweiten Blick. Das Zeit- und Raumlose zu erfassen, immer wieder die Ebenen zu wechseln und in parallele Welten einzutauchen, war für uns herausfordernd und magisch, wie ein nicht enden wollender Fluss, der uns von Seite zu Seite führte. Wir kannten das Ende erst, als es sich niederschrieb.

    Je tiefer wir in den Prozess einstiegen, desto stärker sahen wir uns als Mutter und Tochter auch mit der „Weiblichen Energie“ konfrontiert, die, wie es in vielen mystischen Schriften belegt ist, immer wieder chaotische Zustände erschafft, weil sie im Letzten nur nach Einheit strebt und weiß, dass kurzfristiges Chaos nötig ist, um neue Welten zu kreieren.

    So war es auch mit dem „ICH-Teil“, der, wie eine Idee, scheinbar aus dem Nichts plötzlich in die Sophia-Geschichte „hineinwollte“. Es war, als griffe dieser Teil bestimmte Stichworte auf, um Schritt für Schritt seinen Weg in das bereits Geschriebene zu nehmen, mit eigenem Verlauf, eigener Sprache, in einer anderen Zeitebene. Ganz allmählich wurde uns dann klar, dass er sich damit verband. Erst durch diesen scheinbar zufälligen Strang wurde „Sophias Reise“ vollkommen.

    Wir selbst sind voller Liebe dafür, dass wir den Weg des Buches begleiten durften, und voller Dankbarkeit für die Reise, die wir nicht zuletzt auch miteinander während des Schreibens machten.

    „Der Weg hinter die Spiegel“ ist die Geschichte einer Wahrheitssuche und Seelenreise, erzählt aus zwei verschiedenen Perspektiven, die im Kern doch Dasselbe anstreben: Frieden in der eigenen Seele durch die Erinnerung an das, was wir alle sind. Jenseits der „Spiegel“, mit denen die „inneren Wächter“ gerne versuchen, unsere Sichtweise auf das zu lenken, was wir schon kennen. Hier liegt jene „Welt“, über die wir schreiben. Sie für sich selbst entdecken zu können, wollten wir mit unserem Buch ermöglichen. Die Schwingung der Worte und die Bilder der Geschichten richten sich dabei an den Teil in jedem von uns, der von Beginn an bereit ist, ein erfülltes und mit sich selbst verbundenes HierSein zu erleben.

    Wir wünschen jedem Leser Freude und Erkenntnis auf seinem Weg.

    Clara und Cornelia Fink, 2021

    WERDE, DER DU BIST! ALLES IST EINS! UND DU BIST EIN WICHTIGER TEIL DAVON.

    PROLOG

    Jede Seele ruhte vollkommen bei GOTT. Dann aber hat sich die Schöpfung im Spiegel angeschaut und die Seelen wurden in Facetten aus dem EINEN herausgebrochen. Jeder trägt seine eigenen Facetten und vervollkommnet sich durch die Anderen, die andere Facetten des EINEN tragen.

    TEIL 1: DIE REISE

    ophia war ganz ruhig.

    Bis vor wenigen Augenblicken noch hatte sie wie wild um sich geschlagen und versucht, irgendwie an der Wasseroberfläche zu bleiben. Todesangst schnürte ihr den Hals und die Brust zu. Die Schreie, die aus ihrer Kehle hinauswollten, suchten vergeblich die Luft, während stattdessen sprudelndes, wirbelndes Nass durch Nase und Mund die Atemwege füllte.

    Das Wasser siegte über die Luft, schwemmte die geordnete Struktur, die wir Leben nennen, einfach mit sich davon. Einen entsetzlichen Moment war da Panik und Schmerz. Sophia hörte ihren letzten Aufschrei, der ohne einen einzigen Ton ihr Herz zerriss. Dann war tiefe Ruhe in ihr. Und Leichtigkeit. Eine sie befreiende Leichtigkeit. Kein Ringen mehr um den nächsten Atemzug. Kein Kampf.

    Während ihr Körper tiefer und tiefer sank, schwebte ein anderer Teil von ihr immer höher hinaus über die Wellen und sah sich um. Die Sonne stand mitten am Himmel. Sie spiegelt sich nasekräuselnd im Wasser und das Meer glitzerte wie ein blauer Edelstein. Weiter draußen tummelten sich einige Segelboote. In einem dieser Segelboote würde wohl auch ihre Familie sitzen. Jannik und Philipp, ihre beiden Söhne und Sebastian, ihr Mann. Er war ganz vernarrt in das Segeln. Deshalb fuhr die Familie auch jedes Jahr hierher. Sophia mochte die Berge lieber. Komisch, dass sie gerade jetzt daran denken musste. Ihr ganzes Leben raste an ihr vorbei, während sich ihre Lungen endgültig mit Wasser füllten und sie sich dem Unvermeidlichen hingab. Es war ganz leicht, keine Panik, kein Schmerz. Sie konnte einfach loslassen.

    Wie wunderschön doch die Sonne aussah, die sich durch die Wasseroberfläche brach und mit ihren Strahlen versuchte, den Grund zu ertasten.

    ‚Ob man mich wohl schon vermisst?‘

    Das Glitzern des Lichtes über ihrem Kopf wurde stärker. Es war wie ein Sog. Sie erinnerte sich an den Moment, als sie bei ihrer Geburt das Licht der Welt erblickte. ‚Jetzt geht es also zurück‘, dachte sie. Es war so leicht, so vertraut. Als hätte sie diese Reise schon unzählige Male gemacht. Sie schloss die Augen, überließ sich der Schwerelosigkeit des Augenblicks und tauchte ein in gleißend helle, weiße, endlos unendliche Ewigkeit. ∞

    „Verdammt noch mal, kann denn dieser Idiot nicht abblenden?“ Fast wäre ich im Straßengraben gelandet. Es ist Samstagabend und ich bin mal wieder unterwegs zu einer dieser verhassten Partys, über die so wichtig zu berichten ist: Möchtegernsternchen, die dümmlich kichernd ihren Prosecco schlürfen und verzweifelt versuchen, auf ein Foto der morgigen Klatschpresse zu gelangen. Oberflächliches Blabla maskenartig lächelnder Gleichgesichter mit U-Boot-Lippen, ohne jede Mimik und ohne jedes Hirn. Nicht zu vergessen die übergebräunten Popeye-Gestalten, die mit ihren aufgeblasenen Muskelpaketen wie Idioten wirken, weil sie vor Kraft strotzend kaum noch vernünftig laufen können. Dazwischen der eine oder andere echte Promi, dessentwegen ich mir diese ganze Tortur überhaupt antun muss.

    Und jetzt fängt es auch noch an zu regnen. Von einem Augenblick auf den anderen öffnet der Himmel seine Schleusen und schüttet eimerweise das Wasser vom allwöchentlichen Hausputz auf die Straßen des österreichischen Hinterlandes. Die Scheibenwischer sind eindeutig überfordert. Resigniert fahre ich an den Seitenrand und halte an. Okay, mein Chef wird wütend sein, wenn er meine Reportage nicht rechtzeitig auf seinem Schreibtisch hat, aber gegen diese Naturgewalt würde auch er keine Argumente finden. Und wer weiß, wofür es gut ist. Ich hatte sowieso keine Lust, auf diese Party zu gehen. Ich werde einfach später ein paar Fotos machen und mir dazu die eine oder andere Zeile einfallen lassen. Es würde wahrscheinlich nicht einmal einen Unterschied machen, ob ich wirklich da war oder nicht. Ich stelle den Motor ab, drehe meinen Sitz nach hinten und warte. Das Getrommel des Regens auf meinem Autodach geht mir tierisch auf die Nerven. Ich kann einfach nicht machen, dass es aufhört. Wenigstens in meinem Kopf versuche ich es auszublenden, doch je mehr ich das tue, desto lauter und mächtiger wird das Gehämmer. ‚Wie seltsam‘, denke ich. ‚Da sitze ich nun in meinem Wagen, ich, die doch ihr Leben völlig im Griff zu haben glaubt und so ein bisschen Regen bringt mich total aus der Fassung.‘ Ich schließe die Augen und versuche, mich auf irgendetwas Schönes zu konzentrieren. Da hört der Regen auf …

    ls Sophia die Augen wieder öffnete, war das Licht verschwunden. Wohin sie auch blickte, war alles nur weiß. Wo aber war ihr Körper? Sie konnte ihn fühlen und doch sah sie ihn nicht. Sie begann zu laufen und konnte doch nicht erkennen, dass sie sich überhaupt bewegte. Sie hatte ständig das Gefühl, kleben zu bleiben. ‚Lauf weiter‘, trieb sie sich an.

    Eine innere Kraft drängte sie, sich gegen diese undurchdringliche, klebrige, weiße Wand weiter zu bewegen, ohne zu wissen, warum. Schritt um Schritt, wie in Trance, durchdrang Sophia das farblos strahlende Feld. Sie verlor jedes Gefühl für Zeit und Raum. Das Atmen fiel ihr immer schwerer. Sie spürte die Erschöpfung in ihrem körperlosen Körper.

    Sie spürte die Muskeln, die sich immer wieder in derselben Weise an- und abspannten. Schritt um Schritt. Sie wurde zu dieser einen, sich ständig wiederholenden Bewegung. Kein anderer Gedanke hatte mehr Raum in ihr. Sie fand sich damit ab, dass dies das Letzte sein würde, was sie tat. Das also war das Ende.

    In derselben Sekunde verschwand das Weiß um sie herum. Der undurchdringliche Vorhang aus Nichts öffnete sich und Sophia bekam endlich wieder Luft. Sie stand inmitten einer Wiese voller Blüten, Gräser und tanzendem Licht und konnte es nicht glauben. Das Leben schien zurückgekehrt, so saftig und frisch roch die Welt um sie herum. Ein leichter Duft von Sommer umspielte ihre Haut. Direkt vor ihren Füßen sprangen zwei Eichhörnchen, tanzten um ihre Beine herum, als ob es das Natürlichste der Welt sei. Sophia erinnerte sich, wie sie mit ihrem kleinen Sohn Philipp hinter so einem Eichhörnchen hergelaufen war und wie sie beide versucht hatten, es zu fangen. Jedoch immer ohne Erfolg. Schnell und scheu waren die flinken Tierchen.

    ‚Wie die glücklichen Momente des Lebens‘, ging es ihr durch den Kopf. ‚Man kann sie nicht fangen und festhalten. Man kann sie nur genießen, wenn sie da sind.‘ Für einen Augenblick zog ein Schleier der Wehmut durch ihren Sinn. Warum nur wusste sie erst jetzt, mit welchen Kostbarkeiten das Leben sie beschenkt hatte?

    Zarter Wind weckte sie aus ihren Erinnerungen. Ein großer, buntschillernder Schmetterling nahm majestätisch Platz auf ihrer Hand. Ein weiterer gesellte sich hinzu, doch ehe Sophia sie genauer betrachten konnte, erhoben sich beide wieder. Ein Windhauch nahm sie mit sich fort und sich in Spiralen umeinanderwindend malten sie mit ihren Flügeln rätselhafte Ornamente an den blauen Himmel. Zeichen, die Sophia noch nie gesehen hatte, die sich verdichteten und miteinander verbanden. Sie schwebten vom Himmel hinunter auf die blühende Wiese, nahmen mehr und mehr gemeinsame Form an, bis sie zu einem riesigen, strahlenden Tor wurden, auf dem mit goldenen Buchstaben geschrieben stand:

    „Willst du hier zum Tor hinein,

    musst du würdig für den Schlüssel sein.“

    Während Sophia noch über den Sinn dieser Worte nachdachte, flatterten die beiden Schmetterlinge auf das Tor zu und gemeinsam mit den Eichhörnchen verschwanden sie, kaum, dass sie das Tor berührt hatten. Vorsichtig setzte auch Sophia ihren Fuß auf die Schwelle. Doch anstatt hindurch zu gleiten, stieß sie gegen kaltes, glattes Metall. Sie suchte etwas, an dem sie hätte rütteln können, doch keine Klinke oder sonst irgendetwas war zu finden. So schlug sie mit Kraft und Entschlossenheit gegen die undurchdringliche Wand. Nichts bewegte sich. Sie schlug fester. Nichts. Noch fester. Nichts. Mit all ihrem Mut nahm sie Anlauf, um sich mit ihrem ganzen Körper gegen das Hindernis zu werfen, doch ehe sie auch nur in seine Nähe kam, bebte das Tor und schleuderte sie mit einer Druckwelle einige Meter zurück durch die Luft. Entsetzt starrte sie auf den so hartnäckigen Widersacher:

    „Willst du hier zum Tor hinein,

    musst du würdig für den Schlüssel sein.“

    Die Worte in der Mitte des Tores sprangen ihr noch einmal entgegen und Sophias Blick fiel auf einen kleinen Brunnen neben dem Tor. ‚Wieso sehe ich ihn erst jetzt?‘, dachte sie. ‚Dann wird sich der Schlüssel wohl auf dem Grunde dieses Brunnens befinden.‘ Sie beugte sich über seinen Rand und griff hinein in das glasklare Wasser. Doch kaum hatte sie es berührt, wurde es trüb. Auf seiner Oberfläche erblickte sie das Bild eines Segelbootes. Auf dem Boot ein Mann mit zwei Kindern, entspannt und glücklich. Plötzlich dreht sich der Mann um und beginnt, laut zu schreien. Auch die Kinder geraten in Panik. Ungläubig kniff Sophia die Augen zusammen. Das Wasser wurde erneut trübe und ein anderes Bild war zu sehen:

    Eine junge Frau, die gerade ein Kind zur Welt gebracht hat und ein Mann, der sie froh und dankbar in die Arme schließt. Wieder trübte sich das Wasser: Zwei Kinder laufen vor einem Trauerzug her, viele Menschen hinterher, alle sind schwarz gekleidet. Bild folgte auf Bild. - Ein Mann und eine Frau geben sich das Ja-Wort. - Schwarz angezogene Menschen legen Blumen auf die Erde. - Ein Mann und eine Frau diskutieren heftig miteinander. - Derselbe Mann wirft Erde in ein Loch.

    Ihr Mann wirft Erde in ein Loch. Und ihre Kinder laufen schwarz gekleidet vor dem Trauerzug her und… Die Erkenntnis traf Sophia völlig unvorbereitet …„Das ist meine Beerdigung! Alle diese Bilder sind Teil meines Lebens!“ Sie begann am ganzen Körper zu zittern. Ihr wurde abwechselnd heiß und kalt. Alles in ihr erstarrte. Sie war tot! Dessen war sie sich jetzt gewiss. Niemals würde sie ihre Kinder wiedersehen. Niemals mehr ihren Mann umarmen. Nichts würde jemals wieder so sein wie zuvor.

    „Ich will zurück!“, schrie sie verzweifelt. Immer und immer wieder. Solange, bis sie vor Erschöpfung zusammenbrach. ∞

    „Hey, können Sie mich ein Stück mitnehmen?“

    Der Mann, der da an meine Windschutzscheibe klopft, reißt mich rabiat aus meinen Gedanken.

    „Oh, Entschuldigung. Habe ich Sie erschreckt?“

    Nein, wie kommt er nur darauf. Es ist doch ganz natürlich, dass mitten in der Nacht in der Wildnis fremde Männer an Autofenster klopfen.

    „Ich habe dahinten eine Panne mit meinem Wagen und weiß nicht, wie ich in die nächste Stadt kommen kann. Es wäre sehr freundlich, wenn ich bei Ihnen mitfahren dürfte.“

    ‚Lass‘ keine Fremden in dein Auto, schon gar nicht in der Nacht‘, mahnt eine Stimme in meinem Kopf. „Na klar, kein Problem“, höre ich mich sagen und öffne die Beifahrertür.

    Der Mann, der sich neben mich setzt, sieht aus wie einer dieser Cowboys aus ‚Spiel mir das Lied vom Tod‘: Staubmantel, Lederstiefel, dazu lange, blonde Haare. Ich hasse lange Haare bei Männern und noch dazu blonde.

    „Haben Sie kein Gepäck?“, frage ich, während ich mich ihm erneut zuwende. Vor mir das markant geformte Gesicht eines männlichen Supermodels. Lieber Gott, musst du mir ausgerechnet so einen hier im Nirgendwo über den Weg schicken? Konntest du mir nicht einen anständigen Mann an die Seite setzen, mit dem man sich über etwas Vernünftiges hätte unterhalten können?

    „Nein, alles, was ich brauche, trage ich bei mir“, antwortet mein Fahrgast. „Ich reise immer mit leichtem Gepäck.“

    Aha. Soll mir recht sein. Wenigstens hat er eine angenehme Stimme. Irgendwie erinnert sie mich an jemanden. Ich stelle das Radio an. ‚Musik verhindert Gespräche‘, denke ich. Der Mann da neben mir ist mir nicht ganz geheuer. Je schneller wir im nächsten Ort sind, umso schneller bin ich ihn wieder los.

    „Würde es Ihnen etwas ausmachen, die Musik wieder auszustellen?“

    ‚Nein, natürlich nicht. Ich tue immer gern, was andere sagen, du Blödmann‘ - denke ich und stelle das Radio wieder ab.

    „Danke. Ich brauche einen klaren Kopf, wissen Sie, und die Musik lenkt mich vom Denken ab.“ Der Mann blickt unruhig umher, klappt den Beifahrerspiegel herunter und beobachtet die Straße hinter uns. Langsam wird mir das Ganze immer unheimlicher. Als ich erneut zu ihm hinübersehe, fällt mir auf, dass er überhaupt nicht nass ist. Und das trotz des Regens vorhin. Wie kann das sein? Wer ist dieser Mann? …

    ophia stand im Nebel. Die farbenfrohe Wiese und das große, goldene Tor waren verschwunden, sie sah die Hand nicht mehr vor Augen. Sie wusste nur: Sie befand sich an diesem trostlosen, kalten, furchtbaren, einsamen Ort und: Sie war tot! - Sie starrte in den Nebel. Ihre Gedanken kreisten unaufhörlich um das, was sie verloren hatte: Ihre Familie. ‚Wieso nur konnte ich nicht durch das Tor gehen?‘ Sie spürte die Sehnsucht nach ihrem Mann, sah nur noch das Schöne, Positive, Fehlerfreie ihres Lebens, fühlte nur noch Liebe, wenn sie an Sebastian dachte. Alle schlechten Erlebnisse der letzten Wochen und Monate waren wie weggewischt aus ihrem Kopf. Gerade so, als hätte eines ihrer Kinder den Radiergummi genommen und einen Fehler in seinem Schulheft korrigiert. ‚Die vielleicht wichtigsten Momente meines Lebens habe ich einfach nicht genutzt‘, dachte sie und ihre Augen füllten sich mit Tränen.

    „Willkommen zurück, Sophia“, hörte sie da plötzlich aus dem nebeldichten Nichts. Sie kniff die Augen zusammen und sah sich um. Da, mitten in zeitloser Hoffnungslosigkeit, entdeckte sie von weit her einen Lichtpunkt, der sich auf sie zubewegte.

    „Wer bist du?“, fragte sie verwirrt hinein in diesen immer größer werdenden Punkt. Aus dem Lichtinnern vernahm sie ein leises Summen, einen Ton, der lauter und lauter wurde, bis er sich schließlich rhythmisch bewegend in Worte und Sätze brach:

    „Ich bin das, was keinen Anfang hat und kein Ende.

    Ohne Namen, ohne Gestalt, ohne Gesicht, ohne Hände.

    Höre die Worte geformt aus meinem Licht.

    Mehr zu wissen brauchst du vorerst noch nicht.“

    Sophia vergaß all ihre Traurigkeit und lauschte begierig auf die Stimme. Natürlich hoffte sie, mehr zu erfahren. Sie musste nur die richtigen Fragen stellen.

    „Was ist mit mir passiert? Bin ich wirklich tot? Warum kann ich nicht durch das Tor?“

    „Du bist hier, aber möchtest niemals hier sein.

    Nicht tot, nicht gestorben, nicht einsam und allein.

    Möchtest zurück in die irdische Welt.

    Deine Liebe jedoch hat den Weg mir erhellt.

    Ich bin die Antwort auf deinen Ruf.

    Deine Sehnsucht ist es, die mich für dich schuf“.

    Der Klang des Lichtes schien überall gleichzeitig zu sein. Er umspülte Sophias Geist, weich und sanft, breitete sich in einem fließenden Schwingen in allem aus, was sie umgab. Er berührte sie auf der Oberfläche ihrer Haut und tief in ihrem Innern. In ihrer Mitte tat sich ein Raum auf, der sich erinnerte und sie begrüßte, als wäre sie nach Hause gekommen.

    „Das Leben ist für euch eine endlose Reise.

    Ihr folgt eurer Spur auf immer neue Weise.

    Ihr lernt und ihr fehlt, gewinnt und verliert.

    Der liebende Ursprung wurde mehr und mehr verwirrt.“

    In beständigem Auf und Ab, wie das Wiegen der Wellen, klang es weiter:

    „Die Liebe zu greifen ist nicht Weg und nicht Ziel.

    Doch die Quelle zu finden scheint den meisten zu viel.

    Der Liebe gebt ihr Namen, doch sie trägt nur den einen,

    Ihr sucht ihn vergeblich in Büchern und Reimen

    In der Hoffnung, zu finden, was ihr begehrt.

    Und am Ende jedoch – ist nichts etwas wert.“

    Sophia schaute ohne Unterlass fasziniert in das Licht. Sie wischte sich die Tränen aus dem Gesicht und versuchte, sich zu konzentrieren. Sie wollte unbedingt mit ihrem Verstand etwas Wesentliches erfassen, das ihr weiterhelfen würde.

    „Das Muster des Lebens ist für alle gewoben,

    Wie ihr es gewählt habt als Eins.

    Das Ziel, das ihr kennt, habt durch Verneblung ihr verschoben,

    Ihr jagt nach andrem Glück und findet doch keins.

    Ihr trennt euch vom Ursprung mit jedem Schritt mehr,

    Holt euch in Gedanken das Schlechte nur her.

    Sucht immer nach Schuld, vergrößert den Schmerz,

    Trennt euch von euch selbst, verschließt euer Herz.“

    Ein Teil von Sophia schien genau zu wissen, was die Worte ihr sagten, obwohl ihr Verstand es immer noch nicht wirklich begriff. Deutlich konnte sie spüren, wie ihr Gehirn arbeitete und versuchte, neue Denkstrassen in ihr anzulegen.

    „Die Gaben, die du für dein Leben erhalten,

    Die Ziele, die du dir gesetzt:

    Anstatt sie klug mit deinem Herz zu verwalten,

    Hast du sie in viele Teile zerfetzt.

    Du liefst davon, hast dich oft nicht entschieden

    Und jeden Blick in den Spiegel vermieden.“

    Ohne jede Regung sanken die Worte in Sophias Geist und sie fing an zu verstehen, welche Konsequenzen ihr bisheriges Leben nach sich gezogen hatte.

    „Alle Teile von dir, die verloren du nennst,

    Sie warten darauf, dass du sie erkennst.

    Sie leben in andern, bis du sie findest,

    Sie umarmend erlöst und dich wieder verbindest.

    Du erhältst neue Chancen in unendlicher Zahl

    Und jede Begegnung birgt in sich die Wahl

    Für ein Leben in Freude mit all deinen Lieben,

    Denn wer zu dir gehört, ist seit Anbeginn geschrieben.“

    Ein neues, unbekanntes Gefühl keimte in Sophia empor. Wie ein kleiner Same, der begann, aufzubrechen. Verstand und Herz fingen an, miteinander in Resonanz zu gehen. Es gab wirklich Hoffnung?

    Und tatsächlich sprach es aus dem Licht:

    „Deine Sehnsucht ist stark, das können wir seh‘n.

    Dein Herz ist bereit, nach Hause zu geh’n.

    Dein Wunsch, zu erlösen, lenkt neu dein Geschick:

    Gibt deiner Seele Kraft, dir einen neuen Blick.

    Die Zeit, die du brauchst, wird dir jetzt gegeben,

    All jene zu finden allein,

    Die mit einem der fehlenden Teile für dich leben.

    Nimm ihn dir zurück – er sei dein.“

    Sophias Herz machte einen Sprung. Fast konnte sie nicht glauben, was sie gerade vernommen hatte: Es gab eine Möglichkeit, ihre fehlenden Teile selbst wieder zurückzuholen und zu denen zurückzukehren, die sie liebte? Lag die Erfüllung ihres größten Wunsches wirklich einzig in ihrer Hand?

    „So sei es, doch merke dir gut für dein Tun:

    In Liebe zu sein für den Mensch, der ihn trägt.

    Wenn du ihn umarmst, alle Wertung lass ruh’n -

    Und folge der Spur, die dein Herz für dich legt.“

    Fast magisch mutete sie an, diese Kommunikation mit dem Licht. Nur, was genau sollte sie tun? Wie sollte es ihr gelingen, diese Menschen, die ihre Seelenteile trugen, zu finden? Und woher sollte sie wissen, welche Teile sie überhaupt suchen musste? Doch das Licht verabschiedete sich mit den Worten:

    „So kommen die Teile zu dir zurück.

    Ohne Raum und Zeit.

    Ich wünsche dir Glück.“

    Dann war Sophia allein, ohne einen blassen Schimmer, was genau sie jetzt tun sollte. Schon wieder stand sie nur im Nebel. ∞

    „ Halten Sie bitte an. Ich steige hier aus.“

    Hallo? Hat der Typ noch alle Tassen im Schrank? Wir sind immer noch mitten in der Wildnis! Erst will er in die Stadt und jetzt kommt anscheinend der Abenteurer in ihm durch. „Sind Sie sicher? Es ist noch ein gutes Stück bis zur nächsten Ortschaft.“

    „Machen Sie sich keine Sorgen. Ich kenne mich hier aus.“

    Ach, na dann. Das ist ja mal ’ne super beruhigende Aussage. Bäume soweit das Auge reicht - und Nebel. Totale Waschküche, aber wenn er meint.

    „Sehen Sie bitte nach vorn. Gleich muss die Brücke kommen.“

    Brücke? Mit voller Wucht trete ich auf die Bremse. Im Moment kann ich kaum die Straße erkennen.

    „Fahren Sie weiter. Ich habe doch gesagt, ich kenne mich hier aus. Ich weiß genau, wo wir sind, und auf der Brücke steige ich aus.“

    Auf der Brücke? Hat der Kerl keine Ahnung, dass wir durch die österreichischen Berge fahren? Da geht’s auf Brücken gewöhnlich ziemlich steil nach unten. Aber wenn er will. Mit Verrückten diskutiert man besser nicht.

    Langsam fahre ich weiter, um die Brücke nicht zu verpassen. Nicht wegen ihm, sondern weil ich keine Lust habe, daneben zu zielen. Ah, da ist sie. Okay, drauffahren, anhalten und… Mein Begleiter öffnet tatsächlich die Wagentür und steigt aus – mitten auf der Brücke – und ist verschwunden! Na bitte, das war doch klar! Weg ist er! Bestimmt ist er in die Tiefe gestürzt, sonst müsste ich ihn doch noch sehen. ‚Fahr weiter‘, sagt die Stimme in meinem Kopf. ‚Das geht dich alles nichts mehr an. Sei froh, dass du ihn los bist.‘ Ich halte an und steige aus. Ich muss wahnsinnig sein. Tatsächlich stehe ich mitten auf einer schmalen Brücke, gerade breit genug für ein Auto. Gott sei Dank war uns niemand entgegengekommen. Aber wo ist der Mann? Irgendwie ist es gespenstisch hier. Der Nebel lässt die ganze Situation vollkommen unwirklich erscheinen. Es ist feucht und ungemütlich kalt geworden. Es riecht nach morschem Holz und nach Tannen. Die Nebelfeuchte kriecht spinnengleich unter meine Kleider. Ich lausche in die Tiefe. Nichts. Ich fasse mir ein Herz und rufe: „Hallo? - Haaallo!“ Nichts. Nur ein leichtes Echo trägt meine Stimme durch den Nebel und verschluckt sie gleichzeitig wie in Watte. Ich bin definitiv allein.

    Nachdenklich gehe ich zu meinem Wagen zurück. Was soll ich tun? Muss ich überhaupt etwas tun? Und wenn ja, was kann ich denn tun? Im schlimmsten Fall auch in die Tiefe stürzen. Und dann wäre ja wohl niemandem geholfen. ‚Aber der Mann hat gesagt, er kennt sich aus‘, erinnert mich meine Gedankenstimme. ‚Stimmt‘, denke ich zurück.

    Also entweder ist er längst gesund und munter über alle Berge - oder es ist ihm etwas passiert. In beiden Fällen ist es besser, ich fahre erst mal weiter. Im nächsten Ort werde ich Bescheid sagen und dann wissen die dort, was zu tun ist.

    Ich setze mich in mein Auto und gebe Gas. Den Mann und mein schlechtes Gewissen lasse ich im Nebel zurück. Aus dem Radio ertönt der langsame Satz aus Beethovens siebter Symphonie.

    ‚Wie passend‘, denke ich. Diese ganze Situation hat etwas Surreales. Für einen Moment frage ich mich, ob ich mir das alles nur eingebildet habe, um meinen Verstand zu beschäftigen. Schließlich ist es absolut unlogisch, dass sich hier mitten in der Pampa ein Mann in mein Auto setzt, der trotz strömendem Regen nicht nass ist, auf einer Brücke wieder aussteigt und im Nichts verschwindet, wie er gekommen ist. ‚Du hast einfach eine blühende Fantasie, meine Liebe, das war schon immer so. Denke nur an deine abgefahrene Vorstellung, im Schwimmbad von Haien verfolgt zu werden…‘ Ach, wie ich es liebe, mit mir selbst Dialoge zu führen. Diese Stimme in meinem Kopf ist ein echt netter Kumpel. Wenn auch manchmal etwas vorlaut.

    Mutterseelenallein tasten sich die Lichter meines Wagens weiter durch den Nebel. ‚Lass‘ mich bloß nicht im Stich‘, denke ich zu meinem fahrbaren Untersatz. Um mich selbst ein bisschen zu trösten, fange ich an, zu singen. Gar nicht so einfach, was dieser Herr Beethoven sich da so ausgedacht hat. Wenn man bedenkt, dass er fast taub war. Der hat der Nachwelt trotz seines Handicaps geniale Musik hinterlassen und sicher nicht so rumgejammert wie meine Zeitgenossen wegen so weltbewegender Dramen wie eines eingerissenen Fingernagels oder einer nicht sitzen wollenden Frisur. Ganz zu schweigen davon, dass der Dollarkurs einfach nicht die Spur hält...

    Apropos Spur halten: Hinter mir erscheinen in der nebelnahen Ferne zwei Scheinwerfer. Ich bin also doch nicht allein in dieser Suppe. Wie beruhigend. So ein Begleitschutz gibt mir gleich wohlige Sicherheit. Ja, kommt ruhig noch ein bisschen ran – aber: Hallo! Hey! Bitte nicht ganz so dicht auffahren. Das blendet. Und was ist, wenn ich plötzlich bremsen muss?

    Den beiden Scheinwerfern scheint das egal zu sein. Sie kommen immer näher und haben mit einem Mal so gar nichts Beruhigendes mehr. Gleich werden sie meine Stoßstange berühren. Ist der Fahrer besoffen oder lebensmüde? Soll er doch vorbeifahren. Aber das tut er nicht. Ich glaube wahrlich, er will mich von der Straße drängen. Plötzlich erinnere ich mich an die Hektik meines verloren gegangenen Beifahrers. Wie er immer wieder unruhig in den Rückspiegel geschaut hatte. Und wie er unvermittelt auf der Brücke aussteigen wollte. Der wurde verfolgt! Und ich war seine Tarnung. Ja, Pustekuchen. Von wegen! Wer auch immer da hinter mir her fährt, scheint zu denken, die Beute säße noch neben mir.

    Ich resümiere mein komplettes Wissen über James Bond. Der Held meiner Jugend. Immer verfolgt und immer gerettet. So hatte ich sein wollen. So mutig und unerschrocken. ‚Also dann, meine Liebe, zeig mal, was du draufhast‘, feuere ich mich an und gebe Gas. ‚Mich kriegst du nicht. Eher landen wir beide im Straßengraben. Was du nämlich nicht weißt: Ich hab‘ mal eine Reportage über eine Stuntschule gemacht und für eine Woche mit denen mittrainiert. Jetzt wird sich zeigen, was das wert war. Pass‘ auf und staune!‘

    Und in Schlangenlinien Haken schlagend wie ein Hase setze ich meine Fahrt fort. ‚Wenn mir nur dieser verdammte Nebel nicht permanent die Sicht erschweren würde‘, fluche ich und rase weiter die Serpentinen hinunter …

    II

    in starker Wind hatte sich erhoben und durchtrennte den Nebel. Sophia schreckte auf. Sie fand sich wieder inmitten einer durch und durch in sattes Grün getauchten Landschaft. Riesige Felsen ragten daraus hervor. Der Wind bog die hohen Halme einer sich ins Unendliche weitenden Wiese bis auf den Boden und forderte sie in Wirbeln zum Tanzen auf. Es sah aus, als ob er in Mustern Worte schrieb. So, als wollte er etwas mitteilen. Doch leider hatte Sophia nie gelernt, die Zeichen der Natur zu deuten. Sie schloss die Augen und spürte die Sonne auf ihren Lidern. Die frische Luft roch nach Meer. Ihre Ohren vernahmen dessen Rauschen. ‚Wie an dem Tag, als ich beim Schwimmen den Halt verlor und von einem Unterwasserstrudel in die Tiefe gezogen wurde‘, dachte sie.

    ‚Dies hier muss der Ort sein, an dem ich ertrunken bin‘, schoss es ihr in den Kopf. Das Ganze war also nur eine Art Prüfung gewesen. Sie sprang auf und rannte los. Doch als sie die Klippe erreicht hatte und hinunterblickte, war da kein Meer. Nur ein See, gebettet in eine Art Krater, und ein Wasserfall, der sich mit lautem Rauschen zwischen zwei grünen Felsen in die Tiefe stürzte. Sophias Hoffnung zerfiel wie ein Kartenhaus. ‚Wie naiv bin ich, zu glauben, dass ich so einfach zu meiner Familie zurückkehren kann,‘ dachte sie, wütend auf sich selbst.

    Da mischte sich ein deutlich hörbares Murmeln in ihre Gedanken. ‚Sicher nur ein neuer Streich meiner Sinne.‘ Doch das Murmeln wurde immer lauter. Und tatsächlich: Ganz in der Ferne sah Sophia schemenhaft einen großen Menschenzug direkt auf sich zukommen. ‚Wo nur bin ich hier?‘

    Sie fing wieder an zu laufen. Die grünen, weichen Hügel, denen sie folgte, wechselten sich mit in die Tiefe gewundenen Tälern. Immer wieder verlor sie den Zug aus den Augen. Einmal schien er fast greifbar, dann war er ganz weit weg. ‚Ein merkwürdiges Auf und Ab. Man glaubt, sich näher zu kommen, und erreicht sich doch nie.‘

    Die Enttäuschung, ihrer Familie nicht wiederbegegnet zu sein, war inzwischen einer unerklärlichen inneren Spannung gewichen. Sophia spürte eine geradezu magnetische Anziehung, die von den immer lauter werden Stimmen ausging, so, als wüsste ein Teil von ihr ganz genau, was sie hier finden sollte. Allmählich begann sie, Worte zu erkennen in dem Gemurmel. Sie hörte Namen, die ihr bekannt vorkamen. Gebete, die sie aus den seltenen Kirchenbesuchen ihrer Kindheit erinnerte - am Tag ihrer Erstkommunion, als sie gemeinsam mit anderen Kindern in einer langen Reihe vor den Priester getreten war, während die Gemeinde für sie sang.

    Und tatsächlich erkannte sie jetzt ganz deutlich, dass auch die Gruppe betete. Das, was ihr da entgegenkam, sah aus wie eine Prozession. Vorweg ein Mann in einer langen, braunen Kutte mit einem großen Kreuz in den Händen. Dahinter Männer in erdfarbenen oder grauen Leinenkitteln und Frauen in bodenlangen Kleidern mit offenen, langen Haaren oder auch zu Zöpfen oder Kränzen geflochten. Erst jetzt fiel ihr auf, dass auch sie ähnlich gekleidet war. Sie trug ein dunkelblaues, schlichtes Leinenkleid mit einer Kordel um ihre Hüfte. Ihre braunen Haare waren zu einem dicken, langen Zopf gebunden. Ohne Zweifel: Hier war sie nicht im 21. Jahrhundert, sondern in einer völlig anderen, alten ­Zeit!

    „Was ist Raum, was ist Zeit in der Welt der Wirklichkeit?“, hörte sie plötzlich die Stimme aus dem Licht. War etwa einer ihrer Seelenteile in so weiter Vergangenheit zu finden? Hier war anscheinend alles möglich.

    Und so fasste Sophia den Entschluss, sich der herannahenden Prozession anzuschließen. Vielleicht war die Person, nach der sie suchte, ja in diesem Zug.

    Nein, bitte nicht! Nicht ausgerechnet jetzt ein Zug. Bitte, kein beschrankter Bahnübergang! Den Ton kenne ich. Und die rot blinkenden Lichter auch. Tatsächlich! Gerade jetzt, wo ich so einen tollen Vorsprung herausgefahren habe, stellt sich mir diese Schranke in den Weg. Und meine Verfolger kommen immer näher. Ich habe keine Zeit, darauf zu warten, ob sich die Schranke rechtzeitig wieder öffnet. Wer weiß, wie lang der Zug ist. Ohne auch nur eine Sekunde nachzudenken, stoppe ich den Wagen, reiße die Tür auf und renne in den Wald. Immer tiefer …

    u bist nicht von hier, oder?“

    Erschrocken drehte sich Sophia um. Hinter ihr lief ein Mädchen in einem langen, grünen Wollkleid und mit kastanienbraunem Haar, das in natürlichen Locken über ihre Schultern fiel. Ihre Haut schimmerte, als würde sie von innen strahlen. Zwei kleine Muttermale gaben ihrem ansonsten ebenmäßigen Gesicht einen besonderen Reiz. Sie schien kaum älter als siebzehn. Ihre lebendig leuchtenden Augen lächelten und forderten freundlich eine Antwort. Zögerlich schüttelte Sophia den Kopf.

    „Dann bist du sicher wegen der Prozession hierhergekommen“, konstatierte das Mädchen unbekümmert und streckte Sophia ihre Hand entgegen. „Ich bin Johanna. Und wie heißt du?“

    „Sophia.“

    „Wie meine Mutter.“ Eine merkwürdige Blässe überzog für einen Moment das Gesicht des Mädchens. „Sophia ist ein schöner Name. Er bedeutet die Weise.“

    „Naja, ich denke nicht, dass ich besonders weise bin“, entgegnete Sophia.

    „Niemand ist weise, wenn er es sagt.

    Der wahre Weise ist eher verzagt.

    Er sieht sich als suchend und lernend im Sein

    Und diese Erkenntnis ist weise allein.“

    Johannas Lippen formten diese Sätze, doch ihre Stimme klang wie die aus dem Licht.

    „Weißt du schon, wo du heute Nacht schläfst?“, hörte sie im nächsten Augenblick das Mädchen fragen und ihre Stimme klang wieder wie vorher. „Wenn du willst, kannst du nach der Feier mit zu mir kommen.“ Die sanfte Art, mit der Johanna sprach, weckte vollkommenes Vertrauen. Sophia zögerte keinen Moment. Schlaf war genau das, was sie jetzt brauchte. Morgen konnte sie dann über alles nachdenken und den Menschen suchen, der ihren Seelenteil trug.

    Mit dem ersten Hahnenschrei erwachte sie am nächsten Tag. Es hatte gut getan in einem Bett zu schlafen, wenn es auch nur aus Stroh war. Vorsichtig stieg sie die schmale Leiter hinab, die von der kleinen Schlafkammer in den darunterliegenden, größeren Raum führte.

    „Schön, dass du da bist. Komm, ich will dich meinem Vater vorstellen.“ Ohne eine Antwort abzuwarten, führte Johanna Sophia zum Tisch, wo ein einsam wirkender Mann saß. Er schien nicht besonders gesprächig, denn er würdigte sie keines Blickes.

    ‚Gott sei Dank muss ich nicht erklären, wer ich bin, woher ich komme und was ich hier mache‘, dachte Sophia erleichtert. Unsicher blieb sie mit gebührendem Abstand vor dem Tisch stehen und betrachtete den Mann genauer. Graues Haar hing ihm wirr über das Gesicht. Ein Bart verdeckte seine Gesichtszüge, nur seine auffallend große und markante Nase war zu sehen. Vor ihm stand eine hölzerne Schüssel mit warmer Hafergrütze. In der Hand hielt er ein Stück Brot.

    „Vater, das ist Sophia“, sagte Johanna. „Ich habe sie gestern nach der Prozession mitgenommen. Sophia, das ist mein Vater Heinrich.“

    Heinrichs Hand krallte sich für einen kurzen Moment um den Löffel, als er Sophias Namen vernahm. Schnell aß er seine karge Mahlzeit zu Ende. Dann verließ er ebenso schnell und wortlos den Raum. Sophia wurde das Gefühl nicht los, dass ihm ihre Anwesenheit nicht behagte.

    „Mach dir nichts draus“, beruhigte sie Johanna. „Das legt sich, wenn er dich erst besser kennt.“ ∞

    Und plötzlich habe ich ein Messer am Hals.

    „Los, her damit! Wo ist es? Wo hast du es versteckt?“ Grobe Hände tasten meinen ganzen Körper ab. Verdammt noch mal, was soll das? Was suchen die? Wer zum Teufel war dieser Mann gewesen, den ich da in meinem Auto befördert hatte?

    „Ich habe keine Ahnung, wovon ihr sprecht! Ich habe den Typen nicht gekannt! Verdammt noch mal, nimm deine schmierigen Finger von meinen Klamotten!“ Mit aller Kraft trete ich zuerst dem Messerhalter hinter mir mit meinen High-Heels auf die Zehen und dann dem Fingerer in die Weichteile. Da hatte sich doch die Reportage über weibliche Selbstverteidigung richtig bezahlt gemacht und endlich wusste ich, wofür diese spitzen Absätze auch noch gut sind, außer dass die Füße sakrisch weh tun, wenn man auf ihnen stundenlang in Schönheit stirbt. Und gepriesen sei mein Pfefferspray, das ich seit einem Überfall in der Tiefgarage unseres Verlagshauses stets bei mir trage.

    Für einen kurzen Moment sind die zwei Angreifer außer Gefecht. Ohne eine Sekunde nachzudenken, schlüpfe ich aus meinen zwar hilfreichen, aber für schnelles Laufen hinderlichen Schuhen und sprinte zurück zu meinem Wagen. Wie durch ein Wunder läuft der Motor noch. Ich hatte ihn bei meiner Flucht in den Wald wohl glatt vergessen, abzustellen. Danke, Schutzengel!

    Zug vorbei. Schranke hoch. Weg frei. Gas geben und nichts wie weg.

    Erst nach einigen Kilometern inzwischen nebelfreiem Vollgas und dem Erreichen eines Ortsschildes bemerke ich die rasende Panik in meinen Adern. Ich glaube, das mit der Bewerbung als Reporterin in Kriegsgebieten lasse ich. Dann doch lieber risikoloses Promiwelt-Gesülze. Ist zwar auch ein Haifischbecken, aber in dem kann ich wenigstens schwimmen. Und wo zum Teufel kriege ich jetzt neue Schuhe her?

    Ganz allmählich ebbt das Chaos in meinen Kopf ab und ich beginne, wieder klar zu werden. ‚Okay‘, sage ich zu mir selbst, ‚Sortiere deine Gedanken und beruhige dich. Was ist hier eigentlich los? - Ich stehe mit meinem Wagen mitten in der Nacht auf einer mir unbekannten Straße mitten in einem mir unbekannten Ort und habe zwei verrückte, gewaltbereite Fremde auf den Fersen. Logische Folge: Ich brauche ein Versteck.‘

    Ich atme tief durch und denke nach: Erstens muss es etwas sein, wo ich mein Auto unterstellen kann, zweitens brauche ich für mich selbst einen Unterschlupf und drittens sollten dort viele Menschen sein, denn unter vielen Menschen bin ich eindeutig geschützter als im Wald. Die Party! Warum bin ich nicht gleich darauf gekommen? Ich schaue auf mein Navi und sehe, dass ich wie durch ein Wunder in meiner Panik eine Art Abkürzung gefunden habe und nur noch knapp zwei Kilometer von meinem Ziel entfernt bin. Gott sei Dank! Dort bin ich sicher. Dort kann mir niemand etwas tun. Und auf dem Rückweg nehme ich einfach ein paar Gäste mit. Kinder und Betrunkene haben schließlich einen Schutzengel …

    ach dem Frühstück begleitete Sophia die neue Freundin durch ihren Tag. Stundenlang liefen sie über Felder und Wiesen, auf ungepflasterten Wegen durch kleine Wäldchen und Johanna gab sich große Mühe, so viel wie möglich von ihrer Welt zu offenbaren. Einer Welt, die nur aus Natur zu bestehen schien.

    Der Frühling zeigte sein schönstes Gesicht. Überall blühte, summte und duftete es. Aus altem, abgestorbenen Leben brach das neue hervor, vollkommen und mit unaufhaltsamer Macht. Mit völlig neuen Augen und mit allen Sinnen erlebte Sophia, was nicht von Menschen in Struktur und Praktikabilität gezwungen worden war. Wildheit pur. Sehnsüchtig atmete sie tief die frische Luft, roch den Duft von Apfelbäumen und musste an zu Hause denken. ‚Warum nur habe ich mir dort nie die Zeit genommen, diese unglaubliche Welt zu entdecken? Es wäre so einfach gewesen, hinaus zu gehen, um mehr über das Leben zu erfahren und zu begreifen, als durch all die Studien, Analysen und Bücher, die ich als Psychologin durchgearbeitet habe.‘ Erst jetzt, mit Johanna an ihrer Seite, lernte Sophia, was es bedeutete, den Moment um seiner selbst willen zu genießen. Ohne unnütze Gedanken und ohne Stress. Die Blumen, die Farben, der Duft, die Vögel, der Wind. Alles war einfach da. Sie blickte sich um und entdeckte, was sich von ihr entdecken lassen wollte. ‚Jeder Moment könnte mich so glücklich machen, wenn ich es schaffen würde, ihn zu nehmen, wie er ist. Wenn ich nicht versuche, ihn mir zurechtzubiegen oder zu beeinflussen - denn das würde ihn zerstören. Jeder Moment aber kann mich beeinflussen, indem er mir seine Wahrhaftigkeit vor Augen führt. Es liegt nur an mir, ob ich es erkenne. Ist nicht im Grunde das ganze Leben immer nur eine Kette genau solcher Augenblicke?‘

    „Komm, ich brauche deine Hilfe!“ Johannas Stimme kam von ziemlich weit her. „Ich will noch ein paar Kräuter sammeln und du kannst mir tragen helfen.“

    Sophia blickte suchend auf, doch Johanna war schon so weit entfernt, dass sie aussah wie ein kleiner Punkt auf einer großen, grünen Fläche. Schnell rannte sie ihr hinterher.

    „Da bist du ja endlich! Ich dachte schon, du kommst gar nicht mehr!“ Johanna stand inmitten einer riesigen, bunten Wiese mit einem Arm voller Blüten und Pflanzen. „Hier, nimm.“

    „Wofür pflückst du diese Blumen?“, fragte Sophia, noch leicht außer Atem. So schnell und so lange zu laufen war sie nicht mehr gewohnt.

    „Das sind keine Blumen, sondern Heilkräuter!“, verbesserte die Freundin. „Jedes Kraut hilft für eine andere Krankheit. Man muss sie nur zur rechten Zeit pflücken.“

    „Und woher weißt du, welches Kraut für was gut ist?“

    „Von meiner Mutter. Sie war hier im Dorf unsere Heilerin. Viele Menschen sind zu ihr gekommen, um sich helfen zu lassen. Oft hat man sie auch gerufen. Zu einer Geburt zum Beispiel oder wenn ein Mensch so krank war, dass er nicht mehr laufen konnte. Meine Mutter hat die meisten von ihnen geheilt. Jetzt, wo sie nicht mehr da ist, versuche ich es ihr gleich zu tun.“ Johanna legte noch ein paar Kräuter in Sophias Arme.

    „Wo ist deine Mutter denn?“

    „Sie ist gestorben“, sagte Johanna und wandte sich schnell ab, damit Sophia nicht die Tränen in ihren Augen sah.

    Das Sammeln und Binden der Kräuter war nur ein Teil von Johannas täglichem Tun. Sie zu verarbeiten nahm die meiste Zeit in Anspruch. Einige der Pflanzen trocknete sie, andere, besonders Wurzeln, Samen, Blüten und Blätter, verarbeitete sie zu Salben, Tinkturen und Pulvern. Sophia lernte begierig. Das vielfältige Wissen der Freundin beeindruckte sie immer mehr. ‚Schade, dass diese Art des Heilens nicht bis in unsere Zeit überlebt hat.‘ Johanna schien mit diesen Kräutern wahre Wunder zu wirken, nach allem, was sie so erzählte. Und Sophia nahm sich fest vor, alles zu behalten, was sie hier erfuhr.

    Manchmal kamen Leute im Schutze der Dunkelheit hinter den Wald und holten sich etwas von den fertigen Heilmitteln oder fragten nach Rat. Aber immer geschah es heimlich und niemals bei Heinrichs Haus. Tag für Tag gingen die beiden Frauen den weiten Weg mit ihren Kräutern zu der abgelegenen Hütte und zu den Menschen, die auf Hilfe warteten.

    Das Gehen der fast immer selben Wege wurde für Sophia zu einem nicht enden wollenden Lehrstück über die Gesetze der Natur, die sich in all ihren Facetten und ihrer Vielschichtigkeit täglich vor ihr aufblätterte wie in einem riesigen Bilderbuch. Sie sah die Bäume sich biegen, wenn der Wind in sie fuhr. Sie gaben einfach nach, anstatt sich stur und steif dagegen zu stemmen, bis sie brachen. Sie sah das Wasser des Baches einen anderen Lauf nehmen, wenn sich ihm etwas entgegenstellte. Es versuchte nicht, das Hindernis mit Gewalt aus dem Weg zu räumen. Es passte sich den Umständen an, veränderte seine Fließrichtung und kam so, manchmal mit unvermittelten, kleinen, unruhigen Wirbeln, doch unaufhaltsam, vorwärts.

    „Ja“, sagte Johanna, als Sophia ihr ihre Beobachtungen mitteilte, „Die Natur lehrt uns alles, was wir zum Leben brauchen. Man muss nur hinschauen. Die Jahreszeiten zum Beispiel zeigen uns, dass auf jeden Neubeginn Wachstum und Ernte folgt - dann eine Zeit der Ruhe, um wieder Kraft zu finden für den nächsten Kreislauf. Und genauso ist es auch in unserem Leben. Alles hat eine natürliche Ordnung und braucht ein Gleichgewicht. Einfach, nicht wahr?“

    ‚In eurer Zeit vielleicht‘, dachte Sophia. ‚Weil ihr gar keine Wahl habt. Ihr müsst euch anpassen und dem natürlichen Fließen folgen. In meiner Zeit haben die Menschen es geschafft, alles auf den Kopf zu stellen. Sie machen die Nacht zum Tag, können es im Winter ebenso warm haben wie im Sommer und alles Essbare wachsen lassen, wann immer sie wollen. Sie lassen sich künstlich verjüngen, machen nie eine Pause. Natürliche Rhythmen haben wir einfach vergessen. Wir haben Terminkalender und Uhren. Und dann wundern wir uns, warum wir so oft neben uns stehen, anstatt mit uns im Einklang zu sein.‘

    Mit der Zeit lernte Sophia, sich nicht mehr zu beeilen. Aus jedem Weg wurde Lebenszeit, die sie mit jeder Faser spüren konnte. Gerade, weil sie so viel und so lange einfach durch die Natur lief, hatte sie Muße, über vieles nachzudenken. In dieser Langsamkeit lag ein Schlüssel. Die Intensität des Augenblicks ersetzte das Gestresst- und Abgehetzt-Sein. Sie war endlich im Gleichgewicht und nicht wie früher immer schon mit dem Kopf woanders, als mit dem Rest ihres Körpers. Und erstaunlicherweise kam sie so auch viel schneller an ihr Ziel. In ihrer alten Welt wollte jeder immer nur schnell irgendwohin gelangen. Bloß keine Zeit verschwenden, immer effizient denken und handeln. So hatte auch ihre Maxime gelautet. Wie sehr sie sich durch diese Schnelllebigkeit selbst verloren hatte, wurde ihr erst durch die vielen Fußmärsche mit Johanna offenbar. Die anfängliche Unruhe, nicht rechtzeitig anzukommen und quasi ziellos unterwegs zu sein, verblasste nach und nach. Bis sie irgendwann ganz verschwunden war.

    „Morgen nehme ich dich mit zu einem Krankenbesuch“, sagte Johanna eines Tages, packte Kräuter, Fläschchen und Salben in eine Tasche, schlug alles in ein großes Tuch und gab es Sophia. „Pass gut auf, dass wir nichts verlieren, denn ich weiß nicht, was wir brauchen werden.“

    Das erste Mal nahmen sie etwas aus der Hütte mit nach Hause. Am Abend, nachdem sie sich versichert hatte, dass ihr Vater nicht da war, legte Johanna das Tuch unter ein noch größeres Tuch, stellte rechts und links davon eine Kerze auf und sprach mit darüber gehaltenen Händen Gebete in einer Sprache, die Sophia noch nie gehört hatte.

    „Diese Worte hat mich meine Mutter gelehrt“, erklärte sie. „Es ist die Sprache der Kräuter. Die Klänge rufen das Licht der Heilung herbei. Wir sind nur der Kanal. Mit den Worten verankern wir die Kraft im Innern der Heilmittel. Die wahre Krankheit ist das Denken, weißt du, und die heiligen Worte werden die falschen Gedanken auslöschen helfen.“

    Ehrfürchtig lauschte Sophia Johannas Ausführungen. Dieses junge Mädchen war von einer Tiefe und Weisheit durchdrungen, wie es ihr in ihrer Welt und während ihrer ganzen medizinisch-psychologischen Ausbildung nie zuvor begegnet war. Sie spürte, dass hier etwas geschah, wovon die moderne Schulmedizin nur träumen konnte.

    Noch vor Sonnenaufgang machten sich die beiden Frauen am nächsten Morgen auf den Weg. Inzwischen hatte Sophia sich an die langen Fußmärsche gewöhnt und sie genoss die Zeit und die Ruhe, die ihr dadurch zuteilwurden, von Tag zu Tag mehr. Wie anders nahm sie doch jetzt alles wahr. Jeder Schritt wurde zu einem bewussten Schritt, das Gefühl unter ihren Füßen, wenn sie ging, zu einem sinnlichen Erlebnis. Die Verbundenheit mit der Erde als Trägerin und Versorgerin, in der sie selbst als Mensch verwurzelt war, zu einer Erfahrung bis in alle Fasern ihres Körpers. Sie setzte stetig einen Fuß vor den anderen, während sie Johanna auf ihrem Weg folgte, vorbei an einem kleinen Waldstück, über eine hölzerne Brücke, über einen breiten Fluss, an dessen Ufer sie einen flachen Steg entdeckte, der ins Wasser hineinführte, damit man auf ihm Wäsche waschen konnte. Sie dachte nicht mehr ans Ankommen. Sie ging und erlebte, was der Augenblick ihr zeigte.

    III

    ie Sonne stand bereits hoch am Himmel, als vor ihnen ein kleines Haus am Fuße eines bewaldeten Hügels auftauchte.

    „Da ist es“, sagte Johanna, „Das alte Ehepaar, das hier lebt, besuche ich regelmäßig. Niemand kümmert sich um sie und ins Dorf schaffen sie es nicht mehr.“

    Als sie die Hütte betraten, empfing sie ein süßlicher Geruch. Eine kleine, gebückte Frau kam ihnen entgegen, nahm Johannas Hände und küsste sie.

    „Danke mein Kind“, sagte sie mit zittriger Stimme und in ihren Augen konnte Sophia unausgesprochenes Leid erkennen. „Es geht ihm wieder sehr schlecht. Er hat Angst und große Schmerzen. Bitte hilf ihm.“ Sie führte die beiden Frauen in einen winzig kleinen, düsteren Raum, in dem man kaum die Hand vor Augen erkennen konnte. Leises Wimmern drang ihnen entgegen, die Luft roch nach Exkrementen und machte das Atmen schwer. Wie sollten sie hier nur helfen?

    Ohne zu zögern ging Johanna zum Lager des alten Mannes, nahm eine Schnur aus ihrem Kleid, an der ein kleiner Stein befestigt war, und ließ sie schwingen. „Ich befrage seinen Schmerz“, erklärte sie, „Manchmal kann ich ihn sehen und dann weiß ich, was zu tun ist. Aber heute geht es um mehr. Ich muss wissen, wie ich die Seele jetzt am besten unterstützen kann. Und sie soll mir sagen, wozu sie bereit ist.“

    „Bring mir bitte meine Tasche“, sagte sie zu Sophia und nahm ein Bündel Kräuter heraus. Sie hieß die alte Frau, es an der Glut des Feuers zu entzünden. Dann öffnete sie eine Salbe und malte damit etwas auf die Brust des Mannes. „Das ist das Zeichen der Ahnen“, erklärte sie, „Es wird helfen, in Liebe loslassen zu können.“ Sie durchquerte mit den Kräutern den Raum und räucherte ihn. „Wir klären den Weg, den die Seele jetzt gehen wird.“ Wollte Johanna dem Mann etwa beim Sterben helfen?

    ‚Das darf sie nicht‘, durchfuhr es Sophia. In ihrer Welt würde man versuchen, das Sterben solange wie möglich zu verhindern. Das gebot der Eid des Arztes, den auch sie am Ende ihrer Ausbildung abgelegt hatte. Doch so sehr sie sich auch dagegen wehrte, gab es tief in ihrem Inneren keinen Zweifel: Der Tod war hier ganz nah.

    Johanna wurde ganz ruhig, tiefer Friede strahlte aus ihr. Sie sprach eine lange Zeit immer wieder dieselben Worte, während die alte Frau die Hand ihres Mannes hielt. Sophia vergaß Zeit und Raum und auch über sie legte sich eine tiefe Ruhe. Es war ihr mit einem Mal vollkommen bewusst, wie natürlich das Sterben war, wenn man es annahm und nicht versuchte, dagegen anzukämpfen. Wieviel Leid könnte man den Menschen so ersparen. Sie fühlte sich zurückversetzt in ihren eigenen Kampf an jenem letzten Tag im Meer, erinnerte die Panik und den Schmerz. Aber sie spürte auch den Moment, als es vorbei war, sie das wunderbare Licht sah und nur noch Leichtigkeit und Frieden sie erfüllten. ‚Bei uns hat der Tod einfach keinen Raum‘, dachte sie.

    ‚Wir versuchen nur, ihn zu verdrängen und erleben ihn deshalb als grausam. Wenn man ihn annehmen könnte wie einen Freund, der uns einfach nur in eine andere Welt begleitet, wäre vieles leichter. Wenn alle wüssten, wie leicht und schön es am Ende ist, könnte er vollkommen seinen Schrecken verlieren, und wieder ein ganz natürlicher Teil des Lebens werden. Ich werde es allen erzählen, wenn ich wieder zu Hause bin‘, versprach sie sich.

    Töne riefen sie aus ihren Gedanken zurück und sie hörte, wie Johanna eine einfache, immer wiederkehrende Melodie sang. Nach einer langen Weile verstummte sie.

    „Er ist gegangen“, sagte sie. Erneut sprach sie ein Gebet, diesmal aber für die alte Frau. Sie gab ihr ein Fläschchen aus ihrer Tasche, malte ihr mit der Salbe ebenfalls ein Zeichen auf die Stirn und ging dann mit den Kräutern durch das restliche Haus, um es zu reinigen. „Ich schicke die Männer aus dem Dorf. Sie werden dir helfen, ihn zu begraben.“ Johanna strich der alten Frau über den Kopf und nahm sie in die Arme.

    „Es geht ihm gut. Er hat nun keine Schmerzen mehr.“

    „Gottes Wille ist Vollkommenheit in allen Dingen“, sagte sie noch, als sie sich wieder auf den Heimweg machten. Dann schwiegen sie den Rest des Weges.

    Von diesem Tag an begleitete Sophia Johanna auf all ihren Krankenbesuchen. Gott sei Dank ging es nie wieder um das Sterben, sondern um das Gesundwerden.

    „Das Sterben ist immer das Erste, das du siehst, wenn du mit dem Heilen beginnst. Wer das nicht aushalten und annehmen kann, wird nie wirklich helfen können. Denn niemand weiß, was letztendlich geschehen wird. Wir kennen den Plan nicht.“ Johanna erfasste anscheinend genau, wovor Sophia sich fürchtete. „Erinnere dich: Wir sind nur der Kanal.“ Und sie malte den Hilfesuchenden ihre Zeichen auf die leidenden Körperteile, befragte die Schmerzen, gab Medizin und aufmunternde Worte.

    Neben ihrem großen Heilwissen beeindruckte Sophia dabei die direkte, geradlinige Art, in der Johanna mit den Menschen umging. Sie war immer höflich und einfühlsam, nie verletzend. Aber sie sagte, was sie dachte und sah. Von sich selbst konnte Sophia das eher nicht behaupten. Sie war nicht wirklich mitfühlend, obwohl oder vielleicht sogar gerade weil sie Psychologin geworden war. Sie liebte die Analyse und war eine Meisterin darin, sich anzupassen, eigenen Problemen auszuweichen und dabei immer ihre Hände in Unschuld zu waschen.

    „Wir beide merken, dass etwas nicht stimmt zwischen uns. Aber anstatt, dass du versuchst, herauszufinden, was es ist, ignorierst du es einfach! Wenn wir uns noch nicht mal mehr streiten können, dann macht eine Beziehung keinen Sinn!“ Das waren die Worte ihres Mannes gewesen. Kurz darauf hatten sie sich zur Scheidung entschlossen.

    ‚Warum kann ich die Dinge nicht einfach beim Namen nennen, meinen Anteil daran annehmen und eine Diskussion darüber aushalten?‘, überlegte Sophia. Hier, in Gegenwart von Johanna, erlebte sie unmittelbar, wie leicht es sein konnte, auszusprechen, was man fühlte und dachte. Und vor allem, dass diese Klarheit für alle nur von Vorteil war.

    Je länger Sophia bei Johanna blieb, desto mehr erfuhr sie auch über die Menschen dort. Das Leben in dem kleinen Dorf war hart und freudlos. Außer zweier Großereignisse im Jahr bestand es nur aus Arbeit. Für ihr karges und entbehrungsreiches Dasein schufteten die Menschen den ganzen Tag und hatten doch oft nicht genug. Es gab kaum freie Momente. Alles lief immer nach denselben Mustern. Abwechslung oder Zeit für sich selbst, um auszuruhen, geschweige denn etwas genießen zu können, schien niemand zu haben. Doch auch hier war Johanna anders. Sie schaffte es, selbst aus dem Alltäglichen einen besonderen Moment zu machen.

    Einmal, als nach langem Regen wieder die Sonne schien, nahmen sie im Wald eine andere Abzweigung als die gewohnte zu den Kräutern und zur Hütte.

    „Wir müssen heute ein gutes Stück flussaufwärts gehen“, erklärte Johanna, „Ich brauche ein paar ganz spezielle Pflanzen, genauer gesagt ihre Wurzeln. Die wachsen nur an einer bestimmten Stelle in den Steinen oben auf den Hügeln und es muss vorher geregnet haben, um sie ausgraben zu können.“ Sie hatte am Morgen ein paar Sachen zusammengepackt und winkte Sophia fröhlich, ihr zu folgen.

    Der Weg war lang und beschwerlich. Durch den Regen hatte der Boden so viel Wasser aufgenommen, dass Sophia mehr als einmal wegrutschte und den Halt verlor. Selbst die Steine, die den Hang stützten, waren zu glatt, um sich sicher zu fühlen. Johanna hingegen lief ganz leicht den Berg hinauf, als wäre es das Selbstverständlichste der Welt.

    Oben angekommen, auf einer Lichtung, lagen große Steine scheinbar zusammenhanglos auf dem Boden. Dazwischen kniete Johanna, hatte aus ihrem Bündel einige Werkzeuge geholt und begonnen, mit ihnen in die Tiefe zu graben. Obwohl die Pflanzen selbst nur sehr unscheinbar im Verborgenen blühten, staunte Sophia, wie lang und mächtig ihre Wurzeln waren. Jetzt verstand sie, warum man sie nur bei aufgeweichtem Boden herausholen konnte.

    „Die Umstände sind sehr selten so wie heute“, sagte Johanna und die Freude darüber, dass heute ein solcher Tag war, strahlte aus ihrem ganzen Gesicht. „Diese Wurzeln sind die einzigen, die gegen Schlangenbisse oder Vergiftungen helfen. Bei tiefen Wunden können sie sogar ein Absterben des Fleisches verhindern.“