Der Weg in den (Un)ruhestand! - Margaret Heckel - E-Book

Der Weg in den (Un)ruhestand! E-Book

Margaret Heckel

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Beschreibung

So lange und viel arbeiten, wie man möchte Wir leben immer länger und bleiben dabei gesünder. Doch wie können wir die höhere Lebenserwartung auch beruflich zu unserem Vorteil nutzen? Und auch in der zweiten Lebenshälfte noch Änderungen wagen und selbst bestimmen, wie lange und was wir arbeiten? Die bisher übliche Dreiteilung des Lebens in Ausbildung, Arbeit und Ruhestand weicht schließlich zunehmend zugunsten eines flexibleren Lebensphasen-Modells. Margaret Heckel liefert viele konkrete Beispiele und 44 Jobideen für alle, die neue Chancen auf dem Arbeitsmarkt, etwa durch den Fachkräftemangel, nutzen wollen. Sie verrät, wie ein Jobwechsel auch im höheren Alter noch gut funktioniert und wie (Früh-)Rente und Arbeit optimal miteinander kombiniert werden können. Zudem bietet sie einen nützlichen Serviceteil rund um Umschulung, Selbstständigkeit sowie Rente und klärt dabei auch steuerliche und sozialrechtliche Fragen. Für alle, die auch in der zweiten Lebenshälfte nach neuen Herausforderungen, Selbstbestimmung und Erfüllung suchen!

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Seitenzahl: 278

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Margaret Heckel

Der Weg in den UN RUHE STAND

Margaret Heckel

Der Weg in den UN RUHE STAND

44 Jobideen für eine entspannte zweite Lebenshälfte

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://d-nb.de abrufbar.

Für Fragen und Anregungen:

[email protected]

Wichtiger Hinweis:

Ausschließlich zum Zweck der besseren Lesbarkeit wurde auf eine genderspezifische Schreibweise sowie eine Mehrfachbezeichnung verzichtet. Alle personenbezogenen Bezeichnungen sind somit geschlechtsneutral zu verstehen.

Originalausgabe

1. Auflage 2024

© 2024 by Redline Verlag, ein Imprint der Münchner Verlagsgruppe GmbH

Türkenstraße 89

80799 München

Tel.: 089 651285-0

Alle Rechte, insbesondere das Recht der Vervielfältigung und Verbreitung sowie der Übersetzung, vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotokopie, Mikrofilm oder ein anderes Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme gespeichert, verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden. Wir behalten uns die Nutzung unserer Inhalte für Text und Data Mining im Sinne von § 44b UrhG ausdrücklich vor.

Redaktion: Anne Horsten

Umschlaggestaltung: Marc Fischer

Umschlagabbildung: stock.adobe.com/Vita

Satz: ZeroSoft, Timisoara

eBook by tool-e-byte

ISBN Print 978-3-86881-959-5

ISBN E-Book (PDF) 978-3-96267-575-2

ISBN E-Book (EPUB, Mobi) 978-3-96267-576-9

Weitere Informationen zum Verlag finden Sie unter

www.redline-verlag.de

Beachten Sie auch unsere weiteren Verlage unter www.m-vg.de

Inhalt

Einführung

Etwas Neues wagen!

Jobs für die zweite Lebenshälfte

Jobs, die in den nächsten Jahren besonders gefragt sind

Jobs, die das Hobby zum Beruf machen

Jobs, um die Welt besser zu machen: Social Entrepreneure

Jobs nach Beginn der Rente

Gründen in der Rente

Was zu tun ist

Empfehlungen für Politik, Wirtschaft und Gesellschaft

Gut zu wissen: Ressourcen für den Berufswechsel

Vom Angestellten zum Selbstständigen

Altersteilzeit

Arbeiten und Rente mit 63 – die neuen RentArbeitenden

Teilrente und Weiterarbeiten

Vollrente und Weiterarbeiten

Erwerbsminderungsrente und Weiterarbeiten

Webseiten und Bücher zur Vorbereitung

Danksagung

Über die Autorin

Anmerkungen

Einführung

Etwas Neues wagen!

Das Werbeplakat auf dem Bahnsteig im beschaulichen Allgäustädtchen Memmingen hatte es in sich: Darauf versprach ein Münchner Technologiekonzern 3000 Euro Willkommensprämie für Elektroniker und Techniker - und 100 Euro gäbe es allein dafür, dass sich die Gesuchten zu einem Vorstellungsgespräch einfänden.

Angebote wie diese werden in den nächsten Monaten und Jahren deutlich zunehmen. Der Arbeitsmarkt hat sich unumkehrbar gedreht. In Zukunft werden es die Arbeitenden sein, die sich die Stellen und Arbeitgeber aussuchen. Diese Zeitenwende bietet erstmals seit Jahrzehnten ungeahnte Chancen auch für Menschen in der zweiten Lebenshälfte.

Menschen wie die Physiotherapeutin Elisabeth, die mit 61 Jahren eine Maurerlehre begann. Bauen und Handwerken hat ihr schon immer Spaß gemacht, jahrelang renovierte sie mit ihrem heutigen Ex-Mann ein altes Bauernhaus. Nach 40 Jahren als Physiotherapeutin hat sie nun die Chance ergriffen, etwas völlig anderes zu lernen, und sie hat auch einen Ausbildungsbetrieb gefunden.

In ihrem alten Job als Physiotherapeutin arbeitet Elisabeth abends und an den Wochenenden weiter. Nicht, weil sie das Geld braucht, sondern, weil ihr beides Freude bereitet. Arbeiten will sie, solange sie dazu in der Lage ist - nicht nur bis zu einer staatlich vorgegebenen Altersgrenze.

Oder der Kirchenmusiker Andreas, der sich mit Anfang 50 zum Triebfahrzeugführer umschulen ließ. Sein Leben lang war er Kirchenmusiker, und hatte auch eine Dozentur in diesem Fach inne, wie er erzählt. Beides habe er als erfüllend empfunden, aber irgendwann sei sein alter Traum, Lokführer zu werden, zurückgekehrt. Da die Mobilitätsbranche immer Mitarbeitende sucht, sind Quereinsteigende dort hochwillkommen. Auf vier Bewerbungen erhielt Andreas vier Zusagen. Inzwischen arbeitet er als Triebwagenführer bei der RheinRuhrBahn. Jeder Tag sei anders, sagt er, dieser Job bereite ihm große Freude.

Darüber hinaus eröffnen sich auch neue Möglichkeiten für Menschen, die sich bereits in Rente befinden. Kurt beispielsweise war mit 63 nach einem über 40-jährigen Berufsleben bei der Sparkasse in den Ruhestand gegangen. Reisen war schon immer sein Hobby, und so griff er sofort zu, als ihm ein gutes Jahr später ein Job als Flugkurier angeboten wurde: Mit maximal 24 Stunden Vorankündigung erhält er Aufträge, eilige Waren im Hand- oder Sondergepäck überall dorthin auf der Welt zu bringen, wo man sie dringend benötigt. Schon nach einem Jahr als Kurier hat er über 100 000 Meilen abgeflogen, die er für private Reisen einsetzen kann.

Bei Bernd war es ebenfalls das Hobby, das ihm zu einem Neustart nach Rentenbeginn verhalf: Der Manager sammelt schon sein Leben lang handgenähte Schuhe und baute eine beeindruckende Sammlung auf. Oft kauft er gebrauchte Schuhe auf Ebay. Seine Schätze reinigt und repariert der frühere Marketingexperte selbst, dazu hat er sich eine kleine Werkstatt eingerichtet. Gut gepflegt halten diese Schuhe locker 20 Jahre. Um Platz im Regal zu schaffen, verkaufte er die ersten Paare auf dem Flohmarkt, dann über monatliche Mailinglisten und schließlich in seinem eigenen Laden im badischen Staufen. Inzwischen arbeitet ein junger Schuhmacher mit ihm zusammen, der das Geschäft auch übernehmen will.

Gerhard war 91, als er noch mal ein Unternehmen gründete. Bis zum Alter von 70 Jahren leitete er die Geschäfte eines Baumaschinenherstellers, für den er einst einen Schaufellader konstruiert hatte. Dann genoss er seine Freizeit am schönen Bodensee, fuhr häufig Mountainbike und wanderte mit seinen Freunden in den nahen Alpen. Als er mit 86 nach einem Fahrradunfall nicht mehr so gut laufen konnte, begann er, gemeinsam mit einem Fahrradexperten einen geländegängigen Rollator zu entwickeln. 400 Stunden testete er das Gefährt, inzwischen ist die erste Kleinserie auf dem Markt.

Dies sind nur einige Beispiele aus einer täglich wachsenden Zahl von Menschen, die in der zweiten Lebenshälfte etwas Neues anfangen. Wie man so etwas schafft, was man dabei beachten sollte, und warum es diese neuen Chancen überhaupt gibt, thematisiert dieses Buch. Im Zentrum stehen die Jobs: Berufe für Angestellte, die sich neu orientieren wollen, Jobs für Soloselbstständige und Minijobber im Übergang in die Rente, sowie Ideen für all jene, die mit 50+ ihr eigenes Ding machen und ein Unternehmen gründen möchten.

Für jeden dieser Bereiche stelle ich interessante Jobs vor - als persönlich und ausführlich erzählte Geschichten, mitten aus dem Leben. Hinzu kommen konkrete Tipps für den Berufswechsel, den Übergang in die Rente, bei dem man nebenbei arbeitet, sowie für die eigene Gründung.

Diese Hinweise fasse ich im Serviceteil am Ende dieses Buches strukturiert zusammen. Dabei geht es beispielsweise um Ressourcen für den Berufswechsel: Wer kann mich beraten? Was kostet dieser Service? Welche Informationsquellen gibt es? Selbstverständlich behan-dele ich auch den Übergang in die Rente. Dazu gehören Antworten auf die Frage wie der nach dem frühestmöglichen Renteneintritt, genauso wie zu dem Aspekt, was es finanziell bringt, über die gesetzliche Rentengrenze hinaus weiter tätig zu sein.

Seit Anfang 2023 ist es möglich, bereits mit 63 in Rente oder Teilrente zu gehen und trotzdem voll oder in Teilzeit weiterzuarbeiten. Für wen sich dies lohnt und was es dabei zu beachten gilt, ist ein weiteres wichtiges Thema im Serviceteil dieses Buchs. Besonderen Wert lege ich dabei auf die Punkte Steuern und Sozialabgaben. Durch die Kombination von (Teil-)Rente und (Teil-)Arbeit gibt es hier viele Optionen, die jeder und jede gewinnbringend für sich nutzen kann.

Zunehmend hat die Politik erkannt, wie wichtig es ist, den Renteneintritt zu flexibilisieren. In den skandinavischen Ländern beispielsweise ist es seit vielen Jahren üblich, dass die Menschen ihren Rentenbeginn individuell nach ihren Lebenslagen und Interessen selbst festlegen. Dazu erhalten sie frühzeitig einen Überblick, welche finanziellen Leistungen ihnen in welchem Alter zustehen und was (längere) Lebensarbeit ihnen einzubringen vermag. Üblich ist dort auch, dass Berufstätige in Teilrente gehen und nach ihren zeitlichen Wünschen weiterarbeiten. Auch wer schon in Pension ist, kann wieder zu arbeiten beginnen.

Daher verwundert es nicht, dass die skandinavischen Länder die weltweit besten Werte bezüglich der »gesunden Lebensspanne« (Healthspan) aufweisen. Mit diesem Begriff messen die Wissenschaftler die Lebenszeit, die wir bei guter Gesundheit verbringen.

Viele von Ihnen haben vielleicht schon gehört, dass sich die Lebenserwartung überall in der Welt seit gut zwei Jahrhunderten ständig erhöht. Im 20. Jahrhundert hat sie sich fast verdoppelt. Derzeit bekommt jeder von uns jeden Tag im statistischen Mittel rund fünf Stunden zusätzliche Lebenszeit geschenkt.

Somit steigt unsere Lebenserwartung alle zehn Jahre um zwei bis drei Jahre. Jedes zweite Mädchen, das momentan in Deutschland geboren wird, wird demnach ihren 100. Geburtstag erleben. Die Jungs sind noch nicht ganz so weit, aber sie holen auf.

Was aber nützt dieses Geschenk an Lebenszeit, wenn wir sie krank und gebrechlich verbringen? Um diese Fragen zu beantworten, hilft der Blick auf die gesunde Lebensspanne. Ganz vorne in Europa sind die Schwedinnen, die sich im Alter von 65 Jahren auf weitere 16,4 gesunde Jahre freuen dürfen1. In Deutschland sind es nur 11,7 Jahre - also ein satter Unterschied von fast fünf Jahren. Bei Männern liegen die vergleichbaren Werte bei 15,4 Jahren für die Schweden und 10,4 Jahre für die Deutschen.

Die Wissenschaft ist diesem gravierenden Unterschied seit einiger Zeit auf der Spur. Es überrascht dabei kaum, dass gesunde Ernährung und Bewegung wichtige Faktoren für die gesunde Lebensspanne darstellen. Auch die jeweilige genetische Ausstattung der Menschen spielt eine Rolle. Auf diese Aspekte werde ich noch zurückkommen.

Zudem verdichtet sich in der Forschung immer mehr die Erkenntnis, dass es unsere gesunde Lebensspanne ebenfalls deutlich verlängert, gute soziale Beziehungen zu unterhalten und in ein Netzwerk wertschätzender Menschen eingebunden zu sein. Dazu zählt selbstverständlich auch unsere Arbeit - zumindest dann, wenn sie uns erfreut und das Gefühl vermittelt, etwas Sinnvolles zu tun.

Dies ist die zentrale Erkenntnis der »Glücksstudie« der bekannten US-amerikanischen Harvard Universität. Seit dem Jahr 1938 verfolgen Wissenschaftler dort das Leben von knapp 800 Menschen und befragen sie regelmäßig. Sie wollen herausfinden, was ein »gutes Leben« ausmacht. Inzwischen nehmen auch die Kinder und viele Kindeskinder der ursprünglich Befragten an dieser Studie teil, weitere über 1300

Männer und Frauen. Nirgendwo sonst auf der Welt findet sich ein derartiger Datenschatz zu dem, was ein gutes Leben ausmacht, wie bei dieser Langzeitbefragung der Harvard-Wissenschaftler.

Was also umfasst ein »gutes Leben«? Oft antworten die Befragten, dass sie »glücklich« sein wollen. Dies ist eine Aussage, die sofort zu neuen Fragen führt. Denn was ist »Glück«? Robert Waldinger, der derzeitige Direktor der Harvard-Studie, hat beide Fragen zum Anlass genommen, gemeinsam mit seinem Co-Autor Marc Schulz ein Buch über das gute Leben vorzulegen: The Good Life ... und wie es gelingen kann: Erkenntnisse aus der weltweit längsten Studie über ein erfülltes Leben2.

In diesem außerordentlich lesenswerten Buch gehen die beiden Autoren allen Faktoren nach, die wir gemeinhin mit dem guten Leben assoziieren: Gesundheit, Glück, unsere Familie, Wohlstand - was wir beruflich, gesellschaftlich und persönlich erreicht haben.

All diese Aspekte seien wichtig, schreiben die beiden. Ein Faktor stelle sich jedoch über die fast neun Jahrzehnte der Studie und die rund 3000 Befragten hinweg immer wieder als der allerwichtigste heraus: »good relationships« - gute Beziehungen. Oder vielleicht noch besser, weil leichter verständlich: in ein positiv wirkendes soziales Netzwerk eingebunden zu sein, in dem wir uns wohlfühlen, geschätzt und geliebt werden und in dem wir einfach wir selbst sein können.

Dieses Element sagt auch besser als jedes andere vorher, wie jeder und jede Einzelne von uns altert, schreiben Waldinger und Schulz: »Also trugen wir alles zusammen, was wir über sie im Alter von 50 Jahren wussten, und fanden heraus, dass es nicht ihre Cholesterinwerte im mittleren Alter waren, die vorhersagten, wie sie alt werden würden, sondern wie zufrieden sie in ihren Beziehungen waren. Die Menschen, die im Alter von 50 Jahren mit ihren Beziehungen am zufriedensten waren, waren im Alter von 80 Jahren am gesündesten (geistig und körperlich).«3

Unmittelbar damit hängt auch unser Bild vom Altern zusammen. Leider ist es - zumal in Deutschland - noch zu oft ein negatives: Viele Menschen glauben immer noch, mit 50 sei der Gipfel des Lebens erreicht, und danach beginne ein mehr oder weniger schneller, aber unaufhaltsamer Abstieg.

Diese Annahme ist kompletter Unsinn. Meiner Ansicht nach hat sie viel mit unserer jüngeren Geschichte zu tun. Während der Massenarbeitslosigkeit, die auf die Deutsche Einheit folgte, wurden viele Männer und Frauen schon kurz nach 50 auf ein - politisch gewolltes - »Altenteil« geschickt: Sie sollten Platz für Junge machen. Es gab sogar ein Förderprogramm dafür, das besagte: »ein alter Mensch raus, ein junger« rein.

Natürlich funktionierte dieser Ansatz nicht. Doch viele der heute noch gängigen Vorurteile über ältere Mitarbeitende stammen aus dieser Zeit. Zum Beispiel, Ältere seien langsamer als Jüngere, öfter krank und nicht so flexibel. Dies ist alles weitestgehend Unsinn, wie die Wissenschaft inzwischen dokumentiert hat. Doch leider halten sich solche Vorurteile hartnäckig.

Schauen wir uns also die Fakten an. 1,2 Millionen Daten sammelte das Team des Demografieforschers Axel Börsch-Supan, langjähriger Direktor des Munich Center for the Economics of Aging (MEA). Mit seinen Mitarbeitenden trat er an, herauszufinden, ob Ältere weniger produktiv bei der Arbeit als Jüngere seien. Bei einem Automobilhersteller und in einer chemischen Produktionsanlage beobachteten die Wissenschaftler über vier Jahre Beschäftigte am Band. Als Maßstab dafür, wie produktiv diese Mitarbeitenden waren, verwendeten die Forschenden die Fehler, die in diesen Unternehmen passierten.

Auf den ersten Blick bestätigte sich das Vorurteil bezüglich der Älteren, die mehr Fehler machten. Doch auf den zweiten Blick erwies es sich als falsch: Denn die Fehler der Jüngeren waren deutlich gravierender - und viel kostspieliger für die jeweiligen Unternehmen. »Die Produktivität der älteren Mitarbeiter ist am Ende höher als die der jungen«, zitiert die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung den Forscher4.

Thomas Zwick von der Universität Würzburg erklärt das Produktivitätsvorurteil. Dieses hängt mit einer wissenschaftlichen Messmethode zusammen, die man bis in die frühen 2000er-Jahre anwandte. Wenn man dabei 30-Jährige und 60-Jährige verglich, war das oft eine sogenannte Querschnittsbetrachtung.

So vorzugehen ist jedoch, als würde man Äpfel mit Birnen vergleichen. »Jüngere sind grundsätzlich produktiver als Ältere, einfach deshalb, weil sie in eine andere Zeit geboren wurden«, sagt Zwick. Eine heute 30-Jährige ist beispielsweise mit dem Internet aufgewachsen, während ein heute 60-Jähriger möglicherweise in der Schule noch Durchschreibpapier zum Kopieren verwendet hat.

Inzwischen sind sogenannte Längsschnittstudien wissenschaftlicher Standard, in denen man diesen dem Zeitfaktor geschuldeten Produktivitätsunterschied herausrechnet. Dabei zeigt sich deutlich, dass Ältere nicht wegen ihres Alters weniger produktiv sind als Jüngere, sondern einzig und allein wegen ihres früheren Eintritts ins Arbeitsleben.

Dies ist eine außerordentlich wichtige Erkenntnis, um die Fähigkeiten von Älteren besser zu verstehen. Jede neue Generation auf dem Arbeitsmarkt ist grundsätzlich produktiver als die vorherige - und zwar aufgrund des technischen Fortschritts und des immer weiter anwachsenden Wissens in der Gesellschaft.

Für die einzelne Person hingegen gilt dieser Sachverhalt nicht: Eine 55-Jährige ist zwar möglicherweise in diesem Sinne »weniger produktiv« als eine 33-Jährige. Aber sie ist nicht »weniger produktiv« als die 33-Jährige, die sie einmal war. Ihre Produktivität nimmt nicht mit dem Alter ab, zumindest nicht quasi als Naturgesetz.

Im Gegenteil hat sie möglicherweise in den dazwischen liegenden zwei Jahrzehnten viele Erfahrungen gesammelt, die sie nun den Jüngeren voraushat und durch die sie deutlich produktiver geworden ist. Oder weniger günstig: Vielleicht hatte sie das Pech, in einer Arbeitsumgebung zu sein, die Ältere wenig wertschätzt und ihnen suggeriert, sie seien weniger leistungsfähig.

Damit sind wir an einem zentralen und leider oft unterschätzten Punkt angelangt. Noch immer kursiert in der Gesellschaft eine Geringschätzung Älterer, die auch zur sich selbst erfüllenden Prophezeiung wird: Wenn ältere Menschen sich nicht geschätzt oder gewürdigt fühlen, leisten sie tatsächlich häufig auch weniger. Diesen Zusammenhang gilt es grundsätzlich zu sehen, um die Motivation und Leistungsfähigkeit von Älteren am Arbeitsplatz zu verstehen.

Bereits 2010 ergab das eindeutig eine Umfrage des Bundesarbeitsministeriums5. Dabei sollten Ältere berichten, ob sie ihr Arbeitspensum schaffen oder nicht. Ihre Antworten hingen entscheidend davon ab, ob sie sich in ihrem Unternehmen geschätzt fühlten. War dies der Fall, antworteten zwei Drittel mit »Ja«. Traf dies nicht zu, sagten drei Viertel der Befragten, sie würden das Arbeitspensum nicht bewältigen.

Die zuständige Ministerin war damals Ursula von der Leyen, die heutige Präsidentin der EU-Kommission. Als sie die Studie auf einer Tagung in Berlin vorstellte, sagte sie: »Die Frage des Alters ist ganz stark eine Kopfsache. Wenn wir Älteren keine Innovationen mehr zutrauen, trauen die sich das selbst nicht zu.«

Damit sind wir wieder beim so entscheidenden Altersbild: Wie bewertet jeder Einzelne von uns das Altern? Wie sieht das Altersbild in unserer Gesellschaft aus?

Schauen wir auf ein paar zufällig herausgegriffene Schlagzeilen der vergangenen Monate: »Plötzlich zu alt? Übergangen, gemobbt, abserviert: Wie Ältere diskriminiert werden?«, titelte der Spiegel im März 2023. Unter der Schlagzeile »Wenn Bewerber mit 45 schon ›zu alt‹ sind« berichtete die Süddeutsche Zeitung Anfang September 2022 über eine Umfrage der Jobplattform Indeed bei Personalverantwortlichen. Über die Hälfte der Befragten wollte Menschen über 45 nicht mehr einstellen. Die Zeitung zitiert Annina Hering, die als Ökonomin bei Indeed den Arbeitsmarkt analysiert, mit den folgenden Worten: »Es hat mich schockiert, dass es in den Personalabteilungen weiterhin so starre Altersgrenzen gibt. (...) Damit tut man nicht nur den Bewerbenden unrecht, die unfassbar viel Erfahrung mitbringen, sondern man schadet sich als Unternehmen auch selbst.«6

Wie aber könnte ein modernes Altersbild aussehen, das nicht defizitär angelegt ist? Die Psychologin Laura L. Carstensen ist dafür eine Vordenkerin. Sie gründete schon vor vielen Jahren das »Center on Longevity« (»Zentrum für langes Leben«) an der renommierten Stanford Universität in Kalifornien. »Wir sollten unsere Leben so planen, dass die Menschen mit 50 noch einmal aufbrechen. Sehen Sie es als ein ›fünfzig:fünfzig-Modell‹«, schreibt sie in ihrem bereits 2009 erschienenen Buch A Long Bright Future7. Die ersten 50 Jahre eigneten wir uns »all das Wissen und soziale Know-how an, um es die nächsten 50 Jahre an unsere Umgebung und die Gesellschaft zurückzugeben«.

Statt alles »nach 50 als Abstieg und Niedergang« zu sehen, spricht sich Carstensen für ein Modell der Lebensspannen aus. »In diesem neuen Skript wird es ab 50 erst richtig interessant und zu einer Zeit, in der man wirklich etwas beitragen kann, sei es in der Familie, bei der Arbeit oder in der Gesellschaft.« Für Carstensen eignet sich das alte dreiphasige Lebensmodell, nach dem wir zuerst lernen, dann arbeiten und uns schließlich ausruhen, für ein bald 100-jähriges Leben keinesfalls.

Wie ein tragfähiges Konzept für das 100-jährige Leben aussehen könnte, beschreiben die Wirtschaftsprofessoren Lynda Gratton und Andrew Scott in Morgen werden wir 100. Wie unser langes Leben gelingt8. Sie gehen von einem mehrstufigen Leben aus: Phasen des Arbeitens, des Lernens und des Ausruhens werden sich zwischen 20 und 80 immer wieder abwechseln.

Als einen der »aufregendsten Aspekte dieser neuen Stufen« sehen die Autoren die »Altersunabhängigkeit«: »In einem Drei-Stufen-Modell ist das Alter ein Indikator für eine bestimmte Lebensphase, und diese Deckungsgleichheit von Alter und Lebensphase ergibt einen einfachen, linearen Lebensverlauf. (...) In einem vielstufigen Leben mit zahllosen Möglichkeiten des Arrangements von Aktivitäten sind Alter und Lebensphase entkoppelt. (...) Tatsächlich müssen sich in einem vielstufigen Leben Menschen jedes Alters Eigenschaften bewahren, die bisher nur mit jungen Menschen assoziiert wurden: Jugendlichkeit und Plastizität, Verspieltheit und Improvisation; und die Fähigkeit, Neues zu wagen.«

Noch weiter geht die Stanford-Professorin Susan Wilner Golden mit ihrem Konzept »Stage (Not Age)«. Im gleichnamigen und leider noch nicht ins Deutsche übersetzten Buch argumentiert Golden9, das chronologische Alter insbesondere in der zweiten Lebenshälfte sage kaum etwas über uns aus. Viel nützlicher sei die Frage, in welcher Phase (»stage«) unseres Lebens wir uns befinden.

18 derartige Phasen hat sie definiert, die sich in vier Bereiche gruppieren lassen: »Growth stages«, »Career and family stages«, »Reinvention stages« und schließlich »Closing stages«. Dabei unterteilen sich die »Wachstumsphasen« in das »Anfangen, Wachsen, der erste Beginn und das Experimentieren«. Die »Berufs- und Familienphasen« beinhalten »ständiges Lernen, Entwickeln finanzieller Sicherheit, Elternsein, Pflegen und die Gesundheitsoptimierung«. Dies klingt eher gängig und folgt dem, was auch ein dreistufiges Lebensmodell besagt.

Neu hinzu kommt nun bei Golden die »Neu-Erfindungsphase«: In dieser geht es darum, Lebensprioritäten zu setzen, sich neu zu erfinden, über den Sinn des Lebens nachzudenken. Zudem meint sie damit, sich neues anzueignen und/oder in eine möglicherweise andere Umgebung überzusiedeln. Es geht um eine »Renaissance«, eine Art Wiedergeburt des eigenen Ichs: Was ist mein Portfolio? Wie kann und will ich mich neu erfinden?

Golden war bereits in ihren 60-ern, als sie nach einer erfolgreichen Karriere in der Wirtschaft zurück an die Universität Stanford ging. Dort bietet das »Distinguished Careers Institute« ein Fortbildungszentrum für Menschen, die in der zweiten Lebenshälfte noch mal etwas Neues anfangen wollen. Personen also, die in ihre »Reinvention stage« aufbrechen.

Golden definiert sie so: »In der Phase der Neuerfindung hören Sie vielleicht auf, dort zu arbeiten, wo Sie bisher gearbeitet haben, aber das bedeutet nicht, dass Sie sich aus dem Berufsleben zurückziehen oder kein Ziel mehr haben. In dieser Phase geht es darum, die Prioritäten in Ihrem Leben neu zu setzen. Es geht darum, zu überdenken, was Sie vielleicht tun möchten. Vielleicht haben Sie viele Talente, die Sie auf unterschiedliche Weise einsetzen möchten.10«

Menschen in dieser Phase können 50 oder 75 sein, sagt sie. Das chronologische Alter sei vollkommen egal: Wie diese Personen sich verhalten, was ihre Ziele sind - dies lässt sich viel besser mit dem »Stage-(Not-Age)«-Konzept erklären. Wichtig ist zu verstehen, dass diese unterschiedlichen Phasen nicht zwingend zeitlich aufeinander folgen. Es kommt immer auf die jeweilige persönliche Lage an. Menschen können zwischen diesen Phasen immer wieder hin- und herspringen. Jeder und jede geht dabei unterschiedlich vor - nach persönlicher Lage, Interessen und Möglichkeiten.

Dies zeigen auch die Lebens- und Berufsgeschichten in den nächsten Kapiteln dieses Buches. Die Männer und Frauen, die sich für einen beruflichen Neustart entschieden haben, befinden sich allesamt in unterschiedlichen Phasen (»stages«) ihrer zweiten Lebenshälfte. Manche haben noch Kinder in der Schule, andere freuen sich schon über Enkel. Etliche pflegen Verwandte, andere sind alleinstehend.

Manche Phasen sind ihnen jedoch gemein: die Suche nach den eigenen Prioritäten beispielsweise, die Lernphase, die Frage nach dem eigenen Portfolio an Fähigkeiten.

Mit dem Lebensphasenkonzept haben wir eine Methode an der Hand, auf die jeweiligen unterschiedlichen Bedürfnisse von Menschen besser einzugehen. Wer beispielsweise noch Kinder oder Jugendliche im Haus hat, wird nicht monatelang eine Fortbildung besuchen können. Er oder sie braucht modularisierte Weiterbildungsangebote, die auch virtuell zur Verfügung stehen. Wer sich nach einer Scheidung neu orientiert, denkt möglicherweise über einen harten Schnitt nach, der nicht nur einen Berufs-, sondern auch einen Ortswechsel mit sich bringen könnte.

Das Lebensphasenkonzept ermöglicht uns eine erste Annäherung an die Vielfalt, aber auch an die sich ähnelnden Bedürfnisse der Menschen in der zweiten Lebenshälfte. Denn das chronologische Alter hilft uns hier nicht. Es ist nichts weiter als eine Zahl, der wir aber aus Tradition (leider) zu viel Bedeutung beimessen.

Darf ich Sie hierzu auf ein kleines Gedankenexperiment einladen? Schließen Sie kurz die Augen. Oder nehmen Sie einen Stift und ein Blatt Papier, was immer ihre Lieblingsmethode zum Nachdenken ist. Wer von Ihren Bekannten und Freunden wird demnächst 50, 60 oder 70? Notieren Sie die Namen und versuchen Sie, Gruppen zu bilden. Wer davon ist optimistisch und freut sich auf die Zukunft? Wer ist krank oder anderweitig gehandicapt? Wer plant Neues oder ist dabei, sein Leben zu verändern? Wer beginnt viele seiner Sätze mit »früher war alles besser«?

Wenn es Ihnen so geht wie mir, taugt das chronologische Alter Ihrer Freunde überhaupt nicht dazu, ihre Lebenssituation zu beschreiben. Da gibt es den 50-Jährigen, der mit seinem Leben fast schon abgeschlossen hat. Und die 70-Jährige, die noch mal neu durchstartet. Dazwischen findet sich so ziemlich jeder, den man sich vorstellen kann.

Für mich ist deshalb das Konzept des 100-jährigen Lebens weit hilfreicher. Wenn ein solches Dasein der Regelfall wird, etwa bei unseren Kindern und Kindeskindern: Was würden wir dann in der zweiten Lebenshälfte alles noch anfangen?

Meine Mutter hat mir etwas Besonderes geschenkt: Sie hat mich am 06.06.66 auf die Welt gebracht. So durfte ich nicht nur am 06.06.99 mit über 100 Gästen ein rauschendes Fest zu meinem 33. Geburtstag feiern. Sondern ich bin auch fest entschlossen, den 06.06.66 noch einmal zu erleben - als 100-Jährige im Jahr 2066.

Dies definiert meinen Ausblick auf meine zweite Lebenshälfte: Stand jetzt sind es noch 43 Jahre. Der (chronologisch) gleiche Zeitraum wie zwischen meinem 13. und meinem 56. Geburtstag. Wenn ich zurückdenke, was in diesen Jahren alles in meinem Leben passiert ist und dann überlege, was in den nächsten 43 Jahren alles noch geschehen kann: Ist dies nicht eine wunderbare Vorstellung?

Ja, aber was ist mit dem Altern? Den Krankheiten? Dem körperlichen und geistigen Abbau? Dem Verlust lieber Menschen? Keine Frage, alles wichtige Themen. Doch ob diese Vorfälle mein Leben dominieren oder der positive Ausblick - dies ist in hohem Maße eine Frage meines Altersbildes, meines persönlichen Ausblicks auf mein weiteres Leben.

Leider bewerten Menschen in der zweiten Lebenshälfte das Altern oft noch negativer als Junge, wie Wissenschaftler herausfanden. Besonders groß sind die Vorurteile bezüglich der körperlichen Attraktivität und der geistigen Kompetenz von Älteren. Diese Ansichten sind deshalb so tückisch, weil sie intuitiv, ohne nachzudenken und somit unbewusst erfolgen.

Nehmen wir als Beispiel das Wort »Altern«: Sobald wir geboren werden, altern wir. Bei Kleinkindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen nennen wir diesen Prozess allerdings »Entwicklung« - einen Begriff, den wir Älteren nicht zugestehen.

Die Harvard-Medizinerin Ellen Langer sieht das kritisch: »Wer sich in seinem späteren Leben verändert, muss regelrecht gegen vorgegebene Meinungen ankämpfen, damit diese Veränderung als ›Entwicklung‹ und ›Wachsen‹ anerkannt wird«, schreibt sie in ihrem Buch Counterclockwise11.

In meinen Vorträgen führe ich meist ein kleines Experiment durch, um die unbewussten Vorurteile über das Altern hervorzuheben. Ich bitte eine Hälfte des Saals, sich für wenige Sekunden die Ohren zuzuhalten. Der anderen Hälfte nenne ich drei Stereotype über das Alter wie beispielsweise »dement, abhängig, inkompetent«.

Danach lasse ich alle Anwesenden aufstehen und sich ein wenig die Glieder schütteln - nicht nur, weil Bewegung gut für uns ist. Sondern auch, weil eine Hälfte der Zuhörenden einige Millisekunden länger brauchen wird, um sich von ihren jeweiligen Sitzen zu erheben. Es ist egal, ob sie jung, alt, gesund oder krank sind.

Jetzt möchten Sie natürlich wissen, welche Hälfte länger braucht, oder? Na klar, Sie ahnen es schon: Die Menschen, denen ich die drei negativen Altersstereotypen zugerufen habe. Auf diese Weise »prime« ich die Leute im Publikum, wie die Wissenschaftler sagen. Unter »Priming« verstehen die Psychologen eine Methode, um unbewusste Vorurteile ans Licht zu holen. Das Priming (in etwa: »die Bahnung von Reizen«) legt dabei eine mentale Spur vor dem eigentlichen Test - das mache ich mit den drei Begriffen »dement, abhängig, inkompetent«.

Diese Altersstereotypen sind so negativ, dass sie körperliche Reaktionen beeinflussen: Unbewusst - und völlig unabhängig von ihrem jeweiligen Alter- und Gesundheitszustand - bringen sie Menschen im wissenschaftlichen Experiment dazu, messbar langsamer von ihren Stühlen aufzustehen.

Wie stark diese unbewussten Vorurteile wirken, zeigt ein anderes Experiment mit ausschließlich jungen Menschen. Bevor man sie bittet, eine kurze Strecke zu laufen, wird eine Hälfte mit negativen Altersstereotypen geprimt. Und tatsächlich: Im Schnitt gehen sie langsamer als die Gruppe, die neutral geprimt wurde.

Diese Ergebnisse belegen die Sprengkraft des Unbewussten: Viele der negativen Folgen des Alters hängen mit unseren unbewussten Vorurteilen, mit unserem Altersbild, zusammen. Doch genauso wie es die Kraft der negativen Gedanken gibt, existiert auch die Kraft der positiven Gedanken. Wenn wir unser Altersbild daraufhin ändern, wandelt sich alles. »Das Alter beginnt im Kopf«, sagt deshalb die Alternsforscherin Ursula Staudinger, die an der Universität Dresden lehrt. Unser Bild vom Altern ist der Schlüssel dazu, wie wir altern.

Die Kraft der positiven Gedanken unterstützt das, was Wissenschaftler schon seit einigen Jahren als gesichertes Wissen verbuchen. »Was Hänschen nicht lernt, lernt Hans nimmermehr« - also der Spruch, mit dem viele von uns aufgewachsen sind - ist grundfalsch. Hans lernt ebenso wie Hänschen, aber er lernt anders.

Seitdem Wissenschaftler mit bildgebenden Methoden unsere Gehirne untersuchen - ungefähr seit der letzten Dekade des vorigen Jahrhunderts - ist der alte Glaube erschüttert, dass sich ältere Gehirne nicht mehr verändern. Unser Gehirn wandelt sich an jedem Tag unseres Lebens: Es ist, wie die Wissenschaft sagt, »plastisch«. Ständig bilden sich neue Verbindungen zwischen den Nervenzellen.

Aber es gilt eben auch: Schon erlernte Fähigkeiten, die man nicht weiter trainiert, verlernen wir. »Use it or lose it« - wer sein Gehirn nicht fordert, verliert. Auch deshalb sind neue Herausforderungen gerade in der zweiten Lebenshälfte absolut notwendig für ein gutes Leben. Und die Gefahr des Abbaus ist umso realer, je weniger neue Reize uns im wahrsten Sinne des Wortes beleben.

Wichtig ist allerdings zu wissen, dass Jüngere und Ältere unterschiedlich lernen. Am einfachsten lässt sich dies bei kleinen Kindern beobachten: Sie saugen Neues gleichsam wie ein Schwamm auf und interessieren sich für alles. Einer der Gründe dafür ist auch die Jugend: Alles neu Gelernte kann irgendwann einmal nützlich sein.

Forschende nennen dies »fluide Intelligenz« oder flüssige Intelligenz. Sie ist weitgehend angeboren und beschreibt die geistigen Fähigkeiten, die Auffassungsgabe und auch die Schnelligkeit, Aufgaben zu erfassen und zu lösen.

Je älter wir werden, desto mehr Erfahrungen machen wir. Wir erwerben Erfahrungswissen. Dies beinhaltet auch Gelerntes, das wir unter-bewusst und damit automatisch abrufen. Diese Art der Intelligenz bezeichnen die Forschenden mit »kristallin«. Ich stelle sie mir wie ein funkelnder Edelstein vor, ein »Diamant« im Kopf von Älteren: Spätestens, wenn die Haare grau werden, fängt der Diamant in unseren Köpfen an zu strahlen, zu blitzen und zu glitzern.

Menschen mit dem Diamanten im Kopf lernen am besten, wenn sie wissen, warum: Sie fragen sich - auch das oft unterbewusst - genau, was sie mit dem neuen Wissen anfangen können. Deshalb scheitern beispielsweise so viele Versuche, »einfach mal so Italienisch« zu lernen. Wer nur zwei Wochen im Jahr in die Toskana in den Urlaub fährt, braucht wahrscheinlich einfach nicht genügend Italienisch, um sich den Rest des Jahres damit aktiv zu beschäftigen.

Wenn ein 80-jähriger Deutscher sich aber in eine gleichaltrige Chinesin ohne Deutschkenntnisse verliebt, dürfte ihn dies außerordentlich motivieren, zumindest ein paar Brocken Chinesisch zu lernen - und dies wird dann auch funktionieren.

Für das Arbeitsleben zeigen sich hier enorme Konsequenzen: Während Jüngere jede Art der Weiterbildung im besten Fall aufsaugen, muss sie für Ältere unbedingt zielgerichtet sein. Wer seinen Mitarbeitenden mit dem Diamanten im Gehirn nicht erklären kann, wie der- oder diejenige davon auch persönlich profitiert, hat schlechte Karten. Oft bringen die Kurse und Aktivitäten dann nicht das, was das Unternehmen sich davon verspricht.

Wer als Mensch in der zweiten Lebenshälfte jedoch ein klares Ziel verfolgt und seine Weiterbildung daraufhin ausrichtet, macht alles richtig. Möglicherweise wird es nötig sein, anfangs noch einen Kurs über Lerndidaktik einzuplanen, um zu erfahren, wie wir effektiv lernen.

Dies gilt vor allem dann, wenn die Lernenden schon lange nicht mehr »auf der Schulbank« gesessen haben. Heutzutage findet Weiterbildung häufig virtuell statt, aber dennoch: Die Erfahrung vieler Arbeitgeber zeigt, dass sie hilfreich sein kann. So steht dem erfolgreichen Lernen auch in der zweiten Lebenshälfte nichts mehr im Wege.

Zumal es einige Tricks gibt: Beispielsweise unterstützt Bewegung das Lernen. Der Grund dafür ist einfach: Wenn wir uns bewegen, wird unser Gehirn besser durchblutet.

Probieren Sie es aus: Suchen Sie sich zwei schöne, in etwa gleichlange Gedichte aus, die Sie schon immer einmal auswendig lernen wollten. Das erste memorieren Sie am Schreibtisch, auf dem Sofa oder am Küchentisch - wo immer sie normalerweise lernen würden. Das zweite nehmen Sie auf einen Spaziergang mit und lernen es beim Gehen. Wetten, dass Sie sich die Zeilen dabei viel schneller einprägen?

Übrigens ist Tanzen eine der besten Sportarten, um das Gehirn zu trainieren. Neben der Bewegung schult es auch Motorik und Koordination. Eine Harvard-Studie hat beispielsweise ergeben, dass tanzbegeisterte Kinder in Geometrietests deutlich besser abschneiden als diejenigen, die nicht oder wenig tanzen. Oder wie wäre es mit Jonglieren? Außerordentlich empfehlenswert für die grauen Zellen.

Grundsätzlich ist Bewegung ein zentraler Schlüssel, um gut zu altern. Es ist faszinierend, was derzeit aus den Wissenschaftslaboren an neuen Erkenntnissen dazu kommt. Die vielleicht wichtigste ist, dass es sich lohnt, in jedem Alter mit Sport anzufangen. Prima wäre es, dabei Ausdauersport mit Muskeltraining zu verbinden. Studie um Studie gelangt zu dem immer gleichen Ergebnis: Bewegung und Sport verlängern das Leben - um bis zu 13 Jahre, wie skandinavische Wissenschaftler errechneten.

Nicht unterschlagen sei auch eine eher neue Entwicklung, welche die zweite Lebenshälfte noch attraktiver macht: Die »Longevity Revolution« oder lose übersetzt, die Langlebigkeitsrevolution. Sie erinnern sich an die fünf Stunden zusätzliche Lebenszeit, die Sie jeden Tag gewinnen? Die zwei bis drei zusätzlichen Jahre, die das pro gelebtes Jahrzehnt ausmacht?

Im vergangenen Jahrhundert verdoppelte sich die Lebenserwartung der Menschen in den Industrieländern vor allem aufgrund des medizinischen Fortschritts zu Beginn unseres Lebens. Man bekämpfte die Säuglingssterblichkeit erfolgreich. Menschen zogen vom Land in die Städte, wo die medizinische Versorgung besser war. Hygienestandards wurden nach und nach ausgebaut, Gesundheitsgefährdungen reduziert.

Nun aber, im 21. Jahrhundert, konzentrieren sich immer mehr Forschende auf das Ende des Lebens beziehungsweise den Prozess des Alterns: Warum altern Menschen? Was geht dabei in den Zellen vor sich? Können die zellulären Alterungsprozesse eventuell aufgehalten werden? Oder ist es vielleicht sogar möglich, sie umzudrehen - und auf zellulärer Ebene sogar jünger zu werden?

David Sinclair von der Harvard Universität ist davon überzeugt: Das Ende des Alterns heißt sein Bestseller Lifespan in der deutschen Übersetzung. Der Molekularwissenschaftler ist mit dieser Auffassung nicht allein: Seit einigen Jahren entstehen überall auf der Welt Forschungslabore, die sich einzig und allein der Langlebigkeitsforschung verschrieben haben.

Insbesondere die inzwischen selbst zum großen Teil schon in der zweiten Lebenshälfte angelangten Techmilliardäre aus dem kalifornischen Silicon Valley finanzieren die Langlebigkeitsforschung. Jeff Bezos ist dabei, der Gründer von Amazon. Peter Thiel, der sein Geld mit Paypal gemacht hat. Facebook-Chef Mark Zuckerberg und die Google-Gründer selbstverständlich, aber auch die Regierung von Singapur oder der saudische Kronprinz.

Sie alle dürften persönlich motiviert sein, aber selbstverständlich ist Langlebigkeit auch das ultimative Gewinnmaximierungsinstrument. Es gehe um einen Markt, der größer sei als jeder andere, schreibt beispielsweise das Manager Magazin12.

Sicher werden sich auch bei der Langlebigkeitsrevolution jede Menge Fehlschläge ereignen. Doch die inhaltliche Breite, die auf diesem Gebiet inzwischen zu beobachten ist, und auch die Brillanz der Forschenden, die es in diesen Bereich zieht, werden zweifellos irgendwann umsetzbare Ergebnisse liefern. Dies bedeutet, dass sich unsere Lebenserwartung weiter erhöht und hoffentlich auch unser »healthspan«, also die gesunde Lebenserwartung.