Der weiße Fleck - Ivanka Penjak - E-Book

Der weiße Fleck E-Book

Ivanka Penjak

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Beschreibung

Aus dem Vorwort: Von März bis Dezember 2017 traf und fotografierte ich ehemalige politische Gefangene in der Gedenkstätte und in ihrem privaten Umfeld und ließ sie ihre Geschichten erzählen. Dokumentarische Aufnahmen des Sperrgebiets HSH geben einen Eindruck über die Räume, in denen die Gefangenen in Isolationshaft saßen und von der Staatssicherheit (Stasi) verhört wurden. Die Fotos von heute zeigen das, was damals unsichtbar war. Auf den Stadtplänen zur Zeit der DDR war an der Stelle des Sperrgebiets ein weißer Fleck. Die Mitarbeiter/innen der Stasi waren darin geschult, die Insassen psychisch zu brechen. Auch diese Seite beleuchte ich in meinem Buch. Ich traf ehemalige Mitarbeiter des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) und besuchte die ehemalige Minister-Etage der Zentrale des MfS. Mit diesem hatte die DDR einen der am stärksten ausgebauten Überwachungsapparate der Geschichte. Ich erhielt Einblicke in einige Stasi-Akten politisch Inhaftierter und war erschrocken über das Ausmaß und die Ausführlichkeit der Überwachungsvorgänge. Sie sind Ausdruck der Entwicklung zu einem Regime, das individuelle Freiheit für die eigene Staatsideologie opferte. Ich möchte die Lesenden dazu einladen, sich ein eigenes Bild von dem zu machen, was ich in diesem Buch zusammengetragen habe.

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Der weiße FleckDDR, Hohenschönhausen

The White SpotGDR, Hohenschönhausen

Ivanka Penjak

Anschauungsmodell des Sperrgebiets Hohenschönhausen (HSH) mit dem grau unterlegten Gefängnisareal der ehemaligen Untersuchungshaftanstalt (U-Haftanstalt) des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS). Gedenkstätte Berlin Hohenschönhausen (Gedenkstätte B-HSH) 2017

Visual model of the restricted area of Hohenschönhausen (HSH) with the prison area of the former detention center of the Ministry for State Security (MfS) highlighted in grey. Berlin-Hohenschönhausen Memorial (B-HSH Memorial), 2017

Vorwort Forword

Ivanka Penjak

Laufe ich durch Berlin, sehe und spüre ich neben der Gegenwart auch immer die Vergangenheit. Die Nachwirkungen der einstigen Teilung Deutschlands bleiben sichtbar und prägen nicht nur das Stadtbild, sondern auch die Biografien von Menschen.

Die Deutsche Demokratische Republik (DDR) hat sich in ihrem 40-jährigen Bestehen in Stadt und Leben eingeschrieben. Mit diesem Buch möchte ich mich solchen tief reichenden Eingriffen von der Gegenwart aus nähern.

Die Vergangenheit ist Teil von uns allen und gibt uns Perspektiven für die Zukunft. Ich möchte zeigen, was passiert, wenn der Demokratie die Grundlage entzogen wird und sie von einem autoritären, totalitären Staatsapparat abgelöst wird — zumal sich im Augenblick ähnliche Entwicklungen in unterschiedlichen Formen überall in der Welt zu wiederholen scheinen.

Geschichte ist wichtig, um die Gegenwart zu verstehen und für die Zukunft zu lernen. Aber wie fotografiert man etwas Abstraktes wie Geschichte?

Durch Gebäude wie die Untersuchungshaftanstalt Hohenschönhausen (HSH), die heute als Gedenkstätte Berlin-Hohenschönhausen weiter besteht, wird Geschichte sichtbar.

Aber das Bild, das ich heute vor Augen habe, ist nicht das, was andere vor dreißig Jahren sahen.

Die Zeit hat diese architektonischen Zeugen der Vergangenheit verändert. Dieses Buch fängt den gegenwärtigen Blick auf die Geschichte ein und soll dazu dienen, die Vergangenheit nicht in Vergessenheit geraten zu lassen.

Von März bis Dezember 2017 traf und fotografierte ich ehemalige politische Gefangene in der Gedenkstätte und in ihrem privaten Umfeld und ließ sie ihre Geschichten erzählen. Dokumentarische Aufnahmen des Sperrgebiets HSH geben einen Eindruck über die Räume, in denen die Gefangenen in Isolationshaft saßen und von der Staatssicherheit (Stasi) verhört wurden.

Die Fotos von heute zeigen das, was damals unsichtbar war. Auf den Stadtplänen zur Zeit der DDR war an der Stelle des Sperrgebiets ein weißer Fleck.

Die Mitarbeiter/innen der Stasi waren darin geschult, die Insassen psychisch zu brechen.

Auch diese Seite beleuchte ich in meinem Buch. Ich traf ehemalige Mitarbeiter des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) und besuchte die ehemalige Minister-Etage der Zentrale des MfS.

Mit diesem hatte die DDR einen der am stärksten ausgebauten Überwachungsapparate der Geschichte.

Ich erhielt Einblicke in einige Stasi-Akten politisch Inhaftierter und war erschrocken über das Ausmaß und die Ausführlichkeit der Überwachungsvorgänge. Sie sind Ausdruck der Entwicklung zu einem Regime, das individuelle Freiheit für die eigene Staatsideologie opferte.

Ich möchte die Lesenden dazu einladen, sich ein eigenes Bild von dem zu machen, was ich in diesem Buch zusammengetragen habe.

When I walk through Berlin, I can always see and feel the past along with the present. The repercussions of the German partition remain visible and not only shape the cityscape, but also human biographies. With its 40 years of existence, the German Democratic Republic (GDR) inscribed itself into the city and the lives of its inhabitants. My intention with this book is to get closer to such deep incisions from the perspective of the present time. I want to show what happens when the foundations of democracy are taken away and replaced with an authoritarian, totalitarian state—especially considering that at the present moment, similar developments in different forms seem to crop up all over the world.

History is important so that we may understand the present and learn for the future. But how does one photograph something abstract like history?

Through buildings like the detention center at Hohenschönhausen (HSH), which still exists today in the form of the Berlin-Hohenschönhausen Memorial, history becomes visible.

But the image that I see today is not the same one others saw thirty years ago. Time has altered this architectural witness to the past.

This book captures the contemporary view of history and is meant to help ensure that the past is not forgotten.

From March to December 2017, I met and photographed former political prisoners at the Memorial and in their private spheres and asked them to tell their stories. Photographs documenting the restricted area of HSH offer an impression of the rooms in which the prisoners sat in solitary confinement and were interrogated by the Ministry for State Security (Stasi).

The photographs from today show what was invisible at the time. On the city maps during the time of the GDR, the location of the restricted area was simply a white spot on the map.

The employees of the Stasi were trained to break the inmates psychologically. This book also sheds light on that side of the story. I met former employees of the Ministry for State Security (MfS) and visited the floor of the MfS headquarters where the ministers once worked.

With the MfS, the GDR had one of the most extensively developed surveillance instruments in history.

I received access to some of the Stasi files of political prisoners and was shocked at the extent and thoroughness of the surveillance measures.

They reflect the development of a regime that sacrificed individual freedom for its own state ideology.

I would like to invite the reader to build his or her own impressions from the content that I have compiled in this book.

Stasi-Gefängnis HSH, ehemaliges sowjetisches Speziallager und Untersuchungsgefängnis des MfS, Gedenkstätte B-HSH, 2017

HSH Stasi Prison, former Soviet Special Camp and MfS remand prison, B-HSH Memorial, 2017

Ehemalige U-Haftanstalt HSH, Berlin Genslerstraße, 2017

Former HSH detention center, Genslerstraße, Berlin, 2017

U-Boot-Trakt der ehemaligen U-Haftanstalt HSH, Gedenkstätte B-HSH, 2017

U-Boot wing at the former HSH detention center, B-HSH Memorial, 2017

Zelle des U-Boot-Gefangenentrakts HSH, Gedenkstätte B-HSH, 2017

Prison cell in the U-Boot wing in HSH, B-HSH Memorial, 2017

Ehemaliges Haftarbeitslager HSH, Berlin 2017

Former labor camp in HSH, Berlin 2017

Ehemaliges Haftarbeitslager HSH, Berlin 2017

Former labor camp in HSH, Berlin 2017

Rand eines Schwimmbeckens im ehemaligen Haftarbeitslager der Stasi in HSH. Im Hintergrund der Neubau des Haftgefängnisses HSH. Berlin, 2017

Edge of a swimming pool in the former Stasi labor camp in HSH. Newer building of the HSH prison in the background. Berlin, 2017

Arno Drefke, gelernter Drogist, wurde 1934 in Wittstock geboren und 1953 inhaftiert. Ihm wurden Lebensmittel- und Kurierfahrt sowie Militärspionage und Boykotthetze vorgeworfen. Er wurde zu „lebenslänglich” verurteilt und seine Ehrenrechte aberkannt. Davon saß er zehn Jahre ein. Vier Monate in Isolationshaft im U-Boot-Trakt in Hohenschönhausen. Danach folgten drei Jahre Zuchthaus Cottbus und anschließend sieben Jahre Haftarbeitslager der Staatssicherheit in Hohenschönhausen.

Arno Drefke, a trained chemist, was born in Wittstock in 1934 and imprisoned in 1953. He was accused of economic espionage as well as military espionage and rabble rousing. He was sentenced to life in prison and disenfranchised. He served ten years. Four months of solitary imprisonment in the U-Boot wing in Hohenschönhausen followed by three years at the penitentiary in Cottbus and, finally, seven years at the Stasi labor camp in Hohenschönhausen.

Arno Drefke in einer Zelle des Neubaus von HSH. An diesen Zellen haben er und 90 seiner Mithäftlinge selbst mitgebaut. Gedenkstätte B-HSH, 2017

Arno Drefke in a cell in the newer building in HSH. He and 90 of his fellow prisoners helped build it themselves. B-HSH Memorial, 2017

Ehemaliges Wasserbecken, was auch als Schwimmbecken im Haftarbeitslager der Staatssicherheit genutzt wurde. HSH, Berlin 2017

Former water basin that was also used as a swimming pool in the Stasi prison labor camp. HSH, Berlin 2017

Ehemaliges Haftarbeitslager des MfS in HSH, Berlin 2017

Former Stasi labor camp in HSH, Berlin 2017

Arno Drefke vor seinem Hauseingang in Freyenstein, 2017

Arno Drefke at the entrance to his house in Freyenstein, 2017

Drefkes Wohnzimmer, Freyenstein 2017

Drefke’s living room, Freyenstein 2017

Edda Schönherz, ehemalige Fernsehansagerin, wurde 1944 in Bad Landeck geboren. Sie wurde 1974 wegen staatsfeindlicher Verbindungsaufnahme und Vorbereitung eines ungesetzlichen Grenzübertritts in besonders schwerem Fall zu drei Jahren Freiheitsentzug verurteilt. Sie saß im Frauen-Zuchthaus Hoheneck ein.

Edda Schönherz, former television announcer, was born in Bad Laneck in 1944. She was sentenced to three years imprisonment for subversive communication and preparation of an illegal border crossing in the extreme case. She served at the Hoheneck women’s prison.

Edda Schönherz im U-Raum im ehemaligen Stasigefängnis HSH, Gedenkstätte B-HSH 2017

Edda Schönherz in a detention room in the former Stasi prison in HSH, B-HSH Memorial, 2017

Richterraum im ehemaligen Stasigefängnis HSH. Gedenkstätte B-HSH 2017

Judge’s room in the former Stasi prison in HSH, B-HSH Memorial, 2017

Edda Schönherz 2017 im Innenhof der Gedenkstätte B-HSH vor einem Barkas B 1000. Frau Schönherz wurde damals mit einem ähnlichen Transporter wie diesem nach HSH gebracht. Sie wusste gar nicht, wo sie sich befindet. Oft wurde im Kreis gefahren, sodass man keine Orientierung mehr hatte. Fenster und Auskunft gab es ohnehin nicht.

Edda Schönherz in front of a Barkas B 1000 in the courtyard of the B-HSH Memorial in 2017. At the time, Ms. Schönherz was brought to HSH with a van similar to this one. She had no idea where she was. The van was often driven in circles so that one no longer had any sense of orientation. In any case, there were no windows and no information provided.

Blick in einen Barkas B 1000. Berlin, 2017

A glimpse into a Barkas B 1000. Berlin, 2017

Gynäkologischer Stuhl im ehemaligen Haftkrankenhaus HSH, Gedenkstätte B-HSH, 2017

Gynecological chair in the former HSH prison hospital, B-HSH Memorial, 2017

Ehemaliges Büro der U-Haftanstalt HSH, Gedenkstätte B-HSH, 2017

Former office at the HSH detention center, B-HSH Memorial, 2017

Richterraum mit vergittertem Durchbruch zum abgetrennten Raum für den Gefangenen im Stasi-Gefängnis HSH, Gedenkstätte B-HSH, 2017

Judge’s room with a barred window to a separate room for prisoners at the HSH Stasi prison, B-HSH Memorial, 2017

Ehemaliger An- und Auskleideraum der ehemaligen U-Haftanstalt HSH, Gedenkstätte B-HSH, 2017

Former dressing room at the former HSH detention center, B-HSH Memorial, 2017

Gilbert Furian, gelernter Verkehrskaufmann, wurde 1945 in Görlitz geboren. 1985 wurde er wegen des Anfertigens von Aufzeichnungen, die vermeintlich geeignet erschienen, den Interessen der DDR zu schaden, zu zwei Jahren und zwei Monaten Haft verurteilt. Gilbert fertigte damals einen Interviewband über Punks an. Sieben Monate verbrachte er in Hohenschönhausen in Untersuchungshaft, es folgten fünf Monate Zuchthaus in Cottbus. Auf Initiative eines Freundes aus Westberlin wurde Gilbert 1986 freigekauft. Er wurde auf eigenen Wunsch in die DDR entlassen.

Gilbert Furian, trained travel management assistant, was born in Görlitz in 1945. In 1985 he was sentenced to two years and two months in prison for drawings that were considered damaging to the interests of the GDR. At the time, Gilbert had compiled a collection of interviews about punks. He spent seven months in the detention center in Hohenschönhausen followed by five months at the penitentiary in Cottbus. In 1986 his freedom was purchased with the help of a lawyer friend from the West. He was released back into the GDR on his own request.

Gilbert Furian in seinem ehemaligen Vernehmerraum in HSH, Gedenkstätte B-HSH, 2017

Gilbert Furian in his former interrogation room in HSH, B-HSH Memorial, 2017

© Gilbert Furian

Plakat, das in Gilbert Furians Wohnung hängt und das sein Vernehmer von ihm geschenkt haben wollte. Zossen, 2017

Poster hanging in Gilbert Furian’s apartment that his interrogator wanted Furian to gift to him. Zossen, 2017

© Gilbert Furian

Rolltreppe im Kaufhaus am Alexanderplatz, 2017. Hier begegnete Gilbert Furian Ende 1990 seinem Vernehmer.

Escalator in the department store at Alexanderplatz, 2017. Gilbert Furian ran into his interrogator here in late 1990.

Ehemaliges Vernehmerzimmer in der U-Haftanstalt in HSH. Gedenkstätte B-HSH, 2017

Former interrogation room in the HSH detention center. B-HSH Memorial, 2017

Flur des Vernehmertraktes mit Alarmanlage, die an der Wand des ganzen Gefängnisses entlang führte. Gedenkstätte B-HSH, 2017

Corridor in the interrogation wing with an alarm system running along the walls of the entire prison. B-HSH Memorial, 2017

Klappe der Dunkelzelle von außen, Gedenkstätte B-HSH, 2017

Hatchback of the dark cell from the outside, B-HSH Memorial, 2017

Wolfgang Arndt, gelernter Tiefbaufacharbeiter, wurde 1959 in Ost Berlin geboren. Er wurde 1979 wegen Vorbereitung zum ungesetzlichen Grenzübertritt sowie Beeinträchtigung der staatlichen Organe in ihren Tätigkeiten zu zwei Jahren Strafvollzug verurteilt. Er saß sieben Monate in Untersuchungshaft in Hohenschönhausen und in verschiedenen Haftanstalten ein, vor allem aber im Zuchthaus Cottbus. Seine damalige Frau, sogenannte Inoffizielle Mitarbeiterin, verriet ihn für 150 West-Mark an die Stasi.

Wolfgang Arndt, trained civil engineering worker, was born in East Berlin in 1959. In 1979 he was sentenced to two years of penitentiary for the preparation of an illegal border crossing and interference in activities of the state. He served seven months in Hohenschönhausen and various prisons, but mainly in the penitentiary in Cottbus. His wife at the time, a so-called informal collaborator, betrayed him to the Stasi for 150 West German marks.

Wolfgang Arndt in einer Zelle des Stasigefängnisses in HSH, Gedenkstätte B-HSH 2017

Wolfgang Arndt in a cell at the Stasi prison in HSH, B-HSH Memorial, 2017

OP-Saal im ehemaligen Haftkrankenhaus in HSH, Gedenkstätte B-HSH, 2017

Surgery room in the former prison hospital in HSH, B-HSH Memorial, 2017

Henry Leuschner, gelernter Dachdecker, wurde 1962 in Leipzig geboren. 1981 lebensgefährlicher Fluchtversuch durch die CSSR. Dabei erlitt er Schussverletzungen und kam schwer verletzt in das Haftkrankenhaus Hohenschönhausen. Seine Haft saß er in Cottbus und Untermaßfeld ab. Er wurde wegen versuchter Republikflucht zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und neun Monaten verurteilt.

Henry Leuschner, trained roofer, was born in Leipzig in 1962. He made a near-fatal attempt to escape through the USSR in 1981 in which he suffered bullet wounds and arrived badly injured at the prison hospital in Hohenschönhausen. He served his prison sentence in Cottbus and Untermaßfeld. He was sentenced to one year and nine months for attempted desertion from the republic.

Henry Leuschner im ehemaligen OP-Saal des Haftkrankenhauses der Stasi in HSH, Gedenkstätte B-HSH 2017

Henry Leuschner in the former surgery room in the Stasi prison hospital in HSH, B-HSH Memorial, 2017

SM-70-Geschosse trafen Henry Leuschner—acht der Geschosse stecken noch in seinem linken Bein.

SM-70 bullets hit Henry Leuschner—eight bullets are still embedded in his left leg.

Innenhof der ehemaligen U-Haftanstalt der Stasi. Rechts das Haftkrankenhaus HSH. Gedenkstätte B-HSH 2017

Courtyard of the former Stasi detention center. The HSH prison hospital is on the right. B-HSH Memorial, 2017

Henry Leuschner in seinem Wohnzimmer in Kreuzberg, Berlin 2017

Henry Leuschner in his living room in Kreuzberg, Berlin 2017

Der Gefangenensammeltransportwagen der Deutschen Reichsbahn war zu DDR-Zeiten ein spezieller Reisezugwagen zur Verlegung von bis zu 90 Gefangenen zwischen Haftanstalten. Unter den Häftlingen hatte das Fahrzeug den Namen „Grotewohl Express.“ Gedenkstätte B-HSH, 2017

During GDR times, the prisoner transport car of the Deutsche Reichsbahn was a special train that transported up to 90 prisoners between prisons. The prisoners referred to the train as the “Grotewohl Express.” B-HSH Memorial, 2017

Monika Schneider, gelernte Industrieschneiderin, wurde 1956 in Dresden geboren. 1983 wurde sie wegen versuchtem ungesetzlichen Grenzübertritt in besonders schwerem Fall zu zwei Jahren und sechs Monaten Freiheitsentzug verurteilt. Sie saß im Frauenzuchthaus Hoheneck ein. Ein damaliger Freund und Kollege verriet sie an die Stasi.

Monika Schneider, a trained seamstress, was born in Dresden in 1956. In 1983 she was sentenced to two years and six months for attemped illegal border crossing in the extreme case. She served at the Hoheneck women’s prison. She was betrayed to the Stasi by her friend and colleague.

Monika Schneider im Zugabteil des Gefangenentransports „Grotewohl Express“. Frau Schneider wurde damals auch mit diesem Zug nach Hoheneck gebracht. Gedenkstätte B-HSH, 2017

Monika Schneider in a train wagon of the “Grotewohl Express” prisoner carrier, which also brought her to Hoheneck after her arrest. B-HSH Memorial, 2017

Monika Schneider im Foyer ihres damaligen und derzeitigen Arbeitsplatzes. Landgericht am Alexanderplatz, Berlin 2017

Monika Schneider in the foyer of her former and current workplace. District Court at Alexanderplatz, Berlin 2017

Karl Heinz Richter, gelernter Büromaschinenmechaniker, wurde 1946 in Schwarzheide geboren. 1964 wurde er wegen Republikflucht und Fluchthilfe inhaftiert. Er verhalf insgesamt 30 Leuten zur Flucht. Er verbrachte sechs Monate in Pankow und wurde nach acht Monaten wegen seines schlechten gesundheitlichen Zustands entlassen.

Karl Heinz Richter, trained office mechanic, was born in Schwarzheide in 1946. In 1964 he was arrested for desertion from the republic and assisting desertion. He helped a total of 30 people flee. He spent six months in Pankow andn was released after eight months due to his poor health condition.

Karl Heinz Richter in der Freihofzelle „Tigerkäfig“ in HSH. Gedenkstätte B-HSH 2017

Karl Heinz Richter in the “Tiger’s Cage” open-air cell in HSH. B-HSH Memorial, 2017

Karl Heinz Richters Büro zu Hause in Pankow mit der Fluchtstelle an der Wand und einem Stapel seiner Autobiographie „Anagramm“. Berlin, 2017

Karl Heinz Richter’s office at home in Pankow with the desertion location on the wall and a pile of copies of his autobiography ”Anagramm“. Berlin, 2017

Karl Heinz Richter vor der Fluchtstelle am Bahnhof Friedrichstraße, Berlin 2017. Beim Aufspringen auf den fahrenden Zug stolperte er und blieb zurück. Aus Angst vor Grenzpolizisten sprang er diese Mauer hinunter und brach sich beide Beine und einen Arm. Unter großen Schmerzen schleppte er sich drei km zur elterlichen Wohnung. Wenige Tage später holte ihn das MfS zu Hause ab.

Karl Heinz Richter at the location of desertion at the Friedrichstraße station, Berlin 2017. He stumbled when jumping onto the moving train and stayed behind. Out of fear of the border police, he jumped down from this wall and broke both legs and an arm. In great pain, he dragged himself three kilometers to his parents’ apartment. The MfS came to fetch him at home a few days later.

Karl Heinz Richter vor seiner Hausbar in Pankow, Berlin 2017

Karl Heinz Richter in front of his home bar in Pankow, Berlin 2017

Freihofzelle, genannt „Tigerkäfig“, in der U-Haftanstalt HSH, Gedenkstätte B-HSH 2017

Open-air cell called the “Tiger’s Cage“ in the HSH detention center, B-HSH Memorial, 2017

Freihof in der ehemaligen U-Haftanstalt HSH, Gedenkstätte B-HSH, 2017

Open area in the former HSH detention center, B-HSH Memorial, 2017

Einzelne Freihofzelle in der U-Haftanstalt HSH, Gedenkstätte B-HSH 2017

Single open-air cell in the former HSH detention center, B-HSH Memorial, 2017

Ehemaliger Zugang zu den Freihofzellen im U-Haftgefängnis HSH. Gedenkstätte B-HSH 2017

Former entrance to the open-air cells in the HSH detention center. B-HSH Memorial, 2017

Rosengarten im Innenhof des ehemaligen Stasigefängnisses, HSH, Gedenkstätte B-HSH, 2017

Rose garden in the inner courtyard of the former Stasi prison, HSH, B-HSH Memorial, 2017

Einzelzelle des Neubaus der U-Haftanstalt HSH. Gedenkstätte B-HSH, 2017

Single cell in the new prison complex in HSH. B-HSH Memorial, 2017

Raum, in dem die Haftfotos der Strafgefangenen des Stasi-Gefängnisses HSH angefertigt wurden. Gedenkstätte B-HSH 2017

Room in which mugshots of the prisoners at the Stasi prison in HSH were developed. B-HSH Memorial, 2017

Raum, in dem die Haftfotos der Strafgefangenen des Stasi-Gefängnisses HSH angefertigt wurden. Gedenkstätte B-HSH 2017

Room in which mugshots of the prisoners at the Stasi prison in HSH were developed. B-HSH Memorial, 2017

Weiße Leinwand in der Gedenkstätte B-HSH, 2017

White screen at the B-HSH Memorial, 2017

Wolfgang Schmidt, Analytiker und Auswerter, wurde 1939 geboren. 30 Jahre lang war er Offizier des Ministeriums für Staatssicherheit. Herr Schmidt war Leiter der Auswertung und einer Kontrollgruppe mit 54 Mitarbeitern.

Wolfgang Schmidt, analyst and assessor, was born in 1939. For 30 years he was an officer at the Ministry for State Security.

Mr. Schmidt was the head of the assessment and control group comprised of 54 employees.

Wolfgang Schmidt in seinem heutigen Büro als Geschäftsführer von ISOR (Initiativgemeinschaft zum Schutz der sozialen Rechte ehemaliger Angehöriger bewaffneter Organe und der Zollverwaltung der DDR), Franz Mehring Platz, Berlin 2017

Wolfgang Schmidt in his office today as the director of ISOR (Initiativgemeinschaft zum Schutz der sozialen Rechte ehemaliger Angehöriger bewaffneter Organe und der Zollverwaltung der DDR) an advocacy organization for former GDR state employees, Franz Mehring Platz, Berlin 2017

Büro von Wolfgang Schmidt, Franz Mehring Platz, Berlin 2017

Wolfgang Schmidt’s office, Franz Mehring Platz, Berlin 2017

Foto von Erich Honecker, Gründer der FDJ (Freie Deutsche Jugend) und ehemaliger Generalsekretär des Zentralkomitees der SED in einem ehemaligen Büro des StasiGefängnisses HSH, Gedenkstätte B-HSH, 2017

Photo of Erich Honecker, founder of the FDJ (Freie Deutsche Jugend, or Free German Youth) and former General Secretary of the Socialist Unity Party in a former office at the Stasi prison in HSH, B-HSH Memorial, 2017

Das Kasino gehörte zum Konferenzbereich der Minister-Etage. Hier gab die Führung des MfS Empfänge und feierte mit Gästen. Im Haus 1, Zentrale des MfS und jetzige Forschungs- und Gedenkstätte in der Normannenstraße, Berlin 2017

The casino belonged to the conference area of the “minister floor.” Here, the leaders of the MfS received and entertained guests. Haus 1, MfS headquarters and current research and memorial center in the Normannenstraße, Berlin 2017

Arbeitszimmer und Büro von Erich Mielke im Haus 1, Zentrale des MfS und jetzige Forschungs- und Gedenkstätte in der Normannenstraße, Berlin 2017

Office of Erich Mielke in Haus 1, MfS headquarters and current research and memorial center in the Normannenstraße, Berlin 2017

Zimmerpflanze im ehemaligen Büro von Erich Mielke im Haus 1, Zentrale des MfS und jetzige Forschungs- und Gedenkstätte in der Normannenstraße, Berlin 2017

Houseplant in the former office of Erich Mielke in Haus 1, MfS headquarters and current research and memorial center in the Normannenstraße, Berlin 2017

Lenin-Statuenkopf aus Gusseisen im ehemaligen Konferenzsaal, im Haus 1, Zentrale des MfS und jetzige Forschungsund Gedenkstätte in der Normannenstraße, Berlin 2017

Cast iron head of Lenin in the former conference room in Haus 1, MfS headquarters and current research and memorial center in the Normannenstraße, Berlin 2017

Blick auf ein Gebäude der ehemaligen Staatssicherheit in der Normannenstraße, Berlin. Heute Heim für Geflüchtete, Berlin 2017

View of a building at the former Ministry for State Security in the Normannenstraße, Berlin. Today a refugee center, Berlin 2017

Ehemaliger Konferenzsaal des Kollegiums des MfS. Außer für Kollegiumssitzungen stand der Saal auch für andere Veranstaltungen zur Verfügung. Haus 1, Zentrale des MfS und jetzige Forschungsund Gedenkstätte in der Normannenstraße, Berlin, 2017

Former conference room for MfS staff. In addition to staff meetings, the room was also used for other events. Haus 1, MfS headquarters and current research and memorial center in the Normannenstraße, Berlin 2017

Aufenthaltsraum im Haus 1 des ehemaligen MfS. Heutige Forschungs- und Gedenkstätte in der Normannenstraße, Berlin, 2017

Waiting room in Haus 1 of the former MfS, today a research and memorial center in the Normannenstraße, Berlin 2017

Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde dieses Gebäude vom sowjetischen Geheimdienst übernommen, der hier bis Anfang der 50er Jahre eine U-Haftanstalt unterhielt und auch Hinrichtungen durchführen ließ. Bis 1990 befand sich hier eine U-Haftanstalt des MfS der DDR. Seit 1998 wird dieses Gebäude als Justizvollzugsanstalt genutzt. Alfredstraße, Berlin 2017

After World War II, this building was taken over by the Soviet secret service, which oversaw a detention center here until the early 1950s were executions were also carried out. Until 1990, it was a detention center of the MfS in the GDR. Since 1998, this building is used as a correctional facility. Alfredstraße, Berlin 2017

Rechts das Gebäude des Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR (BStU), Archiv Haus 7. Links ein Teil von Haus 1, Normannenstraße, Berlin

On the right, the building of the Stasi Records Agency (BStU) archive in Haus 7. On the left is part of Haus 1, Normannenstraße, Berlin

Akten im Archiv der BStU Haus 7, Normannenstraße Berlin, 2017

Files in the archive of the BStU in Haus 7, Normannenstraße Berlin, 2017

Eckhard Steinfurth, Diplom-Ingenieur, wurde 1955 geboren. Er ist ehemaliger Offizier der Abteilung Aufklärung des MfS. Sieben Jahre lang war er bei der Stasi tätig. Heute lebt er wieder in Wismar.

Eckhard Steinfurth, engineer, was born in 1955. He is a former officer of the reconnaisance department of the MfS. He worked for the Stasi for seven years. Today, he lives in Wismar.

Eckhard Steinfurth in einem Büro am Franz-Mehring-Platz mit seinem Buch „Ein Leben bis zur W(ende)“, dass 2015 erschienen ist, Berlin 2017

Eckhard Steinfurth in an office at Franz-Mehring-Platz with his 2015 book “Ein Leben bis zur W(ende),” Berlin 2017

Eckhard Steinfurth in einem Büro am Franz-Mehring-Platz, Berlin 2017

Eckhard Steinfurth in an office at Franz-Mehring-Platz, Berlin 2017

BStU-Archiv Haus 7, Normannenstraße, Berlin 2017 2017

BStU Archive in Haus 7, Normannenstraße, Berlin 2017

Poster vom Fußballclub Dynamo Dresden und Erich Mielke, Minister für Staatssicherheit, im Büro des BStU-Archiv Haus 7, Normannenstraße, Berlin 2017

Poster of the Dynamo Dresden soccer club and Erich Mielke, Minister fur State Security, in the office of the BStU archive in Haus 7, Normannenstraße, Berlin 2017

Archiv der BStU Haus 7, Normannenstraße, Berlin 2017

BStU archive in Haus 7, Normannenstraße, Berlin 2017

Henry Leuschner

Wolfgang Arndt

Eckhard Steinfurth

Monika Schneider

Karl Heinz Richter

Gilbert Furian

Micha Kobs

Edda Schönherz

Arno Drefke

Wolfgang Schmidt

Henry Leuschner

Zur Person

Geboren bin ich im März 1962 in Leipzig und dann in Jena aufgewachsen.

Ich habe die 10. Klasse absolviert, war aber nicht in der FDJ und auch nicht in irgendeiner anderen Jugendorganisation. Ich bin nicht aufgenommen worden, da ich lange Haare hatte.

Ganz anders als all die anderen Jugendlichen da drüben.

1978 habe ich dann in der DDR ein neues Fach bekommen: Wehrsportkundeunterricht.

Da musste man mit Maschinenpistolen und Handgranaten durch den Wald rennen.

Habe ich den Arsch offen? Natürlich nicht!

Da habe ich gesagt: Das mache ich nicht mit. So bin ich von der Schule geflogen.

Da gab es dann nur die Wahl zwischen Pest und Cholera:

Es gab nur Dachdecker oder Maurer. Ich habe mich für die Firma entschieden, die näher dran war. So konnte ich länger schlafen.

Ich bin Dachdecker geworden. Scheiß Idee, reine FDJ-Firma. Also musste ich als Einziger die Dachziegel hochtragen.

1978 habe ich einen Lehrstreik organisiert. Was ich natürlich nicht wusste, war, dass der letzte Streik 1958 war. Ich habe Freunde aktiviert, Plakate gemalt usw. Es kam kein Schwein, habe ich also alleine gestreikt.

Ein Streik bleibt ein Streik.

Dann kam ich in Jena in den Knast, da hat mich mein Vater, Gott sei Dank, wieder rausgeholt. Der war Oberstaatsanwalt in Algerien gewesen. Er hat in der DDR studiert, war Widerstandskämpfer gegen die Franzosen und hat dann ’62 eine Professorenstelle bekommen und ’75 das Land verlassen.

Der hat mich jedenfalls rausgeholt, das habe ich aber erst durch die Stasi-Akten erfahren. Ich habe über 1650 Seiten Stasi-Akten.

Mit 17 Jahren haben sie mich zur nationalen Volksarmee von der Stasi gebracht. Die wollten mich mustern. Da wollte ich aber nicht hin, wurde mir gedroht, wenn ich nicht zur Armee gehe, muss ich in den Knast. Das wollte ich natürlich nicht, also habe ich einen Antrag auf Bausoldat gestellt. Das habe ich auch alles begründet, warum ich da hingehen will. Fünf oder sechs Tage später wurde ich wegen dem Schreiben abgeholt.

Ich habe schon mit 16, 17 Jahren einen PM-12 bekommen, einen Spezialausweis mit zwei Seiten. Ich durfte die Stadt nicht verlassen, hatte Platzverbot, Umgangsverbot, Meldepflicht und den ganzen Scheiß. Ich war ein feindlich eingestufter Bürger, der wegen Landesverrat, feindlicher Hetze, Fluchtgefahr bedrohlich war, und vor allem eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit.

Blaue Haare hatte ich damals. Ich war aber kein Punk, ich hatte auf der Autobahn jemanden getroffen, der war kein Punk und auch kein Hippie. Das war ein schwuler Friseur, der kam vom Tunten-Festival. Da dachte ich, hier geht doch was, habe meine Haare abgeschnitten und blau gefärbt.

Den Spezialausweis habe ich mir dann drei Tage später um den Hals gehängt, damit ihn jeder sieht. Das fanden die dann total scheiße und haben mir den Ausweis abgenommen. Dann hatte ich überhaupt keinen Ausweis mehr.

Bei uns in der Stadt gab es einen Typ, Peter der Bulle. Der totale Schwachmat. Extrem fett, extrem dumm, hatte eine Uniform gehabt.

Als sie mir damals den Ausweis abgenommen haben, habe ich gesagt, wenn ihr das macht, gehe ich einen Schritt zurück. Und wenn ich einen Schritt zurückgehe, komme ich nicht mehr zurück. Das haben die bloß nicht verstanden, was ich damit meine.

Genau an meinem 18. Geburtstag, 1980, bin ich zur Stasi gegangen und habe gesagt: „Hier ist mein Ausreiseantrag und meine Geburtsurkunde, ich will hier raus!“

Beim Rausgehen habe ich gesagt, ich warte ein Jahr, dann haue ich ab.

Das hätte ich nicht sagen dürfen. Das war Androhung einer Straftat.

Ich habe ein Jahr und 7 Tage gewartet, nicht länger. Am 1. April bin ich dann zu meinem Kumpel gegangen: „Dietzi, hör mal zu, kurze Rede langer Sinn, Schluss mit lustig, heute ist Deadline! Kommst du mit oder nicht?“

Da sind wir auf den Zug aufgesprungen Richtung Plauen Oelsnitz. Im Zug bekam ich dann mit, dass wir beobachtet werden, dann sind wir aus dem fahrenden Zug abgesprungen.

Das Dumme war: auf der falsche Seite. Noch mal für das Protokoll: Wir wollten in den Westen abhauen, wir schreiben den 1. April. Wir wissen nicht, wo der Westen ist. Fängt nicht gut an.

Dann haben wir uns zwischen den Bäumen versteckt. Nach einer Stunde waren die weg, ich sehe am Horizont ein Licht, dachte: Da muss der Westen sein.

Was wir nicht wussten: Es war die bestgesichertste Grenze der Welt — Panzersperren, Elektrozäune, Stacheldraht, Scharfschützen, das ganze Programm.

Rechts waren Hunde, also rannten wir nach links. Warum da keine Hunde waren, haben wir erst später erfahren. Das war ein ganz bestimmter Grund. Da war die CSSR.

Da ist mein Freund losgerannt, bekommt einen massiven Elektroschlag, bleibt im Todesstreifen liegen. Den konnte ich natürlich nicht liegen lassen und habe gewartet, bis die Scheinwerfer weg sind. Ich bin in den Wald gerannt, habe eine Astgabel abgebrochen, habe daran den Draht hochgedrückt und bin durchgesprungen.

Was wir damals aber nicht wussten, ist, dass wir auf einem Minenfeld gewesen sind.

30 Meter weiter war ein Schild, da sind wir hingekrochen, da stand tatsächlich drauf:

„Minenfeld! Betreten Lebensgefahr!“ Da kam allgemeine Freude auf!

Was macht man nicht auf einem Minenfeld? Man geht niemals zu zweit drüber. Also haben wir uns getrennt, aber auf der anderen Seite standen die SM-70, die Fleischfresser, die Selbstschussanlagen. Die habe ich angefasst, berührt, aber nichts passiert. Hoch- und runterbewegt, ist nichts passiert. War eine Attrappe. Wir wussten ja nicht, dass die Dinger erst bei 40 kg losgehen. Festgehalten und hochgezogen, es gab eine mörderische Explosion.

Von der einen Seite kamen 150 Schuss und von der anderen Seite auch 150 Schuss.

Alles total zersiebt, meine scheiß Knochen waren komplett weggewesen, überall Blut; am Boden liegend schießt ein Grenzpolizist noch in meinen Oberschenkel rein.

Ich lag im Sterben. Ich habe hier Steckschüsse überall. Die sind richtig böse, wenn du da drübergreifst, spürst du ein richtiges Loch.

Wir mussten im Dreiländereck die deutsch-deutsche Grenze um wenige Meter verpeilt haben. Deshalb waren keine Hunde zu hören gewesen. Und trotzdem standen dort Selbstschussanlagen — an einer Grenze zum befreundeten Ausland.

Ich hatte mehrere Operationen, im Westen wie im Osten.

Das war es gewesen.

Wäre das nicht passiert und ich wäre in den Westen gekommen, ohne Verletzungen, wäre ich nicht der Mensch, der ich jetzt bin. Ich hätte einen anderen Freundeskreis, alles wäre anders. So eine Scheiße passiert keinem. Für mich ist wichtig, dass es so ist, wie es ist.

Man sieht sich immer zweimal im Leben:

13 Jahre später habe ich die Schützen getroffen, in Erfurt zu dem Mauerschützen-Prozess.

Ich kam gerade aus Indien und wollte wissen, warum die geschossen haben, auf Leute, die schon am Boden lagen.

„Konntet ihr auf die Entfernung sehen, ob da eine Frau oder ein Kind liegt? Wer hat euch den Auftrag gegeben, wieso habt ihr geschossen? Ich will nicht, dass ihr in den Knast geht, sondern wissen, warum ihr geschossen habt! Wenn ihr in den Knast geht, denkt ihr, ihr habt eure Strafe abgesessen, das wäre für alle blöd. Für mich, für euch, für die Mutti. Geht zur Mutti, heult euch aus! Die Entscheidung liegt sowieso beim Richter, nicht bei mir.“

Ich bin dann nach Hohenschönhausen gekommen, nach den ganzen Operationen. Die Verhöre waren meistens nach einer Operation.

Was sollte ich machen? Ich galt als Staatsfeind. Ich bin kein Staatsfeind, wieso sollte ich? Feinde nehme ich für voll. Ich konnte die gar nicht für voll nehmen. Das ging da rein und da raus. Ich habe ein Jahr probiert, hier legal rauszukommen, ihr habt mich nicht rausgelassen. Jetzt bin ich hier gefangen. Illegal aus meiner Sicht. Ich komme früher oder später hier raus.

Ich habe dann einen neuen Namen von der Staatssicherheit bekommen: „Der Philosoph“. Der Philosoph beeinflusst das Wachpersonal, er manipuliert die Häftlinge.

Leuschner ist gerissen, Leuschner wird jetzt überwacht. 350 Seiten dick. IMs waren auch auf mich angesetzt. Ich habe die ganzen Jahre abgesessen und kam dann nach Untermaßfeld.

Das ist kein Knast, um nach Westen zu kommen. Da habe ich mich drauf vorbereitet, ich war drei Tage im Osten frei, steht ein Typ neben mir: „Gegen dich läuft ein neues Verfahren, die wollen dich noch mal einsperren, wegen Geheimnisverrat. Du hast jemanden erzählt, wie die Bombe aussieht.“

„Natürlich habe ich das gemacht. Und weiter?“

„Das war gefährlich gewesen.“

Dann war er weg.

Kurz nachdem ich aus dem Knast draußen war, habe ich eine Gruppe mit Freunden gegründet, die nannte sich „Der weiße Kreis“. Das war eine Bürgerrechtsbewegung, die parallel mit der Friedensbewegung lief.

Ich meinte: „Warum geht es nur um Frieden und nicht um Freiheit? Freiheit gehört zur Demokratie dazu!“

Dazu muss man erst mal wissen, was Freiheit eigentlich ist: Religionsfreiheit, Meinungsfreiheit, Glaubensfreiheit. Es gibt viele Arten von Freiheit. Freiheit heißt, logisch übersetzt, Verantwortung übernehmen zu können und zu dürfen. Nur die meisten haben Schiss, das zu machen: Verantwortung zu übernehmen. Das war eine Verantwortung gewesen: Ich wusste genau, ich gehe in den Knast, aber ich wollte raus aus dem Osten. Ich war politisch aus meiner Sicht, aus deren Sicht kriminell.

Ich hatte nichts gegen die DDR-Bürger, ich wollte einfach nur raus und reisen. Die Welt und die Menschen kennenlernen. Die erzählen mir da irgendwas im Osten über das Weltbild. Was ist denn das für ein scheiß Weltbild?

Ihr wollt mir erzählen, wie die Franzosen, die Engländer und Amerikaner leben? Ich will es selbst sehen. Ihr wart noch nie dort, also macht euch kein Urteil über die Leute, die ihr gar nicht kennt. Dann glotzt ihr heimlich Westfernsehen, tragt heimlich Jeans, kaut Kaugummi und holt euch einen runter. Genau so sieht es nämlich aus! Der Rest ist Blödsinn.

Dann steht hier: „Am 22.02.1983 haben sich mehrere Oppositionelle im Dunstkreis des Leuschners bewegt, der als Sprachrohr gilt. Leuschner trat als besonders massiv feindlich auf, hat negative Äußerungen gegen die sozialistische Gesellschaft gemacht.“

Sie haben mich im September abgeholt und ich kam dann ganz kurz nach Berlin und dann haben sie mich in den Westen abgeschoben.

Ich war frei. Ich war nicht mehr tragbar.

Drei Tage später kam eine schwere Erschütterung. Ich erhielt die Nachricht, dass sie meine Mutter in den Knast gesteckt hatten.

Die kam nach Hoheneck für 2½ Jahre und mein Bruder kam ins Kinderheim. Die beiden wollten mich noch einmal sehen, bevor ich in den Westen gehe, das haben sie nicht zugelassen. Meine Mutter hatte demonstriert. Wegen öffentlichem Ärgernis und Widerstand ist sie in den Knast gekommen. Das war die schlimmste Zeit meines Lebens.

Was ich natürlich nicht wusste, dass es einen Bericht über mich in der Zeitung gab, im Westen. Rein zufällig war da ein Bundestagsabgeordneter, der für die Freikäufe von politischen Gefangenen zuständig war. Der liest den Bericht einmal, zweimal und behauptet: Der Bericht kann gar nicht stimmen.

Sagte ich: „Wieso denn?“

„Weil dieser Typ auf dem Foto seit ’82 bei uns im Westen sein müsste, wir haben nämlich für den bezahlt.“

Jetzt kommt es raus: Der Westen hat mich freigekauft. Der Osten hat das Geld genommen und hat mich nicht rausgelassen. Das nennt man Gefangenendiebstahl. Das Wort gibt es tatsächlich.

Franz Joseph Strauß hat damals diesen 1,4-Milliarden-Deal gemacht: Ihr wollt Geld haben für die Wirtschaft, dann baut die SM-70 aus und gebt uns fünf Gefangene, die ihr wollt.

Thomas Kretschmar, Henry Leuschner, Monika Satzen usw.

Nachdem das bekannt wurde, mussten sie mich rauslassen.

Ich habe dann einen neuen PM-12 bekommen. Den haben sie vergessen mir bei der Ausreise abzunehmen. Der hängt jetzt bei Checkpoint Charlie. Da sind noch Einschüsse drin gewesen. Das war mein erstes Geschäft, das ich im Westen gemacht habe; Rainer Hillebrand habe ich ihn damals verkauft, für 2000 DM. Was sollte ich machen? Ich brauchte das Geld. Durch den Weißen Kreis wurde ich dann bekannt. Es sind noch mehr Leute, die sie unterschlagen haben. Geld regiert die Welt. Ohne den Westen hätte der Osten nicht existieren können. Der Westen hat alles bezahlt. Autobahn, Häftlinge, Straßenbau, Güterverkehr, Transportwege, selbst die Bahn. Und Medikamente haben sie auch geliefert.

Das Problem ist: Die Unterlagen sind die nächsten 25 Jahre unter Verschluss. Wir dürfen nicht wissen, was für Medikamente wir hier bekommen haben.

In meiner Akte steht drin: „Wenn Henry Leuschner sich hier das Leben nimmt, wird er zum Märtyrer. Leuschner ist eine Gefahr. Leuschner weiß nicht, dass er Schussverletzungen hat, wo Splitter drin sind.“ Ich wusste es ja wirklich nicht.

Erst 1983, durch die Röntgenaufnahmen, kam das hier raus.

Ich hätte es bis heute nicht gewusst, ich spüre es doch gar nicht. Das sind Dum-Dum-Geschosse. Die wurden ab 1975 auf der Menschenrechtskommission verboten.

Ich bin ein lebendes Beweismittel, dass es die SM-70 mit verbotener Munition noch gibt. Deshalb war der ganze Scheiß gewesen. Ich habe es aber nicht gewusst. Ich kann ja nicht reingucken, ich habe das nicht gespürt.

Dann bin ich im Westen gewesen.

Ich ging in die USA, auf den Spuren der Hippies. Woodstock. Woodstock war vorbei, ich kam zu spät, wusste ich vorher schon.

In San Francisco bin ich wegen illegaler Arbeit erwischt und des Landes verwiesen worden.

Ich flog nach Hongkong und weiter nach Indonesien. 1986 kehrte ich über Goa nach Deutschland zurück.

1989 ist die Mauer gefallen. Da habe ich zuerst meine Mutter und meinen Bruder Mike begrüßt. Meinem Bruder ging es gar nicht gut, mittlerweile immer noch nicht.

Meine Mutter ist voll gut drauf, spielt immer noch Bassgitarre. Sie ist eine wunderbare Frau. Ich habe dann im Tresor angefangen zu arbeiten. Mit Dimitri Hegemann zusammen habe ich den Tresor Park aufgebaut.

Dann kam Motte mit der Love Parade. Erst mal waren wir 250, dann waren es 1,5 Millionen Menschen. Dann war die Party auch schon wieder vorbei.

Wie sind Sie mit der tristen Gefängnisroutine umgegangen?

Ganz normal. Ich habe viel gelesen, weil ich zu lesen hatte.

Ich habe viel selbst aufgeschrieben. Ich habe jedes Schriftstück wiederbekommen.

Ich lese mal kurz was daraus vor:

Man merkt sich zwei Dinge über das Gefängnis. Den Tag der Inhaftierung und den Tag der Entlassung. Ich wusste nicht, wie ich reingekommen bin, ich war ja schwer verletzt gewesen. Dazwischen liegt nur Leere. Routine, Wiederholung, Hoffnung, Resignation, Tür auf, Tür zu, jeden Tag dieselbe Scheiße. Der Geruch von Sperma, von Wichsern, meine befindet sich natürlich auch da. Es waren viele Wichser-Zellen, die ich getroffen habe. Ich habe manchmal das Gefühl gehabt, ich war voll der Wichser. Wichser von den Wichsern.

Jetzt weiß ich auch, warum mir die Zeit dort so bedeutungslos vorkam.

Mein Name war im Osten „Heckebie“ gewesen. Ich bin kein Staatsfeind, das bin ich nie gewesen. Ein schiefer Baum kann umgehauen werden, seine Wurzeln ausgerottet werden, man kann ihn verbrennen, ihn also bluten lassen, ihn an eine Schaukel hängen — das ist eine gute Idee, eine Schaukel. Möglich, dass wer an ihm Gefallen findet und ihm einen Namen gibt. Man könnte ihm auch Querulant tief in die Rinde reinschneiden. Aber niemals, niemals wird er seine schiefe Bahn zurücknehmen. Er ist und er bleibt. Lichtwärts wird er sich beugen. Und so war mein Gedanke, mein Blick aus dem Knast rauszukommen. Ich habe die Augen niemals verschlossen. Mein Glück heißt, nicht blind zu sein.

Darum werde ich nicht schweigen und meinen Unmut zeigen. Ich will kein Dasein, ohne da zu sein.

Ich lebe das Alphabet in anderen Farben. Du musst kein unscharfes Bild von dir geben.

Leb bewusst und stolz.

Stolz zu bewahren ist so unglaublich wichtig hier.

Abkapseln! Da waren ja viele Vollidioten drinnen, das waren Kriminelle. Ich war der einzige Politische, der wegen Republikflucht eingesperrt war. Die meiste Zeit bin ich in Einzelzelle oder im Arrest gewesen.

Da vergeht die Zeit natürlich anders: Bleiern, langsam.

Du denkst, du bist ein ewiger Gefangener. Aber sie vergeht. Ein Jahr hat nur 8760 Stunden, 365 mal 24, da muss man schon was anfangen. Das ist wenig, kann aber auch viel sein. Gerade wenn du in so einer Einzel- oder Arrestzelle bist, kriegst du eine Macke.

Beschreiben Sie die Gefühle, die Sie damals hatten.

Wut, Hass, Hoffnung.

Man ist kopfmäßig mehr draußen als drinnen. Du hast kein Radio, kein Fernseher, gar nichts. Du lebst in alten Erinnerungen, wie was gewesen ist.

Du lebst von Besuch zu Besuch. Alle zwei Monate. Bei mir haben sie den Besuch meistens schon während der Besuchszeit abgebrochen. Wegen Respektlosigkeit oder falscher Aussagen. Ich war mehr im Arrest als in meiner Zelle. Das hat mich natürlich geprägt. Alles zusammen 123 Tage. Nicht am Stück, aber immer längere Zeit.

Untermaßfeld, eine alte Wasserburg, das älteste Gefängnis der Welt. Wurde 1050 im Mittelalter gegründet. Zu dem Zeitpunkt, als ich drin war, war es halb abgebrannt. Ich war zum Glück schon im Arrest, sonst hätten sie mir noch die Scheiße in die Schuhe geschoben. Aber ich kam aus der Zelle nicht raus, ich war ja fixiert und festgebunden.

Der Arrest war im Haus unterirdisch, ganz wenige, kleine Glasbausteine und zusätzlich war noch ein Gitter in der Zelle. Ist scheiße da drinnen!

In meiner Zeit war es immer noch wie in Hitlers Zeiten. Die DDR hat ja alle Gefängnisse von Hitler genutzt.

Hohenschönhausen ist das letzte Gebäude, das die DDR 1961 gebaut hat. Alles andere gab es schon. Brandenburg, Schwarze Pumpe, Cottbus. Die haben sie nur übernommen.

Ich konnte am Tag 13—15 Minuten raus, in so einen Freiganghof. Und dann kam ich wieder rein.

Beschreiben Sie die Gefühle, die Sie gegenüber Wächtern oder Vernehmern hatten.

Ach, unterschiedlich. Mein Erzieher war ein richtiges Stück Scheiße. Der hat mich auch beleidigt, der wollte, dass ich mich an die Wand stelle usw. Das war ein Wichser, der lebt in Suhl.

Und Suhl war Zuliefererbetrieb für Jagd- und Schusswaffen. Ich sollte Teile für Maschinenpistolen bauen, aber ich kam immer wieder in den Arrest, weil ich mich weigerte.

Da wirst du zum Geheimnisträger, wenn du da drin bist.

Emotionslos. Ganz einfach. Deppen, die auf- und zuschließen. Da hast du ja nicht viel Verantwortung, oder?

Welche Parallelen erkennen Sie zur Gegenwart?

Diktatur existiert überall.

Die Türkei ist viel schlimmer als die DDR. Dort herrscht Islamfaschismus.

Die Gefängnisse sind noch schlimmer als hier. Damals, 1981/82, gab es in der Türkei einen Putsch. Wir sind hier in Mitteleuropa, da herrschen noch Gesetzmäßigkeiten. Bei den Türken herrscht ja überhaupt gar nichts mehr.

Da gab es damals 80.000 Tote, 100.000 Verhaftungen. Jetzt genau dasselbe: 160.000 Menschen sitzen im Knast. Frauen, Kinder, alles Mögliche. Ganz schlimm.

Die Welt ist aus den Fugen geraten.

Die Leute vergessen, dass wir im Zweiten Weltkrieg 12,5 Millionen Sudetendeutsche, 7,5 Millionen Vollwaisen und Kinder, 100.000 KZ-Häftlinge, 100.000 Zwangsarbeiter, 100.000 Menschen ohne Arme und Beine hatten.

Das war eine Herausforderung!

Nicht den Scheiß, den wir heute haben. Und trotzdem entsteht hier heute Rassismus und Faschismus. Weil viele Leute nicht akzeptieren, dass wir in einer Demokratie leben.

Die checken es einfach nicht.

Ich habe gestern ein Interview gesehen, mit so einer Araberin, die schreibt für die Washington Post. Du kommst allein, so hieß ihr Buch.

Der arabische Frühling, da haben wir alle gehofft: „Oh, es gibt Demokratie.“ Sie wissen ja gar nicht mit der Demokratie umzugehen. Das ist einfach so. Das sind vielleicht eine Handvoll Leute, die eine Frau wertschätzen.

Aber die Tradition und Erziehung ist ganz anders. Die wissen das gar nicht zu schätzen. Das ist das Problem.

Schau dir mal die Jungspunde an. Die wollen nicht für ihr Land kämpfen, das ist denen scheißegal, die wollen hier schön leben. Das ist legitim, aber hier entstehen Spannungen. Da krieg ich einen Hals!

Ich bin nicht mehr Gutmensch, das war ich mal. Ich verhalte mich danach, wo ich gerade bin.

Und wenn ich Scheiße baue, gehe ich in den Knast und werde ausgewiesen. In jedem Land der Welt ist das normal, bloß hier nicht.

Da wird dann gesagt: „Ach, der ist jung, der hat ein Trauma. Der hat eine schwere Jugend gehabt.“

Was ist das für ein Scheiß. Willst du mich verarschen oder was?

Die kriegen Hilfe. In keinem Land der Welt kriegst du so viel als Flüchtling.

Warum gehen sie nicht zu ihren Brüdern nach Saudi-Arabien? Da herrscht Frieden, die haben genug Geld und Öl. Nein, die haben selbst genug Sklaven, aus Singapur, Malaysia und den Philippinen, die für sie arbeiten. Das ist die Wahrheit. Das ist ein verlogenes Pack, mehr nicht.

Was halten Sie vom politischen Bewusstsein der heutigen Generation?

Die sind doch viel zu viel auf ihr scheiß Handy konzentriert.

Die kriegen überhaupt nichts mehr mit.

Was willst du wählen? CDU oder SPD ist eh derselbe Scheiß. Also ich wüsste nicht, wo da der Unterschied ist. Alles die gleichen Themen, Veränderung ist nicht da und die Jugend von heute ist frustriert.

In der Schule wird viel zu wenig gebildet. Respekt ist das Wichtigste. Bildung und Respekt. Das ist das Wichtigste. Das wird in der Schule aber nicht gelernt. Hier in Berlin sind Typen dabei, die würden dir nicht die Hand geben, weil du eine Frau bist. Wie willst du denn da politisches Bewusstsein aufbauen?

Die Lehrer sind frustriert, die Klasse ist frustriert. Da ist kein Weiterkommen. Die haben Milliarden für Rüstung ausgegeben, aber ganz wenig für Bildung. Das ist doch das Thema.

Personal details

I was born in Leipzig in March 1962 and then grew up in Jena. I finished the tenth grade but I wasn’t in the FDJ or any other youth organization. I wasn’t let in because I had long hair. Totally different from all the other young people over there.

Then, in 1978, I got a new subject in the GDR: paramilitary sports. You had to run through the forest with machine guns and hand grenades. Was I insane? Definitely not! Then I said that I wouldn’t do that. And that’s how I ended up leaving school.

Then I had to choose between cholera and the plague. There were only roofers or masons. I chose the company that was closer by. That way I could sleep longer.

I became a roofer. Terrible idea, a total FDJ company. I was the only one who had to carry the roofing tiles up there.

In 1978 I organized a student strike. What I of course didn’t know was that the last strike had been in 1958. I got friends involved, made posters, etc. No one came, so I went on strike by myself. A strike is a strike.

Then I went to prison in Jena, where my father, thank God, got me out again. He had been a public prosecutor in Algeria. He had studied in the GDR, was a resistance fighter against the French and then got a position as a professor in ’62 and left the country in ’75.

In any case, he got me out, but I only found that out through the Stasi files. I have over 1,650 pages of Stasi records.

At age 17, they took me to the Stasi’s National People’s Army. They wanted me to enlist. But I didn’t want to go there and was threatened with prison if I didn’t go into the army. I of course didn’t want that, so I applied to be a construction soldier. I gave all the reasons why I wanted to do that. I was picked up five or six days later because of the letter.

When I was 16 or 17 years old I already got a PM-12, a special certificate two pages long.

I wasn’t allowed to leave the city, had a street ban, contact ban, reporting requirements and all that shit. I had been deemed a hostile citizen who was a threat due to treason, rabble-rousing, and risk of absconding. And above all I was a threat to the public security.

I had blue hair back then. But I wasn’t a punk, I had met someone on the highway who was neither a punk nor a hippie. It was a gay hairdresser who was coming from a queer festival. So I thought, something’s going on here, and cut my hair and dyed it blue.

Three days later I hung the special ID around my neck so anyone could see it. Then they thought that was really bad and took away my ID. Then I didn’t have any ID at all anymore.

There was a guy in our city, Peter the Bull. Total wimp. Super fat, super dumb, had a uniform.

When they took away my ID, I said that if they do that I would take a step back. And if I take a step back, I won’t come back. But they didn’t understand what I meant.

Right on my 18th birthday, in 1980, I went to the Stasi and said: “Here’s my application to leave and my birth certificate, I want to get out of here!” As I left, I said I would wait for a year and then I would be out of there.

I shouldn’t have said that. That was a threat to commit a crime.

I waited one year and seven days, no longer than that. On April 1, I went to my friend and said, “Dietzi, listen, long story short, time to get serious, today is the deadline! Are you coming or not?” Then we jumped into the train in the direction of Plauen Oelsnitz. In the train I noticed that we were being watched, and we jumped out while it was still in motion.

The dumb part is that it was the wrong side. Again, for the record: We wanted to flee to the West, we wrote down April 1. We didn’t know where the West was. Not a good start.

Then we hid in the trees. After an hour, they were gone and I see a light on the horizon, I think: That must be the West.

What we didn’t know was that it was the most secure border in the world: Tanks, electric fences, barbed wire, sharpshooters, the whole deal.

There were dogs to the right, so we ran to the left. We found out later why there were no dogs there. It was for a very specific reason. It was the USSR.

My friend ran and got a huge electric shock, lying on the ground near death. I couldn’t let him lie there and waited until the spotlights were gone. I ran into the forest, broke off a branch, used it to push up the wire, and jumped through.

What we didn’t know then was that we were on a minefield. There was a sign 30 meters away, we crawled towards it and it actually said: “Minefield! Entry may be fatal!” That sure brought us joy!

What don’t you do on a minefield? You never cross it as a pair. So we separated, but on the other side were the SM-70s, the ones that ripped through flesh, the self-shooting machines. I touched them but nothing happened. Pushed them up and down, nothing happened. It was a dummy.

We of course didn’t know that the things only start with 40 kilos. Held on and pulled up, there was a murderous explosion. 150 shots from the one side and 150 shots from the other side, too.

Everything totally bullet ridden, my damn bones were completely gone, blood everywhere, a border officer shot my thigh as I was laying on the ground.

I lay there dying. I had bullet wounds everywhere. Those are really nasty, if you put your hand over them you feel a real hole.

We must have missed the German-German border by a few meters at the triangle where three countries met. That’s why we didn’t hear any dogs. And there were still self-powered machine guns—on a border to a friendly neighbor.

I had multiple operations, in the West and in the East.

That was it.